■ tierwelt ■ Weil sie sich dem Weiss der Blüte anpasst, überlistet die Veränderliche Krabbenspinne ihre Beute mühelos. Der Tod lauert auf der Blume Die Veränderliche Krabbenspinne verblüfft durch ihre farbliche Anpassungsfähigkeit. Die perfekte Tarnung dient ihr als Lebensversicherung – und stürzt nichts ahnende Opfer ins Verderben. F ordern Sie jemanden auf, ein Tier zu nennen, das seine Farbe der Umgebung anpassen kann, lautet die Antwort meist «Chamäleon». Wohl kaum jemand denkt bei dieser Frage an eine Spinne. Und schon gar nicht an eine Spinne, die auch in der Schweiz verbreitet ist und mit Vorliebe auf sonnigen, warmen Wiesen, an Waldrändern oder auf blütenreichen Feldern lebt: die Veränderliche Krabbenspinne. Sie ist eine besonders interessante und schöne Vertreterin der ­gros­sen Familie der Krabbenspinnen, die weltweit über 2000 Arten umfasst. 2006 wurde sie zur europäischen Spinne des Jahres gewählt. Ihren Namen hat sie einerseits, weil sie mit ihren langen, kräftigen Vorderbeinen im Aussehen einer Krabbe ähnelt und sich auch wie diese seitwärts fortbewegen kann. Anderseits können die Weibchen innerhalb weniger Stunden ihre Aussenfarbe verändern und sie so der Blume, auf der sie sich befinden, anpassen. Das Spektrum reicht dabei von gelb über gelbgrün bis weiss. Dabei werden auf 20 einem gelben Hintergrund entsprechend gelbliche Farbpigmente in der Aussenhaut gelagert. Auf einer weissen Blüte werden umgekehrt die gelben Farbpigmente in untere Hautschichten transportiert und sogar mit dem Kot ausgeschieden. Die Beute der Krabbenspinne ist häufig um ein Vielfaches grösser als sie selbst Die nur etwa 4 Millimeter grossen, gelben Männchen (Weibchen sind 11 Millimeter gross) haben diese Anpassungsfähigkeit nicht. Durch den Trick, sich farblich der Umgebung anzupassen hat die Veränderliche Krabbenspinne gleich zwei überlebenswichtige Vorteile. Erstens sind die Spinnen mit dieser Tarnung perfekt vor ihren Fressfeinden geschützt. Und zweitens werden sie von ihren Opfern nicht erkannt. Fliegt zum Beispiel eine Biene eine Blume an, stürzt sich die dort lebende Krabbenspinne als tödliche Überraschung überfallartig auf sie und injiziert dem Opfer sein todbringendes Gift. Dabei wird der Fang möglichst weit vom eigenen Körper entfernt festgehalten, um einem Stich mit dem Giftstachel zu entgehen. Die Krabbenspinne schreckt auch nicht vor Tieren zurück, die sie um ein Vielfaches ihrer eigenen Körpergrösse übertreffen. Neben Bienen stehen auch Hummeln, Käfer und Schmetterlinge auf ihrem Speiseplan und werden, nachdem das eingespritzte Verdauungsenzym sie von innen zersetzt hat, ausgesaugt. Aufgrund dieser Auflauer-Jagdmethode muss die Veränderliche Krabbenspinne auch kein Fangnetz bauen. Trotzdem ist sie in der Lage, Fäden zu spinnen. Diese benötigt sie aber nur zur eigenen Absicherung, um sich bei Gefahr notfallmässig abzuseilen von ihrer Wohnblüte, auf der die Spinnen übrigens oft ihr ganzes Leben verbringen. Die Paarung im Frühsommer ist für das Männchen wie bei vielen Spinnenarten lebensgefährlich. Es kann nämlich bei der Begattung selbst zur Beute werden und nähert sich der Partnerin deshalb nur vorsichtig. Während das Weibchen Ende Sommer stirbt, überwintern die Jungen im Boden und sind im darauffolgenden Jahr als geschlechtsreife Tiere zwischen Mai und Juli anzutreffen. Die perfekte Tarnung hat natürlich auch zur Folge, dass der interessierte Naturliebhaber etwas Geduld mitbringen muss, wenn er die kleinen Tiere in ihrer natürlichen Umgebung beobachten möchte. Nähert man sich einer Blume, auf der sich eine Spinne niedergelassen hat, verschwindet diese blitzschnell auf der Unterseite der Blüte und taucht erst wieder auf, wenn keine Gefahr mehr droht. Text und Bild: Stefan Leimer TIERWELT / 23, 6. juni 2013