Fauna Fauna © S. und S. Grünig-Karp Das Spiel mit den Farben Stefan Leimer (Text und Fotos) / S. und S. Grünig-Karp (Fotos) Sie ist das Chamäleon unter den Spinnen: Die Veränderliche Krabbenspinne passt ihre Färbung der Blüte an, in der sie ihren Opfern auflauert. Der Tarnung sind allerdings Grenzen gesetzt, weil die Farbe der Spinne nur zwischen Weiss und verschiedenen Gelbtönen wechseln kann. Die wenigsten Menschen werden bei der Frage nach einem Tier, das seine Farbe der Umgebung anpassen kann, an eine einheimische Spinne denken. Aber die Veränderliche Krabbenspinne (Misumena vatia), die mit Vorliebe auf sonnigen, warmen Wiesen, an Waldrändern oder auf blütenreichen Feldern lebt, hat diese Fähigkeit. Die Weibchen passen ihre Farbe innerhalb weniger 10 Natura Helvetica Aug/Sep 2015 Stunden der Blüte, auf der sie sich befinden, an. Das Spektrum reicht dabei von gelb über gelbgrün bis weiss. Die Veränderliche Krabbenspinne ist somit eine besonders interessante und schöne Vertreterin der grossen Familie der Krabbenspinnen, die weltweit über 2‘000 Arten umfasst. 2006 wurde sie zur europäischen Spinne des Jahres gewählt. Die Krabbenspinnen haben ihren Namen wegen ihrer langen, kräftigen Vorderbeine, die sie in Ruhestellung angewinkelt haben und so tatsächlich Krebstieren gleichen. Zudem bewegen sie sich oftmals seitwärts, was ebenfalls an Krabben erinnert. Die Fähigkeit zur farblichen Anpassung zeigen nur die Weibchen. Deren Körper misst bis 11 mm, die Männchen werden nur 4 mm gross und sind stets gelb gefärbt. Die farbliche Anpassung der Weibchen basiert auf komplexen Mechanismen: Mit ihren Augen nimmt die Spinne die Farbe ihrer Wohnblüte wahr und beginnt mit der farblichen Abstimmung. Oft werden auch nur Teile der Blüte farblich nachgeahmt, z.B. die gelben Röhrenblüten im Zentrum von weissen Margeriten. Die Gelbfärbung entsteht durch Produkte des sogenannten Ommochrom-Stoffwechsels. Hier zeigt sich die Verwandtschaft der Spinnentiere mit den Insekten, welche ebenfalls zum Stamm der Gliederfüsser zählen: Ommochrome sind Pigmente, die in den Facettenaugen von Insekten vorkommen. Bei den Krabbenspinnen werden Hydroxy-Kynurenin-Moleküle, gelbe Zwischenprodukte des Ommochrom-Stoffwechsels, in den durchsichtigen Hautzellen eingelagert. Soll die Färbung der Spinne etwas heller werden oder gar weiss sein, so werden die gelben Moleküle abgebaut, und die unter der Haut liegenden weissen Zellen, sogenannte Guanocyten, werden sichtbar. Die Guanocyten speichern Guanin, einen Bestandteil der Erbsubstanz, und kriegen dadurch ihre weisse Farbe. Weiss ist sozusagen die Grundfarbe der Veränderlichen Krabbenspinne, Gelb eine darüberliegende Deckfarbe, die bei Bedarf vermindert oder gänzlich abgebaut wird. Anders als das Chamäleon oder bestimmte Tintenfische, welche durch das Verschieben von Pigmenten oder ganzen Pigmentzellen die Farbe zum Teil sehr schnell ändern können, dauert der Farbwechsel bei Krabbenspinnen länger, da chemische Prozesse zum Auf- oder Abbau von Stoffen in Gang gesetzt werden müssen. Durch den Trick, sich farblich der Umgebung anzupassen, hat die Veränderliche Krabbenspinne gleich zwei überlebenswichtige Vorteile. Erstens sind die Tiere mit dieser Tarnung vor ihren Fressfeinden geschützt - vorausgesetzt, die Blütenfarbe ist im Repertoire der Spinne - und zweitens werden sie von ihren Opfern nicht erkannt. Fliegt zum Beispiel eine Biene eine Blüte an, so stürzt sich die Krabbenspinne überfallartig auf ihr Opfer und injiziert ihm beim Biss mit den kräftigen Mundwerkzeugen ein lähmendes und schliesslich todbringendes Gift. Der Biss erfolgt sehr präzise in der Nackengegend des Beutetieres. Bis die © Stefan Leimer © S. und S. Grünig-Karp Lähmung einsetzt, wird der Fang mit den langen Vorderbeinen möglichst weit weg vom eigenen Körper festgehalten, um einem allfälligen Stich eines wehrhaften Beutetieres zu entgehen. Sobald das Gift seine Wirkung entfaltet hat, spritzt die Spinne Verdauungsenzyme in die Beute hinein und beginnt sie dann auszusaugen. Krabbenspinnen schrecken auch nicht vor Tieren zurück, die um ein Vielfaches ihre eigene Körpergrösse übertreffen. Neben Bienen stehen auch Hummeln, Käfer und Schmetterlinge auf ihrem Speiseplan. Nicht das passende Kleid: Rottöne sind nicht im Farbrepertoire der Krabbenspinne - die Tarnung ist dahin (links). Mal weiss wie die Zungenblüten (oben), mal gelb wie die Röhrenblüten (unten) - beide Strategien scheinen erfolgreich zu sein. Aug/Sep 2015 Natura Helvetica 11 Fauna Kleine Welt © Stefan Leimer Die Veränderliche Krabbenspinne kann auch Opfer, die viel grösser sind als sie selbst, mühelos überwältigen, denn der gezielte Giftbiss lähmt die Opfer, bevor sie fliehen können. Aufgrund der Auflauer-Jagdmethode muss die Veränderliche Krabbenspinne kein Fangnetz bauen, obwohl sie durchaus in der Lage ist, Fäden zu spinnen. Diese benötigt sie aber nur, um sich bei Gefahr notfallmässig von ihrer Wohnblüte - auf der sie übrigens oft ihr ganzes Leben verbringt abzuseilen. Die Paarung im Frühsommer ist für das Männchen, wie bei vielen Spinnenarten, nicht ganz Der Autor Stefan Leimer ist Naturfotograf aus Leidenschaft. Er nimmt Alltägliches in den Fokus und versucht, das Unscheinbare aus einer neuen Perspektive zu zeigen. Leimer publiziert in verschiedenen Zeitschriften und Zeitungen, u.a. in der Basler Zeitung. www.stefanleimer.ch 12 Natura Helvetica Aug/Sep 2015 ungefährlich, denn hin und wieder endet der Paarungsversuch mit dem Verspeisen des Männchens durch das Weibchen. Es gilt also, sich mit aller Sorgfalt dem Weibchen zu nähern, auf dessen Rücken zu klettern und sich dann unter dessen Körper zu schieben. Anschliessend bringt das Männchen mit seinen Fortpflanzungsorganen Spermienpakete in die Geschlechtsöffnung des Weibchens. Die Paarung kann mehrmals stattfinden, ehe sich das Männchen davonmacht. Das Weibchen spinnt einen Kokon, welcher die Eier enthält, bringt diesen in Bodennähe und bewacht und verteidigt ihn, bis die Jungen schlüpfen. In dieser Zeit wird keine Nahrung mehr aufgenommen. Nachdem im Spätsommer die Jungtiere aus dem Kokon geschlüpft sind, stirbt die Mutterspinne. Die Jungtiere verziehen sich in Bodenritzen und verbringen dort den Winter. Zwischen Mai und Juli ist dann die nächste Generation an geschlechtsreifen Krabbenspinnen anzutreffen. Schuppe des Silberfischchens Rudolf Büchi (Text und Foto) Das Bild zeigt eine Schuppe des Silberfischchens bei 500-facher Vergrösserung. Silberfischchen sind wahrscheinlich allen Leuten als harmloses Insekt in der Wohnung bekannt. Sie heissen mit wissenschaftlichem Namen Lepisma saccharina und gehören zu den Urinsekten. Sie kommen auch im Freiland vor, beispielsweise in Vogelnestern. Der Name stammt von der silbrig-glänzenden Oberfläche der Tiere. Die silbrige Farbe wird aber nicht durch die Schuppen allein verursacht. Die Schuppen sind vielmehr durchsichtig, farblos und sehr dünn. Die Schuppen weisen auf der Oberfläche und der Unterseite Rippen auf. Bei flachem Lichteinfall von der Seite können Lichtbeugungseffekte an den Rippen ausgelöst werden, wie im obigen Bild, wo das weisse Licht in die Farbkomponenten als farbige Flämmchen zerlegt wird. Die flach von der Seite senkrecht zu den Rippen einfallenden Lichtstrahlen gehen bei diesen nicht gerade weiter, sondern werden um die Rippen abgelenkt oder gebeugt. Dabei werden die verschiedenen Farbkomponenten des weissen Lichtes verschieden stark gebeugt. Blaues Licht wird weniger stark gebeugt als rotes Licht. Das ist gerade umgekehrt wie bei der Lichtaufspaltung am Prisma, wo Blau stärker gebrochen wird als Rot. Aug/Sept 2015 Natura HelveticA 13