Die Kategorien INFL und COMP Mit Hilfe des X-bar

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Einführung in die Sprachwissenschaft
Jan Eden
Syntax 9: Die Kategorien INFL und COMP
Mit Hilfe des X-bar-Schemas haben wir bisher Projektionen von Lexemen unterschiedlicher Kategorien analysiert:
(1)
a.
b.
c.
d.
dem Patienten eine Kur verschreiben (VP)
die gefeierte Interpretin der „Carmen“ (NP)
des Erfolges überdrüssig (AP)
über den Umgang mit Menschen (PP)
Diese Phrasen bezeichnet man – nach ihrem Kopf – als lexikalische Phrasen.
Sätze sind offensichtlich keine lexikalischen Phrasen, da sich kein Lexem identifizieren lässt, dass
als Satzkopf dienen könnte:
(2) DerDet HaseN liegtV imP PfefferN.
Lässt sich eine X-bar-Analyse trotzdem auf ganze Sätze übertragen? Anders ausgedrückt: Sind
Sätze X-Phrasen?
In klassischen (semantisch ausgerichteten) Sprachtheorien besteht ein Satz aus
• einem Subjekt einem Ausdruck für ein Individuum (oder mehrere Individuen) und
• einer Prädikation (einem Ausdruck für eine Eigenschaft, die diesem Individuum (diesen
Individuen) zugeschrieben wird).
Sätze haben demnach folgende semantische Struktur:
(3)
a.
b.
c.
d.
[Das Oberlandesgericht] [verurteilt den Täter zu einer Geldstrafe].
[Die Professorin] [korrigierte zähneknirschend 100 Hausarbeiten].
[Das alte Haus] [wurde nach langer Diskussion abgerissen].
[Die Kinder] [spielen mit dem Ball].
Subjekte nehmen nicht nur semantisch, sondern auch syntaktisch eine herausgehobene Position ein. Wie der Topikalisierungstest zeigt, lassen sich die Objekte einzeln oder gemeinsam und
zusammen mit der infiniten Verbform topikalisieren:
(4)
a. [dem Hund] hat die Katze den Ball geklaut.
b. [den Ball] hat die Katze dem Hund geklaut.
1
c. [den Ball geklaut] hat die Katze dem Hund.
d. dem Hund geklaut hat die Katze den Ball.
e. [den Ball dem Hund geklaut] hat die Katze.
Das Subjekt lässt sich dagegen nur allein, aber nicht mit der infiniten Verbform oder den Objekten
topikalisieren.
(5)
a.
b.
c.
d.
[die Katze] hat dem Hund den Ball geklaut.
* [die Katze geklaut] hat dem Hund den Ball.
* [die Katze dem Hund geklaut] hat den Ball.
* [die Katze den Ball geklaut] hat dem Hund.
Der Test zeigt, dass das Subjekt und die VP jeweils eine Konstituente des Satzes bilden. Damit ist
ausgeschlossen, dass VPs allein einen Satz bilden. Stattdessen besteht ein Satz aus einer NP (oder
einem Satz) und einer VP. Traditionelle Phrasenstrukturregeln für Sätze sehen dementsprechend
so aus:
(6) S → NP VP
′
Eine solche Regel verletzt allerdings die Prinzipien der X -Theorie. Sätze wären nach dieser Regel
kopflose Strukturen, die aus zwei maximalen Projektionen bestehen:
S
NP
Der Landrat
VP
isst einen Lammbraten
Eine X-bar-Analyse von Sätzen steht vor dem Problem, dass Sätze auf den ersten Blick nur aus
Subjekt und Prädikation zu bestehen scheinen. Hält man an der X-bar-Theorie fest, ergeben sich
folgende Fragen:
• Welches Element bildet den Kopf eines Satzes?
• Welche kategorialen Eigenschaften hat ein Satzkopf?
• Welche Komplemente selegiert ein Satzkopf?
Den Schlüssel zur Beantwortung dieser Fragen bildet die Beobachtung, dass nicht alle Sätze ein
Subjekt haben:
(7)
a. Peter glaubt, dass Maria ihn liebt.
2
b. Maria weiß nicht, ob sie Peter wirklich liebt.
c. Hans glaubt, das Verhältnis von Peter und Maria zu kennen.
d. Clara behauptet, den Präsidenten zu lieben.
Die Sätze ohne (hörbares) Subjekt (7c/7d) zeichnen sich dadurch aus, dass sie kein finites Verb
(Finitum) enthalten. Zwischen Subjekt und Finitum besteht also offensichtlich eine enge Verbindung:
(8) Subjekt → Finitum | kein Finitum → kein Subjekt
Wo es ein Subjekt gibt, gibt es auch ein Finitum, ohne Finitum gibt es kein Subjekt. Umgekehrt
gibt es Sätze mit finitem Verb, aber ohne Subjekt (Imperative).
Dieser Zusammenhang lässt sich erklären, wenn man zwischen dem Lexem der Kategorie V und
seinem Merkmal [±finit] unterscheidet. Nicht das Verb selbst, sondern seine Finitheit ist die
Voraussetzung für die Realisierung eines Subjekts. Dieser Auffassung entsprechend stellen die verbalen Flexionsmerkmale (INFL, I) eine eigenständige, funktionale Kategorie dar. Die Kategorie
INFL enthält statt eines Lexems eine Reihe von Merkmalen ([+TMP] ist gleichbedeutend mit
[+finit]):
Tempus [TMP]
Modus [MOD]
Kongruenz [AGR]
[+TMP]
(Präsens, Präteritum, Perfekt, Plusquamperfekt,
Futur I, II)
[–TMP] (Infinitiv, Partizip I, Partizip II, II. Infinitiv)
[+MOD] (Konjunktiv I, Konjunktiv II, Imperativ)
[–MOD] (Indikativ)
[PER]
(1., 2., 3. Person)
[NUM]
(Singular und Plural)
Die einzelnen Merkmale innerhalb der Kategorie INFL stellen Subkategorien dar. In neueren
Theorievarianten wird INFL deshalb auch in mehrere Köpfe aufgespalten (Split-INFL-Hypothese).
Nimmt man an, dass I0 den Kopf eines Satzes bildet, dann ist ein Satz der X-bar-Theorie zu Folge
eine maximale Projektion von Merkmalen (IP). Das Komplement eines I0 -Kopfes ist eine VP,
während die Subjekt-NP – wie bereits bei der Einführung der phrasalen Positionen erwähnt –
die Spezifizierer-Position des Satzes (SpecIP) einnimmt. Die INFL-Merkmale werden in I0 durch
verbale Flexionsmorpheme realisiert:
3
IP
I1
NP
ein Zwerg
VP
V1
NP
I0
-t

Präsens
 Indikativ


0
 3.Pers.
V
hilfSingular





meiner Schwester
Die Analyse von Sätzen als IPs hat den entscheidenden Vorteil, dass Sätze grundsätzlich genau wie
VPs, APs, NPs und PPs analysiert werden können. Man benötigt nur ein allgemeines Prinzip, um
alle syntaktische Strukturen zu beschreiben:
(9) Xn → . . . Xn−1 . . .
Die Abhängigkeit des Subjekts von einem finiten Verb ergibt sich aus dem Kasusfilter: Alle Subjekte stehen im Deutschen im Nominativ. Diesen Kasus können Verben nur sehr selten (s. das
Handout zur Kasustheorie) ihren Komplementen zuweisen. Es liegt deshalb nahe, die Kategorie
I0 als Kasuszuweiser für Subjekte aufzufassen. Die entsprechende Generalisierung lautet:
(10) INFL weist dem Subjekt Kasus (Nominativ) zu, wenn es finit ([+TMP]) ist.
Die Einschränkung auf finite I0 -Köpfe ist notwendig, weil infinite Sätze ebenfalls einen I0 -Kopf,
aber kein Subjekt enthalten (s.o.).
Mit der Kasuszuweisung wird eine Kategorie als Argument des Verbs lizensiert, d.h. die Kasuszuweisung trägt zur Herstellung von Kongruenz zwischen Subjekt und Verb bei. Aus diesem Grund
ist innerhalb des INFL-Kopfes der AGR-Komplex für die Nominativzuweisung verantwortlich.
Die Kasuszuweisung an Subjekte funktioniert entsprechend den X-bar-Prinzipien, d.h. sie erfolgt
unter Rektion zwischen einem Kopf (I0 ) und einer Argumentposition der maximalen Projektion
dieses Kopfes (SpecIP):
4
IP
IP
NP
ø
I
NP
Der Mann
1
V1
NP
das Rennen
VP
V1
I0
[-finit]
VP
I1
I0
-t
[+finit]
V0
lach-
V0
zu gewinnen
I0 regiert als Kopf seine Spec-Position und weist ihr (im Deutschen nach links) Kasus zu – wenn
es das Merkmal [+finit] enthält.
Die Annahme eines Merkmalbündels in I0 erlaubt es auch, folgende Beobachtung zu erklären:
(11)
a.
b.
c.
d.
Der Hund möchte einen Knochen.
* Der Hund möchten einen Knochen.
Du hast Hunger.
* Peter hast Hunger.
Die obligatorische Kongruenz zwischen der Verbflexion und dem Subjekt wird als Spec-HeadAgreement (Spezifizierer-Kopf-Kongruenz) bezeichnet. Das Subjekt in SpecIP muss mit den AGRMerkmalen ([PER]/[NUM]) in I0 übereinstimmen:
IP
SpecIP
Du
IP
I1
VP
V1
SpecIP
Die Kinder
I0
-st
I1
VP
V1
V0
lach-
I0
-en
V0
lach-
Eine Kongruenzbeziehung ist nicht zu verwechseln mit der Zuweisung von Merkmalen (z.B. Kasus) eines Kopfs an seine Argumente.
Die Positionierung des Subjekts in SpecIP ist die Grundlage für seine schon mehrfach erwähnte
Charakterisierung als externes Argument des Verbs. Da das Subjekt also eine θ-Rolle vom Verb
5
erhält, sollte man eine Relation zwischen der – in den obigen Darstellungen ausgelassenen – SpecPosition der VP und der Spec-Position der IP annehmen. Mit dem Charakter dieser Relation
beschäftigen wir uns später.
Aus dem Kasusfilter folgt, dass alle Sätze im Deutschen ursprünglich Verbend-Sätze sind. Da V0
und I0 Kasus nach links zuweisen, muss sich das finite Verb in der rechten Satzklammer befinden,
damit Subjekte und Objekte Kasus erhalten können.
(12) [VF ø] [LK dass] [MF Peter dem Priester den Gruß] [RK verweigert hat].
Tatsächlich befindet sich die finite Verbform in selbständigen Sätzen aber in der linken Satzklammer:
(13)
a. [VF Peter] [LK hat] [MF dem Priester den Gruß] [RK verweigert].
b. [VF ø] [LK Hat] [MF Peter dem Priester den Gruß] [RK verweigert]?
Ein Grammatikmodell, das finite Verben (im Deutschen) grundsätzlich in der rechten Satzklammer lokalisiert, ist also nicht beobachtungsadäquat. Wir werden später sehen, wie sich dieses Problem lösen lässt.
Beschränkt man die Analyse auf V/E-Sätze, ergibt sich dennoch ein Problem: V/E-Sätze werden
obligatorisch durch eine subordinierende Konjunktion (dass, ob, weil . . . ) eingeleitet, die sich
offensichtlich außerhalb der maximalen Projektion IP (jenseits der SpecIP-Position) befindet:
(14)
a. dass [IP Wallenstein an einer Magenkrankheit litt]
b. ob [IP die begeisterte Menge den begnadeten Rhetoriker gefeiert hatte]
Im Rahmen einer X-Analyse wird auch die Konjunktion als Kopf einer Projektion aufgefasst.
Mittels einer (subordinierenden) Konjunktion können Sätze Komplemente anderer Phrasen bilden:
(15)
a. Ich glaube, [dass [IP Wallenstein an einer Magenkrankheit litt]]
b. Die Obrigkeit war nicht sicher, [ob [IP die begeisterte Menge den begnadeten Rhetoriker gefeiert hatte]].
Subordinierende Konjunktionen werden deshalb als Komplementierer (COMP, C) bezeichnet.
Sie bilden den Kopf der maximalen Projektion CP und selegieren als Komplement eine IP:
6
CP
C1
SpecCP
C0
dass
IP
I1
NP
ein Zwerg
meiner Schwester hilft
Tatsächlich ist es nicht ganz korrekt, die Konjunktionen mit der Kategorie COMP zu identifizieren. Wie INFL ist auch COMP eine funktionale Kategorie, die (anders als INFL!) das Merkmal
[±WH] enthält. Dieses Merkmal kann durch eine Konjunktion realisiert werden: dass realisiert
[–WH], ob realisiert [+WH].
Die Annahme der funktionalen Kategorien INFL und COMP erlaubt eine Analyse von Sätzen
im sog. CP-IP-Modell. Dieses Modell bildet – mit einigen Erweiterungen – das Fundament der
generativen Syntaxtheorie.
Hausaufgaben:
Analysieren Sie folgende Sätze im CP-IP-Modell als Baumdiagramm. Markieren Sie, welche NP
von welchem Kopf Kasus erhält und welche Merkmale in I0 repräsentiert sind.
1. dass die Kutsche dem Kutscher Ärger machte
2. ob die Kirche den Ketzer mit einem Bann belegt
3. warum der Hund ständig das Stöckchen zurückholt
4. dass der Sachbearbeiter trotz Strafandrohung eine Akte vernichtet
5. weil die Komikerin ihren Auftritt vermasselt
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