Indien: Viehzucht, Landwirtschaft und Handwerk

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Indien: Viehzucht, Landwirtschaft und Handwerk Bedeutung und Einfluss des Religiösen. Religion und Kaste?
K ATJA E ICHNER
1. Einleitung
(shruti).1 Wichtige Begriffe, die im Zusammenhang
mit dem Hinduismus und dem System der Kaste
Ich möchte mit diesem Beitrag die Bedeutung der
geklärt werden müssen, sind die Begriffe samsara
Verknüpfung von Religion und Ökonomie in der Ent-
(Weltenkreislauf),
stehung, Erhaltung und Erweiterung des indischen
dharma (göttliche Ordnung/Recht und Sitte).
karman
(Tatvergeltung)
und
Kastensystems herausarbeiten. Ich beschränke mich
in meiner Untersuchung auf die Zeit um ca. 2000
1.1 2. Samsara
v.Chr. bis ca. 500 n.Chr. Innerhalb dieses Zeitraumes
Samsara wird häufig auch mit Seelenwanderungs-
entwickelte sich das Kastenwesen, dass mit einigen
lehre oder Kreislauf der Wiedergeburten übersetzt.
Abweichungen auch heute noch in Indien zu finden
Entgegen der linearen Zeitvorstellung der semiti-
ist. Ich gehe dabei historisch vor unter Berücksichti-
schen Religionen fußt der Hinduismus auf einer zykli-
gung der ökonomischen und religiösen Entwicklung.
schen Zeitvorstellung. Die Welt geht aus dem göttli-
Hauptquellen sind hierbei die vedisch-brahmani-
chen hervor und wird nach Ablauf von vier immer
sche Literatur. In der Einteilung der Perioden
schlechter werdenden Zeitaltern wieder darin auf-
schließe ich mich Walter Ruben an, da seine Peri-
gelöst, um aufs Neue entstehen und vergehen zu
odisierung sich an wichtige gesellschaftliche, wirt-
können. In gleicher Weise verhält es sich mit der
schaftliche und religiöse Umbruchzeiten orientiert.
menschlichen Seele. Sie verkörpert sich immer wie-
Leider ist es mir nicht vergönnt, mit dieser Heran-
der, bis sie zu Erlösung und damit zu Gott gelangt.2
gehensweise die Frage nach dem Ei (Religion) oder
Huhn (Ökonomie) zu lösen.
1.1.2. Dharma
Vorab jedoch sind zwei grundlegende Begriffe zu
Unter dharma wird die universelle Ordnung ver-
klären. Die Religion Hinduismus und das System
standen, die sich im Handeln der Menschen durch-
Kaste.
setzt. Ein Verstoß gegen den dharma bedeutet eine
Gefährdung der Ordnung schlechthin. Der dharma
1.1. Der Hinduismus
ist eine religiöse ethische Norm, die Rechte und
Der Hinduismus ist eine im Verlauf von mehr als
Pflichten religiös-ritueller wie sozial-ethischer Natur
zweitausend Jahren historisch gewachsene, also
umfasst.3
nicht von einem Propheten gestiftete Religion,
wenngleich die Vorstellung von der göttlichen Ver-
1.1.3. Karma
kündung der Heilslehre z.B. durch Krishna, einer
Unter karma werden die Auswirkungen der Hand-
Inkarnation von Vishnu, oder durch Shiva ebenfalls
lungen verstanden, die in einem früheren Leben
enthalten ist. Seine heiligen Schriften – allgemein
begangen wurden und die Umstände des jetzigen
als vedische Überlieferung bezeichnet – die vedi-
Lebens bestimmen. Sowie die Folgen der Taten in
schen Hymnen, Opfer- und Zaubersprüche (um 1200
diesem Leben, die wiederum ihre Auswirkungen auf
v.Chr.), die Reflexionen über das Opferritual in den
die zukünftigen Wiedergeburten haben werden.
Brahmanas (um 800 v.Chr.) und die philosophischen
Gute Taten schaffen ein gutes karma und werden
Spekulationen über das Wesen der Welt und das
durch eine gute Wiedergeburt belohnt, schlechte
alles durchdringende Absolute (brahman) sowie der
menschlichen Teilhabe daran (atman) in den Upa-
1 Vgl.: Rüstau, Hiltrud (2005), S. 7.
nishaden (etwa ab 700 v.Chr.), gilt den Hindus als
2 Vgl.: s.o., S.8.
die von Sehern (rishis) geschaute ewige Wahrheit
3 Vgl.: Eichner, Katja (2005), 239f.
IBAES VII • Das Heilige und die Ware
67
dagegen werden – möglicherweise erst in einem spä-
jana ab und wird mit „Stamm“ übersetzt.6 Der Begriff
teren Leben – mit Unglück bestraft.4
jati selbst stammt aus dem Sanskrit und kommt von
der Sanskritwurzel jan, was mit „geboren werden“
1.2. Das Kastensystem
übersetzt werden kann. Er bezieht sich damit auf die
„Ein Upadhyaya-Brahmane aus Benares, ein Pri-
gesellschaftliche, religiöse und soziale Hierarchie in
marschullehrer mit westlicher Bildung, versteht sich
die der Mensch hineingeboren wird. Heute werden
als Inder, wenn er ein Hockeyspiel gegen Pakistan
die jatis durch drei Merkmale charakterisiert:
im Fernsehen anschaut; als Banarsi (Bewohner von
Abgrenzung, Hierarchie und erbliche Berufsspeziali-
Benares) wenn er nach Delhi reist; als Brahmane
sierung.7
wenn seine traditionelle Abstammung gefragt ist; als
Der Begriff varna stammt aus dem klassischen
nordindischer Upadhyaya-Brahmane, wenn er auf
Sanskrit und wird hauptsächlich mit „Farbe“ über-
einen südindischen Nambudiri-Brahmanen trifft; als
setzt. Er steht für die hinduistische Ständegesell-
Upadhyaya-Brahmane mit dem Vasishtha-Gotra
schaft, die heute in vier Gesellschaftsklassen unter-
(Deszendenzgruppe), wenn er Heiratsverhandlun-
teilt ist. Einer Theorie entsprechend kann der Begriff
gen für seine Tochter führt, als Familienoberhaupt,
von der vedischen Wurzel var hergeleitet werden, die
wenn es um Fragen der Besitzaufteilung geht. Nie-
mit „zu wählen“ oder „zu wünschen“ zu übersetzen
mals ist er nur Brahmane! Niemals ist er nur Mitglied
ist. Im Rigveda bedeutet der Begriff in Verbindung
einer Kaste!“5
mit bestimmten Göttern „leuchten“ und „das eigene Licht“. Es bezeichnet dort auch die Farbe der Mor-
Das Kastensystem bildet seit alters her eines jener
gendämmerung. Es existieren heute viele Theorien
Merkmale der indischen Zivilisation, die sie für frem-
zur Bedeutung und Entstehung des Wortes und sei-
de Beobachter ebenso wie Eroberer einzigartig,
nes Inhaltes. Demnach stammen die ersten drei
unverkennbar und schwer bestimmbar machten.
Unterteilungen wahrscheinlich noch aus der Zeit der
Ursprünglich kommt der Begriff Kaste aus dem
vorarischen/indogermanischen Einwanderer. Cha-
Latein und ist mit den Portugiesen nach Indien
rakteristisch für diese indogermanische Tradition
gelangt. Das lateinische Wort lautet castus welches
war eine Dreiteilung der gesellschaftlichen Funktio-
mit „keusch“ und „das nicht vermischte“ zu über-
nen in die Aufgabenbereiche des Opferns, des Herr-
setzen ist. Somit ist der Terminus Kaste kein indi-
schens und der Viehzucht. Diese finden sich auch
scher Begriff, sondern stammt aus dem 16. Jh. n.Chr.
heute noch im varna System wieder. Priester (brah-
und von den portugisischen Kolonialherren in Südin-
manen), Krieger (kshatriya) und Händler (vaishya-
dien. Sie versuchten auf diese Weise, die von ihnen
vas) bilden zusammen die rituell privilegierte Grup-
vorgefundene hierarchische Sozialordnung Südin-
pe der Zweimalgeborenen (dvijas). Einer anderen
diens zu beschreiben. Die Briten, die im Census von
Theorie zu Folge entstammt der Begriff den drei im
1881 versuchten, Indien systematisch zu erfassen,
Hinduismus existierenden Qualitäten (gunas): Satt-
befragten die Inder nach ihrer Kastenzugehörigkeit.
va bedeutet Reinheit und Licht und wird durch die
Somit wurde jeder gezwungen, sich einer Kaste
weiße Farbe symbolisiert, rajas steht für das Feuer
zugehörig zu beschreiben, egal ob er sich selber
und wird der roten Farbe zugeordnet und tamas die
jemals bewusst einer bestimmten Gruppe zugeord-
Dunkelheit wird durch Schwarz dargestellt. Diese
net hätte. Die Briten zählten auf diese Weise 2.000
Begriffe wurden auch auf das soziale Spektrum über-
verschiedene Kasten und machten damit diesen Ter-
tragen. Sattva steht für die Brahmanen und rajas für
minus zum Bestandteil der indischen Gesellschaft.
die Kshatriyas. Die Vaishyas bekamen die gelbe
Der Terminus Kaste wurde dabei auf zwei unter-
Farbe zugeordnet und entstanden dieser Vorstellung
schiedliche, jedoch miteinander korrespondieren-
entsprechend aus einer Mischung aller drei gunas.
den indischen Systeme angewandt – jati und varna.
Tamas (die Dunkelheit) steht hier für die Shudras,
Das Wort jati stammt wahrscheinlich ursprünglich
den vierten Stand. In einem späteren Text des Rig-
aus der vedischen Zeit (ca. 1000 v.Chr.) von dem Wort
veda, dem Purushasukta, wird die Erschaffung der
4 Vgl.: s.o., S. 240.
6 Vgl.: Ruben, Walter (1), S. 30.
5 Vgl.: Michaels, Axel (1998), S. 185.
7 Vgl.: Axel, Michaels (1998), S. 183.
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Eichner • Indien: Religion und Kaste?
Welt aufgrund der Opferung eines großen Men-
verschiedenen Zeitpunkten stattfinden arischen Ein-
schen, Mahapurusha, beschrieben. Neben all den
wanderungswellen.
anderen Bestandteilen des Kosmos, der unbelebten
und der belebten Natur sollen bei diesem Opfer auch
die Gesellschaftsklassen entstanden sein: "Der Brah-
2.1.1. Die arischen Einwanderer und die Entstehungsgeschichte der indischen Gesellschaftsstrukturen
mane (Priester) war (des Purushas) Mund, der
Rajanya (Kshatriya/Krieger) seine Arme, der Vaishya
1200 -900 v.Chr.: Die Zeit der arischen Einwanderung
(Händler) seine Hüften und der Shudra (unterster
Stand) seine Füße.“8 Wie durch den Ort der Körper-
Die wichtigste Quelle für diesen Zeitraum ist der Rig-
teile bereits deutlich wird sind die vier varnas hier-
veda.10 Der eine Entwicklungsstrang verweist auf die
archisch geordnet, die Brahmanen stehen an der
vedischen Arier, die seit Mitte des 2. Jahrtausends
Spitze dieser Hierarchie ihnen folgen die Kshatrias.
in mehreren Wellen aus dem kleinasiatischen Raum
Die Vaishyas und die Shudras bilden die unterste
über Afghanistan und dem Hindukush nach Nord-
Kategorie des varna-Systems. Jedoch die aus die-
westindien einwanderten. Sie ist zuerst mündlich
sem System herausfallenden Kastenlosen werden
und seit der Kushanzeit schriftlich überliefert. Es han-
als noch niedriger angesehen.
delte sich hierbei um Stammeskulturen. Ein Teil der
Jati und varna stehen in einem Wechselverhält-
Stämme wanderte weiter Richtung Osten, wobei er
nis zueinander. Jede jati ist einer der vier varnas
auf erbitterten Widerstand der einheimischen Bevöl-
zugeordnet. Das varna-System als solches befindet
kerung traf. Die Arier waren jedoch der einheimi-
sich in einem stetigen Fluss und verändert sich durch
schen Bevölkerung bei weitem überlegen aufgrund
Prozesse sozialer Mobilität. Während jati häufig lokal
ihrer härteren Bronzewaffen, dem Reflexbogen und
oder regional begrenzt ist, können die vier varnas als
der leichten zweirädrigen Kriegswagen. Die einhei-
all-indische Kategorie bezeichnet werden.
mische Bevölkerung wird als Dasyus oder Dasas
Die Kastenhierarchie wird durch die Kategorien
der rituellen Reinheit bzw. Unreinheit bestimmt.
(Sklaven) bezeichnet. Sie werden als dunkelhäutig,
plattnasig und als Phallusverehrer beschrieben.11
Gemäß der orthodoxen Auffassung wurde jeglicher
Die rigvedischen Arier lebten im Punjab in zerfal-
Kontakt mit rituell Unreinen, den untersten Kasten,
lenden Stämmen und unter sog. Stammesfürsten
als eine rituelle Befleckung angesehen und verlang-
oder Königen (meist Führer bei den Wanderungen
te umfangreiche Reinigungszeremonien. Heute ist
und in den Kriegen). Die Lebensgrundlage der Arier
jegliche kastenmäßige Diskriminierung per Gesetz
war die Viehzucht. Als einzigste Feldfrucht wurde
verboten.9
Gerste angebaut, die als Brei und nicht als Brot verzehrt wurde. Sie waren dementsprechend teilweise
sesshaft und teilweise nomadisierend. Die Herden
2. Die varnas und jatis
waren bereits privates Eigentum von Großfamilien.
Manche Sänger erwähnen reiche Großfamilien, die
2.1. Entstehung der varnas und jatis
ihnen als Dank ganze Herden geschenkt hätten (mag-
Es gibt zwei verschiedene Strömungen die letztend-
havan = Gabenreiche).12 Es wird davon ausgegan-
lich zu dem uns heute bekannten Vierständesystem
gen, dass sich schon in dieser Zeit eine Art Gentila-
(varna) und den integrierten Kasten (jati) geführt
del herausgebildet hatte. Die Wohlhabenden, wahr-
haben könnten. Die eine Strömung entstammt der
scheinlich Krieger, drängten aufgrund ihrer großen
vorarischen indischen Dorfgemeinde und Stam-
Herden auf Wanderungen zu neuen Weiden und
meskultur, die zum Teil bis heute in bestimmten indi-
Wasserstellen, aber auch zu neuen Beutezügen. Die
schen Gebieten noch immer autark existiert. Die
vish, die Masse, jedoch neigte zur Sesshaftigkeit,
andere entwickelte sich unter den vedischen Ariern
Ackerbau und privaten Besitz. Im Rigveda wird
in der Auseinandersetzung mit den in Indien vor-
bereits der Hirte erwähnt der das gemeinsame Vieh
handenen Stammes- und Dorfkulturen sowie der zu
10 Der Rigveda bezeichnet die ältesten heiligen Schriften des
Hinduismus.
8 Vgl.: Der Rigveda, 10,90.
11 Vgl.: Sharma, R. S. (1958), S. 9.
9 Vgl.: Rüstau, Hiltrud (2005), S. 270.
12 Vgl.: Der Rigveda, 10, 19.
IBAES VII • Das Heilige und die Ware
69
auf die Weide treibt.13 Wahrscheinlich war das unbe-
Geschenke für ihre Dienste häufig selbst in den
baute Land Gemeineigentum des Dorfes und der
Besitzstand aufgestiegen. Es wurden sog. Priester-
Hirte ein verarmter Hirten-Bauer der in Abhängigkeit
dynastien konstruiert und damit die Erblichkeit ein-
der Herdenbesitzer stand. Der handwerkliche Zweig
geführt. In dieser Erblichkeit liegt wahrscheinlich
war schon in der indoiranischen Zeit hoch entwickelt.
auch der relativ junge Begriff brahmana der an ganz
Dies zeigt sich u.a. an dem Kriegswagen ratha.
späten Stellen im Rigveda anscheinend schon das
Die rigvedischen Riten wurden anscheinend im
Mitglied des Brahmanenstandes bezeichnet. Brah-
Haus eines jeden Ariers durch den Familienvater
mana kann mit Sohn des Brahman übersetzt wer-
ohne oder mit Priester vollzogen. Es wird einen Dorf-
den.18 Die Arbeitsteilung unter den Priestern geht
priester gegeben haben der bei Hochzeiten z.B das
schon auf indoiranische Urzeit zurück. Der hotr rief
rigvedische Hochzeitslied vortrug oder der seinen
mit seinen Liedern die Götter zum Opfer, der adh-
Ritus für die glückliche Heimkehr der Dorfherde voll-
varyu war für das Opferfeuer verantwortlich, der
zog. Er wird vom Dorf als ganzes unterhalten wor-
agnidh schürte das Feuer, der upavaktr trieb die
den sein und auch zu bestimmten Anlässen von Pri-
anderen Priester an, der potr reinigte den Somatrank,
Das Dorf-
der nestr führte die Frau des Opferherrn herbei und
vatpersonen Geschenke erhalten
haben.14
oberhaupt (gramani) wird im Rigveda nur an zwei
der brahman half dem hotr bei der Rezitation.19
Stellen erwähnt. Hier tritt er als Spender des Opfer-
Damit finden sich im frühen Rigveda die Anfän-
geschenkes und als Schenker von Kühen auf, was
ge der Herausbildung des Kshatriya- und Brahma-
seinen Reichtum herausstreicht. Die Dörfer waren im
nenstandes. Zugleich begann hier die Konkurrenz
großen und ganzen autark und die Warenwirtschaft
der heranwachsenden beiden Stände. Sie konkur-
war in dieser Zeit relativ schwach
entwickelt.15
rierten um die Vormachtstellung. Wenn Kriegszüge
Inwieweit die Stämme und Dörfer in dieser Zeit
erfolgreich endeten, schrieben sich diesen Erfolg die
noch eine gentile oder schon eine durch einen
rigvedischen Dichter und ihren Ahnen zu.20 In der
„König“ gelenkte administrative Einheit waren, ist
weiteren Entwicklung setzten die Brahmanen durch,
aus den wenigen Textstellen nicht herauszulesen.
dass sie nur untereinander heiraten und miteinan-
Sicher ist, dass der Begriff Kshatriya (Krieger) schon
der essen durften. In diese Zeit fällt auch die Erzäh-
in dieser Zeit belegt ist. Er wird jedoch nur als Mas-
lung des Purushashukta (s.o.). Schon hier finden wir
kulinum im Sinne von König und als Neutrum im
die Vierständegesellschaft durch die Brahmanen
Sinne von Herrschaft
verwendet.16
Einen Krieger-
religiös sanktioniert.
stand oder auch Adelsstand hat sich hier noch nicht
im herkömmlichen Sinne herausgebildet. Sicherlich
900-550 v.Chr.: Die spätvedische Zeit
gab es das Dorfoberhaupt und auch reiche Familien,
die ein Recht auf gewisse Abgaben, insbesondere
Wichtigste Quellen sind in dieser Zeit der Atharva-
von den Herden besaßen, jedoch kann noch nicht
und Yajurveda,21 die älteren Brahmanas22 sowie die
von einer festgelegten Steuer gesprochen werden.
vorbuddhistischen Upanishaden.23
Es ist die Rede von Königen, wobei es sich hier wahr-
Das Kerngebiet der Entwicklung war der Doab
scheinlich um Stammesfürsten und Kriegsführer
zwischen Yamuna und Ganga bis nach Bengalen. In
handelt. Sie kämpfen nicht nur gegen die vorarische
dieser Zeit werden die nicht vedischen Völker und
Bevölkerung, sondern müssen sich auch gegen neu
Stämme als Dasyus bezeichnet. Sie werden auch als
einfallende Arier zur Wehr setzen.
Die Sänger, die auch die Aufgaben eines Priesters
wahrnahmen und für die mündliche Tradierung verantwortlich waren, stellten sich selbst in den Liedern
an die Seite der Besitzenden.17 Sie waren dank der
18 Vgl.: Ruben, Walter (1), S. 40.
19 Vgl.: Oldenberg, H. (1923), S. 383f.
20 Vgl.: Lassen, Cgristian (1867), S. 705.
21 Der Atharva- und Yajurveda sind Bestandteil der vedischen
Literatur und beschäftigen sich mit Opferritual und Zaubersprüchen.
13 Vgl.: s.o..
22 Die Brahmanas beinhalten die Vorschriften zur Erklärung
14 Vgl.: Oldenberg, H. (1923), S. 100.
15 Vgl.: Zimmer, Heinrich (1879), S. 53f.
und Durchführen des Opferrituals.
23 Die Upanishaden bezeichnen eine Textgattung mit über-
16 Der Rigveda 10, 109,3 und 7, 37,7.
wiegend philosophischen Spekulationen über das wesen
17 „rishi rajan“, der Priester des Königs (Der Rigveda, 5, 54, 7.)
der Welt.
70
Eichner • Indien: Religion und Kaste?
unreine barbarische Grenzvölker beschrieben. Sog.
shudras.28 Die vish oder vaishyas sind einerseits klei-
vedische Könige drangen in das Doab ein. In den Tex-
ne noch mehr oder weniger gentile Gemeinschaften
ten wird beschrieben, wie ein König herumwandert.
oder ein Volk im Sinne von Untertanen oder eine
Er nimmt, wenn er auszieht, ugras (Mächtige, wahr-
Gruppe oder ein Dorf. Sie waren auch weiterhin Krie-
scheinlich Krieger), pratyanasas (Entsühner, ver-
ger (Fußvolk) ihres Königs. Sie waren auch als ein-
mutlich Brahmanen), sutas (Barden) und gramanis
zigster Stand verpflichtet eine Abgabe (bali) zu
(Dorfanfüher/militärischer Gruppenführer) mit sich
geben. Einige Vaishyas standen in einem besonde-
und wenn er ankommt, bereiten diese ihm Trank,
ren Abhängigkeits- und Vertrauensverhältnis zum
Eine andere Textstelle
König. Der Atharvaveda nennt hier den Wagenlen-
spricht vom König der mit seinem Volk auszieht.25
ker, den Wagenbauer und den Zimmermann. Diese
Beide Textstellen setzen ein territorial abgegrenztes
Handwerker brauchte der König für die wichtigen
Reich voraus. Die verschiedenen vedischen Völker-
Streitwagen seines Heers und für seine öffentlichen
schaften kämpften gegeneinander, aber auch gegen
Bauten.29
Speise und Wohnung
vor.24
die vorarische Bevölkerung. Mit der sich durchset-
Die Shudras waren zwar als Stand und damit Teil
zenden Sesshaftigkeit wurden aus den eroberten
des Staates anerkannt, jedoch besaßen sie keinerlei
Gebieten territorial begrenzte Reiche, die an die Stel-
Rechte. Sie waren, den Schriften entsprechend,
le der rigvedischen Stammesgebiete traten. Es
beliebigen Arbeiten auszusetzen und nach Belieben
tauchte ein neuer Begriff für den Stamm auf: janata.
zu töten. Sie wurden jedoch noch unterschieden von
Das rigvedische vish, das die Masse des Stammes
den Sklaven (dasa). Jedoch konnte der Shudra auch
beschrieb, wurde nun für das Volk und die Unterta-
Land besitzen und reicher sein als mancher Brah-
nen verwendet. Es wird an bestimmten Stellen vom
mane oder Kshatriya.30
dreifachen Volk gesprochen – vom brahman, kshatram und die vish, den drei arischen
Ständen.26
Der zweite Stand, der Kriegeradel, dürfte zunächst
Der
aus erblichen Besitzern großer Herden bestanden
König besaß Einnahmen aus Beute, Abgaben und
haben. Die riesigen Gebiete Nordindiens waren nur
der eigenen Produktion.
dünn mit Dschungelstämmen besiedelt. Kshatriyas
Neben der traditionellen Viehzucht, dem Sam-
drangen mit wenigen Leuten, d.h. mit ihren Großfa-
meln und Jagen entwickelte sich insbesondere die
milien, mit wenigen Brahmanen, Vaishya-Bauern, -
Landwirtschaft. Statt der Gerste war jetzt der Reis die
Hirten und -Handwerkern in neue Gebiete vor, wur-
neue Feldfrucht in der Gangesebene. Es werden eine
den allmählich sesshaft und sandten ihre Nachkom-
Vielzahl von Berufen aufgeführt wie Bogensehnen-
men, was meist nach etwa drei Generationen
macher, Mattenflechter, Juwelier, Korbflechter,
notwendig wurde, auf weitere Eroberungen aus. Die-
Branntweinbrenner,
Elefantenpfleger,
ses Vorgehen ist als langer Prozess der Verästelung
Stickerin,
Es entsteht der Eindruck einer
der Kshatriya-Dynastien, als historische Herausbil-
weitgehenden Arbeitsteilung. Auch der Handel war
dung des Kshatriyastandes zu verstehen.31 Der Ksha-
weiter angewachsen. Pferde, Salz und Wolle wurden
triya wird von den Brahmanen als den Stand
aus dem Punjab eingeführt und auch das Eisen mus-
beschrieben der die Vaishyas schützt, nicht nur
ste über den Fernhandel eingeführt werden. Jedoch
gegen fremde Stämme sondern auch vor benach-
in der im wesentlichen autarken Dorfgemeinde war
barten Kshatriyas. Diese sind einerseits Verbündete,
der Handel noch nicht entwickelt und Städte spiel-
andererseits Konkurrenten was Herde, Boden, Wei-
ten noch keine entscheidende Rolle. In dieser Zeit
den und Vaishyas und Shudras betraf. Auch Ksha-
begannen sich immer mehr die vier Stände auszu-
triyas und Brahmanen waren einerseits verbündete,
prägen. Aus den Bauern, den Handwerkern und den
wenn es um die Erhaltung ihrer Machtstellung ging,
Händlern entstanden die beiden Stände Vaishyas
andererseits Konkurrenten, die sich um die Mehr-
und Shudras. Die vish wurden nun zu vaishyas und
produkte von Bauern und Handwerkern stritten. Die
die unterworfene vorarische Bevölkerung wurde zu
Grenze zwischen diesen beiden Ständen war in die-
24 Vgl.: Brhadaranyaka-Upanishad, IV, 3,37 -4, 1.
28 Vgl.: Ruben, Walter (I), S. 69ff.
25 Vgl.: Brhadaranyaka-Upanishad, II, 1, 18.
29 Vgl.: s.o., S. 71.
26 Vgl.: Ruben, Walter (II), S. 52.
30 Vgl.: Ruben, Walter (1954), S. 84.
27 Vgl.: Apte, V. M. (1939), S. 133.
31 Vgl.: Ruben, Walter (1), S. 77.
Holzsammler
usw.27
IBAES VII • Das Heilige und die Ware
71
ser Zeit noch nicht streng gezogen. Es gab Kshatriyas
durchsetzten, war ein komplizierter Vorgang. Sie
die priesterliche Lieder dichteten; Könige, die als Phi-
wurden durch die Durchführung der Fruchtbarkeits-
losophen auftraten oder gar als Opferer.
riten unentbehrlich für die Bauern. Es entstand ein
Der Brahmane stand noch über dem Kshatriya. Er
ganzes Gebäude von Fruchtbarkeitsriten - teils
beanspruchte als seine vier Privilegien Ehrerbietung,
öffentlicher, teils privater täglicher, saisonmäßiger
Geschenke, und Freiheit von Unterdrückung und
oder jährlicher Riten. Die Kshatriyas waren nicht nur
Tötung. Die Brahmanen lebten von den Geschenken
durch die Macht des Opferns abhängig von den Brah-
für ihre Riten. Jeder Ritus musste mit Speisung von
manen, sondern auch durch deren enge Verbindung
Brahmanen und Schenken von Gold und Kühen
zu den Vaishyas.
abgeschlossen werden.32 Die Brahmanen stammten,
In den Brahmanas finden wir Stellen, die den Shu-
einerseits aus rigvedischen Priesterfamilien, ande-
dras verbieten eine arische und damit höher gestell-
rerseits auch, den (totemistischen) Namen nach zu
te Frau zu heiraten. Ebenfalls wird den Shudras das
urteilen, von nicht vedischen Dorfpriestern ab
Opfern verboten. Sie werden mit Frauen, Hunden
(Schildkrötenbrahmane33). Die beiden alten Berufe
und Krähen auf eine Stufe gestellt.37 Sie verkörpern
waren das Vollziehen vedischer Riten und das Leh-
für die Brahmanen die Unwahrheit. Wie bereits
ren des dazugehörigen magisch-mythologischen
erwähnt wird das Opferritual immer komplizierter
Wissens. Diese waren noch nicht starr festgelegt,
(z.B. Blutopfer, Rinderopfer, Pferdeopfer). Die heili-
jedoch strebten die Brahmanen schon damals eine
ge Schnur wird für die oberen drei varnas eingeführt.
Art Bildungsmonopol an.34 In dieser Entwicklung der
Sie steht für einen rituelle Wiedergeburt, die oberen
Landnahme und des Sesshaftwerdens konnten die
werden so in Abgrenzung zu den Shudras zu Zwei-
Brahmanen ihr Opfer an reichen Kshatriyahöfen
fachgeborenen.
immer weiter verfeinern. Das Opfer wurde auf diese
Weise immer komplizierter und es wurden mehr
550-325 v.Chr.: Die Entwicklung der Waren- und
Priester erforderlich, die jeweils weit mehr speziali-
Geldwirtschaft
siert sein mussten. Den Brahmanas zu urteilen, entstand eine ausgefeiltes System der Ritualistik, in wel-
Wichtige Quellen sind hier weiterhin Atharva- und
chen die Brahmanen den Göttern Geschenke, das
Yajurveda, Brahmanas, die Upanishaden, das
Opfer darbrachten und auf diese Weise von den Göt-
Mahabharata,38 das Ramayana39 u. buddhistische
tern ihre Wünsche erfüllt bekamen. Sie galten als
Texte. Das Kerngebiet der Arier beschränkt sich wei-
Mittler zwischen Menschen und Götter und schienen
terhin auf Nordindien. In dieser Zeit breitete sich
die Götter zu beherrschen, was zu einer Festigung
langsam die Verwendung von eisernen Geräten aus.
ihrer Stellung innerhalb der Stände beitrug.35 Ein
Es werden eiserne Pflugschare erwähnt.40 Es wurde
Kshatriya traute sich nicht gegen die Brahmanen vor-
im Herbst Reis, Hirse, Sesam, Bohnen, Flachs und
zugehen, da nur sie die Götter beherrschten. Es ent-
Baumwolle geerntet und im Frühjahr Weizen, Ger-
stand eine immer weiter aufgefächerte Arbeitstei-
ste und Senf.41 Reis und Gerste waren die wichtig-
lung. Neben den spezialisierten Opferern und Leh-
sten Getreide, die der Hausvater täglich opferte. Man
rern gab es Ärzte, Kenner der Grammatik und
gewann Seide aus Seidenraupen. Es begann sich die
insbesondere der Phonetik, der Rechenkunst, der
Warenwirtschaft herauszubilden. Es werden Weber,
Astronomie und der
Beschwörung.36
Schneider, Barbiere, Töpfer usw. erwähnt. Die wach-
In der Konkurrenz zu den Kshatriyas nannten sich
sende Höhe der Produktion führte zur Entwicklung
die Brahmanen Götter unter den Menschen. Die
von Handel und zur Entstehung von Städten. Die
Kshatriyas waren ihnen jedoch an materieller und
politischer Macht überlegen. Wie die Brahmanen
37 Vgl.: Ruben, Walter (1965), S. 14-19.
ohne wesentliche materielle Macht ihre Ansprüche
38 Mahabharata ist ein großer indischer Epos, der die Auseinandersetzung zweier Fürstenfamilien, den Kauravas und
32 Vgl.: Weber, A. (1852), S. 58.
33 Vgl.: Sharma, R. S. (1959), S. 120.
34 Vgl.: Ruben, Walter (I), S. 81.
den Pandavas, erzählt.
39 Ramayana ist der Epos über das Leben Ramas und dem Raub
und der Wiedergewinnung seiner Frau Sita.
35 Vgl.: Oldenberg, H. (1923), S. 383.
40 Vgl.: Subrahmanyam, B. R. (1964), S. 356.
36 Vgl.: Ruben, Walter (I), S. 81.
41 Vgl.: Agrarwala, V. S. (1953), S. 198.
72
Eichner • Indien: Religion und Kaste?
ersten drei Stände führten Handel; auch Bauern und
den immer wieder Stämme in die Ständegesellschaft
Handwerker soweit sie ihre Ware tauschten. Den
eingeordnet. Es entstanden Mischformen innerhalb
Brahmanen war Handel mit bestimmten Produkten
der Ständegesellschaft. Z.B. konnte der Priester
verboten, die als unrein betitelt wurden. Geschenke
eines Stammes in den Brahmanenstand aufgenom-
Teilweise
men werden, galt aber innerhalb dieses Standes als
wurde Handel über Tausch betrieben, teilweise schon
in der Hierarchie der Brahmanen am untersten Ende
um Bezahlung mit Geld. Es entstanden ausgedehnte
stehend. Er konnte u.a. als Nachkomme eines Brah-
und weit reichende Handelsbeziehungen zu anderen
manen mit einer Shudrafrau bezeichnet werden. Er
Staaten. Reisen und damit der Fernhandel waren
war damit unreiner als ein Sohn von einem Brah-
gefährlich und daher wurden die Riten der Brahma-
manen und einer Brahmanenfrau. Einige Stämme
nen benötigt, die auch hier ein Gebäude von Ritua-
wurden unter den Stand der Shudras eingeordnet.
len aufbauten. Riten gegen Gefahren jeglicher Art
Es entstanden extra Viertel für diese neue Schicht,
und für eine erfolgreiche Reise. Die Städte ent-
die sich im laufe der Zeit zu der Schicht der Unberühr-
wickelten sich zu Handelszentren und es entwickelte
baren entwickelten.44
aller Art durften sie jedoch
annehmen.42
sich eine Luxusproduktion (feine Stoffe und Gewän-
Die Vormachtstellung der Kshatriya und der Brah-
der, Goldschmuck, feine Töpferwaren usw.). Produk-
manen wurde weiterhin schriftlich sanktioniert, aber
tion und Handel legten die Grundlagen zu der Her-
auch hier verschoben und vermischten sich die Stän-
ausbildung der ersten Staatengebilde (Magadha).
de. Kaufleute des Vaishyastandes kamen zu Reich-
Shudras und Vaishyas arbeiteten in den Dörfern
tum, besaßen Reihen von Bediensteten und sie
nebeneinander als Handwerker und Bauern. Hier
waren nicht mehr von reichen Kshatriyas zu unter-
dürfte es eine starke Vermischung der beiden Stän-
scheiden. Auch Shudras konnten, wie oben schon
de gegeben haben, geprägt von Auf- und Abstiegen.
erwähnt, zu Reichtum gelangen und waren weder
Ausschlaggebend wird der materielle Reichtum
von Vaishyas noch von Kshatriyas zu unterscheiden.
gewesen sein. Damit verloren die Shudras ihr Stig-
Demgegenüber gab es Brahmanen und Kshatriyas
ma der vorarischen Bevölkerungsgruppe. Die brah-
die verarmten und damit auf der Stufe von Vaishyas
manischen Rechtsbücher dieser Periode machten
und Shudras standen. Der Rückgang von Viehher-
jedoch weiterhin eine starke Unterscheidung zwi-
den aufgrund der Verschiebung hin zu Bauer, Hand-
schen diesen beiden Ständen. Vaishyas galten als
werk und Handel wird dieses Phänomen noch ver-
Bauern, Hirten und Händler. Die Shudras galten als
stärkt haben. Die Brahmanen formulieren jetzt domi-
gehorsame Dienende der drei oberen Klassen. Ihnen
nant ihren Anspruch auf das Bildungsmonopol als
wurde nur Zugang zu den Handwerken und den Hilfs-
Priester und Lehrer der anderen Arier. Sie bestanden
arbeiten gewährt. Die Priesterschaft ging noch
auf das Privileg für ihre Arbeit Geschenke zu erhal-
immer von einer Trennung zwischen den arischen
ten. Sie bevorzugten das Arbeitsfeld der Dörfer, da
ersten drei Ständen aus und dem aus vorarischer
hier noch ungebrochen an ihre magischen Kräften
Bevölkerung bestehenden vierten Stand. Sie igno-
geglaubt wurde. Einige Schriften verbieten den
rierten die veränderte Situation. Nach buddhisti-
Brahmanen das Arbeiten in den Städten, da diese
schen Schriften konnten reiche Shudras es sich lei-
von „Unreinen“ nur so wimmelten.45 Ein Haupt-
sten von Brahmanen Riten vollziehen zu lassen, was
grund dieser Einstellung wird das Entstehen von
in der gängigen Literatur den Brahmanen nicht
Gegenbewegungen zu den Brahmanen und dem
erlaubt wurde und den Shudras verboten war.43 Auf-
sog. Brahmanismus, der durch das Ritualwesen
grund der starken Arbeitsteilung von Bauern, Hirten,
gekennzeichnet war, gewesen sein. Diese bevorzug-
Handwerkern und Händlern bildeten sich innerhalb
ten das Leben in den Städten, da dort die Bewohner
dieser Berufsgruppen Gemeinsamkeiten in Sitte und
aufgeschlossener auf neue religiöse Bewegungen
Anschauungen heraus. Es entstanden langsam Gil-
reagierten. Es entstand in dieser Zeit eine starke
den und Berufskasten. Durch das Roden der Wälder
Gegenbewegung der Kshatriyas gegen die bean-
und das Vordringen der Arier in neue Gebiete wur-
spruchte Vormachtstellung der Brahmanen. Sie ver-
42 Vgl.: Bandyopadhyaya, N. (1945), S. 280.
44 Vgl.: Sharma, R. N. (1958), S. 119.
43 Vgl.: Ruben, Walter (I), S. 109.
45 Vgl.: Bandyopadhyaya, N. (1939), S. 305.
IBAES VII • Das Heilige und die Ware
73
langten ebenfalls Zugang zu Wissen, Lehre und
speziellen Auflagen für höhere varnas kochen. Das
Ritus. Diese Bewegung schlägt sich vor allen in den
Essen von einem unreinen Shudra darf nicht ange-
Upanishaden nieder. Hier finden sich erste Anklän-
nommen werden. Shudras werden unter strengen
ge einer Revolte. Das teure und aufwendige Opfer
Strafen vom Hören der heiligen Texte abgehalten.
ist nicht mehr der wahre Weg zum Wissen. Hier fin-
Sie können wie Frösche und Pfaue getötet werden.
det eine Glorifizierung der Kshatriyas statt. Im
Es werden Rituale für die einzelnen Lebensab-
Gegenzug bauen die Brahmanen das Konzept der
schnitte (z. B. Haarschneidezeremonie) der Zwei-
Wiedergeburt, der Karmatheorie und der Seelen-
fachgeborenen eingeführt.
wanderung aus, um auf diese Weise die Ungleich-
In dieser Zeit bildeten sich in dem sehr kompli-
heit im Kastenwesen zu rechtfertigen. Schlechtes
ziert gewordenen gesellschaftlichen Leben Indiens
karma bewirkt eine schlechte Geburt und damit die
die Widersprüche heraus, die im Grunde bis heute
Wiedergeburt in einen unteren Stand. Somit ist ein
bestehen. Einerseits wird die Entwicklung der Gesell-
Shudra in seine Stellung durch Eigenverschulden
schaft durch Produktion und Produktionsverhältnis-
gelangt.
se vorangetrieben, andererseits wird sie durch die
Auch liegt die Entstehung des Buddhismus und
problematischen Ständeverhältnisse, die aufgrund
Jainismus in dieser Zeit; beides Gegenbewegung
der wichtigen Stellung der Brahmanen religiös sank-
gegen die stark hierarchisch organisierte Ständege-
tioniert wurden, gehemmt.
sellschaft. Auch hier spielen die Kshatriyas eine tragende Rolle, wobei die Vaishyas sich ebenfalls stark
325-236 v.Chr.: Die gesellschaftliche Entwicklung im
zu Buddhismus und Jainismus hingezogen fühlen,
Mauriyareich
da Ständevorstellungen innerhalb der Religion keine
Bedeutung hatten. Jeder besitzt die Möglichkeit, die
In diese Zeit fällt die Steigerung von Produktion und
Erlösung (moksha) zu erreichen und darf am reli-
Handel in Nordindien. Dies bedingt die Entwicklung
giösen Wissen teilhaben. In der Dorfgemeinde wird
eines zentralistischen Staates, der stark in das Wirt-
es zu dieser Zeit schon in jeder Gemeinde eine Brah-
schaftsleben eingreift. In dieser Zeit entwickelt sich
manenfamilie als Priester fungiert haben. Jedoch
das Großreich der Maurya. Als Quellen dienen hier
auch der Stand der Brahmanen ist nicht als einheit-
Kautilya,46 der Bericht des Griechen Megasthenes
liche Klasse zu werten. Die Brahmanen, die keine
und die Inschriften Ashokas.
standesgemäße Arbeit fanden, wurden gezwungen,
Eine wichtige Rolle spielte noch immer die Land-
andere Berufe zu wählen. Sie wurden Handwerker,
nahme. Rodungen zur Gewinnung und Besiedlung
Bauern oder Krieger. Diese Entwicklungen können
von Land waren weiterhin üblich. Die Bauern wur-
wir den buddhistischen Texten dieser Zeit entneh-
den sehr wahrscheinlich zwangsumgesiedelt. Nach
men, die ein realistisches Bild der Gesellschaft
Kautilya sollten diese Bauern dem Stand der Shu-
beschrieben, im Vergleich zu den stark idealisierten
dras zugeordnet werden.47 Es entstand eine weitere
Beschreibungen der Brahmanen. Die Brahmanen
Organisation des Handwerks, die durch den Staat
ordneten in dieser Zeit den Handel den Vaishyas zu
geprägt wurde. Es gab nun einen königlichen Auf-
und verbaten ihn den Shudras. Orthodoxe Brahma-
seher für Waldprodukte, für das Waffenarsenal, für
nen hielten an der Ritualistik fest, waren jedoch in
die Wagen, für Maß und Gewicht, für den Alkohol,
unzählige Schulen gespalten. Die brahmanischen
für das Schlachten, für das Bergwerk, für die Eisen-
Rechtslehrer versuchten mit ihrer orthodoxen Ein-
metalle, für das Salz, für das Gold usw. Diese Auf-
stellung auch ihre Vormachtstellung im Staatswesen
seher hatten nicht nur die Produktion unter sich, son-
abzusichern. Nur die drei oberen Stände durften
dern sollten mit den Produkten Handel treiben, wie
Beamtenstellen im Staatsapparat besetzen und viele
es auch die privaten Bauern und Handwerker taten.48
Stellungen waren den Brahmanen vorbehalten. In
Zur Ausbreitung des Handels legte der Staat Straßen
den Dharmasutren gewinnt das Gesetz der rituellen
Reinheit immer mehr an Bedeutung. Die Vorschriften für die varnas werden von den Brahmanen
46 Kautilya ist ein Staatslehrer der ca. im 3. Jh. v.Chr. gelebt
hat.
immer stärker betont. Dienen wird zur religiösen Ver-
47 Vgl.: Kautilya, 1,3,8.
pflichtung der Shudras. Sie dürfen nur unter ganz
48 Vgl.: Kautilya 2, 1ff.
74
Eichner • Indien: Religion und Kaste?
an, die ihm nebenbei noch Nutzungsgebühren ein-
lern, Webern), so dass diese die buddhistischen Mön-
brachten. Noch war trotz allem die Wirtschaft über-
che regelmäßig mit Kleider, Medizin und Essen ver-
wiegend agrarisch. Die Spannungen zwischen Arm
sorgten, da die Mönche kein Geld annehmen durften.
und Reich sowie Stadt und Land müssen sehr aus-
Die einzelne Gilde wurde somit zu einer Art Bank oder
geprägt gewesen sein.
Versicherung. Die Form der Gilde entstammt vermutlich den gentilen Dorfgemeinden. Die Mitglieder
236 v.Chr. - 300 n.Chr.: Indien und der Welthandel
halfen sich gegenseitig, garantierten füreinander,
lenkten die Gilden durch einen Rat und hatten ein
Aufgrund der Eroberung Südindiens durch die
aus ihrer Mitte stammendes Oberhaupt.52
Maurya wurde Gesamtindien immer mehr zur wirt-
Die Städte, auch wenn Indien immer noch über-
schaftlichen Einheit unterschiedlicher Gebiete und
wiegend eine Agrargesellschaft blieb, waren Orte
wird gleichzeitig Zentrum eines weitreichenden Han-
der handwerklichen Produktion und des Nah- und
dels. Einher geht jedoch gleichzeitig eine Periode der
Fernhandels. Die Reichen in der Nähe des Königs
staatlichen Zersplitterung. Wichtige Quellen sind
entfalteten ein raffiniertes Luxusleben. Dem Kama-
Manus Rechtsbuch, Patanjalis Grammatik und das
sutra entsprechend konnten alle vier Stände am
Kamasutra.
Reichtum der Stadt teilhaben. Hier hatten materiel-
Die landwirtschaftliche Rodung ging weiter. Das
ler Reichtum und der damit einhergehende Status
gerodete Land sollte nach Manu dem Roder gehören,
mehr Bedeutung als die Zugehörigkeit zu einem
gleichzeitig empfahl er die Schenkung von Land an
Stand. Wohingegen in den dörflichen Gegenden die
Brahmanen und forderte diese auf, solche Geschen-
Bedeutung der vier Stände eher zunahm. Die Shu-
ke
anzunehmen.49
Diese Schenkungen ließen Brah-
dras hatten mancher Orts den dreifachen Zins zu zah-
manendörfer entstehen, deren Äcker zum Teil von
len und wurden für kleinste Vergehen körperlich
Shudras bearbeitet wurden. Jedoch schwindet in
bestraft. Auch wird versucht sich stark gegen sog.
dieser Zeit die staatlichen Neuansiedlungen und es
nicht-Arier abzugrenzen. Sie gelten als Feinde. Es
werden auch keine staatlichen Bauernbetriebe
handelt sich hier wahrscheinlich um Völkerschaften
genannt, jedoch scheint die staatliche Produktion
im Süden Indiens oder im Norden. Die Brahmanen,
von Textilien und Vieh weiter zulaufen.
wie bei Manu deutlich wird, versuchen weiterhin ihre
Das Handwerk im Dorf hat sich nicht nennenswert
Macht auszubauen. In den Rechtsbüchern erhalten
weiterentwickelt. Jedoch entwickelte sich in der Stadt
die unteren Schichten ein sehr viel höheres Strafmaß
das Handwerk für Luxuswaren. Es gibt Listen, die bis
für dasselbe Vergehen als ein Brahmane. Bei der
zu 60 verschiedene spezialisierte Handwerke nennen.
Bestrafung der Brahmanen geht es meist um die
Wobei es teilweise regionale Schwerpunkte gab. Im
Wiederherstellung der Reinheit durch Buße und
Himalaya wurde das Fell bearbeitet, in Malwa Elfen-
Bezahlung, die als Rückgabe der Unreinheit gewer-
bein, bestimmte Gegenden waren für bestimmte
tet wird.53
Gewebearbeiten bekannt
usw.50
Es wird von einer
Blütezeit des städtischen Handwerks gesprochen.
300-500 n.Chr.: Das Guptareich
Dies führt interessanterweise zu Inschriften, die nicht
von Königen, sondern von Handwerkern stammen.
Diese zwei Jahrhunderte stehen unter der Blüte und
Diese besagen, dass Handwerker, Händler, Ärzte und
dem Zerfall des Guptareiches. Rodungen und Sied-
Beamte buddhistischen Mönchen Spenden gegeben
lungen sind auch in dieser Zeit weiter betrieben wor-
Dies verweist auch auf den beginnenden
den. Der Zerfall der staatlichen Wirtschaft geht dabei
Zusammenschluss von Handwerkern zu Gilden, da
weiter. Es scheinen nun Märkte und Handel auch in
sie sich teure, gar königliche Schenkungen leisten
den Dörfern stattzufinden. Der Sitz der großen Kauf-
konnten. Auch sollen reiche Laienanhänger Gelder
leute befand sich jedoch in den Städten. An den Sei-
bei solchen Gilden deponiert haben (Töpfern, Ölmül-
ten der großen Tempelstraßen standen große zwei-
haben.51
stöckige Kaufmannshäuser. Die Listen der Waren mit
49 Vgl.: Sharma, R. N. (1980), IX, 44.
50 Vgl.: Sharma, R. S. (1963), S. 33f.
52 Vgl.: Sharma, R. N. (1980),VIII.
51 Vgl.: Ruben, Walter, (I), S. 176.
53 Vgl.: Sharma, R. N. (1980), VIII, 281-83.
IBAES VII • Das Heilige und die Ware
75
denen Brahmanen verboten war zu handeln zeugen
teren indischen Dörfern nachgewiesen werden. Es
von einer Vielfalt des Handels. Es gab auch Händler,
gab mit großer Wahrscheinlichkeit Arbeitsteilung
die jeweils nur mit speziellen Warengruppen Handel
zwischen Bauern und Handwerkern. Eine Erblichkeit
betrieben.54 Das Handwerk ist nun belegt erblich. Das
von Berufen und eine Rangordnung derselben. Diese
Gildenwesen hat sich in der Guptazeit weiter ent-
Dorfgemeinden waren in größere gentile Einheiten
wickelt. Die Gilde existierte nicht als endogene Grup-
eingegliedert, so dass die Eheschließung innerhalb
pe, galt nicht als gentile Einheit und auch nicht als
eines Stammes außerhalb eines Klans und meist
Essensgemeinschaft. Ihr Zusammenschluss war ver-
auch der Dorfgemeinde stattfanden.57 Aufgrund der
mutlich freiwillig. Andererseits gab es auch Gruppen
Herausbildung der Ständegesellschaft im Zuge der
von Bauern, Handwerkern und Bodenbearbeitern,
arischen Einwanderer wurden die alten gentilen Bin-
die eine Arbeit gemeinsam unternahmen und dafür
dungen zerrissen. Der Handwerker einer Dorfge-
zeitweilige Gemeinschaften bildeten. Weiterhin wur-
meinde brauchte einen Ersatz für den Stamm, einen
den immer wieder neu hinzukommende Stämme in
überschaubaren Kreis, in dem geheiratet werden
die Ständegesellschaft eingegliedert. Angehörige
durfte. Er brauchte gleichzeitig Unterstützung gegen
solcher Stämme galten als sehr unrein und mussten
die Bauern und dem Staat zum Schutz seiner Inter-
ihre Gegenwart durch das Schlagen eines Holzes
essen. Im zweiten Jh. v.Chr. verwendet Kautilya den
bemerkbar machen. Schon ihr bloßer Anblick galt für
Begriff jati für die Erblichkeit des Berufes, insbeson-
die Brahmanen als verunreinigend. Die Shudras
dere der Handwerker. Die Gilde blühte zwar auf,
waren von Anfang an kein einheitlicher Stand. Ihnen
jedoch konnte sie nicht die gentile Gemeinschaft
wurde in der Guptazeit offiziell der Händlerberuf
ersetzen vor allem nicht für die dörflichen Verhält-
erlaubt. Die Shudras waren den Vaishyas zum Teil
nisse. So entstand die jati („dafür geboren“), spe-
so angeglichen, dass die Unterscheidung der beiden
zialisierter und territorial begrenzter als der Stand
Stände kaum möglich war. Ursprünglich entspra-
und im Unterschied zur Gilde mehr oder weniger fik-
chen die vier Stände ihren Berufen, jedoch im Zuge
tiv gentil, um die Erblichkeit des Berufs und die
der Berufsspaltung und Arbeitsteilung kann davon
Begrenzung des Heiratsmarktes zu sichern. Dazu
nicht mehr gesprochen werden. Die herrschenden
kam die Gemeinsamkeit der Reinheit, die dazu führ-
Kreise hielten unterdessen an den vier Ständen fest,
te dass nur Kastenmitglieder zusammen essen oder
die ihnen ihre Privilegien sanktionierten. In gewis-
voneinander Speise annehmen dürfen. Dies alles
sen politischen Kreisen und bei den reformerischen
verweist auf alte Stammessitten, die in der Kaste fort-
Buddhisten spielten sie keine Rolle. In der Zeit von
geführt wurden. Man kann annehmen, dass all diese
300 – 500 n.Chr. wurde die Ordnung der vier Stände
Elemente in der Zeit des Aufeinandertreffens von ari-
(varna) durch die Berufskasten (jati) ergänzt.55 Hier
schen Einwanderern und vorarischer Bevölkerung
kommt nun die vorarische Dorfgemeinde ins Spiel.
lebendig geblieben waren und eine Eingliederung in
die aus diesem häufig gewaltsamen Zusammentref-
2.1.2. Die indischen Stämme und Dorfgemeinden
und ihre Bedeutung für die Herausbildung der jatis
fen entstandenen neuartigen Gemeinschaften nötig
Die alt- und mittelsteinzeitlichen Jäger-Fischer-
aufgenommenen Stämme haben zur Kastenbildung
Sammler Indiens lebten in gentilen Verhältnissen,
beigetragen, wobei hier wahrscheinlich die Berufs-
die noch keine Dorfgemeinden kannten. Die indische
gruppe keine herausragende Rolle spielte. Der Über-
Landwirtschaft begann ca. im 5. und 4. Jt. v.Chr. in
gang der Stämme in die jati bedeutete für sie die
den indischen Hochtälern. Zu diesem Zeitpunkt gab
Anerkennung der brahmanischen Ständeordnung
es mit großer Wahrscheinlichkeit schon bewässerte
und ihres Shudrastatus, die Übernahme des Glau-
war. Auch die immer wieder in das Ständesystem
Seit etwa 2000 v.Chr. kann das organische
bens an die Brahmanen und ihre Götter, die Über-
Zusammenleben von Landwirtschaft, Viehzucht und
nahme des Verbots der Witwenheirat, die Anerken-
Handwerk den charakteristischen Merkmal der spä-
nung der Heiligkeit der Kuh und die Leichenver-
Felder.56
brennung.
54 Vgl.: Maity, S. K. (1957), S. 120.
55 Vgl.: Ruben, Walter (1), S, 215.
56 Vgl.: Mode, H. (1959), S. 20.
76
Eichner • Indien: Religion und Kaste?
57 Vgl.: Ruben, Walter (1), S. 10.
Die Brahmanen unterstützten die Organisation der
Literatur:
einzelnen Kasten, in dem sie sie in ihr Ständewesen
einordneten. Jedoch die Träger dieser Einordnun-
Agrawala, V. S., India as known to Panini, Lucknow
gen waren die Nichtarier, die Massen der Bauern und
1953.
Handwerker in den Dorfgemeinden, die die jati nach
dem Muster der Dorfgemeinde durch einen Vorsit-
Apte, V. M., Social and religious Life in the Grhya-
zenden und eine Rat lenken ließen und an jene alten
stras, Ahmedabad 1939.
Sitten der Endogamie festhielten. Sie haben dieses
System so durchgesetzt, dass auch die Städte der
Bandyopadhyaya, N., Economic Life and Progress in
Brahmanen und Kshatriyas in zahllose territoriale,
Ancient India, Vol. I, Calcutta 1945.
scheinbar gentile Kasten unterteilt wurden.
Brhadaranyaka-Upanishad, in: The Twelve Principal
Upanishads, by Dr. E. Röer, Vol. II, Delhi 1978.
3. Schluss
Der Rigveda, Hrsg. von Th. Aufrecht, Bonn 1877.
Es wurde versucht aufzuzeigen, dass das indische
varna- und jatisytem durch das Zusammenspiel von
Eichner, Katja, Strafen in: Ethik der Weltreligionen.
Ökonomie und Religion überhaupt erst entstand und
Ein Handbuch, Hrsg. Von Michael Klöcker u. Udo
nur im Wechselspiel zwischen diesen beiden Polen
Tworuschka, Darmstadt 2005, S. 239ff.
zu seiner heutigen Form finden konnte. Eine wichtige Rolle spielten hierbei die Brahmanen, die ver-
Kamasutram, ed. D. L. Goswami, Benares 1937.
suchten ihre Vormachtstellung religiös zu untermauern. Das Bedürfnis der Konstituierung dieses
Kautilya Arthashastra, Ed. by R. P. Kangle, Bombay
Systems entwickelte sich aus bestehenden unsiche-
1960.
ren ökonomischen Verhältnissen. Die Arier mussten
sich einerseits gegen die vorarische Bevölkerung
Lassen, Christian, Indischer Alterstumkunde 1, Leip-
abgrenzen und andererseits gegen neu einfallende
zig 1867.
arischer Stämme verteidigen. Sie standen untereinander in Konkurrenz, was die Besitzverhältnisse
Maity, S. K., The economic Lofe of Nothern India in
betraf. Die vorarische Bevölkerung verlor ihre eige-
Gupta Period, Calcutta 1957.
ne gentile Struktur und musste sich den einfallenden
Ariern anpassen und unterordnen und suchten einen
Michaels, Axel, Der Hinduismus. Geschichte und
Weg sich innerhalb dieser fremden Wirklichkeit zu
Gegenwart, München 1998.
behaupten. So entstand die Form des Kastensystems aus einer Vermischung der sogenannten ari-
Mode, H., Das frühe Indien, Stuttgart 1959.
schen Ständeordnung und der vorarischen Gentilgemeinschaft. Auch heute noch reagiert das System
Oldenberg, H., Die Religion des Veda, Berlin 1923.
auf ökonomische Impulse. Kasten steigen aufgrund
ihrer veränderten ökonomischen Situation innerhalb
Ruben, Walter, Die Gesellschaftliche Entwicklung im
des Varnasystems auf und ab und versuchen dies
alten Indien. I. Die Entwicklung der Produktionsver-
dann religiös zu sanktionieren.
hältnisse, Berlin 1967 (I).
Die Frage wer nun zuerst da war, die Ökonomie
oder die Religion kann nicht beantwortet werden.
Ruben, Walter, Die Gesellschaftliche Entwicklung im
Aber wie diese Untersuchung gezeigt hat, hätte sich
alten Indien. II. Die Entwicklung der Religion, Berlin
das Eine ohne das Andere nicht auf diese Weise ent-
1971 (III).
wickeln können und dies führt mich zu der ketzerischen Aussage: Zu Beginn gab es weder Religion noch
Ruben, Walter, Die Gesellschaftliche Entwicklung im
Ökonomie. Was die weitergehende Schlussfolgerung
alten Indien. II. Die Entwicklung von Staat und Recht,
zulässt – zu Beginn gab es weder Ei noch Huhn.
Berlin 1968 (II).
IBAES VII • Das Heilige und die Ware
77
Ruben, Walter, Über die frühsten Stufen der Ent-
Sharma, R. S., Shudras in ancient India, Delhi u.a.
wicklung der altindischen Sudras, Berlin 1965.
1958.
Rüstau, Hiltrud, Hinduismus, in: Ethik der Weltreli-
Sharma, R. S., Early Indian Feudalism, in: Problems
gionen. Ein Handbuch, Hrsg. Von Michael Klöcker u.
of Historical Writing in India, Proceedings of the
Udo Tworuschka, Darmstadt 2005, S. 7 – 10.
seminar held at the international centre, New Delhi
21st - 25th January 1963, S. 70ff.
Rüstau, Hiltrud, Umgang mit Minderheiten, in: Ethik
der Weltreligionen. Ein Handbuch, Hrsg. Von Mich-
Subrahmanyam, B. R, Appearence and Spread of
ael Klöcker u. Udo Tworuschka, Darmstadt 2005, S.
Iron in India – an Appraisal of Archaelogical Data, LOI
269ff.
XIII, 1964.
Sharma, R. N., Ancient India According to Manu,
Zimmer, Heinrich, Altindisches Leben, Berlin 1879.
Delhi 1980.
78
Eichner • Indien: Religion und Kaste?
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