SFU Ausbildungsseminar: Psychotherapie mit Menschen vor und nach Organtransplantation Brigitta Bunzel, Eva Pritz Geschichte der Organtransplantation (solid organ transplantation) 1902 1905 1930 1933 1954 1960 1963 1964 österr. Chirurg H. Ullmann: erste NierenTx am Hund Chicago: HerzTx von / auf Hund Entdeckung der Blutgruppen (Nobelpreis K. Landsteiner) erste NierenTx (Leichenspende) in Kiew (ÜZ 4 Tage) 1. erfolgreiche Iso-NierenTx in Boston (eineiige Zwillinge; Funkt. 20 Jahre) Shumway in Stanford: Vorarbeiten HerzTx, Beschreibung der OpMethode Starzl in Pittsburgh: erste erfolgreiche LeberTx Xenotransplantation: Starzl: (erfolglose) Tx von Paviannieren auf Menschen Geschichte der Organtransplantation (solid organ transplantation) 1967 1968 1970 1984 1989 1998 2002 2005 Barnard in Südafrika: 1. HerzTx (Louis Washkansky, ÜZ 18 Tage, Pneumonie; Philip Blaiberg ÜZ 1 !/2 Jahre) Hirntoddefinition (irreversibles Koma) Entdeckung der Cyclosporine (1. klin. Einsatz 1978, Therapie ab 1982) XenoTx: „Baby Fae“ (ÜZ 14 Tage) 1. MultiorganTx (Margreiter, Innsbruck) 1. Handtransplantation in Lyon (2000 in Innsbruck) 1. Tx einer Gebärmutter in Saudiarabien 1. Gesichtstransplantation Die gesetzliche Regelung Krankenanstaltengesetz 1982, § 62 a-c 1. Die Entnahme muss in der Absicht erfolgen, das entnommene Organ zu Heilzwecken zu transplantieren. 2. Jener Arzt, der den Tod des Spenders eindeutig feststellt, darf weder die Organentnahme noch die Tx durchführen, auch sonst nicht betroffen oder beteiligt sein. 3. Es gilt das Widerspruchsmodell: jeder ist Spender, wenn nicht Widerspruch bei ÖBIG (Widerspruchsregister). Gegenteil (BRD): erweiterte Zustimmungslösung: Zustimmung durch Organspendeausweis bzw. Angehörige. Die gesetzliche Regelung Krankenanstaltengesetz 1982 § 62 a-c 4. Es gilt die volle Anonymität hinsichtlich Spender- und Empfängerseite 5. Organe und Organteile Verstorbener dürfen nicht Gegenstand von Rechtsgeschäften sein, die auf Gewinn gerichtet sind (Verbot jeglicher Form des Organhandels) Emotional Adjustment to Cardiac Transplantation (Kuhn et al (1988) • Transplant proposal “You´ve got to be kidding” • Evaluation “But he is such a special guy” • Waiting period “Dancing with death“ • Perioperative period “Flying high” • Inhospital Convalescence “Exercise stinks” • Discharge: “I left my heart at .... hospital” • Post-Discharge Adaptation: “On the road again” 1. Warten auf ein Spenderherz Wartezeit: Psychische Bewältigung v.a. von 5 Problemkreisen: • dem Verlust des Herzens “made by God” • dem Aufnehmenmüssen eines Spenderherzens in den Verband der Organe ( “incorporation” ) • Akzeptieren des Unwiderruflichen • Hilflosigkeit - Ende der Wartezeit nicht abzusehen • Konfrontation mit der symbolischen und mythologischen Bedeutung des Herzens Psychische Belastungen • Ambivalenz Angst vor falscher Entscheidung • Hilflosigkeit Ungeduld, Frustration, Spannung, Angst, Depression • Der Tod des Spenders Schuld und Scham Depressivität Verlauf der Depressivität während der Wartezeit auf die Herztransplantation Depressivität Normwert Beginn der Wartezeit nach 4 Monaten nach 7 Monaten 5,46 9,99 13,63 11,85 (Zipfel et al.1999) Angst Es gibt nur wenige Studien zur Angst / Ängstlichkeit in der Wartezeit vor Herztransplantation. Ergebnisse: „tendency...“ „mild to moderate...“ (Triffaux et al. 2001, Deshields et al. 1996) Tatsache: Patienten berichten / zeigen oft wenig Angst Warum ist das so? Angst Abwehrmechanismen als (unbewusste!) Versuche zur Verringerung von Angst und anderen unlustvollen Affekten (Schmerz, Kränkung, Verminderung des Selbstwerts....) Verleugnung: Patienten können nicht glauben, dass Herztransplantation nötig ist Verdrängung: Angst vor der Transplantation wird nicht zugelassen Kognitive Beeinträchtigungen Bei einem hohen Prozentsatz der Herzinsuffizienz Patienten ist eine kognitive Dysfunktion nachweisbar. Ältere Patienten mit kognitiver Dysfunktion: - Mortalitätsrisiko um das 5fache erhöht - Wahrscheinlichkeit, in Dingen des täglichen Lebens Hilfe zu brauchen, steigt um das 6fache an (Kosten!). (Almeida et al. 2001, Zucchala et al. 2001, Cline et al. 1999) Kognitive Beeinträchtigungen Studie: verglichen mit Altersnormgruppe, zeigen 9% der Herzinsuffizienz-Patienten keine kognitiven Beeinträchtigungen 26% Beeinträ chtigungen einer kogn. Funktion 30% Beeinträ chtigungen von 4 oder mehr kogn. Funktionen Am meisten beeinträchtigt: verbales Kurzzeitgedächtnis! (Callegari et al. 2002) Wartezeit: Die vier wichtigsten Fragen • Werde ich die Transplantation erleben? “preoperative mortality” • Werde ich die Transplantation überleben? “hospital mortality” • Wie lange werde ich leben? “late mortality” • Welches Leben werde ich führen können? “quality of life” Wartezeit: was ist jetzt nicht so wichtig? • Die Persönlichkeit des Spenders • Die Nebenwirkungen der medikamentösen Therapie 2. Die stationäre Zeit Psychische Belastungen • Durchgangssyndrom • Euphorie • Angst (Abstossungsreaktion / Biopsie) • Spender-Empfänger-Problematik • Ambivalenz bei Entlassung Herzoperation Durchgangssyndrom Wichtig zu wissen: • Delir - vom lateinischen „delirare“ = aus der Spur geraten • Gehört zu den akuten organischen hirndiffusen Psychosyndromen (akute exogene Psychosen) • Vorübergehende, reversible Funktionsstörung des Gehirns • Ist die häufigste Komplikation nach Herzoperation: Auftrittswahrscheinlichkeit mindestens 40%! • Auftreten meist 2.-7. postop.Tag • Dauer durchschnittlich 3 - 4 Tage Durchgangssyndrom Ursachen ??? • Mikroemboli (Herz-Lungen-Maschine)? • Flüssigkeitsverluste und Entzündungen (Hirnzellen geschädigt)? • Akute biochemische Veränderungen? • Antwort des Organismus auf Stress (Reizdeprivation vs. -überflutung)? • Medikamente und Narkosemittel? wahrscheinlich multifaktoriell! Durchgangssyndrom Symptomatik: betroffen im Sinne einer Beeinträchtigung ist • das Bewusstsein (als Leitsymptom): von Redukt. bis Koma • die Kognition (Noopsyche = Auffassung, Neugedächtnis, Konzentration): Störung des formalen Denkens, Wahnideen, Wahrnehmungsstörungen (Illusionen, Halluzinationen Desorientiertheit zeitl., örtl. zur eig. Person). Keine Amnesie! • die Affektivität (die Thymopsyche = Antrieb und Affekt): depress. Verstimmung, Angst, Reizbarkeit, Euphorie • die Psychomotorik: Redefluss vermehrt/vermindert, Schreckhaftigkeit, Handlungen m. Selbst- und Fremdgefährdung • der Schlaf-Wach-Zyklus: verkürzter, od. fehlender Nachtschlaf, Rhythmusumkehr, nächtl. Unruhe, Alpträume Durchgangssyndrom Prädiktive Faktoren: • Höheres Lebensalter (Kinder 0%!) • Art der Herz-OP (Doppelklappenersatz 69%, Bypass 58%, angeboren Vitien 33%), mit Einsatz der HLM sprunghafter Anstieg • Psychiatrische Vorerkrankung • Reizüberflutung / -deprivation, Schlafdeprivation • Körperlicher AZ und Schweregrad der Erkrankung 3. Die postoperative Zeit Psychische Belastungen • Anpassungsstörung • Compliancestörung • Posttraumatische Belastungsstörung • Konzentrationsstörungen • Partnerproblematik • Beruf • Survivor guilt • Ablaufdatum? Anpassungsstörung nach Herztransplantation: Haben Sie Schwierigkeiten, sich genau an die ärztlichen Anweisungen zu halten?” (N = 100, Dew 1996) keine Schwierigkeiten 2 Monate 7 Monate 12 Monate 26% 14% 7% Nimmt ab! viele Probleme 41% 61% 78% Nimmt zu! Compliance ist kein “Alles oder Nichts - Phänomen”! Qualitative Unterschiede: • drug holidays: Wiederholtes, abruptes Absetzen und Wiederaufnehmen der Medikamente • white coat adherence: plötzliche Wiederaufnahme der korrekten Medikation vor Nachuntersuchung • noncompliance: Nichtbefolgung der Ratschläge / entgegengesetztes Handeln Indikatoren für postop. Compliancestörungen Alter bekannt schlechte Compliance Abhängigkeit Psychiatrische Erkrankung postoperative Compliancestörung Persönlichkeitsstörungen soziale Unterstützung Persönlichkeitsauffälligkeiten Association of number of psychosocial risk factors with the likelihood of persistent compliance difficulties during the first year post-transplant (Dew et al., 1996) p 0,9 0,8 0,7 0,6 0,5 0,4 0,3 0,2 0,1 0 0-1 2-3 4+ Number of psychosocial risk factors present Complianceverhalten nach Herztransplantation Durchgehende Noncompliance hinsichtlich: Rauchen 19 % Immunsuppress. Therapie 20 % Diät 18 % Ambulanz-Termine 9% Alkohol-Mißbrauch 6% Blutdruckmessen 34 % körperliches Aufbautraining 37 % (Dew et al. 1996) Beispiel: Risikofaktor Rauchen Studie (Basile et al. 2004) n = 103 Pat. auf der Warteliste zur HTx ein Drittel prä- und postoperativ Nichtraucher zwei Drittel präoperativ Raucher Rauch-Stop > 1 Jahr vor HTx 8% Raucher post HTx Rauch-Stop < 1 Jahr vor HTx 40% Raucher post HTx Beispiel: Risikofaktor Rauchen Nägele et al, 1997 Starke Raucher >20 Zigaretten Mortalität 100% ! Studien über Compliance zeigen: • Compliance nimmt mit zunehmendem zeitlichem Abstand zur Transplantation ab (Grady 1993) • jüngere Patienten zeigen signifikant schlechtere postoperative Compliance als ältere (Garcia 1997) • es gibt keinen Zusammenhang zwischen Bildungsniveau (Shapiro 1995) / Wissensstand (de Barros 1999) und Compliance • Compliance wird schlechter mit zunehmender Anzahl der verordneten Medikamente (Kiley 1995) Psychodynamisch bedeutsame Nebenwirkungen der Medikamente • Malignome (Hauttumoren, Lymphome..) sowie virale, bakterielle-, Pilzinfekte (z.B. Herpes, Candida) • Adipositas (Appetitstimulation) • Hautveränderungen (Akne) • Hirsutismus • Gingivahyperplasie • Osteoporose • Niere (trinken!) Lebensqualität nach Herztransplantation - physisch Lebensqualität nach Herztransplantation - psychisch Wichtige psychotherapeutische Hilfen • Bei Ambivalenz in der Wartezeit • Bei der Verabschiedung vom Herzen “Made by God” (Trauerarbeit) und Aufnehmenmüssen eines Spenderherzens • Bei der Bewältigung von Schuld und Scham • Stützung bei Komplikationen, frühen akuten Abstossungskrisen (selten!) • Beim Erleben des Todes von Mitpatienten („survivor guilt“) • Vertrauen schaffen zu dem neuen Herzen, im Idealfall Gespräche über Spender / Spenderherz • Bei Partnerschaftsproblemen: Aufgaben und Rollen müssen neu definiert werden • Bei der Frage nach dem „Ablaufdatum“ 4. Ventricular Assist Device “Kunstherz” Ventricular Assist Device (VAD) • Menschen mit terminaler Herzinsuffizienz - dilatative Cardiomyopathie - ischaemische Cardiomyopathie • gemeinsame Probleme: Kraft bzw. Pumpleistung höchstgradig herabgesetzt Herz oft massiv vergrößert Leistungseinbruch Weltweit ca. 10 Millionen Patienten ! Ventricular Assist Device (VAD) Lösungsmöglichkeit: Anmeldung zur Herztransplantation (HTx), aber: manche Patienten nicht transplantabel! Problem: • lange Warteliste bzw. körperl. Zustand zu schlecht • medikamentöse Therapie nicht mehr ausreichend • zunehmender Mangel an Spenderorganen Ausweg: Implantation Herzunterstützungssystem Ventricular Assist Device (VAD) Herzunterstützungssysteme: • für kurz-, mittel-, langfristige Anwendung • Rechtsherzunterstützungssysteme (RVAD) • Linksherzunterstützungssysteme (LVAD) • Biventrikuläre Herzunterstützungssysteme (BiVAD) heute noch zumeist als Bridging to Transplant (BTT) Ventricular Assist Device (VAD) Psychische Folgen: • Angriff auf die Integrität des Körpers: Abhängigkeit von technischem Equipment, das gewartet werden muss Abgeben von Kontrolle • Obhut anfangs unvertrauter Menschen, die die Herzleistung (= das Leben) steuern • Verletzung von Körpergrenzen, Zugriff von aussen • Konfrontation mit angsterregenden Bildern Ventricular Assist Device (VAD) Psychische Folgen, weiters: • • • • Ordnung im Körperbild wird verzerrt (“Ersatz-Zusatzherz”) Existentielle Bedrohung durch Komplikationen Thema “Lebensende” ist aktuell Hohe Anpassungsleistung an die Rahmenbedingungen zahlt sich das alles aus? Frage: was bleibt? Gibt es psychische Langzeitfolgen nach VADImplantation und Herztransplantation bei Patienten und Partnern im Sinne einer posttraumatische Belastungsstörung? Posttraumatische Belastungsstörung (PTSD) - Definition Definition: Definition „ Experiencing or witnessing an event that involves death, injury, or threat to one´s physical integrity or that of another person, or learning about such events experienced by a close friend or family member. The underlying traumatic event – must be outside the range of usual human experience – is often sudden and unexpected – and markedly distressing to almost every one“ Posttraumatische Belastungsstörung (PTSD) - Entwicklung Individuelle Individuelle Risikofaktoren Risikofaktoren Schwere Schwere desTraumas Traumas des Trauma--Erlebnis Erlebnis Trauma AkuteBelastungsreaktion Belastungsreaktion Akute Angst,Depression, Depression,Verzweiflung, Verzweiflung,Rückzug Rückzug Angst, PosttraumatischeBelastungsstörung Belastungsstörung Posttraumatische Comorbidität!(Schlaf, (Schlaf,Sucht, Sucht,SMV, SMV,Beruf..) Beruf..) Comorbidität! VAD-Implantation würde alle Kriterien einer PTSD erfüllen! • experiencing or witnessing an event that involves death, injury, or threat to one´s physical integrity or that of another person Das zugrundliegende Trauma ist • outside the range of usual human experience • often sudden and unexpected • markedly distressing to almost every one Ventricular Assist Device (VAD) Complaints Patients / Spouses I worried about malfunction or failure of the device (27) I worried about malfunction or failure of the device (26) The noise of the device bothered me when I tried to sleep (24) I worried that the noise bothered him when he tried to sleep (13) The noise of the device bothered me during daytime (18) I worried that the noise bothered him during daytime (13) I worried about having a stroke (27) I worried about him having a stroke (25) P=0.04 I worried about getting an infection (27) I worried that he might get an infection (26) I suffered from pain or aching body sensations at the driveline exit (27) I worried that he might suffer from pain or aching body sensations at the driveline exit (26) P=0.012 I suffered from sleep disturbances due to the driveline exit (27) I worried that he might suffer from sleep disturbances due to the driveline exit (27) 0 10 20 30 27 pairs: 40 50 Patients 60 70 Spouses 80 90 100 ZUSAMMENFASSUNG Phasen des Transplantationsprozesses und ihre emotionellen Korrelate - 1 Ankündigung der Transplantation Auswahl als Organempfänger Schock, Verleugnung, Ungläubigkeit, Angst, Rückzug, Angst vor dem Tod, Hoffnung auf Weiterleben ängstliche Spannung, Erleichterung und Hoffnung bei Annahme, Depression, Frustration, Hoffnungslosigkeit bei Ablehnung Phasen des Transplantationsprozesses und ihre emotionellen Korrelate - 2 Wartezeit Frühe postoperative Zeit Ambivalenz der Entscheidung gegenüber, Angst zu versterben, Schuld und Scham (Empfänger- Spender Problematik); Ungeduld, Frustration, Spannung, Depression Euphorie, Entspannung, Erleichterung Phasen des Transplantationsprozesses und ihre emotionellen Korrelate - 3 Komplikationen, Abstoßungskrisen (selten!) Postoperative stationäre Zeit Angst, Unsicherheit, Abhängigkeit, Entmutigung Selbstvertrauen, Stolz, Angst vor Rückschlägen Entlassung Ambivalenz: Vorfreude / Angst Erstes postoperatives Jahr Neuorientierung, Adaptation, Veränderung der Werte, Krisenbewältigung Psychische Problematik Psychiatrische Auffälligkeiten • Wartezeit • Stationär • Posttransplant Erschöpfungsdepression Angst Ambivalenz Durchgangssyndrom Euphorie Angst (Abstossung / Biopsie) Spender-Empfänger-Problematik Ambivalenz bei Entlassung Anpassungsstörung Compliancestörung PTSD Konzentrationsstörungen Partnerproblematik Beruf Survivor guilt Ablaufdatum?