TU Clausthal Institut für Physikalische Chemie Fortgeschrittenenpraktikum 4. Hittorfsche Überführungszahl Stand 06/04/05 Hittorfsche Überführungszahl Grundlagen zum Versuch Komponenten - Gleichspannungsquelle - Elektrolyse-Apparatur - Pt-Elektroden 1. Theoretischer Teil 1.1 Überführungszahlen 1.1.1 Die Hittorfschen Überführungszahlen Bei Elektrolyten wird die Elektrizitätsleitung durch die Wanderung der Ionen relativ zum Lösungsmittel bewirkt. Ist nur ein elektrisches Feld bei sonst konstanten Bedingungen (Temperatur, Druck, Konzentration usw.) vorhanden, so spricht man von reiner Elektrizitätsleitung. Wählt man die mittlere Geschwindigkeit aller Lösungsmittelmoleküle v1 als Bezugsgeschwindigkeit (Hittorfsches Bezugssystem), so kann man jeder geladenen Teilchensorte i eine partielle elektrische Stromdichte (Teilchenstromdichte) zuordnen: ii = zi F ci ( vi − v1 ) (1) wobei zi die elektrochemische Valenz der Partikelart i (positive bzw. negative ganze Zahl für Kationen bzw. Anionen), F die Faraday Konstante, ci die Konzentration und vi die mittlere Geschwindigkeit der Ionenart i ist. Für die gesamte elektrische Stromdichte gilt: i = Σ ii i (2) worin die Summe über alle geladenen Teilchenarten i zu bilden ist. Bei Elektrizitätsleitern muss 1 TU Clausthal Institut für Physikalische Chemie Fortgeschrittenenpraktikum 4. Hittorfsche Überführungszahl Stand 06/04/05 die Elektroneutralitätbedingung Σ zi ci = 0 (3) i in jedem Volumenelement erfüllt sein. Damit ergibt sich aus Gl. (1) und Gl. (2): i = F Σ zi ci vi i (4) was bedeutet, dass die gesamte elektrische Stromdichte unabhängig von der Bezugsgeschwindigkeit v1 ist. Der von der Teilchenart i transportierte Bruchteil des gesamten elektrischen Stromes heißt Überführungszahl. In dem hier benutzten Hittorfschen Bezugssystem (mittlere Geschwindigkeit aller Lösungsmoleküle als Bezugsgeschwindigkeit) ist die so genannte Hittorfsche Überführungszahl definiert: ti = ii zi F ci vi − v1 = i F Σ zi ci vi (6) i i 1.1.2 Die wahren Überführungszahlen Wählt man als Bezugsteilchenart nicht das gesamte Lösungsmittel, sondern nur den freien (nicht durch Solvation der Ionen gebundenen) Teil des Lösungsmittels, so führt der Wechsel der Bezugsgeschwindigkeit zu einer anderen Überführungszahl. In diesem Falle, bei dem die mittlerer Geschwindigkeit der freien Lösungsmittelmoleküle v1* als Bezugsgeschwindigkeit eingeführt wird, sprechen wir vom Washburnschen Bezugssystem für die partielle Stromdichte ii* = zi F ci ( vi − v1* ) Der in diesem Bezugssystem von der geladenen Teilchenart i transportierte Bruchteil des 2 (7) TU Clausthal Institut für Physikalische Chemie Fortgeschrittenenpraktikum 4. Hittorfsche Überführungszahl Stand 06/04/05 gesamten elektrischen Stromes heißt Washburnsche Überführungszahl (oder wahre Überführungszahl): ii* t = i * i (8) Die experimentell bestimmbaren Überführungszahlen sind „Brutto-Überführungszahlen“. Bei vollständiger Dissoziation werden diese mit den Hittorfschen Überführungszahlen der einzelnen Ionenarten identisch. Die wahren Überführungszahlen hingegen sind niemals direkt einer Messung zugänglich, da die Solvatationszahlen nur mit Hilfe gewisser Annahmen aus experimentellen Daten gewonnen werden können. 1.2 Ionenbeweglichkeit Legt man an zwei Elektroden, die voneinander den Abstand l haben, eine elektrische Potenzialdifferenz ϕ, so herrscht bei homogenem elektrischen Feld in dem Raum zwischen den Elektroden die elektrische Feldstärke | E| = ϕ/l. In diesem Raum befindet sich eine Elektrolytlösung. Dann setzen sich die Ionen in Feldrichtung in Bewegung, und zwar die Anionen (–) zur Anode und die Kationen (+) zur Kathode. Da der Reibungswiderstand in der Lösung der Geschwindigkeit der Ionen proportional ist, wird nach einem kurzen Anlaufvorgang, der einer beschleunigten Bewegung der Ionen entspricht, ein stationärer Zustand eintreten. Das bedeutet, dass die der stationären Geschwindigkeit des Ions proportionale Reibungskraft gleich der der elektrischen Feldstärke proportionalen elektrischen Kraft ist. Formelmäßig ausgedrückt: vi − v1 = ui ⋅ E (9) Der Proportionalitätsfaktor ui = vi − v1 E 3 (10) TU Clausthal Institut für Physikalische Chemie Fortgeschrittenenpraktikum 4. Hittorfsche Überführungszahl Stand 06/04/05 der von der Konzentration abhängen kann, wird als Beweglichkeit bezeichnet. Das Produkt aus Beweglichkeit und Faraday Konstante λi = F ⋅ ui (11) bezeichnet man als Ionenleitfähigkeit. Setzt man Gl. (9) in Gl. (1) ein und berücksichtigt Gl. (5), so erhält man den Zusammenhang zwischen den Hittorfschen Überführungszahlen und den Beweglichkeiten ti = zi ⋅ ci ⋅ ui Σ zi ⋅ ci ⋅ ui (12) i Dabei ist berücksichtigt, dass die Größe zi für Kationen positiv und für Anionen negativ ist, während ( vi − v1 ) bei Kationen in Feldrichtung liegt und bei Anionen entgegengesetzte Richtung hat. Dieser Zusammenhang lässt sich mathematisch ausdrücken durch zi ( vi − v1 ) = zi ⋅ vi − v1 (13) (Erst über diese mathematische Formulierung der elektrochemischen Vorgänge kann Gl. (1) durch Gl. (9) identisch umgeformt werden). Für einen Elektrolyten mit zwei Ionenarten, dessen Kationen und. Anionen mit den Indizes + bzw. – bezeichnet werden, gilt die Elektroneutralitätsbeziehung in der Form z + c+ = z − c− und daher folgt aus Gl. (12) für diesen Fall t+ = u+ , u+ + u− t− = 4 u− u+ + u − (14) TU Clausthal Institut für Physikalische Chemie Fortgeschrittenenpraktikum 4. Hittorfsche Überführungszahl Stand 06/04/05 Wenn eine Ionenart in geringer Konzentration neben anderen Ionenarten, die in hoher Konzentration vorhanden sind, in einer Lösung mit mehreren Elektrolyten vorliegt, dann wird nach Gl. (12) seine Überführungszahl entsprechend klein. Die von dieser Ionenart transportierte elektrische Ladung ist vernachlässigbar klein gegenüber der von anderen Ionenarten transportierten Ladung. Dieses Ergebnis ist wichtig für die Deutung der Ergebnisse bei der polarographischen Analyse. 2. Experimenteller Teil 2.1 Meßprinzip Nach HITTORF werden nach einem Stromdurchgang die Konzentrationsänderungen im Kathoden- und Anodenraum einer Elektrolyse-Apparatur gemessen. Damit diese Änderungen analytisch erfassbar werden, muss man entweder mit großen Stromstärken arbeiten oder über lange Zeit elektrolysieren. Hohe Stromstärke bedeutet aber erhebliche Temperatursteigerung und damit Wärmekonvektion. Läuft dagegen die Elektrolyse zu lange Zeit, dann wird Rückdiffusion aus dem Kathoden- bzw. aus dem Anodenraum in den Mittelraum einsetzen. Aus Diesen Gründen eignet sich die HITTORF-Methode nicht für Präzisionsmessungen. (Erreichbare Genauigkeit etwa 1% in ti). 2.2 Aufgabe Es ist die HITTORFsche Übeführungszahl von HNO3 (n/20) zu ermitteln. Die Konzentrationsänderungen in den Elektrodenräumen hängen natürlich außer von der Ionenwanderung auch von der Art der Vorgänge an den Elektroden ab. In unserem Fall wird an der Kathode Wasserstoff, an der Anode Sauerstoff gasförmig abgeschieden. Infolgedessen findet − in der Nähe der Kathode eine Verarmung an Säure satt, da das NO 3 - Ion durch Wanderung zur Anode entfernt wird, während die entsprechende H+ - Ionenmenge verschwindet, da ihr Verlust infolge der Entwicklung von gasförmigen H2 stets größer ist als der Gewinn durch Zuwanderung von der Anode her. An der Anode findet eine entsprechende Anreicherung an Säure statt, da die dort zuwandernden NO 3− - Ionen die Lösung nicht verlassen und infolge der Anodenreaktion (H2O → 1 O2 + 2H+ + 2e- ) mehr H+ -Ionen entstehen als zur Kathode abwandern. 2 5 TU Clausthal Institut für Physikalische Chemie Fortgeschrittenenpraktikum 4. Hittorfsche Überführungszahl Stand 06/04/05 Durch Titration mit NaOH-Lösung wird die Abnahme der Salpetersäure-Konzentration im Kathodenraum sowie deren Zunahme im Anodenraum bestimmt, deren Zahlenwerte gleich sein müssen. Ferner wird die Konzentration im Mittelraum bestimmt, die unverändert bleiben muss. Die Konzentrationsveränderung im Anoden- bzw. Kathodenraum entspricht dem Anteil der NO 3− - Ionen am gesamten Elektrizitätstransport. Gemäß den Gleichungen (5) und (6) sind die Überführungszahlen von Anion und Kation zu berechnen. 2.3 Versuchsdurchführung Die Elektrolysezellen werden mit (n/20)-HNO3 blasenfrei bis zu den Volumenmarken gefüllt. Die Elektroden werden eingesetzt und parallel an die Stromversorgung angeschlossen. Elektrolysieren Sie unter Wasserbadkühlung zweckmäßig etwa 2 Stunden. Stellen Sie eine Stromstärke von 60 mA ein und achten Sie darauf, dass sie während des Versuchs konstant bleibt. Titrieren Sie je 10 ml der Ausgangslösung, der Anoden-, Kathoden- und Mittelräume mit (n/20)NaOH. Führen Sie jede Titrationen mehrfach durch und bilden Sie Mittelwerte. Geben Sie im Protokoll eine ausführliche Fehlerkritik an! 3. Literatur Wedler: Lehrbuch der Physikalischen Chemie, Kap. 1.6.5 Hamann, Vielstich: Elektrochemie, Kap. 2.3 6