116 13 Die Ionenbindung Diese Art der Bindung findet man zwischen Metallen und Nichtmetallen, typischerweise etwa zwischen den Alkalimetallen und den Halogenen. Treibende Kraft ist auch hier wieder die Bildung stabiler Edelgasschalen, die hier durch eine Elektronenübertragung vom Metall auf das Nichtmetall erfolgt. . Na . + Na+ Cl - Cl [Ne]3s1 [Ne]3s23p5 kleine Ionisierungsenergie große Elektronenaffinität [Ne] [Ar] Durch Elektronenübertragung vom Metallatom zum Nichtmetallatom, entstehen aus Metallatomen Kationen (positiv geladen) und aus Nichtmetallatomen Anionen (negativ geladen). Kationen und Anionen ziehen sich aufgrund ihrer entgegengesetzten Ladung an. Die Anziehungskraft wird durch das Coulombsche Gesetz beschrieben. Es lautet für ein Ionenpaar in einem Medium: F z K e zA e 4 0 DK r2 o DK r e zK, zA 1 Dielektrizitätskonstante des Vakuums Dielektrizitätskonstante eines Mediums (H2O = 78,5 Luft = 1) Abstand der Ionen Elementarladung Ladungszahl für Kation bzw. Anion Die Anziehungskraft F ist proportional dem Produkt der Ionenladungen zKe und zAe. Sie ist umgekehrt proportional dem Quadrat des Abstandes r der Ionen und der Dielektrizitätskonstanten DK des Mediums. Die elektrostatische Anziehungskraft ist ungerichtet, das bedeutet, dass sie in allen Raumrichtungen wirksam wird. Daher umgeben sich die positiven Na+-Ionen symmetrisch mit möglichst vielen negativen Cl--Ionen und vice versa. Es bildet sich daher nicht eine Verbindung, die aus Na+Cl--Ionenpaaren besteht, sondern es entsteht ein Ionenkristall, in dem die Ionen eine regelmäßige dreidimensionale Anordnung, ein Kristallgitter (NaCl-Gitter) bilden. Ein Ionenkristall kann nur insgesamt als „Riesenmolekül“ aufgefasst werden. Ionenverbindungen sind daher Festkörper mit hohen Schmelzpunkten. Da in Ionenkristallen die Ionen nur wenig beweglich sind, sind Ionenverbindungen meist schlechte Ionenleiter. Schmelzen von Ionenkristallen leiten dagegen den elektrischen Strom, da in der Schmelze Ionen vorhanden sind, die gut beweglich sind. 117 Ausschnitt aus dem Kristallgitter von NaCl _ : C I - Io n e n : N a+ - Io n e n Steinsalzkristall (NaCl), in dem sich auf einigen Cl--Gitterplätzen Elektronen befinden, die dem Kristall eine blaue Farbe verleihen (kein Kristall hat einen völlig perfekten Aufbau): Steinsalzkristall NaCl 118 Kationen und Anionen nähern sich im Ionenkristall nur bis zu einer bestimmten Entfernung (Gleichgewichtsabstand, bei dem die Coulombschen Anziehungskräfte gerade gleich den Abstoßungskräften der Elektronenhüllen sind). Die Ionen verhalten sich in einem Ionenkristall in erster Näherung wie starre Kugeln mit einem charakteristischen Radius (vergl. Ionenradien der Hauptgruppenelemente S. 39). Die Elektronenhüllen der Ionen durchdringen sich nicht, die Elektronendichte sinkt zwischen den Ionen fast auf Null. Dichteprofil der Elektronenverteilung im NaCl-Kristall. Die „Höhenlinien“ verbinden Stellen gleicher Elektronendichte. Die Zahlen an den Höhenlinien geben die Elektronendichte im Å-2 eines Ausschnitts der auf die (110)-Ebene projizierten Elementarzelle. Dichteprofil der Elektronenverteilung im NaCl-Kristall Für die Ionenradien gelten folgende Regeln: a) Bei den KOZ 8, 6 und 4 verhalten sich die Radien für ein und dasselbe Ion annähernd wie 1,1 : 1 : 0,8. (Mit wachsender Zahl benachbarter Ionen vergrößern sich die Abstoßungskräfte zwischen den Elektronenhüllen der Ionen, der Gleichgewichtsabstand wächst). b) Kationen sind kleiner als Anionen, Ausnahmen sind die großen Kationen K+, Rb+, Cs+, NH4+, Ba2+. Sie sind größer als das kleinste Anion F- (vergl. S. 39). c) In den Hauptgruppen des PSE nimmt der Ionenradius mit steigender Ordnungszahl zu (vergl. S. 39). d) Bei Ionen mit gleicher Elektronenkonfiguration (= isoelektronische Ionen) nimmt der Radius mit zunehmender Ordnungszahl ab: O2- > F- > Na+ > Mg2+ > Al3+ e) Gibt es von einem Element mehrere positive Ionen, nimmt der Radius mit zunehmender Ladung ab (jeweils gleiche KOZ): Fe2+ > Fe3+ Tl+ > Tl3+ 119 Wichtige ionische Strukturen, Radienquotientenregel In Ionenkristallen treten die KOZ 2, 3, 4, 6, 8 und 12 auf. In Anordnungen höchster Symmetrie sind die ungerichteten elektrostatischen Kräfte am stärksten und die Abstoßungskräfte am geringsten. Die folgende Übersicht fast einige wichtige KA- (K = Kation, A = Anion) und KA2-Strukturen (Ionengitter, Gittertypen) zusammen. a) KA-Strukturen KA Gittertyp CsCl Cäsiumchloridgitter KOZ (für K und A gleich) Gitterausschnitt Radienquotient rK/ rA 8 CsCl-Struktur 0,94 NaCl-Struktur 0,56 Zinkblende-Struktur 0,40 (würfelförmige Anordnung von 8Cl- um Cs+ (schwarze Kugeln) und von 8Cs+ um Cl-) NaCl Kochsalzgitter 6 (oktaedrische Anordnung von 6Cl- um Na+ (schwarze Kugeln) und von 6Na+ um Cl-) ZnS Zinkblendegitter 4 (tetraedrische Anordnung von 4S2- um Zn2+ (schwarze Kugeln) und von 4Zn2+ um S2-) 120 b) KA2-Strukturen KA2 CaF2 TiO2 Gittertyp KOZ (für K und A unterschiedlich) Flussspatgitter Ca2+ (schwarze (Fluoritgitter) Kugeln) würfelförmig von 8F- umgeben, um F- 4Ca2+ tetraedrisch angeordnet Rutilgitter Ti4+ von 6O2- verzerrt oktaedrisch umgeben, um O23Ti4+ nahezu trigonal planar angeordnet SiO2 Cristobalitgitter Si-Atome sind tetraedrisch von 4OAtomen umgeben, die O-Atome von 2SiAtomen linear koordiniert Gitterausschnitt Radienquotient rK/ rA Flussspatgitter 0,75 Rutilgitter 0,44 Cristobalitgitter 0,29 Die KOZ von Kationen und Anionen hängen vom Radienquotienten rK/rA ab. Sind Kationen und Anionen gleich groß, können 12 Anionen um das Kation gepackt werden. Mit abnehmendem Verhältnis rK/rA wird die maximal mögliche Zahl der Anionen, die mit dem Kation in Berührung stehen, kleiner. 121 Radienquotienten und Koordinationszahl Koordinationszahl KOZ Koordinationspolyeder Radienquotient rK/rA Gittertyp 4 Tetraeder 0,225-0,414 Zinkblende, Cristobalit 6 Oktaeder 0,414-0,732 Natriumchlorid, Rutil 8 Würfel 0,732-1 Caesiumchlorid, Fluorit Radienquotienten rK/rA einiger KA-Ionenkristalle Caesiumchlorid-Struktur Natriumchlorid- Struktur Zinkblende- Struktur rK/rA > 0,73 rK/rA = (0,41-0,73) rK/rA = (0,22-0,41) CsCl CsBr NH4Cl TlCl CsI NH4Br TlBr 0,94 0,87 0,83 0,83 0,79 0,77 0,77 BaO KF CsF NaF KCl CaO KBr KI NaH SrS MnO NaCl VO 0,97 0,96 0,78 0,77 0,76 0,71 0,71 0,64 0,66 0,61 0,59 0,56 0,56 LiF CaS CoO NaBr MgO NiO NaI LiCl MgS LiBr LiI 0,56 0,54 0,53 0,52 0,51 0,49 0,47 0,41 0,39 0,38 0,34 BeO BeS 0,25 0,19 122 Radienquotienten rK/rA einiger KA2-Ionenkristalle Fluorit-Struktur Rutil- Struktur Cristobalit- Struktur rK/rA > 0,73 rK/rA = (0,41-0,73) rK/rA = (0,22-0,41) BaF2 PbF2 SrF2 BaCl2 CaF2 CdF2 UO2 SrCl2 1,02 0,89 0,85 0,75 0,75 0,71 0,69 0,62 MnF2 FeF2 PbO2 ZnF2 CoF2 CaCl2 MgF2 NiF2 0,62 0,59 0,56 0,56 0,56 0,55 0,54 0,52 CaBr2 SnO2 MgH2 WO2 TiO2 VO2 CrO2 MnO2 GeO2 0,51 0,49 0,47 0,46 0,44 0,42 0,39 0,38 0,38 SiO2 BeF2 0,29 0,26 Die Bindungsenergie in Ionenkristallen (Gitterenergie HG) Die Gitterenergie von Ionenkristallen ist die Energie, die frei wird, wenn sich weit voneinander entfernte, im Grundzustand befindliche Kationen und Anionen einander nähern und zu einem Ionenkristall ordnen. Gitterenergie für KCl: K+ (g) + Cl- (g) KCl (s) HG = -717 kJ/mol Die Gitterenergie von Ionenkristallen einer bestimmten Struktur nimmt mit abnehmender Ionengröße und zunehmender Ionenladung zu. 123 Gitterenergien HG [kJ/mol] LiF 1037 LiCl 852 LiBr 815 LiI 761 NaF 926 NaCl 786 NaBr 752 NaI 705 KF 821 KCl 717 KBr 689 KI 649 MgO 3850 CaO 3461 SrO 3283 BaO 3114 MgS CaS SrS 2974 BaS 3406 3119 2832 Die Größe der Gitterenergie ist ein Ausdruck für die Stärke der Bindungen zwischen den Ionen im Kristall. Mit wachsender Gitterenergie nehmen Schmelzpunkt, Siedepunkt und Härte zu; die Löslichkeit der Salze nimmt ab (siehe unten). Gitterenergien können nicht experimentell bestimmt werden. Man kann sie berechnen (z.B. Berücksichtigung der Coulombschen Wechselwirkungskräfte zwischen den Ionen und den Abstoßungskräften zwischen den Elektronenhüllen) oder über den sogenannten Born-Haber-Kreisprozess ermitteln. Dieser Kreisprozess basiert auf dem Satz von Hess, wonach die Reaktionsenthalpie unabhängig davon ist, ob eine Reaktion in einem oder mehreren Schritten abläuft; oder die Enthalpiedifferenz zwischen zwei Zuständen ist unabhängig vom Weg, auf dem man vom Anfangs- zum Endzustand gelangt. 124 Born-Haber-Kreisprozess für die Ermittlung der Gitterenergie von KCl Cl(g) K+(g) K(g) HDiss K(g) HSub K(s) HEA Reaktionsweg 2 HIE K+(g) Cl(g) Cl-(g) Endzustand Reaktionsweg 1 1 2 Cl2(g) 1 2 Cl2(g) HG HBild KCl(s) Enthalpieänderung Reaktionsweg 1 = -HG Ausgangszustand Enthalpieänderung Reaktionsweg 2 = -HBild + HSub + HDiss + HIE + HEA = (437 + 89 + 122 + 418 - 349) kJ/mol -HG = 717 kJ/mol HG = -717 kJ/mol {Umkehrung Reaktionsweg 1 = Bildung von KCl (s) aus K+ (g) und Cl- (g)} Der eigentliche Born-Haber-Kreisprozess {beginnt bei KCl (s) und endet bei KCl (s), was einer Enthalpieänderung von 0 entspricht} geht von folgender Gleichung aus: 0 = -HBild + HSub + HDiss + HIE + HEA + HG Die Gitterenergie ist auch von Bedeutung für die Löslichkeit von Salzen. Bei der Auflösung eines Salzes muss die Gitterenergie durch einen energieliefernden Prozess aufgebracht werden. Dieser Prozess ist bei der Lösung in Wasser die Hydratation der Ionen. Beispiel: Auflösung von NaCl (s) in H2O (vergl. S. 108) HL = HH - HG HH = Hydratationsenthalpie 125 Na+ (g) + Cl- (g) + H 2O (l) NaCl (s) + H 2O (l) NaCl (s) Na+ (aq) + Cl- (aq) HH = - 790 kJ/mol Na+ (g) + Cl- (g) -HG = + 787 kJ/mol Na+ (aq) + Cl- (aq) HL = - 3 kJ/mol Die Auflösung von NaCl (s) in Wasser ist ein schwach exothermer Vorgang. Es gibt aber auch Lösungsvorgänge, die endotherm verlaufen. Beispiel: Auflösung von NH4Cl (s) in H2O + H 2O (l) NH4Cl (s) NH4+ (aq) + Cl- (aq) HL = + 15,16 kJ/mol In diesem Fall wird bei der Hydratation der Ionen weniger Wärme frei, als bei der Bildung des Ionengitters. HH = - 688 kJ/mol HG = - 703,16 kJ/mol Tatsächlich ist der Gesamtvorgang (die „Triebkraft“ zur Auflösung von NH4Cl) nicht allein eine Frage der Enthalpie – sondern auch der Entropiebilanz. Wenn die „freie Reaktionsenthalpie“ GL = HL - TSL (T = Temperatur) negativ ist, so läuft die Auflösung in Wasser ab. GL = HL - TSL = + 15,16 kJ/mol – 298 K · 73,69 J/K · mol = - 6,8 kJ/mol 2. Hauptsatz der Thermodynamik Bei einer spontanen Zustandsänderung vergrößert sich die Entropie. Freiwillig stellt sich somit immer nur ein Zustand mit geringerer Ordnung ein. Die Entropie S ist ebenso wie die innere Energie U und die Enthalpie H eine Zustandsfunktion. Die Entropie oder Unordnung eines Systems hat bei gegebenen Zustand einen definierten Wert. Einfach ausgedrückt, mit der Zunahme der Unordnung in einem System (z.B. Zunahme der Teilchen, wie beim Auflösen eines Ionengitters) nimmt die Entropie zu. Die Gesamtänderung der Entropie SGes ist die Summe der Entropieänderungen des Systems S (Reaktionsentropie) und der Umgebung SUmg. SGes = S + SUmg SUmg = - H T (1) (2) 126 Die Entropieänderung der Umgebung kommt durch den Austausch von Wärme mit der Umgebung zustande, bedingt durch die Reaktionsenthalpie H: Substitution von (2) in(1): SGes = TSGes = S - H T S - H Mit G = - TSGes ergibt sich die freie Reaktionsenthalpie G = H - TS (Gibbs-Helmholtz-Gleichung) Eine Reaktion läuft aus thermodynamischer Sicht (Betrachtung des Anfangs- und Endzustandes der Reaktion) freiwillig ab, wenn die freie Reaktionsenthalpie negativ ist. Mit der freien Reaktionsenthalpie werden zwei Faktoren berücksichtigt, die die Freiwilligkeit des Ablaufs einer Reaktion bestimmen. a) Bei einer Reaktion wird ein Energieminimum angestrebt. Wenn das System Energie an die Umgebung abgibt, ist der Wert für H negativ; er trägt zu einem negativen Wert für G bei. b) Bei einer Reaktion wird ein Maximum an Unordnung angestrebt. Ein positiver Wert für S, d.h. eine Zunahme der Unordnung im System, trägt wegen des Terms - TS zu einem negativen Wert für G bei. 127 Einfluss der Vorzeichen von H und S auf den freiwilligen Ablauf einer Reaktion: H S G = H - TS - + - stets freiwillig ab (vergl. Abb 1a) + - + nicht freiwillig ab - - - bei niedrigem T freiwillig (vergl. Abb 1b) + bei hohem T nicht freiwillig + bei niedrigem T nicht freiwillig - bei hohem T freiwillig (vergl. Abb 2) + Abb.1: + Reaktion läuft 128 Abb. 2: