SWR2 Musikstunde

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SWR2 MANUSKRIPT
ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE
SWR2 Musikstunde
„Das Leben ist ein ständiger Austausch“
Yehudi Menuhin zum 100. Geburtstag
(3)
Von Antonie von Schönfeld
Sendung:
Mittwoch, 03.08. 2016
Redaktion:
Ulla Zierau
9.05 – 10.00 Uhr
Bitte beachten Sie:
Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere
Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR.
Mitschnitte auf CD
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„Musikstunde“ mit Antonie von Schönfeld
„Das Leben ist ein ständiger Austausch“ Yehudi Menuhin zum 100. Geburtstag (1-5)
SWR 2, 01. August – 05. August 2016, 9h05 – 10h00
III. Die Suche nach dem Klang
Signet
heute mit Antonie v. Schönfeld:
„Das Leben ist ein ständiger Austausch“ - ein Satz, ein Statement von Yehudi
Menuhin und ihm zum 100. Geburtstag haben wir diese Musikstunden-Woche
gewidmet, heute Folge 3: Konzerte und Krisen
Dazu: Herzlich Willkommen!
Titelmusik
„Es war ein unglaubliches Publikum, Einstein war dabei,
Piatigorsky - ich weiß nicht, nicht nur Musiker und Wissenschaftler,
sondern Intellektuelle, Philosophen“,
so Menuhin in einem Interview über sein erstes Konzert in Deutschland.
„Ich habe bestimmt so ein Publikum nie wieder gehabt wie dieses erste
Publikum in Berlin.“
Das war Menuhins großer Durchbruch 1929 in Europa. Die Familie nennt dieses
erste Berliner Konzert, das bald zur Legende wird, später das „MayflowerKonzert“: Jeder will im Nachhinein dabei gewesen sein, will den pausbäckigen
Knaben in kurzen Hosen live erlebt haben, damals bei „drei großen Bs“ Bach,
Beethoven und Brahms - drei Violinkonzerte an einem Abend - ein SpielMarathon, den wir uns heute kaum mehr vorstellen können!
Tatsächlich muss die Polizei im Konzertsaal für Ordnung sorgen, das Publikum ist
außer Rand und Band. Berühmt geworden ist die Szene mit Alfred Einstein, der
(wie Menuhin in seinen Lebenserinnerungen erzählt)
„direkt über die Bühne ins Künstlerzimmer gelaufen kam - er hatte sich
nicht die Mühe gemacht, hintenherum durch die Garderobe zu gehen und mich mit dem astronomisch übersteigerten Ausruf an die Brust drückte:
‚Jetzt weiß ich, dass es einen Gott im Himmel gibt!’“
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Eigentlich hatte Fritz Busch das Konzert leiten sollen, mit dem Menuhin noch vor
Berlin die Carnegie Hall in New York gefüllt hat, doch Busch war kurzfristig
verhindert „durch den plötzlichen Tod seines Vaters“ - wie es (sehr persönlich!)
auf dem Plakat zu lesen war. Bruno Walter sprang ein und ihn beschreibt
Menuhin noch Jahrzehnte später als „einfach perfekten Begleiter“, als
ausgesprochen sensiblen und mitempfindenden Dirigenten.
„Ich konnte nur darüber staunen, wie sehr er mich unterstützte
und sich anpasste: Was ich auch tat, er war stets da,
stets völlig mit mir einig.“
Vor den großen Konzerten von Beethoven und Brahms - jedes der beiden dauert
etwa vierzig Minuten - hat Menuhin das E-Dur-Konzert von Johann Sebastian
Bach gestellt, hier spielt er den 3. Satz in einer Aufnahme von 1960 - und unseren
‚historisch informierten’ Ohren mögen Tempi und Phrasierungen durchaus
getragen und vielleicht ein bisschen schwerfällig vorkommen:
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Musik 1
Johann Sebastian Bach
2´52 CD 2<5>
3. Satz Allegro assai
aus: Konzert E-Dur für Violine u. Orchester BWV 1042
Yehudi Menuhin, Violine und Ltg.
Bath Festival Orchestra
EMI2641162, LC
Aufnahme: 1960
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Der 3. Satz aus Bachs E-Dur-Konzert BWV 1042 mit Yehudi Menuhin und dem Bath
Festival Orchestra, eine Aufnahme von 1960, - zu dieser Zeit war Menuhin der
musikalische Leiter des Bath-Festivals.
Vor der Überfahrt nach Europa, vor dem Berliner Konzert hat Menuhin eine neue
alte Geige bekommen: die „Prinz Khevenmüller“, eine der letzten Geigen, die
Antonio Stradivari gebaut hat - 1733. Es war die großzügige Gabe eines
vermögenden Bankiers: der hatte Menuhin in der Carnegie Hall spielen hören
und fand, er bräuchte ein anderes Instrument.
- Der Name der Geige - Prinz Khevenmüller - geht übrigens zurück auf ihren ersten
Besitzer, einen österreichisch-ungarischen Prinzen. Menuhin liebt diese Geige: ihr
Aussehen - sie ist mit schimmernd rötlichem Lack überzogen - und vor allem ihren
Klang: „voll und zugleich schmelzend süß im Ton“.
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Er wird diese Stradivari sein Leben lang behalten, Jahre später werden noch
verschiedene Instrumente von Giuseppe Guarneri dazukommen, u.a. die Lord
Wilton von 1742, die Menuhin in den siebziger Jahren kauft.
Und da kann er eine solche Geige längst selbst bezahlen. Die Preise für diese
Instrumente waren allerdings auch noch nicht in solch astronomische Höhen
geschnellt wie heutzutage, wo eine Stradivari schon mal für eine zweistellige
Millionensumme über den Tisch gehen kann.
Doch gleich, welche Geige er spielt: Menuhin ist immer auf der Suche nach dem
richtigen Ausdruck, dem richtigen Ton oder besser: Tönen für die jeweilige Musik,
sei es nun Bach oder ein kleines Lied von Claude Debussy wie
La Fille au
cheveux de lin - Das Mädchen mit den Flachshaaren.
Es ist eines von Debussys Préludes, das Menuhin gleich in einer Bearbeitung für
Geige und Klavier spielen wird. Das Hauptmotiv in dem kleinen Stück ist eine
wellenförmige Bewegung in Achteln und Sechzehnteln - wie ein Wind, der durch
die flachsenen Haare des Mädchens streicht:
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Musik 2
Claude Debussy (arr. Hartmann)
2´35 CD 9<15>
La fille aux cheveux de lin
aus: Préludes, Buch 1, Nr. 8
Yehudi Menuhin, Violine
Gerald Moore, Klavier
Warner 0825646777815, LC 02822
Box: Unpublished Recordings and Rarities
30.12.1968 Abbey Road Studio No.1 London
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„Die Liebe hat in der hellen Sommersonne mit der Lerche gesungen.“
- eine Zeile aus dem Gedicht La Fille au cheveux de lin - Das Mädchen mit den
Flachshaaren, nach dem Claude Debussy das gleichnamige Prélude
geschrieben hat, gerade auf der Geige gesungen von Yehudi Menuhin. Am
Klavier hat Gerald Moore begleitet.
Es mögen viele Musikfreunde - und Sensationshungrige - später gesagt haben, sie
seien bei Menuhins Debüt 1929 in Berlin dabei gewesen, aber es waren auch
viele da: Neben dem Physiker Albert Einstein, der Regisseur Max Reinhardt, der
Geigenpädagoge Carl Flesch, der Pianist Ossip Gabrilowitsch, der Geiger
Bronislav Huberman, der amerikanische Geiger und Dirigent Sam Franko (Schüler
noch von Joseph Joachim und Henry Vieuxtemps), der polnische Pianist Jakob
Gimpel, der Musikkritiker Hans Heinz Stuckenschmidt - einige Namen sind heute
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vergessen, andere kennen wir noch. Gerade das Interesse anderer Musiker an
seinem Spiel war Menuhin wichtig und hat ihn gefreut, einer aber hat besondere
Bedeutung für ihn: Fritz Kreisler, der war sein Vorbild, Kreisler konnte wirklich singen
auf seinem Instrument!
Mit Kollegen wie Jascha Heifetz meinte Menuhin es aufnehmen zu können, an
einen Kreisler, das wusste er, reichte er nicht heran:
„Bei Heifetz lag der Ton auf der Oberfläche der gespielten Platten,
in den Rillen, (...) wie eine schöne Schnur, die sich mit 78 Umdrehungen in
der Minute abspult.
Bei Kreisler ist es anders: Der Kreisler-Klang war subtil und eindringlich,
unter der Oberfläche erfüllt von Regungen und Impulsen, von Hinweisen,
die aufzufangen die damals primitive Aufnahmetechnik und ich uns nach
Kräften bemühten.
Ich sehnte mich glühend danach, Schön Rosmarin und Caprice viennois
mit einer so raffinierten Eleganz zu spielen!“
Und der spielt auch jetzt - in einer Aufnahme von 1938:
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Musik 3
Fritz Kreisler
3´40 <1>
Caprice viennois op.2
Fritz Kreisler, Violine
Franz Rupp, Klavier
Naxos 8.110992, LC 05537
2/1938 Abbey Road Studio No. 3 London
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Fritz Kreisler mit einem seiner Charakterstücke: Caprice viennois, Franz Rupp hat
ihn begleitet.
Dem jungen Menuhin ist klar, dass ihm etwas ganz Entscheidendes fehlt um so
spielen zu können wie sein großes Vorbild: Lebenserfahrung.
Mangelnde Lebenserfahrung ist tatsächlich ein Problem bei dem jungen Geiger,
doch diese Wiener Stücke wird er im Leben nicht so spielen können wie Kreisler:
mit dieser leichten Verzögerung im Takt, mit diesem gerademal angedeuteten
Verschleifen des Rhythmus, fast so, dass wir es nicht merken, und doch so, dass es
den Charakter des ganzen Stückes bestimmt.
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Doch versucht hat Menuhin es immer wieder und natürlich kann er Kreisler
spielen: Caprice viennois, Liebesleid , Liebesfreud und wie sie alle heißen und
Schön Rosmarin. - Und dieses kleine Stück - keine zwei Minuten lang - hören wir
jetzt in zwei Versionen, zuerst die mit Yehudi Menuhin:
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Musik 4
Fritz Kreisler
1´47 CD8 <9>
Schön Rosmarin
Yehudi Menuhin, Violine
Gerald Moore, Klavier
Warner 0825646777815, LC 02822
Box: Unpublished Recordings and Rarities
29.6.1953 Abbey Road Studio No. 3 London
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Schön Rosmarin - im Juni 1953 aufgenommen in Studio 3 in der Abbey Road in
London von Yehudi Menuhin und Gerald Moore.
Und nun die ältere Aufnahme mit Fritz Kreisler und Thomas Rupp - zufälligerweise
im selben Studio aufgenommen, nur 15 Jahre früher, 1938: Hier kommt Schön
Rosmarin entspannter daher, durchaus mit größeren Temposchwankungen, die
sich aber völlig natürlich zu ergeben scheinen, wie eine Schaukel in schönem
Schwung und mit einer solchen Nonchalance, dass wir innehalten, an unsere
erste Liebe denken - und wehmütig dem Fiaker hinterherschauen.
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Musik 5
Fritz Kreisler
1´52 <5>
Schön Rosmarin
Fritz Kreisler, Violine
Franz Rupp, Klavier
Naxos 8.110992, LC 05537
15.2.1938 Abbey Road Studio No. 3 London
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Ein zweites Mal Schön Rosmarin - in einer Aufnahme aus dem Jahr 1938 mit Fritz
Kreisler und Thomas Rupp.
Als Menuhin Ende der zwanziger Jahre die internationale Bühne erobert, wird er
unweigerlich mit den großen Geigern dieser Zeit verglichen, mit dem deutlich
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älteren Fritz Kreisler, mit Mischa Elman, mit Jascha Heifetz, dabei wird er durchaus
in Richtung Kreisler gerückt: in einer Kritik etwa heißt es,
Menuhin habe beim Spielen nicht das Distanzierte, Entrückte eines Jascha
Heifetz, er stehe - wenn er sich auch mit Inbrunst dem Klang hingeben würde genauso geerdet da wie ein Fritz Kreisler. (Redfern Mason, Nov. 1926)
Er mag das halbe Jahr auf Konzertreisen sein, einem anstrengenden und
anspruchsvollen Beruf nachgehen, doch Menuhin ist auch noch ein Lernender,
Studierender:
Mit dreizehn, vierzehn arbeitet Menuhin mit dem deutschen Geiger Adolf Busch,
seinem „dritten Mentor“ wie Menuhin Adolf Busch nennt, und immer wieder auch
mit Georges Enescu, der ihn als Geiger wohl am stärksten geprägt hat.
- Wenn Enescu für den romantischen Stil steht, für Ausdruck und Leidenschaft,
dann steht Adolf Busch für den klassischen Stil, das Disziplinierte, auf rumänisches
Feuer folgt deutsche Gelehrsamkeit: Busch habe ‚eher seine musikalischen
Kenntnisse als seine geigerische Entwicklung’ gefördert meint Menuhin im
Rückblick, ihm verdanke er ‚den unmittelbaren Zugang zur deutschen Kultur
durch die Musik’.
„Unmittelbar“ können wir hier ruhig wörtlich verstehen: Busch führt Menuhin an
das Quellenstudium heran, von ihm lernt der junge Geiger, Herausgebern nur
bedingt zu trauen und im Zweifel lieber in Autograph oder Urtext zu schauen, auf Texttreue legt Menuhin später ausgesprochenen Wert. In diesem Punkt
unterscheidet er sich deutlich vom älteren Kollegen Kreisler: Der gehört noch zu
jener Generation von Virtuosen, die das eigene Spiel, und mit dem Original
durchaus etwas, ja, „schlampert“ umgehen konnten...
Georges Enescu jedenfalls weiß genau, warum er seinen Zögling zu Adolf Busch
schickt, er hielt Größtes auf diesen klugen und feinen Geiger, der sein Spiel immer
in den Dienst der Musik stellte - gleich spielt Adolf Busch das Andante aus
Johannes Brahms A-Dur-Sonate. Und doch gibt Enescu Menuhin angeblich die
Worten mit auf den Weg - vielleicht im Hinblick auf Menuhins temperamentvollen
Virtuosentum vor allem der frühen Jahre:
„Lern alles was Du kannst - und dann vergiss es!“
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8
Musik 6
Johannes Brahms
4´38 CD 11<7>
Allegretto grazioso (Quasi Andante)
aus: Violinsonate Nr. 2 A-Dur op.100
Adolf Busch, Violine
Rudolf Serkin, Klavier
Warner 0825646019311, LC 02822
20.9.1932 Abbey Road Studios, London
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Adolf Busch und Rudolf Serkin mit dem 3. Satz aus der Violinsonate Nr. 2
A-Dur von Johannes Brahms.
Wie viele Konzerte Yehudi Menuhin im Laufe seines Lebens gegeben hat, das
lässt sich nur schwer schätzen, an die sieben-, achttausend werden es wohl
gewesen sein. Den Grundstock dazu legt er in seiner Jugend: Menuhin rauscht
geradezu durch die Konzertsäle der Welt, in Europa und Amerika spielt er mit den
großen Orchestern, unter Fritz Busch und Bruno Walter und auch unter Wilhelm
Mengelberg und Arturo Toscanini.
In Menuhins Erinnerungen und in den Biographien über ihn reiht sich Anekdote an
Geschichte an Anekdote: Bei einer Probe mit Orchester soll der Teenager
beispielsweise Toscanini ausdrücklich um Kritik an seinem Spiel gebeten haben,
doch der Maestro antwortet nur lapidar - wie Vater Moshe einem Freund erzählt,
es mag also ein wenig geschönt sein:
„Du weißt gar nicht, wie man einen Fehler macht!
Just go on playing! - Spiel einfach weiter!“
Vorher freilich, als Toscanini gebeten worden war, sich dieses Talent einmal
anzuhören, soll der Dirigent noch gesagt haben:
„Musizierende Wunderkinder? Die machen mich noch alle krank!“
Nicht allerdings Menuhin.
Dass Toscanini später bei einem Dinner einmal den von Menuhin so geschätzten
Bruno Walter einen „sentimentalen Narren“ nennen sollte, dass wiederum hat der
ihm nicht verziehen...
Hier ein Ausschnitt aus einem Konzert in der Carnegie Hall im Dezember 1940, in
dem Menuhin u.a. das erste Violinkonzert von Niccolò Paganini gespielt hat. Das
ist Menuhins erste Live-Mitschnitt, und wenn der dumpfere Klang (dazu in Mono)
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auch deutlich vom heutigen Standard abweicht, so besticht doch die Qualität
von Menuhins Spiel: Das ist von ausgesprochener Leichtigkeit und Souveränität,
mit Verve und Risiko und dem richtigen Gespür auch für die ruhigeren Passagen,
- da darf die Intonation auch mal leicht verrutschen, beim Solisten wie im Tutti:
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Musik 8
Niccolò Paganini
ca. 8´05 CD 2 <6>
3. Satz: Rondo: Allegro spirituoso
aus: Violinkonzert Nr. 1 in D op.6
Yehudi Menuhin, Violine
New Friends of Music Orchestra
Ltg. Georg Schnéevoigt
Warner 0825646777044, LC 02822
Box: Live Performances and Festival Recordings
2.12.1940 Carnegie hall, New York
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Niccolò Paganini, ein Ausschnitt aus dem 3. Satz Rondo aus seinem Violinkonzert
Nr. 1 in D, aufgenommen im Dezember 1940 in der Carnegie Hall in New York, Menuhins erster Konzert-Mitschnitt.
In den dreißiger Jahren steht dem jungen Geiger die Welt offen und seine Gagen
übersteigen bald schon die seiner Lehrer und vieler Kollegen um ein Vielfaches.
Kommentare, die er hie und da (meist von den Angehörigen der Kollegen) über
seine exorbitant hohen Künstlergagen hört - er bekommt für einen
Sonatenabend etwa das Zehnfache wie sein Lehrer Adolf Busch - sind dem
feinsinnigen Jungen unangenehm, - das mag zu den (kleinen) Kehrseiten eines
solchen kometenhaften Aufstiegs gehören.
Im Sommer 1933 beispielsweise, dem letzten vor der Machtübernahme der Nazis,
fährt Yehudi Menuhin zusammen mit seinem Vater in einem luxuriösen Packard zu
den Mozart-Festspielen nach Salzburg. Beim Anblick des Wagens bemerkt - etwas
spitz - Frau Kreisler:
„Mein Mann kann auf eine lange Karriere zurückblicken, - aber er kann es sich
nicht leisten in so einem dicken Packard zu fahren wie Du.Wir fahren nur einen
Ford.“
Auch an anderen Stellen zeigen sich feine Risse während dieser BilderbuchJahre: Vielleicht beginnt sich der heranwachsende Geiger in dieser Zeit darüber
bewusst zu werden oder überhaupt zu bemerken, das etwas fehlt in diesem
Künstlerleben als Jungstar: Die familiäre Glocke ist dicht, die Mutter Marutha
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wacht weiterhin streng über den Tagesablauf, Vater Moshe managt Sohn und
Karriere und sucht auch die Lektüre aus. Die beiden Schwestern sind immer
dabei, mit Hephzibah spielt Yehudi häufig im Duo, manchmal auch mit Yalta - sie
scheint die einzige in der Familie, die aneckt und auch mal aufbegehrt. Immer
wird sich gekümmert, geplant, begleitet, dem Jungen wird in den Konzertpausen
der Rücken mit Eau de Cologne eingerieben und Yehudi Menuhin wird 18, bevor
er zum ersten Mal alleine eine Straße überquert.
Andererseits bereist er die ganze Welt, erlebt andere Länder, begegnet anderen
Musikern. 1935 die Welttournee: 110 Konzerte in 72 Städten, Australien,
Neuseeland, Südafrika, Europa. Dazu Gedanken, vielleicht ein Sehnen, sein eher
intuitives als analytisches Spiel auf andere Füße zu stellen:
„Ich war hinaufkatapultiert worden zu Beethoven.
Ich hatte etwas erfasst oder besser erahnt, ehe der Abgrund,
der mich davon trennt, tatsächlich überbrückt war.
Nicht Musik, nur das Leben selbst würde diese Brücke bilden.“
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Musik 9
Edward Elgar (1857-1934)
ca. 1´30 CD1 <1>
Ausschnitt aus 1. Satz - Allegretto (17`10)
aus: Violinkonzert b-moll op 61
Yehudi Menuhin, Violine
London Symphony Orchestra Ltg. Edward Elgar
(recorded 14./15. Juli 1932 No. 1 Studio, Abbey Road)
Warner 0825646777051, LC 02822
Box: Historic Recordings
M0066079 016
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Süß und sehnend - dieses zweite Thema im ersten Satz von Edward Elgars
Violinkonzert hat etwas von diffusem Verlangen, so wie es arbeiten mag in
jungen Menschen, ein Sehnen nach - ja, wonach? Georges Enescu hat diese zweite Thema als „sehr englisch“ bezeichnet, als
„ekstatisch, verträumt und sehr real“.
Hier spielte es der 16-jährige Yehudi Menuhin 1932 in London mit Edward Elgar am
Pult des London Symphony Orchestra.
1936, im Alter von zwanzig Jahren, kann Yehudi Menuhin schon auf eine
zehnjährige Karriere zurückblicken und jetzt legt der längst weltberühmte Geiger
die Violine in ihren Kasten und macht ein Sabbatical, er nimmt sich eine Auszeit:
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Drei Monate rührt er die Geige nicht an, anderthalb Jahre lang spielt er kein
Konzert, später im Rückblick beschreibt er diese Zeit als
„...glücklich und sorglos, es war eine heitere, unbekümmerte,
goldene Zeit - ohne einen Gedanken an morgen“.
Die Eltern stellen sich diese Zeit wohl vor als Übergang in die Selbstständigkeit,
Selbstbestimmtheit des Sohns. - Nur, wie soll das gehen?
Es wird gehen - wenn auch nicht ohne Holpern - indem Yehudi Menuhin, der sich
Hals über Kopf verliebt hat, auch Hals über Kopf heiratet, eine junge Australierin,
Nola Nicholas, reich, lebenslustig, lebenshungrig. - Eine merkwürdige Art der
Familienauflösung kommt in Gang, denn innerhalb von einem Jahr (1938)
werden auch Yehudis Schwestern heiraten:
Hephzibah wird mit Nolas Bruder Lindsay, einem Viehzüchter, nach Australien
gehen und Yalta, gerade 16, heiratet den Juristen William Stix. Keinem wird
bewusst gewesen sein, dass diese Monate in Kalifornien Familienabschied
bedeuten, Abschied von zwanzig Jahren Nomadenleben im Fünfer-Verband.
Mit zwanzig kann Menuhin nicht nur auf eine fulminante Konzertkarriere
zurückschauen, er hat inzwischen auch eine stattliche Reihe von Werken im
Studio eingespielt, die neuen Möglichkeiten der Tonaufnahme begeistern ihn: Die
erste in den Abbey Road Studios - in Amerika hat er schon1928 aufgenommen war 1931 das Violinkonzert von Max Bruch, ein Jahr nach der Eröffnung der „EMI
Recording Studios“ (wie sie damals noch heißen) folgt dann Elgars Violinkonzert.
Gewidmet hat Elgar sein Violinkonzert übrigens Fritz Kreisler, der 1910 auch die
Uraufführung gespielt hat, doch der instinktsichere Produzent Fred Gaisberg (er
hatte immerhin Caruso entdeckt) empfiehlt Elgar den jungen Yehudi Menuhin für
die Aufnahme und der alte Komponist - Elgar ist da Mitte siebzig - und der junge
Geiger verstehen sich auf Anhieb, hier mangelt es an nichts in Menuhins Spiel und
Ausdruck.
Beim ersten Treffen, als Menuhin Elgar den Solopart vorspielt, unterbricht der
Komponist schon nach wenigen Takten, Menuhin hat da noch nicht einmal das
lyrische zweite Thema erreicht. Elgar ist zufrieden, der Komponist weiß seine Musik
jetzt bei Menuhin in guten Händen und kann das machen, was er eigentlich
sowieso an diesem Tag vorhatte - Menuhin hat diese Szene sein Leben lang gern
erzählt:
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Mit „It´s a lovely day“, soll Elgar den überraschten Teenager mitten im Solopart
unterbrochen haben,
„Es ist ein wunderbarer Tag heute
und ich habe überhaupt keine Bedenken!
- I´m off to the races, ich bin zum Pferderennen!“
- Manchmal entstehen so die besten Aufnahmen:
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Musik 9
Edward Elgar (1857-1934)
ca. 5´20 CD7 <1>
Ausschnitt aus 1. Satz - Allegretto (17´20)
aus: Violinkonzert b-moll op 61
Yehudi Menuhin, Violine
London Symphony Orchestra
Ltg. Edward Elgar
(recorded 14./15. Juli 1932 No. 1 Studio, Abbey Road)
Warner 0825646777051, LC 02822
M0066079 016
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Das Finale aus dem 1. Satz des Violinkonzerts von Edward Elgar mit dem 16jährigen Yehudi Menuhin, aufgenommen 1932 in London mit Edward Elgar am
Pult des London Symphony Orchestra.
Nur „heiter und unbekümmert“ übrigens kann das Sabbatical nicht gewesen
sein: Als Menuhin nach drei Monaten langsam wieder zu spielen beginnt, stellt er
fest, dass Technik und Sicherheit sich nicht so zuverlässig wieder abrufen lassen.
1937 dann meldet er sich auf der Konzertbühne zurück und das mit der
Uraufführung eines lange vernachlässigten Werks: und zwar mit dem Violinkonzert
d-moll von Robert Schumann in seiner originalen Gestalt. Kurz zuvor hatte Georg
Kulenkampff es im Rahmen einer NS-Veranstaltung mit den Berliner
Philharmonikern gespielt, allerdings in einer bearbeiteten Fassung.
Nach dem Tod von Robert Schumann hatten sich Clara Schumann und Joseph
Joachim gegen eine Veröffentlichung des Konzertes entschieden, die Gründe
dafür sind bis heute nicht ganz klar, sicherlich entspricht das Konzert nicht den
damaligen Konventionen für ein Solokonzert, keiner der Sätze hat beispielsweise
eine Kadenz.
Den dritten Satz, der ähnlich wie ein Rondo immer wieder das Kopfthema
artikuliert, hat Schumann sich als „stattliche Polonaise“ vorgestellt. Damit es aber
schreiten kann muss das originale, ziemlich langsame Tempo gespielt werden,
dann hat das Thema zugleich etwas Sehnsüchtiges und gehalten-Zehrendes.
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An die Tempoangabe hat sich auch Menuhin sich 1938 noch nicht gehalten - so
wird es erst in wesentlich jüngeren Aufnahmen gespielt, beispielsweise von Gidon
Kremer oder Isabelle Faust - doch Menuhin war der erste, der dieses Konzert nicht
gekürzt, der die Violin-Passagen nicht oktaviert oder anders bearbeitet hat,
sondern die Musik einfach im Original gespielt hat:
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Musik 10
Robert Schumann
8´55 CD7 <3>
3. Satz – Lebhaft, doch nicht zu schnell
aus: Violinkonzert d-moll
Yehudi Menuhin, Violine
New York Phiharmonic Orchestra
Ltg. John Barbirolli
(recorded 9.11.1938, Carnegie Hall, New York
Warner 0825646777051, LC 02822
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ABSAGE:
Das war die Musikstunde, in dieser Woche dem 100. Geburtstag von Yehudi
Menuhin gewidmet. Zuletzt hörten Sie ihn als Solisten in einer Aufnahme mit dem
dritten Satz aus dem Violinkonzert von Robert Schumann, John Barbirolli leitete
hier das New York Phiharmonic Orchestra.
Morgen werden wir Menuhin durch die Kriegsjahre begleiten und nach dem
Krieg erleben, wie er beginnt, ein Repertoire neben den Standardwerken zu
entdecken und wie er zunehmend für seine Überzeugungen eintritt: mit Musik für
diejenigen Menschen, die an den Rändern der Gesellschaft stehen.
Für heute verabschiedet sich AvS.
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