Hypophysenadenome

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Augenärztliche Fortbildung
Hypophysenadenome
(Pituitary adenomas)
Annette Schmidt-Bacher
Augenklinik der St. Vincentius-Kliniken Karlsruhe
Zusammenfassung: Die Betreuung von Patienten mit Hypophysenadenomen erfordert eine
interdisziplinäre Zusammenarbeit von Augenärzten, Endokrinologen, Neuroradiologen, Neu­
rochirurgen und Strahlentherapeuten. Bei Sehstörungen mit Gesichtsfelddefekten oder Be­
einträchtigung der Okulomotorik ist der Augenarzt oft derjenige, der zur Diagnosefindung
beiträgt. Aber auch im Rahmen von Verlaufsuntersuchungen unter medikamentöser, neu­
rochirurgischer oder strahlentherapeutischer Behandlung ist eine augenärztliche Untersu­
chung wichtig. Das klinische Bild von Patienten mit Hypophysenadenomen wird dadurch
beeinflusst, ob und welche Hypophysen­hormonstörung vorliegt und ob durch die Größe des
Hypo­physenadenoms zusätzliche Lokalsymptome vorhanden sind. Ziel dieses Artikels ist es,
die verschiedenen Aspekte der interdisziplinären Betreuung von Patienten mit Hypophysen­
adenomen herauszuarbeiten.
Z. prakt. Augenheilkd. 33: 347 – 358 (2012)
Stichworte: Hypophysen­
adenome, Interdisziplinäre
Behandlung, Gesichtsfeld­
defekte, Optische Kohärenz­
tomographie, Hypophysen­
apoplex
Summary: The care of patients with pituitary adenomas needs the interdisciplinary work
of different disciplines: ophthalmology, endocrinology, neuroradiology, neurosurgery and
radio­therapy. For patients with ophthalmological symptoms such as visual field defects
the ophthalmologist is often the first to make the diagnosis. Ophthalmological follow up
examinations are necessary during medical, neurosurgical and radiotherapeutical treat­
ment. The clinical manifestations of patients with pituitary adenomas are affected by
existing hormonal abnormalities and the nature of hormonal changes. Size and location of
the pituitary adenoma is responsible for neurological symptoms, such as visual impairment
or head­ache. The clinical presentation, evaluations and management of individual pituitary
adenomas will be discussed.
Z. prakt. Augenheilkd. 33: 347 – 358 (2012)
Keywords: Pituitary
adenomas, interdisciplinary
work, visual field defect,
optical coherence tomo­
graphy, pituitary apoplex
Professor Dr. Gerold Kolling
zum 65. Geburtstag gewidmet
Hirntumore im Bereich
des Chiasma opticum
Im Bereich des Chiasma opticum liegen
15 bis 20 % aller Hirntumore [8]. Unter den
chiasmal gelegenen Tumoren sind Hypo­
physenadenome mit 50 % die häufigsten [7].
Am zweithäufigsten sind Kraniopharyngeome
mit 25 %, danach folgen Meningeome mit
10 % und Gliome mit 5 %. Bei Hypophysen­
adenomen handelt es sich um eine gutartige
Neubildung hormonproduzierender Zellen der
Z. prakt. Augenheilkd. 33: 347 – 358 (2012)
Hypophyse. In Deutschland beträgt die Inzi­
denz von Hypophysenadenomen zirka 30 bis
40 pro einer Million Einwohner/Jahr [9]. Am
häufigsten treten Hypophysenadenome im
Alter zwischen 35 und 45 Jahren auf.
Interdisziplinäre Zusammenarbeit
Die Therapie von Hypophysentumoren er­
fordert eine interdisziplinäre Zusammen­
arbeit von Augenärzten, Neuroradiologen,
Endokrinologen, Neurochirurgen und Strah­
lentherapeuten. Da ein Teil der Patienten
sich aufgrund von Beeinträchtigungen des
Sehens – wie z. B. Sehverschlechterung,
Unabhängigkeitserklärung der
Autoren: Die Autoren versichern,
dass sie keine Verbindungen zu
einer der Firmen, deren Namen oder
Produkte in dem Artikel aufgeführt
werden, oder zu einer Firma, die ein
Konkurrenz­produkt vertreibt,
unterhalten. Die Autoren unterlagen
bei der Erstellung des Beitrages
keinerlei Beeinflussung. Es lagen
keine kommerziellen Aspekte bei der
inhaltlichen Gestaltung zugrunde.
347
A. Schmidt-Bacher: Hypophysenadenome
Auch während der
Behandlung der Patienten
durch Endokrinologen,
Neurochirurgen und
Strahlentherapeuten ist der
Augenarzt ein wichtiger
Partner.
Abbildung 1: Mit freundlicher Genehmigung der Neuroradiologischen Klinik, Heidelberg
Hypophysenadenome sind
benigne Tumoren der
Adenohypophyse, die nahezu
alle monoklonal aufgebaut
sind.
Gesichtsfelddefekte oder Doppelbilder –
zunächst beim Augenarzt vorstellen, ist es
wichtig, dass er diese Patienten erkennt
und zur geeigneten Bildgebung überweist.
Auch während der Behandlung der Patien­
ten durch Endokrinologen, Neurochirurgen
und Strahlentherapeuten ist der Augenarzt
ein wichtiger Partner, der eine Verschlechte­
rung im Gesichtsfeld oder neu aufgetretene
Störungen der Okulomotorik verifiziert und
eine Verlaufs­untersuchung unter Therapie
durchführt.
< 10 mm, Makroadenome mit einem
Durchmesser von > 10 mm (Abbildung 1)
und < 40 mm und Giant-Adenome mit
einem Durchmesser von > 40 mm un­
terschieden werden [2]. Die Anatomie
der Sellaregion wird in Abbildung 2 ge­
zeigt. Hierbei wird deutlich, dass Mikro­
adenome, die per definitionem kleiner als
10 mm sind, aufgrund des anatomischen Ab­
standes des Chiasmas von 10 mm oberhalb
der Sella keine Sehstörungen hervorrufen
können.
Pathogenese und klinische
Einteilung von
Hypopyhsenadenomen
Typische Symptome von
Hypophysenadenomen
Die Hypophyse besteht aus Adeno- und
Neurohypophyse. Hypophysenadenome
sind benigne Tumoren der Adenohypophyse,
die nahezu alle monoklonal aufgebaut sind.
Sie entstehen durch somatische Mutation
von Zellen des Hypophysenvorderlappens
[1]. Exogene Faktoren spielen bei der Patho­
genese keine nennenswerte Rolle [3].
Nach der Tumorgröße können Mikro­
adenome mit einem Durchmesser von
Abbildung 1: Hypophysenmakroadenom in­
tra- und suprasellär gelegen, asymmetrisch
konfiguriert, den linken Uncus erreichend
(MRT T1 gewichtet).
348
Typische Zeichen von Hypophysen­adenomen
sind:
n Lokalsymptome wie Ausfälle einzelner
Hirnnerven, Gesichtsfelddefekte und zentral­
nervöse Symptome;
n Hypophysen-Insuffizienz mit Mangel bzw.
komplettem Ausfall eines oder mehrerer Hor­
mone der Hirnanhangdrüse;
n Überproduktion einzelner Hypophysenhor­
mone.
Abbildung 2: Neuroophthalmologisch relevante Strukturen und Lagebezeichnung im Be­
reich des Chiasma opticum (modifiziert nach Lang et al., 1979)
Z. prakt. Augenheilkd. 33: 347 – 358 (2012)
A. Schmidt-Bacher: Hypophysenadenome
Gesichtsfelduntersuchung
Welches Gesichtsfeldprogramm ist bei Ver­
dacht auf Gesichtsfelddefekte bei chiasma­
nah gelegenen Raumforderungen geeignet?
Da zirka 70 % des Querschnitts des Chiasma
opticum Informationen der zentralen 30° des
Gesichtsfeldes weiterleiten, sollte ein Ge­
sichtsfeldprogramm gewählt werden, das mit
lichtschwachen Stimuli die zentralen 30° des
Gesichtsfeldes prüft (Abbildung 4). Die mit reiz­
starken Marken getesteten Gesichtsfeldau­
ßengrenzen können selbst bei deutlichen De­
fekten innerhalb des zentralen 30°-Bereichs
noch intakt sein. Die Computerperimetrie wird
routinemäßig genutzt, um Gesichtsfelddefek­
te zu erkennen und über den zeitlichen Ver­
lauf der Erkrankung quantitativ zu erfassen.
Wichtige statistische Parameter sind der Mit­
telwert und die Pattern Standardabweichung.
Patienten mit hormon­
inaktiven Hypophysentumoren
haben signifikant häufiger
Gesichtsfelddefekte als
Patienten mit hormonaktiven
Hypophysentumoren.
Abbildung 3: Schematischer Sehbahnfaser­
verlauf im Bereich des Chiasma opticum
nebst zugehörigen schematisierten Ge­
sichtsfelddefekten und deren prozentualer
Häufigkeitsverteilung. Die Auswirkungen
von Läsionen in verschiedenen Sehbahn­
abschnitten in Chiasmanähe auf das 30°-Ge­
sichtsfeld sind exemplarisch dargestellt:
1. z. B. kompressive Optikusläsion
2. partielle prächiasmale Läsion
3.„Anterior-junction-Syndrom“ unter (par­
tieller) Schädigung des vorderen Wilbrand‘­
schen Knies, das den kontralateralen nasal
unteren Netzhaut- und somit temporal obe­
ren Gesichtsfeldquadranten repräsentiert
und zusätzlich mit fortgeschrittenem oder
sogar vollständigem Funktionsverlust des
ipsilateralen Sehnervs einhergeht.
4. Läsion des unmittelbar zentralen Chias­
mabereichs
5. „Posterior-junction-Syndrom“ unter Schä­
digung des hinteren Wilbrand’schen Knies,
das den ipsilateralen nasal oberen Netz­
haut- und somit temporal unteren Gesichts­
feldquadranten repräsentiert und zusätzlich
mit einer homonymen Hemianopsie zur Ge­
genseite einhergeht.
6. Läsion des Tractus opticus
Z. prakt. Augenheilkd. 33: 347 – 358 (2012)
349
(aus Schiefer U. et al.: Praktische Neuroophthalmologie, Kaden Verlag 2003)
Gesichtsfelddefekte sind nur bei einem Teil
der Patienten vorhanden. Nach einer Stu­
die von Wittkowski 2004 hatten 43 % von
96 Patienten, die wegen eines Hypophy­
senadenoms operiert wurden, keine Ge­
sichtsfelddefekte [10]. Patienten mit hor­
moninaktiven Hypophysentumoren haben
signifikant häufiger Gesichtsfelddefekte als
Patienten mit hormonaktiven Hypophysen­
tumoren.
Typische Gesichtsfelddefekte sind bi­
temporale Gesichtsfelddefekte, die im obe­
ren Quadranten beginnen oder Gesichtsfeld­
defekte, die zumindest an einem Auge die
Mittellinie respektieren (Abbildung 3). Lokale
Irritationen durch ein Hypophysenadenom
führen neben Gesichtsfelddefekten auch zu
Ausfällen einzelner Hirnnerven, Kopfschmer­
zen und zentralnervösen Symptomen.
A. Schmidt-Bacher: Hypophysenadenome
Im Folgenden wird exemplarisch der Verlauf
des Gesichtsfeldes nach operativer Entfernung
eines hormoninaktiven Hypo­physenadenoms
gezeigt (Abbildung 5).
Optische Kohärenztomographie gibt
Hinweise auf die Prognose
Die optische Kohärenztomographie (OCT) mit
der Messung der retinalen Nervenfaserdicke
Messung (RNFL) und der Messung der Gan­
Abbildung 4a: Papillenfotos einer 70-jährigen
Patientin mit Makro­adenom der Hypophyse,
das in den rechten Sinus cavernosus wächst
und eine leichte Kompression der A. carotis
interna von kaudal hin sowie eine kraniale
Verlagerung und Kompression des Chiasma
und der Nervi optici verursacht. Visus rechts
0,5, links 0,4. Oben Foto der linken Papille
mit horizontalerr Abblassung, unten Foto der
rechten Papille mit horizontaler Blässe
350
glienzellschicht im Bereich der Makula vor
einer Hypophysenoperation gibt Hinweise auf
die Prognose der postoperativen Gesichts­
felddefektrückbildung (Abbildung 5b, c). Die
beste Korrelation zeigte die Dicke der tem­
poralen RNFL mit der Gesichtsfeldeinschrän­
kung nach der Operation. Die Messung des
Ganglienzellkomplexes, die sowohl die re­
tinalen Ganglienzellen als auch die Nerven­
faserschicht misst, ist ein weiterer wichtiger
prognostischer Faktor, der mit der postopera­
Abbildung 4b: (oben) 30°- und (unten) 90°-Octopus-Gesichtsfeld der Patientin aus Ab­
bildung 4a vor Therapie mit Bromocriptin. Inkompletter bitemporaler Gesichtsfelddefekt.
Z. prakt. Augenheilkd. 33: 347 – 358 (2012)
A. Schmidt-Bacher: Hypophysenadenome
tiven Sehschärfe eine sogar bessere Korrela­
tion zeigt als die Nervenfaserdicke [4].
Hypophysenapoplex
Eine gefürchtete Komplikation eines Hypo­
physenadenoms ist die Hypophysennekrose
mit Hypophysenapoplex, die zu plötzlicher
beidseitiger Erblindung und Augenmuskelpa­
resen führen kann. Ein Hypophysenapoplex
ist ein neurochirurgischer Notfall! Die Patien­
Abbildung 5a: Horizontale Papillenabblas­
sung R>L bei einer 37 jährigen Patientin mit
hormoninaktivem Hypophysenadenom.
Visusverlauf: Bei Erstuntersuchung 10/2010
rechts 0,2, links 1,0; Ende Oktober 2010
transsphenoidale Exzision des Hypophysen­
adenoms, 11/2010: rechts 0,3, links 1,0;
1/2011 rechts 0,4p, links 1,0; 8/2011 rechts
0,4, links 1,0; 2/2012 rechts 0,4, links 1,0
Z. prakt. Augenheilkd. 33: 347 – 358 (2012)
ten klagen über akut aufgetretene stärkste
Kopfschmerzen, akute Visusminderung bis
zur Erblindung und Doppelbilder. Teilweise
zusätzlich über Übelkeit und Erbrechen oder
Zeichen der meningealen Reizung, teilweise
über Bewußtseinseintrübung. Durch eine Ein­
blutung oder Ischämie eines Makroadenoms
der Hypophyse kommt es zu akuter Vergröße­
rung der Hypophyse mit Optikuskompression
und ggf. Störung der Okulomotorik. Einige
Fälle von Hypophysenapoplex sind beschrie­
Ein Hypophysenapoplex
ist ein neurochirurgischer
Notfall!
Abbildung 5 b: Spectraldomänen- OCT der Papille, Kreisscan R/L der Patientin aus 5 a.
Vergleich der retinalen Nervenfaserschicht R zu L 8/2011. Man erkennt deutlich R/L die
pathologische, horizontale Verdünnung der nasalen und temporalen Nervenfaserschicht
sowie die Nervenfaserschicht im Gesamten.
351
A. Schmidt-Bacher: Hypophysenadenome
Bei akuter Kompression des
Chiasmas sollte eine sofortige
neurochirurgische
Dekompression erfolgen.
ben, die bis hin zum Tod geführt haben [5].
Bei akuter Kompression des Chiasmas soll­
te eine sofortige neurochirurgische Dekom­
pression erfolgen, damit eine Chance auf eine
Erholung des Sehvermögens besteht.
Verlaufskontrollen
Für die Verlaufskontrollen von Patienten mit
Hypophysenadenomen sind Gesichtsfeld­
untersuchungen von entscheidender Bedeu­
tung. Zunächst muss der Ausgangsbefund
dokumentiert werden. Dann sollte unter
medikamentöser Behandlung oder nach
neuro­chirurgischem Eingriff bei unkom­
pliziertem Verlauf nach 6 Wochen und im
Verlauf des ersten Jahres in dreimonatigen
Abständen eine Kontrolle erfolgen. Später
sind Kontroll­intervalle in Jahresabständen
notwendig. Bei komplikationslosem Verlauf
können nach einem Zeitraum von 5 Jahren
Untersuchungen in 2-jährlichem Abstand
ausreichen. Bei hormonellen Veränderungen
wie Schwangerschaft und Hormonbehand­
lung sind deutlich kürzere Untersuchungs­
intervalle erforderlich – sie sind ggf. sogar
monatlich anzusetzen.
Endokrinologische Aspekte von
Hypophysenadenomen
Der Hypophysenvorderlappen produziert
Hormone, die ihrerseits peripher endokrine
Drüsen steuern. Hierzu gehören das
n Wachstumshormon (GH),
n Prolaktin,
n adrenokortikotropes Hormon (ACTH),
n thyroideastimulierendes Hormon (TSH),
n luteinisierendes Hormon (LH) sowie
n follikelstimulierendes Hormon (FSH).
Das Wachstumshormon kontrolliert den
Insulin-like-growth-factor-1 (IGF-1), ACTH
das Kortisol, TSH Thyroxin (T4) und LH und
FSH Östrogen und Testosteron.
Abbildung 5c: OCT Verlaufsuntersuchung bei Patientin aus 5a. Linkes Auge
352
Abbildung 5c: Spectral-Domänen-optische
Kohärenztomographie (SD-OCT) der linken
Papille respektive rechten Papille, Kreisscan
Verlaufsuntersuchungen. Es zeigt sich eine
horizontal verminderte Nervenfaserschicht­
dicke, die im Verlauf stabil bleibt.
Bild oben: Erstuntersuchung vor transsphenoi­
daler Exzision eines Hypophysenadenoms
Bild Mitte: Folgeuntersuchung 3 Monate nach
Operation
Bild unten: 9 Monate nach Operation
Z. prakt. Augenheilkd. 33: 347 – 358 (2012)
A. Schmidt-Bacher: Hypophysenadenome
Hypophysenadenome können in hormon­
produzierende und nicht hormonprodu­
zierende Tumoren unterschieden werden.
Endokrinaktive Tumore werden nach ihrem
hypersezernierten Hormon eingeteilt. Man
unterscheidet Prolaktin-, Wachstumshor­
mon-, adrenokortikotropes Hormon- produ­
zierende Tumore sowie Gonadotropin (FSH/
LH)-, TSH-sezernierende und gemischte
Hypo­physenadenome.
Der Hypophysenvorderlappen wird sei­
nerseits durch hypothalamische Peptide
reguliert. Hierzu gehören Growth-Hormonreleasing-Hormon (GHRH), Ghrelin (Growth
Hormone Release Inducing: Wachstumshor­
monfreisetzung einleitend), Somatostatin,
Dopamin, Corticotropin-releasing-Hormon
(CRH),Thyreotropin-releasing-Hormon (TRH)
und Gonadotropin-releasing-Hormon (GnRH).
Dies ist das endokrinologische Basiswissen für
Hypophysentests und zur medikamentösen
Therapie von hormonaktiven Hypophysentu­
moren. Die Testung der Hypophysenachsen
durch Endokrinologen ist zum Beispiel bei Pa­
tienten mit Hypophysentumoren, nach Ope­
ration oder Bestrahlung der Sellaregion oder
nach Schädel-Hirn-Trauma sinnvoll und nötig.
Die klinischen Symptome eines erhöhten
Prolaktinspiegels sind bei Frauen Menstrua­
tionsstörungen, Galaktorrhoe, bei Frauen und
Männern Libidoabnahme und Infertilität. Die
typischen Symptome einer Akromegalie sind
im Kindesalter Gigantismus und im höheren
Erwachsenenalter bei neu auftretender Akro­
megalie Vergröberung der Gesichtszüge und
Verknöcherungen der vorspringenden Teile
des Gesichts (Nase, Überaugenwülste und
Unterkiefer). Weichteile wie Lippen, Zunge,
Kehlkopf und Finger können fleischig an­
schwellen. Bei Kindern beschleunigt ein erhöh­
ter Wachstumshormon-Spiegel den Schluss
der Wachstumsfugen der Knochen und das
Längenwachstum des Körpers. 10 – 20 % der
Patienten mit Akromegalie entwickeln einen
Diabetes mellitus, da durch das Wachstums­
hormon die Regulierung des Blutzuckerspie­
gels gestört wird.
Z. prakt. Augenheilkd. 33: 347 – 358 (2012)
Therapie von Hypophysentumoren
Die Behandlung erfolgt je nach Hypopysen­
tumor medikamentös, chirurgisch oder ra­
diotherapeutisch. Die Therapie ist abhängig
von der Größe des Tumors. Eine Operation
ist bei suprasellären Makroadenomen mit
Chiasma­syndrom, bei suprasellären Makro­
adenomen ohne Chiasmasyndrom und ge­
planter Schwangerschaft und bei suprasellä­
rem Makroadenom ohne Chiasmasyndrom
Die Behandlung erfolgt je
nach Hypopysentumor
medikamentös, chirurgisch
oder radiotherapeutisch.
Abbildung 5c: OCT Verlaufsuntersuchung bei Patientin aus 5a. Rechtes Auge
353
A. Schmidt-Bacher: Hypophysenadenome
Prolaktinome werden primär
medikamentös mit Dopamin­
agonisten behandelt,
hierunter kommt es bei den
meisten Prolaktinomen zu
einer deutlichen Senkung des
Prolaktinspiegels und zur
Schrumpfung des Tumors.
mit Dopamin-Agonisten-Unverträglichkeit
angezeigt [8]. Die medikamentöse Behand­
lung von Hypophysenadenomen lässt sich
in die eigentliche pharmakologische Thera­
pie und die Hormonsubstitution gliedern. Die
Pharmakotherapie wird derzeit vorwiegend bei
den Prolaktinomen oder den HGH-sezernie­
renden Adenomen eingesetzt. Dabei stehen
hauptsächlich die Dopaminagonisten und die
Somatostatin­analoga zur Verfügung.
Dopaminagonisten
Prolaktinome werden primär medikamentös
mit Dopaminagonisten behandelt, hierunter
kommt es bei den meisten Prolaktinomen
zu einer deutlichen Senkung des Prolaktin­
spiegels und zur Schrumpfung des Tumors.
Das Präparat zeigt seinen Wirkungsbeginn
binnen 72 Stunden [5]. Ist bereits eine parti­
elle Optikusatrophie eingetreten, so wird es
zu keiner Verbesserung des Gesichtsfeldes
Abbildung 5 d: 30° Compu­
ter-Perimetrie linkes Auge
(OS) und rechtes Auge (OD)
bei Erstuntersuchung mit in­
kompletter, rechts betonter,
inkongruenter, bitemporaler
Hemianopsie. Mittlere Sen­
sitivität (MS): rechts 13,8
dB, links 22,4 dB; Mittlerer
Defekt (MD): rechts 14,2 dB,
links 5,5 dB
354
Z. prakt. Augenheilkd. 33: 347 – 358 (2012)
A. Schmidt-Bacher: Hypophysenadenome
Abbildung 5e: 30° Compu­
ter-Perimetrie linkes Auge
(OS) und rechtes Auge (OD)
mit inkompletter, inkongru­
enter, bitemporaler Hemian­
opsie.
3 Monate nach neurochirur­
gischem, transsphenoidalem
Eingriff sieht man eine deut­
liche Befundbesserung der
Gesichtsfelddefekte. Mittlere
Sensitivität: (MS) rechts 26,3
dB, links
23,3 dB; Mittlerer Defekt:
(MD) rechts 1,6 dB, links
4,6 dB
Abbildung 5f: 9 Monate
postoperativ zeigt sich ein
weitgehend stabiler Befund
der bitemporalen Hemian­
opsie. Mittlerer Defekt (MD)
rechts 2,3 dB, links 4,6 dB
Abbildung 5g: 15 Monate
nach Hypophysentumor­
exzison ist es zu einer
Rückbildung der Tiefe der
Gesichtsfelddefekte mit in­
kompletter, inkongruenter,
bitemporaler Hemianopsie
gekommen. Mittlerer Defekt
(MD) rechts 0,8 dB, links 3,8
dB
Z. prakt. Augenheilkd. 33: 347 – 358 (2012)
355
A. Schmidt-Bacher: Hypophysenadenome
Die Somatostatinanaloga
(z. B. Octreotid) stellen die
wirksamsten Medikamente
zur Behandlung der
Akromegalie dar.
Der Augenarzt sollte an den
Neurochir­urgen Anamnese,
aktuelle ophthalmologische
Befunde, bereits vorliegende
Zusatzbefunde und eine
zusammenfassende
Beurteilung weitergeben.
kommen. Wird ein Prolaktinom jedoch früh
erkannt, können sich Gesichtsfelddefekte
innerhalb eines Jahres zurückbilden.
Dopaminagonisten wirken über den Dopa­
min-D2-Rezeptor-Subtyp hemmend auf die
Ausschüttung von Prolaktin aus der Adeno­
hypophyse. Zu den Dopamin­agonisten der
ersten Generation zählt Bromocriptin (Pravi­
del®); zu den Präparaten der zweiten Gene­
ration Cabergolin (Dostinex®) und Quinagolid
(Norprolac®). Vorteile der Präparate der zwei­
ten Generation sind die längere Wirksamkeit
und bessere Verträglichkeit.
Typische Nebenwirkungen unter der Thera­
pie mit Dopaminagonisten sind: Übelkeit, Er­
brechen, orthostatische Dysregulation, sel­
tener Obstipation, Schwindel und Schwel­
lung der Nasenschleimhaut.
Somatostatinanaloga
Die Somatostatinanaloga (z. B. Octreotid)
stellen die wirksamsten Medikamente zur
Behandlung der Akromegalie dar. Jedoch
Exemplarische Krankengeschichte
Ein Beispiel aus dem klinischen Alltag ist die Erkrankung einer
28-jährigen Frau, die sich notfallmäßig in der Sprechstunde vor­
stellte, da sie erstmalig 3 Tage zuvor neu aufgetretene Doppel­
bilder beim Blick in die Ferne bemerkt hatte. Bei regelrechtem
Visus und Gesichtsfeld bestand in der Ferne ein manifestes In­
nenschielen rechts mit einem Schielwinkel sowohl bei Rechtsals auch bei Linksfixation von simultan C6°, alternierend C8°.
In der Nähe bestand ein manifestes Innenschielen mit C3°
simultan und C6° alternierend. Beim Blick nach rechts war der
Schielwinkel bei C5°, beim Blick nach links C8,5°. Die Motilität
war beidseits 30° über der Mittellinie. Auf Nachfrage berichtete
die Patientin über Schwindel und Kopfschmerzen in den letzten
Tagen. Ein kraniales MRT (Abbildung 1) zeigte ein intra- und
supraselläres Hypophysenadenom mit Verlagerung des linken
Uncus. Die Bestimmung des Prolaktinspiegels ergab eine mehr
als 100-fache Erhöhung (103 705, Normwert 60 – 620). Hiermit
konnte die Diagnose eines Prolaktinoms gesichert und die
Therapie mit Dopamin­agonisten begonnen werden.
356
sollte bei Wachstumshormon produzie­
renden Tumoren primär die Operation an­
gestrebt werden [8]. Somatostatinanaloga
normalisieren den IGF-1-Spiegel bei 66 %
der Patienten. Bei Unverträglichkeit der me­
dikamentösen Therapieformen oder bei Ver­
sagen dieser Therapie ist der Wachstums­
hormonantagonist Pegvisomant zugelassen
und erreicht eine Normalisierung des IGF-1Spiegels bei 90 % der Patienten mit Akro­
megalie. Nur noch selten kommen zusätzlich
Dopamin­agonisten zur Sekretionshemmung
des Wachstumshormons zum Einsatz. Eine
Hypophyseninsuffizienz kann sowohl partiell
als auch vollständig (Panhypo­pituitarismus)
auftreten und prä- und/oder postopera­
tiv vorkommen. Die Substitutionstherapie
richtet sich nach der Stärke und der Art der
Achsenausfälle. Die kortikotrope und thyre­
otrope Achse sind lebenswichtig und sollten
in jedem Fall mit Hydrokortison bzw. Schild­
drüsenhormonen ersetzt werden. Die Dosis­
anpassung ist dabei individuell vorzuneh­
men und muss beim Hydrokortison körper­
lichen Belastungen bzw. Stress­situationen
angepasst werden.
Ein Ausfall der gonadotropen Achse wird
beim Mann durch die Gabe von Testosteron
und bei der Frau durch Östrogen/Gestagen­
präparate substituiert.
Neurochirurgische Aspekte
der Behandlung von Hypophysen­
tumoren
Ziel der operativen Behandlung ist die se­
lektive Adenomektomie unter Erhaltung der
Hypophysenfunktion.
Der Augenarzt sollte an den Neurochir­urgen
Anamnese, aktuelle ophthalmologische Be­
funde, bereits vorliegende Zusatzbefunde und
eine zusammenfassende Beurteilung weiter­
geben. Ist es noch zu keiner Optikus­atrophie
gekommen, bestehen gute Chancen, dass
sich Visusminderung, Farbentsättigung und
Gesichtsfelddefekte nach einem neurochirur­
gischen Eingriff wieder verbessern können [8].
Z. prakt. Augenheilkd. 33: 347 – 358 (2012)
A. Schmidt-Bacher: Hypophysenadenome
Operation transnasal
transsphenoidal oder transkranial
Es stehen zwei Zugangswege zur Verfügung,
die transnasale transsphenoidale Operation
und die transkraniale Operation. Die Mehr­
zahl der Patienten (90 %) kann transnasal
operiert werden. Eine transkraniale Operati­
on ist nötig bei großen, asymmetrisch nach
suprasellär, retrosellär und subfrontal entwi­
ckelten Hypophysenadenomen (10 %). Der
Zugang erfolgt über einen Bügelschnitt hinter
der Stirn-Haar-Grenze, transkranial über eine
Trepanation mit einem kleinen fronto-lateralen
Knochendeckel, ggf. mit Erweiterung nach
temporal (pterionaler Zugang). Bei subfrontal
entwickelten Hypo­physenadenomen sowie
bei größeren supra- und retrosellär entwi­
ckelten Tumoren ist der Zugang eine kleine
subfrontale Trepanation.
Die Häufigkeit und Schwere von Komplikati­
onen korrelieren mit der Größe des Tumors.
Komplikationen sind Liquorfisteln, Meningi­
tiden, Nachblutung und Hormonstörungen.
Sehverschlechterungen treten nach trans­
sphenoidalen Operationen sehr selten auf
(<0,5 %), nach transkranialen Operationen
bei 10 – 20 % der Patienten [6].
Als wesentliche Kriterien für den Behand­
lungserfolg dienen die erhobenen Resttumorund Rezidivraten. Für beide Merkmale finden
sich im Schrifttum extrem große Variabilitäten
von zirka 10 % bis über 80 % [10].
Strahlentherapeutische Optionen der
Therapie
Falls operative und medikamentöse Be­
handlungsmaßnahmen nicht ausreichen,
kann die fraktionierte Strahlentherapie ein­
gesetzt werden. Die Radiochirurgie wirkt
rascher und stärker als die fraktionierte
Z. prakt. Augenheilkd. 33: 347 – 358 (2012)
Strahlentherapie und kann bei inoperablen
Adenomresten oder Rezidiven eingesetzt
werden. Als weitere strahlentherapeutische
Option kommt die Hochpräzisionsstrahlen­
therapie infrage, die heutzutage in der Regel
die stereotaktische Methode benutzt, d. h.
ein Koordinatensystem zur Lokalisation der
Zielstruktur. Die fraktionierte, stereotakti­
sche Strahlentherapie steht für größere
Adenome und solche, die das optische
System erreichen, zur Verfügung.
Fazit
Bitemporale Gesichtsfelddefekte oder Ge­
sichtsfelddefekte, die zumindest an einem
Auge die Mittellinie respektieren, lassen ei­
nen chiasmanah gelegenen Tumor vermuten.
Falls der Tumor das Chiasma opticum noch
nicht erreicht hat, aber in den Sinus caverno­
sus gewachsen ist, können Doppelbilder und
Kopfschmerzen die wegweisenden Sympto­
me zur Diagnose sein.
Hypophysenadenome sind die häufigsten
chiasmanah gelegenen Tumoren. Unter den
Hypophysenadenomen finden sich am häu­
figsten Prolaktinome. Bei Hypophysentumo­
ren ist die Therapie von der Größe und dem
Typ des Hypophysenadenoms abhängig.
Bei suprasellären Hypophysenmakroadeno­
men mit Chiasmasyndrom ist in der Regel
eine Operation angezeigt [5]. Diese wird bei
90% der Patienten transnasal, transspheno­
idal durchgeführt. Bei großen asymmetrisch
nach suprasellär, retrosellär und subfrontal
entwickelten Hypophysenadenomen (10%)
ist ein transkranialer Zugang erforderlich.
Falls operative und medikamentöse Behand­
lungsmaßnahmen nicht ausreichen, kann die
Strahlentherapie eingesetzt werden.
Bitemporale Gesichtsfeld­
defekte oder Gesichtsfeld­
defekte, die zumindest an
einem Auge die Mittellinie
respektieren, lassen einen
chiasmanah gelegenen
Tumor vermuten.
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A. Schmidt-Bacher: Hypophysenadenome
Literatur
Korrespondenzadresse:
Dr. med. Annette
Schmidt-Bacher
Augenklinik der
St. Vincentius-Kliniken
Steinhäuserstraße 18
76135 Karlsruhe
E-Mail:
[email protected]
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