dtv Taschenbücher Die Araber von Bernard Lewis, Wolfram Bayer 1. Auflage Die Araber – Lewis / Bayer schnell und portofrei erhältlich bei beck-shop.de DIE FACHBUCHHANDLUNG dtv München 2002 Verlag C.H. Beck im Internet: www.beck.de ISBN 978 3 423 30866 3 dtv Bernard Lewis gibt einen anschaulichen und fundierten Einblick in die Identität und in das kulturelle Erbe der arabischen Völker. Er zeichnet ihre Geschichte von den Anfängen in vorislamischer Zeit über die Entstehung des Islam, das Zeitalter der Eroberungen im Nahen und Mittleren Osten, die Entstehung des Islamischen Weltreiches, den Zerfall der arabischen Macht bis zu den heutigen arabischen Nationalstaaten nach. Er zeigt einerseits, welchen Einfluss die arabische Kultur auf die europäische Geschichte hatte, verdeutlicht andererseits den Einfluss des Westens auf die modernen islamischen Staaten und erklärt die aktuelle Konfliktlage. Bernard Lewis, geboren 1916 in London, war bis 1986 Professor für Nahost-Studien an der Princeton University. Er gilt als einer der besten Kenner des Nahen Ostens. Seine Werke wurden in zahlreiche Sprachen übersetzt und mehrfach ausgezeichnet. Auf deutsch sind u. a. erschienen: >Die politische Sprache des Islam< (1991); >Der Atem Allahs. Die islamische Welt und der Westen — Kampf der Kulturen?< (1994; dtv 30640); >Der Untergang des Morgenlandes. Warum die islamische Welt ihre Vormacht verlor< (2002) . Bernard Lewis Die Araber Aus dem Englischen von Wolfram Bayer Deutscher Taschenbuch Verlag Die deutsche Erstausgabe dieses Buches erschien 1995 im Europa Verlag, Wien. Dezember 2002 2. Auflage Juni 2003 Deutscher Taschenbuch Verlag GmbH & Co. KG, München www.dtv.de © Bernard Lewis 1958, 1964, 1966, 1970, 1993 Titel der englischen Originalausgabe: >The Arabs in History< Zuletzt erschienen bei Oxford University Press 2002 © der deutschsprachigen Ausgabe: 2002 Deutscher Taschenbuch Verlag GmbH & Co. KG, München Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Sämtliche, auch auszugsweise Verwertungen bleiben vorbehalten. Umschlagkonzept: Balk & Brumshagen Umschlagfoto: © Kurt-Michael Westermann Gesamtherstellung: Druckerei C. H. Beck, Nördlingen Gesetzt aus der Baskerville Gedruckt auf säurefreiem, chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany . ISBN 4-423-30866-4 Inhalt Vorwort zur Neuauflage 7 Vorwort zur ersten Auflage 8 Einführung 11 Kapitel 1 Arabien vor dem Islam 27 Kapitel 2 Muhammad und das Erwachen des Islam 45 Kapitel 3 Das Zeitalter der Eroberungen 62 Kapitel 4 Das Arabische Königreich 82 Kapitel 5 Das Islamische Weltreich 103 Kapitel 6 „Der Aufstand des Islam" 129 Kapitel 7 Die Araber in Europa 150 Kapitel 8 Die islamische Zivilisation 169 Kapitel 9 Der Niedergang der Araber 187 Kapitel 10 Der Einfluß des Westens 213 Zeittafel 247 Anmerkungen 255 Lesehinweise 258 Glossar 263 Register 267 Kartenverzeichnis Der Nahe und Mittlere Osten in vorislamischer Zeit 35 Das Islamische Weltreich — Ausdehnung und wichtigste Handelsrouten 116 Der Zerfall der politischen Einheit im neunten und zehnten Jahrhundert 124 Die großen Invasionen des elften Jahrhunderts 195 Das Vordringen der europäischen Kolonialmächte im neunzehnten und zwanzigsten Jahrhundert 220 Die arabische Welt im Jahr 1992 228 Anmerkung des Übersetzers: Für das Arabische wurde eine vereinfachte Transkription gewählt, die sich an der deutschen Aussprache orientiert. Vorwort zur ersten Auflage fieses Buch ist weniger eine herkömmliche Geschichte der Araber als ein Interpretationsversuch. Ich habe bewußt daraufverzichtet, dieses so umfangreiche Thema in Form einer bloßen Aufzählung von Daten und Ereignissen bewältigen zu wollen, sondern habe versucht, bestimmte Grundthemen herauszuarbeiten und zu beleuchten: die Stellung der Araber in der Geschichte der Menschheit, ihre Identität, ihre Errungenschaften sowie die wesentlichen Merkmale der einzelnen Perioden ihrer historischen Entwicklung. In einer Darstellung dieser Art ist es weder möglich noch erstrebenswert, einen Quellennachweis für jedes angeführte Faktum und jede Interpretation zu erbringen. Orientalisten werden unschwer erkennen, was ich den einstigen und heutigen Autoritäten der islamischen Geschichte verdanke. Im übrigen kann ich nur auf meine generelle Schuld meinen Vorgängern, Lehrern, Kollegen und Studenten gegenüber verweisen, die mir auf unterschiedliche Weise ermöglicht haben, die auf den folgenden Seiten dargestellte Sicht der arabischen Geschichte zu erarbeiten. Besonderen Dank schulde ich Professor Sir Hamilton Gibb, den verstorbenen Professoren U. Heyd und D. S. Rice, die das Manuskript durchgesehen und kritisiert haben, Frau J. Bridges für die Erstellung des Registers und Professor A. T. Hatto für zahlreiche nützliche Anregungen. B. L. London, 194 7 Vorwort zur Neuauflage fieses Buch wurde 1947 geschrieben und erschien erstmals im Jahr 1950. Es hat in der Folge fünf Neuauflagen und zahlreiche Nachdrucke in Großbritannien wie auch in den Vereinigten Staaten erlebt. Es wurde in elf Sprachen übersetzt, von denen vier (nämlich Arabisch, Türkisch, Malaiisch und Indonesisch) in muslimischen Ländern gesprochen werden. Die arabische Fassung stammt von zwei anerkannten arabischen Historikern und erntete in Ägypten das Lob eines so hervorragenden Arabisten wie Schafik Gorbal. Dies konnte allerdings nicht verhindern, daß es in Pakistan aufgrund einer darin enthaltenen respektlosen Äußerung über den Propheten — ein Dante-Zitat, das ich als Beispiel für die bigotten Vorurteile des mittelalterlichen Europa angeführt hatte — verboten wurde. In jüngerer Zeit ist das Buch von epistemologischer Seite kritisiert worden. Ungeachtet dieser Kritiken hat das Buch in vielen Ländern Verbreitung gefunden, wohl auch aufgrund des Mangels an anderen Arbeiten, in denen die arabische Geschichte ähnlich knapp und auf einer ähnlichen Ebene der Analyse und Verallgemeinerung dargestellt wird. Es war jedoch in mehrfacher Hinsicht bereits veraltet, und als ich gebeten wurde, eine weitere Neuauflage vorzubereiten, erwies sich eine gründliche Überarbeitung als notwendig. Ursprünglich war es meine Absicht gewesen, nur die letzten Kapitel zu bearbeiten, welche jüngere Ereignisse behandeln und ganz offenkundig einer eingehenden Revision und zahlreicher Zusätze bedurften. Beim Wiederlesen des Textes, den ich beinahe fünfundvierzig Jahre zuvor verfaßt hatte, wurde mir jedoch bewußt, daß viel mehr Korrekturen nötig sein würden, um dieses Buch als überarbeitete und aktualisierte Ausgabe veröffentlichen zu können. Dabei wurden mehrere Arten von Korrekturen am Text vorgenommen. Einige von ihnen betreffen lediglich bestimmte Formulierungen; sie tragen dem im Lauf des letzten halben Jahrhunderts eingetretenen Bedeutungswandel bestimmter Begriffe Rechnung. Vorwort zur Neuauflage 9 So wurde etwa das Wort „rassisch" im Großbritannien der vierziger Jahre in Zusammenhängen verwendet, in denen das Wort „ethnisch" heute korrekter wäre. Als ich 1940 zur britischen Armee einrücken mußte, verlangte das Aufnahmeformular von jedem Rekruten, seine Rasse anzugeben; die erwartete Antwort lautete Engländer, Schotte, Waliser oder Ire, und die Entscheidung lag ausschließlich bei jedem einzelnen selbst. Heutzutage würde ein Gebrauch des Wortes „rassisch" in dieser Bedeutung Anstoß erregen und wäre vor allem auch irreführend. Es gibt noch weitere Begriffe, die ihre damalige Bedeutung verändert oder gänzlich verloren haben; andere wiederum sind völlig außer Gebrauch gekommen. An einigen Stellen, an denen ich die Bedeutung der von mir 1948 verwendeten Wörter ursprünglich beibehalten wollte, fand ich es dennoch notwendig, andere Wendungen zu benutzen, um ihre genaue Bedeutung für den heutigen Leser zu erhalten. Von größerem Belang sind jene Berichtigungen, die nicht nur die Formulierungen, sondern den Inhalt betreffen. Dabei handelt es sich um zwei Arten von Korrekturen. Die einen können als Korrekturen im engeren Sinn bezeichnet werden: Sie sollen den Text in Übereinstimmung mit dem gegenwärtigen Wissensstand und dem aktuellen Meinungsklima der Fachwelt bringen. Seitdem dieses Buch erstmals erschienen ist, haben zahlreiche Wissenschaftler in vielen Ländern über die hier behandelten Themen gearbeitet, sind dabei auf neue Fakten gestoßen und haben Einsichten gewonnen, die unsere Sicht der arabischen Vergangenheit in wesentlichen Bereichen verändert haben. Die andere Gruppe von Korrekturen ergab sich weniger aus den Fortschritten der Wissenschaft im allgemeinen als aus der Weiterentwicklung meiner eigenen Ansichten. Es gibt in der arabischen Geschichte, wie in anderen Bereichen auch, viele Dinge, die ich heute anders sehe als in der Zeit, in der ich dieses Buch geschrieben habe. Es wäre wohl verfehlt und letztlich nutzlos gewesen, das Buch so überarbeiten zu wollen, wie ich es heute geschrieben hätte. Das Ziel dieser Revision war bescheidener; es ging im wesentlichen darum, Einschätzungen zu korrigieren, zu denen ich mich heute 10 Die Araber nicht mehr bekennen kann, dort vorsichtigere Wendungen zu benutzen, wo ich mir meiner Sache nicht mehr so sicher bin wie damals, und dort neues Material heranzuziehen, wo dies für ein ausgewogeneres Gesamtbild notwendig schien. In beiden Fällen beließ ich es jedenfalls bei Zusätzen, Streichungen und Berichtigungen, wodurch der ursprüngliche Aufbau und Gedankengang beibehalten werden konnte. Und schließlich mußten auch Ereignisse in der arabischen Welt und anderswo eingearbeitet werden, die in den Jahren seit der ersten Niederschrift dieses Buches eingetreten sind. Diese Ereignisse sind natürlich schon von sich aus bedeutsam; darüber hinaus können sie aber auch die Wahrnehmung und Darstellung der weiter zurückliegenden Vergangenheit beeinflussen. Auf einen Abriß der jüngsten Vergangenheit beziehungsweise der zeitgenössischen Geschichte habe ich bewußt verzichtet. In einer Region und einer Zeit schneller und mitunter auch gewaltsamer Veränderungen bedarf es zu ihrer zutreffenden Einschätzung einiger Distanz, und jeder Versuch, mit den neuesten Entwicklungen Schritt halten zu wollen, wäre selbst rasch wieder veraltet. Die Zeittafel ergänzte ich um einige Ereignisse jüngeren Datums, die entweder das Aufsehen der Weltöffentlichkeit erregten oder mir in anderer Hinsicht wichtig schienen. Aus ähnlichen Gründen habe ich den Text auch um einige frühere Ereignisse erweitert, die in den Ausgaben zuvor keine Berücksichtigung gefunden hatten. Paradoxerweise hat mich die Vergrößerung des Wissensstandes nicht zu einer Erweiterung der Bibliographie gezwungen; sie konnte dank des Erscheinens einiger ausgezeichneter bibliographischer Übersichten und anderer Standardwerke sogar gekürzt werden. Die Erstausgabe enthielt dem Konzept der Reihe entsprechend keine Fußnoten. Ich bin dabei geblieben und habe auf detaillierte Verweise und Quellenangaben zu den in diesem Buch vertretenen Positionen verzichtet. B. L. Princeton, N. Juli 1992 Einführung as ist ein Araber? Ethnische Bezeichnungen sind bekanntlich schwer zu definieren, und die Begriffe „Araber", „arabisch" usw. zählen nicht gerade zu den einfachsten unter ihnen. Eine der möglichen Definitionen kann jedenfalls von vornherein ausgeschlossen werden. Die Araber mögen eine Nation sein, gehören aber, rechtlich gesehen, keineswegs nur einer Nationalität an. Jemand, der sich selbst als Araber bezeichnet, kann seinem Paß zufolge Staatsangehöriger Saudi-Arabiens, des Jemen, des Irak, Kuwaits, Syriens, Jordaniens, des Sudan, Libyens, Tunesiens, Algeriens, Marokkos oder eines anderen jener Staaten sein, die sich als arabische Staaten verstehen. Einige von ihnen — so etwa SaudiArabien, die Vereinigten Arabischen Emirate, die Arabischen Republiken Syrien und Ägypten — haben das Wort „arabisch" sogar in ihre offiziellen Bezeichnungen aufgenommen. Dennoch können ihre Bürger nicht einfach und ohne weiteres als Araber bezeichnet werden. Es gibt zwar arabische Staaten und auch eine Liga der Arabischen Staaten, aber keinen arabischen Staat, der alle Araber zu seinen Staatsbürgern zählen könnte. Obwohl das Arabertum also keinen rechtlichen Status hat, ist es nichtsdestoweniger real. Der Stolz eines Arabers, sein Bewußtsein, mit anderen, in der Vergangenheit oder in der Gegenwart lebenden Arabern verbunden zu sein, ist deshalb nicht weniger stark. Beruht dieses Zusammengehörigkeitsgefühl also auf der Komponente der gemeinsamen Sprache — sind ganz einfach alle jene Menschen Araber, die Arabisch als ihre Muttersprache sprechen? Dies wäre eine einfache und auf den ersten Blick auch befriedigende Antwort, doch bestehen auch hier bestimmte Schwierigkeiten. Sind der arabischsprachige Jude aus dem Irak oder dem Jemen oder der arabischsprachige Christ aus Ägypten oder dem Libanon Araber? Auf derartige Fragen würde man von den Betroffenen selbst wie auch von ihren muslimischen Nachbarn völlig unterschiedliche Antworten bekommen. Und ist eigentlich der ara- W 12 Die Araber bischsprachige Muslim aus Ägypten ein Araber? Viele von ihnen würden dies durchaus bejahen, aber nicht alle, und die Bezeichnung „Araber" wird in der ägyptischen und irakischen Umgangssprache nach wie vor zur Unterscheidung des Beduinen aus den umliegenden Wüstengebieten von den einheimischen Bauern der großen Flußtäler verwendet. In manchen Gegenden dient der umständliche Begriff „arabophon" auch der Abgrenzung der echten Araber von denen, die lediglich Arabisch sprechen. Bei einem Treffen arabischer Staatsmänner vor vielen Jahren wurde der Begriff „Araber" folgendermaßen definiert: „Araber ist ein jeder, der in unserem Land lebt, unsere Sprache spricht, in unserer Kultur aufgewachsen und auf unsere ruhmreiche Vergangenheit stolz ist." Dem läßt sich eine Definition gegenüberstellen, die von einer qualifizierten westlichen Quelle stammt, nämlich von Sir Hamilton Gibb: „Araber sind all jene, für die die Mission des Propheten Muhammad und die Erinnerung an das Arabische Reich das zentrale historische Faktum sind und die darüber hinaus die arabische Sprache und ihr kulturelles Erbe als ihre gemeinsame Wurzel betrachten und an ihr festhalten." Es fällt auf, daß sich keine dieser beiden Definitionen ausschließlich auf die Sprache bezieht; beide fügen ein kulturelles, und zumindest eine von ihnen auch ein religiöses Kriterium hinzu. Beide müssen historisch gesehen werden, da wir nur über die Geschichte der als arabisch bezeichneten Völker zu einem Verständnis der Entwicklung dieser Bezeichnung gelangen können — von ihrer ursprünglichen, engen Bedeutung in frühen Zeiten bis zu ihrem heutigen, erweiterten, aber nur unscharf abgegrenzten Sinn. Wie wir sehen werden, hat die Bedeutung des Worts „Araber" in diesem langen Zeitraum ständige Veränderungen erfahren; und da diese Veränderungen langsam vor sich gingen und äußerst komplex und tiefgreifend waren, werden wir zur Erkenntnis gelangen, daß dieser Begriff in mehreren verschiedenen Bedeutungen zugleich verwendet werden kann und es nur selten möglich war, seinen Inhalt absolut und endgültig zu definieren. Die Herkunft des Wortes „arabisch" liegt noch im dunkeln, Einführung 13 obwohl zahlreiche Philologen unterschiedlich plausible Erklärungen dazu vorgebracht haben. Für manche von ihnen ist das Wort von einer semitischen Wurzel mit der Bedeutung „Westen" abzuleiten und wurde erstmals von den Bewohnern Mesopotamiens auf die Völker westlich des Euphrattals angewandt. Diese Etymologie ist nicht nur linguistisch fragwürdig, sondern sieht sich auch mit dem Einwand konfrontiert, daß die Bezeichnung von den Arabern selbst benutzt wurde: Es ist recht unwahrscheinlich, daß ein Volk für sich selbst einen Begriff verwendet, der seine geographische Lage in bezug zu anderen Völkern angibt. Vielversprechender sind die Versuche, die das Wort mit dem Nomadentum in Zusammenhang bringen; dies wurde auf verschiedenste Weise versucht: über die Verbindung mit hebräisch Arabha, „düsteres Land, Steppenland"; über ebenfalls hebräisch Erebh, „vermischt und daher unorganisiert", im Gegensatz zum organisierten und geordneten Leben der von den Nomaden abgelehnten und verachteten seßhaften Gemeinschaften; über die semitische Wurzel Abhar, „reisen, weiterziehen", von der sich wahrscheinlich auch das Wort „hebräisch" herleitet. Dieser Zusammenhang mit dem Nomadentum wird durch die Tatsache erhärtet, daß die Araber selbst in frühen Zeiten das Wort zur Unterscheidung der Beduinen von den arabischsprachigen Stadt- und Dorfbewohnern verwendet haben und dies bis zu einem gewissen Grad auch heute noch tun. Die traditionelle arabische Etymologie, die das Wort von einem Verb mit der Bedeutung „ausdrücken" oder „aussagen" ableitet, ist ziemlich sicher eine Verkehrung der historischen Entwicklung. Ähnliches gilt etwa auch für die Verbindung von deutsch „deuten", „dem Volk verständlich machen", mit „deutsch", ursprünglich „zum Volk gehörig". Die älteste uns überlieferte Erwähnung Arabiens und der Araber findet sich im zehnten Kapitel der Genesis, wo zahlreiche Völker und Regionen der Halbinsel namentlich aufgezählt werden. Das Wort „Araber" kommt in diesem Text allerdings nicht vor; es taucht erstmals in einer assyrischen Inschrift aus dem Jahr 853 v. Chr. auf, in der König Salmanassar III. von der Niederwerfung 14 Die Araber einer Verschwörung aufständischer Prinzen durch das assyrische Heer berichtet; einer von ihnen, „Gindibu, der Aribi" mit Namen, hatte sich mit tausend Kamelen an der Streitmacht der Rebellen beteiligt. Von dieser Zeit an bis ins sechste Jahrhundert v. Chr. finden sich in assyrischen und babylonischen Inschriften zahlreiche Hinweise auf die „Aribi", „Arabu" oder „Urbi". Diese Inschriften berichten, daß die von den Oberhäuptern der Aribi geleisteten Tributzahlungen entgegengenommen wurden — sie bestanden im allgemeinen aus Kamelen und anderen Dingen, die auf ein Leben in der Wüste schließen lassen —, und erzählen gelegentlich auch von Feldzügen in das Gebiet der Aribi. Manche der späteren Inschriften enthalten darüber hinaus bildliche Darstellungen der Aribi und ihrer Kamele. Diese Feldzüge gegen die Aribi waren zweifellos keine Eroberungskriege, sondern Strafexpeditionen, die die herumziehenden Nomaden an ihre Pflichten als assyrische Vasallen erinnern sollten. Sie dienten generell dazu, die Grenzen und Verkehrswege Assyriens abzusichern. Die Aribi dieser Inschriften sind ein nomadisches Volk, das im äußersten Norden Arabiens lebte, aller Wahrscheinlichkeit nach in der syrisch-arabischen Wüste. Diese Bezeichnung bezieht sich nicht auf die blühende seßhafte Zivilisation im Südwesten Arabiens, die in den assyrischen Quellen gesondert genannt wird. Die Aribi können mit den Arabern der aus späterer Zeit stammenden Bücher des Alten Testaments gleichgesetzt werden.' Gegen 530 v. Chr. taucht in persischen KeilschriftDokumenten allmählich die Bezeichnung „Arabaja" auf. Die früheste Erwähnung in klassischer Zeit findet sich bei Aischylos; in seinem Prometheus wird Arabien als ein entlegenes Land erwähnt, aus dem Krieger „mit spitzen Speeren" kommen. Der in Die Persererwähnte „Magos Arabos", einer der Anführer des Heeres von Xerxes, ist möglichweise auch Araber gewesen. 2 In griechischen Texten stoßen wir auch erstmals auf den Ortsnamen Arabien, gebildet in Analogie zu Italien usw. Herodot und in seiner Nachfolge die meisten anderen griechischen und lateinischen Schriftsteller dehnten die Begriffe Arabien und Araber auf die gesamte Halbinsel und ihre Bewohner aus, und zwar einschließ- Einführung 15 lich der im Süden und sogar der in der ostägyptischen Wüste zwischen dem Nil und dem Roten Meer lebenden Araber. Die Bezeichnung scheint sich also zu dieser Zeit auf alle von semitischsprachigen Völkern bewohnten Wüstengebiete des Nahen und Mittleren Ostens bezogen zu haben. Ebenfalls in der griechischen Literatur kommt erstmals die Bezeichnung „Sarazene" in Gebrauch. Das Wort taucht zunächst in frühen Inschriften auf und scheint der Name eines bestimmten Wüstenstammes auf dem Gebiet des heutigen Sinai gewesen zu sein. In der griechischen, lateinischen und talmudischen Literatur wird es in der allgemeinen Bedeutung „Nomaden" verwendet, während es in Byzanz und im mittelalterlichen Abendland zur Bezeichnung aller muslimischen Völker diente. Der erste arabische Gebrauch des Wortes „Araber" findet sich in den frühen südarabischen Inschriften, den Relikten jener blühenden Zivilisation, die vom südlichen Zweig der arabischen Völker im Jemen errichtet wurde und von den späten vorchristlichen bis zu den ersten Jahrhunderten unserer Zeitrechnung Bestand hatte. „Araber" bedeutet in ihnen Beduine, oft auch Räuber, und wird für die Nomaden im Unterschied zur seßhaften Bevölkerung verwendet. Im Norden taucht das Wort erstmals in der Grabinschrift von Namara auf, die aus dem frühen vierten Jahrhundert n. Chr. stammt und eines der ältesten Zeugnisse jener nordarabischen Sprache ist, aus der sich das klassische Arabisch entwickelt hat. Diese auf arabisch, aber in nabatäisch-aramäischer Schrift verfaßte Inschrift berichtet von den Heldentaten und vom Tod des Imru Al Kais, des „Königs aller Araber"; die verwendeten Formulierungen legen den Schluß nahe, daß sich die von ihm beanspruchte Oberherrschaft im wesentlichen nur auf die Nomaden Nord- und Zentralarabiens erstreckte. 3 Erst seit dem Siegeszug des Islam im frühen siebenten Jahrhundert verfügen wir über wirklich schlüssige Informationen zum Gebrauch des Wortes in Zentral- und Nordarabien. Für Muhammad und seine Zeitgenossen waren die „Araber" die Beduinen der Wüste; im Koran wird das Wort ausschließlich in dieser Bedeutung 16 Die Araber verwendet und bezieht sich nie auf die Bewohner Mekkas, Medinas oder anderer Städte. Andererseits wird auch die Sprache dieser Städte sowie die des Korans als „arabisch" bezeichnet. Hier begegnen wir dem Ursprung der in späterer Zeit vorherrschenden Vorstellung, daß die reinste Form des Arabertums bei den Beduinen zu suchen ist, die die arabische Lebensform und die arabische Sprache unverfälschter als alle anderen beibehalten haben. Die großen Eroberungsfeldzüge nach dem Tod Muhammads und die Errichtung des Kalifats an der Spitze des jungen islamischen Gemeinwesens durch seine Nachfolger verbreiteten den Namen der Araber weit über die drei Kontinente Asien, Afrika und Europa. Damit wurde ein neues Kapitel in der Geschichte der Menschheit aufgeschlagen. Die arabischsprachigen Völker Arabiens, gleich, ob nomadisch oder seßhaft lebend, schufen ein riesiges Weltreich, das sich von Zentralasien über den Mittleren Osten und Nordafrika bis an den Atlantik erstreckte. Mit dem Islam als ihrem Schlachtruf und ihrer nationalen Religion lebten die Araber, die Herrscher dieses jungen Reiches, inmitten einer bunten Vielfalt von Völkern unterschiedlicher Herkunft, Sprache und Religion, aus der sie als eine herrschende Minderheit von Eroberern und Befehlshabern hervorgingen. Die ethnischen Unterscheidungen zwischen den einzelnen Stämmen und die sozialen Unterscheidungen zwischen Stadt- und Landbewohnern wurden nun weniger wichtig als die Abgrenzung der Herrscher von den Völkern, die sie unterworfen hatten. In dieser frühen Periode der islamischen Geschichte, als der Islam noch eine rein arabische Religion und das Kalifat ein rein arabisches Königreich war, wurde der Begriff „Araber" auf all jene angewandt, die Arabisch sprachen, aufgrund ihrer Herkunft vollgültige Mitglieder eines arabischen Stammes waren und entweder selbst oder über ihre Vorfahren aus Arabien stammten. Diese Bezeichnung diente ihnen zur Abgrenzung von den Massen der Perser, Syrer, Ägypter und anderer, die mit den großen Eroberungen unter ihre Herrschaft gekommen waren, und wurde auch im christlichen Europa und anderswo jenseits der Grenzen des Islam zur Bezeichnung des neuen Einführung 17 Herrschervolks benutzt. Die frühen Wörterbücher des klassischen Arabisch weisen zwei Formen des Worts „arabisch" aus, von denen angeblich eine „Beduine" bedeute, während die andere in der oben beschriebenen, allgemeineren Bedeutung verwendet worden sei. Sofern diese Unterscheidung authentisch ist—vieles in diesen alten Wörterbüchern existiert nur lexikographisch —, dürfte sie aus dieser Zeit stammen. Sie kann weder für die Zeit davor belegt werden, noch scheint sie lange überlebt zu haben. Vom achten Jahrhundert an entwickelte sich das Kalifat allmählich von einem arabischen Königreich zu einem islamischen Weltreich weiter, in dem die Zugehörigkeit zur herrschenden Schicht eher vom Glauben als von der Herkunft bestimmt war. Als immer mehr unterworfene Völker zum Islam bekehrt wurden, verlor dieser allmählich den Charakter einer nationalen Religion; der Islam war nicht mehr der Stammeskult der arabischen Eroberer, sondern nahm jenen universellen Charakter an, den er sich bis heute bewahrt hat. Der wirtschaftliche Aufschwung und das Ende der Eroberungsfeldzüge brachten eine neue, ethnisch und sprachlich heterogene Herrscherschicht von Administratoren und Handelsherren hervor, die die im Zeitalter der Eroberungen entstandene arabische Militäraristokratie allmählich ablöste. Dieser Wandel spiegelte sich in der Organisation der Regierung und der Besetzung hoher Ämter wider. Das Arabische blieb jedoch die einzige offizielle und die wichtigste Verwaltungs-, Handels- und Bildungssprache. Die von Menschen vieler verschiedener Nationen und Religionen geschaffene reiche und vielfältige Zivilisation des Kalifats war in ihrer Sprache und in ihren Grundzügen im wesentlich arabisch. Der Gebrauch des Adjektivs „arabisch" zur Bezeichnung der zahlreichen Facetten dieser Zivilisation ist allerdings häufig unter Hinweis auf die Tatsache kritisiert worden, daß diejenigen, die arabischer Abstammung waren, zur „arabischen Medizin", „arabischen Philosophie" usw. relativ wenig beigetragen haben. Sogar der Gebrauch des Begriffes „muslimisch" in diesem Zusammenhang ist auf Einwände gestoßen, da viele der Architekten dieser Kultur Christen oder 18 Die Araber Juden waren; man hat vorgeschlagen, dafür den Terminus „islamisch" zu verwenden, da er vorwiegend kulturell und nicht rein religiös oder national gefärbt ist. Die authentisch arabischen Charakteristika der Zivilisation des Kalifats gehen jedoch weit über das hinaus, was eine Untersuchung der ethnischen Herkunft einzelner Persönlichkeiten vermuten lassen würde; der Gebrauch dieses Begriffs ist also durchaus berechtigt, sofern man eine klare Unterscheidung zwischen seinen kulturellen und seinen nationalen Bedeutungen trifft. Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Tatsache, daß die arabische Zivilisation des Kalifats im weitesten Sinn vom kollektiven Bewußtsein der heutigen Araber als gemeinsames Erbe und als prägender kultureller Einfluß betrachtet wird. Inzwischen hatte sich auch die ethnische Bedeutung des Wortes „Araber" gewandelt. Die Ausbreitung des Islam unter den unterworfenen Völkern ging Hand in Hand mit einer Ausbreitung der arabischen Sprache. Dieser Prozeß beschleunigte sich durch die Ansiedlung zahlreicher Araber in den Provinzen und, vom zehnten Jahrhundert an, durch die Ankunft eines neuen Herrschervolks, der Türken; unter ihrer Herrschaft verlor die Unterscheidung zwischen den Nachfahren der arabischen Eroberer einerseits und der arabisierten einheimischen Bevölkerung andererseits zusehends an Bedeutung. In nahezu allen Provinzen westlich des Iran starben die alten Sprachen aus, und das Arabische wurde zur wichtigsten Verkehrssprache. In der ausgehenden Abbasidenzeit nahm die Bezeichnung „Araber" wieder ihre einstige Bedeutung „Beduine" oder „Nomade" an und wurde so zu einem eher sozialen als ethnischen Begriff. In vielen westlichen Chroniken der Kreuzzüge wird es ausschließlich in der Bedeutung „Beduine" verwendet, während die große Masse der muslimischen Bevölkerung des Nahen Ostens als „Sarazenen" bezeichnet wird. Sie werden im sechzehnten Jahrhundert bei Tasso gewiß in dieser Bedeutung genannt: altri Arabi poi, che di soggiorno, certo non sono stabili abitanti; Gerusalemme Liberata, XVII, 21 Einführung 19 Auch der arabische Historiker Ibn Chaldun, der im vierzehnten Jahrhundert lebte und ein arabischstämmiger Städter war, gebraucht dieses Wort in diesem Sinne. Das wesentliche gesellschaftliche Klassifikationskriterium war der Glaube. Die verschiedenen Minderheitenreligionen waren in der Form religiös-politischer Gemeinschaften organisiert, die jeweils ihren eigenen Führern und Gesetzen unterstanden. Die Mehrheit bildete die Ummat Al Islam, die islamische Glaubensgemeinschaft oder Nation. Ihre Mitglieder betrachteten sich vor allem als Muslime. Sofern sich eine weitere Untergliederung als notwendig erwies, war diese entweder territorialer-Ägypter, Syrer, Iraker - oder aber sozialer Natur - Städter, Bauern, Nomaden. Auf letztere hatte sich die Bezeichnung „Araber" ursprünglich bezogen. Ihre ethnische Bedeutung war aber so sehr in Vergessenheit geraten, daß wir sie in manchen Fällen auch auf nichtarabische Nomaden kurdischer oder turkmenischer Herkunft angewandt finden. Als die herrschende Gesellschaftsschicht innerhalb der Ummat Al Islam im wesentlichen aus Türken bestand und dies war im Nahen Osten über viele Jahrhunderte hinweg der Fall -, wird die Bezeichnung „Söhne oder Kinder der Araber" (Abna Al Arab oder Aulad Al Arab) mitunter auch auf die arabischsprachigen Stadtbewohner und Bauern angewandt, um sie von der türkischen Herrscherschicht einerseits und den Nomaden oder „echten" Arabern andererseits zu unterscheiden. In der arabischen Umgangssprache haben sich diese Bedeutungsfelder im wesentlichen bis heute erhalten, obwohl die Türken als herrschende Schicht inzwischen von anderen abgelöst wurden. Unter den Intellektuellen der arabischsprachigen Länder ist hingegen ein tiefgreifender und bedeutsamer Wandel eingetreten. Die zunehmende Präsenz und der wachsende Einfluß europäischer Staaten in diesen Ländern führte zur Ausbreitung des europäischen Begriffs der Nation als einer Gemeinschaft von Menschen mit demselben Vaterland, derselben Sprache, denselben Merkmalen und denselben politischen Bestrebungen. Die meisten arabischsprachigen Länder des Nahen und Mittleren 20 Die Araber Ostens hatten seit dem sechzehnten Jahrhundert unter osmanischer Herrschaft gestanden. Der Nationalgedanke traf auf ein Volk, das infolge der Invasion des westlichen Imperialismus mit tiefgreifenden gesellschaftlichen Umbrüchen konfrontiert war, und brachte so die ersten Anfänge einer Renaissance des Arabertums und einer arabischen Nationalbewegung hervor, die sich die Schaffung eines oder mehrerer unabhängiger Staaten zum Ziel setzte. Die Bewegung nahm in Syrien ihren Anfang, und ihre Begründer scheinen dabei ausschließlich an ihr eigenes Land gedacht zu haben. Sie griff jedoch rasch auf den Irak über und nahm in den Jahren darauf enge Verbindungen zu den nationalistischen Bewegungen in Ägypten und sogar in den arabischsprachigen Ländern Nordafrikas auf. Für die Theoretiker des arabischen Nationalismus stellen die Araber eine Nation in der europäischen Bedeutung des Begriffs dar; in ihren Augen gehören ihr all jene an, die innerhalb bestimmter Grenzen leben, Arabisch sprechen und die Erinnerung an den einstigen Ruhm der Araber in Ehren halten. Es bestehen allerdings unterschiedliche Meinungen darüber, wo diese Grenzen exakt verlaufen. Einige vertreten die Ansicht, sie umschlössen lediglich die arabischsprachigen Länder Südwestasiens. Andere beziehen auch Ägypten mit ein und widersprechen damit der Überzeugung vieler Ägypter, die ihren Nationalismus oder vielmehr Patriotismus als einen ägyptischen und nicht arabischen verstehen. Und viele schließen überhaupt die gesamte arabischsprachige Welt von Marokko bis an die Grenzen des Iran und der Türkei ein. In dieser Sicht hat der soziale Gegensatz zwischen den Seßhaften und den Nomaden seine Bedeutung verloren, auch wenn er im umgangssprachlichen Gebrauch des Wortes „Araber" in der Bedeutung „Beduine" weiterlebt. Der religiöse Gegensatz kann freilich in einer Gesellschaft, die so lange von einem theokratischen Glauben beherrscht war, viel weniger leicht überwunden werden. Obwohl nur wenige Exponenten dieser Bewegung dies eingestehen würden, schließen viele Araber nach wie vor all jene aus, die zwar Arabisch sprechen, aber die muslimische Religion