Pharmazeutische Chemie – Sacubitril-Valsartan Sacubitril-Valsartan (LCZ696) (Entresto®) Mit Sacubitril-Valsartan ist eine fixe Kombination bestehend aus zwei einzelnen chemischen Substanzen im Verhältnis 1:1, dem Neprilysin-Inhibitor Sacubitril sowie dem bereits etablierten AT1-Rezeptorblocker Valsartan, zugelassen worden (s. Abbildung 1). Der „duale Wirkstoff“ Sacubitril-Valsartan, der bislang noch die Bezeichnung LCZ696 trägt, steht für eine neue Arzneistoffklasse, den AngiotensinRezeptor-Neprilysin-Inhibitoren, die abgekürzt auch als ARNIs bezeichnet werden. Die ARNIs stehen für ein neues Therapiekonzept bei Herzinsuffizienz (von Lueder et al. 2013, Starling 2015, Szema et al. 2015). Der erste Vertreter der ARNIs, das Sacubitril-Valsartan, ist in Form von Filmtabletten unter dem Namen Entresto® indiziert zur Therapie der symptomatischen, chronischen Herzinsuffizienz mit reduzierter Ejektionsfraktion. Die Filmtabletten werden zweimal täglich mit einem Glas Wasser unabhängig von den Mahlzeiten eingenommen (Fachinformation Entresto® 2015). Ausschlaggebend für die Zulassung war die PARADIGM-HF-Studie (Prospective Comparison of ARNI to Determine Impact on Global Mortality and Morbidity in Heart Failure), in der sich Sacubitril-Valsartan dem ACE-Hemmer Enalapril deutlich überlegen zeigte (McMurray et al. 2013, Sabe et al. 2015). Abbildung 1: chemische Zusammensetzung des neuen „dualen Wirkstoffes“ LCZ696 (Sacubitril-Valsartan) Neprilysin (Neutrale Endopeptidase, Membran-Metallo-Endopeptidase) ist eine membrangebundene Zn2+-abhängige Protease, die zahlreiche Peptide am Nterminalen Ende hydrophober Aminosäuren spaltet. Die C-terminale extrazelluläre Domäne des Neprilysins enthält das aktive Zentrum mit dem Zn2+. Neprilysin ist ein im menschlichen Körper weit verbreitetes Enzym, wobei die höchsten 1 CA 2.1.2016 Pharmazeutische Chemie – Sacubitril-Valsartan Konzentrationen in der Lunge und vor allem in der Niere (im proximalen Tubulus) verzeichnet werden (Mangiafico et al. 2013, von Lueder et al. 2013). Neprilysin besitzt eine entscheidende Bedeutung für den Katabolismus zahlreicher vasoaktiver, diuretisch und natriuretisch wirksamer Peptide. Darunter finden sich die natriuretischen Peptide (ANP = atrial natriuretic peptide, BNP = B-type natriuretic peptide, CNP = C-type natriuretic peptide, Urodilatin), Angiotensin I, Bradykinin und Endothelin-1. Daneben existieren noch viele andere Neprilysin-Substrate, darunter z.B. Substanz P, das β-Amyloid-Protein und Gastrin. An der Vielzahl der Substrate erkennt man schon hier, dass eine alleinige Hemmung des Neprilysins weitgefächerte pharmakologische Effekte auslöst. Die Schlüsselrolle, die Neprilysin bei der Inaktivierung der natriuretischen Peptide einnimmt, bot den ersten Ansatzpunkt zur Entwicklung von Neprilysin-Inhibitoren. Unter der Annahme, dass Neprilysin selektiv nur diese natriuretischen Peptide inaktiviert, könnte man davon ausgehen, dass eine Hemmung des Neprilysins die vasodilatierenden, natriuretischen und diuretischen Wirkungen dieser natriuretischen Peptide verstärkt. Allerdings ist es wie bereits erwähnt so, dass Neprilysin auch andere vasoaktive Peptide mit gegensätzlichen Effekten inaktiviert. Einige Studien deuten sogar an, dass eine alleinige Neprilysin-Hemmung stärkere vasokonstriktorische als vasodilatierende Effekte hervorruft (Ferro et al. 1998). Einer der ersten potenten, oral bioverfügbaren Neprilysin-Inhibitoren, die für einen klinischen Einsatz entwickelt wurden, war Candoxatril (s. Abbildung 2A). Allerdings waren die Ergebnisse wenig beeindruckend, so dass von einer klinischen Weiterentwicklung abgesehen wurde (Maw et al. 2006, Sing und Lang 2015). Der Umstand, dass eine Neprilysin-Hemmung allein nicht nur vasodilatierende sondern eben auch vasokonstriktive Effekte auslöst, führte schon frühzeitig zu alternativen Entwicklungen. Dementsprechend kann man sagen, dass die ursprüngliche Idee zur Entwicklung von ARNIs bereits vor mehr als zwei Jahrzehnten entstand. Hierbei zielte man anfangs nicht auf einen Wirkstoff bestehend aus zwei einzelnen chemischen Substanzen sondern auf ein einziges chemisches Molekül ab. Hierfür bot sich neben der Hemmung von Neprilysin die Hemmung des ACE (angiotensin converting enzyme) an, da sowohl Neprilysin als auch ACE zur selben Familie der Zn2+-abhängigen Metallopeptidasen gehören. Solche dualen NeprilysinACE-Hemmer werden auch als Vasopeptidase-Inhibitoren (VPIs) bezeichnet (Burnett 1999). Durch die Neprilysin-Hemmung werden die endogenen Konzentrationen der natriuretischen Peptide erhöht, und durch die ACE-Hemmung wird der Anstieg des Angitensins II, der auch durch die Neprilysin-Hemmung zustandekommt, abgefangen. Die Ähnlichkeit der aktiven Zentren beider Enzyme zeigt sich schon in diesen frühen Entwicklungen. Thiorphan ist ein früher Neprilysin-Inhibitor. Ausgehend von Thiorphan wurde beispielsweise der gemischte Neprilysin-ACE-Inhibitor RB105 zusammen mit seinem lipophilen Prodrug Mixanpril entwickelt (s. Abbildung 2B). Sowohl Inhibitoren des Neprilysins als auch des ACE benötigen zur Bindung des Zn2+ im aktiven Zentrum Thiol- oder Carboxyl-Gruppen (Gordon et al. 1983, Erdös und Skidgel 1989, Roques 1993, Fournié-Zaluski et al. 1994). Der VasopeptidaseInhibitor, der am weitesten klinisch entwickelt wurde, war Omapatrilat (s. Abbildung 2C). Nach anfänglichen vielversprechenden Ergebnissen waren weitere Studien insbesondere im Vergleich zum ACE-Hemmer Enalapril ernüchternd. Zusätzlich bereiten Angioödeme, die unter der Therapie mit diesen Vasopeptidase-Inhibitoren auftreten können, Probleme, so dass derzeit - soweit recherchierbar - kein dualer Neprilysin-ACE-Hemmer in klinischen Studien untersucht wird (Packer et al. 2002, Mangiafico et al. 2013). 2 CA 2.1.2016 Pharmazeutische Chemie – Sacubitril-Valsartan Die ernüchternden Ergebnisse mit den Neprilysin-ACE-Hemmern und die Beobachtung, dass einige Patienten, die unter ACE-Hemmung ein Angioödem entwickeln, durch Umstellung auf einen AT1-Rezeptorblocker erfolgreich therapiert werden können ohne ein Angioödem zu entwickeln, führte dann zur Entwicklung der ARNIs (Mangiafico et al. 2013). Abbildung 2: A) B) C) Candoxatril, ein peroral apllizierbares Prodrug, das nach Esterhydrolyse das bioaktive Candroxatrilat mit zwei freien Carbonsäuren liefert. Entwicklung eines frühen, dualen Neprilysin-ACE-Inhibitors RB105 mit seinem Prodrug Mixanpril u.a. ausgehend von Thiorphan, einem frühen Neprilysin1 2 Inhibitor (nach Fournié-Zaluski et al. 1994, Fournié-Zaluski et al. 1994) Omapatrilat, der duale Neprilysin-ACE-Inhibitor, der am weitesten klinisch fortgeschritten war, von der FDA aber wegen der hohen Inzidenz von Angioödemen nicht zugelassen wurde. 3 CA 2.1.2016 Pharmazeutische Chemie – Sacubitril-Valsartan Sacubitril ist wie Candoxatril ein peroral bioverfügbares Prodrug, das als Carbonsäureethylester durch Carboxylesterasen schnell innerhalb einer Stunde zum aktiven Neprilysin-Inhibitor LBQ657 metabolisiert wird. LBQ657 verfügt damit im Gegensatz zum Prodrug Sacubitril und genauso wie Candoxatrilat, der Wirkform von Candoxatril, über zwei freie Carbonsäure-Funktionen, die beide für die Wirkung essentiell sind, eine perorale Applikation aber verhindern (Ksander et al. 1995, Gu et al. 2010). Abbildung 3: Bioaktivierung des Sacubitrils zu seiner Wirkform LBQ657 Zentraler Baustein des bioaktiven LBQ657 ist eine P2‘-Amidbindung in Analogie zum Thiorphan. Es ist zu vermuten, dass dieses Amid im aktiven Zentrum durch Asn542 über eine H-Brücke fixiert wird. Eine Methylierung der NH-Gruppe im Thiorphan führt zu einem deutlichen Affinitätsverlust. Ebenso führt ein Austausch der CarbonylGruppe im Thiorphan zu einem Verlust an Bindungsaffinität - allerdings auch in einer mutierten Variante des Neprilysin, dem N542G, wo Asn542 durch ein Glycin ersetzt ist. Dementsprechend scheint die P2‘-Carbonyl-Funktion des Amids anders als die P2‘-NH-Gruppe nicht mit Asn542 zu interagieren, stattdessen wird eine H-Brücke mit Arg747 des Enzyms postuliert. Eine freie Carboxyl-Gruppe (P2‘) des Inhibitors baut eine ionische Wechselwirkung mit Arg102 auf. Damit werden kleine inhibitorisch wirksame Moleküle wie Thiorphan aber vermutlich auch LBQ657 insbesondere durch die Wechselwirkungen des Amid-NHs sowie der terminalen Caroxylgruppe mit zwei Aminosäuren - Ans542 und Arg102 fixiert. Im Thiorphan wird das zentrale Zn2+ des Neprilysins durch die deprotonierte Thiol-Grupppe koordinativ gebunden. In Analogie dazu ist vermutlich die zweite freie Carboxyl-Gruppe des LBQ657 zu sehen, die als Carboxylat-Anion das Zn2+ entsprechend zum Thiolat des Thiorphans bioisoster komplexiert (Dion et al. 1995). Somit ist verständlich, weshalb zwei freie CarboxylGruppen für eine inhibitorische Aktivität essentiell sind und Verbindungen wie Sacubitril oder Candoxatril mit veresterter Carboxyl-Gruppe nur als Prodrug für eine perorale Applikation dienen. Eine Kristallstruktur der extrazellulären Domäne des humanen Neprilysin In Komplex mit dem im aktiven Zentrum gebundenen Metalloprotease-Inhibitor Phosphoramidon unterstreicht diese Ergebnisse (Oefner et al. 2000). Durch die geringe Spezifität des Neprilysins und die zahlreichen Substrate dieses Enzyms ergeben sich natürlich auch andere potentielle Einsatzmöglichkeiten wie z.B. beim Morbus Alzheimer, da die Anreicherung der β-Amyloid-Peptide der primäre 4 CA 2.1.2016 Pharmazeutische Chemie – Sacubitril-Valsartan Auslöser einer Alzheimer-Erkrankung ist. Seit den ersten Veröffentlichungen, dass zwei Metalloproteasen - darunter Neprilysin - zu einem Amyloidabbau beitragen und sogar vor einer kognitiven Beeinträchtigung schützen können, wird an dieser Thematik intensiv geforscht (Miners et al. 2011, Nalivaeva et al. 2012). Literatur: Burnett, J.C. Jr. J Hypertens 1999, 17, S37 Erdgös, E.G. und Skidgel, R.A. FASEB J 1989, 3, 145 Dion, N. et al. Biochem J 1995, 311, 623 Fachinformation Entresto® 2015, Novartis Europharm Limited Ferro, C.J. et al. Circulation 1998, 97, 2323 1 Fournié-Zaluski, M.C. et al. J Med Chem 1994, 37, 1070 2 Fournié-Zaluski, M.C. et al. Proc Natl Acad Sci USA 1994, 91, 4072 Gordon, E.M. et al. Life Sci 1983, 33(Suppl 1), 113 Gu, J. et al. J Clin Pharmacol 2010, 50, 401 Ksander, G.M. et al. J Med Chem 1995, 38, 1689 Mangiafico, S. et al. Eur Heart J 2013, 34, 886 Maw, G.N. et al. Chem Biol Drug Des 2006, 67, 74 McMurray, J.J. et al. Eur J Heart Fail 2013, 15, 1062 Miners, J.S. et al. J Neuropathol Exp Neurol 2011, 70, 944 Nalivaeva, N.N. et al. J Neurochem 2012, 120(Suppl 1), 167 Oefner, C. et al. J Mol Biol 2000, 296, 341 Packer, M. et al. Circulation 2002, 106, 920 Roques, B.P. Biochem Soc Trans 1993, 21, 678 Sabe, M.A. et al. Cleve Clin J Med 2015, 82, 693 Sing, J.S. und Lang, C.C. Vasc Health Risk Manag 2015, 11, 283 Starling, R.C. Cleve Clin J Med 2015, 82, 702 Szema, A.M. et al. 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