SWR2 Musikstunde

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SWR2 MANUSKRIPT
ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE
SWR2 Musikstunde
Max Reger, der Falstaff der Musik
Teil 1
Von Thomas Rübenacker
Sendung: Montag, 10. Februar 2014
Redaktion: Bettina Winkler
9.05 – 10.00 Uhr
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MUSIKSTUNDE mit Trüb
Montag, 10. 2. 2014
… mit Thomas Rübenacker. Heute: Max Reger, der Falstaff der Musik. Teil 1.
MUSIK: JINGLE (20 SEC)
Von Max Reger, dem selbsternannten „Accordarbeiter“, gibt es eine Fülle saftiger, aber auch zarter
Anekdoten. Über ihn kenne ich nur eine, und mit der will ich diese Sendung beginnen; mein
Schulfreund Alexander Kohlhaas berichtete sie mir. Sie ist nicht ganz aus erster Hand, aber
immerhin fast:
„Mein Vater, Jahrgang 1909“, so Kohlhaas, „wurde von seinem Vater (...) in ein Konzert
mitgeschleppt. Er war fünf Jahre alt, der Erste Weltkrieg war nicht mehr fern (aber das wusste ja
keiner der Beteiligten). Auf jeden Fall saß mein Vater im Publikum, als ein Saaldiener einen fetten,
offenbar kaum mehr des Gehens fähigen Mann hereingeleitete und ihn auf die Bank vor dem Flügel
plumpsen ließ. Der Sitzende stützte seinen Kopf auf die Hände und stierte ins Publikum. Dann
drehte er sich um und spielte rund eine Stunde wie ein Gott, drehte sich wieder rum und glotzte
triefäugig die Zuhörer an. Dann kam der Saaldiener und führte den Gebeugten hinaus. Mein Vater
fragte den seinen: Papa, isch der Mann krank? Worauf dieser antwortete: Mein Sohn, ich sag's dir
nur ungern, er ist nicht krank, er ist betrunken.“
Das war eine meiner frühesten „Begegnungen“ mit Max Reger, plastisch werdend vor wenigstens
meinem inneren Auge, das Regers „triefäugiges Stieren ins Publikum“ geradezu körperlich zu
verspüren meinte. Auch dass er, trotz Trunkenheit, „wie ein Gott“ gespielt habe, blieb nicht
unbemerkt. Später erfuhr ich, dass der „Accordarbeiter“ zeit seines Lebens Schwerstalkoholiker
gewesen sei. Nun, in einem deutschen Landstrich, der zu Bayern gehörenden Oberpfalz, wo man
selbst Kleinstkinder ruhigzustellen pflegte, indem man ihnen Bier oder auch etwas Stärkeres ins
Fläschchen mischte, war das vielleicht nicht allzu verblüffend. Da wurde der Alkohol, sozusagen,
mit der Muttermilch eingesogen … Das folgende Intermezzo Nr. 5 hat auch etwas Rauschhaftes, es
wurde 1905 von Reger selbst eingespielt – auf eine Klavierrolle der Firma Welte-Mignon, weshalb
es immer noch frisch klingt.
MUSIK: MAX REGER, INTERMEZZO NR. 5, TRACK 12 (3:21)
MAX REGER, Sechs Intermezzi (Nr. 5); Max Reger; tacet 152 (LC 07033)
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Max Reger, Intermezzo Nr. 5, „Mit großer Leidenschaft und Energie“ überschrieben, vom
Komponisten selbst einer jener Klavierwalzen der Firma Welte-Mignon anvertraut, die mit ihren
Lochstanzen in Manschettenpappe so etwas wie ein frühes Digitalsystem darstellten – deshalb
klingen sie heute noch so viel besser als die rauschenden und heftig knisternden Trichteraufnahmen
der Zeit. Die Einspielung wurde mir dankenswerterweise von der Plattenfirma tacet zur Verfügung
gestellt, die eine ganze Serie dieser „Digitalaufnahmen“, neu eingespielt mit entsprechend
präpariertem Klavier, im Programm hat.
Wenn ich an Max Reger denke, fällt mir immer auch eine von William Shakespeares prallsten
Figuren ein: Sir John Falstaff, Komiker und Tragöde, ein dickes Bündel von Widersprüchen. In der
Jugend mischt er mit dem Thronfolger, Prinz Hal, die Welt auf; als alten Mann, auf dem Totenbett,
verlässt ihn sogar der Jugendfreund, inzwischen König Heinrich V. Falstaff ist Ritter und Rüpel,
naiv und raffiniert, ohrenbetäubend laut – und doch auch eine zarte Seele. Man muss bei Reger nur
einmal gewärtigen, dass er ein haltloser Trinker war und ins Zittern geriet, sobald der
Alkoholspiegel in seinem Blut unter ein bestimmtes Maß abfiel – zugleich aber schuf der Mann die
sorgfältigsten, die kalligraphischsten Partituren, deren Anblick allein schon ein ästhetischer Genuss
ist: Man könnte sie sich im Faksimile an die Wand hängen. Seine wilden Jugendjahre nannte Reger
die „Sturm- und Trankzeit“, seine musikalischen Götter hießen damals noch Wagner und Brahms,
über allem thronend aber: Johann Sebastian Bach. Das resultierte oft in Partituren, die der
Komponist selbst nicht nur schwer spielbar fand – sondern auch schwer zu hören. Gegen Ende
seines kurzen Lebens – er wurde nur 43 Jahre alt – wollte er immer einfacher werden, immer
sublimierter, und sein großes Vorbild wurde jetzt: Mozart. Aber Trunksucht und mitunter kalkulierte
Rüpelei waren nicht schon alles, was Reger mit Sir John verband. Auch die anti-bürgerliche und
anti-obrigkeitliche Haltung ist ihnen gemein, und sogar mit dem Glauben war's nicht weither. Zwar
lieferte Reger unablässig bedeutende Sakralmusik, nannte sich auch mal „katholisch bis in die
Fingerspitzen“ - aber als er 1902 von der katholischen Kirche exkommuniziert wurde, also von der
Eucharistie ausgeschlossen, weil er eine geschiedene Protestantin heiratete, zuckte er nur mit den
Achseln. Und beschied sich weiterhin mit seiner Maxime, dass „die Sau und der Künstler sowieso
erst nach ihrem Tode geschätzt werden“. Womit sich Max Reger natürlich auskannte; schließlich aß
er nahezu jeden Abend Geselchtes ...
MUSIK: MAX REGER, ORGEL-FUGE, TRACK 2 (6:52)
MAX REGER, Neun Stücke für die Orgel (Fuge); Peter Kofler; querstand 1302 (LC 03722)
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Das war eine Fuge von Max Reger, der sich selbstironisch einen „Fugen-Seppel“ nannte, neben
dem bereits bekannten „Accordarbeiter“ und, in Briefen wahrheitswidrig: „Rex Mager“. Sie
entstammt den „9 Stücken“ op. 129 und wurde von Peter Kofler an der Orgel der Jesuitenkirche St.
Michael zu München gespielt.
Max Reger war kein Wunderkind. Zwar liest man, sein Vater habe ihm Violinunterricht gegeben,
und im Schulorchester spielte er das Cello, aber beides soll mehr Liebhaberei gewesen sein, noch
keine Spur von Virtuosität, wie er sie später am Klavier und auf der Orgel fand. Auch war Reger im
Vergleich zu seinem Idol Mozart ein ausgesprochener Spätentwickler: Erst 1888, also im Alter von
15 Jahren, entschließt er sich, Berufsmusiker zu werden, zwei Jahre später wurde er Schüler des
Musiktheoretikers Hugo Riemann in Sondershausen. Und woher rührte dieser späte, aber dezidierte
Wunsch? Er selber verriet's: Eine Aufführung von Richard Wagners letzter Oper, des
Bühnenweihfestspiels „Parsifal“ in Bayreuth, hatte ihren Karfreitagszauber auf ihn wirken lassen.
Übrigens war der „Parsifal“ im Hause Reger auch so etwas wie ein Heiratsvermittler. Schreibt Elsa
Reger, das Werk habe ihre Entscheidung, ihr Leben mit Reger zu teilen, klar beeinflusst: „Durch ihn
waren wir seinerzeit in Wiesbaden schon herrlich auf den Parzival vorbereitet … So reisten wir (im
Juli 1900) in Weihestimmung nach Bayreuth. Der Zauber, der diese Tage über uns goss, ist nicht zu
beschreiben, und in der Karfreitagsszene stieg mir die Erkenntnis auf, dass es etwas Erhebendes
sein müsste, eines großen Musikers Frau zu werden.“
MUSIK: WAGNER, PARSIFAL, CD 4, TRACK 6 (9:46; ACHTUNG! BITTE ZU BEGINN
LEICHT ANBLENDEN; AUCH TRACK 7 PROGRAMMIEREN, DA MUSIK SONST
ABREISST; IN TRACK 7 NACH WENIGEN SEKUNDEN – ETWA 12 – RAUSGEHEN!)
RICHARD WAGNER, Parsifal (Karfreitagszauber); Frick, Kollo, Wiener Philharmoniker,
Sir Georg Solti; Decca 470 805-2 (LC 00171)
Richard Wagners „Parsifal“, die Stichflamme sowohl für Max Regers Wunsch, die Musik zu seinem
Beruf zu machen, wie auch der Eheanbahner zwischen Reger und seiner Elsa. Den
Karfreitagszauber sangen Gottlob Frick als Gurnemanz und René Kollo in der Titelrolle, die Wiener
Philharmoniker spielten, den Stab schwang Georg Solti.
Die so-weit-ich-weiß erste Reger-Biographie wurde noch fast zu seinen Lebzeiten geschrieben, um
genau zu sein: 1921, also fünf Jahre nach seinem Tod. Der Verfasser ist ein gewisser Eugen Segnitz,
der in einer Vorbemerkung einen Brief Regers an ihn von 1904 zitieren kann: Er, Segnitz, sei einer
der „Aller-, allerersten, welche, drei wenige, sehr wenige Herren, meinem Schaffen von Anfang an
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Gerechtigkeit und Anerkennung nicht versagten.“ Es mag sein, dass nicht alles in dieser frühen
Biographie der heutigen Wissenschaft standhält, aber die gefühlte Nähe zu ihrem Subjekt ist doch
groß, wegen der Sprache der Zeit und, in diesem Nachdruck, eben auch der altmodischen
Frakturschrift wegen. Allein darin schon ersteht ein Bild der Epoche. Schreibt Segnitz: „(Johann
Baptist Joseph Maximilian) Reger war das Kind einer Übergangszeit. Im Elternhause waltete
konservativer Sinn. Eng und klein waren die ihn hier umgebenden Verhältnisse, ja sogar Frau Sorge
mochte zuweilen wohl im Vorübergehen durchs Fenster lugen.“ (Ich liebe diese Sätze: Kein Mensch
würde heute mehr so schreiben.) „So ward ihm Genügsamkeit zur Tugend; bei trocknem Brot und
Käse konnte er just so fröhlich sein als beim üppigen Diner. Als er später einmal bei einem Fest auf
seinen 'nicht vorschriftsmäßigen' Anzug hin angeredet wird, erwidert er trocken, für das Menü
genüge der schwarze Rock. Konservativ wie das Leben im oberfränkischen Markt Weiden war auch
die musikalische Richtung, in die der Vater den Sohn hineingeleitete. In den Meistern der älteren
Klassik findet der Jüngling zunächst seine vollkommenen Vorbilder. Dann treten Beethoven, etwas
später Brahms hinzu. Ihre Werke nimmt er, unter der Anleitung des treu besorgten, systematisch
arbeitenden Lehrers Adalbert Lindner als seinen eignen geistigen Besitz auf. Seiner ganzen
Naturanlage gemäß konservativ, kann er sich in der Folge der Einwirkung eines Schubert, Wagner
und Hugo Wolf nicht entziehen … Denn seine Aufnahmefähigkeit ist ebenso groß wie das Begehren
nach Erweiterung des künstlerischen und geistigen Horizontes … Und als er Einblicke erlangt in
jene neuen Gefühlswelten, die Anton Bruckner und Richard Strauss entdeckten, vermeint er, auch
'ein Reiter nach links' zu sein.“
Interessant ist, dass Reger, der vorwiegend absolute Musik komponierte und mit der Programmatik
eines Franz Liszt oder Richard Strauss wenig anfangen konnte, ganze Klavierzyklen mit
deskriptiven Titeln schmückte. Die „Aquarellen“ op. 25 verweisen zwar eher noch auf die
synästhetische Nähe von Tonkunst und Malerei, aber „Aus der Jugendzeit“ op. 17 oder gar „Aus
meinem Tagebuch“ op. 82 haben bereits deutlich autobiographischen Charakter. Wiederum für die
Firma Welte-Mignon spielte der Komponist einige Stücke „Aus meinem Tagebuch“ ein, dem ersten
Band; nachdem er das Konkurrenzunternehmen von Ludwig Hupfeld 1904 als „nicht befriedigend“
bezeichnet hatte, stürzte er sich, um eine Tradition der Interpretation zu etablieren, auf Welte. Im
Gästebuch der Firma liest man: „Mignon ist für mich das unerreichte Ideal aller Musikinstrumente;
eine Erfindung von unschätzbarer Bedeutung für Lehrer, Schüler, Publikum und alle Künstler.“
Hören Sie also nun noch einmal Max Reger mit der Nr. 3 „Aus meinem Tagebuch“, Band I, einem
Andante sostenuto.
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MUSIK: REGER, AUS MEINEM TAGEBUCH, TRACK 5 (4:15)
MAX REGER, Aus meinem Tagebuch (Andante sostenuto); Max Reger; SIEHE 1)!
Max Reger, „Aus meinem Tagebuch“, Band I, ein Andante sostenuto, das der Komponist auf einer
Klavierwalze der Firma Welte-Mignon auch selbst spielte – was es natürlich noch
autobiographischer macht.
Wie gesagt, es gibt nur wenig Programmmusik von Reger, er sah sich als „Absolutisten der Musik“.
Aber 1913 entstanden doch auch vier Orchesterstücke, die in mehrerlei Hinsicht einen besonderen
Platz in Regers Schaffen beanspruchen: die „Vier Tondichtungen nach A. Böcklin“. Arnold Böcklin
war ein Schweizer Maler des Symbolismus, der Surrealisten wie Dalí und Max Ernst oder de
Chirico inspirierte, sein wohl bekanntestes Gemälde dürfte „Die Toteninsel“ sein, wovon es
immerhin vier Versuche gibt; der vermummte Fährmann auf seinem Nachen, der die Toten über den
Fluss Styx auf ebendiese Zypressen-bewachsene Insel übersetzt – auch Sergej Rachmaninow
„vertonte“ dieses Bild, allerdings deutlich schwerermütig als Reger. Am Freitag dieser Woche will
ich beide Versionen nebeneinander stellen. Diese „Vier Tondichtungen“ reflektieren seit den
Klavier-“Aquarellen“ der Jugendzeit erstmals wieder die synästhetische Beziehung zwischen
Tonsprache und Malerei – und sie sind formal zum Teil so frei gestaltet, wie Reger sich das sonst
nur selten erlaubte. Denn „Form“ war ihm heilig; man könne sich alle möglichen Freiheiten
erlauben, so glaubte er, harmonisch-melodisch und rhythmisch, solange man die Form wahre, und
zwar: streng wahre. Insofern verblüfft die erste der „Vier Tondichtungen“, „Der geigende Eremit“,
mit einer geradezu improvisatorisch schweifenden Faktur. Die Archaik des Choralbeginns ist noch
echt Reger, aber dann mäandert die Solovioline durch eine stream-of-consciousness-Meditation
über einzelne Choralmotive, Reger lässt sich „gehen“, erst am Ende bündelt er, in einer knappen
Reprise, die disparaten Elemente – zwingt also sozusagen „die Form“ wieder herbei. Ich finde das
unglaublich spannend, zumal in der folgenden Aufnahme mit dem Königlichen
Concertgebouworkest, dessen Konzertmeister Jaap van Zweden die Sologeige spielt. Am Pult stand:
Neeme Järvi.
MUSIK: REGER, VIER TONDICHTUNGEN NACH A. BÖCKLIN, TRACK 1 (8:14)
MAX REGER, Vier Tondichtungen nach A. Böcklin (Der geigende Eremit); Chandos 8794
Max Reger, aus den „Vier Tondichtungen nach A. Böcklin“ das erste Bild, „Der geigende Eremit“,
mit dem Solisten Jaap van Zweden und dem Concertgebouworkest Amsterdam, dirigiert von Neeme
Järvi. Übrigens wagte sich der Komponist hier vermutlich deshalb auf Neuland, um die
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Möglichkeiten seiner Komposition für Orchester zu erforschen. Zwei Jahre zuvor, 1911, wurde er
Hofkapellmeister in Meiningen, bei einem Orchester also, das schon Brahms als „das beste
hierzulande“ gerühmt hatte und nach dem Reger geradezu gegiert hatte. Es war für ihn sozusagen
noch die Steigerung der Welte-Mignon-Idee: Das unerreichte Ideal von „Instrument“ schlechthin.
Da wir noch etwas Zeit haben, möchte ich Ihnen noch Max Reger, den Liedkomponisten, vorstellen
– vielleicht den am wenigsten bekannten. Schreibt Eugen Segnitz: „Reger komponierte an
dreihundert Lieder für eine Solostimme und Pianofortebegleitung (oder mit Orchester). Daraus hat
man ihm schier einen Vorwurf machen wollen; einen zweiten, noch stärkeren allerdings, der auf die
Wahllosigkeit Bezug nahm, mit der er die Texte aussuchte. Man nannte ihn unliterarisch, ja
ungebildet. Wie eine jegliche Übertreibung von Anfang an einen Grundfehler in sich birgt, so ist
auch solches zu behaupten Torheit. Vergleichsweise sei an Bach und Mozart erinnert. Auch sie
komponierten häufig genug unzulängliche, ebensooft schlechte Texte … Dass Reger nicht selten
Liedertexte wählte, die vielleicht von ihm besser unkomponiert geblieben wären, ist zuzugeben.
Aber oft mochte ihn irgendeine Stelle, eine humorvolle Wendung u. dgl. in einem Gedichte zur
Vertonung anreizen … Und ferner: Reger unliterarisch, ungebildet? Er, der sich lebhaft für Ibsens
Gedankendramen interessierte und sich in der Ideenwelt eines Gerhard Hauptmann und Friedrich
Nietzsche hinreichend auskannte? Diese Frage beantwortet sich wohl von selbst.“
Nun, „Mariäs Wiegenlied“ ist eines der zartesten Liedgebilde Max Regers, und der Text von Martin
Boelitz, „Maria sitzt im Rosenhag und wiegt ihr Jesuskind“, tut auch nicht weh. Aber der
Komponist zieht sozusagen noch eine dritte Ebene ein – indem er hier die alte Volksweise „Joseph,
lieber Joseph mein“ variiert. So ist, wenigstens musikalisch, die gesamte heilige Familie präsent!
Die große Elisabeth Schumann singt, Orchester und Dirigent bleiben im Stil der Zeit – 1937! wieder einmal ungenannt.
MUSIK: REGER, MARIÄ WIEGENLIED, TRACK 14 (2:06)
MAX REGER, Mariä Wiegenlied; Elisabeth Schumann, 1 Orchester, 1 Dirigent; Guild
Historical 2400/01 (LC 14392)
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