8. Vorlesung. Von der Zentralprojektion zur projektiven Geometrie. Neben der Euklidischen Geometrie, wie sie im Buch von Euklid niedergelegt und wie wir sie im vorigen Abschnitt behandelt haben, gibt es noch weitere Geometrien. In diesem Kapitel behandeln wir eine neue Raumlehre - die projektive Geometrie. Die Geschichte der projektiven Geometrie begann mit der Entdeckung der Perspektive in der Renaissance. Die Entdeckung der Perspektive. Die Grundprobleme der Rennaissance Maler und Baumeister waren die folgenden: (1) Wie kann man auf einer Fläche die Illusion des Raumes herstellen. (2) Mit welchem Experiment kann man verifizieren, dass die korrekten Gesetze der Perspektive gefunden wurden. Die Maler kamen auf diese Frage, weil sie bei ihren Erforschungen der römischen Ruinen entdeckten, dass die Römer offensichtlich die Perspektive kannten und sie nutzten, um Räumen durch perspektivische Wandgemälde die Illusion von Größe zu geben. Die Lösung der Probleme hat Brunelleschi (1377-1446) gegeben (der gleiche der auch die Kuppel des florentiner Domes gebaut hat). Für die zweite Frage benutzte er die folgende Versuchsanordnung: Gebaeude Guckloch halber Spiegel Rueckwand des Gemaeldes Gemaelde (umgedreht) Das Experiment von Brunelleschi Brunnelleschi stellte zunächst, nach der von ihm entdeckten Methode des perspektivischen Malens, ein Gemälde eines Gebäude her und bohrte ein kleines Loch in die Mitte. Wenn man durch dieses Guckloch schaut, dann sieht man zwei Hälften: in der unteren Hälfte das gemalte Gebäude im Spiegel und in der oberen Hälfte das wirkliche Gebäude. Wenn nun die perspektivische Methode wirklich korrekt ist, dann müsste die Illusion entstehen, als Klaus Johannson, Geometrie (L2) 72 . Geometrie (L2) wenn man das vollständige Haus sieht (obwohl ja eigentlich die untere Hälfte in Wirklichkeit durch den Spiegel verdeckt ist). Dies war Brunnellschi’s Experiment. Es wurde tatsächlich erfolgreich ausgeführt. Und zwar auf dem Vorplatz des Florenzer Doms. Das Gemälde stellte dabei das Baptisterium dar. Danach war die Perspektive anerkannt. Damit hatte man das Experiment für Frage 2. Aber wie lauten die Gesetze der Perspektive? Physiologie des Sehens. Der Grund der Perspektive liegt in der Physiologie des Auges. Stellen wir uns vor wir sehen entlang einer langen Allee mit den Randpunkten a, b, c, d. Die Sehstrahlen von diesen Punkten gehen durch die Pupille des Auges und durch einen Fokuspunkt in der Mitte des Auges und werden dann als Punkte a′ , b′ , c′ , d′ auf der Netzhaut des Auges erscheinen. Dort befinden sich die Rezeptoren mit denen wir das Bild physiologisch wahrnehmen. Es erscheint also spiegelverkehrt, aber das wird im Gehirn korrigiert. Allee a c Auge d’ b’ a’ c’ b d Physiologie des Sehens Wichtig ist nun zu beobachten, dass in der Projektion das Puntepaar a′ , b′ viel dichter zusammenliegt als das Paar c′ , d′ . Wir sehen also ein Punktepaar als dichter und dichter zusammenliegend je weiter es vom Auge fortbewegt wird. Die Kanten der Allee erscheinen als zwei zueinander zulaufende Geraden, die sich (wenn die Allee lang genug ist) in einem fernen Punkt zu treffen scheinen (da sie die Netzhaut nicht mehr unterscheiden kann). Das gleiche Bild auf der Netzhaut können wir uns (nun aber richtig herum) auf die Pupille projiziert vorstellen oder auf irgendeinen durchsichtigen Schirm vor dem Auge. Wir werden die Projektion der Alle auf diesen Schirm nicht von der wirklichen Allee unterschieden können, da sie ja auf der Netzhaut dasselbe Bild wie die wirkliche Allee erzeugt. Das war es was Brunellesci mit seinem Experiment zeigen wollte. Es bleibt schließlich noch die Frage zu klären warum ein Punkt, wie z.B. a, nur einen einzigen Projektionspunkt, nämlich a′ , hat. Von allen Lichstrahlen, die von a ausgehen, wählt das Auge offenbar den einen aus, der durch den Mittelpunkte (Fokuspunkt) des Auges geht. Dies wird nun durch die Linse in der Pupille bewerkstelligt. Die Krümmung der Linsenoberfläche bewirkt, dass das Bündel der Lichtstrahlen, die von a ausgehen, so gebrochen wird, dass sich danach alle Lichtstrahlen im Punkt a′ treffen (der Lichtstrahl, der durch den Fokuspunkt geht, ist der einzige der nicht gebrocehn wird). Auf diese Weise erscheint es so, als wenn das Auge einen einzigen Lichtstrahl unter diesem Bündel auswählt. Klaus Johannson, Geometrie (L2) §8 Projektive Geometrie 73 Die Regeln des perspektivischen Zeichnens. Die Gesetze nach denen perspektivisch getreue Bilder gemalt werden können wurden in der Rennaissance formuliert (sie wurden in der Rennaissance wiederentdeckt, denn man kennt aus dem antiken Rom auch schon perspektivische Wandmalereien). iEs war ein komplizierter Prozess. Sie wurden schließlich ebenfalls von Brunelleschi gefunden und stellten eine Revolution des Malens (und Sehens dar). Die Gesetze liefen auf die Verwendung folgender Methode hinaus: Gitterschirm Auge Methode zur Konstruktion perspektivischer Gemälde Die erste Entdeckung war die Entdeckung eines unendlich fernen Punktes. Auf ihn liefen im Gemälde alle parallelen Linien zu, die vom Betrachter wegführten. Als nächstes entdeckte man die unendlich ferne Gerade, d.h. den Horizont. Büschel von parallelen Linien in jeder Richtung laufen auf einen unendlichen fernen Punkt zu und alle diese unendlich fernen Punkte ergeben eine unendlich ferne Gerade auf dem Schirm. Damit ist jetzt klar wie sich ein Schachbrett- muster auf dem Schirm darstellt. Methode zur Konstruktion perspektivischer Gemälde Beschreibung. Man muss die beiden Fluchtpunkte bestimmen, die durch zwei Büschel von Parallelen gebildet werden. Einmal die Parallelen des Schachbrettmusters, die vom Betrachter weglaufen und dann die Parallelen die durch die Diagonalen der Kacheln bestimmt werden. Danach kann man dann das Schachbrettmuster nach obiger Vorschrift auf den Schirm malen. Klaus Johannson, Geometrie (L2) 74 . Geometrie (L2) Mit diesen Regeln kann man nun alle möglichen Objekte darstellen und zwar ohne zu rechnen. Das ganze Verfahren wurde von Dürer in verschiedenen Holzstichen festgehalten. Bei Dürer sieht das alles natürlich viel schöner aus: Die perspektivische Methode nach Dürer oder so Abwandlung desselben Verfahrens Klaus Johannson, Geometrie (L2) §8 Projektive Geometrie 75 Die Zentralprojektion in der darstellenden Geometrie. Ziel der darstellenden Geometrie ist es einen räumlichen Körper so in der Ebene darzustellen, dass alle wesentlichen Geshtspukte möglichst realistisch zum Ausdruck kommen. Hierzu benutzt man in der darstellenden Geometrie verschiedene Projektion: Aufriss, Seitenriss und Zentralprojektion. Die beiden ersten Projektionen sind einfach Parallelprojektionen auf Ebenen. Die Erstellung der Zentralprojektion ist am Aufwendigsten. Hier ist eine Beispiel für die Zentralprojektion: Zentralprojektion eines Werkstücks Die Wahl der beiden Fluchtpunkte ist sehr wichtig. Hier ist man zwar ziemlich frei. Dennoch sehen die Zentralprojektionen bei manchen Fluchtpunkten besser aus als bei anderen. Perspektivische Verzerrungen. Wir führen unsere Betrachtung des Sehens noch etwas weiter. Als nächstes wenden wir uns der Pupille zu. Diese wirft ein ganz eigenes Problem auf. Die Pupille des menschliche Auges ist relative klein (im Gegensatz etwa zur Pupille von Fliegen). Dies ist auch gut so, denn so werden wir weniger mit Verzerrungen konfrontiert. Um dieses Verzerrungsproblem zu verstehen, stelle man sich einmal vor, die Pupille wäre viel grösser, etwa die Hälfte des gesamten Auges. Eine Hälfte des Auges besteht dann aus der Pupille und die andere Hälfte aus dem Augenhintergrund. Nun beobachten wir mit unserem vergrösserten Auge einen auf und ab springenden Ball. Die Zentralprojektion des Balles hinterlässt zwei Projektionen: eine Projektion auf der Pupille und eine andere Projektion auf dem Sehschirm. Wir beobachten: Klaus Johannson, Geometrie (L2) 76 . Geometrie (L2) (1) die Projektion des Balles auf die Pupille hinterlässt eine Schar von Kreisen, deren Grösse sich veränderndn, (2) die Projektion des Balles auf den Sehschirm hinterlässt eine Schar von Ellipsen, die sich verändern. Auge Hintergrund Pupille Bild von Kugeln Das perspektivische Bild von Geraden ist dagegen weniger problematisch: k Auge Hintergrund Pupille h g Bild von Geraden Klaus Johannson, Geometrie (L2) §8 Projektive Geometrie 77 Das perspektivische Bild der Geraden g auf dem Sehschirm oder auf dem Auge ist Schnitt einer Ebene (nämlich der Ebene, die durch g und dem Mittelpunkt des Auges bestimmt wird) mit dem Sehschirm bzw. der Sehkugel. Es ist also eine Gerade auf dem Sehschirm und ein Grosskreis auf der Sehkugel. Wir haben also keine Verzerrungsprobleme, wenn wir uns auf die Betrachtung von Punkten und Geraden beschränken. Fur andere geometrische Figuren kann es aber Verzerrungen geben. Diese müsste man dann korrigieren, denn die perspektivischen Bilder stellen ja immer das gleiche Objekt dar. In dem Besipiel des springenden Ball stellen z.B. alle Bildellipsen das gleiche Objekt dar (nämlich den Ball) und müssten also gleich sein. Dann müssten aber Ellipsen und Kreise gleich sein. Das bedeutet aber, dass man in einer projektiven Geometrie nicht zwischen verschiedene Kegelschnitte unterscheiden kann. Daraus folgt aber, dass wir in einer projektiven Geometrie nicht Euklidisch messen dürfen. Wir werden also zunächst weiterhin auf ein Messen verzichten müssen. Dies ist kein Nachteil sondern wird sich zunächst als ein Vorteil der projektiven Geometrie herausstellen. Bemerkung. Um die Verzerrungsprobleme wirklich in den Griff zu bekommen, müssten wir jetzt genaugenommen eine Äquivalenzrelation einführen unter denen alle verzerrten Figuren wieder gleich werden. Dies wird durch die sog. projektiven Transformationen bewerkstelligt. Wir werden aber im folgenden wie bisher nur Punkte und Geraden und keine kreisförmigen Figuren betrachten. Dies ist eine vereinfachte Geometrie in der die in diesem Abschnitt betrachteten Verzerrungsprobleme nicht auftreten. Deswegen werden wir sie auch nicht weiter behandeln. Die Projektive Ebene. Wir gehen in unserer Betrachtung des Sehens nun noch einen Schritt weiter. Diesmal stellen wir uns vor, dass unser Auge vollkommen ist, d.h. sein Sehfeld 3600 beträgt. Wir haben also den Extremfall vor uns in dem das gesamte Auge Pupille ist (und gleichzeitig Augenhintergrund). Die von den Punkten ausgehenden Sehstrahlen treffen die Pupille zweimal - einmal beim Eintreten in das Auge und einmal beim Austreten aus dem Auge. Da jeder Sehstrahl durch den Augenmittelpunkt geht, liegen sich Eintrittspunkt und Austrittspunkt diametral gegenüber. Das Auge sieht jeden Gegenstand zweimal. Die beiden perspektivischen Bilder des Gegenstandes auf dem Auge unterscheiden sich durch eine Diametralpunktvertauschung der Sphäre des Auges. Aus diesem Grund identifiziert man in der Mathematik die gegenb̈erliegenden Punkte der Sphäre. Definition. Die projektive Ebene entsteht aus der Sphäre durch Identifizierung diametral gegenüberliegender Punkte. Klaus Johannson, Geometrie (L2) 78 . Geometrie (L2) Die projektive Ebene liegt nicht mehr im dreidimensionalen Raum und lässt sich auch dort nicht einbetten. Dennoch kann man sich eine ganz gute Vorstellung verschaffen wie eine projektive Ebene aussieht und wie es ist etwa in einer projektiven Ebene zu leben. Gegenüberliegende Punkte der Ausgangssphäre sind gleich (d.h. sie werden identifiziert unter der Diametralpunktabbildung). Wir können also genausogut alle Punkte der oberen Halbsphäre vergessen, denn allen Punkte der oberen Halbsphäre entsprechen ja gleichen Punkten der unteren Halbsphäre. Die projektive Ebene erhalten wir nun aus der unteren Halbkugel indem wir die gegenüberliegenden Punkte des Äquators (= Rand der unteren Halbkugel) allein identifizieren. Man betrachte nun die folgende Zerlegung der unteren Halbsphäre. Die Zerlegung der projektiven Ebene in Scheibe und Möbiusband Wir haben haben zwei Zweiecke und ein Viereck. Diese drei Stücke werden wie folgt identifiziert. Die beiden Zweiecke werden entlang ihrer Kanten im Äquator identifiziert. Dadurch einsteht eine einzige Scheibe (ohne Ecken). Die beiden Kanten des Vierecks, die im Äquator liegen, werden diametral identifiziert. Es entsteht das Möbiusband. Kreisring Identifikation von Antipoden Möbiusband Damit ist gezeigt, dass die projektive Ebene die Vereinigung des M¨biusbandes mit einer Scheibe ist. Insbesondere ist also die projektive Ebene von der Sphäre verschieden, denn die 2-Sphäre enthält kein Möbiusband. Klaus Johannson, Geometrie (L2) §8 Projektive Geometrie 79 Wegen der ungewöhnlichen Gestalt der projektive Ebenen, ist sie oft schwer zu handhaben. Deswegen behilft man sich oft mit den affinen Ebenen, die leichter zu handhaben sind. Die affinen Ebenen behandeln wir nachdem wir die projektive Geomtrie eingeführt haben. Konkrete Projektive Geometrie. Die bisherigen Überlegungen führen zur sogenannten konkreten projektiven Geometrie. Aus der projektiven Ebene wird eine projektive Geometrie indem man noch definiert was die geometrischen Objekte in der projektiven Ebene sind mit denen sich die Geometrie beschäftigen soll. Also Konkrete projektive Geometrie = projektive Ebene + geometrische Objekte Hier wären im Prinzip vele geometrische Figuren denkbar. Besonders interessant wären z.B. Kegelschnitte und dergleichen. Wir werden aber hier der Einfachheit halber nur ”Punkte” und ”Geraden” betrachten (und damit auch den vorher angesprochenen Verzerrungsproblemen entgehen). Gegeben die Begriffe ”Gerade” und ”Ebene” aus der Euklidischen Geometrie des Raumes, können wir ”Punkte” und ”Geraden” der projektiven Geometrie wie folgt definieren. Definition. Die konkrete projektive Geometrie ist gegeben durch (1) die konkrete projektive Ebene, d.h. durch eine Sphäre K im dreidimensionalen Raum mit anschliessender Diametralpunkt Identifizierung. (2) die Punkte in der projektiven Ebene, d.h. die Schnitt(punkte) der Sphäre K mit solchen Geraden im Raum, die durch den Mittelpunkt von K gehen, mit anschliessender Diametralpunkt Identifizierung. (3) die Geraden in der projektiven Ebene, d.h. den Schnitten der Sphäre K mit solchen Ebenen im Raum, die durch den Mittelpunkt von K gehen, mit anschliessender Diametralpunkt Identifizierung. Satz. Je zwei Geraden in der projektiven Geometrie schneiden sich in genau einem Punkt. Beweis. Je zwei Grosskreise in der Sphäre schneiden sich in genau zwei Punkten, die sich darüberhinaus diametral gegenüber liegen. ♦ Bemerkung. Damit gilt das Paprallelenaxiom in der projektive Geometrie nicht. Die projektive Geometrie ist also eine Art nicht-Euklidischer Geometrie. Wir werden aber auch in dieser Geometrie, zunächst weder Längen noch Winkel messen. Klaus Johannson, Geometrie (L2) 80 . Geometrie (L2) Affine Ebenen. In der projektiven Ebene selbst lässt sich nicht gut arbeiten, aber man kann sich gut mit affinen Ebenen behelfen. Eine affine Ebene ist eine gewöhnliche Euklidische Ebene (also wieder ohne Koordinatensystem oder Ursprungspunkt). Aus der affinen Ebene entsteht die projektive Ebene indem man noch alle idealen Punkt (oder: alle unendlich fernen Punkte) dazunimmt. Wenn man diesen Punkt beachtet dann kann man ganz gut projektive Geometrie in der affinen Ebene betreiben. Man beachte, aber, dass sich je zwei Geraden schneiden - entweder in einem Punkt der affinen Ebene selbst oder in einem idealen Punkt der affinen Ebene. Damit gibt es keine Parallelen im Euklidischen Sinne. Es ist aber üblich Geraden die sich in idealen Punkten schneiden als ”Parallelen” zu bezeichnen. Dies kann anfangs recht verwirrend sein. Eine affine Ebene ist eine Wahl einer Ebene im dreidimensionalen Raum, die den Mittelpunkt der Sphäre K nicht enthält. Je nach Wahl dieser Ebenen können die Schnittverhältnisse von Geraden anders aussehen. Das nächste Bild zeigt zwei affine Ebenen (schattierte Ebenen). Parallele Geraden = Nicht-parallele Geraden Weiter sieht man ein Paar von Ebenen. Der Schnitt dieses Paares mit der Sphäre K repräsentiert ein Paar von Geraden in der konkreten projektiven Geometrie der projektiven Ebene (also zwei Grosskreise). Diese schneiden sich in der projektiven Ebene in genau einem Punkt. In der affinen Ebene des linken Bildes schneiden sich diese beiden Geraden nicht (sie schneiden sich in einem idealen Punkt). Dagegen schneiden sich dieselben Geraden in der affinen Ebene des rechten Bildes. Durch geeignete Wahl der affinen Ebene kann man also einen Schnittpunkt sichtbar machen oder im Unendlichen verbergen. Der Satz von Desargue. Mit der projektiven Geometrie hat man nun eine neue, von der Euklidischen Geometrie verschiedenen Geometrie. Sie ist aus der Perspektive der Rennaissance Maler entstanden. Aber es ist bis jetzt noch nicht ganz klar geworden, was mit einer projektiven Geometrie wirklich mathematisch erreicht wird. Klaus Johannson, Geometrie (L2) §8 Projektive Geometrie 81 Die projektive Geometrie hat aber eine wichtige Eigenschaft die die Euklidische Geometrie nicht hat, sie erfüllt nämlich ein Dualitätsprinzip. Mit diesem Dualitätsprinzip lassen sich viele schwierige Sätze der Euklidischen Geometrie relativ leicht beweisen. Aus Zeitgründen können wir die Methode leider nur an einem Beispiel illustrieren. Wir wählen hierzu den Satz von Desargue. Der Satz von Desargue kommt in verschiedenen Varianten daher. Hier sind drei dieser Varianten. Der Satz von Desargue in der affinen Ebene Satz von Desargue. Sind in den obigen beiden Figuren die einmal und zweimal gestrichenen Strecken parallel, so auch die dreimal gestrichenen Strecken. Desargue’sche Eigenschaft. Seien ∆ = ∆(p, q, r) und ∆′ = ∆(p′ , q ′ , r′ ) zwei Dreiecke (d.h. zwei Tripel von nicht colinearen Punkten) von P so dass die Geraden pp′ , qq ′ , rr′ alle durch deselben Punkt gehen. Dann liegen die Schnittpunkte pq ∩ p′ q ′ , pr ∩ p′ r′ , qr ∩ q ′ r′ alle auf einer Geraden. s q’ p’ r’ r p q Die Desargue’sche Eigenschaft Die Desargue’sche Eigenschaft ist auch nur eine Form des Desargueschen Satzes. Um dies zu sehen muss man einige der obigen Punkte zu unendlich fernen Punkten erklären. Klaus Johannson, Geometrie (L2) 82 . Geometrie (L2) Um den Satz von Desargue zu beweisen führen wir die abstrakte projektive Geometrie ein. Es stellt sich dann heraus, dass die abstrakten ihrerseits viele neue intersaante Eigenschaften haben, die wir hier aber leider nicht verfolgen können. Abstrakte Projektive Geometrie. In der abstrakten projektiven Geometrie ist die projektive Geometrie nicht mehr konkret gegeben. Das Entscheidende in der konkreten projektiven Geometrie waren ja nicht die Massverhältnisse (die es nicht gibt) sondern die Schnittverhältnisse von Geraden wie sie z.B. im Satz von Desargue diskutiert. Genauer ausgedrückt sind es allein die Inzidenzverhältnisse von Punkten und Geraden die die projektive Geometrie ausmachen. Eine abstrakte projektive Geometrie ist deshalb axiomatisch durch die Inzidenzverhältnisse allein definiert. Dies führt zu folgender formalen Definition. Eine kombinatorische Ebene ist ein Tripel P = (V, L, I) von Mengen V, L, I mit V ∩ L = ∅ und V ∪ L 6= ∅ und I ⊂ V × L. Hier heißt V = die Menge der Punkte (= vertices), L = die Menge der Geraden (= lines) und I = die Inzidenztafel der kombinatorischen Ebene P . Bezeichnungen. Man sagt p ∈ V und ℓ ∈ L sind inzident, genau dann wenn (p, ℓ) ∈ I. Man sagt auch einfach p liegt auf ℓ. Punkte einer kombinatorischen Ebene heißen colinear, wenn sie auf einer gemeinsamen Linie liegen. Ein Vierpunkt ist ein Quadrupel (p, q, r, s) von Punkten aus V mit der Eigenschaft dass kein Tripel dieser Punkte colinear ist. Definition. Eine abstrakte projektive Ebene ist eine kombinatorische Ebene P = (V, L, I) so dass (1) Je zwei Punkte von V sind inzident zu genau einer Gerade von L, (2) Je zwei Geraden von L sind inzident zu genau einem Punkt von V , (3) Es gibt einen Vierpunkt. Bemerkung. Abstrakte projektive Ebenen können endlich oder unendlich sein. Die konkrete projektive Geometrie ist ein Beispiel für eine unendliche abstrakte projektive Ebene. Später werden wir ein Beispiel für eine endliche abstrakte Ebene sehen. Klaus Johannson, Geometrie (L2) §8 Projektive Geometrie 83 Bemerkung. Entscheidend ist hier, dass es nicht länger darauf ankommt was ”Punkte” und ”Geraden” konkret sind, sondern nur darauf was ihre Inzidenzverhältnisse sind. Bei projektiven Ebenen kann man eigentlich zwischen Punkten und Geraden nicht mehr wirklich unterscheiden. Wir sagen eine Ebene ist selbst-dual, wenn jede Aussage über die Ebene richtig bleibt, wenn man in ihr ”Punkt” durch ”Gerade” und ”Gerade” durch ”Punkt” ersetzt. Die Axiome (1) und (2) der projektiven Ebene sind Beispiele für duale Aussagen. Alle projektiven Ebenen sind selbst-dual. Satz. (Das Dualitätsprinzip der projektiven Geometrie) Jede Aussage der projektiven Geometrie bleibt wahr, wenn man ihr die Worte ”Punkte” und ”Gerade” jeweils durch die Worte ”Gerade” und ”Punkte” ersetzt. Beweis des Dualitätsprinzips. Wenn man in den Axiomen der abstrakten projektiven Geometrie die Worte ”Punkte” und ”Gerade” austauscht erhält man dieselben Axiome und somit dieselbe Geomtrie. Die Sätze in der einen Geometrie müssen also auch in der dualen Geometrie gelten (weil sie gleich ist). ♦ Mit dem Dualitätsprinzip hat man ein sehr wirksames Instrument in der Hand. Für jede einmal bewiesene Aussage in der projektiven Geometrie erhält man ja sofort die duale Aussage für umsonst dazu, ohne diese extra beweisen zu müssen (”buy one, get one free”). Hierfür findet man viele Beispiele in Lehrbüchern zur projektiven Geometrie. Aus Zeitgründen illustrieren wir das Prinzip nur an einem Besipiel, nämlich dem Beweis des Satzes von Desargue. Beweis des Satzes von Desargue mit Hilfe des Dualitätsprinzips. Wir werden sehen, dass der Satz von Desargue lediglich eine Folge des Dualitätsprinzips ist. Um dies zu sehen, muss man sich nur klar machen, dass der Satz von Desargue genaugenommen aus zwei Aussagen besteht, beide über ein gewisses Paar ∆ABC und ∆A′ B ′ C ′ von Dreiecken, nämlich 1. Aussage: Die drei Geradenpaare, die durch sich entsprechende Seiten der Dreiecke gehen, treffen sich in drei Punkten, die alle auf einer Geraden liegen. 2. Aussage. Die drei Punktepaare, von sich entsprechenden Eckpunkten der Dreiecke, liegen auf drei Geraden, die sich in einem Punkt treffen. Wenn wir dies in der abstrakten Axiomatik ausdrücken, dann liest sich das wie folgt. 1. Aussage. Seine g1 , g2 , g3 ∈ G und g1′ , g2′ , g3′ ∈ G die sich entsprechenden Geraden. Seien p1 , p2 , p3 ∈ P die Punkte mit (pi , gi ) ∈ I, (pi , gi′ ) ∈ I, i = 1, 2, 3. Es gebe eine Gerade h ∈ G mit (pi , h) ∈ I. Klaus Johannson, Geometrie (L2) 84 . Geometrie (L2) 2. Aussage. Seien p1 , p2 , p3 ∈ P und p′1 , p′2 , p′3 ∈ G die sich entsprechenden Eckpunkte. Seien g1 , g2 g3 ∈ G die Geraden mit (pi , gi ) ∈ I, (p′i , gi ) ∈ I. Es gebe einen Punkt q ∈ P mit (q, gi ) ∈ I. Wir sehen, dass beide Aussagen ineinander übergehen, wenn wir die Wörter ”Punkte” und ”Geraden” austauschen. Nach dem Dualitätsprinzip gilt dann eine der beiden Aussagen genau dann wenn die andere Aussge gilt. Dies beweist den Satz von Desargue. ♦ Endliche Projektive Ebenen. Abstrakte projektive Ebenen können auch nur aus endlich vielen Punkten bestehen. Solche endlichen projektiven Geometrien sind vollständig durch ihre Inzidenztafeln gegeben. Beispiel. Die folgende Tafel ist die Inzidenzmatrix einer endlichen, projektiven Ebene mit 13 Punkten und 13 Geraden. Ein schwarzes Feld in Position (i, j) bedeutet, dass der Punkt in der j-ten Spalte und die Gerade in der i-ten Zeile inzident sind: Eine endliche projektive Ebene Um zu zeigen, dass diese Tafeln projektive Ebenen sind, muss man die drei Eigenschaften von projektiven Ebenen nachprüfen: (0) Es gibt mindestens einen Vierpunkt. Um dies zu verifizieren, muss man 4 Vertikale angeben mit der Eigenschaft, dass jede Horizontale mindestens zwei der Vertikalen in weissen Feldern schneidet. Im linken Bild sieht man, dass die vier Vertikalen 1, 5,6,7 diese Eigenschaft haben. (1) Je zwei Geraden enthalten genau einen Punkt. Um dies zu verifizieren muss man nachprüfen: für je zwei Horizontale gibt es genau eine Vertikale, die die Horizontalen in schwarzen Feldern trifft. Im mittleren Bild ist dies nur die Vertikale 13, die die Horiizontalen 5 und 12 in dieser Weise trifft. Klaus Johannson, Geometrie (L2) §8 Projektive Geometrie 85 (2) Je zwei Punkte liegen auf genau einer Geraden. Um dies zu verifizieren muss man nachprüfen: für je zwei Vertikale gibt es genau eine Horizontale, die die Vertikalen in schwarzen Feldern trifft. Im rechten Bild ist dies nur die Horizontale 4, die die Vertikalen 4 und 8 in dieser Weise trifft. Bemerkung. Man kann sich die Arbeit durch die Beobachtung vereinfachen, dass die Tafel spiegelsymmetrisch entlang der Diagonale ist. Dies muß aber für eine projektive Ebene nicht notwendigerweise gelten. Damit ist gezeigt, dass die obige Tabelle eine projektive Ebene ist. ♦ Bemerkung. Man beachte, dass jede Zeile und jede Spalte der Tabelle die gleiche Zahl von schwarzen Feldern enthält, nämlich im obigen Beispiel 4. Es ist eine der bemerkenswerten Eigenschaften der projektiven Ebenen, dass dies für projektive Ebenen immer der Fall ist. Bemerkung. Im Prinzip kann man endliche projektive Ebenen durch Probieren finden und man kann sich leicht vorstellen, dass die kleineren projektiven Ebenen alle bekannt sind. Mit steigender Zahl von Punkten und Geraden wird es allerdings immer schwerer alle Bedingungen von projektiven Ebenenen zu testen, so dass man - selbst unter Verwendung von Computern - schnell an Grenzen stößt. Viele der endlichen projektiven Ebenen haben aber interessante Eigenschaften oder wichtige Beziehungen zu anderen Gebieten der Mathematik, wie z.B. zur Algebra oder Gruppentheorie. Deshalb würde man sie gerne besser kennen. Leider können wir hierauf nicht weiter eingehen. Es ist aber bis heute imer noch eine besondere mathematische Herausforderung, interessante endliche projektive Ebenen zu konstruieren. Literatur: David Hilbert, Grundlagen der Geometrie Felix Klein, Vorlesungen über nicht-Euklidischen Geometrie Frederick Stevenson, Projective planes Klaus Johannson, Geometrie (L2)