Thomas Bernhard - Der Theatermacher Thomas Bernhard ist am 10. Februar 1931 in Heerlen bei Maastrich, Holland, geboren. Die ledige Mutter, Herta Bernhard, Tochter von Anna Bernhard und dem Schriftsteller Johannes Freumbichler, hatte im Sommer 1930 Österreich verlassen, um in Holland als Dienstmädchen zu arbeiten. Der Vater des unehelichen Kindes, Alois Zuckerstätter, ein Tischler aus dem salzburgischen Henndorf, setzt sich nach der Geburt des Kindes nach Deutschland ab. Im Herbst 1931 bringt Herta Bernhard ihr Kind zu den Großeltern nach Wien. Später übersiedelt Bernhard mit seinen Großeltern nach Seekirchen in Salzburg. Anfang 1938 heiratet seine Mutter Emil Fabjan, der als Friseur in Traunstein in Deutschland arbeitet. Die Mutter nimmt nun wieder ihren Sohn zu sich, der aber in schulische Schwierigkeiten gerät. Die Mutter kommt mit Thomas nicht zurecht und schickt ihn deshalb in ein nationalsozialistisches Erziehungsheim nach Salzburg. Nach einem schweren Bombenangriff wird er nach Traunstein zurückgeholt. Auch in der schlimmsten Zeit drängt sein Großvater auf die künstlerische Ausbildung seines Enkels. Er läßt ihm Zeichen-, Mal- und Gesangsunterricht geben. 1945 kehrt er nach Salzburg zurück und besucht ein Humanistisches Gymnasium. Er verläßt es mit 16 Jahren und macht eine Lehre in einem Lebensmittelgeschäft. Aufgrund einer nicht ausgeheilten Erkältung, muß er wegen einer schweren Rippenfellentzündung, woraus sich eine Lungentuberkulose entwickelt, ins Krankenhaus. Unmittelbar zuvor war auch sein Großvater, der Schriftsteller Johannes Freumbichler, eingeliefert worden. Der Großvater stirbt am 11. Februar 1949 an einer Nierenkrankheit. In den anschließenden Aufenthalten in Sanatorien und Lungenheilstätten, die sich bis zum Jahre 1951 ziehen, beginnt Thomas Bernhard intensiv zu lesen und zu schreiben. Während seiner Aufenthalte stirbt seine Mutter. In der Lungenheilanstalt Grafenhof bei St. Veit lernt er die 35 Jahre ältere Hedwig Stavianicek kennen. Sie begleitet ihn bis zu ihrem Tod im Jahre 1984. In den folgenden Jahren ist er als Journalist bei verschiedenen Zeitungen tätig. Er besucht das Mozarteum in Salzburg, wo er Musikunterricht nimmt und einem Schauspielseminar beiwohnt. Er lebt dann als freier Schriftsteller in Österreich. Sein erster Gedichtband erscheint 1957 mit dem Namen Auf der Erde und in der Hölle Bernhard tritt zuerst als Lyriker mit Gedichtsammlungen hervor, die, wie auch seine Prosa, von Melancholie, dumpfer Verzweiflung und existentiellem Schmerz gekennzeichnet sind. Ihre Sprache löst sich häufig in surrealen Bildern auf. Das erste längere Prosawerk Frost, welches er 1963 schreibt, gestaltet eine menschliche Existenz, die an den Bedrohungen des Absoluten wie an den kleinlichen Intrigen der Mitmenschen zerbricht. Dieser Roman zeigt bereits sprachlich und thematisch unverwechselbare Eigenständigkeit. Das hat sich erneut in der fragmentarischen Erzählung Amras, und dem Roman Verstörung erwiesen. Bernhard schreibt von einer schriftstellerischen Besessenheit Krankheitsgeschichten über Psychopathen, Verbrecher, Selbstmörder und Sterbende, weil er zeigen will, daß die menschliche Existenz an das Leiden gebunden ist, ja, das Leiden die einzige Realität ist. Die Personen verfallen zum Teil in dumpfes Dahinvegetieren, zum Teil schenkt ihnen aber gerade ihre geistige Verstörung Hellsichtigkeit und damit Gewißheit über die menschliche Urtragödie. So versuchte einmal Wilfried Schwedler die Werke Bernhards zu beschreiben: “Weder ahnungsloser Optimismus noch das Streben nach Ästhetik oder alles zerstörender Pessimismus, sondern der tiefe Ernst eines Mitleidenden prägt seine Prosa.” Thomas Bernhard werden zahlreiche literarische Preise in Deutschland und Österreich zuerkannt. Nach einem Skandal in Wien bei einer Preisverleihung entschließt er sich keine Preise mehr anzunehmen. Thomas Bernhard stirbt am Morgen des 12. Februar 1989. Sein letzter Abend war der 40. Todestag seines Großvaters Johannes Freumbichler. Bernhards Tod wird erst nach dem Begräbnis bekannt gegeben. Den Theatermacher, das Werke, das ich heute besprechen möchte, schreibt er 1983. Die Uraufführung fand bei den Salzburger Festspielen am 17. August 1985 statt. Einmal mehr wählte Bernhard für dieses Auftragswerk der Salzburger Festspiele das Genre des Künstlerdramas, wie bereits mit Der Ignorant und der Wahnsinnige (1972), Die Macht der Gewohnheit (1974) und Minetti (1976), um die Auflehnung des radikalen Künstlers gegen die lebensfeindliche Natur und geistfeindliche Gesellschaft, gleichzeitig aber auch das notwendige Scheitern dieser Auflehnung zu thematisieren. Der Theatermacher geht vom Theaterskandal um das Notlicht in der Salzburger Festspielaufführung von Der Ignorant und der Wahnsinnige aus. Damals bestand Bernhard auf absolute Finsternis, die feuerpolizeilich nicht durchzusetzen war. Bernhard sagte damals: “Eine Gesellschaft, die 2 Minuten Finsternis nicht verträgt, kommt ohne mein Schauspiel aus!” Gut 10 Jahre später greift er diese feuerpolizeiliche Schikane wieder auf, diesmal aber versteift sich der närrische Theatermacher Bruscon, ein dilettantischer Schriftsteller und Familientyrann, auf diese Forderung, wodurch seine Poetik der Finsternis, die einmal Bernhards eigene war, der Lächerlichkeit preisgegeben wird. Trostloser Handlungsort ist der verstaubte Tanzsaal im Gasthof “Schwarzer Hirsch” in Utzbach, einem Provinznest mit 280 Einwohnern. Um den Saal dürfte sich seit längerem niemand mehr gekümmert haben. Grünlich modert der Schimmel die feuchten Wände hoch. Die Spinnweben haben sich zu klebrigem Gespinst verfestigt. Der Fliegenfänger, der von der Decke hängt, muß längst vertrocknet sein, wie der übrige Fliegenschiß an allen Wänden vermuten läßt. Sogar das Hitlerbild ist bis zur Unkenntlichkeit verdreckt. Auf dem Türbalken ein altes Kreidezeichen: “Casper, Melchior, Baltasar 1945” - also noch vor Kriegsende. Aber über den vergammelten Türen, die seit Jahren keiner mehr geöffnet hat, brennt das Notlicht. Der ehemalige Staatsschauspieler Bruscon will dort seine Weltkomödie Das Rad der Geschichte aufführen, deren Höhepunkt und Voraussetzung die absolute Finsternis sein soll. Die Schauspieltruppe besteht aus dem abgetakeltem Bruscon, seiner lungenkranken, ewig hustenden Frau, dem unbegabten Sohn Ferrucio und der nicht den Ansprüchen des Vaters entsprechende Tochter Sarah. In den ersten 3 Szenen zeigen sie sich damit beschäftigt, den Saal für die abendliche Vorstellung herzurichten, die Requisiten herbeizuschaffen, die Kostüme von Nero, Churchill, Hitler, Einstein, Madame de Staël auf Kleiderständer zu hängen. Die Familie nimmt eine karge Mahlzeit zu sich. Bruscon erteilt den Mitwirkenden letzte Regieanweisungen, sieht aber ein, daß dies ein vergebliches Bemühen ist. Die quälende Dummheit seiner Leute, ein permanentes, jegliche Konzentration verhinderndes Schweinegrunzen von draußen, ein sich ankündigendes Gewitter und die bis zuletzt anhaltende Ungewißheit, ob die Vorstellung denn überhaupt stattfinden könne, da der Feuerwehrhauptmann bislang noch keine Genehmigung zum Abschalten des Notlichtes am Schluß der Aufführung erteilt hat, ist der eigentliche Inhalt des Stückes. In seiner Komödie hat es am Ende vollkommen finster zu sein auch das Notlicht muß gelöscht sein vollkommen finster absolut finster. Das Finale gerät, wie nicht anders zu erwarten, zum Fiasko: Unmittelbar vor Vorstellungsbeginn beschwört Bruscon noch einmal seinen unerschütterlichen Glauben an die Schauspielkunst als einzigen Existenzgrund. Er schminkt das Gesicht seiner Frau total schwarz: Atomzeitalter meine Liebe das ganze Atomzeitalter muß in diesem Gesicht sein. Mehr oder weniger das Ende der Welt in deinem Gesicht Die Madame Curie muß ein schwarzes Gesicht haben habe ich immer gesagt Ich verstehe nicht daß du meinen Befehl nicht befolgst Plötzlich bricht das Gewitter über Utzbach aus. In Panik verlassen alle Zuschauer den Saal, zurück bleiben allein nur die Schauspieler, auf die es durch die undichte Decke herabregnet. Bruscon im Kostüm des Napoleons, sinkt in einem Stuhl zusammen. Der Theatermacher stellt eine witzige Selbstparodie, die Kunstprogrammatik Bernhards dar und ist zugleich das komische Gleichnis über die Kunst in einer kunstfeindlichen Welt. Das schwierige Adaptieren des Saals im Utzbacher Dorfwirtshaus wird zum sinnfälligen Anschauungsunterricht von Bernhards Ästhetik des Dramas und der Grundlagen der ästhetischen Scheinwelt überhaupt. Wie Bruscon die Bühne abschreitet und abmißt, wie er sich bückt, um zu prüfen, ob die Bühnenbretter auch tragen, wie er Sätze aus seinem Drama in den Saal ruft, um die stimmliche Resonanz zu studieren, wie man in der zweiten Szene umständlich den Bühnenvorhang montiert, der dann zur Probe langsamer oder schneller auf- und zugezogen wird. Der Theatermacher wird ständig auf den Weltzustand gestoßen, in dem die Zeit der Märchen für immer vorbei ist. In einer kalten, kunstfeindlichen Welt kann nur mit größter Rücksichtslosigkeit gegen sich selbst und gegen die anderen Kunst gemacht werden. Bruscon ruft aus: Kunst, Kunst, Kunst, hier wissen sie ja gar nicht was das ist, den wohin man schaut doch nur Häßliches. Ganze Haufen von Geweihen wären wegzuräumen. Die Fenster müßte man gegen den Lärm des Schweinegrunzens und den Gestank der Schweinemast verschließen. Ein Herakles müßte Bruscon sein, um die Häßlichkeit wegzuschaffen, die zum Weltzustand geworden ist. Alles ist vom Geschäftsgeist verschandelt und von der unbewältigten Vergangenheit beschädigt. So schleppt Bruscon, von Krankheit und Erschöpfung gezeichnet, seinen angegriffenen Körper und seinen hohen Kunstbegriff durch die Voralpenschwüle. Oskar Werner ist nicht, wie oft spekulativ verbreitet wurde, das Vorbild für den Theatermacher. Allenfalls hat Bernhard – seit je und gerichtsnotorisch nachlässig beim Literarisieren von Wirklichkeitsstoff ein paar äußerliche Lebensumstände bei Werners letzter Sauftournee durch die Wachau entlehnt. Aber sonst hat Bruscon mit dem kaputten Burgschauspieler und Hollywoodstar so wenig zu tun wie mit irgendeinem leibhaftigem Staatsschauspieler. Dieser Bruscon – Zerrbild ohne Vorbild – ist demnach der Stoff, aus dem seit jeher die Bernhard-Ungeheuer sind. Er plustert und brüstet sich, er nörgelt, bezichtigt, verurteilt, höhnt und verachtet, er rechtet und richtet, schurigelt seine Nächsten und schikaniert jeden. Er teilt gerne nach allen Seiten hin Schmähreden aus; die harmloseste unter ihnen betrifft die angebliche Erbärmlichkeit der Theaterkritiker, gravierender sind die Verhöhnung Österreichs und die Auslassung über die Minderwertigkeit der Frauen. Die Frauen haben keinen Kunstbegriff den Frauen fehlt gänzlich alles Philosophische das ist es philosophisches Gehirn fehlt Bemühungen in diese Richtung ja aber vergeblich nicht ernst zu nehmen Man sagt die Frauen seien heute im Vormarsch ja in die Katastrophe hinein Bald kommt der weibliche Offenbarungseid denke ich Gefühlswelt auch nichts als Lüge Kannst du dir vorstellen daß wir mit deiner Mutter über Schopenhauer sprechen Das hat es nie gegeben Völlig geistlose Köpfe oder über Montaigne Dann machen sie sich lustig wenn sie nichts verstehen Wollte ein Zuschauer nur einen Bruchteil davon ernst nehmen, er müßte das Theater fluchtartig verlassen. Besser sind alle jene dran, denen es gelingt, diesem ins Monströse gesteigerten österreichischen Hang zu Zerfleischung und Selbstzerfleischung eine gewissen Spaß und Unterhaltungswert abzugewinnen. Es ist Kritik, die um ihrer selbst willen geübt wird, die sich an ihrer eignen Übertreibungen ergötzt, die nichts ausläßt und daher schon wegen dieser Totalität die Wirksamkeit als Kritik zugunsten sprachlichen Kurzweils einbüßt. Bernhard läßt auch das Theater nicht aus der genüßlichen Ächtung aus und gibt an dieser Stelle sogar Selbstironie zu erkennen, wenn es von den Lungenkranken heißt, das sie “schwierige Leute” und “Niederträchtigkeitsfanatiker” seien. Ich habe die Tournee ja nicht gewollt ja nicht machen wollen ich war immer gegen diese Tournee aber weil sie mich immerfort gepeinigt hat mit ihrer guten Landluft habe ich nachgegeben Lungenkranke schwierige Leute kaum auszuhalten Weltbeherrscher sozusagen Niederträchtigkeitsfanatiker Die gute Landluft die wir auf der Tournee haben hat sie immer wieder gesagt und dabei ist es nichts als Gestank und ihr Zustand war noch nie so schlecht wie jetzt Ein heruntergekommener Erbe der romantischen Poetik, der Begriffe wie Imitation, Phantasie, Geist, das Poetische, Genie, das Schöpferische, die Schönheit, hochhält, Begriffe, an denen man sich erwärmen wollte, seit die Welt entzaubert wurde und mit der Klarheit der Kälte zuzunehmen begann. Begriffe, die auch der unzeitgemäße Großvater Thomas Bernhards zu seiner Kunstreligion und zu Leitworten für seinen Enkel gemacht hatte. So ist in Bruscon und seiner Familientruppe wieder Bernhards Familienstück zu erkennen, mit dem kunstbessenen Großvater im Mittelpunkt, dem sich die anderen 3 Familienmitglieder, Bernhards Mutter, Onkel und Großmutter, bedingungslos unterworfen hatten. Wie Bruscons 4-köpfige Truppe waren sie durch halb Europa gezogen, jahrelang auf der Suche nach Anerkennung und künstlerischem Erfolg. Und wie Bruscon trat auch der Großvater als großer Herr mit höchsten künstlerischen Ansprüchen auf, hinter denen die ängstlich verborgene Einsicht stand, mit seinem Unternehmen gescheitert zu sein. Was sie besaßen, war, wie im Theatermacher, nicht viel mehr, als was sich in Wäschekorb und Kiste unterbringen ließ. Bernhards Großvater pflegte normalerweise eine Leinenkappe zu tragen. So muß natürlich auch Bruscon eine haben: Extralange Hosen trug ich damals und eine Leinenkappe auf dem Kopf Ich nannte sie meine Vorteilskappe weil ich bald darauf gekommen war daß es unter dieser Kappe zu denken ein Vorteil war Wollte ich klar denken setzte ich diese Kappe auf die Leinenkappe die ich von meinem Großvater mütterlicherseits geerbt habe Und stellen Sie sich vor es war mir auch in der Großstadt nicht möglich ohne diese Leinenkappe meines Großvaters zu denken jedenfalls nicht mit der notwendigen Klarheit die ich mir zum Prinzip gemacht habe schließlich hatte ich diese Leinenkappe während der ganzen Arbeit an meiner Komödie auf Nehme ich die Kappe herunter ist meine Komödie vernichtet habe ich gedacht und ich habe sie die ganzen neun Jahre die ich an meiner Komödie geschrieben habe eben an unserem Rad der Geschichte aufbehalten Die Riesenromane Johannes Freumbichlers kehren wieder in Bruscons Riesendrama, die Kinder Farald und Herta in Ferrucio und Sarah, und an der Nierengeschichte, an der Bruscon leidet, ist Freumbichler im Februar 1949 gestorben. Wie Bruscon könnte auch der erfolglose, verarmte Schriftsteller Johannes Freumbichler die Größe seiner Misere seines Lebens in dem fragmentarischen Satz ausdrücken, den die Tochter des Theatermachers wieder und wieder nachsprechen muß, weil er dem Kunsttyrannen nie andächtig genug gesprochen werden kann: Wenn wir die Schönheit nicht besitzen und durch und durch ein kranker Geist und mittellos bis in die Seele sind.