Institut für Mathematik Prof. Dr. V. Schroeder Thomas Preu 18.9.2007 Übung zur Vorlesung MAT 184, Mathematik für die Chemie HS 2007 - Grundlagenblatt Inhaltsverzeichnis 1 Zu 1.1 1.2 1.3 Logik und Mengenlehre Nichthinterfragte Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Überblick über Symbole der Logik und Mengenlehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Beispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2 Einige Schreibweisen und Formeln aus 2.1 Das griechische Alphabet . . . . . . . 2.2 Weitere Schreibweisen . . . . . . . . . 2.3 Einige Formeln . . . . . . . . . . . . . der Mathematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 Einige Grundkonzepte der Mathematik und des Mathematik-Machens 3.1 Einige gängige Beweistechniken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2 Äquivalenzumformung und der Gebrauch von Nicht-Äquivalenzumformungen 3.3 Was sind formal korrekte Rechnungen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4 Einige Begriffe des Mathematik Machens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 1.1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 1 2 2 3 3 3 3 4 4 4 5 5 Zu Logik und Mengenlehre Nichthinterfragte Voraussetzungen Um ein begrifflich fundiertes Konzept von Mathematik zu haben, also um Mathematik möglichst umfassend zu verstehen, müsste man zuerst in der Philosophie ansetzen. Man müsste sich darauf einigen, dass alle einigermaßen Deutsch verstehen und unter Dingen“, Menge/Ansammlung von Dingen“, Gleichheit“, ” ” ” Zeichen/Symbol“, Zeichenersetzung“, Regel“, Regelanwendung“, Wahrheit“, Falschheit“, Interpre” ” ” ” ” ” ” tation/Bedeutung“ in etwa das gleiche meinen. Hat man diese Schwierigkeiten geklärt, so könnte man Logik, insb. mathematische Logik und Mengenlehre einführen und anschließend einen vernünftig fundierten Zahlbegriff besprechen. Allerdings wollen Sie (Wirtschafts-)Chemiker werden und nicht Mathematiker. Sie sind in erster Linie nicht an der Mathematik, sondern an der Mathematik für die Chemie interessiert. Der Übungsleitung wurde gesagt, dass Sie Rechnen lernen sollen, und nicht genau verstehen brauchen, warum man so rechnet wie man rechnet. Die Erfahrung der Übungsleitung zeigt zwar, dass man sich durch Verstädnis beim Lernen viel leichter tut, aber die Zeit reicht zu einem tiefen Verständnis ohnehin nicht aus und so ein tiefgreifendes Verständnis brauchen Sie wirklich nicht. Nehmen wir also an, Sie verstünden unter obigen Worten in etwa das gleiche wie die Übungsleitung, können logisch schlußfolgern und haben ein naives Verständnis von Mengen und Zahlen1 . Desweiteren wird auch mehr oder weniger vorrausgesetzt, dass Sie in der Schule schon das Rechnen mit reellen Zahlen und grundlegende Arithmetik der ganzen Zahlen gelernt haben, dass Sie ein bisschen Geometrie, Analysis, Algebra und Wahrscheinlichkeitstheorie hatten. Im Folgenden wird eine kleine, sicher nicht umfassende Sammlung von mathematischen Symbolen und Formeln gegeben, und von Begriffen und Techniken, die in mathematischen Texten häufig vorkommen. In 1 Man sollte diese scheinbaren Trivialitäten nicht unterschätzen! Über diese Probleme haben sich schon viele schlaue Menschen Gedanken gemacht, die sicher mehrere hundert tausende Seiten von Büchern füllen. In der Mathematik gab es vor gut hundert Jahren die sogenannte Grundlagenkriese, als man feststellte, dass diese Fragen bis dahin nur unbefriedigend angegangen wurden und vielleicht die gesamte Mathematik, oder zumindest das, was die Menschheit bis dahin an Mathematik gemacht hat, falsch sein könnte. Heute weiß man: Von einer mathematischen Theorie, die die natürlichen Zahlen beschreibt, wird man nie beweisen können, dass sie richtig ist, selbst wenn sie tatsächlich richtig ist. Fazit: Man sollte diese Probleme nicht unterschätzen! 1 der Vorlesung wird auf Formalität weniger wert gelegt, aber sollten Ihnen Zeichen oder Begriffe unbekannt vorkommen, die der Dozent oder die Übungsleitung ganz selbstverständlich benutzen, Ihnen aber völlig unbekannt sind, so werden sie hier vielleicht fündig. Die wenigen Beweise, die in der Vorlesung gegeben werden, werden eher mit natürlichsprachlichen Argumenten geführt werden – man verlasse sich einfach darauf, dass dies prinzipiell mit einem formalen Kalkül auch geht, der die eigentlich einzige Instanz für die Richtigkeit eines Beweises in der Mathematik ist. 1.2 Überblick über Symbole der Logik und Mengenlehre Aussagenlogik: ⊥ (falsch), > (wahr), ¬x (nicht x), x ∨ y (x oder y), x ∧ y (x und y), x ⇒ y (aus x folgt y), x ⇐ y (x folgt aus y), x ⇔ y (x gilt genau dann, wenn y gilt), (· · · ) (geklammerter Ausdruck: bildet eine syntaktische Einheit). Prädikatenlogik: ∃x : − (Es gibt eine x, so dass −), ∀x : − (Für alle x, gilt −), ∃1 x : − (Es gibt ein und nur ein x, so dass −), p(x, z, y) (Das Prädikat2 p, das 3 Argumente nimmt, und in diesem Fall die Argumente x, z, y in der Reihenfolge). Mengenlehre: x ≡ y oder x = y (x und y sind als Mengen gleich), ∅ (leere Menge), x ⊂ y (x ist Teilmenge von y), x ⊃ y (x ist Obermenge von y), x ∈ y (x ist Element von y), x 3 y (x enthält als Element y), x 6∈ y (x ist nicht Element von y), x 63 y (x hat nicht als Element y), x ∪ y (Vereinigungsmenge von den Mengen x und y), x ∩ y (Durchschnittsmenge der Mengen x und y), P(x) (Potenzmenge zur Menge x), {x, y, z, . . .} (Die Menge, die genau x, y, z, . . . als Elemente enthält), {x ∈ X; p(x)} (Die Menge, die genau alle Elemente der Menge X umfasst, denen die Eigenschaft gegeben durch das Prädikat p zukommt). S Weitere Symbole der Mengenlehre: x 6≡ y oder x 6= y (x und y sind T als Mengen ungleich), i∈I xi (Vereinigungsmenge aller Mengen xi , die durch ein i ∈ I indiziert sind), i∈I xi (Durchschnittsmenge aller Mengen xi , die durch ein i ∈ I indiziert sind), x \ y (x ohne y, Mengenminus), x∆y (Differenzmenge von x und y), y x (Komplement von y relativ zu x), y (Komplement von y, wenn das Relativum klar ist), x ( y (x ist echte Teilmenge von y), x ) y (x ist echte Obermenge von y), x × y (Kreuzprodukt zweier Mengen x und y, Mengenprodukt), (x, y) (geordnetes Paar zweier Mengen x und y). Einige Zahlmengen: N (natürliche Zahlen ohne 0), N0 (natürliche Zahlen mit 0), Z (ganze Zahlen), Q (rationale Zahlen), R (reelle Zahlen), C (komplexe Zahlen). Für diese Zahlmengen benutzen wir die üblichen, sicherlich aus der Schule bekannten Operationen: +, −, ·, /, sowie die Prädikate =, 6=, <, >, ≤, ≥, falls es nicht um die komplexen Zahlen geht. 1.3 Beispiele (∀x ∈ N : x + 3 = 2) ⇔ ⊥ (Die Aussage, dass die Gleichung x + 3 = 2 für alle natürlichen Zahlen erfüllt sei, ist falsch.) ∀x, y : ((¬(x ≡ y) ∧ (x ⊂ y)) ⇔ (x ( y)) (Für alle Mengen x, y, ist gleichbedeutend, dass die beiden Mengen verschieden sind und dass x eine Teilmenge von y, und dass x eine echte Teilmenge von y ist.) ∀x, y ∈ R : (x 6= y) ⇒ ∃z ∈ R : x < z < y (Für alle verschiedenen, reellen Zahlen x, y gibt es – mindestens – eine reelle Zahl z, die zwischen x und y liegt.) ∀a, b, c, d ∈ C : #{x ∈ C; a(x · x · x) + b(x · x) + cx + d = 0} ≤ 3 (Jede kubische Gleichung über den komplexen Zahlen hat in komplexen Zahlen höchstens 3 verschiedene Lösungen; dabei ist eine kubische Gleichung eine der Gestalt a(x · x · x) + b(x · x) + cx + d = 0 und # bedeutet die Anzahlfunktion“.) ” Y X = Y \ X (Das relative Komplement von X in Y ist die Menge Y ohne die Menge X.) ∀X, Y : (X∆Y ) = (X \ Y ) ∪ (Y \ X) (Für alle Mengen X, Y ist die Differenzmenge gleich der Vereinigung der Mengen X ohne Y und Y ohne X.) Z + iZ := {z ∈ C; ∃x, y ∈ Z : z = x + yi} (Die rechtsstehenden sog. Gaußschen Zahlen sind über Mengenkomplexsummen- und Mengenkomplexproduktschreibweise definiert als die Teilmenge der komplexen Zahlen, die Summen von ganzzahligen Vielfachen S von 1 und i sind.) (A1 = {1, 2} ∧ A2 = {∅, 2} ∧ A3 = {Z + iZ}) ⇒ ( i∈{1,2,3} Ai = {1, 2, ∅, Z + iZ}) (Wenn die Mengen A1 , A2 , A3 gleich den Mengen sind, die genau die Elemente 1, 2, bzw. die leere Menge und 2, bzw. als einziges Element die Gaußschen ganzen Zahlen enthalten, so ist die Vereinigungsmenge davon genau die Menge, die die 4 Elemente 1, 2, die leere Menge, sowie die Gaußschen ganzen Zahlen enthält. Man beachte hier vor allem die Schachtelung: eine Menge, die eine Menge enthält, die wiederum Elemente enthält.) ∀x, y : (x, y) = {{x}, {x, y}} 6= {{x, y}, {y}} = {{y, x}, {y}} = (y, x) (Für alle Mengen x, y ist das geordnete Paar von der Reihenfolge abhängig und in der Reihenfolge x, y gegeben durch die Menge, deren beide Elemente wieder Mengen sind, von welchen eine als einziges Element die Menge x enthält, die andere 2 Man stelle sich – stark vereinfacht – ein Prädikat wie eine Funktion vor, deren Wertemenge aus wahr“ und falsch“ ” ” besteht. 2 genau die beiden Elemente die Menge x und die Menge y) ∀x ∈ X, y ∈ Y : ∃1 z : (x, y) = z ∈ (X × Y ) (Für beliebige Elemente x und y jeweils aus den Mengen X und Y , gibt es genau ein z, das gleich dem geordneten Paar aus x, y ist und das Element des Kreuzproduktes der Mengen X und Y ist.) 2 2.1 Einige Schreibweisen und Formeln aus der Mathematik Das griechische Alphabet α, β, γ, δ, , ζ, η, θ, ι, κ, λ, µ, ν, ξ, o, π, ρ, σ, τ, υ, φ, χ, ψ, ω, A, B, Γ, ∆, E, Z, H, Θ, I, K, Λ, M, N, Ξ, O, Π, P, Σ, T, Υ, Φ, X, Ψ, Ω (Alpha, Beta, Gamma, Delta, Epsilon, Zeta, Eta, Theta, Iota, Kappa, Lambda, Myü, Nyü, Xi, Omikron, Pi, Rho, Sigma, Tau, Ypsilon, Phi, Chi, Psi, Omega) 2.2 Weitere Schreibweisen Q Qn P∞ Pn ai , i=0 ai ((endliche) Summe), i=0 ai (Reihe), i∈I ai , i=0 ai ((endliche) Pro√ √ a dukte), ab (Potenzen), n a, a (n-te (2-te) Wurzel), (Binomialkoeffizient) b sin, cos, tan, cot, sec, csc, arcsin, arccos, arctan, sinh, cosh, tanh, coth, exp, e· , ln, loga , |·|, k·k, sgn, <, =, arg, ·, (·)−1 (häufig vorkommende reelle, komplexe oder vektorielle Funktionen: Sinus, Kosinus, Tangens, Kotangens, Sekans, Kosekans, Arcus Sinus, Arcus Kosinus, Arcus Tangens, Sinus hyperbolicus, Kosinus hyperbolicus, Tangens hyperbolicus, Kotangens hyperbolicus, Exponentialfunktion, andere Schreibweise für Exponentialfunktion, natürliche Logarithmus, Logarithmus zur Basis a, Betrag, Norm, Signum (Vorzeichenfunktion), Realteil, Immaginärteil, Argument“ bzw. Winkel“, komplexe Konjugation, Inverses bzw. Umkehrfunkti” ” on), a | b, a - b, ggt(a, b), kgv(a, b) (a teilt b, a teilt b nicht, größter gemeinsamer Teiler von a und b, kleinstes gemeinsames Vielfaches von a und b), k, ⊥, ∼ =, h·, ·i, · × ·, ∠, ] (parallel, im rechten Winkel, kongruent, Skalarprodukt, Kreuzprodukt, Winkel als Schenkel-Schnittpunkt-Schenkel, gemessener Winkel), minx∈X {. . .}, maxx∈X {. . .}, limn→∞ , inf x∈X , supx∈X , lim inf, lim sup (Minimum, Maximum, Limes, Infimum, Supremum, Limes inferior, Limes superior), R Rb b d d 2 d d d2 ∂ 0 = dx dx , dx dx . . . = dx2 , d, ∂x , ẏ(t), y (x), f (x)dx, a f (x)dx, [F (x)]a = F (b) − F (a) (Ableitung nach x, zweite Ableitung nach x, totales Differential, partielle Ableitung nach x, Zeitableitung“, Orts” ” ableitung“, unbestimmtes Integral von f nach x, bestimmtes Integral von f nach x zwischen a und b, abkürzende Schreibweise für die Differenz von Stammfunktionen bei Intervallgrenzen), π, e, ∞ Konstanten“: Kreiszahl pi, Eulersche Zahl e, Unendlich), ( ” x1 a1,1 a1,2 . . . a1,n x2 a2,1 a2,2 . . . a2,n .. , .. .. .. (Vektor, Matrix), .. . . . . . xn am,1 am,2 . . . am,n det, ∇, ∇·, ∇×, ∆ = ∇2 = ∇ √ . . .) (Determinante, Gradient, Divergenz, Rotation, Laplaceoperator), √ · (∇ {1, 2, 3} + {4, 5, 6}, πZ, {1, 2, 3} · Z (Komplexaddition bzw. Komplexprodukt), Spec, SpecR (Spektrum, reelles Spektrum), %, ♥ %∞ (Verliebtseins-Relation und unsterblich Verliebtseins-Relation ;-). ♥ (ai )i∈N0 (Folge), 2.3 P i∈I Einige Formeln 2 2 2 2 2 (a + b)2 = a2 + 2ab + b , (a − b) = a − 2ab, (a + b)(a − b) = a − b (binomische Formel) P n i n−i n ab (Binomialformel) (a + b)n = i=0 i √ n (a + n) − n = a, (an) an = a, ln(ea ) = a, sin(arcsin(a)) = a (Gesetze der Umkehrfunktionen) n = a, 2 2 sin(a) + cos(a) = 1, sin(x) = − sin(−x), sin(a ± b) = sin(a) cos(b) ± cos(a) sin(b), . . . (trigonometrische Gleichungen) eπi + 1 = 0, exi = cos(x) + i sin(x) (Eulerformeln) Im Laufe der Vorlesung werden sicherlich noch viele weitere Formeln hinzukommen. 3 3 Einige Grundkonzepte der Mathematik und des MathematikMachens 3.1 Einige gängige Beweistechniken Möchte man eine Eigenschaft für eine durch die natürlichen Zahlen indizierte Größe beweisen, so kann man das Beweisschema des Induktionsbeweises verwenden. Dieses Prinzip besagt, dass wenn die in Frage kommende Eigenschaft für die durch 0 indizierte Größe gilt (Induktionsanfang, IA) und man zeigen kann, dass aus der Gültigkeit der Eigenschaft für eine Größe, die durch ein beliebiges natürlichzahliges n indiziert wird (Induktionsvorraussetzung, IV), dann auch die Gültigkeit der Eigenschaft für die durch n+1 indizierte Größe gilt (Induktionsschritt, IS), so gilt die Eigenschaft schon für alle Größen. Dies soll an einem Beispiel deutlich gemacht werden. Man will etwa zeigen, dass die Summe aller Quadrate von natürlichen Zahlen bis zu einer natürlichzahligen Schranke n gleichPder Zahl 16 n(n + 1)(2n + 1) ist. n Die durch die natürlichen Zahlen indizierte Größe lautet also an := i=0 i2“ und die Eigenschaft = ” ” 1 6 n(n + 1)(2n + 1)“. Verwenden wir also das Induktionsbeweisschema: n=0: n→n+1: Pn P0 (IA) i2 = 02 = 0. 16 n(n + 1)(2n + 1) = 61 0(0 + 1)(2 · 0 + 1) = 0 P (IV) n an+1 = i=0 i2 = i=0 i2 + (n + 1)2 = ( 16 n(n + 1)(2n + 1)) + (n + 1)2 = 1 1 3 2 2 3 2 6 (2n + 3n + n) + (n + 2n + 1) = 6 (2n + 9n + 13n + 6) = 1 1 1 2 6 (n + 1)(2n + 7n + 6) = 6 (n + 1)(n + 2)(2n + 3) = 6 (n + 1)((n + 1) + 1)(2(n + 1) + 1) (IS) an = i2 = Pn+1 i=0 i=0 Ein weiteres Beweisverfahren ist die Fallunterscheidung. Kann man eine Aussage in mehrere Fälle zerlegen und für jeden Fall die Aussage beweisen, so gilt die Aussage auch allgemein. Schließlich ist noch der Widerspruchsbeweis eine Beweismethode: kann man aus der gegenteiligen Aussage etwas Falsches schlussfolgern, so muss die gegenteilige Aussage schon falsch gewesen sein, also, da in unserer Logik das tertium non ” datur“ 3 gilt, muss die eigentliche Aussage wahr sein. Natürlich gibt es noch viele weitere Techniken, diese sollten für Sie aber nicht unbedingt wichtig sein. 3.2 Äquivalenzumformung und der Gebrauch von Nicht-Äquivalenzumformungen Wenn man Gleichungen löst, also die Lösungsmenge, die implizit“ schon durch die Gleichung gegeben ist, ” explizit“ hinschreiben soll, muss man dabei eigentlich immer sog. Äquivalenzumformungen machen, also ” man muss die Gleichung in eine neue so überführen, dass dabei die Lösungsmenge selbst nicht geändert wird. Allerdings wird man sehr oft auf Situationen stoßen, in denen es vorteilhaft ist, dieses Prinzip zu missachten, und absichtlich Fehler zu machen. Solange man sich dieser Fehler bewusst ist, und man sie im Nachhinein wieder ausbügelt“, ist das zwar nachwievor keine Mathematik, aber im Sinne des Mathematik ” Machens richtig und erlaubt. Leider werden solche Missachtungen schnell zur Gewohnheit und man ist sich der Fehler gar nicht bewusst, so dass man sie nicht nachträglich behebt, und das ist in jedem Falle falsch! Dazu ein Beispiel: Man betrachte die Gleichung für reelle Zahlen: √ x+2=x √ Man möchte die Lösungsmenge, die implizit durch L = {x ∈ R; x + 2 = x} gegeben ist, explizit bestimmen. Als erstes stellt man fest, dass diese Gleichung gar nicht für alle reellen Zahlen definiert ist: setzt man √ etwa −3 ein, so ergibt die linke Seite −1 und das kann man zwar als komplexe Zahl auffassen, aber nicht als reelle Zahl! Bei genauerer Betrachtung ergibt sich, dass die Gleichung nur Sinn macht für x ∈ {y ∈ R; y ≥ −2} =: D. Eine naheliegende Idee, um die Lösungsmenge explizit zu machen, ist die Gleichung zunächst zu quadrieren: x + 2 = x2 Betrachtete man nun den Definitionsbereich dieser Gleichung, so ist er R gleich. Durch weitere Umformungen erhält man die Gleichung (x − 2)(x + 1) = 0. Also ist die Lösungsmenge der zweiten Gleichung explizit: L0 = {−1, 2} 3 Ist tatsächlich nicht so klar, wie es scheint! 4 Nun könnte man versucht sein, da L0 ⊂ D, zu folgern, dass die Lösungsmenge L explizit so aussehen müsste: {−1, 2}. Dies ist aber falsch! Setzt man 2 in die Ausgangsgleichung ein, so passt alles, die Gleichung ist erfüllt. Setzt man hingegen −1 ein, so erhält man 1 = −1, was offenbar falsch ist. Die Lösungsmenge ist nämlich L = {2} Der Grund dafür lautet: Quadrieren ist keine Äquivalenzumformung. Quadrieren ändert sowohl den maximalen Definitionsbereich der Gleichung und noch schlimmer auch die Lösungsmenge, sogar so, dass die neuen Lösungen noch in den alten Definitionsbereich fallen. Die gute Nachricht: Quadrieren vergrößert höchstens die Lösungsmenge, so dass man nachträglich einfach durch Substitution der potentiellen Lösungen die richtigen Kandidaten erhält. Es handelt sich hier um ein Beispiel eines von Studierenden sehr häufig gemachten Fehlers, weswegen wir ihn einmal als Erstsemesterimplikationsfehler bezeichnen wollen. Der Fehler liegt darin, dass man aus A ⇒ B versucht zu schließen B ⇒ A, was in der Standardlogik der Mathematik nicht geht. In unserem √ Fall ist A die Aussage Die Zahl ξ erfüllt Gleichung x + 2 = x“ und B ist Die Zahl ξ erfüllt Gleichung ” ” x + 2 = x2“. Erstere Implikation gilt, die zweite aber noch lange nicht. Allerdings muss nicht immer gelten, dass die Lösungsmenge nur zunimmt. Betrachten wir etwa über R die Gleichung: x3 − x = 0 Hier bietet sich an, durch x zu teilen, und man erhält die Gleichung x2 − 1 = 0. Durch Anwenden etwa der quadratischen Lösungsformel erhält man als Lösungsmenge dieser zweiten Gleichung {−1, 1}. Allerdings sind das nicht alle Lösungen der ursprünglichen Gleichung, denn 0 ist ebenfalls Lösung der ursprünglichen Gleichung. Die Lösungsmenge der ursprünglichen Gleichung lautet {−1, 0, 1}. Was ist geschehen? Wie sicher aus der Schule bekannt, ist das Teilen durch 0 nicht möglich4 . Setzt man für x die 0 ein, so würde man beim Umformungsschritt durch 0 teilen. Das wirft hier Probleme auf, nämlich, dass man Lösungen verlieren kann, die man nachträglich etwa durch Fallunterscheidung wieder bereinigen muss. Weitere Beispiele zu dieser Problematik im Zusammenhang mit sog. Differentialgleichungen, welche etwa um den Semesterwechsel besprochen werden sollen, findet man auf den Übungsblättern des letzten Jahres bzw. den zugehörigen Musterlösungen (z.B. Blatt 14). 3.3 Was sind formal korrekte Rechnungen? Beim Mathematik Machen stellt sich auch häufig die Frage, wie exakt“ 5 man einen mathematischen Beweis ” oder eine Rechnung (was im Endeffekt auch nur ein sehr einfacher, verkappter Beweis ist) ausführen soll. Bei Ungeübten, wie es wohl der Großteil der Studierenden dieser Vorlesung sein dürfte, stellt sich zudem noch die Frage, was überhaupt exakt aufgeschriebene Mathematik sein soll. Neben den Beispielen aus der Logik, die sich in obigen Abschnitten finden, verweist die Übungsleitung hierzu auf die Zusatzaufgaben bzw. die zugehörigen Musterlösungen der Blätter 15 und 16 des letzten Jahrgangs, die sich im Netz finden lassen. In der Regel müssen Rechnungen durch die Studierenden nicht so stringent gemacht werden, wie dort beschrieben. 3.4 Einige Begriffe des Mathematik Machens Definition: Bedeutet die Einführung eines neuen Zeichens oder einer neuen Abkürzung oder einer neuen Schreibweise, die das Aufschreiben von Mathematik erleichtert. Dabei wird der neue Begriff in den Kontext der bekannten mathematischen Konzepte gestellt und die Schreibweise in genügendem Maße formalisiert. Satz: Ist die Formulierung eines neuen, unbekannten Zusammenhangs zwischen schon bekannten Begriffen. Beweis: Ist der schrittweise logische Nachweis der Richtigkeit der Aussage eines Satzes. Dabei soll jeder Schritt aus schon bekannten Sätzen oder elementaren Umformungen bestehen. Proposition: Eine andere Bezeichnung für einen normalwichtigen“ Satz. ” Theorem: Ein wichtiger oder besonders interessanter Satz. Fundamentalsatz/Fundamentaltheorem: Ein überaus wichtiger, sehr bedeutender und interessanter Satz. Nur sehr wenige Sätze werden Fundamentalsätze genannt. 4 Ist zwar nicht ganz richtig, würde aber den Rahmen hier deutlich sprengen. . . Formulierung ist eigentlich Blödsinn, da eine Sache entweder exakt ist, oder nicht; es gibt da keine Graustufen dazwischen – jedenfalls in der Mathematik. Die Übungsleitung vertraut darauf, dass die Studierenden schon verstehen, was gemeint ist. 5 Dies 5 Lemma: Ein Hilfssatz. Die Aussage des Satzes ist für sich nicht besonders interessant, aber man kann sie zum Beweis späterer Sätze nützlich einsetzen. Manche Sätze wurden früher Lemma genannt, haben sich aber als wichtiger erwiesen, als man zunächst annahm. Manche dieser doch recht wichtigen Sätze heißen deshalb aus Tradition immer noch Lemma, so etwa das Lemma von Zorn. Korollar: Ein Satz, der sich recht einfach aus schon bekannten Sätzen folgern lässt. Meistens stehen Korollare unmittelbar hinter dem Satz, aus dem sie durch leichte Variation folgern. Die Beweise von Korollaren sind in der Regel sehr kurz. Implizit/Explizit: Ein mathematischer Gegenstand heißt dann implizit gegeben, wenn er durch die Angabe von wesentlichen, charakterisierenden Eigenschaften, also etwa mit Prädikaten, gegeben ist. Etwa ist folgende Angabe implizit: Die natürliche Zahl, die die kleinste ist unter den Primzahlen.“ Explizit gegeben ” wird ein mathematischer Gegenstand, wenn er durch die Schreibweise oder den Sachverhalt gegeben ist, die er nach seiner Definition hat: Die natürliche Zahl 2“. ” Implizit und explizit werden aber nicht so strikt gebraucht und können vom Kontext abhängen. Im Rahmen der Theorie der stetigen reellen Funktionen ist etwa die Angabe Die Funktion f mit maximalem ” Definitionsbereich, so dass f (x2 ) = x, so √dass alle Funktionswerte positiv sind“ eine implizite Angabe und Die Funktion f : [0, ∞) → R; x 7→ x“ eine explizite Angabe. Wohingegen man im Rahmen der ” Differentialgleichungen erstere Angabe als explizit genug ansehen kann und xẏ(x) = y(x) 2 mit y(1) = 1“ ” als implizite Angabe. Bei Übungsaufgaben sollen Sie ihre Lösung so explizit wie möglich angeben, es sei denn, es sind anderslautende Hinweise oder Anweisungen gegeben. Standard: Wenn eine Formulierung, ein Sachverhalt oder Konzept von einer Wahl abhängig ist, ohne dass sich die dahinterstehende mathematische Eigenschaft durch eine andere Wahl ändern würde, haben sich Mathematiker oft auf eine Standardformulierung, -Konzept, etc. geeinigt. Zum Einen erleichtert der Standardformalismus in der Regel das Rechnen, zum Anderen schafft er einen gemeinsamen Ausgangspunkt. Wenn etwa von Standardbasis des Rn die Rede sein wird, ist klar, welche Wahl der Basis man getroffen hat. Kanonisch: wird ähnlich wie Standard verwendet. In manchen Bereichen der Mathematik (Kategorientheorie und Gebiete, die sie häufig benutzen, wie homologische Algebra oder algebraische Topologie und Geometrie) verwendet man den Begriff aber auch in diesem Sinn: Eine (eindeutige) Wahl, die gewisse ” Diagramme kommutativ macht.“ In dieser Vorlesung wird kanonisch“ aber – wenn überhaupt – im Sinne ” von Standard“ gebraucht. ” Natürlich: Hat eine sehr präzise Definition in der Kategorientheorie im Rahmen der natürlichen Trans” formationen“. Teilgebiete der Mathematik, deren Verknüpfung zur Kategorientheorie nicht so stark ist, gebrauchen natürlich“ aber auch im Sinne von Standard“. Da die Mathematik dieser Vorlesung wenig ” ” mit Kategorietheorie zu tun haben wird, wird die Übungsleitung diesen Begriff großteils zu vermeiden suchen. Generisch: Eine Aussage gilt generisch, wenn sie bis auf nur wenige Ausnahmen gilt. Was wenig“ im ” Einzelnen heißt, hängt von dem Gebiet der Mathematik ab, in dem die Aussage getroffen wurden. Ein Beispiel: Man kann die Menge der Geradenpaare im R2 durch einen lokal 4-dimensionalen Raum beschreiben (anschaulich: für jede der 2 Geraden kann man eine Drehung relativ zur x-Achse“ und eine Verschiebung ” relativ zum Ursprung“ wählen, also 2(1 + 1) = 4 Freiheitsgrade), die Menge der parallelen Geradenpaar ” durch einen lokal 3-dimensionalen Raum (für die erste“ Gerade hat man nachwievor 2 Freiheitsgrade, die ” andere Gerade kann man aber gegenüber der ersten nur noch verschieben, aber nicht mehr drehen, sonst wären die beiden Geraden ja nicht mehr parallel). Da sich nicht-parallele Geraden in der euklidischen Ebene stets in genau einem Punkt schneiden, sagt man, dass sich ein generisches Geradenpaar stets in einem Punkt schneidet. Das weniger“ ist in diesem Beispiel eine niedrigere Dimension, eine geringere Anzahl ” von Freiheitsgraden. Trivial: Es bedeutet soviel wie völlig klar“. Wenn ein Beweis trivial ist, so sollte er ohne großes Nachden” ken einfach hinschreibbar sein. Dieser Ausdruck ist bei Studierenden recht gefürchtet, da Dozenten und Assistenten viele Dinge völlig klar erscheinen, die für die Studierenden gerade völlig neu und unverständlich sind. Dieses Wort sollte deshalb eher vermieden werden. Es wird sich aber ab und zu in den Sprachgebrauch der Vorlesung und Übung einschleichen. Wenn als trivial dargestellte Dinge einem Studierenden keineswegs trivial erscheinen, so sei dieser oder diese ausdrücklich zum Nachfragen ermutigt, sogar aufgefordert – oftmals ist es ihren Mitstudierenden in der selben Situation, die einfach zu feige zum Nachfragen sind, auch nicht völlig klar“, so dass dadurch in den meisten Fällen der gesamte Kurs und insbesondere der ” Fragende selbst profitiert. o.B.d.A, o.E.: Diese Abkürzungen stehen für ohne Beschränkung der Allgemeinheit“ und ohne Ein” ” schränkung“ und deutet an, dass aufgrund von schon gegebenen oder noch kommenden Argumenten oder aufgrund von Trivialitäten aus dem Beweis der zu untersuchenden Tatsache für Spezialfälle schon die ganze Behauptung bewiesen ist. 6