Interviewpartner: Jörg Gebauer IFAS 2014 Patienten

Werbung
klinikund heim
31. Jahrgang 5|2014
.ch
Das Schweizer Fachmagazin für das Gesundheitswesen
lp
fle
ge
Interviewpartner: Jörg Gebauer
rz
ts
pi
w
.a
w
Jörg Gebauer, Geschäftsführer Ascom Wireless Solutions DACH
w
Patienten- und Spitalbedarf
ta
IFAS 2014
interview
Volkskrankheit Tinnitus
Die Zahl der Tinnituspatienten in den Industrieländern ist stark gestiegen. Man spricht daher bereits von
einer Volkskrankheit. Allein in der Schweiz lebt rund eine Million Menschen mit Tinnitus-Symptomen.
Mit PD Dr. med. Dr. h. c. Andreas Schapowal in Landquart sprach Claude Bürki
arzt | spital | pflege: Rund eine Million
leidet hierzulande an Tinnitus. Trend: Eher
wachsend?
PD Dr. med. Andreas Schapowal: Es gibt
leider keine neuen und guten epidemiologischen Daten für die Schweiz, sodass
man diese Frage nicht abschliessend beantworten kann. Wir können aber annehmen, dass es etwa so ist wie in anderen
westlichen Industrienationen, ca. 2 bis 6
Prozent bei Kindern je nach Altersgruppe,
15 Prozent bei allen Erwachsenen, 17,5
Prozent in der Altersgruppe von 40 bis 60,
22,5 Prozent bei den über 60-jährigen. Auf
jeden Fall ist es eine Volkskrankheit. Sehr
viele Menschen, auch in der Schweiz, kennen Ohrgeräusche aus eigener Erfahrung.
Meistens nur als kurzes Intermezzo, das
einmal auftritt, vielleicht nach Lärmbelas-
PD Dr. med. Dr. h. c. Andreas Schapowal: «Ich
schätze es ungemein, hier in Landquart zu
arbeiten und genügend Zeit für meine
Patienten zu haben. In Zürich hätte ich sicher
mehr Patienten, aber dafür auch weniger Zeit.
Zeit zu haben ist ein Privileg. Das muss auch
so sein, denn ich mache die Psychotherapien
selber und überweise meine Patienten nicht
zu einem Fachpsychologen für Psychotherapie
oder Psychiater, es sei denn, es läge eine
schwere psychiatrische Erkrankung vor.»
44 arzt I spital I pflege 5 I 2014
tung. Unter Umständen aber auch als
chronisches, dann aber auch als problematisches Symptom.
Bei diesem Syndrom «Tinnitus» gibt es
auch Begleiterkrankungen – beispielsweise Depressionen können eine Folge davon
sein.
Es kann eine Folge sein, es kann aber auch
eine Ursache sein. Tinnitus ist im internationalen Code der Diagnosen klassifiziert
als Ohrerkrankung, als A 93.1, und ist in
der Regel bedingt durch eine Schwerhörigkeit. Das heisst, wir finden in 80 bis 90
Prozent eine Schwerhörigkeit als Ursache
oder Auslöser für Ohrgeräusche. Das kann
eine Verlegung des Gehörgangs sein,
etwa ein Zerumenpfropf, den man beseitigen kann. Es kann eine Mittelohrproblematik sein, eine Trommelfellperforation,
eine Mittelohrentzündung, eine Tubenbelüftungsstörung. Meistens sind es Schall­
empfindungsschwerhörigkeiten, das
heisst, Innenohrschwerhörigkeiten. In
ganz seltenen Fällen sind es Schäden, die
hinter dem Ohr liegen, also ein Tumor im
Verlauf des achten Hirnnerven, des Höhrnerven, ein Akustikusneurinom (AKN), ein
Kleinhirnbrückenwinkeltumor, ein Hirntumor oder Hirnmetastasen eines anderen Primärtumors oder z. B. eine Multiple
Sklerose. Dann ist es wichtig festzustellen, wie die Betroffenheit des Individuums ist. Zwei Drittel sind leichtgradig
betroffen, ein Drittel ist mittelgradig betroffen. Ein Prozent der Tinnitus-Betroffenen ist schwergradig oder sehr schwergradig betroffen. Und da kann man aus der
Erfahrung durchaus dogmatisch sagen:
Alle diejenigen, die schwergradig betroffen sind, sind auch psychisch krank. Das
heisst, wir finden Komorbiditäten wie
Depression, Angststörung, posttraumatische Belastungsstörung, Anpassungsstörung, Phobien. Es kann auch so sein, dass
eine solche psychiatrische Erkrankung –
oder auch ein Burnout, wie es heute gerne genannt wird, wenn es um eine Erschöpfungsdepression geht – Auslöser,
Ursache für Ohrgeräusche ist bei völlig
normalem Hörvermögen. Andere, häufige
Probleme, die man sieht, sind Funktions-
störungen der Halswirbelsäule, auch der
Kiefergelenke. Da ist es unter Umständen
schwierig, Ursache und Wirkung abzuwägen. Aber alles, was man an Unregelmässigkeiten findet, was das Symptom Ohrgeräusch verursachen oder auch verschlechtern kann, soll natürlich behandelt
werden – Zervikalsyndrom im weitesten
Sinne, besonders im Bereich Kopfgelenk
C1, C2, C3. Das kann man sehr gut mitbehandeln, manualmedizinisch, neuraltherapeutisch, durch Krankengymnastik,
durch medizinische Trainingstherapie.
Auch Fehlstellungen der Zähne, Kiefergelenksproblematik, Zähneknirschen (Bruxismus) kann damit verbunden sein. Es
kann sein, dass innere Erkrankungen Ohrgeräusche verursachen, Stoffwechselstörungen, Diabetes, Hypertonie. Auch die
Cholesterin- und Leberwerte, die Schilddrüsen- und die Nierenfunktion sollen
untersucht werden. Man kann vieles abklären; es ist ganz wichtig, dass man den
Tinnitus-Betroffenen erklärt, was Ohrgeräusche sind und warum sie sie haben. Es
gibt nichts Schlimmeres, als sie im Glauben zu lassen, man wüsste auch nicht,
was die Ursachen sind, und helfen könne
man ihnen auch nicht… Beides ist falsch
und unnötig. Man soll die Betroffenen
nicht alleine lassen und bereits in der ersten Sitzung sagen, dass man gut helfen
kann. Und das stimmt auch in der Regel.
Wann ist Tinnitus «chronisch»?
Definitionsgemäss ist ein Tinnitus bis zu
drei Monaten akut, von drei bis zwölf Monaten subakut, ab einem Jahr chronisch.
Ist bei den chronisch Betroffenen die Heilung schwieriger?
Das ist richtig, man hat sicher die besten
Chancen, Ohrgeräusche zu beseitigen, im
ganz akuten Stadium, möglichst innerhalb
der ersten 48 Stunden. Wir sehen das in
der Nasen-Hals-Ohren-Heilkunde nicht als
Notfall an, aber durchaus als Eilfall. Genauso mit dem Hörsturz. Man muss nicht
nachts um 3 Uhr, wenn man mit einem
Ohrgeräusch aufwacht, sofort in die Klinik
gehen; das ist nicht so wie beim Herzinfarkt. Man sollte aber doch am nächsten
interview
oder am übernächsten Tag, wenn das Symptom immer noch besteht, einen Ohrenarzt aufsuchen, das abklären lassen und
die Therapie beginnen. Aber es ist nie zu
spät; helfen kann man fast immer.
Es ist auch oft vom Morbus Menière, vom
Menièr’schen Trias, die Rede. Was genau
versteht man darunter?
Professor Prosper Menière war ein HalsNasen-Ohren-Arzt in Paris, der im 19.
Jahrhundert die Symptom-Trias Schwindel, Schwerhörigkeit und Ohrgeräusch als
Erster beschrieben hat. Das ist dann als
Morbus Menière bezeichnet worden. Dahinter steckt meistens ein sogenannter
Hydrops der Cochlea, erklärt durch eine
Vermischung von kaliumreicher Endolymphe und kaliumarmer Perilymphe. In dem
Labyrinth des Innenohres gibt es zwei
Räume, die durch Membranen getrennt
sind, mit zwei verschiedenen Flüssigkeiten, die unterschiedliche Zusammensetzungen von Kalium und Natrium haben.
Wenn es nun Risse gibt in dieser Membran oder eine Verstopfung, Überfluss, Verletzungen, dann kann es zu Vergiftungen
der primären Sinneszellen kommen. Es
können Folgeschäden in der Form von
Tinnitus und Dreh- oder Schwankschwindel-Attacken entstehen. Man empfiehlt
dann eine Behandlung wie beim Hör­
sturz, also mit Cortison, mit durchblutungsfördernden Medikamenten, speziell
noch mit diätetischen Hinweisen wie
salzarmer Ernährung, viel trinken – aber
wenig Kaffee –, keine Zigaretten rauchen.
Auch da spielen natürlich psychische Faktoren eine Rolle. Die Menièr’sche Erkrankung ist häufig kein einmaliges Ereignis,
sondern kann rezidivieren.
Wie stark sind eigentlich Musiker gefährdet?
Musiker sind eigentlich Lärmarbeiter und
brauchen einen Gehörschutz wie Bauarbeiter. Im Orchestergraben kann es Lautstärken geben von 100 bis 110 Dezibel
oder mehr, das ist etwa Kreissäge und
Presslufthammer nebeneinander. Da
muss man sich eben schützen. Es gibt
sehr gute Untersuchungen von der Suva,
die das belegen. Musiker haben eine
Wahrscheinlichkeit von 50 Prozent, dass
sie schwerhörig sind und dann auch häufig Ohrgeräusche haben, wenn sie keinen
adäquaten Hörschutz tragen. Man hat
natürlich in den Orchestergräben entsprechende Schallschutzmassnahmen,
und natürlich ist jeder individuell aufgefordert, sein Gehör zu schützen. Das gilt
natürlich auch für den Lärm in der Freizeit. Ein häufig gemachter Fehler ist, dass
man sich bei der Arbeit schützt und in der
Freizeit nicht, sich dann z. B. abends bei
privatem Musikhören, in Konzert oder
Diskothek, mit hundert und mehr Dezibel
beschallen lässt.
Ist, wie oft gesagt wird, Tinnitus unheilbar?
So würde ich das nicht sagen. Ich sehe
zum Beispiel immer wieder, dass psychogener Tinnitus bei gesunden Ohren aufgrund psychischer Problematik, negativem Stress oder Burnout dann verschwindet, wenn diese Probleme vollständig
gelöst sind.
Was gibt es zum Thema «Hörgeräte» zu
sagen?
Wenn Schwerhörigkeit die Ursache für
Ohrgeräusche ist, kann man versuchen,
das medikamentös zu behandeln, um normales Hören wieder herzustellen. Wenn
das nicht gelingt, stellt sich immer die Frage, ob man den Hörverlust durch Hörgeräte beseitigen kann. Das gelingt bei der
hochgradigen Schwerhörigkeit nicht immer, bei der leicht- oder mittelgradigen
Schwerhörigkeit wird das in der Regel gelingen. Auf jeden Fall ist eine Schwerhörigkeit, die sowieso mit einem Hörgerät sinnvollerweise zu versorgen wäre, erst recht
bei einem Tinnitus-Betroffenen, ein Grund,
dies umgehend zu tun. Dann gehört natürlich zur Beratung des Akustikers, dass
er seinen Kunden verschiedene Hörgeräte
zeigt, eine vergleichende Hörgeräteanpassung macht und auch hinweist auf die
Kombination mit Rausch- oder Klanggeneratoren. Das Phonak Audéo Q kann mit
einem Rauschgenerator kombiniert werden, der ein in der Regel angenehm empfundenes, tieffrequentes, in Zeitintervall,
in der Amplitude, in der Lautstärke variierendes Rauschen anbietet. Das kann man
sich so vorstellen, wie wenn man am Meer
sitzt und den Wellen zuhört. Dann wird in
der Regel die Aufmerksamkeit von dem als
unangenehm empfundenen Ohrgeräusch
abgelenkt. Es gibt dafür verschiedene An-
Gleich um die Ecke, ein Hörstudio. Ob Zufall
oder nicht – es ist hilfreich.
bieter wie Phonak, Siemens, ReSound, Widex etc. Ansonsten ist die klassische Tinnitus-Retraining-Therapie, eine Art kognitive Verhaltenstherapie, in acht bis zwölf
Sitzungen die Methode der Wahl, gerne
kombiniert mit einem Rauschgenerator,
der eben die Aufmerksamkeit vom Tinnitus ablenken soll. Das ist eine vorübergehende Hilfe, während die Hörgeräte permanent Hören verbessern sollen. Das ist
etwas, was ich im ersten Gespräch, bei
der ersten Konsultation prüfe und gegebenenfalls auch den Patienten entsprechend berate. Medikamentöse Behandlung, Hörgeräteversorgung, gegebenenfalls in Kombination mit einem Rauschund Klanggenerator, Psychotherapie im
weitesten Sinne – das sind die klassischen
Säulen der Behandlung. Es gibt auch die
Möglichkeit der Therapie mit der traditionellen chinesischen Medizin, speziell
mit der Akupunktur, wobei dort die Wahrscheinlichkeit, dass man helfen kann, nur
etwa bei 20 Prozent liegt. Das heisst, ein
Therapieversuch ist durchaus möglich,
aber man sollte das, wenn es keinen Erfolg hat, nicht wochen- oder monatelang
ausdehnen zu hohen Kosten.
Tinnitus – objektiv und subjektiv, was ist
der Unterschied?
Subjektiv ist es immer. Die Frage ist nur:
Kann auch der Untersucher diese Geräusche hören? Das kann er, wenn es zum
Beispiel Herzfehler, Strömungsgeräusche,
Stenosegeräusche sind, die man mit dem
Stethoskop hören kann. Der objektive Tinnitus ist auch für den Untersucher hörbar
5 I 2014 arzt I spital I pflege
45
interview
bzw. messbar. Subjektiv heisst, nur der
Betroffene nimmt die Ohrgeräusche wahr
– das tut er natürlich immer, auch bei objektivem Tinnitus. In 90 Prozent der Fälle
ist der Tinnitus nur eine subjektive Wahrnehmung. Das kann bei gutachterlichen
Fragestellungen ein Problem sein.
Göbel und Hiller – das ist eine Methode,
um den Schweregrad einzuengen…
Es gibt verschiedene psychometrische
Tests, um den Grad der Betroffenheit zu
messen. Ich bevorzuge den im deutschsprachigen Raum sehr gut standardisierten Fragebogen nach Göbel und Hiller,
mit dem man unterscheiden kann in
leichtgradig, mittelgradig, schwergradig
oder sehr schwergradig betroffen. Es ist
wichtig, solche psychometrischen Tests
zu benutzen, denn die leichtgradige Betroffenheit erfordert eine andere Therapie
als die mittel- oder schwergradige. Bei der
schwergradigen oder sehr schwergradigen Betroffenheit muss man nach psychiatrischen Erkrankungen fahnden, und
man findet in aller Regel auch etwas.
Was sind das für Krankheitsbilder?
Häufig sind es Depressionen, Angststörungen, posttraumatische Belastungsstörungen. Burnout ist etwas, was weitgehend akzeptiert ist. Klassische psychiatrische Diagnosen überraschen oft, aber
man kann sich auf die Validität dieser
Tests verlassen. Das ist etwas, was natürlich in die Therapie einbezogen werden
muss. Wir haben gerade für diese Patienten im Jahr 2006 eine stationäre Behandlungsmöglichkeit auf der Psychotherapiestation der Psychiatrischen Klinik
Waldhaus bei Chur geschaffen, wo wir
inzwischen über 250 Patienten behandelt
haben, die in der Regel vier Wochen, mindestens drei, manchmal sechs bis acht
Wochen bleiben, und die Klinik mit
80-prozentiger Wahrscheinlichkeit in einem wesentlich gebesserten Zustand
verlassen. Dort sind die Säulen der Therapie: Psychotherapie, Musik- und Hörtherapie sowie medikamentöse Therapie.
Welche Möglichkeit der Behandlung gibt
es sonst noch?
Beim akuten Tinnitus hat sich eine Cortison-Therapie bewährt. Es gibt verschiedene Schemata der oralen Behandlung,
man kann das auch intramuskulär spritzen. Durchblutungsfördernde Medikamente können oral oder durch Infusionen
gegeben werden, wobei nicht bewiesen
46 arzt I spital I pflege 5 I 2014
«Bei der schwergradigen oder sehr schwergradigen Betroffenheit muss man nach psychiatrischen Erkrankungen fahnden.»
ist, dass Infusionen besser wirken als Tabletten. Ich bevorzuge zur Durchblutungsförderung Ginkgo-Blattextrakte.
Man wird dann häufig Verbesserungen
sehen. In Bezug auf Substitution von Vitaminen oder Mineralstoffen bin ich der
Meinung, dass man dort einen tatsächlichen Mangel festgestellt haben sollte.
Das heisst, dass ich jetzt nicht hohe Dosen von Magnesium gebe, wenn das Magnesium und Serum normal ist. Ich würde
auch eine Anämie nicht mit hohen Dosen
von Vitamin B12 oder Folsäure behandeln, wenn diese Laborwerte im Normbereich liegen. Eine Substitution von Vitaminen ist nicht evidenzbasiert. In der
Schweiz gibt es nur wenige Medikamente zur Behandlung von Tinnitus, die zugelassen sind. Ginkgo-Blattextrakte sind von
Swissmedic für die Indikation Tinnitus
zugelassen. Bei einem Ginkgo-Blattextrakt hat man zudem noch antioxidative
Wirkungen und die Förderung aller Funktionen des Geistes wie zum Beispiel Konzentration und Aufmerksamkeit. Deshalb
schätze ich das auch begleitend in einer
Psychotherapie zu geben.
Zur Psychotherapie oder auch zur stationären Therapie ist natürlich zu sagen: Das
ist nicht nach vier Wochen erledigt. Nach
der Entlassung muss man ambulant weiterbehandeln. Welche Form von Psychotherapie man eben einsetzt – ob das eine
Tinnitus-Retraining-Therapie ist, eine kognitive Verhaltenstherapie, eine tiefenpsychologische Behandlung, eine Musiktherapie, eine Hypnose – ist nicht so entscheidend. Etwa zwei Drittel des Erfolgs
macht die gute Beziehung zwischen Therapeut und Patient aus. Die muss stim-
men; dass man zusammen die Probleme
erkennt, bearbeitet und möglichst alle
auflöst. Das erfordert natürlich die Bereitschaft des Patienten, mitzuarbeiten, denn
sonst ist das nicht möglich.
Es gibt auch noch experimentelle Behandlungsarten. Die transkranielle Magnetstimulation ist eine davon, vor allem
in der Psychiatrie. Die Erfolgsquote liegt
bei etwa 50 Prozent. Sie ist aber durchaus
nicht ungefährlich und ohne Nebenwirkungen; es kann auch schlechter werden,
man kann auch Schwindel dazubekommen. Die hyperbare Sauerstofftherapie ist
nicht evidenzbasiert bei Tinnitus und
wird an den Schweizer Universitäten deshalb auch nicht angeboten. Es ist ein teures Verfahren, das seinen Platz hat bei der
Behandlung von Barotrauma oder bei
schlecht heilenden chronischen exulzerierenden Wunden. Ich schicke meine
Patienten nicht zur hyperbaren Sauerstofftherapie. Die «Low-Level-Lasertherapie» halte ich für völlig unwirksam. Dann
gibt es verschiedene Verfahren, die Musik
filtern oder bestimmte Klänge anbieten,
wobei nur die Tinnitusfrequenz oder ein
Frequenzbereich bis zu einer Oktave um
diese Frequenz ausgespart ist. Die Untersuchungen haben gezeigt, dass es wirksam ist, egal was man an Musik anbietet.
Gefilterte Musik, welcher Art auch immer,
ist auch wirksam. Ich bevorzuge die Musiktherapie, die eine Form der Psychotherapie ist.
Gibt es Neues, neue Studien, neue Medikamente?
Es gibt leider keine neuen Medikamente
gegen Tinnitus. Es ist einiges in der Pipeline, es gibt einige laufende Studien. In
den letzten Jahren gab es keine Zulassungen von neuen Medikamenten für die
Indikation Tinnitus, und ich sehe in Kenntnis der aktuellen Forschung auch nichts
am Horizont, was in nächster Zeit mit
grosser Wahrscheinlichkeit zugelassen
werden würde. Trotzdem ist es richtig und
gut, wenn gerade an Universitätskliniken
geforscht wird, sei es in Tierversuchen,
zum Beispiel mit Mäusen oder Ratten,
oder auch in klinischen, prospektiven, randomisierten, kontrollierten Doppelblindstudien, die von der entsprechenden
Ethikkommission genehmigt sind.
Herr Dr. Schapowal, besten Dank für das
Gespräch.
www.schapowal.ch
Herunterladen