Definition Tierethik

Werbung
Leibniz Universität Hannover
Philosophische Fakultät
Institut für Erziehungswissenschaft
Seminar: Moralerziehung (A)
Dozent: apl. Prof. Dr. phil. habil. Detlef Horster
Referentinnen: Annabelle Zieling, Raisa Goldschmidt, Amerisa Janjos
WiSe 2016/17
Tierethik
1. Was ist Tierethik?
Definition Tierethik: Tierethik befasst sich mit der Grundlage, der Reichweite und den
Implikationen der moralischen Berücksichtigung der Tiere durch den Menschen.
 was muss der einzelne in seinem Handeln beachten, sofern es sich auf Tiere als Individuen
um ihrer selbst Willen auswirkt
 Ziel: konsistenten und plausiblen Standpunkt zu entwickeln, welcher eine Orientierung für
konkrete Entscheidungsfragen liefert
 Grundfrage heute: Nicht ob, sondern in welchem Maß die Tiere moralische
Berücksichtigung verdienen: Dürfen wir das Wohl und Leben der Tiere unseren Zwecken
und Interessen unterordnen? Oder müssen wir Tiere in gleicher Weise moralisch
berücksichtigen wie Menschen?
 Anwendungsfragen: Dürfen wir Tieren Leid zufügen? Dürfen wir Tiere töten? Dürfen wir
Tiere überhaupt nutzen und halten?
2. Menschenwürde vs. Würde der Kreatur
•
Würde der Kreatur kann nicht im selben Sinne wie Menschenwürde verstanden werden
•
Kreaturen kommt Würde zu → besitzen inhärenten Wert
•
sollten daher um ihretwillen moralisch handeln
•
haben einen inhärenten Wert, weil sie ein eigenes Gut besitzen, individuelle Ziele verfolgen
und organische Einheiten darstellen
•
inhärenter Wert impliziert nicht, dass ihr Wert nicht gegen den Wert anderer Güter
abgewogen werden darf
•
inhärenter Wert ist nicht mit absolutem Wert gleichzusetzen und nicht alle Lebewesen
besitzen den gleichen
•
Wert misst sich an ihrer Komplexität und an ihren Fähigkeiten
3. verschiedene Positionen
3.1 Aristoteles
• betonte die Vernunft als Alleinstellungsmerkmal des Menschen
• schreibt nichtmenschlichen Tieren komplexe Vermögen wie Wahrnehmung,
Begehrungsvermögen und Einbildungskraft zu, spricht ihnen aber die Fähigkeit zur
Reflexion, zum Bilden von Allgemeinbegriffen und zum überlegten Handeln ab
• daher schließt er sie aus dem Bereich des Ethischen und Politischen aus
• unsere Beziehungen zu ihnen unterlägen damit keinem Gebot der Gerechtigkeit →
Tiere seien „beseelte Werkzeuge“
3.2 Arthur Schopenhauer
• entwickelte eine Mitleidsethik
• die nichtmenschlichen Tiere sind aufgrund ihrer Leidensfähigkeit direkt moralisch zu
berücksichtigen
• Menschen und Tiere sind beide Manifestationen des „Willens“
• hält Art einer Hierarchie der Lebewesen aufrecht → „oberen“ und „niedrigeren“
Stufen der „Objektivation des Willens“ → spricht Tieren Individualität ab
• Tiere zum Verzehr zu töten ebenso wie das Experimentieren mit ihnen hält er für
moralisch akzeptabel → nur sinnlose Grausamkeit soll man unterlassen
3.3 Charles Darwin

gemeinsame Abstammung von Menschen und anderen Tieren → stellt das christliche
Menschenbild grundlegend in Frage

es gibt Gemeinsamkeiten von Menschen und Tieren im Verhalten, geistigen
Fähigkeiten und Gefühlen → Unterschied zwischen beiden nur graduell nicht
prinzipiell

moralisches Handeln habe sich aus verwandten Phänomenen im Tierreich entwickelt
→ aus „sozialen Instinkten“, die bei Tieren zu beobachten seien

bei Tierversuchen wird zu wenig Rücksicht auf das Leiden von Tieren genommen →
ist aber gegen eine Abschaffung von Tierversuchen → sonst Verbrechen gegen die
Menschheit
3.4 Peter Singer

Prinzip der Gleichheit als eine vernünftige moralische Basis für unsere Beziehungen
zu den Mitgliedern unserer Gattung akzeptiert haben, sind wir verpflichtet dies auch
bei den nichtmenschlichen Lebewesen anzuerkennen

Prinzip schließt ein, dass unsere Rücksicht auf andere nicht davon abhängig sein
darf, was sie sind oder welche Fähigkeiten sie haben

Gleichheitsprinzip verlangt, dass das andere Leiden genau so viel zählt wie das
eigene

ist ein Wesen nicht leidensfähig → muss man es nicht berücksichtigen
4. gesetzliche Grundlage
• Tierschutz im Gesetz seit dem Deutschen Reich (1871-1933)
• Entwicklung des Tierschutzgesetzes
• Tierschutz → Strafgesetzbuch
• 1933 Leidensfähigkeit der Tiere
• 2002 Tierschutz → Grundgesetz
• Tierschutzgesetz in Deutschland
• Voraussetzung zum Töten: vernünftiger Grund
• "vernünftiger" Grund legt der Mensch fest
• Verantwortungsbegriff: Mensch hat eine Sonderstellung
• Tierschutzgesetz in der Schweiz
• moralische Pflichten gegenüber Kreaturen
• Kreaturen: Tiere, Pflanzen und einige andere nicht-empfindungsfähige Lebewesen
• Respekt hinsichtlich der moralischen Rücksicht
5. ethische Anwendungsfragen
5.1. Tierversuche
• alle Tierversuche dienen vitalen menschlichen Zwecken und beseitigen mehr Leiden,
als dass sie verursachen  Irrglaube s. Haarwaschmittel, Kosmetika,
Nahrungszusätze, militärische Zwecke
• empirische Annahme: Tierversuche als unverzichtbares Mittel wissenschaftlichen
Fortschritts zu diesem Zweck: Tierversuchsgegner sind Wissenschaftsgegner
• ethische Annahme: moralischer Konflikt zwischen dem Leiden der Tiere und dem
Nutzen für den Menschen
• abolitionistische Position: alle Tierversuche müssen aufhören
• „Alles ist erlaubt“: auf der Suche nach dem Nutzen für die menschliche
Gesundheitspflege praktisch alles gerechtfertigt, vorausgesetzt sind aber Argumente,
dass der tatsächliche oder potentielle Nutzen deutlich genug ist, um massives Leiden
oder Tod der Tiere aufzuwiegen
 Tiere keine Mitglieder moralischer Gemeinschaft
 für Forschung interessant, da keine moralischen Gedanken
• Rechtfertigung einiger Tierversuche
• Mittelweg zwischen abolitionistischer und „alles ist erlaubt“ Position
• kein Speziesismus  Leid bei Menschen gleich wie beim Tier
• Problematik: Was macht das Leben einer Ratte wertvoller, als das eines
Menschen?
• Wert des Lebens abhängig von Qualität  Qualität abhängig von Reichhaltigkeit
 Reichhaltigkeit abhängig von Fähigkeiten und Spielraum der Bereicherung
• Gehört das, was zur Qualität des Menschen gehört auch zur Qualität des Lebens
eines Tieres?
• Religion als magische Zutat, die das menschliche Leben qualitativ jedes
Tierleben übersteigen lässt?
• Kritik
• empirisch:
• Übertragbarkeitsproblem: z.B. in Anatomie etc. ein erfolgreicher Tierversuch
garantiert keinen Erfolg bei Menschen
• methodische Einseitigkeit: keine Alternativmöglichkeiten, daher kein
Vergleich wie es ohne Tierversuche gewesen wäre
• ethisch:
• kein echtes moralisches Dilemma (Wählen, welches Wesen gerettet werden
muss), sondern eine Nutzenabwägung: Leiden der Tiere gegen dessen Nutzen
• Leid und Tod von Tieren bei Versuchen
5.2. Massentierhaltung
• schmerzloses Töten moralisch zulässig (?!)
• Unterscheidung Haustiere von Nutztieren
• Zwei Moralen: Eine für Menschen eine andere für Tiere
• 778 Mio. Tiere sterben pro Jahr in Deutschland (Stand 2015)
• „Nutztiere“
• bestimmte Haltungsreformen
• eingeschränkte Bewegungsfreiheit
• Medikamente
• Scheinrechtfertigungen der Massentierhaltung (widerlegen)
• Tiere haben einen starken Drang nach Bewegung und Aktivität
• natürliche Bewegungstriebe auch bei eingesperrten Tieren vorhanden
• Menschen können leicht ohne Fleisch existieren
• Verfütterung der Pflanzen an Tiere könnten die Menschen eigentlich direkt essen
• mehr investieren in tierfreundliche Betriebe -> kaum teurere Produkte
6. Literatur
Ach, Johann (2015): Tierethik. In: Ferrari, Arianna/ Petrus, Klaus (Hgg.): Lexikon der Mensch-TierBeziehungen. Bielefeld: transcript Verlag, 340-343.
Albert Schweizer Stiftung für unsere Mitwelt: Massentierhaltung. https://albert-schweitzerstiftung.de/massentierhaltung [2.12.16].
Balzer, Philipp/ Rippe, Klaus Peter/ Schaber, Peter (1998): Menschenwürde vs. Würde der Kreatur.
Freiburg, München: Verlag Karl Alber GmbH.
Balzer, Philipp/ Rippe, Klaus Peter/ Schaber, Peter (2013): Tierethik. In: Horster, Detlef (Hgg.):
Angewandte Ethik. Stuttgart: Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, 131-138.
Baranzke, Heike/ Ingensiep, Hans Werner (2009): Das Tier. Stuttgart.
Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (1972): Tierschutzgesetz.
https://www.gesetze-im-internet.de/tierschg/BJNR012770972.html [2.12.16].
Frey, Raymond G.: Die Ethik der Suche nach dem Nutzen. Tierversuche in der Medizin. In: Wolf,
Ursula (Hgg.): Texte zur Tierethik. Stuttgart: Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, 236-
249.
Hirth. Almuth/ Maisack, Christoph/ Moritz, Johanna (2007): Tierschutzgesetz. Kommentar.
München: Verlag Franz Vahlen.
Kluge, Hans-Georg (2004): Staatsziel Tierschutz. Am Scheideweg zwischen
verfassungspolitischer Deklamation und verfassungsrechtlichem Handlungsauftrag. In:
ZRP, 37. Jg., 10.14.
Natur- und Heimatschutz (2005): Tierschutzgesetz (TschG). https://www.admin.ch/opc/de/classifiedcompilation/20022103/201405010000/455.pdf [2.12.16].
Schmitz, Frederike (2014): Tierethik - Eine Einführung. In: Schmitz, Frederike (Hgg.): Tierethik.
Grundlagentexte. Berlin: Suhrkamp, 13- 76.
Singer, Peter (2008): Tierversuche. In: Wolf, Ursula (Hgg.): Texte zur Tierethik. Stuttgart: Philipp
Reclam jun. GmbH & Co. KG, 232-235.
Singer, Peter (2008): Rassismus und Speziesismus. In: Wolf, Ursula (Hgg.): Texte zur Tierethik.
Stuttgart: Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, 25-32.
Tuider, Jens (2015): Einführung in die Tierethik – Grundlagen, Fragestellungen Positionen. Vortrag
an der Universität Heidelberg im Rahmen der Tierethik-Akademie 2015 Vorlesungsreihe der
Interdisziplinären Arbeitsgemeinschaft Tierethik. https://www.youtube.com/watch?
v=M2yAK-jTpcQ [29.11.2016].
Wolf, Ursula (1990): Das Tier in der Moral. Frankfurt am Main: Weihert-Druck GmBH.
Herunterladen