INTERVIEW TIERethik 6. Jahrgang 2014/2 Heft 9, S. 88-91 Drei Fragen an Josef Reichholf TIERethik: Sehen Sie Zoos als sinnvolle Einrichtungen im Hinblick auf Artenschutz und artgerechte Haltung? Reichholf: Zoos können durchaus den Artenschutz sinnvoll ergänzen, etwa wenn es darum geht, vom Aussterben bedrohte Arten unter möglichst guten, fachlich kontrollierten Bedingungen in menschlicher Obhut weiter zu vermehren, bis Bestände aufgebaut sind, die sich für die Wiedereinbürgerung im Freiland eignen. Das ist recht erfolgreich geschehen etwa bei der Hawaiigans (Nene), dem Kalifornischen Kondor, der Arabischen Oryxantilope und beim Waldrapp. Auch die Wiedereinbürgerung von Bartgeiern in den Alpen wäre ohne die Zoozuchten nicht möglich gewesen. Für die nahe Zukunft muss damit gerechnet werden, dass immer mehr vom Aussterben bedrohte Tierarten solcher Zoo-Nachzuchten bedürfen um zu überleben. Indirekt wirken Zoologische Gärten sicherlich noch viel breiter, indem sie Arten zeigen, die durch Verfolgung oder übermäßige „Nutzung“ ihrer Freilandbestände stark gefährdet, aber durchaus noch selbständig überlebensfähig sind. Die Zoobesucher werden zu Millionen mit lebendigen Vertretern dieser Arten und ihrer existenziellen Problematik konfrontiert. Generell gilt, dass das lebende Tier, auch wenn es „nur“ im Zoo gezeigt wird und nicht in „freier Wildbahn“, unvergleichlich höhere Erlebnisqualität hat als sein medialer Ersatz auf dem Bildschirm (so wichtig die mit diesem Medium verbreiteten Sekundärerlebnisse auch sind!). Keine Tierhaltung kann artgerecht sein, was immer mit diesem Begriff gemeint sein mag. Denn auch das Leben in der so genannten, in Wirklichkeit aber längst nicht mehr „freien Natur“ ist für die meisten größeren Tiere keineswegs artgerecht. Die Menschen haben global die Lebensmöglichkeiten für andere Lebewesen grundlegend verändert. Für alle größeren, lernfähigen Tiere sind nicht Raubtiere, sondern der Mensch der größte Feind. Auch in großen Nationalparks wirkt sich sein Tun aus, nicht zuletzt durch die Unterbindung großräumiger Wanderungen. Die Scheu frei lebender Tiere, die vielen Menschen natürlich erscheint, weil Wildtiere „wild“ sein sollen, ist Menschenwerk und nicht naturgegeben. | 88 | TIERethik, 6. Jg. 9(2014/2) Interview Josef Reichholf | Sie entstand durch Verfolgung, insbesondere durch die Jagd. Nur solche Tiere, die scheu genug sind, überleben in der Menschenwelt. Sie wurden gezwungen, einen Großteil ihres Verhaltens in den Schutz der Nacht hinein zu verlegen. Und sie tun gut daran, sich der Beobachtung durch die Menschen zu entziehen. Zoos und Schutzgebiete, die diese Bezeichnung verdienen, weil in ihnen nicht gejagt wird, bilden einen kleinen Ersatz für das verloren gegangene Urvertrauen der Tiere. Schutzgebiete könnten/ sollten die Möglichkeit bieten, vertraut gewordene Tiere aus der Nähe zu erleben, wie diese ihrer Natur gemäß sind! Dass dies in den allermeisten unserer Naturschutzgebiete nicht möglich ist, drückt aus, wie wenig der Naturschutz für den Artenschutz erreicht hat. Weil weiter gejagt und verfolgt oder „reguliert“ wird in unseren Schutzgebieten. So bieten nur die in die Großstädte eingewanderten Tiere die Möglichkeit zum Erlebnis aus der Nähe und eben auch die Zoos. Dass diese bestrebt sein müssen, die Haltungsbedingungen so gut wie möglich zu gestalten und immer wieder zu verbessern, gehört zu ihren ethischen Verpflichtungen, „artgerechte Haltung“ jedoch nicht, denn sie ist ein nicht realisierbares Wunschbild. Zootiere sind deshalb die besten Botschafter für ihre in Freiheit lebenden und dort stets von der Tötung durch Menschen bedrohten Artgenossen. Sie werben für mehr Schutz vor Verfolgung und für eine gemeinsame Zukunft mit den Menschen! TIERethik: Die Verfütterung von sogenannten „überzähligen“ Zootieren hat in den letzten Jahren heftige Reaktionen hervorgerufen. Wie empfinden Sie die Kontroversen zu diesem Thema? Reichholf: Ziemlich überzogen! Denn Fleisch von Schlachtvieh war vor der Verfütterung an Zootiere, die ihrer Natur nach von Fleisch leben (müssen), nicht weniger lebendig als das eines Zootieres, aber vielleicht qualitativ schlechter. Denn Zootiere werden in aller Regel besser als Nutzvieh ernährt. Manches Zootier wird zudem sicherlich aus vernünftigerem Grund getötet als viele Schlachttiere, die nur des billigen Fleisches wegen unter jämmerlichsten Lebensbedingungen herangemästet werden. Das Grundprinzip aller Lebewesen, sich zu vermehren, bis Mangel an Lebensraum, Hunger, Seuchen oder Tötung durch Artgenossen die Bestandsentwicklung drastisch begrenzen, wirkt ja auch im Zoo weiter. Es ist unmöglich, alle Tiere, die bei Haltung in menschlicher Obhut geboren werden, unter allen Umständen großzuziehen und ihnen wiederum die Fortpflanzung zu ermöglichen. Besonders bei Tieren, die sich, wie die allermeisten Säugetiere, sehr intensiv um ihren Nachwuchs kümmern, bis dieser erwachsen ist, wäre eine umfassende Tötung aller Jungtiere gleich Interview TIERethik, 6. Jg. 9(2014/2) | 89 | | Drei Fragen an Josef Reichholf nach der Geburt geradezu inhuman. Die Fortpflanzung ganz zu unterbinden, ist kaum weniger schlimm. Denn das bedeutet, dass die betroffenen Tiere ihr diesbezügliches Verhalten nicht ausleben können. Wer die Verfütterung von Zootieren für besonders schlimm und unmoralisch hält, sollte sich ernsthaft mit der Frage auseinandersetzen, was eigentlich den meisten Hunden und vielen Katzen in unserer Menschenwelt angetan wird, wenn sie von der Fortpflanzung ausgeschlossen werden oder ihre Jungen nach den höchst fraglichen Kriterien der Preisrichter und „Reinheitshüter“ von Zuchtrassen gleich nach der Geburt wegselektiert bekommen. TIERethik: Welche menschlichen Bedürfnisse befriedigt ein Zoobesuch? Reichholf: Zuallererst das Bedürfnis, Tiere als andersartige, gleichwohl aber das menschliche Empfinden stark ansprechende Wesen zu erleben, auch wenn sie Glas, Gitter oder ein unüberwindlicher Graben von den Besuchern trennen. Das ist jedoch gut so – für die Tiere selbst, die in der Sicherheit ihrer Räume leben können, wie für die Menschen, die sich gleichfalls sicher fühlen dürfen. Die wichtigste Erfahrung im Zoo ist, dass das Spektrum der Lebensformen viel größer ist als das, was die Arten bieten, die als Haus- oder Nutztiere bei den Menschen leben und von diesen häufig auch (schlimm) verzüchtet worden sind. Der Krüppelhaftigkeit mancher Hunderasse wird man sich erst bewusst über den Vergleich mit dem Sosein der Wölfe, der Stammart aller Haushunde! Der Zoo bietet – sofern nicht Wirtschaftlichkeitszwänge Massenbesuch verursachen und das Tiererlebnis stark beeinträchtigen – die Möglichkeit, besondere Tiere in Ruhe betrachten und in ihrem Verhalten beobachten zu können. Für Jung und Alt ist dies Lernen ohne Lernzwang, Erleben ohne Inszenierung und die Empfindung tiefer Emotionen. Ganz besonders wichtig sind Zoos daher für Kinder und Jugendliche, allerdings nicht als Ersatz für Mangel an Betreuung durch die Eltern oder Großeltern, die nicht mehr wissen, was sie mit den Kleinen anfangen sollen. Wenn der Zoo kaum mehr als ein großer Kindergarten ist mit eingestreuten Tiergehegen, verfehlt er Sinn und Zweck. Im Rummelplatz Zoo kommt keine Spiegelung des Menschseins im Erlebnis des Tieres zustande, sondern lediglich Klamauk, garniert mit Tieren als Kulisse. Zoos können und dürfen keine Großkindergärten sein. Die Menschen sollten den Tieren auf gleicher Ebene begegnen. Nur dann wird sich eine humane Mensch-Tier-Beziehung aufbauen können. | 90 | TIERethik, 6. Jg. 9(2014/2) Interview Josef Reichholf | Zur Person Dr. Josef H. Reichholf lehrte als Honorarprofessor Naturschutz und Ökologie an der Technischen Universität München. Er war viele Jahre im nationalen und internationalen Naturschutz tätig und gilt als einer der profiliertesten Biologen Deutschlands. Er schrieb mehrere Bestseller zu Themen von Ökologie und Evolution. Seine Bücher wurden in 15 Sprachen veröffentlicht. In seinen Forschungen befasste er sich intensiv mit Landwirtschaft und Stadtökologie, mit der Ökologie von Stauseen und den Auswirkungen der Jagd. Korrespondenzadresse E-Mail: [email protected] Interview TIERethik, 6. Jg. 9(2014/2) | 91 |