»Mehr als alles andere ist doch die Liebe immer beides: Himmel und Hölle, Lust und Leid, Paradies und Schlangengrube.« Aus dem Kommentar Jörg Widmanns zu seinem Werk „Teufel Amor“ D8: Fr, 11.05.2012, 20 Uhr | Hamburg, Laeiszhalle L7: Sa, 12.05.2012, 19.30 Uhr | Lübeck, Musik- und Kongresshalle Thomas Hengelbrock Dirigent | Kate Lindsey Mezzosopran Jörg Widmann „Teufel Amor“ – Sinfonischer Hymnos nach Schiller Henry Purcell Suite aus „Dido and Aeneas“ Robert Schumann Sinfonie Nr. 3 Es-Dur op. 97 „Rheinische“ DAS ORCHESTER DER ELBPHILHARMONIE N D R S I N F O N I EO RC H E S T ER Das Konzert wird am 11.06.2012 um 20 Uhr auf NDR Kultur gesendet Freitag, 11. Mai 2012, 20 Uhr Hamburg, Laeiszhalle, Großer Saal Samstag, 12. Mai 2012, 19.30 Uhr Lübeck, Musik- und Kongresshalle Dirigent: Solistin: Thomas Hengelbrock Kate Lindsey Mezzosopran Jörg Widmann (*1973) Teufel Amor Sinfonischer Hymnos nach Schiller (2009, rev. 2011) Henry Purcell (1659 – 1695) Auszüge aus der Oper „Dido and Aeneas“ (1689) zusammengestellt von Thomas Hengelbrock I. Ouvertüre II. „Ah! Belinda“ (Arie der Dido) III. „To the hills and the vales“ (instrumental) – The Triumphing Dance – Echo Dance of Furies IV. „Oft she visits this lone mountain“ (Arie der Zweiten Frau) V. The Sailors’ Dance – The Witches’ Dance VI. „Your counsel all is urg’d in vain“ (Rezitativ der Dido) – Ritornell VII. „Thy hand, Belinda“ – „When I am laid in earth“ (Rezitativ und Arie der Dido) Robert Schumann (1810 – 1856) Sinfonie Nr. 3 Es-Dur op. 97 „Rheinische“ (1850) I. II. III. IV. V. Lebhaft Scherzo. Sehr mäßig Nicht schnell Feierlich Lebhaft Einführungsveranstaltung mit Thomas Hengelbrock am 11.05.2012 um 19 Uhr im Großen Saal der Laeiszhalle. Gesangstexte auf S. 14 Pause 2 3 N D R S I N F O N I EO RC H E S T ER Thomas Hengelbrock Kate Lindsey Dirigent Mezzosopran „In Hamburg entsteht gerade etwas Großes“, so resümierte die Stuttgarter Zeitung anlässlich der ersten Tournee des NDR Sinfonieorchesters mit seinem neuen Chefdirigenten Thomas Hengelbrock, die vom 3. bis 10. November 2011 quer durch Deutschland führte. Von einer „wunderbaren Wandlung eines Klangkollektivs“ sprach die Frankfurter Allgemeine Zeitung und der Kölner Stadt-Anzeiger bescheinigte Hengelbrock sogleich „große emotionale wie intellektuelle Durchsetzungskraft“. In der aktuellen Saison kehrt die aufstrebende Mezzosopranistin Kate Lindsey an die New Yorker Metropolitan Opera als Hänsel in „Hänsel und Gretel“ und Siebel in „Faust“ zurück und gibt ihre Debüts am Royal Opera House Covent Garden und an der San Francisco Opera als Zerlina in „Don Giovanni“ sowie beim Festival von Aix-en-Provence als Cherubino in „Le nozze di Figaro“. Als Konzertsängerin ist sie u. a. beim Boston Symphony Orchestra, Los Angeles Philharmonic Orchestra oder bei der Prague Philharmonia eingeladen. In den letzten Jahren gastierte Lindsey an so renommierten Opernhäusern wie der Bayerischen Staatsoper, dem Théâtre des Champs-Élysées, der Santa Fe Opera, Seattle Opera oder der Opéra de Lille in Rollen wie Rosina in „Il Barbiere di Siviglia“, Angelina in „La Cenerentola“ oder Idamante in „Idomeneo“. In Wilhelmshaven geboren, begann Hengelbrock seine Karriere als Violinist in Würzburg und Freiburg. Grundlegende künstlerische Impulse erhielt er durch seine Assistenztätigkeiten bei Witold Lutosławski, Mauricio Kagel und Antal Doráti, ebenso durch seine Mitwirkung in Nikolaus Harnoncourts Concentus musicus. Neben frühen Begegnungen mit zeitgenössischer Musik prägte seine Arbeit auch die intensive Beschäftigung mit der historisch informierten Aufführungspraxis. Maßgeblich war Thomas Hengelbrock daran beteiligt, das Musizieren mit Originalinstrumenten in Deutschland dauerhaft auf den Konzertbühnen zu etablieren. In den 1990er Jahren gründete er mit dem Balthasar-Neumann-Chor und -Ensemble Klangkörper, die zu den international erfolgreichsten ihrer Art zählen. Daneben stand Thomas Hengelbrock von 1995 bis 1998 als Künstlerischer Leiter der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen und von 2000 bis 2006 dem Feldkirch Festival vor. Als Musikdirektor war er von 2000 bis 2003 an der Wiener Volksoper tätig. Über ein Jahrzehnt lang sorgte er mit 4 spektakulären Wiederentdeckungen bei den Schwetzinger Festspielen für Aufsehen. Thomas Hengelbrock ist heute gleichermaßen als Opern- wie auch als Konzertdirigent international gefragt. Er dirigiert an Opernhäusern wie der Opéra de Paris, dem Royal Opera House in London und dem Teatro Real in Madrid, wo er kürzlich bei der umjubelten Premiere von Mozarts „Titus“ am Pult stand. Mit herausragenden Produktionen ist er im Festspielhaus Baden-Baden zu einem der wichtigsten Protagonisten geworden. Gastdirigate führen ihn wiederholt zum Symphonieorchester des BR, zu den Münchner Philharmonikern sowie zum Chamber Orchestra of Europe. Mit einer Neuproduktion von „Tannhäuser“ debütierte er im Juli 2011 bei den Bayreuther Festspielen. Am 24. März wurde Thomas Hengelbrock der Praetorius Musikpreis Niedersachsen verliehen. Auf der Konzertbühne sang Kate Lindsey die Uraufführung eines neuen Werks von John Harbison mit dem Boston Symphony Orchestra unter James Levine. Darüber hinaus trat sie bereits mit dem New York Philharmonic, Cleveland und St. Louis Symphony Orchestra, mit dem Met Chamber Orchestra in der Carnegie Hall oder beim Tanglewood und Mostly Mozart Festival auf. Dabei arbeitete sie mit so bedeutenden Dirigenten wie Lorin Maazel, Franz Welser-Möst, David Robertson oder Emmanuelle Haïm zusammen. Mit Recitals war sie im Metropolitan Museum of Art oder an der Rockefeller University in New York City zu hören. Im Dezember 2009 konnte man Kate Lindsey in der HDÜbertragung live aus der Metropolitan Opera als Nicklausse in „Les Contes d’Hoffmann“ unter der Leitung von James Levine und an der Seite von Anna Netrebko erleben; außerdem ist sie in der mittlerweile auf DVD erschienenen Met-Aufführung von Mozarts „Zauberflöte“ zu sehen. In Richmond (Virginia) geboren, machte Lindsey an der Indiana University ihren Bachelor of Music mit Auszeichnung und war Absolventin des „Lindemann Young Artist Development Program“ der Metropolitan Opera. Zu ihren vielen Auszeichnungen zählen das renommierte Stipendium des „Festival Musique et Vin au Clos Vougeot“ 2011, das „Richard F. Gold Career“Stipendium 2007, der „George London Award in memory of Lloyd Rigler“ 2007, der „Martin E. Segal Award“ des Lincoln Center 2007 sowie 2006 das Stipendium der Sullivan Foundation. 5 N D R S I N F O N I EO RC H E S T ER Amor et musica Zum Programm des heutigen Konzerts Auch Robert Schumann, dessen Dritte Sinfonie zum Abschluss des Konzertabends erklingt, kannte die Qualen und Freuden der Liebe. Bis er seine Gefühle gegenüber Clara Wieck nicht nur heimlich bekunden, sondern sich offen dazu bekennen konnte, waren gut fünf Jahre und einige Hürden, die Friedrich Wieck ihm in den Weg stellte, zu überwinden. Erst ein Gerichtsurteil ermöglichte den beiden Liebenden 1840 zu heiraten und ein gemeinsames Leben aufzubauen. Bekannt ist, welch eminente Schöpferenergie bei Robert Schumann dadurch frei wurde. Vier Liederzyklen komponierte er noch im selben Jahr. Auch sein offizieller sinfonischer Erstling, die „Frühlingssinfonie“ in B-Dur, brach sich ein Jahr später glücklich Bahn. Sie ist der Geist, der allem Leben gibt. Die Liebe versetzt Menschen in Zustände taumelnder Glückseligkeit oder lässt sie bei Verlust derselben in tiefe Verzweiflung stürzen. Nicht zuletzt vermag sie künstlerische Schaffensprozesse zu beflügeln. Sie eignet sich als Stoff der Menschheitsgeschichte schlechthin. In vielfältigen Variationen wird von ihren positiven und negativen Auswirkungen auf das einzelne Individuum erzählt, besungen werden „Liebesfreud’ und Liebesleid’“, gemalt und gestaltet ideale und tragisch getrennte Liebespaare, Angebetete oder glücklich Geliebte von der Antike bis zur Gegenwart. Jörg Widmanns jüngst in Wien uraufgeführter sinfonischer Hymnos „Teufel Amor“ stellt am heutigen Abend die Verbindung zur musikalischen Gegenwartskunst her. Das Fragment eines gleichnamigen Schiller-Gedichtes inspirierte den 1973 geborenen Komponisten im Jahr 2009 zu seinem sinfonischen Werk. Schon der Titel, welcher den römischen Liebesgott und den Teufel nebeneinander stellt, verweist auf zwei sich widersprechende und doch häufig dicht nebeneinander existente Seiten der Liebe, die Widmann mit folgenden Antinomien beschreibt: „Himmel und Hölle, Lust und Leid, Paradies und Schlangengrube“. Die Begegnungen der Königin Dido mit dem römischen Liebesgott Amor ziehen für die antike Sagen-Schönheit aus Karthago und Titelfigur in Henry Purcells einziger Oper durchaus schmerzliche Auswirkungen nach sich. Gleich zwei Mal verliert sie einen geliebten Mann. Ihr 6 Teufel Amor Caravaggio: „Amor als Sieger“ (1598/99) erster Mann Sychaeus wird von ihrem Bruder Pygmalion kaltblütig erschlagen. Als sie sich schließlich nach langer Trauerzeit ein zweites Mal mit Aeneas auf die Liebe einlässt, wird ihr Glück sogleich wieder zerstört. Aeneas muss auf Geheiß des Göttervaters Jupiter – bei Purcell, englischem Sagengut entsprechend, vordergründig durch den Willen von Hexen gelenkt – Karthago umgehend wieder verlassen, um in Italien ein neues Reich zu gründen. Diesem äußersten Schmerz – Dido fühlt sich hart durch den gerade gefundenen Geliebten zurückgewiesen – weiß sie nichts entgegen zu setzen als den Entschluss, ihr Leben auszulöschen. Jörg Widmanns sinfonischer Hymnos „Teufel Amor“ wird vom NDR Sinfonieorchester in diesem Konzert erstmals in Hamburg aufgeführt. Das Orchesterwerk des bedeutenden Komponisten und Klarinettisten wurde im April 2012 durch die Wiener Philharmoniker zur Uraufführung gebracht. Widmann, der seit seinem elften Lebensjahr Kompositionsunterricht erhielt, ist heute als Professor für Klarinette und Komposition in Freiburg tätig. Neben Kammermusik hat er verschiedene Werke für großes Orchester geschaffen, darunter ein Violinkonzert, welches von Christian Tetzlaff und dem NDR Sinfonieorchester 2010 in der Laeiszhalle aufgeführt wurde, sowie „Armonica“, ein „Klangexzessstück“, das 2007 ebenfalls durch die Wiener Philharmoniker unter Pierre Boulez zur Uraufführung kam. Zudem hat Widmann mit zwei außergewöhnlichen Musiktheaterprojekten auf sich aufmerksam gemacht. Seine erste Oper „Das Gesicht im Spiegel“ wurde von der Zeitschrift „Opernwelt“ gleich zur bedeutendsten Uraufführung der Spielzeit 2003/04 gewählt. Widmanns sinfonischer Hymnos wurde durch das Fragment des Schiller-Gedichtes „Teufel Amor“ inspiriert. Der Fragmentstatus machte dem Komponisten laut eigener Aussage Mut, sich überhaupt „an diesen hehren Schiller heranzutrauen“. Dabei wirkten der assoziationsreiche Titel und die zwei mit einem musikalisch-poetischen Bild aufwartenden Verse „Süßer Amor, verweile / Im melodischen Flug“ intensiv auf Widmann. Das scheinbar Unvereinbare an Schillers zwei überlieferten Versen, die er seinem Hymnos voranstellt, gab ihm und seiner Phantasie Raum. „Einerseits wünscht man sich, dass ein Zustand festgehalten wird, aber wenn der Zustand schon eine Bewegung ist, dann ist das in sich ja so ein Widerspruch, dass es schon wieder herrlich ist“, fasst der Komponist seine Lesart der Verse in einem Interview mit Barbara Lebitsch zusammen. Aus diesem im Vorfeld der Wiener Uraufführung geführten Gespräch wird Widmanns für seinen sinfonischen Hymnos wesentliche Idee deutlich, seine Vorstellungen von „Teufel und Amor“ mit verschiedenen Klangfarben musikalisch auszudrücken. Gleich zu Beginn des Hymnos’ zeigt der Teufel gewissermaßen seine Hörner: Posaunen und tiefe Bläser stellen in den ersten fünf Minuten das melodische Tonmaterial vor, aus 7 N D R S I N F O N I EO RC H E S T ER Jörg Widmann welchem auch „die gesamte Harmonik gespeist wird.“ Die zu Beginn zum Einsatz kommenden Schlaginstrumente (Pauken, tiefe Tam-Tams und fünf Buckelgongs) stützen die abgründigtiefe Sphäre des Teufels, der später im „Teufelstanz“ noch einmal „sein Gesicht“ zeigt. Der späte Einsatz der Geigen und Trompeten (hohes Register), stellt demgegenüber ein hymnisches und zugleich strukturbildendes Moment in Widmanns „Teufel Amor“ dar. Das reduzierte Tonmaterial, so Widmann, „gebiert den Überdruck, aus dem dann die Geigen als Resultat herausgeschleudert werden […]. Aber eben nicht mit kalten non-vibrato-Flageoletts, sondern zum ersten Mal in diesem Stück tatsächlich mit einem zunächst zaghaften, im Verlauf immer glühenderen Vibrato.“ Widmann möchte die mit einem dreigestrichenen b einsetzende und sich in den ersten und zweiten Geigen unisono entspinnende, singende Melodie wie eine archaische „Urkraft“ verstanden 8 wissen. Mit „ganz vielen aufsteigenden Quinten [wird] der Liebe ein allgemeines Denkmal gesetzt, mehr als dass da jemand individuell von der Liebe singt“, legt Widmann seine Intention dar. Dieser hymnische, instrumentale Liebesgesang kann sich – wie in der Realität – jedoch nicht ewig in himmlischen Höhen bewegen, denn „wie in der Liebe oder der Verliebtheit auch ist die daraus resultierende Fallhöhe wichtig“. In Kombination mit dem Wunsch, zusätzlich ein erotisches Moment in seinen Hymnos aufzunehmen, führt dieser Gedanke in Widmanns Komposition schließlich zu einer Art Katastrophe, „wo nicht gerade ein Höllensturz passiert, wo aber die gesamte untere Ebene präsent ist.“ Der siebte Himmel der Verliebten und die Hölle der Verlassenen liegen dann eben doch relativ eng nebeneinander ... Der daraus entstandene ins dreifache Forte gesteigerte Schönklang verliert sich schließlich in eine „ferne Reprise, die alles Heroische und alle Hoffnung verloren hat. Das ist wie das Weinen um einen Verlust. […] Da ist dieser Amorpunkt am nächsten und gleichzeitig am weitestmöglichen entfernt. Da wird sozusagen das, was da hymnisch besungen wurde zu Grabe getragen.“ Ein unterdrückt bebender Herzschlag in der großen Trommel bleibt übrig, dann wird „in einem rapiden Accelerando gewaltsam die Stille zerfetzt.“ Widmann kommentiert den Schluss seines „Teufel Amor“ vergnügt: „Es kommt zu einem Aufstampfen des Teufels – und weg ist er. Er sucht sich jetzt vielleicht ein neues Opfer und hinterlässt einen Schwefelgeruch.“ Widmann macht daneben auf einen „schockhaft-irren Moment“ in seinem Hymnos aufmerksam, in welchem die GeigerInnen ihre Instrumente wie Gitarren halten und im langsamen 3/8-Takt gleich einem Ständchen begleiten. Daran schließt sich die nach Widmanns eigener Auskunft zentrale Stelle des Hymnos an: „Da hält die Musik dann gleichsam ihren eigenen Atem an, den sie sehr trotzig das ganze Stück behauptet hat. Plötzlich entspinnt sich, in der Klarinette beginnend, immer noch von diesen Schlägen enorm bedrängt, eine ganz simple Melodie, zu der die Geigen anfänglich pizzicato spielen.“ Erneut heben daraufhin die Violinen zu ihrem hymnisch-hohen Gesang an: „Nur diesmal haben sie es einmal geschafft, das ganze übrige Orchester anzustecken.“ Tragische Liebe in Purcells einziger Oper Was Purcell zu „Dido and Aeneas“ angeregt oder zu der Stoffauswahl bewogen hat, ist nicht bekannt – wohl aber, dass die Oper 1689 in einem adligen Mädchenpensionat in Chelsea uraufgeführt wurde, vermutlich unter der musikalischen Leitung des Komponisten am Cembalo. Die von Thomas Hengelbrock für das heutige Konzert zusammengestellten Auszüge schlagen einen Bogen vom Beginn der Oper bis zu Didos Lamento-Arie am Ende des dritten Akts. Das langsame, getragene Tempo, die Tonart c-Moll sowie die abwärts gerichtete und mit Chromatik getränkte Basslinie scheinen das tragische Ende der Dido gleich im ersten Teil der Ouvertüre herauf zu beschwören. Der zweite Allegro-Teil leitet mit seinen regelmäßig pulsierenden Achteln direkt in die erste Palast-Szene über. Belinda, eine getreue Edelfrau aus dem Gefolge der Königin, versucht Dido von ihrem Kummer abzulenken. Erst Aeneas gelingt es mit Amors Hilfe, Dido ihren Frohsinn zurück zu geben. Die Liebe triumphiert fürs Erste. Ein Merkmal, das häufig mit der Bauweise der Chaconne verknüpft ist, die Verwendung eines ostinaten (ital. für „beharrlichen“) Basses, prägt einige der instrumentalen Tänze aus „Dido and Aeneas“. Auch die drei hier ausgewählten Arien Purcells lassen die Gesangsstimme über einem solchen Ostinato erklingen. Im Fall von Didos erster Arie „Ah! Belinda“ wird so die vier Takte umfassende Bassmelodie 21 Mal hintereinander wiederholt. Innerhalb der ersten zwei Verse illustriert Purcell Didos Qualen mittels rhythmisch unruhig gestalteter Seufzer. Gleichmaß bestimmt demgegenüber den zweiten Arien-Abschnitt, der mit dem Vers „Peace and I are strangers grown“ einsetzt. In seinen diversen in der Oper vertretenen Tänzen übersetzt Purcell Gefühle oder Figurencharakteristika plastisch in eine Gebärde. Im Echotanz der Furien wird die Wildheit der Furien z. B. mit durchgängigen tonleiterartigen Sechzehntelbewegungen herausgestellt und ein Echo-Effekt mit abwechselnd „loud“ und „soft“ zu spielenden Passagen erzielt. Der Tanz der Seeleute vor der Abfahrt mit Aeneas weist dagegen einen fröhlichen, fast ein wenig plumpen Charakter auf. 9 N D R S I N F O N I EO RC H E S T ER fort. Ein in Hengelbrocks Zusammenstellung instrumental erklingender Chor kommentiert Didos Entschluss, den Tod willkommen zu heißen, mit erhaben-trauriger Gewichtigkeit: „Große Seelen zermartern sich selbst / Und verachten die Hilfe, die sie am meisten begehren.“ Daran schließt sich Didos rezitativische Ansprache „Thy hand, Belinda“ an, die mit einer diesmal fünftaktigen, insgesamt 11 Mal wiederholten, ostinaten Bassmelodie direkt in die Arie überleitet. Chromatisch (in Halbtonschritten) wandert die Bassmelodie gemessenen Tempos eine Quarte abwärts, hiermit Didos äußersten Schmerz intensiv illustrierend. Eindringlich erhebt sich darüber Didos Klagegesang, der inhaltlich eine Ansprache an Belinda darstellt: Nach ihrem Ableben möge sie die Erinnerung an sie bewahren („Remember me“ – die Phrase markiert den Beginn des zweiten Arienabschnitts), ohne ihrer Verfehlungen oder ihres Schicksals zu gedenken. Robert Schumann (Porträtaufnahme, Hamburg, 1850) Thomas Jones und Johan Hamilton Mortimer: „Landschaft mit Dido und Aeneas“ (1769) Schumanns Liebe zu Land und Leuten Die bezaubernde Arie der Zweiten Frau aus Didos Gefolge wird von dieser auf der Jagd gesungen. Der „teure Berg“ wird als Schauplatz einer weiteren Sagen-Handlung imaginiert. Ovid berichtet in seinen „Metamorphosen“ davon, dass der Jüngling Aktaion grausam zu Tode kam, nachdem er die Jagdgöttin Diana versehentlich im Bade überraschte. Das tragische Ende Didos wird damit symbolisch vorweg genommen. Purcell lässt auch hier die lieblich bis eindringlich gestaltete Sopranstimme über einem viertaktigen Basso ostinato aufsteigen. 10 13 Mal werden die gleichmäßig perlenden Achtel diesmal wiederholt. Didos Lamento-Arie bildet die letzte Solonummer am Ende der Oper. Ihr voraus geht eine Szene, in welcher Dido ihr Schicksal anklagt. Aeneas wirbt noch um Verständnis dafür, dass er dem Ratschluss der Götter folgen muss und versucht ihr entgegen zu kommen. Doch Didos Herz ist schon zu sehr verletzt worden. Sie kann ihm nicht verzeihen, dass er überhaupt daran gedacht hat, sie zu verlassen und schickt ihn Mit seiner Dritten Sinfonie op. 97, der so genannten „Rheinischen“, welche sich durch fröhliche Beschwingtheit, volkstümliche Elemente und erhabene Feierlichkeit auszeichnet, verlieh Robert Schumann einer weiteren Form der Liebe musikalisch Ausdruck: jener zu Land und Leuten. Schumanns Begeisterung für das Rheinland wurde durch eine neue berufliche Position geweckt. 1849 folgt er einer Einladung Ferdinand Hillers und wird städtischer Musikdirektor in Düsseldorf. Sein Aufgabenbereich dort umfasst u. a. die musikalische Leitung von Abonnementkonzerten sowie Verpflichtungen beim jährlich stattfindenden niederrheinischen Musikfest. Die Dirigiertätigkeit kam Schumanns kompositorischem Interesse an der Gattung Sinfonie entgegen, konnte er so doch regelmäßig mit einem Orchester musikalisch arbeiten. Als sinfonischer Komponist sah Schumann sich in einer Gattungstradition, der er kulturpatriotisch – den politischen Wünschen seiner Zeit nach einer vereinten deutschen Nation darin durchaus beipflichtend – in einem Artikel Ausdruck verlieh: „Wenn der Deutsche von 11 N D R S I N F O N I EO RC H E S T ER Sinfonien spricht, so spricht er von Beethoven: die beiden Namen gelten ihm für eines und unzertrennlich, sind seine Freude, sein Stolz. […] ihm wagt er selbst Shakespeare gleich zu stellen.“ Doch nicht nur Kulturpatriotismus, auch Lokalpatriotismus hat Eingang in Schumanns Dritte gefunden. Die Schumanns erkundeten von Düsseldorf aus das umliegende Rheinland – und wie Wilhelm Joseph von Wasielewski, der von Schumann engagierte Düsseldorfer Konzertmeister und erste Biograph des Komponisten, berichtet, sei die Dritte Sinfonie durch den Anblick und Besuch des Kölner Doms inspiriert worden. Tatsächlich besuchten die Schumanns im Spätherbst 1850 zwei Mal Köln, woraufhin Schumann erste Kompositions-Skizzen seiner Dritten anfertigte. Die währenddessen stattfindenden Feierlichkeiten „zur Cardinalserhebung des Cölner Erzbischofs von Geißel“ sollen seine Komposition zusätzlich beeinflusst haben. Auch wenn Schumann nachweislich nicht an der Zeremonie teilnahm, lässt sich der „Feierlich“ überschriebene vierte Satz mit seinem choralartigen Gepräge sehr leicht als Imagination eines kirchlichen Rituals hören. Laut Wasielewski standen über diesem Satz sogar ursprünglich die Worte „Im Charakter der Begleitung einer feierlichen Ceremonie“. „Lebhaft“ ist die Vortragsanweisung, die Schumann dem einleitenden Es-Dur-Satz seiner Dritten voranstellt. Der spezifische, vorwärtsdrängende Rhythmus des Hauptthemas – welcher den eigentlichen 3/4-Takt zu einem 3/2-Takt vergrößert – unterstreicht diesen 12 benen Rheinstromes wachzurufen vermögen. Schumann lässt insgesamt im ersten Satz weitestgehend eigene Formvorstellungen walten und orientiert sich nur in Umrissen an dem Form-Modell der Sonatenhauptsatzform. In „sehr mäßigem“ Tempo als tänzerisches Scherzo mit zwei Trio-Abschnitten präsentiert sich der zweite Satz. Dessen thematischer Hauptgedanke, der in seiner Intervallstruktur zwischen auf- und absteigender Quart – ein zentrales Intervall in Schumanns Dritter – vermittelt, wird zunächst in dunklem Klanggewand von Celli, Bratschen und Fagott vorgestellt, doch sogleich durch die Verlagerung in Flöten, Oboen und erste Geigen aufgehellt. In der „Rheinischen Musik-Zeitung“ findet sich folgende mit dem Satz assoziierte Vorstellung eines Rheinlandlebens: „man denkt an schöne Wasserfahrten zwischen rebengrünen Hügeln und friedliche Winzerfeste“. „Der Dom in Cöln / Innere Ansicht“, Stahlstich von Joseph Maximilian Kolb (um 1850). Robert Schumann soll beim Anblick des Kölner Doms zu seiner Dritten Sinfonie inspiriert worden sein lebendigen Charakter. Erst nach 94 Takten, die vom Hauptthema, inklusive Varianten und sofortiger Wiederholung, dominiert werden, erscheint das Seitenthema überhaupt das erste Mal holzbläserbetont und melancholisch in Moll. Für volkstümliche Couleur sorgen in diesem Satz die Horn-Einsätze, die mit kräftiger Klangfarbe naturverbundene Bilder des erha- führung am 06. Februar 1851 im Allgemeinen Musikverein unter Leitung des Komponisten in Düsseldorf urteilten die „Signale für die musikalische Welt“: „Der vierte Satz bildet sich zu einem erhebenden Ausdruck heran, gleichsam als Glorie über dem Ganzen schwebend […].“ Ein furioses und wie der erste Satz „Lebhaft“ zu gestaltendes Finale stellt sich dem feierlichen Ernst des vierten Satzes entgegen und präsentiert beschleunigt beschwingt sein frohsinniges, ebenfalls von Quarten durchsetztes Hauptthema in Geigen, Flöten und Klarinetten. Eine großangelegte Steigerung in der Durchführung mündet üppig in die Reprise. Die Coda, in welcher die Posaunen erstmals in diesem Satz zum Zug kommen, bildet mit ihren Fortissimo-Fanfaren des gesamten Orchesters schließlich einen fulminanten Abschluss der „Rheinischen“ von Schumann. Halina Wiederholz Der dritte, mittlere Satz huscht episodenhaft rastlos vorüber, bis er am Ende immer leiser werdend erstirbt. Klarinetten und Fagotte lassen den ersten „dolce“ (süß) vorzutragenden Hauptgedanken ertönen, dem sogleich ein zweiter Gedanke von den ersten Geigen entgegen gesetzt wird. Der vierte und fünfte Satz bilden am Schluss der Sinfonie in dramaturgischer Hinsicht ein Gegensatzpaar. Ein himmelwärts ansteigendes Thema – Quartschritte spielen wiederum eine entscheidende Rolle –, die feierliche Präsentation durch Hörner und Posaunen sowie die Verwendung von Fugentechnik zeichnen den vierten Satz aus. Nach der Urauf13 N D R S I N F O N I EO RC H E S T ER Henry Purcell: „Dido and Aeneas“ Europa- und Japan-Tournee im Mai Gesangstexte Das NDR Sinfonieorchester und Thomas Hengelbrock unterwegs II. Arie der Dido Ah! Belinda, I am press’d With torment not to be confess’d, Peace and I are strangers grown, I languish till my grief is known, Yet would not have it guess’d. Ach, Belinda, ich werde von unaussprechlichen Qualen heimgesucht. Fremd ist mir der Friede geworden; ich schmachte, bis mein Kummer bekannt ist; und doch wollte ich, niemand erräte ihn. IV. Arie der Zweiten Frau Oft she visits this lone mountain, Oft she bathes her in this fountain. Here Actaeon met his fate, Pursued by his own hounds, And after mortal wounds Discover’d too late. Oft besucht sie diesen einsamen Berg, oft badet sie in dieser Quelle. Hier fand Aktaion seinen Tod. Verfolgt von seinen eigenen Hunden, erhielt er tödliche Wunden und war zu spät gefunden. VI. Rezitativ der Dido Your counsel all is urg’d in vain, To earth and heaven I will complain! To earth and heaven why do I call? Earth and heaven conspire my fall. To fate I sue, of other means bereft, The only refuge for the wretched left. 14 Euer guter Rat ist vergeblich. Bei Erde und Himmel will ich mich beklagen! Doch warum rufe ich Himmel und Erde an? Himmel und Erde planen meinen Fall: An das Schicksal wende ich meine Klage, denn andere Mittel bleiben mir nicht. Es ist die einzige Zuflucht für die Elenden. VII. Rezitativ und Arie der Dido Thy hand, Belinda, darkness shades me, On thy bosom let me rest: More I would, but Death invades me: Death is now a welcome guest. Deine Hand, Belinda! Finsternis umwölbt mich. An deinem Busen lass mich ruhen. Mehr wollt’ ich tun, doch der Tod ist in mir. Der Tod ist nun ein willkommener Gast. When I am laid in earth, may my wrongs create No trouble in thy breast, Remember me, but ah! forget my fate. Wenn ich in der Erde liege, mögen meine Verfehlungen dich nicht bekümmern. Denk an mich! Doch ach! Vergiss mein Schicksal. NDR Sinfonieorchester Nach der erfolgreichen ersten DeutschlandTournee im vergangenen November begibt sich das NDR Sinfonieorchester unter seinem Chefdirigenten Thomas Hengelbrock im Mai erneut auf Konzertreisen. Im Anschluss an die Konzerte in Hamburg und Lübeck steht zunächst ein Gastspiel mit Schumanns „Rheinischer“ sowie Brahms’ Erster in der Semperoper Dresden an. Mit dem Ersten Klavierkonzert von Liszt und Sinfonien von Haydn (Nr. 70), Beethoven („Eroica“) und Brahms (Nr. 1) im Gepäck touren Hengelbrock, sein Orchester und die Pianistin Alice Sara Ott anschließend durch Europa mit Stationen in Dortmund (Konzerthaus), München (Philharmonie), Ljubljana (Cankarjew Dom) und in der Musikhauptstadt Wien (Konzerthaus). Über Pfingsten stehen dann drei Konzerte in Japan auf dem Programm: die Japanerin Kyoko Takezawa spielt Mendelssohns Violinkonzert beim Gastspiel in Osaka, der Stargeiger Christian Tetzlaff ist der Solist der beiden Konzerte in Tokio, die das NDR Sinfonieorchester unter Hengelbrock sowohl in die dortige Suntory Hall als auch in die Bunka Kaikan führen. 15 N D R S I N F O N I EO RC H E S T ER Konzertvorschau Das NDR Sinfonieorchester bei den Salzburger Festspielen NDR SINFONIEORCHESTER NDR DAS NEUE WERK B10 | Do, 14.06.2012 | 20 Uhr A10 | So, 17.06.2012 | 11 Uhr Hamburg, Laeiszhalle Esa-Pekka Salonen Dirigent Thomas Zehetmair Violine Esa-Pekka Salonen Violinkonzert Anton Bruckner Sinfonie Nr. 4 Es-Dur „Romantische“ Sa, 12.05.2012 | 20 Uhr Hamburg, Rolf-Liebermann-Studio Enno Poppe Leitung Ensemble Resonanz Werke von Enno Poppe Oliver Schneller (UA) Iannis Xenakis Giacinto Scelsi 14.06.2012 | 19 Uhr: Einführungsveranstaltung Im Rahmen eines Vorkonzerts findet ein Schülerprojekt statt: 19 Uhr: Klangradar 3000/Klangwellen-Projekt „Xenakis“ Alexander von Humboldt-Gymnasium/Ästhetische Bildung Jahrgang 10 Begleitender Komponist: Robert Engelbrecht Begleitende Lehrkraft: Kerstin Bahrenburg NDR CHOR Esa-Pekka Salonen Karten im NDR Ticketshop im Levantehaus, Tel. 0180 – 1 78 79 80 (bundesweit zum Ortstarif, maximal 42 Cent pro Minute aus dem Mobilfunknetz), online unter ndrticketshop.de 16 Abo-Konzert 4 Mi, 13.06.2012 | 20 Uhr Hamburg, Laeiszhalle MESSIAS Philipp Ahmann Dirigent Ruth Ziesak Sopran Gerhild Romberger Alt Werner Güra Tenor Hanno Müller-Brachmann Bass Concerto Köln Georg Friedrich Händel Der Messias (in der Fassung nach Wolfgang Amadeus Mozart) Bei den Salzburger Festspielen ist im diesjährigen Sommer auch das NDR Sinfonieorchester zu Gast. Im Rahmen der Reihe „Salzburg contemporary“ dirigiert Christoph Eschenbach, ehemaliger Chefdirigent des Orchesters, am 12. August 2012 in der Felsenreitschule ein Programm mit Werken von Alban Berg, Bernd Alois Zimmermann sowie mit Orchesterbearbeitungen von Liedern Franz Schuberts. Als Solisten sind dabei der Bariton Matthias Goerne sowie als Sprecher in Zimmermanns „Ekklesiastischer Aktion“ Ullrich Matthes und Peter Stein zu erleben. So, 12.08.2012 | 20 Uhr Salzburg, Felsenreitschule NDR Sinfonieorchester Christoph Eschenbach Dirigent Matthias Goerne Bariton Ullrich Matthes Sprecher Peter Stein Sprecher Alban Berg Drei Orchesterstücke op. 6 Franz Schubert Lieder für Bariton und Orchester Bernd Alois Zimmermann „Ich wandte mich und sah an alles Unrecht, das geschah unter der Sonne“ – Ekklesiastische Aktion für zwei Sprecher, Bariton und Orchester Christoph Eschenbach 17 In Hamburg auf 99,2 In Lübeck auf 88,0 Weitere Frequenzen unter ndr.de/ndrkultur Impressum Saison 2011 / 2012 Herausgegeben vom NORDDEUTSCHEN RUNDFUNK PROGRAMMDIREKTION HÖRFUNK BEREICH ORCHESTER UND CHOR Leitung: Rolf Beck Redaktion Sinfonieorchester: Achim Dobschall Redaktion des Programmheftes: Julius Heile Der Einführungstext von Halina Wiederholz ist ein Originalbeitrag für den NDR. Foto: Stefano Stefani | gettyimages Fotos: Gunter Gluecklich (S. 4) Dario Acosta (S. 5) akg-images (S. 6, S. 10, S. 11, S. 12) Christopher Peter (S. 8) Marcus Krueger (S. 15) Nicho Soedling (S. 16) Eric Brissaud (S. 17) NDR | Markendesign Gestaltung: Klasse 3b, Hamburg Litho: Otterbach Medien KG GmbH & Co. Druck: Nehr & Co. GmbH Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit Genehmigung des NDR gestattet. 18 Die Konzerte des NDR Sinfonieorchesters hören Sie auf NDR Kultur Hören und genießen