Personalisierte Therapie des Lungenkarzinoms

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Personalisierte Therapie des Lungenkarzinoms
Martin B. Steins, Michael Thomas, Internistische Onkologie der Thoraxtumoren, Thoraxklinik am Universitätsklinikum Heidelberg
Die systemische Therapie des nicht-kleinzelligen Lungenkarzinoms (NSCLC) im lokal fortgeschrittenen
(IIIB) oder fernmetastasierten (IV) Tumorstadium wird für die Mehrzahl der betroffenen Patienten
bislang noch von der zytotoxischen Wirkung konventioneller Chemotherapeutika bestimmt.
Zunehmend werden aber in der modernen molekularen Diagnostik tumorzelleigene Genaberrationen
identifiziert, die teilweise bereits als therapierelevante Zielstrukturen genutzt werden. Dieser Übersichtsartikel reflektiert den aktuellen Wissensstand und Umgang mit den Optionen der sogenannten
personalisierten Medizin beim Lungenkarzinom, allen voran der Inhibition von Rezeptortyrosinkinasen in Form der small molecules.
Die molekulare Diagnostik beim
NSCLC hat in jüngster Zeit enorme
Fortschritte gemacht. Es wurden in
den vergangenen Jahren verschiedene Genaberrationen im Tumor
identifiziert (Abb. 1, S. 42) [1], die z.T.
schon als klinisch relevante Targets
genutzt werden. Zwei dieser Targets, die überwiegend, aber nicht
ausschließlich mit einem Nichtraucher-/Wenigraucher-Status assoziiert sind, lassen sich bereits durch
spezifische Substanzen soweit inhibieren, dass eine Tumorremission
und ein im Vergleich zur herkömmlichen Zytostatika-Therapie signifikant längeres progressionsfreies
Überleben (PFS) erreichbar sind.
Auch wenn durch diese Therapieoptionen eine Heilung bisher nicht realisierbar ist, so hat doch die Stratifizierung der Behandlung nach Vorkommen genetischer Veränderungen die Diagnostik und Systemtherapie des NSCLCs, vor allem des pulmonalen Adenokarzinoms, nachhaltig geprägt.
EGFR-Tyrosinkinaseinhibition
EGFR als Tumor-Target: Beim NSCLC
konnte der epidermale Wachstumsfaktorrezeptor (epidermal growth
factor receptor; EGFR) als sinnvolles
Ziel für eine tumorzellinhibierende
Therapie verifiziert werden. EGFR ist
häufig überexprimiert in Tumorzellen und spielt eine bedeutende Rolle
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wodurch eine Signalkaskade für Tumorwachstum und -progression induziert wird.
Eine pathophysiologisch besondere
Krankheitssituation beim NSCLC
liegt vor, wenn die TyrosinkinaseAktivität des EGFR mutationsbedingt gesteigert ist. Solche vermeintlich aktivierenden Mutationen in der
Tyrosinkinase-Domäne des EGFRGens konnten in den Exonen 18 - 21
mit einer Häufigkeit von etwa 10%
detektiert werden [1].
Diese EGFR-Mutationen, die überwiegend die Exone 19 (Deletion
[Del] 19) und 21 (L858R-Punktmutation) betreffen, stellen die bisher bedeutendsten Biomarker für das
NSCLC dar, die prädiktiv mit einem
verbesserten Therapieansprechen
einhergehen, falls Tyrosinkinaseinhibitoren (TKI) des EGFR eingesetzt werden (Abb. 2).
Zugelassene EGFR-TKI: Die Landmark-Studie zur Effektivität von
EGFR-TKI einschließlich des Nachweises eines deutlich verlängerten
PFS stellt IPASS (Iressa Pan ASia
Study) mit Verwendung von Gefitinib dar [4]. Diese Studie randomisierte ein selektioniertes, asiatisches Patientenkollektiv von 1.217 Nie- bzw.
nach [1]
in Signaltransduktionswegen für
Zellproliferation, -migration und adhäsion wie auch für Tumorneoangiogenese und Apoptosehemmung
[2]. Seine Überexpression korreliert
in einigen Tumorentitäten mit
Krankheitsprogression und ungünstiger Prognose [3].
EGFR selbst zählt zur humanen epidermalen Wachstumsfaktor-Rezeptor (HER)-Familie, die auch als ErbB
klassifiziert wird. Die Struktur dieses
170 kDa umfassenden, transmembranösen Glykoproteins besteht aus
einer extrazellulären Cystein-reichen Ligandenbindungsregion, einem transmembranösen Anteil und
einer zytoplasmatischen Tyrosinkinase-Domäne. Die extrazelluläre
Bindung eines endogenen Liganden
wie des epidermalen Wachstumsfaktors (EGF) oder des Transforming
growth factor-beta (TGF-?) überführt den Rezeptor von seiner inaktiven Monomerstruktur in den aktiven Homo- oder Heterodimer-Zustand. Dabei kommt es zu konfirmatorischen Änderungen mit nachfolgender Phosphorylation von Tyrosinresten. Diese phosphorylierten
Tyrosinreste wiederum fungieren
anschließend als Bindungsstellen für
signalübertragende
Substanzen,
Abb. 1: Resultate der Biomarker-Analyse (Mutationen [Mut. ] u. Rearrangement) der
French Platforms Networks auf Basis von 9.911 Patienten
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Wenigrauchern im Verhältnis 1:1
zwischen einem herkömmlichen
Chemotherapie-Arm
(Carboplatin/Paclitaxel) vs. dem TKI-Arm mit
Gefitinib (250 mg p.o./Tag). Bereits
für das Gesamtkollektiv ergab sich
mit 43% eine hohe Ansprechrate bei
Einsatz von Gefitinib gegenüber
32% in der Chemotherapie-Gruppe.
Das für die klinische Praxis wichtigste
Resultat wurde allerdings erst offenkundig, als zwischen Patienten mit
Vorliegen einer EGFR-Mutation und
denjenigen mit Wildtyp differenziert worden war. Hier zeigten die
EGFR-mutationspositiven Patienten
bezüglich ihres PFS einen signifikanten Benefit, wenn sie mit dem TKI
anstelle des konventionellen Chemotherapie-Protokolls behandelt
worden waren (p<0,0001). Die Wildtyp-Patienten profitierten demgegenüber mit ihrem PFS signifikant
mehr von der Standard-Chemotherapie (p<0,0001). Die Ergebnisse fanden Eingang in die interdisziplinäre
S3-Leitlinie für das Lungenkarzinom,
indem mit Empfehlungsgrad B eine
Erstlinientherapie mit Gefitinib bei
Patienten mit EGFR-aktivierenden
Mutationen, insbesondere Del 19oder L858R-Mutation, gegenüber
einer Chemotherapie bezüglich Remissionsrate und PFS als signifikant
überlegen bewertet wurde [5]. Im
Weiteren wurden diese Ergebnisse
auch für den TKI Erlotinib sowohl bei
einem asiatischen wie auch kaukasischen Patientenkollektiv bestätigt
[6, 7].
Als dritter TKI ist Ende 2013 Afatinib
von der Europäischen Arzneimittelbehörde ab der ersten Therapielinie
für EGFR-mutationspositive Patienten im Stadium IIIb/IV zugelassen
worden [8, 9]. Letzterer weist als
pan-ErbB-TKI neben EGFR auch Aktivitäten gegen HER2 sowie ErbB3 und
4 auf. Des Weiteren führt seine kovalente Bindung an den jeweiligen TKDomänen im Unterschied zu den
Erstgenerations-Inhibitoren Gefitinib oder Erlotinib zu einer irreversi-
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blen Blockade. Inwieweit hierdurch
eine bessere Therapieeffektivität bei
EGFR-mutierten Patienten erreicht
werden kann, lässt sich nur durch
Studien mit einem direkten Vergleich der EGFR-TKIs untereinander
weiter klären.
In den beiden Phase-III-Studien LUXLung 3 (Afatinib vs. Cisplatin/Pemetrexed) und LUX-Lung 6 (Afatinib vs.
Cisplatin/Gemcitabin) ließ sich mittels einer gepoolten Post-hoc-Analyse ein statistisch signifikanter Vorteil
hinsichtlich des Gesamtüberlebens
(OS) beim First-Line-Einsatz von Afatanib für Del 19-Patienten errechnen
[10]. Im Fall von Gefitinib oder Erlotinib konnte diesbezüglich bisher kein
Vorteil für das Gesamtüberleben
konstatiert werden. Ein Unterschied
ließ sich hier nicht feststellen, ob Patienten mit vermeintlich aktivierenden EGFR-Mutationen in der Erstlinientherapie zunächst mit einem
EGFR-TKI oder mit einer herkömmlichen platinhaltigen Chemotherapie
behandelt werden und anschließend bei Tumorprogredienz in der
zweiten Therapielinie auf das jeweils andere Therapieprinzip eingestellt werden [7, 11].
Entscheidend für das Gesamtüberleben bei EGFR-mutierten Patienten
ist, dass diese Patientengruppe auf
jeden Fall einen EGFR-TKI während
ihres Krankheitsverlaufes erhält.
Von daher ist das Risiko zu berücksichtigen, dass initial chemotherapierte Patienten aufgrund von therapie- und tumorassoziierten oder
anderweitigen
Komplikationen
nicht mehr zu einer Second-LineTherapie kommen. Generell liegt
das mediane OS bei mutationspositiven Patienten im Stadium IV in den
bisherigen Studien deutlich über 20
Monate und damit weit höher als die
bekannten 12 Monate bei EGFRWildtyp-Patienten, was neben der
prädiktiven Bedeutung zusätzlich
für den auch positiven prognostischen Wert der EGFR-Mutationen
spricht [7, 10, 11].
Abb. 2: Partielle Remission von Primarius u. Leberfiliae (→) unter EGFR-TKI bei Deletion 19 (links prätherapeutisch, rechts Kontroll-CTs nach 3 Monaten)
Nebenwirkungen der TKI-Therapie:
Im Gegensatz zum Nebenwirkungsprofil konventioneller Chemotherapeutika wie Hämatotoxizität, Nausea, Emesis und Alopezie umfasst
das TKI-typische Bild Paronychien,
Mukositiden sowie vorrangig ein
akneiformes Exanthem der Haut,
dem bereits prophylaktisch in Form
einer konsequenten Hautpflege und
Sonnenprotektion gegengesteuert
werden sollte. Im Weiteren sind topisch steroid- und antibiotikahaltige
Externa oder systemisch AntibiotikaTherapien mit Doxy- oder Minocyclin gegen auftretende Hauterscheinungen indiziert. Als weiteres Symptom können Diarrhöen auftreten,
die ein vorausschauendes Nebenwirkungsmanagement besonders mit
Loperamid erforderlich machen. Seltener werden unter TKI-Anwendung Anstiege der Transaminasen,
Pruritus oder Appetitlosigkeit beobachtet.
Grundsätzlich besteht im Falle von
schwergradigeren Nebenwirkungen angesichts unterschiedlich verfügbarer Tablettendosierungen bei
Erlotinib und Afatinib die Option
der Dosisreduktion.
EGFR-Resistenzmutationen:
Die
überwiegende Mehrheit der EGFRmutationspositiven Patienten entwickelt im Laufe der TKI-Therapie
unvermeidlich Resistenzmechanismen, meist auf dem Boden von Sekundärmutationen wie der T790MPunktmutation, die eine gesteigerte
ATP-Affinität in der katalytischen
TK-Domäne bewirkt [12]. Auch
HER2- bzw. Met-Amplifikationen bis
hin zu kleinzelligen Transformationen wurden bei Re-Biopsien beschrieben [13]. Dies führte zu Kombinationsstudien von EGFR-TKI mit Cetuximab oder Inhibitoren des c-MetRezeptors [14, 15]. Auch der Einsatz
konventioneller Chemotherapeutika mit Fortführung der TKI-Gabe in
chemotherapiefreien
Intervallen
wird versucht, um den TKI-resistenten Klon im Tumor zu reduzieren.
ALK-Inhibition
Als weitere Zielstruktur in der Signaltransduktion von NSCLC-Tumorzel-
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Zielstruktur
Zielgerichtete
Therapieoptionen
EGFR (ErbB1)
ErbB-Gruppe
EML4/ALK
HER2/neu
(ErbB2)
Braf
PI3K
MEK
c-MET
Gefitinib, Erlotinib
Afatinib, Dacomitinib
Crizotinib, Ceritinib
Trastuzumab, Lapatinib
Vemurafenib
Idelalisib
Selumetinib
MetMAb, Tivantinib
Tab. 1: Optionen für stratifizierte Therapien (von der Europäischen Arzneimittelkommission für das metastasierte
Lungenkarzinom aktuell zugelassene
Substanzen sind fett gedruckt)
len konnte die Tyrosinkinase des
Anaplastic Lymphoma Kinase (ALK)Rezeptors identifiziert werden, dessen Struktur und Vorkommen initial
aus Zellen des anaplastisch-großzelligen Non-Hodkin-Lymphoms bekannt ist. Eine gesteigerte Rezeptoraktivität beim NSCLC geht mit einem
ALK-Rearrangement auf dem Boden
eines Fusiongens, dem EML4 (echinoderm
microtubule-associated
protein-like 4) / ALK-Onkogen bei etwa 3 – 4% der Adenokarzinom-Patienten einher [1, 16].
EML4/ALK-Translokation: Vergleichbar mit den aktivierenden EGFR-Mutationen findet sich dieses Rearrangement gehäuft bei Patienten mit
Nichtraucher-Status und Adenokarzinom-Diagnose. Diagnostisch wird
die EML4/ALK-Translokation mittels
Fluoreszenz-in-situ-Hybridisierung
über den Nachweis der DNA-Bruchstelle am ALK-Genlocus detektiert.
Therapeutisch gewinnt dieser Nachweis durch die Verfügbarkeit des
spezifischen ALK-TKIs Crizotinib an
Bedeutung. Dieser TKI erwies sich
bei 143 z.T. erheblich vorbehandelten, EML4/ALK-positiven Patienten
in einer Phase-I-Studie als sehr effektiv mit Ansprechraten von 61%, einem medianen PFS von 9,7 Monaten
und einem geschätzten 1-Jahres-OS
von 75% [17]. In den USA hat die dortige Gesundheitsbehörde die Sub-
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stanz im August 2011 für die Therapie ALK-translozierter, metastasierter NSCLC-Patienten auf Basis dieser
Daten zugelassen, die Europäische
Arzneimittelagentur folgte ein Jahr
später im Oktober 2012 nach Vorlage einer Phase-III-Studie in der zweiten Therapielinie [18]. Die Erweiterung auf die Erstlinientherapie für
ALK-positive Patienten steht an [19].
Allerdings ist auch bei diesem Wirkmechanismus bereits eine Resistenzmutation (L1196M) mit Inaktivierung des Crizotinibs beschrieben
[20]. Die Entwicklung von strukturell
unterschiedlichen ALK-Inhibitoren
mit In-vitro-Aktivität gegenüber Crizotinib-resistenten Zellen und mit
der Zulassung des TKIs Ceritinib in
den USA als Zweitgenerations-ALKTKI erweitert auch bei diesen Aberrationen die Therapieoptionen.
Diesbezüglich zeigt eine erweiterte
Phase-I-Studie mit 114 ALK-positiven
Patienten, u.a. mit Crizotinib-Vorbehandlung, für Ceritinib ResponseRaten von 58%, Krankheitskontrollraten bis 80% und ein medianes PFS
von 7,0 Monaten [21].
Weitere onkogene
Aberrationen beim NSCLC
Auf der Jahrestagung der American
Society for Clinical Oncology 2013
haben die French Platforms Networks ihre bisherigen Resultate zur
Häufigkeit von genetischen Aberrationen beim pulmonalen Adenokarzinom vorgestellt (Abb. 1, S. 42) [1].
Auffällig war, dass bei einem großen
Teil (46%) der untersuchten Tumorproben aus einem Panel von 6 GenAberrationen spezifische solitäre
Mutationen oder Rearrangements
detektiert werden konnten. Diese
umfassten neben den bisher bekannten (Kras, EGFR, EML4/ALK)
auch seltene Mutationen mit Inzidenzen um 1 - 2%. Von therapeutischer Relevanz ist vor allem, dass für
eine Reihe dieser Mutationen bereits zielgerichtete Therapeutika aus
anderen Tumorentitäten bekannt
sind bzw. derzeit neu entwickelt
werden (Tab. 1). Auch beim Plattenepithel- und kleinzelligen Karzinom
der Lunge sind zwischenzeitlich genetische Aberrationen identifiziert
worden, die mehrheitlich therapeutisch potenziell beeinflussbare Targets aufweisen könnten [22, 23].
Fazit: Der Nachweis molekularer Biomarker gewinnt für die Systemtherapie des Lungenkarzinoms zunehmend an Bedeutung. Zwar kann mit
der Detektion einer EGFR-Mutation
oder EML4/ALK-Translokation bisher nur eine Minderheit von Patienten von stratifizierten Therapien
profitieren, die Daten aus multizentrischen Genomprojekten bereichern
aber die Suche nach weiteren Biomarkern, um den behandelnden Klinikern therapeutische Targets für ihre Patienten aufzuzeigen. Der Befund des (Molekular-)Pathologen ist
nicht nur für die Diagnosesicherung,
sondern in zunehmendem Maße
auch für die Therapieauswahl entscheidend. Auch unterstützt die Dynamik der Medikamentenentwicklung und -neuzulassungen die Beratung und Behandlung betroffener
Patienten in zertifizierten Lungenkrebszentren.
Korrespondenzadresse:
PD. Dr. med. Martin B. Steins
Prof. Dr. med. Michael Thomas
Thoraxklinik am Universitätsklinikum
Heidelberg,
Internistische Onkologie der Thoraxtumoren
Amalienstraße 5, 69126 Heidelberg
[email protected]
[email protected]
Literatur: www.onkologie-heute.info
PD Dr. med.
Martin B. Steins
Thoraxklinik
am Universitätsklinikum
Heidelberg
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