Osimertinib

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Pharmazeutische Chemie – Osimertinib
Osimertinib (Tagrisso®)
Die bedeutende Rolle des epidermalen Wachstumsfaktor-Rezeptors (epidermal
growth factor receptor = EGFR) beim nichtkleinzelligen Lungenkarzinom (non-smallcell lung cancer = NSCLC) ist weithin bekannt. Onkogene Mutationen am EGFRezeptor führen zu einer Erhöhung der Aktivität des Rezeptors, indem durch diese
Mutationen eine intrazelluläre Tyrosinkinase-Aktivität ohne Bindung des Liganden
erzeugt und somit eine konstitutive Aktivität des EGF-Rezeptors ermöglicht wird.
Tumoren mit solchen aktivierenden Mutationen am EGF-Rezeptor (wie vielfach beim
NSCLC) sind in ihrem Wachstum abhängig von einer funktionierenden EGFRSignalkaskade, eine Hemmung des EGFR durch Tyrosinkinase-Inhibitoren (TKIs)
führt zu einer Unterbrechung des Signalweges und zu einer Wachstumshemmung
des Tumors (Nguyen et al. 2014, Stinchcombe 2014).
Abbildung 1
Die EGFR-Inhibitoren der ersten Generation Erlotinib (Tarceva®) und Gefitinib
(Iressa®) sowie der Zweitgenerationen-EGFR-Inhibitor Afatinib (Giotrif®) entfalten
ihre Wirkung insbesondere dann, wenn aktivierende Mutationen (EGFRm+) in der
Tyrosinkinase- und ATP-bindenden Domäne (Exone 18-24) des EGF-Rezeptors
vorliegen (s. Tabelle 1) (s. auch Neue Arzneistoffe 2013: Afatinib). Über 90% der der
EGFR-Gen-Mutationen betreffen die Exone 18-21, also einen vergleichsweise
kleinen Abschnitt des EGFR-Gens. Die beiden häufigsten aktivierenden Mutationen
finden sich in den Exonen 19 und 21: im Exon 19 liegt eine Deletion ohne
Rasterverschiebung vor (ex19del), im Exon 21 führt eine Punktmutation zur
Substitution des Leucins durch Arginin (L858R). Patienten mit diesen Mutationen
zeigen ein gutes Ansprechen auf eine Therapie mit den oben genannten
Tyrosinkinase-Inhibitoren (Paez et al. 2004, Nguyen et al. 2014, Maione et al. 2015).
Dementsprechend sind diese TKIs auch als Erstlinientherapie beim lokal
fortgeschrittenen oder metastasierten NSCLC zugelassen sofern aktivierende,
onkogene Mutationen vom Typ exdel19 sowie L858R vorliegen. Der Nachweis einer
solchen aktivierenden Mutation im EGFR-Gen des Tumorgewebes stellt somit einen
wichtigen positiven, prädiktiven Faktor für das Ansprechen einer Therapie mit einem
EGFR-Inhibitor (Ji et al. 2006, Sequist et al. 2007, Fachinformation Iressa® 2014,
Fachinformation Giotrif® 2015, Fachinformation Tarceva® 2016). Schätzungen
zeigen, dass die beiden aktivierenden Mutationen exdel19 und L858R bei 50% der
asiatischen und 15% der westlichen NSCLC-Patienten vorliegen (Rosell et al. 2009,
Nguyen et al. 2014).
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Typischerweise entwickelt sich bei Patienten mit aktivierenden Mutationen, die
anfangs gut auf eine Therapie mit den Erstgenerationen-Inhibitoren Erlotinib und
Gefitinib ansprechen, nach 9 bis 14 Monaten eine sekundäre Resistenz.
Ausschlaggebend für diese sekundäre Resistenz ist in den meisten Fällen die
sogenannte T790M-Mutation, eine Mutation in Exon 20, die zu einer Substitution
eines Threonins durch ein Methionin führt. Die T790M-Mutation wird auch als
„Gatekeeper“-Mutation bezeichnet, weil die betreffende Aminosäure in der ATPBindungstasche lokalisiert ist. Es wird angenommen, dass durch die voluminöse,
räumlich anspruchsvolle Methionin-Seitenkette im Vergleich zum Threonin beim
T790M-EGFR die Bindung der Erstgenerationen-TKIs Erlotinib und Gefitinib sterisch
verhindert wird (Pao et al. 2005, Sequist et al. 2011, Cross et al. 2014).
EGFR-Inhibitor
Markteinführung
Deutschland
Indikation(en)
Erlotinib
(Tarceva®)
2005
NSCLC mit
EGFRm+
Inhibierte
EGFRs
Dosis/ Art der
Anwendung
EGFRm+
1x täglich 1
Filmtablette
(150mg),
mindstens 1 Stunde
vor oder 2 Stunden
nach einer Mahlzeit
einzunehmen
Pankreaskarzinom
(+Gemcitabin)
Gefitinib
(Iressa®)
2009
NSCLC mit
EGFRm+
EGFRm+
1x täglich 1
Filmtablette
(250mg),
unabhängig von den
Mahlzeiten
Afatinib
(Giotrif®)
2013
NSCLC mit
EGFRm+
EGFRm+
(T790M-EGFR)
HER2
ErbB4
1x täglich 2
Filmtabletten zu
20mg enstprechend
40mg,
mindestens 3
Stunden vor oder
eine Stunde nach
Einnahme keine
Nahrung
Osimertinib
(Tagrisso®)
2016
NSCLC mit
T790M-EGFR
EGFRm+,
T790M-EGFR
1x täglich 1
Filmtablette (80mg),
unabhängig von den
Mahlzeiten
Tabelle 1:
in Deutschland zugelassene EGFR-TK-Inhibitoren zur Behandlung des NSCLC
(EGFRm+ = aktivierende Mutationen wie ex19del oder L858R)
Therapeutische Optionen für Patienten mit dieser sekundären, erworbenen
Resistenz gegen Erlotinib und Gefitinib sind stark limitiert. Der ZweitgenerationenTKI Afatinib ist ebenso wie die Erstgenerationen-Inhibitoren wirksam beim
unbehandelten NSCLC mit aktivierenden Mutationen. Zudem wurde bei diesem TKI
eine Wirksamkeit bei der T790M-Mutation nachgewiesen. Allerdings scheint es so zu
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sein, dass Afatinib keine durch eine Erlotinib. bzw. Gefitinib-Therapie erworbene und
auf die T790M-Mutation zurückzuführende Resistenz durchbrechen kann, da die
benötigten Konzentrationen an Afatinib dafür viel zu hoch sind und bei den Patienten
aufgrund dosislimitierender Toxizitäten nicht gegeben werden können( s. auch Neue
Arzneistoffe 2013: Afatinib) (Miller et al. 2012, Katakami et al. 2013). Nur ein
Therapieregime, bei dem Afatinib in Kombination mit dem Anti-EGFR-Antikörper
Cetuximab gegeben wurde, zeigte eine Response-Rate von 32% beim NSCLC mit
EGFRm+ und einer erworbenen Erlotinib-Resistenz (Janjigian et al. 2011, Cross et
al. 2014). Dementsprechend sind die bisher verfügbaren EGFR-Inhibitoren Erlotinib,
Gefitinib und Afatinib beim NSCLC nur zugelassen, sofern es sich um einen TKInaiven Tumor mit aktivierenden Mutationen handelt (s. Tabelle 1).
Was dringend benötigt wird, ist ein peroral bioverfügbarer TKI, der effektiv sowohl
EGFRm+ als auch T790M-EGFR inhibiert. Diese Option steht nun anscheinend mit
dem TKI Osimertinib (Tagrisso®), einem EGFR-Inhibitor der sogenannten dritten
Generation, zur Verfügung (Strukturformel s. Abbildung 1). Osimertinib ist
zugelassen zur Therapie erwachsener Patienten mit lokal fortgeschrittenem oder
metastasiertem NSCLC und einer nachgewiesenen T79M-Mutation des EGFR. Die
Tagrisso®-Filmtabletten werden einmal täglich im Ganzen mit Wasser unabhängig
von den Mahlzeiten und immer zum selben Zeitpunkt eingenommen, ohne dass die
Tabletten zerdrückt, geteilt oder zerkaut werden. Gleichzeitige Nahrungsaufnahme
beeinflusst die Bioverfügbarkeit des Osimertinibs nicht in klinisch relevantem
Ausmaß. Bei Starken Schluckbeschwerden des Patienten kann die Tablette auch in
stillem Wasser (50ml) unter Rühren dispergiert werden. Die Dosis beträgt in der
Regel 80mg (1 Filmtablette), bei bestimmten Nebenwirkungen/ Toxizitäten kann
unter Umständen auf eine Filmtablette mit 40mg einmal täglich reduziert werden. Die
Therapie wird fortgesetzt bis zur Krankheitsprogression bzw. bis zum Auftreten einer
inakzeptablen Toxizität. (Fachinformation Tagrisso® 2016).
Erlotinib, Gefitinib und Afatinib gehören zu den TKIs mit 4-AnilinochinazolinPartialstruktur. Die beiden Erstgenerationen-Inhibitoren Erlotinib und Gefitinib binden
reversibel in der ATP-Tasche der Kinase-Domäne und verdrängen ATP kompetitiv
aus seiner Bindung. Die Bindungsstelle des Afatinibs liegt auch in der ATP-Tasche,
allerdings bildet Afatinib über seine elektrophile α,β-ungesättigte Carbonyl-Gruppe in
einer Michael-Addition mit der SH-Gruppe des Cysteins797 in der ATP-Tasche eine
kovalente Bindung. Der gebildete Thioether ist sehr stabil, die Bindung zwischen
Afatinib und EGFR ist irreversibel (s. Neue Arzneistoffe 2013: Afatinib).
Abbildung 2: Vergelich der chemischen Strukturen der beiden irreversiblen EGFR-Inhibitoren
Osimertinib und Afatinib mit elektrophiler Acrylamid-Partialstruktur (lila)
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Im Gegensatz zu den drei vorherigen EGFR-Inhibitoren besitzt der neue Inhibitor
Osimertinib keine 4-Anilinochinazolin-Partialstruktur. Stattdessen liegt als zentraler
Baustein eine Phenylaminopyrimidin-Struktur vor (s. Abbildung 2) (Finlay et al. 2014).
Abbildung 3:
Bildung der kovalenten, irreversiblen Bindung zwischenm dem Cystein797 im
aktiven Zentrum von EGFRm+ und T790M-EGFR über eine Michael-Addition
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Der Pyrimidin-Ring trägt zusätzlich an Position 4 als Substituenten einen Indol-Ring,
dessen Stickstoff methyliert ist. Der Phenyl-Ring besitzt eine Methoxy-Gruppe sowie
zwei
weitere
Substituenten.
Zum
einen
einen
basischen
N,N,N‘Trimethylethylendiamin-Rest, zum anderen ein 2-Propenamid (Acrylamid), das eine
elektrophile α,β-ungesättigte Carbonyl-Gruppe enthält, die in Analogie zum Afatinib
als Michael-Akzeptor für die kovalente Bindung zum Cystein797 des EGFR
verantwortlich ist. Die nukleophile Thiol-Gruppe des Cysteins797 fungiert als
Michael-Donor (s. Abbildung 3). Erstaunlich ist, dass die Elektrophilie der
Doppelbindung ausreicht, da die Carbonyl-Gruppe als Amid vorliegt und somit die
Elektronendichte
eher
erhöht
wird.
Wahrscheinlich
aber
reicht
der
elektronenziehende Effekt des angrenzenden Phenyl-Ringes aus, um den +M-Effekt
der Amino-Gruppe auszugleichen. Das Ergebnis der irreversiblen Michael-Addition
des Osimertinibs mit seiner elektrophilen α,β-ungesättigten Carbonyl-Gruppe an die
nukleophile SH-Gruppe des Cysteins797 ist ein kovalenter Thioether analog zum
Afatinib. Eine Kristallstruktur des Osimertinibs im aktiven Zentrum des T790M-EGFR
liegt bislang nicht vor, dafür wurde der Bindungsmodus aber über Molcular Modeling
ausgehend von einer Kristallstruktur des T790M-EGFR berechnet (Cross et al. 2014,
Finlay et al. 2014). In diesem Strukturmodell ist die kovalente Thioether-Bindung
zwischen Cystein797 und der Acrylamid-Struktur des Osimertinibs deutlich zu
erkennen. Der Pyrimidin-Ring bildet zwei Wasserstoffbrücken mit der Hinge-Region
(Methionin793) aus. Der Indol-Ring scheint für die Aktivität gegenüber T790M-EGFR
mitverantwortlich zu sein. In der Modeling-Struktur liegt er direkt angrenzend zum
Gatekeeper-Rest Methionin790. Natürlich hemmt Osimertinib zusätzlich zu T790MEGFR auch die aktivierenden, onkogenen Mutationen wie z.B. L858R (Cross et al.
2014, Finlay et al. 2014).
Literatur:
Cross, A:A:E: Cancer Discov 2014, 4, 1046
Fachinformation Giotrif® 2015, Boehringer Ingelheim International GmbH
Fachinformation Iressa® 2014, AstraZeneca AB
Fachinformation Tagrisso® 2016, Astra Zeneca AB
Fachinformation Tarceva® 2016, Roche Registration Limited
Finley, M.R. et al. J Med Chem 2014, 57, 8249
Janjigian, Y.Y. et al. J Clin Oncol 2011, 29(suppl), abstr 7525
Ji, H. et al. Cancer Cell 2006, 9, 485
Katakami, N. et al. J Clin Oncol 2013, 31, 3335
Nguyen, K.S. et al. World J Clin Oncol 2014, 5, 576
Maione, P. et al. Ther Adv Med Oncol 2015, 715, 263
Miller, V.A. et al. Lancet Oncol 2012, 13, 528
Pao, W. et al. PLoS Med 2005, 2, e73
Rosell, R. et al. N Engl J Med 2009, 361, 958
Paez, J.G. et al. Science 2004, 304, 1497
Sequist, L.V. et al. J Clin Oncol 2007, 25, 587
Sequist, L. et al. Sci Transl Med 2011, 3, 75ra26
Stinchcombe, T.E. F1000Prime Reports 2014, 6, 117
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