REVUE MÉDICALE SUISSE Weshalb wir die molekulare Medizin in der Onkologie brauchen Dr. med. SILVIA HOFER a Rev Med Suisse 2016 ; 12 : 210-1 Einleitung Abb. 1 In der Schweiz sterben jährlich ca. 15 000 Menschen an Krebs, Krebs ist somit die Hauptursache der Sterbefälle zwischen dem 25. und 64. Lebensjahr.1 In den westlichen Ländern steigt das Überleben für die meisten Krebserkrankungen in den letzten Jahren jedoch an, was Hoffnung zulässt. Überleben von Patienten mit onkogenen Driver-Mutationen eines fortgeschrittenen Lungenkarzinoms, welche eine gezielte Therapie erhalten haben (orange) und solche ohne eine gezielte Therapie (dunkelblau) sowie Patienten mit Tumoren ohne nachweisbare Driver-Mutationen.3 1,0 Krebs entsteht, wenn sich das Erbgut verändert und nicht wieder repariert wird. Ein auf den ersten Blick gleiches Krankheitsbild wie ein Brust- oder Lungenkrebs kann auf molekularer Ebene unterschiedliche Ursachen haben. Beispiel Lungenkarzinom Am Lungenkarzinom soll die Entwicklung beispielhaft dargestellt werden. Die Raucheranamnese, das Tumorstaging und die konventionelle Histologie stehen immer am Anfang der Abklärungen und therapeutischen Überlegungen beim Bronchuskarzinom. In 85–90 % liegt ein nicht-kleinzellige Lungenkarzinom (non-small cell lung cancer, NSCLC) vor. Die Inzidenz der kleinzelligen Lungenkarzinome (small cell lung cancer, SCLC) nahm in den letzten Jahren stetig ab, der Anteil liegt heute bei 15 %. Die Gruppe der NSCLC wird histologisch weiter unterteilt in Adenokarzinome (60 %), Plattenepithelkarzinome (30 %), grosszellige Karzinome (10 %) und die seltenen sarkomatoiden und adenosquamösen Karzinome. Beim fortgeschrit­ tenen NSCLC werden, basierend auf molekularen Veränderungen, weitere therapierelevante Subgruppen differenziert. Bei etwa 30 % aller Adenokarzinome (bis 80 % bei Nichtrauchern) finden sich Veränderungen des Genoms (Mutationen, Translokationen), die für die Tumorentstehung relevant sind a Luzerner Kantonsspital, 6000 Luzern 16 [email protected] Targeted therapy No targeted 0,6 therapy 0,4 No driver 0,2 0 Log-rank P < .001 0 1 2345 Years und ein Ansprechen auf verfügbare molekulare zielgerichtete Therapien voraussagen lassen. Solche genetische Alterationen werden auch Driver-Mutationen genannt. Überlebenskurven für Patienten mit fortgeschrittenem Lungenkarzinom mit und ohne Driver-Mutationen sowie mit und ohne gezielte Therapie sind in Abbildung 1. Dargestellt.3 Bei fortgeschrittenen und / oder metastasierten Adenokarzinomen der Lunge wird beim Vorliegen einer « aktivierenden » EGFR-Mutation in der ersten Therapielinie ein EGFR-Tyrosinkinasehemmer (TKI) eingesetzt. Zur Verfügung stehen die TKIs Gefitinib (Iressa), Erlotinib (Tarceva) und Afatinib (Giotrif ). Bei ALK (anaplastic lymphoma kinase) – rearrangierten NSCLC sind Crizotinib (Xalkori) und Ceritinib (Zykadia) therapeutisch wirksam und in der Schweiz zugelassen. Tabelle 1 Zielstrukturen am nicht kleinzelligen Bronchuskarzinom und entsprechende zielgerichtete Therapien Zielstruktur (Driver) Zielgerichtete Therapie EGFR Mutationen • ALK Rearrangement • HER2 Mutationen • BRAF Mutationen • MET Amplifikation • ROS 1 Rearrangement • RET Rearrangement • KRAS Mutation Gefitinib, Erlotinib, Afatinib Crizotinib, Ceritinib • Trastuzumab, Afatinib • Vemurafenib, Dabrafenib •Crizotinib •Crizotinib • Cabozantinib, Vandetanib – • • • (Quelle : nach NCCN Guidelines 3.2014). 210 50_51_38929.indd 210 0,8 Survival Probability Mithilfe diagnostischer Tests am Tumorgewebe und in Zukunft auch im Blut (« liquid biopsy »), lassen sich heute einzelne ­Patientengruppen mit identischen molekularbiologischen oder genetischen Merkmalen identifizieren. Solche « prätherapeutische » Tests erlauben die Tumortherapie in vielen Fällen ­gezielt zu planen und effizient durchzuführen (mit hohen Ansprechraten). Erworbene Resistenzen limitieren allerdings oft den klinischen Nutzen, so dass durch Analysen am Rezidivtumor nach weiteren therapierbaren Alterationen gesucht wird. Bei den häufigsten Tumoren wie dem Mammakarzinom, dem fortgeschrittenen Lungen-, Darm-, Nierenzell – und Hautkrebs verfügen wir über etablierte « personalisierte » Therapien, die für Patienten einen Zugewinn an Lebensqualität und Lebenszeit ermöglichen.2 Patienten Überleben WWW.REVMED.CH 27 janvier 2016 21.01.16 09:55 QUADRIMED Die Rezidivtherapie beim NSCLC erfolgt wiederum Biomarker stratifiziert. Re-Biopsien lohnen sich, um erworbene Resistenzen gegen Gefitinib und Erlotinib zu erfassen (EGFR T790M findet sich bei > 50 % der untersuchten Fälle) für welche wiederum zielgerichtete Medikamente zur Verfügung stehen (Bsp. AZD9291 und CO-1686 respektive Rociletinib). Für die in Tabelle 1 beschriebenen Driver-Mutationen beim NSCLC gibt es heute zielgerichtete Medikamente, es wird ­erwartet, dass die Liste in den kommenden Jahren deutlich länger wird. 1 Bundesamt für Statistik. Todesursachenstatistik, Dezember 2014 2Garraway L. Genomics-driven oncology : Framework for an emerging Paradigm. J Clin Oncol 2013;31:1806-14. Molekulare Marker erlauben tumorspezifische Therapien bei einigen häufigen soliden Karzinomen Gezielte Therapien haben in der Regel schneller eintretende und höhere Ansprechraten als konventionelle Chemotherapeutika Die prätherapeutische Testung erlaubt eine bessere Nutzung der Ressourcen Erneute Testung bei Resistenzentwicklung (Rezidiven) lohnt sich im Hinblick auf eine Therapieanpassung 3Kris MG, Johnson BE, Berry LD, et al. Using multiplexed assays of oncogenic drivers in lung cancers to select targeted drugs. JAMA 2014;311:19982006. www.revmed.ch 27 janvier 2016 50_51_38929.indd 211 Wichtige Punkte für die Praxis 211 21.01.16 09:55