Felix Mendelssohn-Bartholdy – Oratorium ELIAS

Werbung
Felix Mendelssohn-Bartholdy – Oratorium ELIAS
Einführung
Mendelssohn war ein Wunderkind, eine musikalische Frühbegabung. Robert Schumann be-zeichnete
ihn als „Mozart des 19. Jahrhunderts” und Nietzsche spricht von ihm als „der schöne Zwischenfall der
deutschen Musik”. Bis weit in das 20. Jahrhundert bestimmten jedoch Richard Wagners kolportierte
Diffamierungen die öffentliche Wahrnehmung. Liest man Wagners über weite Strecken indiskutablen
Aufsatz „Das Judentum in der Musik” (1850) genau, so ist die Kritik an Mendelssohn durchaus
differenziert und man hört bei aller Kritik auch Bewunderung heraus. Wagner liebte Mendelssohns
„Sommernachtstraum”, wenn er auch seine Oratorien als „geschlechtslose Opernembryonen” und
„naturwidrige Ausgeburten” bezeichnete.
Die Mendelssohn-Rezeption ist somit mit vielen Vorurteilen belastet. Zum einen ist es Richard
Wagners Urteil, zum anderen seine großbürgerliche Herkunft. Noch bis in die jüngste Zeit kann man
lesen, er sei „wohl zu tief im Großbürgerlichen verhaftet” gewesen, um wirklich Großes zu leisten, er
habe „den Ton der bürgerlichen Gesellschaft getroffen” (Kurt Honolka), er habe sich „von den
Erwartungen seiner Auftraggeber fesseln lassen”, ihm fehle „jenes Moment an aktiver Besessenheit”,
stattdessen zeichne ihn ein „Untadelig-Sein-Wollen” (Martin Geck) aus. Zudem habe ihm seine
Assimilation als deutscher Jude Schwierigkeiten bereitet. All dies zeichne Mendelssohn und dessen
Musik als irgendwo genial, aber angepasst aus. Der Vorwurf bezieht sich auf die Melodik, auf das
„widerspruchsfrei Schöne”, aufgrund dessen das „provokant Charakteristische” verloren gehe.
Martin Geck zieht Parallelen zur Ästhetik der „Einfachheit, Heiligkeit und Reinheit”, die die Nazarener
in der Malerei auszeichne. Mendelssohn gehe es darum, „Stimmungen” für „Herz und Gemüt” zu
erzielen. Damit ist Mendelssohn als Vertreter eines behaglichen Biedermeiertums wiederum auf
polemische Art erledigt!
Nur wenig ist in solchen Vorwürfen von der Musik selbst die Rede. Meine persönliche Hör-Erfahrung
geht in eine andere Richtung. Sicherlich ist Mendelssohns Musik zuweilen bis zum Überdruss schön,
doch langweilig ist sie nie. Ich denke an seine Streichersinfonien, die er 12-jährig schrieb, an seine
Schauspielmusik zu Shakespeares „Sommernachtstraum”, an seine Konzerte bis hin zum f-mollStreichquartett. Da ist viel Raffinesse und Aktion, immer gestaltet Mendelssohn Musik als ein
dramatisches Geschehen.
Es ist gerade sein Talent zur dramatischen Vergegenwärtigung, die seine Werke spritzig und
spannend machen. Das zeichnet auch den „Elias” aus. Es ist überraschend zu beobachten, wie sich
Mendelssohn in das Drama „Elias” hinein stürzt. Jedes Schauspiel hätte seine liebe Not mit einem
solchen Plot: eine Auferweckung, ein zweifaches Gottesurteil (Feuer-, dann ein Regen-Wunder),
damit nicht genug, es folgt eine Gottesbegegnung und zuletzt noch eine Himmelfahrt! Jeder
Theaterautor von Aischylos bis Bertolt Brecht wäre auf eine Menge Boten-Berichte oder auf
Ausblendungen angewiesen. Doch Mendelssohn geht keiner Situation aus dem Weg, alles unterwirft
er einer dramatischen Darstellung mit den Mitteln seiner Musik. Wie immer steckt in Wagners
Polemik ein Körnchen Wahrheit: Der „Opernembryo” ist recht weit entwickelt!
Der Aufschwung der Gattung Oratorium im 19. Jahrhundert hängt mit Mendelssohns
Wiederaufführung der Bachschen Matthäuspassion in der Berliner Singakademie im Jahr 1829
zusammen. Vor dieser Folie schreibt er 1836 sein Oratorium „Paulus”, das ein überwältigender Erfolg
wird. Es gibt auch Kritiker, die es als „bewußtlose Spielerei in Bach’s Fußstapfen” sehen. Im
Unterschied zur Bach-Zeit werden nun die Oratorien in den bürgerlichen Konzertsälen aufgeführt,
nicht mehr in der Kirche. Aus dem Boden schießen Oratorien- und Singvereine, die bedient werden
wollen. Mit 24 Jahren wird Mendelssohn städtischer Musikdirektor in Düsseldorf, ab 1835 ist er in
Leipzig als Kapellmeister ver-antwortlich für die Gewandhauskonzerte. Sein „Paulus” wird beim
Niederrheinischen Musikfest in Düsseldorf 1836 uraufgeführt, sein „Elias” zehn Jahre später in
Birmingham.
Der „Elias” gliedert sich in zwei Teile. Der Beginn ist ungewöhnlich. Das Drama springt sofort in die
Handlung mit der Prophezeiung des Elias, einem Fluch in charakteristischen, leitmotivartigen
Intervallstürzen. Erst jetzt beginnt die Ouvertüre, mit nervösen, drängenden Streicherfiguren, die mit
mahnenden Bläsersignalen kontrastieren. Die Ouvertüre geht unmittelbar in den Hilfe-Ruf des
Chores über. Ungewöhnlich ist auch das chorische Rezitativ, das sich anschließt. Der Not des Volkes
gegenüber tritt Obadjah, der Hofmeister des Königs Ahab, mit seiner melodieseligen Tenor-Arie: „So
ihr mich von ganzem Herzen suchet, so will ich mich finden lassen”. Der folgende Chorsatz schließt
die Szene ab, in dem Rache und Barmherzigkeit Gottes beschworen werden. Vorbereitet wird jetzt
die Auferweckung des Sohnes der Witwe, Elias Hauswirtin. Hier zeigt sich wieder die dramatische
Gestaltungskraft von Mendelssohn: Die mit Vorwürfen erfüllte Klage der Witwe wird eindringlich
musikalisch umgesetzt. Im Buch 1. Könige, Kap. 17, erwirkt Elias die Erweckung ohne unmittelbare
Zeugen. Hier ist die Witwe als Dialogpartner und Kommentatorin immer anwesend. Mit allen
Künsten der Instrumentation wird die Auferweckung musikalisch vollzogen. Wieder schließt ein
Chorsatz die Szene ab. Ein erneuter Prophetenspruch eröffnet das Finale des ersten Teils. Ein
Streitgespräch führt als ein dramatisches Rezitativ mit Chor zum Gottesurteil hin. Die Baalspriester
werden musikalisch der Lächerlichkeit preisgegeben: Ein plattes, rhythmisch pathetisches Rufen löst
sich in unsichere Nervosität auf. Elias verspottet die Baalspriester und setzt dem Baalskult eine
souveräne, von Zuversicht getragene Arie gegenüber. Interessant, dass musikethnologische
Charakteristika hier Verwendung finden. Das Rufen der Baalspriester hat vorrangig rhythmische
Qualität, spiegelt also eher vorzeitliche Riten. Wogegen der Gott Abrahams einem Gottesbild der
Aufklärung entspricht: sublime, rationalisierte Melodiebögen, die im ätherischen Solistenquartett
ihren Höhepunkt erreichen. Glaube und Gottvertrauen gehen hier immer dem Wunder voraus, so bei
der Witwe, so beim Feuerzeichen. Es folgt noch Elias‘ Arie, die die Gewalt Gottes plastisch schildert.
Als Korrektiv stellt das Alt-Arioso den barmherzigen Gott vor. Das Regen-Wunder hat zur
Dramatisierung wieder einen unmittelbaren Zeugen, den Knaben, der Ausschau hält. Im Laufe seiner
Rede fängt es hörbar an zu regnen!
Der zweite Teil beginnt mit einer mahnenden, klagenden Sopran-Arie. Wer Gott vertraut, braucht
sich nicht zu fürchten, dieser Chorsatz bereitet die nächste Szene vor: Elias kritisiert König Ahab, fällt
in Ungnade, Königin und Volk fordern seinen Tod, der Volkshass kulminiert in einem dissonanten,
stark rhythmisierten Chorsatz. Elias flieht in die Wüste. Ergreifend expressiv gestaltet Mendelssohn
Elias‘ Resignation (Arie „Es ist genug!”) und seinen Unwillen (Rezitativ „O Herr”). Großartig, wie sich
Mendelssohn in Arie und Rezitativ mit seiner Melodik an Wortakzent und Sprachduktus anpasst.
Dann ist es der Chor, der die Gottesbe¬gegnung kommentiert („Der Herr ging vorüber”): Sturmwind,
Erdbeben und Feuer werden musikalisch wie vorüberziehende Sequenzen gemalt, dann künden
„säuselnde” Streicherfiguren von der Gegenwart Gottes. Elias kehrt zurück. Der Chor kommentiert
sein weiteres prophetisches Wirken und schildert seine Himmelfahrt in aufsteigender Melodie und
mit Pauken und Trompeten. Die anschließende Schluss-Vision weist auf den kommenden Messias,
auf Jesus als den neuen Elias, hin. Mit großer pathetischer Geste schließt das Oratorium.
(Klaus Stemmler)
Herunterladen