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Die psychologisch geschickte
Anästhesieeinleitung beim Kind
Dr. med. U. Hanke, 2.6.2016; STZ
"Die Berücksichtigung der
psychologischen Bedürfnisse eines
Kindes sollte als wesentlicher
Bestandteil der Kinderanästhesie
betrachtet werden."
-
Didier Cohen-Salmon -
Hôpital d'enfants Armand-Trousseau; Paris
Was ist denn das Problem?
>50% aller Kinder leiden
perioperativ signifikant unter
Angst
während der
Narkoseeinleitung ist die
Angst am grössten ->
gehäufte malcompliance
"Risikogruppen" sind
häufiger betroffen
Daniela Hearst: The runaway child managing anticipatory fear, resistance and distress in
children undergoing surgery; Review article, Paediatric Anaesthesia 2009; 19:1014-1016
Kain ZN. Premedication and parental presence revisited, Current Opinion in Anesthesiology 2001; 14:
331-337
aus dem unkooperativen Kind, wird
oft das aggressive Kind……
Inzidenz (geschätzt)
Vorschulalter: kurzes Festhalten
nach Aufsetzen der Maske/für Legen
des i.v. Zuganges > 50%
Anwendung von Zwang im Schulalter
1-2%
Zutter A., Frei F.J. Unkooperatives Kind bei der Anästhesieeinleitung; Anästhesist 2011; 60: 743-750
Kann das Folgen haben ?
Langzeitverhaltensstörungen
wie:
- Schlafstörungen/Albträume
- Trennungsängste
- Aggressionen/Wutanfälle
- Bettnässen
- Essstörungen
.... können bis zu 1J postop
persistieren…
emergence delir gehäuft
Extremfall: posttraumatisches
Stresssyndrom
Kain Z. et al. Preoperative Psychological
Preparation of the Child for Surgery: an update Anaesthesiology Clin. N. America 23 (2005) 597-614
Daniela Hearst: the runaway child managing anticipatory fear, resistance and distress in
children undergoing surgery;review article, Paediatric Anaesthesia 2009; 19:1014-1016
Warum kämpft das Kind?
es ist überfordert,
gestresst und es hat
Angst…
es spürt den Stress/
die Angst der
Eltern…
es hat keine
Fluchtmöglichkeit…
nicht nur das Kind hat Angst und ist
gestresst….
Gründe für perioperative Angst
Brüche in Zeit und Ort
Trennung von den Eltern
Kontrollverlust
Bruch in der physischen
Integrität
Schamgefühle
=>
je nach Alter/Entwicklungsstufe
steht ein anderer Punkt im
Vordergund
Kain Z. et al. Preoperative Psychological
Preparation of the Child for Surgery: an update Anaesthesiology Clin. N. America 23 (2005) 597-614
N. Zech et al. Kommunikation mit Kindern; Anästhesist 2015; 64:197-207
Warum kämpfen die Eltern ?
sie sind überfordert,
gestresst und haben Angst….
..das kranke Kind zu
verlieren
vor dem Kontrollverlust
Ueberfürsorge
unbewusste „Sabotage“ in
Folge bestehender
Familiendynamik
Warum kämpft der/die Anästhesist/In ?
er/sie muss sich gegen kindlichen (und
elterlichen) Widerstand durchsetzen…
Anwendung von Zwang wird als
unangenehm und demotivierend
empfunden…
er/sie muss zeitgerecht einleiten
er/sie muss sich um z.T. komplexe
medizinische Belange kümmern
er/sie fühlt sich ungeliebt und ist
überfordert…..
er/sie lässt sich dadurch ev. auf ein ihm
ungewohntes Einleiteverfahren ein….
Thomas J. Brute force or gentle persuation? Paediatric Anaesthesia 2005; 15: 355-357
Lewis I et al. Children who refuse anesthesia or sedation: a survey of anesthesiologists, Pediatric Anesthesia 2007; 17:1134-1142
Machotta A. Das unkooperative Kind in der Anästhesieeinleitung: Ursachen, Risikofaktoren und Möglichkeiten der Stressvermeidung; Anästhesie
Intensivem Notfallmed Schmerzmed 2010; 45: 378-382
Begegnung 2er völlig verschiedener innerer Welten…
SOPs:
- modifizierte RSI
- (un)expected difficult
airway
- Laryngospasmus
- Erkältung/Asthma…
- Ops-Programm
etc….
IST-Zustand
Ziel-Zustand
Was sagt der weise Indianer?
„großer Geist,
bewahre mich davor,
über einen
Menschen zu
urteilen, ehe ich
nicht eine Meile in
seinen Mokassins
gegangen bin…“
Was sagt der weise Indianer?
ankommen, Gegenüber wahrnehmen,
sich dessen Perspektive vorstellen,
miteinander sein
erst dann kann eine Botschaft
überbracht werden
—> erst SEIN, dann TUN
PACE and LEAD
- „The only real valuable thing is intuition“Albert Einstein
goldene Regeln für den Anästhesisten
try to relax and cool down!
versuche, die Situation mehr als Herausforderung und weniger als Belastung
anzusehen
den Patienten und die Eltern immer ernst nehmen/Empathie für Eltern und Kind
versuche, die Ursache des Problems zu erfassen und psychologisch geschickt dagegen
vorzugehen
versuche, „Risikokinder“ zu identifizieren und speziell zu behandeln
lass dich nicht in etwas hineindrängen, das du nicht beherrschst!
Risikokinder identifizieren und ihnen
besonders Rechnung tragen
kleine Kinder (1-3J), Cave! Altersregression!
scheue, gehemmte Kinder
negative Vorerfahrungen (Spital, Operation,
Impfung)
Kinder mit ADHS
Kinder mit Sprachbarrieren
geistig retardierte Kinder
grosse Angst der Eltern
Tan L. et al Cont. Education in Anaesthesia, Critical Care and Pain Vol 10, No 2 2010
mögliches Vorgehen bei Risikopatienten
bzw. Prävention
sich mehr Zeit nehmen bei der Prämedikation; auf
Ängste eingehen und Ablauf gemeinsam festlegen,
damit Einleitung sehr zügig von statten gehen kann
Prämedikation und Anästhesie bei diesen Patienten
idealerweise durch denselben/dieselbe Anästhesist/In
gute, hochdosierte Prämedikation mit Dormicum/lange
genug warten bis es wirken kann, ev. Kombination von
Dormicum und Ketamin zur Prämedikation
meist besser, wenn diese Patienten von zu Hause
kommen können
Verminderung der kindlichen Angst
medikamentöse Prämedikation
Elternpräsenz während der Einleitung
präoperative Vorbereitungsprogramme
nichtpharmakologische Interventionen
(Clowns, Video, Musik, Akupunktur, Hypnose)
Art und Weise unserer Präsenz bzw. der
verbalen und nonverbalen Kommunikation
Kain Z. et al. Preoperative Psychological
Preparation of the Child for Surgery: an update Anaesthesiology Clin. N. America 23 (2005) 597-614
hilft die Präsenz der Eltern bei der
Einleitung?
Elternpräsenz während der
Einleitung reduziert in den
meisten Fällen weder die
Angst des Kindes noch das
Auftereten von postoperativen
Verhaltensstörungen bzw. die
kindliche Compliance
Elternpräsenz steigert jedoch
die Elternzufriedenheit und
hilft möglicherweise Eltern
und Kind, die Situation
langfristig besser zu
verarbeiten
Machotta A., Begleitpersonen während der Narkoseeinleitung von Kindern. Anästhesist 2014 63:326-330
Banchs R., Preoperative Anxiety Management, Emergence Delirium, and Postoperative Behaviour.
Anesthesiology Clin 32(2014) 1-23
Verminderung der kindlichen Angst
medikamentöse Prämedikation
Elternpräsenz während der Einleitung
präoperative Vorbereitungsprogramme
nichtpharmakologische Interventionen
(Clowns, Video, Musik, Akupunktur, Hypnose)
Art und Weise unserer Präsenz bzw. der
verbalen und nonverbalen Kommunikation
Kain Z. et al. Preoperative Psychological
Preparation of the Child for Surgery: an update Anaesthesiology Clin. N. America 23 (2005) 597-614
Nonverbale Kommunikation
80% der Kommunikation nonverbal....!
(Körperhaltung, Gestik, Mimik, Musik der
Sprache)
Umgebung fremd und nüchtern
technisierte Raumdecke
es riecht nach Spital
wir tragen ungewohnte Kleidung und Mundschutz
Hansen E.: Negative und positive Suggestionen in der Anästhesie. Anästhesist 2010 59:199-209
Nonverbale Kommunikation
ruhige Atmosphäre
..die Einleitung ist um so besser, je besser sich der
Anästhesist fühlt.....=> eigenen Ärger/Frust aussen
vorlassen
zugewandte und freundliche Mimik/Körperhaltung
ohne Mundschutz
angenehmes Bild an der Raumdecke
von unten an den Patienten treten
in ruhiger Tonlage sprechen, die Vokale etwas dehnen
Hansen E.: Negative und positive Suggestionen in der Anästhesie. Anästhesist 2010 59:199-209
verbale Kommunikation
"Words are, after all the most powerfull
drug used by mankind...
- Rudyard Kipling -
positiv suggestive
Patientenkommunikation
Angst und Sorgen haben die
Patienten und ihre Eltern
genug…..
=> Ausdrücke, die die Angst/
Unsicherheit verstärken
vermeiden......(Noceboeffekt)
Negativsuggestionen
vermeide Verneinungen
=> sie werden nicht „gehört“!
Zech N.: Noceboeffekte und Negativsuggestionen in der Anästhesie. Anaesthesist 2014, 63:816-824
Negativsuggestionen
Zech N.: Noceboeffekte und Negativsuggestionen in der Anästhesie. Anaesthesist 2014, 63:816-824
can words hurt?
negative Worte (Ankündigung von
unangenehmen/schmerzhaften
Ereignissen/Manipulationen)
nachträgliche Äusserungen über
unangenehmes/schmerhaftes Ereignis
Lang E.: Can words hurt? Patient-provider interactions during invasive procedures. Pain 114
(2005) 303-309
Benedetti F. et al. when words are painful, Neuroscience 2007, Jun 29; 147(2) 260-271
Calloca F. et al.: Neurohyperalgesia: how anxiety is turned into pain; Curr. Opin. in
Anesthesiology 2007 Oct. 20(5): 435-9; review article
verbale Kommunikation
Entschuldigung, Mitleid,
ablenkendes Gespräch
Beschwichtigung
unpräzise Fragen, die
limitierte Auswahl
den Patienten
innerhalb von Grenzen
überfordern
=> Autonomie
Umdeutung von
zu viele medizinische
Informationen
medizinischen Abläufen/
Gegenständen
Martin S.: Changing Healthcare Providers‘ Behaviour during Pediatric Inductions with an Empirically
Based Intervention. Anesthesiology 2011; 115:18-27
Was, wenn das Kind dennoch/
unvorhergesehen tobt?
in Extremsituation 3 Optionen:
- Kind auf Abteilung zurückschicken
zur Nachprämedikation
- Eingriff verschieben, Kind nach Hause
schicken, OP neu planen, psychologische
Hilfe anbieten, damit die Familie
optimal vorbereitet werden kann
- Ketamin i.m. / nasal
Op um so eher verschieben....
.... je elektiver der Eingriff
.... je besser der Gesundheitszustand
des Kindes...
je älter das Kind...
je eher man einen Konflikt bezüglich
des Eingriffs zwischen den Eltern oder
zwischen Eltern und Kind vermutet...
denn...
ethisch gesehen sind Kinder bereits vor dem
18. Lebensjahr urteilsfähig und damit in der
Lage, ihr Einverständnis für einen geplanten
Eingriff zu geben....
gemäss publizierten Richtlinien SAMW sollte
grundsätzlich immer Urteilsfähigkeit
vermutet werden...
liegt in der Verantwortung des
Anästhesisten, nach einem Gespräch mit den
Beteiligten die Urteilsfähigkeit abzuschätzen
und im Sinne des Patienten zu handeln....
Ketamin i.m./p.o/rectal/nasal
sollte die Ausnahme sein
5 - 8 mg/kg KG i.m./p.o./rectal
Team und Ausrüstung zum sofortigen Monitoring/
02-Gabe/Weiterführen der Narkose muss vor Ort
parat sein
Luer-lock Spritze ideal für i.m.
i.m. Nadellänge so wählen, dass bis zum Anschlag
"abgedrückt" werden kann
nasal 2mg/kgKG mit MAD
Zusammenfassung
die Situation mehr als Herausforderung denn als Belastung ansehen
die Patienten und ihre Eltern immer ernst nehmen, auf sie und ihre Gefühle
eingehen unter Berücksichtigung "der Welt des Kindes"
medikamentöse Prämedikation genügend dosieren und Wirkung genügend
lange abwarten
Risikokinder vorgängig identifizieren und ihnen gebührend Rechnung tragen
auf eine positiv suggestive Weise mit den Patienten kommunizieren
(Negativsuggestionen vermeiden)
"Kampfeinleitungen" vermeiden, sie sollen die Ausnahme bleiben
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit!
„Wir können den Wind nicht ändern, aber
wir können die Segel richtig setzen!"
–Aristoteles-
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