VERBÄNDE In der November-Ausgabe des Diabetes-Forums soll wiederum eine Folgeerkrankung des Diabetes mellitus im Fokus der BVKD-Seiten stehen: Die diabetische gastrointestinale Neuropathie. Diese kann alle Teile des Gastrointestinaltraktes betreffen. Die Ausprägung der Symptome ist direkt von der Qualität der Stoffwechselführung abhängig. Im Artikel wird auf typische Symptome, die Differentialdiagnostik und mögliche Therapieansätze eingegangen. Die Expertenfrage erläutert speziell medikamentöse Therapiemöglichkeiten der diabetischen Gastropathie. Als renommierter Autor konnte Professor Martin Storr gewonnen werden. Er ist Leiter des Labors für Neurogastroenterologie an der LMU München. Für seine Tätigkeiten wurde er unter anderem mit dem Werner-Creutzfeld-Preis für gastrointestinale Physiologie der DGVS (2005), dem Basic Scientist Award der International Foundation for Functional Gastrointestinal Disorders (IFFGD, 2007), dem Teaching Excellence Award der Universität Calgary (2010) und dem Preis für Neurogastroenterologie der Stiftung für Neurogastroenterologie (2011) ausgezeichnet. Dr. med. Thomas Werner, Dr. med. Johannes Huber Funktionsstörungen des Gastrointestinaltraktes und gastrointestinale Symptome im Rahmen der diabetischen gastrointestinalen Neuropathie häufig. Prinzipiell kann der gesamte Gastrointestinaltrakt, von Ösophagus bis Anus, betroffen sein. Die gastrointestinalen Funktionsstörungen und Symptome treten klinisch in den unterschiedlichen Regi- ☏ Das LMUKlinikum MünchenGroßhadern. Bildquelle: Klinikum der Universität München. Text: Professor Dr. Martin Storr. 36 Gastrointestinaltrakt Diabetes beeinflusst durch die diabetische Neuropathie und Hyperglykämien auch die Funktionen des Verdauungsapparates. Welche Therapie hilft bei welchen Störungen? D er Diabetes mellitus, insbesondere, wenn er langjährig besteht, verursacht unter anderem eine diabetische Neuropathie. Die diabetische Neuropathie | Diabetes-Forum 11/2013 beeinträchtigt zahlreiche Funktionen unseres Körpers und dabei regelmäßig auch Funktionen des Gastrointestinaltraktes. Daher sind gastrointestinale Funktionsstörungen BVKD: 0 55 24/81-212 onen in unterschiedlichem Ausmaß auf. Deshalb sind einige Funktionsstörungen wie die diabetische Gastroparese oder die diabetische Diarrhö bekannter und prominenter und andere Funktionsstörungen – wie die mit Diabetes assoziierte Verschlimmerung einer vorbestehenden Obstipation oder einer vorbestehenden Motilitätsstörung – nicht so bekannt. Auch ohne Diabetes häufig Da gastrointestinale Funktionsstörungen auch bei Patienten ohne diabetische Erkrankungen auftreten können und in der Bevölkerung ohnehin schon eine hohe Prävalenz von bis zu 20 % aufweisen, ist es schwierig, mit absoluten Zahlen zu www.diabetologie-online.de VERBÄNDE erfassen, in welchem Ausmaß die delbar sind, sollte bei Auftreten von diabetische Neuropathie die Prä- gastrointestinalen Symptomen die valenz oder die Ausprägung die- Blutzuckertherapie zunächst optiser Funktionsstörungen, sofern sie miert werden, da dies zumeist zu eiunabhängig von einer diabetischen ner substantiellen Verbesserung der Neuropathie aufgetreten sind, bei gastrointestinalen Symptome führt. Patienten mit einem Diabetes melEine deutliche Verbesserung der litus steigert. Epidemiologische Stu- gastrointestinalen Symptome, wie dien bei Patienten mit einem Dia- sie durch eine Optimierung der betes mellitus Typ Blutzuckerkontrol1 und einem Diale erreicht wird, ist „Treten gastroinbetes mellitus Typ durch Medikamentestinale Sympto2 kommen im Wete, die die Funktime auf, sollte zusentlichen zu der onsstörungen des Erkenntnis, dass Gastrointestinalnächst die Blutzudie Diabetesertraktes direkt beckertherapie optikrankung sowohl handeln, häufig miert werden.“ Prävalenz als auch nicht erzielbar. Im Schweregrad von Gespräch sollte dies gastrointestinalen Funktionsstö- dem Patienten ausführlich erklärt rungen steigert, genaue Zahlen da- und als weiterer motivierender Baufür sind aber schwer zu benennen. stein in der Therapie des Blutzuckers eingesetzt werden. Prospektive Studie stehen noch Im Folgenden wird auf die häuaus fig im Zusammenhang mit einem Prospektive epidemiologische Stu- Diabetes mellitus diagnostizierten dien, die berücksichtigen, dass eine gastrointestinalen FunktionsstörunHyperglykämie auch ohne eine be- gen eingegangen. Diese umfassen gleitende Neuropathie gastrointesti- die gastroösophageale Refluxerkrannale Funktionsstörungen verursacht kung, die Dysphagie, die Dyspepsie, oder verschlimmert, stehen noch die Gastroparese, die Diarrhö und aus. Diese werden uns helfen, zu die Obstipation sowie abdominelle verstehen, in welchem Ausmaß dia- Schmerzen. betesassoziierte Funktionsstörungen reversibel bzw. irreversibel sind. Na- Ösophagus hezu alle gastrointestinalen Symptome bei Patienten mit Diabetes Symptome, die auf eine Refluxermellitus sind mit anderen Markern krankung hinweisen – wie zum Beieiner zugrundeliegenden Neuropa- spiel das Sodbrennen und Regurgithie assoziiert, was die Bedeutung tationen – sind ebenso wie die mader Neuropathie in diesem Zusam- nifeste gastroösophageale Refluxerkrankung häufiger bei Patienten mit menhang unterstreicht. einem Diabetes mellitus, verglichen mit einer nicht-diabetischen NorAkute und chronische malpopulation. Hyperglykämie Dabei verursacht die diabetische Bei der Behandlung und Beratung Neuropathie eine Verschlechterung von Patienten mit Diabetes mellitus der ösophagealen Reinigungsfunktiund gastrointestinalen Symptomen on sowie eine Schwächung des Rusollte nicht aus den Augen verloren hedrucks im unteren Ösophaguswerden, dass die akute Hypergly- sphinkter. Beides fördert gastroösokämie unabhängig vom Vorliegen phagealen Reflux. einer Neuropathie gastrointestinale Funktionsstörungen und gastro- Begleitende Gastroparese Eine begleitende Gastroparese intestinale Symptome verursacht. Da die akute und die chronische kann das Auftreten und die MenHyperglykämie durch eine entspre- ge des gastroösophagealen Refluats chende Diabetestherapie gut behan- weiter verschlimmern. Insbesondewww.diabetologie-online.de Herzrhythmus immer im Blick Anzeige Mobiles EKG-Gerät ME80 Zur Kontrolle und Aufzeichnung des Herzrhythmus. Sofortige Rückmeldung, falls Abweichungen zu einem gesunden EKG vorliegen. Mit der Software können die Aufzeichnungsergebnisse dargestellt und ausgedruckt werden. 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In den seltensten Fällen führen diese Motilitätsstörungen jedoch zu klinisch relevanMedikamentöse Maßnahmen ten Symptomen. Mit einer ÖsophaSofern diese Optimierung nicht aus- gusmanometrie können diese Moreicht, wird die gastroösophageale tilitätsveränderungen, wie z. B. reRefluxerkrankung duzierte Kontrakbei Diabetes mellitionsamplituden „Eine schlechte tus in Analogie zur und verzögerte aktuelle Blutzugastroösophageapropulsive Aktivickereinstellung tät, nachgewiesen len Refluxerkrankung ohne Diabetes werden. kann die Ursache mellitus mit einem Sofern diese sein für eine ProtonenpumpenVeränderungen Gastroparese.“ inhibitor (PPI; z. B. Symptome verurPantoprazol) einsachen, können mal täglich 30 Minuten vor dem Prokinetika und ErnährungsempFrühstück behandelt. Die langfris- fehlungen (gut kauen, kleine Mahltige Dosierung wird entsprechend zeiten, im Sitzen essen) therapeuder symptomatischen Notwendig- tisch eingesetzt werden. keit weiter rezeptiert. Bei ausgeprägter Dysphagie sollten aber auch anderweitige DiffeÄnderung von Verhaltensweisen renzialdiagnosen in Betracht gezoFlankiert werden diese medikamen- gen werden und eine Endoskopie tösen Maßnahmen durch Empfeh- der Speiseröhre und des Magens zur lungen zur Veränderung der Ver- weiterführenden Diagnostik veranhaltensweisen (Kopfende des Bet- lasst werden. | Diabetes-Forum 11/2013 Gastroparese Die Gastroparese ist in Zusammenhang mit Diabetes mellitus die häufigste gastrointestinale Funktionsstörung und betrifft ca. 20 - 40 % der Patienten mit Diabetes mellitus. Zumeist betroffen sind Patienten mit langjährigem Diabetes mellitus und Patienten mit schlechter aktueller sowie langfristig schlechter Blutzuckereinstellung. Eine schlechte aktuelle Blutzuckereinstellung kann ursächlich für eine Gastroparese und Symptome der Gastroparese sein! Infolge der Magenentleerungsverzögerung und der damit verbundenen Dyskoordination der Medikamenteresorption kann umgekehrt eine schlechte Blutzuckereinstellung aber auch Folge einer Gastroparese sein. Die meisten Patienten, insbesondere bei milder bis mäßiggradiger Gastroparese, entwickeln keine gastrointestinalen Symptome und eine schlechte oder schwierige Blutzuckereinstellung kann bei diesen Patienten einziges Symptom der Gastroparese sein. Dyspeptische Symptome Gastrointestinale Symptome der Gastroparese sind dypspeptische Symptome wie postprandiales Völlegefühl, epigastrische Schmerzen, Übelkeit, Blähungen und Erbrechen. Diese Symptome sind unter anderem auf die verzögerte Magenentleerung, eine gestörte rezeptive Magenrelaxation, eine gestörte Sensorik und eine Dyskoordination der antro-duodenalen Motilität zurückzuführen. Viele Studien zeigen, dass der Schweregrad der geklagten Symptome und die messbaren Funktionsstörungen häufig aber kaum oder gar nicht miteinander korreliewww.bvkd.de ren. Hier besteht wissenschaftlicher Nachholbedarf, da ohne detaillierte Grundlagenkenntnisse die Behandlungsmöglichkeiten und die Entwicklungsmöglichkeiten für neue Therapien limitiert sind. www.diabetologie-online.de VERBÄNDE Unausweichlich: Optimierung der Glykämie Sicher belegt ist hingegen, dass sowohl chronische als auch akute Hyperglykämie zu einer Verzögerung der Magenentleerung führen können und dass unter Herstellung einer Normoglykämie sich diese verzögerte Magenentleerung wieder normalisieren kann. Dies sollte bei der Therapie der Patienten entsprechend berücksichtigt werden und eine Optimierung der Glykämie erscheint bei Vorliegen einer Gastroparese unausweichlich. Diagnose und Therapie Die Diagnose einer Gastroparese kann bei Vorliegen entsprechender Symptome, nach Ausschluss anderer infrage kommender Differenzialdiagnosen durch bildgebende Verfahren (mindestens Endoskopie), gestellt werden. In der Endoskopie finden sich häufig, trotz ausreichender Nüchternheit, noch Nahrungsbestandteile, die den Verdacht auf das Vorliegen einer Gastroparese erhärten. Weitere Tests, die eine verzögerte Magenentleerung nachweisen, wie eine MagenentleerungsSzintigrafie oder ein Atemtest, sind zur Diagnosesicherung nicht zwingend notwendig und kommen lediglich bei speziellen Fragestellungen zum Einsatz, z. B. bei der Therapiekontrolle und Therapieoptimierung. Die Therapie der Gastroparese folgt einem symptomatischen Ansatz. Eine Therapie der Gastroparese ohne gastrointestinale Symptome, unter der Zielsetzung der Verbesserung der glykämischen Kontrolle, wird durch klinische Studien nicht unterstützt. Die symptomatische Therapie, nach Optimierung der Blutzuckereinstellung, erfolgt im Wesentlichen unter Einsatz von Antiemetika und Prokinetika. Diabetische Enteropathie Im Zusammenhang mit dem Diabetes mellitus können sowohl Diarrhö als auch Obstipation auftreten. Beide Symptome treten insbesondere bei langjähriger, schlecht eingestellter Diabeteserkrankung auf. www.diabetologie-online.de Die mit Diabetes assoziierte Di- tik, Stuhlanalysen (Mikrobiologie/ arrhö tritt in bis zu 22 % der Diabe- Elastase im Stuhl), Endoskopie mit tespatienten auf und ist insbesonde- Biopsie (Gastroskopie und Koloskore durch eine schmerzlose wässrige pie), Atemtests mit der Frage bakDiarrhö gekennzeichnet. Häufig ist terieller Fehlbesiedelung oder Maldie diabetische Diarrhö von einer absorptionen (z. B. Sorbit), proktoInkontinenzsymptomatik begleitet, logische Untersuchung, anorektale und bei den Patienten sollte hier ge- Funktionsdiagnostik und radiolozielt nachgefragt werden, um geziel- gische Defäkographie zum Einsatz te diagnostische und therapeutische kommen. Maßnahmen einleiten zu können. Ursächlich werden Diarrhöen Orientierung an vermuteten Urim Zusammenhang mit einer auto- sachen nomen Neuropathie, einer glykä- Neben einer Optimierung der glymischen Kontrolle, einer anorekta- kämischen Kontrolle sollte sich die len Funktionsstörung oder durch Therapie an den vermuteten Ureine bakterielle Fehlbesiedlung des sachen orientieren. Patienten mit Dünndarms untereiner bakteriellen schieden, wobei Fehlbesiedelung „Nicht vergessen mehrere Ursachen des Dünndarms werden sollte, zeitgleich vorliegen werden mit einer dass auch künstlikönnen. gezielten antibiotischen Therapie beche Süßstoffe eine Obstipation und handelt, die gegeDiarrhö verursaDiarrhö im Wechbenenfalls wiederchen können.“ holt werden muss sel Die autonome Neuoder sogar repetitiv ropathie des enterischen Nervensys- angeordnet wird. Alternativ köntems beeinträchtigt die motorische nen Loperamid oder Codein bei Funktion des Gastrointestinaltrak- beschleunigtem gastrointestinalem tes über zahlreiche Mechanismen. Transit hilfreich sein. Darüber hinDabei können auch grundsätzlich ausgehende Medikationen wie Cloentgegengesetzte Funktionsstörun- nidin oder Octreotid sind seltenen gen auftreten. Postprandial kann es Einzelfällen vorbehalten. durch entsprechende Schädigungen Obwohl die diabetische Diarrhö am enterischen Nervensystem so- offensichtlicher erscheint, kommt wohl zu beschleunigtem als auch es bei vielen Patienten zum Auftrezu verzögertem gastrointestinalen ten oder zur Verschlechterung einer Transit kommen. Dies erklärt, wes- chronischen Obstipation im Sinne eihalb bei Vorliegen einer Neuropa- ner diabetischen Obstipation. Patienthie des enterischen Nervensystems ten mit Diabetes sollten gezielt nach sowohl Diarrhö als auch Obstipation Obstipationssymptomen befragt werals auch beide Symptome im Wech- den, um frühzeitig eine adäquate Disel auftreten können. Die Neuropa- agnostik und Therapie einleiten zu thie des enterischen Nervensystems können und eine Chronifizierung kann weiterhin durch Reduktion der Obstipation zu vermeiden. von Elektrolyt- und FlüssigkeitsreDie Diagnostik und Therapie der sorption zu einer Verstärkung der diabetischen Obstipation erfolgt in Diarrhö führen. Analogie zur Diagnostik und TheNicht vergessen werden sollte, rapie der chronischen Obstipation, dass auch künstliche Süßstoffe wie entsprechend den Leitlinien der zum Beispiel Sorbit eine Diarrhö Deutschen Gesellschaft für Neuverursachen oder zumindest ver- rogastroenterologie und Motilität schlimmern können – insbesondere, (www.neurogastro.de/leitlinien. wenn die tägliche Aufnahme 5 - 10 g html) und der Deutschen Gesellübersteigt. Je nach vermuteter Pa- schaft für Verdauungs- und Stoffthophysiologie sollten in der Diag- wechselkrankheiten (www.dgvs. nostik, ergänzend zur Basisdiagnos- de/leitlinien/). i Autor Prof. Dr. med. Martin Storr Arbeitsgruppe Neurogastroenterologie Klinikum der Universität MünchenGroßhadern Tel.: 0 89/70 95-0 Diabetes-Forum 11/2013 | 41