Funktionelle Magen-Darm-Beschwerden Eine Information für Patienten und Angehörige Autoren und Redaktion haben die Angaben zu Medikamenten und ihren Dosierungen mit größter Sorgfalt und entsprechend dem aktuellen Wissensstand bei Fertigstellung des Buches verfasst. Trotzdem ist der Leser ausdrücklich aufgefordert, anhand der Beipackzettel der verwendeten Präparate in eigener Verantwortung die Dosierungsempfehlungen und Kontraindikationen zu überprüfen. Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden. Herausgeber: Techniker Krankenkasse, Hauptverwaltung, 22291 Hamburg. Unter wissenschaftlicher Beratung der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft und basierend auf deren ärztlichen Therapieempfehlungen. Konzept und Realisation: nexus – Beratungsnetz im Gesundheitswesen GmbH, Odenthal. Printed in Germany: Schnitzer Druck, Korb. © Techniker Krankenkasse Hamburg, nexus GmbH, Odenthal. ISBN 3-933779-13-8 1. Auflage 2001 Inhalt Vorwort • Krankheit • Syndrom 5 5 6 Der Magen-Darm-Trakt 7 Ursachen von funktionellen Magen-Darm-Beschwerden 9 • Schmerzwahrnehmung 9 • Signalverarbeitung im Gehirn 10 • Psyche 11 Die einzelnen Krankheitsbilder und ihre Symptome • Funktionelle Magen-Darm-Beschwerden • Funktionelle Dyspepsie • Reizdarm-Syndrom – Durchfall (Diarrhoe) – Verstopfung (Obstipation) Schmerzen 12 12 13 13 14 14 15 Häufigkeit von funktionellen Magen-Darm-Beschwerden 16 Die Diagnose • Bedeutung der Krankengeschichte (Anamnese) • Apparative Diagnostik 17 17 22 Die Therapie • Das ärztliche Gespräch • Medikamentöse Therapie 25 25 26 27 29 • – der funktionellen Dyspepsie – des Reizdarm-Syndroms Nachwort 31 Wichtige Regeln für Patienten mit funktionellen Magen-Darm-Beschwerden 32 Vorwort Sie haben diese Broschüre erhalten, weil Sie oder einer Ihrer Angehörigen an funktionellen Magen-Darm-Beschwerden leiden. Darunter werden Erkrankungen des Magen-Darm-Traktes verstanden, für die sich mit den Mitteln der medizinischen Diagnostik keine fassbaren, organischen Ursachen finden lassen. Zum besseren Verständnis der folgenden Ausführungen wird zunächst erläutert, was in diesem Zusammenhang unter dem Begriff „Krankheit“ zu verstehen ist. Als Krankheit im weitesten Sinne werden alle Störungen im Ablauf der normalen Lebensvorgänge in Organen oder Organsystemen durch einen krankheitserzeugenden Reiz verstanden. Dies schließt auch die Gesamtheit der Reaktionen des Körpers auf diesen Reiz ein. Diese Störungen vermindern die Leistungsfähigkeit und sind meist mit wahrnehmbaren körperlichen Veränderungen verbunden. Diese Definition stützt sich weitgehend auf die Ausführungen der Weltgesundheitsorganisation. Sie ist zwar sehr allgemein gehalten, beinhaltet jedoch für das Verständnis Ihres Krankheitsbildes zwei wesentliche Aspekte: a) Die Patienten geben Symptome an wie Aufstoßen, Völle- und Druckgefühl im Oberbauch sowie Durchfall (Diarrhoe), Verstopfung (Obstipation), Schmerzen im Magen-Darm-Bereich, vermehrter Gasgehalt des Darms (Meteorismus) oder vermehrte Blähungen (Flatulenz). Diese Symptome stören die Betroffenen in ihrem normalen Tagesablauf. Sie werden oft als beträchtlich empfunden und mindern die Leistungsfähigkeit in einem Ausmaß, dass sie Krankheitswert erlangen. 5 b) Die oben genannte Krankheitsdefinition geht über die Vorgänge im Organismus wesentlich hinaus, die eine Krankheit verursachen und auslösen. Der Mensch ist nicht nur dann krank, wenn eine Organfunktion nachweisbar gestört ist. Er leidet auch, wenn er selbst eine Organfunktion als gestört empfindet, obwohl diese mit allen zur Verfügung stehenden diagnostischen Möglichkeiten nicht messbar ist. Somit berücksichtigt diese Definition auch die in der modernen Medizin anzuerkennenden Grenzen der vorhandenen diagnostischen Möglichkeiten. Häufig wird Ihnen als Patient oder Angehörigem von den Ärzten auch der Begriff des „Syndroms“ genannt: Unter Syndrom versteht man eine Gruppe von Symptomen und Befunden im Zusammenhang mit einer gestörten Körperfunktion, die miteinander in Beziehung stehen. Diese Definition bringt zum Ausdruck, dass die medizinische Wissenschaft (noch) keine ausreichende Erklärung für die Vorgänge im Organismus hat, die jene Symptome oder Befunde auslösen und gemeinsam auftreten lassen, die das Syndrom kennzeichnen. Angesichts dieser Vorbemerkungen haben Sie als Patient Anspruch auf eine ärztliche und medizinische Betreuung, die von kompetenten Ärzten einmal folgendermaßen formuliert wurde: „Einfühlungsvermögen, Sympathie und Verständnis werden vom Arzt erwartet, weil der Patient nicht nur aus einer Sammlung von Symptomen, Befunden, Funktionsstörungen, Organschädigungen und emotionellen Verwirrungen besteht. Der Patient ist menschlich voller Furcht und Hoffnung und sucht Linderung, Hilfe und die Rückgewinnung seiner Selbstsicherheit. Zu den wichtigsten Qualitäten eines Arztes gehört deshalb auch seine innere Zuneigung zum menschlichen Wesen. Denn das Geheimnis der Patientenbetreuung besteht in der treuen Sorge um den Patienten.“ 6 Der Magen-Darm-Trakt Die folgenden Ausführungen sollen dazu beitragen, einige der im Magen-Darm-Trakt ablaufenden Vorgänge zu verstehen. Denn Unverständnis beziehungsweise falsche Vorstellungen führen oftmals zu Ängsten, die entweder funktionelle Magen-Darm-Beschwerden auslösen oder vorhandene Symptome verstärken können. Außerdem sollen Ihnen diese Ausführungen helfen, Ihre Beschwerden näher beschreiben zu können. Damit sind Sie für das Gespräch mit Ihrem Arzt besser vorbereitet. Der Magen-Darm-Trakt ist eine funktionelle Einheit. Er beginnt schon in der Mundhöhle und endet am After. Dazwischen liegen die Speiseröhre (Ösophagus), der Magen (Ventriculus), der Zwölffingerdarm (Duodenum), der Dünn- (Jejunum und Ileum) und der Dickdarm (Kolon) mit dem Mastdarm (Rektum) und dem Analkanal, dessen Ende der Darmausgang (Anus) bildet. Beginnend mit der Speiseröhre besteht der gesamte Magen-Darm-Trakt aus einem muskulösen Schlauchsystem unterschiedlicher Weite. Seine Funktion besteht darin, die Nahrung an Orte der Verdauung (Digestion) und Aufnahme in das Körperinnere (Absorption) zu transportieren. Zusätzlich müssen Schlackenstoffe über den Stuhl ausgeschieden werden, die bei der Verdauung selbst beziehungsweise im Stoffwechsel des Körpers entstehen. Das gesamte Schlauchsystem ist cirka sechs Meter lang. Zwölffinger- und Dünndarm haben eine besondere Bedeutung für die Nahrungsaufnahme. Daher bilden sie mit circa vier Metern Länge auch den größten Teil des Schlauchsystems. Im Inneren ist das Schlauchsystem durch eine Schleimhaut ausgekleidet. Ihre Gesamtoberfläche ist durch ringförmige Falten und Ausstülpungen, so genannte Zotten und Bürstensaum, insbesondere in Zwölffinger- und Dünndarm, um das cirka 600-fache vergrößert. 7 Für die Verdauung werden Gallensäuren und Bauchspeichelenzyme benötigt. Diese werden der Nahrung im oberen Dünndarm aus der Leber über das Gallensystem und aus der Bauchspeicheldrüse beigemengt. Bereits im Magen wird der Nahrungsbrei durch Salzsäure vorverdaut. Das heißt, die Nahrung wird zerkleinert und verflüssigt. Einige Nahrungsbestandteile werden erst durch die im Dickdarm natürlicherweise vorkommenden Fremdorganismen wie Bakterien und Sprosspilze aufgespalten. Das Schlauchsystem ist nicht starr, sondern kann sich erweitern (Dilatation) und zusammenziehen (Kontraktion). Diese Bewegungen dienen der besseren Durchmischung und führen zu einer längeren Verweilzeit des Nahrungsbreis an der Schleimhaut. Dadurch wird die Aufnahme der Nährstoffe in die Schleimhautzelle erleichtert. Außerdem kommt es durch eine fein aufeinander abgestimmte, in Richtung des Enddarms ablaufende Bewegung der Muskulatur, die sich in der Wand des gesamten Systems befindet, zu einem Vorwärtstransport des Nahrungsbreis (Peristaltik). Die Muskeltätigkeit wird ausgelöst durch Reizung spezieller Fühler, so genannter Rezeptoren. Diese reagieren auf Wärme, chemische und mechanische Reize. Die Signale der Rezeptoren werden in einem eigenen Nervengeflecht der Darmwand umgesetzt und beeinflussen direkt die Muskeltätigkeit des Darms. Dies geschieht in der Regel dadurch, dass das Zusammenziehen der Darmmuskulatur gehemmt wird. Das Nervengeflecht steht unter dem Einfluss übergeordneter Zentren wie Rückenmark und Gehirn. 8 Danach werden die Signale über spezielle Nervenstränge an bestimmte Zentren des Gehirns weitergeleitet und dort unter dem Einfluss von weiteren Signalen anderer Gehirnzentren verarbeitet. Bei den funktionellen Magen-Darm-Beschwerden ist das Wissen um die Störungen dieser komplexen Bewegungsabläufe noch sehr unvollkommen. Daher können sie durch diagnostische Methoden nicht erkannt werden. Ursachen von funktionellen Magen-Darm-Beschwerden Bei den funktionellen Störungen des Magen-Darm-Traktes wird unter anderem vermutet, dass einzelne Störungen im Regulationssystem der Magen- und Darmbewegungen (zum Beispiel Veränderungen der Reizschwelle der in der Magen-Darmwand befindlichen Sensoren) bestehen. Diese können jedoch durch die üblichen diagnostischen Methoden nicht nachgewiesen werden. Schmerzwahrnehmung Bläht man im Dickdarm einen Ballon mit Luft auf, so geben Patienten mit Reizdarm-Syndrom schon bei Luftmengen Schmerzen an, die bei Gesunden lediglich ein Druckgefühl beziehungsweise Stuhldrang auslösen. Ganz ähnliche Befunde lassen sich auch bei Patienten mit funktioneller Dyspepsie (Übersäuerung des Magens) durch Aufblasen eines Ballons im Magen beziehungsweise im Dünndarm erheben. Diese Herabsetzung der Schmerz- beziehungsweise Empfindungsschwelle, auch viszerale Hyperalgesie genannt, ist ausschließlich auf den Magen-Darm-Trakt beschränkt. Die Schmerzschwelle in anderen Körperregionen kann bei Betroffenen im Vergleich zu Gesunden sogar erhöht sein. Dieser Befund belegt eindeutig, dass es sich bei den Patienten nicht um „übersensible“ beziehungsweise „neurotische“, sondern um tatsächlich kranke Menschen handelt. 9 Zumindest bei einem Teil der Patienten mit funktionellen Magen-Darm-Beschwerden könnten derartige Reizschwellenveränderungen durch die im Magen gebildete Salzsäure oder durch dort befindliche Keime (Helicobacter pylori) verursacht sein. Diese Patienten sprechen gut auf eine Therapie mit Medikamenten an, die die Säure reduzieren beziehungsweise den Keim abtöten. Andere Betroffene reagieren auf diese Therapien dagegen nicht mit Beschwerdelinderung oder -freiheit. Das heißt, dass weder Säure noch Keime als alleinige krankheitsauslösende Ursache angesehen werden können. Da sich bei den Patienten mit funktionellen Magen-Darm-Beschwerden in der Vorgeschichte gehäuft Entzündungen des Magen-Darm-Traktes finden, wird auch angenommen, dass Entzündungen die Reizschwelle verändern können. Signalverarbeitung im Gehirn Eine andere Modellvorstellung geht davon aus, dass die Verarbeitung der vom Darm im Gehirn eintreffenden normalen Signale verändert ist, was vom Patienten als Schmerz empfunden wird. Aber auch seelische Belastungen können sich auf diese Verarbeitung der Signale auswirken. So kann es zu Störungen der Darmbeweglichkeit kommen, die wiederum als Schmerzen empfunden werden. Problematisch wird dieser Auslösemechanismus dann, wenn die oft lange Leidensgeschichte vieler Patienten mit funktionellen Magen-Darm-Beschwerden selbst zur Ursache psychischer Erkrankungen wird, da sich dann ein selbst unterhaltender Prozess (circulus vitiosus) einstellen kann. 10 Psyche In zahlreichen Untersuchungen konnte gezeigt werden, dass sich Patienten mit funktionellen Magen-DarmBeschwerden von anderen Kranken und auch Gesunden durch eine eigene Art des Körperempfindens unterscheiden. Sie beobachten sich selbst intensiver und definieren und interpretieren auf Grund einer erhöhten Ängstlichkeit von anderen als noch normal angesehene körperliche Empfindungen als Beschwerden und damit als Symptome einer Krankheit. Sie weisen häufiger auch andere vegetative Beschwerden auf und fühlen sich öfter krank. Doch auch die Psyche der Erkrankten erklärt die Beschwerden nicht alleine. Sie erlangen wahrscheinlich erst im Wechselspiel mit den anderen oben genannten Mechanismen ihre Bedeutung. Die Ernährung (Nahrungsmittel, Essverhalten) spielt keine direkte Rolle in der Auslösung funktioneller Krankheitsbilder des Magen-Darm-Traktes. Sie kann jedoch vorhandene Beschwerden verstärken oder auch lindern. Zusammenfassend muss wohl davon ausgegangen werden, dass alle unter dem Begriff der funktionellen Magen-Darm-Beschwerden gefassten Krankheitsbilder durch eine Störung des Zusammenspiels von Reizbeziehungsweise Schmerzschwelle sowie Darmbeweglichkeit und Psyche verursacht werden können. 11 Die einzelnen Krankheitsbilder und ihre Symptome Funktionelle Magen-Darm-Beschwerden Bei den funktionellen Magen-Darm-Beschwerden treten gehäuft und verstärkt Beschwerden im oberen und unteren Bauchbereich auf. Diese halten länger als zwölf Wochen an oder kommen wiederholt vor. Daher müssen organisch fassbare Erkrankungen wie Entzündungen, Geschwüre oder sogar Krebs des gesamten MagenDarm-Traktes sowie der Nachbarorgane Leber, Gallenblase, Bauchspeicheldrüse und der Harn- und Geschlechtsorgane ausgeschlossen werden. Nur vorübergehend bestehende Beschwerden, die beispielsweise stress- oder ernährungsbedingt auftreten, fallen nicht unter die genannten Diagnosen. Aus praktischen Gründen wird der gesamte Beschwerdekomplex in die Krankheitsbilder der funktionellen Dyspepsie (Reizmagen) und des Reizdarm-Syndroms aufgeteilt. Es treten jedoch oft sowohl die Symptome des einen als auch des anderen Krankheitsbildes beim gleichen Patienten entweder gleichzeitig oder nacheinander auf. 12 Funktionelle Dyspepsie Bei der funktionellen Dyspepsie (früher verwendete Namen: Reizmagen, nicht-ulzeröse Dyspepsie) finden sich Symptome wie epigastrische Schmerzen (epigastrisch = Winkel der am Brustbein zusammentreffenden Rippen); Völlegefühl; Appetitlosigkeit; vorzeitiges Sättigungsgefühl; Übelkeit; Erbrechen; Blähgefühl im Oberbauch; vermehrtes nicht saures Aufstoßen. Reizdarm-Syndrom Mit dem Begriff des Reizdarm-Syndroms (früher verwendete Namen: irritables oder spastisches Kolon, irritabler Darm, Colica mucosa, Reizkolon) werden eher diffus auftretende Leibschmerzen, Blähungen sowie Beschwerden im unteren Bauchraum (insbesondere im linken Unterbauch) und beim Stuhlgang beschrieben. Es können Durchfall, Verstopfung oder Schmerzempfindungen beim Stuhlgang auftreten, die meist nach der Stuhlentleerung, zumindest vorübergehend, nachlassen. Auch das Gefühl einer unvollständigen Entleerung des Enddarms gehört zum Beschwerdekomplex des ReizdarmSyndroms. Außerdem ist es charakteristisch für das Krankheitsbild, dass sich die Häufigkeit und die Beschaffenheit des Stuhlganges (flüssig-breiig-fest) in unregelmäßigen Abständen verändern. Oft kommt es auch zu Schleimabsonderungen mit dem Stuhl. 13 Diarrhoe Als Diarrhoe (Durchfall) werden wässrig-breiige Stuhlentleerungen bezeichnet, die häufiger als drei Mal täglich auftreten und ein Gesamtgewicht von mehr als 250 Gramm pro Tag aufweisen. Häufigere Stuhlentleerungen während des Tages mit jedoch nur geringen, gelegentlich auch verhärteten Stuhlmengen gelten nicht als Diarrhoe, können jedoch als Teilsymptom des Reizdarm-Syndroms auftreten. Obstipation Die Obstipation (Verstopfung) bezeichnet einen Zustand, bei dem es nur ein bis zwei Mal pro Woche zur Stuhlentleerung kommt. Viele Menschen glauben, sie müssten täglich, zumindest aber alle zwei Tage Stuhlgang haben. Diese Vorstellung ist schlicht falsch, da die Häufigkeit des Stuhlgangs direkt von der Nahrungsaufnahme und -zusammensetzung abhängig ist. Die Stuhlfrequenz wird im Wesentlichen durch den nicht verdaulichen Faseranteil unserer Nahrung bestimmt. Gerade dieser Anteil ist jedoch in der durchschnittlichen Ernährung der Bevölkerung in unserer Region meist deutlich zu gering vertreten. 14 Schmerzen Ein weiteres wichtiges und häufig geäußertes Symptom sind Schmerzen. Die genaue Beobachtung der Schmerzen ermöglicht es häufig dem Arzt, aber auch Ihnen als Patient, eine vage Zuordnung dieses Symptoms zu den funktionellen oder den organischen Krankheitsbildern vorzunehmen. Sollten Sie selbst nach ausführlicher Untersuchung durch Ihren Arzt vom funktionellen Charakter der Schmerzen überzeugt sein, wird es Ihnen sicher leichter fallen, den Schmerz zu verarbeiten. Dies kann und darf jedoch die exakte Diagnostik durch den Arzt nicht ersetzen. Im Gegensatz zu den Schmerzen, die durch eine organisch nachweisbare Erkrankung verursacht werden, ist der Schmerz im Rahmen der funktionellen Magen-DarmBeschwerden meist durch folgende Eigenschaften gekennzeichnet: er besteht oft schon lange Zeit; er beeinträchtigt zwar die Lebensqualität, weist jedoch ganz offensichtlich nicht auf eine akut lebensbedrohliche Situation hin; er tritt entweder diffus im ganzen Bauchraum auf oder wechselt häufig seinen Ort; er ist durch Stress oder Konfliktsituationen auslösbar beziehungsweise steht in engem zeitlichen Verhältnis dazu; er tritt selten beziehungsweise nicht nachts auf; er führt nicht zu einem deutlichen Gewichtsverlust, obwohl die Schmerzen schon länger bestehen. 15 Häufigkeit von funktionellen Magen-Darm-Beschwerden Rund fünf Prozent der Bevölkerung befinden sich wegen Symptomen, die unter dem Begriff der funktionellen Magen-Darm-Beschwerden zusammengefasst sind, in ärztlicher Behandlung. Die Häufigkeit funktioneller Magen-Darm-Beschwerden in der Bevölkerung insgesamt wird sogar auf 15 bis 25 Prozent geschätzt, da nur cirka 20 bis 30 Prozent aller darunter leidenden Patienten ärztliche Hilfe in Anspruch nehmen. Von allen Patienten, die sich beim Gastroenterologen (Spezialist für MagenDarm-Krankheiten) vorstellen, leiden zwischen 30 und 50 Prozent unter funktionellen Beschwerden. Funktionelle Magen-Darm-Beschwerden sind also eine weit verbreitete Erkrankung. 16 Die Diagnose Bedeutung der Krankengeschichte (Anamnese) Die sorgfältige und umfassende Erhebung der Krankengeschichte ist die wichtigste Grundlage, um über die weitere Diagnostik und Therapie zu entscheiden. Es ist deshalb wichtig, dass Sie Ihrem Arzt nicht nur die Beschwerden ausführlich schildern, die zur Zeit bestehen, sondern auch auf möglicherweise weiter zurückliegende Erkrankungen hinweisen. Dabei sollten Sie nicht selbst entscheiden, was wichtig ist oder nicht. Überlassen Sie diese Entscheidung als Zeichen Ihres Vertrauens Ihrem Arzt. Selbstverständlich müssen Ihre aktuellen Beschwerden am Anfang des Anamnesegespräches stehen. Um Missverständnisse zu vermeiden, sollten Begriffe wie Verstopfung oder Durchfall zwischen beiden Gesprächspartnern im Sinne der oben gegebenen Definitionen abgestimmt werden. Alle Beschwerden sollten nach etwa gleichem Schema näher beschrieben werden. Sie helfen Ihrem Arzt sehr, wenn Sie sich schon vor dem Gespräch folgende Fragen stellen: Welche Beschwerden haben Sie? Wo schmerzt es? Können Sie den Ort des Schmerzes genau lokalisieren (mit dem Finger auf den entsprechenden Punkt zeigen) oder tritt er eher an verschiedenen Stellen auf? Ändert sich der Ort des größten Schmerzes im Laufe der Erkrankung häufiger? Wenn ja, ist diese Änderung von speziellen Umständen/ Ereignissen abhängig? 17 Wann begannen Ihre Beschwerden? Bestehen sie erst seit Stunden, Tagen oder schon seit Wochen, Monaten oder gar Jahren? Wann treten die Beschwerden im Laufe des Tages auf? Bestehen sie auch nachts, beziehungsweise wird Ihre Nachtruhe dadurch gestört? Wie können Sie eventuell vorhandene Schmerzen am Besten beschreiben? Sind sie eher krampfartig, reißend oder schneidend, brennend, stechend, bohrend? Sind die Schmerzen immer gleich oder wechseln sie ihren Charakter beziehungsweise ihre Intensität? Wie ist der Verlauf? Bestehen die Beschwerden ständig oder treten sie in regelmäßigen oder unregelmäßigen Abständen auf? Wenn ja, wie lang sind die Abstände? Wodurch werden die Beschwerden ausgelöst/verstärkt? Sind besonderer sozialer oder beruflicher Stress oder private/familiäre Konfliktsituationen mögliche Auslöser? Besteht ein Zusammenhang zur Nahrungsaufnahme? 18 Neben diesen schon sehr speziellen Angaben können Ärzte aus Ihren Berichten zu früheren Erkrankungen, Krankenhausaufenthalten oder Operationen wichtige Schlüsse ziehen. Auch die derzeitige oder frühere Einnahme von Medikamenten ist von Bedeutung. Vergessen Sie dabei nicht, auch ohne Rezept (Selbstmedikation) in Apotheken erhältliche Tabletten, Säfte, Tees und Ähnliches aus Reformhäusern oder Drogerien zu benennen. Viele Symptome, die zu den typischen funktionellen Magen-Darm-Beschwerden zählen, werden durch die regelmäßige Einnahme derartiger Präparate erst verursacht. Zur Vervollständigung der Krankengeschichte gehört auch, dass Untersuchungen angesprochen werden, die wegen gleicher Beschwerden in der Vergangenheit schon durchgeführt wurden. Die Befunde dieser Untersuchungen können helfen, Wiederholungen zu vermeiden. Sie erweisen sich selbst einen Gefallen, wenn Sie Ihrem Arzt diese schon beim ersten Gespräch mitbringen. Außerdem sollte auch besprochen werden, welche Therapien früher schon wegen Magen-Darm-Beschwerden erfolgt sind. Geben Sie auch an, ob Sie die in der Vergangenheit verordneten Medikamente regelmäßig eingenommen haben. Nur so kann die zukünftige Therapie richtig ausgewählt werden. Besonders wichtig ist es für den Arzt zu wissen, ob Ihnen früher eingenommene Medikamente geholfen oder möglicherweise sogar Ihre Beschwerden verstärkt haben. Es kann dennoch durchaus sinnvoll sein, wenn sich Ihr Arzt für ein Medikament entscheidet, das Ihnen in der Vergangenheit wenig Linderung gebracht hatte. Nicht nur Sie selbst sowie Ihre Lebensumstände, sondern auch Ihre Krankheit können sich zwischenzeitlich verändert haben. 19 Für Entscheidungen über weitere Untersuchungen sind Symptome wie a) Alarmsymptome Fieber; Gewichtsverlust; vermehrtes nächtliches Schwitzen; Bluterbrechen; Blutverluste über den Stuhlgang; ebenso wichtig wie b) Funktionelle Begleitsymptome Fremdkörpergefühle im Rachen-/Halsbereich (Globusgefühl); Missempfindungen an der Haut oder am Herzen (Stolpern, Rasen, Unregelmäßigkeiten); Atemhemmung; verstärkte innere Unruhe; allgemeine Erschöpfung; Konzentrationsschwäche; ängstliche oder depressive Stimmung. Die unter a) genannten Alarmsymptome zwingen schon frühzeitig zu einer organbezogenen differenzierten, das heißt apparativen Diagnostik (siehe auch Seite 22). Falls bei Ihnen die funktionellen Begleitsymptome, aber keine Alarmsymptome Ihre Magen-Darm-Beschwerden begleiten, kann zumindest anfänglich auf eine eingehendere Diagnostik verzichtet werden. Diese Symptome sprechen für den funktionellen Charakter auch Ihrer Magen-Darm-Beschwerden. Halten die Beschwerden aber trotz eines Therapieversuches länger als zwei bis drei Wochen an, wird der Arzt auch Ihnen eine weiterführende Diagnostik empfehlen. 20 21 Apparative Diagnostik Eine wichtige Aufgabe der Ärzte besteht darin, durch die körperliche Untersuchung und den gezielten Einsatz apparativer Verfahren organisch fassbare und damit oft spezifisch behandelbare Erkrankungen von den funktionellen Magen-Darm-Beschwerden abzugrenzen. Allein auf Grund der Symptome ist jedoch eine sichere Zuordnung zur Gruppe der organischen beziehungsweise funktionellen Erkrankungen oft nicht möglich. Denn zahlreiche Erkrankungen des Magen-Darm-Traktes, aber auch anderer Organsysteme, können gleiche oder ähnliche Symptome aufweisen. Eine Reihe von Untersuchungsmethoden stehen daher zur Verfügung. Die folgende Tabelle gibt einen Überblick der möglichen organischen Erkrankungen, die gegen die funktionellen Magen-Darm-Beschwerden abgegrenzt werden müssen, sowie die einzelnen diagnostischen Nachweisverfahren. 22 Differenzialdiagnose Oberer Magen-Darm-Trakt Refluxösophagitis (Entzündung der Speiseröhre durch Rückfluss des sauren Mageninhaltes) Magengeschwür Zwölffingerdarmgeschwür Bösartige Erkrankung des Magens Dickdarm/Dünndarm chronisch-entzündliche Darmerkrankung Dickdarm-/Enddarmkrebs chronische Divertikulitis (Entzündung einer Ausstülpung der Darmwand) Diagnoseverfahren Ösophagogastroduodenoskopie (Spiegelung von Speiseröhre, Magen und Zwölffingerdarm) Koloskopie (Darmspiegelung), Prokto-Sigmoidoskopie (Spiegelung des unteren Dickdarms), MDP (Röntgen-Kontrastuntersuchung von Magen und Dünndarm), Kolon-KE (Röntgen des Dickdarms mit Kontrastmittel) Stoffwechselbedingte Ursachen Unter-/Überfunktion der Schilddrüse Schilddrüsenhormone, Ultraschall, Szintigraphie (Darstellung der Schilddrüse mit Kontrastmittel) Überfunktion der Nebenschilddrüse Calcium, Phosphat im Blut Blutzuckerkrankheit (Diabetes mellitus) Blutzucker, HbA-1c (Blutzuckergedächtnis) Leber akute/chronische Leberentzündung Leberzirrhose Lebermetastasen Gallenwege/Bauchspeicheldrüse Steine in Gallenblase oder Gallengängen chronische Entzündung der Bauchspeicheldrüse Krebs der Gallenwege oder der Bauchspeicheldrüse Leberenzyme, Ultraschall, Computertomographie Ultraschall, Blutuntersuchung, Computertomographie, ERCP (Röntgenkontrastdarstellung des Gallen- und Bauchspeicheldrüsensystems im Rahmen einer Ösophagogastroduodenoskopie) Da funktionelle Beschwerden relativ häufig sind, verbietet es sich, bei allen Patienten mit derartigen Beschwerden schon zu Beginn der Erkrankung alle verfügbaren Möglichkeiten der Diagnostik einzusetzen. Bei vielen Patienten bilden sich die Beschwerden nach einigen Wochen spontan zurück. 23 Aufwändige und belastende Untersuchungen ergeben in der weit überwiegenden Mehrzahl der Fälle keine organisch fassbaren Veränderungen und sind deshalb oft nicht nötig. Gerade diese Normalbefunde gehören ja zur Diagnose der funktionellen Magen-Darm-Beschwerden. Der Nutzen für den Patienten besteht in diesem Fall in erster Linie darin, vorhandene Ängste, beispielsweise vor bösartigen Erkrankungen, auszuräumen. Einige dieser Untersuchungen sind mit Risiken und manchmal auch mit Komplikationen verbunden. Daher sollten Nutzen und Risiken immer sorgfältig gegeneinander abgewogen werden. Manchmal erscheint es sinnvoll, bei ängstlichen Patienten alle „diagnostischen Register“ zu ziehen, da nur dadurch der Teufelskreis aus Symptom-Angst-Depression-Verstärkung des Symptoms durchbrochen werden kann. Die Ärzte stehen somit vor der schwierigen Aufgabe, diejenigen Patienten zu erkennen, bei denen eine apparative Untersuchung notwendig ist. Weisen die Beschwerden eher auf eine funktionelle Dyspepsie hin, wird der Arzt sich neben einigen Blutuntersuchungen auf eine Ultraschall-Untersuchung des Bauchraumes und eine Spiegelung von Speiseröhre bis Zwölffingerdarm (Probeentnahme von Schleimhaut aus Magen und Zwölffingerdarm) beschränken. Ergänzt wird diese Untersuchung dann eventuell durch den so genannten Ureaseschnelltest zur Bestimmung von Helicobacter pylori. Dies ist ein Keim, der mit verantwortlich gemacht wird für Erkrankungen des Magens (siehe auch „Schmerzwahrnehmung“ Seite 9). Bei Symptomen des Reizdarm-Syndroms sind röntgenologische Untersuchungen und/oder die Spiegelung des Dünn- und Dickdarms, gegebenenfalls mit Kontrastmittel, angezeigt. Nur wenn alle diese Untersuchungen keine krankhaften Veränderungen aufweisen, darf die Diagnose von funktionellen Magen-Darm-Beschwerden gestellt werden. Im anderen Fall muss über die weitere Diagnostik je nach Befund entschieden werden. 24 Die Therapie Sowohl die funktionelle Dyspepsie als auch das Reizdarm-Syndrom sind oft chronische Krankheitsbilder. Daher sollte das Ziel der Behandlung zwischen Patient und Arzt klar abgesprochen werden. Grundsätzlich wird zwar immer versucht, die subjektiv als stark und meist als quälend empfundenen Beschwerden langfristig zu beseitigen. Oft kann jedoch schon eine Linderung der Symptome, verbunden mit einer deutlichen Verbesserung der Lebensqualität, als Therapieerfolg angesehen werden. Das ärztliche Gespräch Die Grundlage der Therapie ist das vertrauensvolle Gespräch zwischen Arzt und Patient. Der Arzt sollte in dem Gespräch informieren, aufklären und stützend begleiten. Wichtig ist es auch, dass der Patient besondere Lebensumstände aufarbeitet. Er sollte erkennen, dass auch soziale, berufliche oder familiäre Konfliktsituationen sowie die sehr persönliche Art der Beschwerde- beziehungsweise Krankheitsverarbeitung zum Prozess der Krankheitsentstehung und -unterhaltung beitragen. Der Arzt kann durch Aufmerksamkeit, Zuhören, Geduld und Ermutigung das Erreichen dieser Erkenntnis fördern. Doch nicht nur Ärzte sollten sich den besonderen Anforderungen des Gespräches stellen. Auch Sie als Patient erhöhen durch Vertrauen und Offenheit im Gespräch die Möglichkeit zur erfolgreichen Therapie. Wenn Sie in dem Gespräch hören werden, dass keine nachweisbare Ursache gefunden wurde, bedeutet das nicht, dass Ihr Arzt möglicherweise nicht richtig untersucht hat. Fühlen Sie sich auch nicht sofort unverstanden. Erinnern Sie sich daran, dass gerade der fehlende Nachweis objektiver (messbarer) Kriterien zur Diagnose funktioneller Magen-Darm-Beschwerden gehört. Ihre Beschwerden werden dadurch nicht bagatellisiert, sondern lediglich dem richtigen Krankheitsbild zugeordnet. 25 Denken Sie an die weiter oben beschriebene Rolle Ihrer Psyche bei den funktionellen Magen-Darm-Beschwerden (siehe auch „Psyche“ Seite 11). Unter Umständen kann für die Therapie auch ein Spezialist (Psychotherapeut, Psychiater) eingeschaltet werden. Neben den noch zu besprechenden medikamentösen Maßnahmen sollten Sie unbedingt gemeinsam mit Ihrem Arzt oder Therapeuten ein langfristiges Konzept erarbeiten, das zur Veränderung der die Krankheit auslösenden beziehungsweise unterhaltenden Lebensumstände und Ihrer eigenen Beschwerde- und Krankheitsverarbeitung führt. So werden Sie bewusst aktiv in die Gestaltung der Therapie mit eingeschlossen. Dies unterstreicht Ihre Eigenverantwortung gegenüber der Krankheit und deren Bewältigung. Zu diesem Konzept gehört es auch, übermäßigen Tabak-, Alkohol-, Kaffee- oder Teegenuss zu vermeiden. Falls erforderlich, müssen auch die Ernährungsgewohnheiten umgestellt werden (Art, Häufigkeit und Menge der Nahrungsaufnahme, Essgewohnheiten etc.). Gegebenenfalls können Sport, Entspannungsübungen oder autogenes Training die vorgenannten Maßnahmen unterstützen. Erfolge stellen sich in aller Regel durch diese Maßnahmen, die oft eine erhebliche Umstellung Ihrer Lebensgewohnheiten bedeuten, nicht sofort ein. Deshalb müssen auch die Gespräche zwischen Ihnen und Ihrem Arzt regelmäßig wiederholt werden. Haben Sie Geduld! Medikamentöse Therapie Medikamente greifen in normale beziehungsweise durch Krankheiten verändert ablaufende, meist wohl definierte körperliche Prozesse ein. Bei Krankheiten, bei denen unser Wissen über diese Prozesse bisher noch unvollständig ist, ist ein gezielter Eingriff durch Medikamente nicht möglich. Bei diesen Krankheiten müssen sich medikamentöse Maßnahmen weitgehend auf die Erfahrung der Ärzte stützen. Medikamente können die Erkrankung nicht heilen, sondern bestenfalls die Beschwerden lindern oder auch vorübergehend beseitigen. 26 Medikamente haben nicht nur die von ihnen erwarteten Hauptwirkungen. Sie zeichnen sich auch durch mehr oder weniger häufige, unerwünschte Wirkungen (Nebenwirkungen) aus. Deshalb sollten sie nur eingesetzt werden, wenn ihre Wirksamkeit bewiesen oder zumindest auf Grund langjähriger ärztlicher Erfahrung wahrscheinlich ist. Für nahezu alle Medikamente, die bei funktionellen Magen-Darm-Beschwerden eingesetzt werden, ist die Wirksamkeit nicht sicher bewiesen. Auch aus diesem Grund sollten Medikamente nur für wenige (zwei bis vier) Wochen eingenommen werden und auch nur, wenn gerade Beschwerden bestehen. Die Auswahl des Medikamentes trifft der Arzt nach den vorherrschenden Beschwerden; der Sicherheit, mit der die Wirkung erwartet werden kann; der Verträglichkeit des Medikamentes; seiner eigenen Erfahrung mit diesem Medikament. Medikamentöse Therapie der funktionellen Dyspepsie Bei der funktionellen Dyspepsie stehen zwei Wirkprinzipien für die Therapie zur Verfügung. Stehen Magensäureverbundene Beschwerden wie Oberbauchschmerzen und/oder Sodbrennen (ein Rückfluss des sauren Mageninhalts in die Speiseröhre muss aber ausgeschlossen sein!) im Vordergrund, werden zuerst säurereduzierende Medikamente gegeben. Bei Beschwerden wie Druck- und/oder Völlegefühl, Übelkeit und frühzeitigem Sättigungsgefühl werden Medikamente verordnet, die die Darmbewegungen fördern beziehungsweise regulieren. 27 Säurereduzierende Medikamente sind die so genannten H2-Rezeptorenblocker (zum Beispiel die Wirkstoffe Ranitidin, Famotidin, Roxatidin oder Nizatidin), die die Säureproduktion in speziellen Zellen der Magenwand, den Parietalzellen, hemmen und die so genannten Protonenpumpenhemmer (zum Beispiel die Wirkstoffe Omeprazol, Pantoprazol, Lansoprazol oder Rabeprazol), die die Freisetzung der in den Parietalzellen produzierten Säure in den Magen unterbinden und damit die Magensäure stärker unterdrücken. Für beide Substanzgruppen konnte auf Grund von Studien die Wirksamkeit bei einem Teil der Patienten mit funktioneller Dyspepsie gesichert werden. In jedem Einzelfall muss deshalb durch sorgfältige Beobachtung von Wirkung und auch Nebenwirkung entschieden werden, ob eine medikamentöse Therapie mit diesen Säureblockern Sinn macht. Prokinetika (zum Beispiel Metoclopramid oder Domperidon) sind Medikamente, die die Beweglichkeit des Magen-Darm-Traktes regulieren und stimulieren. Ein Teil der Beschwerden ist wahrscheinlich dadurch bedingt, dass Magen und/oder Dünndarm nicht beweglich genug sind. Hier erscheint eine Therapie mit Medikamenten sinnvoll, die die Beweglichkeit fördern. Allerdings ist die wissenschaftliche Beweislage für die Wirksamkeit von Medikamenten aus dieser Gruppe nur schwach. Außerdem dürfen wegen möglicher Nebenwirkungen nicht alle Medikamente aus dieser Gruppe bei funktionellen Magen-Darm-Beschwerden verordnet werden. Dennoch kann sich im Einzelfall ein Therapieversuch lohnen. Es ist grundsätzlich nicht möglich, sicher vorherzusagen, dass eine bestimmte Behandlung wirksam ist. Kommt es daher nach zwei- bis vierwöchiger Therapie mit einem säurereduzierenden Medikament nicht zu einer Besserung der Beschwerden, empfiehlt sich die Umstellung auf ein Prokinetikum. Wenn die Beschwerden andauern, muss die Diagnose überprüft werden. 28 Nur bei hartnäckigen, auf diese Therapieversuche nicht ansprechenden Beschwerden sowie bei nachgewiesener Besiedlung der Magenschleimhaut mit Helicobacter pylori (siehe auch „Schmerzwahrnehmung“ Seite 9) kann versucht werden, durch Abtöten dieses Keimes die Beschwerden zu lindern. Ausreichend gesicherte Erkenntnisse über die Wirksamkeit dieses Therapieansatzes bei funktionellen Magen-Darm-Beschwerden gibt es nicht. In einer Untersuchung mit Iberogast®‚ einem hauptsächlich aus bitterem Bauernsenf bestehenden Präparat, konnte gezeigt werden, dass ein pflanzliches Medikament (Phytotherapeutikum) einen therapeutischen Nutzen bringen kann. Für Magensäure bindende Medikamente (Antazida), für Bakterienextrakte sowie für homöopathische oder naturheilkundliche Medikamente liegen keine Studienergebnisse über die Wirksamkeit vor. Medikamentöse Therapie des ReizdarmSyndroms Die medikamentöse Therapie des Reizdarm-Syndroms orientiert sich überwiegend an den vorherrschenden Beschwerden. Sind Ihre Beschwerden im Wesentlichen durch Durchfälle geprägt, kann Ihnen mit dem Wirkstoff Loperamid wirkungsvoll geholfen werden. Es normalisiert sowohl die Beschaffenheit des Stuhls als auch die Häufigkeit des Stuhlgangs und lindert auch die Schmerzen. Allerdings sollte dieses Medikament den schweren Fällen vorbehalten bleiben und nicht dauerhaft eingenommen werden. Quellmittel aus Flohsamen können die Therapie sinnvoll unterstützen. Dieses pflanzliche Präparat hat sich auch bei überwiegend durch Verstopfung gekennzeichneten Beschwerden bewährt. Andere Quellmittel wie Weizenkleie oder Leinsamen können sogar Auslöser verstärkter Blähungen sein. So genannte Laxanzien fördern die Stuhlentleerung. Hier sollte Substanzen der Vorzug gegeben werden, die Wasser im Dickdarm binden und so die Stuhlfrequenz erhöhen wie zum Beispiel 29 Lactulose, ein Zuckermolekül. Drastisch darmantreibende Substanzen sollten vermieden werden. Denn diese führen bei längerfristigem Einsatz regelmäßig zu einer „Lähmung“ der Darmtätigkeit; ein Nebeneffekt, den Sie ja gerade verhindern wollen. Abgesehen von Quellmitteln sollte keines der anderen Mittel dauerhaft eingenommen werden. Zur Behandlung von vermehrtem Gasgehalt im Darm stehen Karminativa (Mittel gegen Blähungen wie zum Beispiel Pfefferminzöl) und die Substanz Dimethylpolysiloxan zur Verfügung. Diese reduzieren die Oberflächenspannung der Luftblasen im Darm und machen dadurch aus einzelnen großen Blasen viele kleine Bläschen. Die können leichter beziehungsweise kontrollierter entleert werden. Therapieversuche mit diesen Substanzen sind bei entsprechender Symptomatik gerechtfertigt, da sie weitgehend nebenwirkungsfrei sind. Wissenschaftliche Belege für die Wirksamkeit dieser Substanzen liegen nicht vor. Überwiegen krampfartige Beschwerden, kann eine Therapie mit so genannten Spasmolytika (zum Beispiel Mebeverin) notwendig sein. Spasmolytika sind Medikamente, die verhindern, dass sich die Muskulatur in der Darmwand zu stark anspannt und dadurch Schmerzen verursacht. Diese Substanzen sind bei akuten Beschwerden gut wirksam. Sie können jedoch wegen ihrer Nebenwirkungen nicht dauerhaft im Sinne einer Vorbeugung eingenommen werden. Daher wird eine Heilung der Beschwerden nicht erreicht. Für den Einsatz pflanzlicher Präparate (Phytotherapeutika) beim Reizdarm-Syndrom gilt das Gleiche wie für die funktionelle Dyspepsie, ebenso für Bakterienpräparate oder homöopathische Medikamente (siehe auch Seite 29). 30 Nachwort Die Broschüre hat gezeigt, dass es immer noch Lücken im Verständnis der Entstehung und Behandlung der funktionellen Magen-Darm-Beschwerden gibt. Daher überrascht es nicht, dass viele Patienten über lange Zeit entweder dauerhaft oder immer wiederkehrend unter Beschwerden der funktionellen Dyspepsie oder des Reizdarm-Syndroms leiden. Chronische Krankheiten verändern die eigene körperliche Wahrnehmung. Sie können zu Angst- und Zwangszuständen beziehungsweise zu tiefen Depressionen führen. In diesen Fällen ist die Einleitung einer antidepressiven, angstlösenden Therapie durch Ihren Arzt ein Zeichen seiner Kompetenz und nicht Ausdruck seines Unverständnisses Ihrer Beschwerden. 31 Wichtige Regeln für Patienten mit funktionellen Magen-Darm-Beschwerden: Erweitern Sie Ihr Wissen über die Krankheit: Ganz wichtig ist dabei die Erkenntnis, dass es zwar noch viele Lücken im Verständnis der Entstehung und Behandlung gibt, dass aber Ihre Psyche ganz sicher einen wesentlichen Anteil daran hat. Insofern leiden Sie an einer echten psychosomatischen Erkrankung. Die Krankheit ist relativ häufig, Sie leiden nicht an einer seltenen oder gar bösartigen Krankheit. Grundlage jeder erfolgreichen Therapie ist das Vertrauen zu Ihrem Arzt. Vertrauen entsteht nicht, wenn Sie wegen anhaltender oder immer wiederkehrender Beschwerden häufig den Arzt wechseln. Dadurch nehmen Sie sich selbst die Chance auf eine erfolgreiche Therapie. Arbeiten Sie mit Ihrem Arzt gemeinsam an der Lösung Ihrer Probleme. Seien Sie offen für die Gesprächstherapie, für eventuelle notwendige Umstellungen Ihrer Lebensverhältnisse und erwarten Sie nicht, dass Medikamente Ihnen besser, schneller oder dauerhafter helfen. Fühlen Sie sich nicht als „Neurotiker“ abgestempelt, wenn Ihr Arzt Ihnen vorschlägt, psychotherapeutische/psychiatrische Hilfe in Anspruch zu nehmen. Es zeigt Ihnen nur, dass er das Wesen Ihrer Krankheit verstanden hat. 32