KONTAKTLINSE INFEKTIONEN Adenoviren und die „Augengrippe“ Adenoviren sind für viele Infektionen der Augen und der Atemwege verantwortlich; sie gelten als häufigste Ursache viraler Konjunktivitiden (Anmerkung der Redaktion: Viruserkrankung der Binde- und Hornhaut des Auges). Konjunktivale Adenoviren-Infektionen sind weltweit verbreitet, hoch ansteckend und treten entweder sporadisch oder epidemieartig auf. Eine AdenovirusKeratokonjunktivitis wurde erstmals von Fuchs 1898 beschrieben. 1955 hat Jawetz die Adenoviren als Ursache dieser Infektion identifiziert. In der Ophthalmologie und in der Optometrie spielen Adenoviren als Erreger der Keratokonjunktivitis epidemica eine bedeutende Rolle. Im medizinischen Kurzjargon wird von Epidemica oder KCE gesprochen, aufgrund der hohen Übertragbarkeit wird die Erkrankung volkstümlich auch oft verharmlosend Augen-Grippe genannt. Die Erreger können im Rahmen der Kontaktlinsenanpassung weiterverbreitet wer- Abb. 1: Schematischer Aufbau eines Adeno virus. Das Kapsid ist aus verschiedenen Capsomeren aufgebaut, die hier durch unterschiedliche Farben dargestellt sind (blau: Pentone; rot und grün: Hexone). Aus dem Kapsid ragen Spikes heraus. den, wobei die meisten gängigen Kontaktlinsendesinfektionssysteme unwirksam sind. Trinkwasser gilt als ein wichtiger Übertragungsweg für Adenoviren; auch in der zurzeit gültigen Trinkwasserverordnung wird die Prüfung des Wassers auf Adenoviren nicht verlangt. Bislang galten Adenoviren-Infektionen als nicht behandelbar, weshalb gerade in der Kontaktlinsenoptik der Prävention eine große Bedeutung zukommt. Neuere klinische Studien zeigen, dass offensichtlich einige ältere antivirale Medikamente auch bei Adenoviren-Infektionen wirksam sind. Adenoviren Adenoviren sind nichtumhüllte, ca. 90 bis 100 nm große DNA-Viren mit ikosaedrischer Symmetrie. Das Kapsid besteht aus 240 Hexonen, die das gruppenspezifische Antigen tragen und 12 Pentonen, die sich an den Ecken des Kapsids befinden. Hier ist das typenspezifische Antigen lokalisiert. Außerdem sind an den Ecken antennenartige Fortsätze, so ge- nannte Spikes, zu finden. Beim Genom der Adenoviren handelt es sich um einen linearen DNA-Doppelstrang mit 36 bis 38 Kilobasen. Das Virus wurde erstmals 1954 aus Rachenmandeln (Tonsilien) und Adenoidgewebe isoliert, daher resultiert auch der Name. Bisher sind über 80 Adenoviren bekannt, die in zwei Gattungen eingeteilt werden: Mastadenoviren kommen bei Säugetieren vor, Aviadenoviren bei Vögeln. Die humanen Adenoviren, von denen gegenwärtig mindestens 51 Serotypen bekannt sind, werden entsprechend ihrer Infektiosität in sechs Gruppen eingeteilt. [1] Die ubiquitär vorkommenden Viren sind extrem resistent. Gängige Desinfektionsmittel, wie sie auch in der Kontaktlinsenhygiene eingesetzt werden, einschließlich Wasserstoffperoxid aber auch Chlor sind unwirksam. [2] Extreme Temperaturen, hohe Salzkonzentrationen oder Austrocknung hemmen die Vermehrung der Viren nicht. Auf Oberflächen können Adenoviren bis zu sechs Wochen vermehrungsfähig bleiben. u Erkrankung Risikogruppe Serotypen akuter grippaler Infekt fieberhafte Halsentzündung Säuglinge Kleinkinder 1, 2, 3, 5, 6, 7 akuter respiratorischer Infekt Pneumonie Säuglinge Kleinkinder junge Erwachsene 3, 4, 7, 14, 21 pharyngokonjunktivales Fieber Kleinkinder Schulkinder 3, 7, 14 Keratoconjunctivitis epidemica alle Altersgruppen Patienten (nosokomiale Übertragung) 8, 19, 37 Schwimmbadkonjunktivitis (follikuläre Konjunktivitis) Kinder 3, 4, 7 Infekt des Magen-Darm-Traktes (Gastroenteritis) Säuglinge Kleinkinder 31, 40, 41 Tabelle 1: Typische Adenovirus-Infektionen DOZ 02 | 2011 77 KONTAKTLINSE INFEKTIONEN Adenovirus-Infektionen Infektionen mit Adenoviren sind beim Menschen weltweit verbreitet. Befallen werden die oberen, seltener die unteren Atemwege, das Auge und der Gastrointestinaltrakt. Kinder und Jugendliche sind häufiger betroffen. Die Inkubationszeit beträgt fünf bis zwölf Tage, die Krankheit selbst dauert zwei bis drei Wochen. Adenovirus-Infektionen verursachen eine dauerhafte Immunität, jedoch können trotzdem wegen der Typenvielfalt der Adenoviren immer wieder sporadische Infektionen auftreten. Infektionsquelle ist der Mensch. Übertragungen erfolgen durch Tröpfchen-, Kontakt- oder Schmierinfektionen. Augeninfektionen können iatrogen durch ungenügend sterilisierte Instrumente wie Tonometer und Spaltlampen, durch Kontaktlinsen oder Augentropfenflaschen übertragen werden. Trinkwasser, das routinemäßig nur nach Colibakterien und bei Oberflächenwasser zusätzlich auf Clostridium perfringens untersucht wird, gilt ebenfalls als Übertragsweg für Adenoviren. In der Vergangenheit wurden 90 Prozent aller Infektionen der Augen durch die Goldmann-Tonometrie übertragen; die Verwendung von EinmalMessköpfen kann das Übertragungsrisiko signifikant senken. Am Auge können Adenoviren eine akute follikuläre Konjunktivitis, das pharyngokonjunktivale Fieber und die als Keratokonjunktivitis epidemica (KCE) bezeichnete Adenoviren-Keratokonjunktivitis hervorrufen. Adenoviren verursachen 20 bis 90 Prozent aller Konjunktivitiden weltweit. Follikuläre Konjunktivitis und pharyngokonjunktivales Fieber An der akuten follikulären Konjunktivitis erkranken meist Kinder. Sie tritt in Verbindung mit einer Erkältung auf und verläuft ohne Hornhautbeteiligung. Es bilden sich subkonjunktivale Follikel. Häufig ist eine präaurikuläre Lymphknotenschwellung zu beobachten. Ein wichtiger Übertragungsweg ist Wasser von Schwimmbädern, was sich auch in der häufig verwendeten Bezeichnung „Schwimmbadkonjunktivitis“ widerspiegelt. Beim pharyngokonjunktivalen Fieber, das hauptsächlich durch die Serotypen 3, 78 DOZ 02 | 2011 4 und 7 hervorgerufen wird, tritt neben einer Entzündung von Hals und Bindehaut auch noch Fieber auf. Die Konjunktivitis ist hauptsächlich vom follikulären Typ. Typische Zeichen sind Hyperämie, wässrige Absonderungen, manchmal Pseudomembranen, Lidschwellung und kleine geschwollene präaurikuläre Lymphknoten. Subjektive Symptome sind Schmerz und Lichtscheu. Wie die akute follikuläre Konjunktivitis heilt auch das pharyngokonjunktivale Fieber ohne Therapie nach zehn bis 14 Tagen komplikationslos ab. [3] Keratokonjunktivitis epidemica (KCE) Die meisten Adenovirus-Serotypen können eine Keratokonjunktivitis epidemica verursachen, wobei die Serotypen 8, 19 und 37 am häufigsten schwere Krankheitsverläufe hervorrufen. Die Keratokonjunktivitis epidemica ist eine meldepflichtige Erkrankung; nach § 7 des Infektionsschutzgesetzes besteht eine Meldepflicht bei direktem Nachweis der Adenoviren im Konjunktivalabstrich. Der Infektionsverlauf wird in eine Akutphase und eine chronische Phase unterteilt. Die Akutphase ist hochkontagiös und tritt oft in Epidemien auf, wobei Schulen, Kindergärten, Kasernen, aber auch Großraumbüros, Augenarztpraxen oder Kliniken betroffen sein können. Solche Epidemien verursachen einen erheblichen sozialen und volkswirtschaftlichen Schaden. Die Inkubationszeit beträgt acht bis zehn Tage. Typische Zeichen sind eine akute follikuläre Konjunktivitis, wässrig seröse Absonderungen mit akuter Entzündung von Plica und Karunkel, konjunktivale Rötung, Lidschwellung und präaurikuläre Lymphknotenschwellung. Massives Fremdkörpergefühl, Tränen und Abb. 2: Akute Keratoconjunctivitis epidemica. Blendungserscheinungen sind typische subjektive Symptome. Das zweite Auge wird meist zwei bis sieben Tage nach dem ersten Auge befallen, zeigt allerdings eine abgeschwächte Symptomatik. Noch zwei Wochen nach Beteiligung des zweiten Auges sind die Patienten infektiös. Eine Hornhautbeteiligung läuft in verschiedenen Phasen ab. Schon früh kommt es zu einer diffusen epithelialen Keratitis, ca. eine Woche nach Beginn der okulären Symptome zeigt sich dann eine Keratitis punctata superficialis. Die akuten Symptome bilden sich nach zwei bis drei Wochen deutlich zurück. In der chronischen Phase der Keratokonjunktivitis epidemica treten Nummuli auf. Nummuli sind subepitheliale Infiltrate aus Lymphozyten und Fibroblasten in und unter der Bowmanschen Membran. Die Infiltrate sind Ausdruck der im Gewebe ablaufenden Immunreaktion gegen die Viruspartikel und können die Sehschärfe beeinträchtigen und Blendungserscheinungen hervorrufen. Sobald Nummuli aufgetreten sind, besteht keine Ansteckungsgefahr mehr. Die Nummuli verschwinden entweder spontan, in 20 bis 50 Prozent der Fälle bleiben die Trübungen für mehrere Wochen, selten zeigt sich eine Rückbildungstendenz von Monaten bis zu zwei Jahren. Neben den subepithelialen Infiltraten kommt es als häufige Komplikation einer KCE zu Siccabeschwerden, ein Symblepharon ist eher selten. Therapie Es gibt derzeit keine gegen Adenoviren wirksamen Virostatika, sodass sich die Therapie auf die symptomatische Behandlung der Patienten beschränkt. Es gibt jedoch einige Hinweise darauf, dass durch Virostatika (Cidofovir, Ganciclovir) der Krankheitsverlauf positiv beeinflusst werden kann. In der Akutphase werden Tränenersatzmittel, bei starker Reizmiosis Zykloplegika gegeben. Daneben kommen kalte Kompressen, prophylaktisch lokale Antibiotikasalben und PVP-Jod Tropfen zum Einsatz. Steroid-Augentropfen verkürzen zwar die Akutphase, die Anzahl der Patienten mit persistierenden Nummuli wird allerdings nicht reduziert, die Nummuli treten nur später auf. Insgesamt resultiert unter Steroid-Augentropfen ein verlängerter Krankheitsverlauf. Abb. 3: Chronische Phase der Keratoconjunctivitis epidemica (Keratitis nummularis) desinfektion, das Vermeiden gemeinsamer Handtücher, Waschlappen und Seifen, Händeschütteln sollte unterlassen werden, die Türklinken als oft unterschätzte Kontaminationsquelle erkannt und als solche behandelt werden. Im Gesundheitswesen liegt der Schwerpunkt auf der Gerätedesinfektion (Spaltlampe, Kontaktglas), auf der Isolierung verdächtiger Patienten bzw. der getrennten Behandlung von KCE-Patienten. Auch infiziertes Personal muss für zehn bis 14 Tage isoliert werden. Daneben kommt der sorgfältigen und gründlichen Desinfektion des Arbeitsplatzes mit antiviral wirksamen Desinfektionsmitteln wie hochkonzentriertem Alkohol oder PVP-Jod und der Meidung kontaminierter Flüssigkeiten besondere Bedeutung zu. n Dr. Sandor Blümle Literaturverzeichnis Cidofovir, ist ein azyklisches Nukleosidanalogon mit antiviraler Aktivität gegen DNA-Viren. Klinische Studien haben die Wirksamkeit des DNA-PolymeraseInhibitor in vitro und im Tiermodell belegt. In einer Patientenstudie allerdings zeigten die wirksamen Cidofovirkonzentrationen lokale toxische Reaktionen. [4] Ganciclovir, ebenfalls ein Nukleosidanalogon zeigte im Vergleich mit unkonservierter Tränenersatzlösung einen deutlich schnelleren Heilungsverlauf der KCE. [5] Ein Vergleich der Antiadenovirenaktivität verschiedener Nukleotid und Nukleosidanaloga zeigte die höchste Wirksamkeit bei Cidofovir. Aciclovir und Brivudin waren in dieser Studie nicht aktiv und Ganciclovir war nur mäßig wirksam. [6] Bei allen potentiell wirksamen Virostatika besteht grundsätzlich die Gefahr der Resistenzbildung, gerade bei Viren, von denen eine so große Anzahl an Serotypen bekannt sind, wie es bei Adenoviren der Fall ist. Deshalb ist auch eine Impfung nicht sinnvoll. Okuläre Symptome wie Chemosis oder Plicaschwellung können die Pharmakokinetik von Virostatika beeinflussen. Ciclosporin A-Augentropfen stellen eine vielversprechende Option bei der Behandlung der chronischen Phase der KCE dar. In einer Untersuchung an 59 Patienten führte die Gabe von zwei Prozent Ciclosporin-A bei zwei Drittel der betei- ligten Patienten zu einem Verschwinden der Nummuli. [7] N-Chlorotaurin, ein Derivat der Aminosulfonsäure Taurin, ist eine vielversprechende neue Substanz, die in vitro und im Kaninchenmodell Wirksamkeit gegen die meisten humanen Adenovirenserotypen gezeigt hat. [8] Patientenstudien stehen hier noch aus. Prophylaxe Da bislang eine wirksame medikamentöse Therapie der KCE fehlt, und aufgrund der Tatsache, dass durch den Epidemiecharakter der Erkrankung ein erheblicher sozioökonomischer Schaden entstehen kann, kommt der Prophylaxe eine ganz entscheidende Bedeutung zu. Nach einer Ansteckung besteht die Prophylaxe zunächst darin, dass der Betroffene für ein bis zwei Wochen den direkten Kontakt mit seiner Umwelt meidet. Im privaten Bereich lässt sich die Ausbreitung durch verschiedene Hygiene- und Vorsichtsmaßnahmen vermeiden. Dazu gehören die häufige Hände- [1] Zierhut M, Hansen L, Jahn G. Viruserkrankungen des Auges, Kaden 2007. [2] Kowalski RP, Sundar-Raj CV, Romanowski EG, Gordon YJ. The desinfection of contact lenses contaminated with adenovirus, Am J Ophthalmol. 2001 (132) 777-779. [3] Augustin AJ. Augenheilkunde, Springer 2001. [4] Hillenkamp J, Reinhard T, Poss RS et al. Topical Treatment of Acute Adenoviral Keratoko-conjunctivitis with 0.2% Cidofovir and 1% Cyclosporine. A Controlled Clinical Pilot Study, Arch Ophthalmol. 2001 (119) 1487-1491. [5] Tabbara KF, Jarade E. Ganciclovir effects in adenoviral keratoconjunctivitis, ARVO 2001. [6] Naesens L, Lenaerts L, Andrei G et al. Antiadenovirus activities of several classes of nu-cleoside and nucleotide analogues, Antimicrobial Agents Chemotherpy. 2005 (49) 1010-1016. [7] Reinhard T, Godehardt E, Phahl HG, Sundmacher R. Lokales Cyclosporin A bei Nummuli nach Keratoconjunctivitis epidemica, Der Ophthalmologe 2000 (97) 764-768. [8] Uchio E, Inoue H, Kadonosono K. Antiadenoviral effects of N-Chlorotaurine in vitro con-firmed by quantitative polymerase chain reaction methods, Clin Ophthalmol. 2010 (4) 1325-1329. Anzeige ––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––– DOZ 02 | 2011 79