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Jahrbuch 2007/2008 | Kramer, Edgar; Aron, Liviu; Schulz, Jörg; Klein, Rüdiger | "Rundum-Service" für alternde
Nervenzellen
"Rundum-Service" für alternde Nervenzellen
Aid system for aging nerve cells
Kramer, Edgar; Aron, Liviu; Schulz, Jörg; Klein, Rüdiger
Max-Planck-Institut für Neurobiologie, Martinsried
Korrespondierender Autor
E-Mail: [email protected]
Zusammenfassung
Bei Parkinson Patienten sterben Nervenzellen vor allem im Gehirnbereich der Substantia nigra. Nun w urde
gezeigt, dass der Ret-Rezeptor, der durch den Nervenw achstumsfaktor GDNF aktiviert w ird, essenziell zum
Erhalt dieser Nervenzellen beiträgt. Die Erkenntnisse erw eitern das Verständnis der molekularen Vorgänge im
alternden Gehirn und könnten die Entw icklung neuer Therapieansätze der Parkinson-Krankheit ermöglichen.
Summary
Parkinson disease is characterized by a massive loss of nerve cells in a specific brain region. It w as show n that
the Ret receptor, w hich is activated by the neurotrophic factor GDNF, is essential for the survival and
regeneration of nerve cells in this brain region. These results advance our understanding of the molecular
mechanisms in the aging brain and may facilitate the development of new therapies for Parkinson disease.
Schüttellähmung
Als James Parkinson 1817 seine „Abhandlung über die Schüttellähmung“ verfasste, beschrieb er zum ersten
Mal eine Krankheit, an der heute allein in Deutschland über 300.000 Menschen leiden. Das auffälligste
Symptom der Parkinson-Krankheit ist ein relativ langsames Muskelzittern. Dies geht einher mit einer
zunehmenden Bew egungsarmut und Beugung des gesamten Körpers. Diese Symptome, die meist erst ab dem
50. Lebensjahr auftreten, sind Zeichen einer dramatischen Veränderung im Gehirn der Patienten: In der
Substantia nigra, einem Bereich im Mittelhirn, sterben Nervenzellen in großer Zahl. Diese Nervenzellen stellen
normalerw eise den Botenstoff Dopamin her, der unter anderem für die Bew egungskoordination w ichtig ist
(Abb. 1).
Zw ar verliert auch der gesunde Mensch mit fortschreitendem Alter zunehmend Nervenzellen in diesem Bereich,
doch bei Parkinson-Patienten ist dieser Prozess stark beschleunigt. Häufig w ird jedoch die Parkinson-Krankheit
erst spät erkannt, da die klassischen Parkinson Symptome erst dann auftreten, w enn bereits rund die Hälfte
der Dopamin-produzierenden Nervenzellen abgestorben ist.
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Nervenzellen
Da s be troffe ne Hirna re a l. Die Ne rve nze lle n de r Substantia nigra
ste lle n e ine wichtige Ve rbindung zum Stria tum , e ine m Te il de s
Großhirns, he r (ge ze igt link s be im Me nsche n, re chts be i de r
Ma us). Eine ihre r wichtigste n Aufga be n ist je doch die
P roduk tion und W e ite rga be de s Bote nstoffs Dopa m in. Die se r
Bote nstoff spie lt be i vie le n Vorgä nge n im Ge hirn e ine große
R olle , und e ine re duzie rte P roduk tion k a nn schlim m e Folge n
ha be n – wie im Fa ll de r P a rk inson-Kra nk he it.
© Ma x -P la nck -Institut für Ne urobiologie /Schorne r
Trotz der nun fast 200 Jahre w ährenden Erforschung der Parkinson-Krankheit sind ihre Ursachen und die
molekularen Veränderungen im Gehirn noch immer nicht vollständig geklärt. Die Fortschritte der letzten Jahre
im Bereich der Molekularbiologie, Genetik und Mikroskopie ermöglichen nun jedoch immer tiefere Einblicke in
die Vorgänge des Gehirns. Neurobiologen sind den Mechanismen auf der Spur, die dafür sorgen, dass
Nervenzellen in der Substantia nigra eben nicht w ie bei Parkinson-Patienten frühzeitig absterben.
Nervenwachstumsfaktoren – die Beschützer
Schnell fiel die Aufmerksamkeit der W issenschaftler auf die Nervenw achstumsfaktoren. Dies sind körpereigene
Proteine, die das Überleben von Nervenzellen fördern. Nervenw achstumsfaktoren können zum Beispiel
Nervenzellen vor Giftstoffen schützen oder verhindern, dass die Zellen ihr eingebautes Zelltod-Programm
starten. Verschiedene Versuche deuteten darauf hin, dass der Nervenw achstumsfaktor GDNF den frühen Tod
von Nervenzellen in der Substantia nigra verhindern kann. Bisher w ar es jedoch nicht möglich, dies im
erw achsenen
und
alternden
Gehirn
zu
untersuchen,
da
Tiere
mit
künstlich
ausgeschalteten
Nervenw achstumsfaktoren oder künstlich lahmgelegten Rezeptoren nicht lebensfähig sind. Doch gerade im
alternden Gehirn findet der dramatische Verlust von Nervenzellen sow ohl bei der Parkinson-Krankheit als auch
bei vielen anderen neurodegenerativen Krankheiten statt.
Um den Einfluss des sich leicht verteilenden GDNF auch im alternden Gehirn untersuchen zu können, suchten
die W issenschaftler nach einer Möglichkeit, den Rezeptor für GDNF (genannt „Ret“) selektiv auszuschalten.
Denn man vermutete, dass GDNF erst durch die Bindung an Ret seine lebensverlängernde W irkung erzielen
kann. Tatsächlich gelang es
den Neurobiologen, die
Ret-Rezeptoren ganz gezielt nur in Dopamin-
produzierenden Nervenzellen der Substantia nigra auszuschalten. Die so veränderten Mäuse sind lebensfähig
und haben eine normale Lebenserw artung (Abb. 2). So w ar es erstmals möglich, die Ausw irkungen des
fehlenden GDNF-Signals auf die Entw icklung und langfristige Erhaltung von Nervenzellen in der Substantia nigra
zu untersuchen [1].
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De m Ve rfa ll a uf de r Spur. Link s im Bild sind ve rschie de ne
Q ue rschnitte durch da s Mä use ge hirn ge ze igt. In de n dunk le r
ge fä rbte n Be re iche n ha be n Ma x -P la nck -W isse nscha ftle r
ge zie lt de n R e t-R e ze ptor für de n Ne rve nwa chstum sfa k tor
GDNF a usge scha lte t. Im Hinte rgrund sind die be troffe ne n
Ne rve nze lle n a bge bilde t, die a uch be i de r P a rk inson-Kra nk he it
a bste rbe n.
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GDNF – Lebenselixier für alternde Nervenzellen
Erstaunlicherw eise entw ickelten sich die Zellen in der Substantia nigra auch ohne den Ret-Rezeptor ganz
normal.
Dass
GDNF
an
den
rezeptorlosen
Neuronen
nicht
andocken
kann,
machte
sich
erst
im
Erw achsenenalter deutlich bemerkbar: Die Nervenzellen starben verfrüht, und je älter die Tiere w urden, desto
mehr Nervenzellen starben ab. Noch sind jedoch nicht alle notw endigen Überlebensfaktoren für diese Zellen
bekannt und es fehlen noch einige Puzzleteile, um die Ursachen des pathologischen Zellsterbens bei der
Parkinson-Krankheit ganz zu verstehen.
Parallel zu diesen Experimenten w urde anderenorts in klinischen Studien untersucht, ob eine Gabe von GDNF
eine positive W irkung auf den Krankheitsverlauf bei Parkinson-Patienten hat. Die Ergebnisse dieser klinischen
Tests sind derzeit jedoch nicht eindeutig – in manchen Studien zeigten Patienten eine deutliche Linderung,
w ährend in anderen Studien kein Effekt festgestellt w urde. Diese Untersuchungen w arfen nicht nur Fragen zu
den Verabreichungsmethoden von GDNF auf. Sie zeigten auch, dass ein tieferes Verständnis der molekularen
Mechanismen
von
GDNF
und
seinem Ret-Rezeptor
notw endig
ist,
um die
Erfolgsaussichten
eines
Wachstumsfaktor-basierten Therapieansatzes zu verbessern. Mithilfe von genetisch modifizierten Mäusen
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stellten sich Edgar Kramer und Kollegen dieser Herausforderung [2].
Schadensbegrenzung durch GDNF
Um die Vorgänge und den Verlauf der Parkinson-Krankheit untersuchen zu können, ist es möglich, einen
Parkinson-ähnlichen Zustand durch die Gabe des Giftes MPTP künstlich herbeizuführen. Auf die W irkung von
MPTP
w urde
man
erstmals
aufmerksam, als
dieses
Nebenprodukt
der
Designerdroge
MPPP
(auch
„synthetisches Heroin“ genannt) Parkinson-ähnliche Symptome bei den Konsumenten hervorrief. Ähnlich w ie
bei der Parkinson-Krankheit sterben durch die Einnahme von MPTP die Dopamin-produzierenden Nervenzellen
in der Substantia nigra ab. Es zeigte sich, dass der Ret-Rezeptor nicht nur, w ie zuvor gezeigt, das Überleben
der Nervenzellen fördert, sondern auch ihre Regeneration: Zw ar starb die gleiche Anzahl an Nervenzellen in
de r Substantia nigra nach Gabe von MPTP ab, egal, ob sie den Ret-Rezeptor hatten oder nicht. Jedoch zeigte
sich nur in Zellen mit Ret-Rezeptoren, an die GDNF noch binden konnte, etw as Erstaunliches: Nach Absetzen
des MPTP begannen die Nervenzellen, sich neu zu verzw eigen (Abb. 3). Der Aufbau neuer Kontakte zw ischen
den verbliebenen Nervenzellen kann die Lücke im Informationsnetzw erk, entstanden durch abgestorbene
Nervenzellen, zumindest zum Teil kompensieren – aber eben nur, w enn GDNF und Ret-Rezeptor vorhanden
sind.
„Nicht unte rk rie ge n la sse n“: Im MP TP -Ve rsuch (Nä he re s sie he
Te x t) ze igte GDNF zusa m m e n m it se ine m R e ze ptor R e t e ine
e rsta unliche W irk ung. Link s im Bild sind die Ne rve nze lle n de r
Substantia nigra im norm a le n Ge hirn ge ze igt. Na ch Zuga be de s
Gifte s MP TP ste rbe n Ne rve nze lle n a b, e s ble ibt nur e in
grobm a schige s Ge rüst a us Ze llk onta k te n übrig (Mitte ). Sind
je doch GDNF und R e t-R e ze ptor vorha nde n, k önne n sich die
ve rblie be ne n Ze lle n ne u ve rzwe ige n und de n e ntsta nde ne n
Scha de n ve rringe rn (re chts).
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Besseres Verständnis der zugrunde liegenden Vorgänge
Die Ergebnisse dieser Studien zeigen, dass der Nervenw achstumsfaktor GDNF und sein Rezeptor Ret
essenziell für das Überleben von Nervenzellen in der Substantia nigra sind. Werden diese Zellen geschädigt,
w ie zum Beispiel durch das Nervengift MPTP, dann ermöglichen GDNF/Ret die Regeneration von Zellkontakten
und tragen so zur Schadensbegrenzung bei. Die Ergebnisse können die Entw icklung besserer Therapieformen
der Parkinson-Krankheit vorantreiben. Zum Beispiel könnte eine rechtzeitige Gabe von GDNF oder einem
anderen Ret-Aktivator den Ausbruch der Parkinson-Krankheit verhindern oder bereits symptomatischen
Parkinson-Patienten
zusammen
mit
anderen
Medikamenten
Linderung
verschaffen
und
das
w eitere
Fortschreiten der Erkrankung verlangsamen.
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[1] E. Kramer, L. Aron, G. Ramakers, S. Seitz, X. Zhuang, K. Beyer, M. Schmidt, R. Klein:
Absence of Ret signaling in mice causes progressive and late degeneration of the Nigrostriatal system.
PLoS Biology 5, 616-628 (2007).
[2] S. Kowsky, C. Pöppelmeyer, E. Kramer, B. Falkenburger, A. Kruse, R. Klein, J. Schulz:
RET signaling does not modulate MPTP toxicity but is required for regeneration of dopaminergic axon
terminals.
PNAS 104, 20049-20054 (2007).
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