Fachinformation 41 (10/11) | Immungenetik Angeborene periodische Fiebersyndrome FMF / HIDS / TRAPS / CAPS Dr. rer. nat. Barbara Grumbt, Dr. med. Kaimo Hirv, Dr. rer. nat. Christoph Marschall Wissenschaftlicher Hintergrund Fieber ist ein häufiges Symptom im Kindesalter, welches nach Ausschluss von Infektionen, autoimmunen und malignen Erkrankungen auch durch ein angeborenes/hereditäres periodisches Fiebersyndrom (HPF) verursacht werden kann. Das Spektrum der HPF-Syndrome umfasst derzeit 4 monogen vererbte Erkrankungen: - Familiäres Mittelmeerfieber (FMF) Hyper-IgD-und-periodisches-Fiebersyndrom (HIDS) TNF-Rezeptor-1-assoziiertes periodisches Syndrom (TRAPS) Cryopyrin-assoziierte periodische Syndrome (CAPS) HPF-Syndrome zeichnen sich durch rezidivierende Fieberschübe aus, begleitet von einer systemischen Entzündungsreaktion (erhöhtes CRP, Serum-Amyloid-Protein A), die insbesondere die Haut, Schleimhäute, seröse Grenzflächen und Gelenke betrifft und bei einigen Erkrankungen zu einer sekundären Amyloidose führen kann. Zwischen den Attacken sind die meisten Patienten symptomfrei. HPF-Syndrome gehören zu den autoinflammatorischen Erkrankungen, die durch eine Fehlregulation der angeborenen Immunantwort gekennzeichnet sind. Im Unterschied zu klassischen Autoimmunerkrankungen fehlen Autoantikörper oder antigenspezifische T-Zellen. Vor allem das Zytokin Interleukin 1 (IL-1) spielt eine zentrale Rolle bei der Induktion von Entzündungen, indem es die Entstehung von Fieber, Aktivierung von Leukozyten und die Produktion weiterer Entzündungsmediatoren vermittelt. Aktuelle Forschungsergebnisse unterstützen die Hypothese, dass die Fehlregulation des IL-1-Signalweges eine direkte oder indirekte Ursache der Mehrheit der HPF-Syndrome ist. Die differenzialdiagnostische Abklärung ist aufgrund der Ähnlichkeit und Variabilität der Symptome oft schwierig, so dass eine Diagnose häufig erst im Erwachsenenalter gestellt wird. Neben dem klinischen Krankheitsbild geben Dauer und Häufigkeit der Fieberschübe, das Alter bei Erstmanifestation, Familienanamnese und ethnische Herkunft richtungsweisende Informationen. In den letzten Jahren wurden Gene identifiziert, in denen bestimmte Mutationen ursächlich für die Entwicklung eines HPF-Syndroms sind, so dass heutzutage die gezielte molekulargenetische Untersuchung wichtiger Bestandteil der Diagnostik geworden ist (siehe diagnostischer Algorithmus). Die Kenntnis der beteiligten Gene und der funktionellen Auswirkungen von Mutationen haben zur Entwicklung spezifischer Therapien geführt (IL-1- und TNF-Blocker), die nicht nur die Lebensqualität der Patienten verbessern, sondern auch das Risiko von Folgeschäden erheblich mindern. Mittelmeerfieber, familiäre Form (FMF) [E85.0] OMIM (Erkrankung, Gene): 249100, 608107 (MEFV) Bei FMF handelt es sich um die häufigste familiäre Form von periodisch wiederkehrenden Fieberschüben, die vor allem im südlichen Mittelmeerraum auftritt. Der häufige, klassische FMF-Typ wird autosomal-rezessiv mit reduzierter Penetranz vererbt. Gehäuft tritt FMF bei Nordafrikanern, anatolischen Türken, irakischen Juden und Armeniern auf (Inzidenz z.B. bei Nordafrikanern 1 : 2.000, Heterozygotenfrequenz regional bis zu 20%). Erstmanifestationen zeigen sich in 70% der Fälle bereits vor dem 10. Lebensjahr in Form von kurzen, 3-5 Tage andauernden Fieberschüben, Pleuritis und Peritonitis, begleitet von Schmerzen in Gelenken, Muskeln und Abdomen. Unbehandelt führt in 12-40% der Fälle eine sekundäre Amyloidose zur Niereninsuffizienz. Die prophylaktische Gabe von Colchizin scheint die Symptome und das Amyloidoserisiko zu senken. Bei der klassischen Form des Mittelmeerfiebers konnten Mutationen im Marenostrin/Pyrin (MEFV-) Gen auf Chromosom 16 identifiziert werden, so Z ENTRUM FÜR H UMANGENETIK UND L ABORATORIUMSMEDIZIN Dr. Klein und Dr. Rost n LOCHHAMER STR . 29 82152 M ARTINSRIED Tel. +49.89.895578-0 n Fachinformation 41 (10/11) | Immungenetik dass eine frühzeitige Diagnose und entsprechende Behandlung möglich ist. Die meisten Fälle sind auf wenige, häufige Mutationen (Gründereffekt) zurückzuführen, die in Stufe I der Diagnostik erfasst werden. Trotz Mutationssuche in der gesamten kodierenden Region des MEFV-Gens ist in ca. 30% der Chromosomen von FMF-Patienten keine Mutation nachweisbar. Falls eindeutige klinische Symptome vorliegen, unterstützt der Nachweis einer heterozygoten MEFV-Mutation jedoch die klinische Diagnose FMF. Ein Therapieversuch mit Colchizin ist dann empfehlenswert. Hyper-IgD-und-periodisches-Fiebersyndrom (HIDS) [R77.1] OMIM (Erkrankung, Gene): 260920, 251170 (MVK) HIDS gehört zu den seltenen angeborenen periodischen Fiebersyndromen. Weltweit geht man von einigen hundert HIDS-Fällen aus. HIDS wird autosomal-rezessiv vererbt und manifestiert sich fast ausnahmslos in der frühen Kindheit, meist bereits im ersten Lebensjahr. Die Fieberschübe treten in der Regel alle 4 - 8 Wochen auf und dauern ca. 3 - 7 Tage. Sie werden typischerweise von einer zervikalen Lymphadenopathie, Arthritis/Arthralgien, einem masernähnlichen Exanthem sowie abdominellen Schmerzen mit Durchfall und Erbrechen begleitet. Meist gehen den spezifischen Symptomen ausgeprägte Kopfschmerzen und Schüttelfrost voraus. Die Entwicklung einer Amyloidose ist sehr selten. In der Regel liegt eine kontinuierlich bestehende Erhöhung der IgD- (und IgA-) Serumkonzentration auf über 100 IU/ml vor, bei etwa 20% der Fälle, v.a. bei kleinen Kindern, können die IgD-Spiegel jedoch auch innerhalb der Norm liegen. Für die Therapie des HIDS gibt es derzeit noch keine anerkannten Leitlinien. Neben nichtsteroidalen Antiphlogistika kommen zunächst Kortikosteroide während der Fieberschübe zum Einsatz. Ursache der Erkrankung sind Mutationen (v.a. Missense-Mutationen) im MVK-Gen, das für die Mevalonatkinase, ein Schlüsselenzym der Cholesterolbiosynthese, kodiert. Der Zusammenhang zwischen Defekt in der Cholesterolbiosynthese und autoinflammatorischem Krankheitsbild ist bislang noch unklar. Mit HIDS assoziierte Mutationen zeigen eine reduzierte Enzymaktivität, während Mutationen, die einen kompletten Funktionsverlust der MVK verursachen, zum schweren Krankheitsbild der Mevalonazidurie führen. Bei etwa 80% der HIDSPatienten liegt die Mutation V377I in Exon 11 in homozygoter Form oder in Kombination mit einer anderen Mutation vor. TNF-Rezeptor-1-assoziiertes periodisches Syndrom (TRAPS) [R50] OMIM (Erkrankung, Gene): 142680, 191190 (TNFRSF1A) TRAPS zählt zu den seltenen angeborenen periodischen Fiebersyndromen und wird autosomal-dominant (mit reduzierter Penetranz) vererbt. Im Mittel treten die ersten Symptome im 3. Lebensjahr auf, die Krankheit kann sich aber auch erst im Erwachsenenalter manifestieren. TRAPS kann Patienten jeden ethnischen Ursprungs betreffen. Klinisch ist die Erkrankung durch rezidivierende Fieberepisoden charakterisiert, die etwa 7 Tage, aber auch bis zu mehrere Wochen andauern können. Begleitet werden die Attacken häufig von starken abdominellen Schmerzen, Myalgien, Arthralgien, Konjunktivitis und/oder periorbitalem Ödem sowie einem migratorischen, erysipelartigen Erythem. Zwischen den Schüben sind die meisten Patienten symptomfrei. Eine subklinische Inflammation führt jedoch bei etwa 20% der unbehandelten bzw. spät diagnostizierten TRAPS-Patienten zu einer Amyloidose, die v.a. die Nieren betrifft. Symptomatische Therapie der Wahl sind Steroide, alternativ können Etanercept (löslicher TNF-Rezeptor) und Anakinra (IL-1 Rezeptorblocker) eingesetzt werden. Ursache der Erkrankung sind Mutationen im TNFRSF1A-Gen (TNF-Rezeptor-Superfamilie 1A), das für den Zellmembran-gebundenen Rezeptor TNFR1 (auch TNFR p55) kodiert. Bindung von TNF-α an den Rezeptor führt u.a. zu Zytokinsekretion, Leukozytenaktivierung und Fieber. Als negative Rückkopplung wird der extrazelluläre Anteil des Rezeptors nach Zentrum für Humangenetik dr. klein und dr. rost und LaboratoriumsmediZin n LocHHamer str. 29 n 82152 martinsried Fachinformation 41 (10/11) | Immungenetik Stimulation von der Oberfläche abgespalten (sog. Shedding) und fängt in löslicher Form freies TNF-α ab. Fast alle der über 70 bekannten Mutationen (überwiegend MissenseMutationen) befinden sich in den Exons 2 - 4 und 6, die für die ersten beiden extrazellulären Rezeptordomänen und die Spaltungsstelle kodieren. Cryopyrin-assoziierte periodische Syndrome (CAPS) [G03.1, G44.8, L50.8, M08.9, E85.0, L50.8] OMIM (Erkrankung, Gene): 120100 (FCAS),191900 (MWS), 607115 (NOMID), 606416 (NLRP3) Zu den CAPS zählen die früher separat geführten Erkrankungen: - familiäres Kälte-assoziiertes Syndrom (FCAS), - Muckle-Wells-Syndrom (MWS) - neonatal-onset multisystem inflammatory disease (NOMID) bzw. chronic infantile neurological cutaneous and articular syndrome (CINCA) Nachdem bei allen drei Syndromen Mutationen im NLRP3-Gen (auch NALP3/CIAS1) als Ursache identifiziert wurden, geht man davon aus, dass diese Erkrankungen unterschiedlich ausgeprägte klinische Schweregrade derselben pathophysiologischen Veränderung darstellen. CAPS werden autosomal-dominant vererbt, bei NOMID treten Mutationen überwiegend de novo auf. Es können alle Ethnien von CAPS betroffen sein. In Deutschland geht man von 2-7 neu diagnostizierten Patienten (im Alter ≤ 16 Jahren) pro Jahr aus. Erste auffällige Manifestation ist ein Urtikaria-ähnlicher Hautausschlag, der sich kurz nach der Geburt (NOMID) oder in der frühen Kindheit bei allen drei Erkrankungen entwickelt. Zusätzlich treten Fieberschübe auf, meist begleitet von Arthralgien, Kopfschmerzen, Müdigkeit und Konjunktivitis. Bei FCAS werden die Fieberschübe durch Kälteexposition ausgelöst und dauern meist bis zu 24 Stunden. MWS ist im weiteren Krankheitsverlauf (oft erst in der Adoleszenz) durch die Entwicklung eines progressiven sensorineuralen Hörverlustes charakterisiert. Bei etwa 25% der MWS-Patienten kommt es zu einer sekundären Amyloidose. NOMID zeigt den schwersten Phänotyp der CAPS. Faziale Auffälligkeiten wie eine prominente Stirn und Sattelnase sind beschrieben, typisch sind neurologische und artikuläre Symptome. Postnatal entwickelt sich häufig eine chronisch fortschreitende aseptische Meningitis, sensorineuraler Hörverlust und eine Optikusatrophie. Therapie der Wahl bei CAPS ist die gezielte IL-1 Blockade. Das NLRP3-Genprodukt Cryopyrin ist Schlüsselkomponente des Cryopyrin-Inflammasoms, ein zytoplasmatischer Proteinkomplex, der im Rahmen der angeborenen Immunantwort gebildet wird und die IL-1β-Produktion induziert. Mutationen im NLRP3-Gen führen, vermutlich durch eine konstitutive Aktivierung des Cryopyrins, auch in Abwesenheit exogener Stimuli zu einer erhöhten Produktion von IL-1β. Fast alle der bisher bekannten Mutationen sind in Exon 3 des NLRP3-Gens lokalisiert. Bei etwa 40-60% der Patienten mit klassischer klinischer Manifestation des NOMID-Syndroms werden allerdings keine Mutationen in der gesamten kodierenden Region des NLRP3-Gens gefunden. Indikation FMF: V.a. und DD FMF, rezidivierende Fieberschüben unklarer Genese, vor allem bei Bewohnern des südlichen und nordafrikanischen Mittelmeerraums, der jüdischen Bevölkerung Nordafrikas, des Irak, Armeniens und Ashkenazi-Juden HIDS: V.a. und DD HIDS, rezidivierende Fieberschübe unklarer Genese TRAPS: V.a. und DD TRAPS, rezidivierende Fieberschübe unklarer Genese CAPS: V.a. und DD CAPS, FCAS, MWS, NOMID, rezidivierende Fieberschübe unklarer Genese Anforderung/Versand GKV: weißer Überweisungsschein Nr. 10, Kennziffer 32010, Mutationsanalyse im jeweiligen Gen. PKV: formlos oder Anforderungsformular Molekulargenetik (blauer Untersuchungsauftrag) Zentrum für Humangenetik dr. klein und dr. rost und LaboratoriumsmediZin n LocHHamer str. 29 n 82152 martinsried Fachinformation 41 (10/11) | Immungenetik Schriftliche Einwilligungserklärung gemäß GenDG erforderlich. Versand über den normalen Postweg, auf Wunsch kostenlose Versandtüten bzw. Abholung Material 1 ml EDTA-Blut Methode Aus genomischer DNA werden die entsprechenden Abschnitte des jeweiligen Gens einschließlich der Exon/Intron-Spleißstellen amplifiziert und doppelsträngig sequenziert. Dauer der Untersuchung 3-4 Wochen Literatur FMF, HIDS, TRAPS, CAPS: Grumbt et al, Kinderärztliche Praxis 82:232 (2011) FMF: Booty et al, Arhtritis Rheum 60:1851 (2009) / Papadopoulos et al, Annals Hum Genet 72:752 (2008) / Giaglis et al, Clin Genet 71:458 (2007) / El-Shanti, Lancet 367:1016 (2006) HIDS: Mandey et al, Hum Mut 27:796 (2006) / Cuisset et al, Eur J Hum Genet 9:260 (2001) / Houten et al, Eur J Human Genet 9:253 (2001) / Drenth et al, Nat Genet 22:178 (1999) TRAPS: Kutukculer et al, Int J Immunogenet 37:21 (2010) / Lainka et al, Rheumatology (Oxford) 48:987 (2009) / Aganna et al, Arthritis Rheum 48:2632 (2003) / McDermott et al, Cell 97:133 (1999) CAPS: Yu et al, Curr Allergy Asthma Rep 11:12 (2011) / Cuisset et al, Ann Rheum Dis 70:495 (2011) / Lainka et al, Klin Padiatr 222:356 (2010) / Hoffman et al, Nat Genet 29:301 (2001) Entscheidungshilfe für die diangostische Vorgehensweise (adaptiert nach Gattorno et al. 2008, Arthritis Rheum 58:1823; Diagnostischer Score siehe Literaturangabe). Zentrum für Humangenetik dr. klein und dr. rost und LaboratoriumsmediZin n LocHHamer str. 29 n 82152 martinsried