Grundwasser – begrenzt aber lebensnotwendig

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Sibylle Reinfried
Grundwasser – begrenzt
aber lebensnotwendig
Hintergrundinformationen zum Beitrag „Alltagsvorstellungen – und wie man sie verändern kann“
Warum Grundwasser ein Thema
für den Unterricht ist
Obwohl das „unsichtbare“ Grundwasser
mit ca. 10 Mio. km3 mehr als das hundertfache Volumen des sichtbaren Oberflächenwassers umfasst und 30 % der globalen Süßwasservorräte im Grundwasser
gespeichert sind, spielt es im Bewusstsein
der meisten Menschen bisher kaum eine
Rolle. Und dies, obwohl die Trinkwasserversorgung in vielen Ländern größtenteils
aus Grundwasser erfolgt – so zum Beispiel
in Deutschland zu 73 %.
Um das Bewusstsein für einen vernünftigen Umgang mit dem kostbaren Element
zu schaffen, hat die Generalversammlung
der Vereinten Nationen das Jahr 2003 zum
„Internationalen Jahr des Süßwassers“ und
die Dekade 2005–2015 zur internationalen
Wasserdekade erklärt. Heute haben 1,1
Milliarden Menschen keinen Zugang zu
sauberem Trinkwasser. 2,6 Milliarden Menschen, 42 % der Weltbevölkerung, verfügen nicht über sanitäre Anlagen. Weltweit
werden nur 5 % der Abwässer gereinigt. In
den Entwicklungsländern sind 80 Prozent
der Krankheiten durch verseuchtes Wasser
oder fehlende Hygiene bedingt und jeden
Tag sterben 6000 Kinder daran.
Grundwasser ist eine lebensnotwendige
Ressource, deren Bedeutung im 21. Jahrhundert noch zunehmen wird. Der Wasserbedarf einer ständig wachsenden Weltbevölkerung kann nur gedeckt werden, wenn
Grundwasservorkommen vor Raubbau
und Verschmutzung geschützt werden.
Da Grundwasser nicht an Staatsgrenzen
Halt macht, muss sein Schutz auf internationaler Ebene geschehen, zum Beispiel
durch die Umsetzung der in der Agenda 21
vorgeschlagenen Maßnahmen zum Schutz
des Grundwassers. Damit Menschen für
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Grundwasserschutz motiviert werden können, müssen sie mehr über das Thema im
Allgemeinen, aber auch über Vorkommen,
Bildung, Wege der Verschmutzung und
Übernutzung von Grundwasser wissen.
Der Geographieunterricht mit seinen geowissenschaftlichen, wirtschafts-, wie sozialwissenschaftlichen Bezügen ist dafür der
geeignete Ort.
Über Grundwasservorkommen
in der Natur
Grundwasser fließt nur zu einem ganz geringen Teil frei im Untergrund in Höhlensystemen oder Spalten. Der größte Teil befindet sich im Porenraum von Gesteinen,
die auf den ersten Blick einen kompakten
Eindruck machen. Unter dem Begriff Pore
versteht man kleine, offene Hohlräume in
Lockergesteinen, wie Sand oder Kies, oder
in festen Gesteinen, wie Sandsteinen und
Konglomeraten (s. Abb. nächste Seite).
Die Porosität ist das gesamte Volumen der
offenen Hohlräume in einem Gestein und
wird in % angegeben. Wenn ein Sandstein
eine Porosität von 30 % hat, dann bedeutet dies, dass er zu 30 % aus Hohlräumen
besteht. Damit Wasser in einem porösen
Gestein fließen kann, müssen diese Hohlräume durch kleine Kanäle miteinander
verbunden sein (s. Abb. nächste Seite).
Das Maß für die Durchlässigkeit eines solchen Netzwerks von Öffnungen im Gestein
nennt man die Permeabilität. Je mehr Verbindungen zwischen den Poren bestehen,
je größer der Durchmesser der Verbindungen und je gerader ihr Verlauf ist, desto
größer ist die Permeabilität. Porosität und
Permeabilität sind also nicht dasselbe. Eine grundwasserführende Gesteinsschicht,
ein so genannter Grundwasserleiter (auch
Aquifer genannt), ist also ein unterirdisches
Wasserreservoir, das aus porösem, permeablem Gestein besteht. Nach solchen Gesteinen suchen die Fachleute, wenn sie
Brunnen bohren wollen.
Wenn ein Grundwasserleiter von einer
wasserundurchlässigen Schicht (einem
Grundwasser-Nichtleiter) unterlagert wird,
dann wirkt dieser als Wasserstauer, d. h.
er verhindert das weitere Versickern des
Grundwassers in tiefer liegendes poröses
Gestein. Grundwasserleiter können bis zur
Erdoberfläche reichen oder oben und unten von wasserundurchlässigen Schichten begrenzt werden. Der Porenraum eines nach oben freien Grundwasserleiters
ist in der Regel nicht vollständig mit Wasser gefüllt. Die Grenze zwischen wasserund luftgefülltem Porenraum nennt man
die Grundwasseroberfläche. Die Lage der
Grundwasseroberfläche hängt stark von
den Niederschlägen, von der Verdunstung
und von den vorhandenen Oberflächengewässern einer Region ab. Dort wo das
Grundwasser die Landoberfläche schneidet, tritt es in Form von Quellen zutage
oder es wird zu Oberflächenwasser mit Abfluss in Flüssen, Bächen, Seen und Sümpfen (s. Abb. am Ende d. Beitrags).
Die Wasseroberflächen von Seen und
Flüssen stehen folglich in enger Wechselwirkung mit den Grundwasservorkommen.
Führt ein Fluss Niedrigwasser, so fließt
Grundwasser aus dem Grundwasserkörper in das Oberflächengewässer; führt der
Fluss Hochwasser, dann sickert Flusswasser in das Grundwasser.
Die Fließgeschwindigkeiten des Grundwasserstromes betragen durchschnittlich
0,01 m bis 1,4 m pro Tag, das entspricht
einer Strecke von 4 m bis 500 m pro Jahr.
Im Vergleich dazu liegen die Fließgeschwindigkeiten von Flüssen mit großem Gefälle
geographie heute 244 | 2006
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bei ca. 30 km pro Stunde, was einen Weg
von 260.000.000 m pro Jahr ergibt. Grundwasser bewegt sich also viel langsamer als
Oberflächenwasser, da es sowohl durch Gesteinsschichten hindurch sickern als auch
im verzweigten und gewundenen Porensystem weite Wege zurücklegen muss. Zusätzlich wird seine Geschwindigkeit durch
Reibung und/oder elektrostatische Anziehungskräfte verringert.
Durch schnelle Wasserentnahme, wie
beispielsweise das Pumpen von Grundwasser aus einem Brunnenschacht oder
Bohrloch, sinkt die Grundwasseroberfläche ab. Gleichzeitig nimmt die das Bohrloch umgebende Grundwasseroberfläche die Form eines nach unten gerichteten Kegels, eines Absenkungstrichters
ein, dessen Spitze im Brunnenloch liegt.
Wird mehr Wasser aus einem Grundwasservorkommen herausgepumpt, als sich
neu bilden kann, dann kommt es zu einer
Grundwasserabsenkung, bis das Reser-
zum thema
voir erschöpft ist. Ein leergepumptes Reservoir benötigt je nach klimatischen und
geologischen Bedingungen Ruhephasen
von 100 bis 1000 Jahren zur Erholung.
Wegen dieser langen Zeitspannen sollte
man Grundwasser als nicht-erneuerbare
Ressource behandeln. Dies trifft ganz besonders auf die semiariden und ariden Gebiete zu. Weil Grundwasser und Oberflächengewässer zusammenhängen, sinken
bei übermäßiger Grundwasserentnahme
auch Fluss- und Seespiegel, Quellen und
Sumpfgebiete trocknen aus. Das Grundwasser hält durch seinen Druck die Poren
im Grundwasserspeicher offen. Wird es
herausgepumpt, dann füllen sich die Poren mit Luft. Luft kann komprimiert werden,
die Poren fallen zusammen. Die betroffene
Gesteinsschicht kann nicht nur ihren Wert
als Grundwasserspeicher verlieren, auch
die darüber liegende Landoberfläche mit
den sich darauf befindenden Gebäuden
kann sich absenken. Ein berühmtes Bei-
spiel hierfür ist der schiefe Turm von Pisa.
Auf seinem Weg durch den Boden und
die porösen Gesteine wird das Sickerwasser gefiltert. Grundwasserverschmutzung
tritt ein, wenn aus Abfalldeponien verschmutztes Wasser in das Grundwasser
einsickern kann, wenn Flüsse oder Seen
durch Einleiten von Abwasser oder durch
den Schiffsverkehr verschmutzt werden.
Darüber hinaus führen Düngestoffe, die
sich im versickernden Niederschlagswasser lösen, auf Straßen und Autobahnen
auslaufende Chemikalien, Öl und Benzin
sowie gelöstes Streusalz zu Verschmutzung. Die Verunreinigung bewegt sich mit
dem Grundwasserstrom und breitet sich
unterirdisch im Grundwasserleiter aus.
Das Grundwassermodell
Alle hier beschriebenen Phänomene können mit dem Grundwassermodell (s. Abb.
Beispiele für poröse und permeable bzw. impermeable Gesteinsstrukturen
Porenraum
Hohe Porosität
Hohe Permeabilität
Risse/Klüfte
Geringe Porosität
Quelle: Owen at al., 2001; verändert
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Wasser
1 mm
Keine Permeabilität
1 mm
Quelle: Marshak, 2005; verändert
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nächste Seite) sichtbar gemacht und
verdeutlicht werden. Das Modell besteht
aus einem Plexiglascontainer, der mit Lockersedimenten (Kies, Sand, Schluff und
gemahlenem Ton) gefüllt wird. Auf diese
Weise wird ein vertikaler Ausschnitt eines
aus geschichteten Lockergesteinen bestehen Untergrunds nachgebildet. Zwei quaderförmige Behälter rechts und links des
Modells dienen dem Wassereintritt, bzw.
-austritt. Zwei Vertiefungen im Modell stellen einen See oder Fluss und eine Mulde
dar. Wird das Modell mit Wasser gefüllt,
dann erkennt man nicht nur, dass sich das
Wasser im Porenraum der Sedimente ausbreitet und ihn ausfüllt; sichtbar wird auch,
dass der See- oder Flussspiegel und die
Grundwasseroberfläche miteinander verbunden sind. Vertikal verlaufende Plexiglasröhrchen haben die Funktion von
Probebohrungen oder Brunnenschächten. Über sie können mittels einer Spritze
Verunreinigungen eingebracht und so die
Ausbreitung von Grundwasserverschmutzungen sichtbar gemacht werden. Die
Grundwasseroberfläche und der Seespiegel können über zwei Abflüsse manipuliert
werden. Durch das Zufügen oder Ablassen von Wasser und durch das Absaugen
von Wasser aus den „Bohrlöchern“ können
Grundwasserabsenkungen und -anstiege
sichtbar gemacht werden.
Literatur
Erklärung von Bern (2003): UNO Jahr des
Wassers und GATS-Liberalisierungsrunde: ein Widerspruch; www.evb.ch/index.
cfm?page_id=1922, 13. 02. 2006
Harnischmacher, S. (2004): Hydrogeologie in
der Plastikbox. Ein einfaches Grundwassermodell für den Schulunterricht. geographie
heute H. 218, S. 24–29.
Hölting, B. und W. G. Coldewey (2005):
Hydrogeologie. Heidelberg.
Marshak, S. (2005): Earth: Portrait of a Planet.
New York.
Owen, C., Pirie, D. und G. Draper (2001): Earth
Lab. Exploring the Earth Sciences. Pacific
Grove.
Todd D. K. und L. W. Mays (2005): Groundwater Hydrology. Hoboken, NY.
United Nations (2001): International Year of
Freshwater, 2003, Resolution A/55/196;
www.un.org/events/water/; 13. 02. 2006
United Nations Department of Economic and
Social Affaires (2003): Agenda 21, Chapter
18, Protection of the Quality and Supply of
Freshwater Resources: Application of Integrated Approaches to the Development,
Managment and Use of Water Resources,
18.40D; www.un.org/esa/sustdev/documents/agenda21/; 13. 02. 2006
United Nations (2006): Interantional Decade
for Action ‚Water for Life’ 2005–2015; www.
un.org/waterforlifedecade/; 04. 05. 2006
Williams, R. (2002) Rivers Project. Groundwater models; www.siue.edu/OSME/river/
Ordering%20Materials/groundwater.htm;
04. 05. 2006.
Pädagogische Hochschule Ludwigsburg,
Reuteallee 46, D-71634 Ludwigsburg, E-mail:
[email protected]
Dank
Ich danke Herrn Prof. Dr. Herbert Lang vom
Institut für Klima und Atmosphäre an der ETH
Zürich für die Durchsicht der fachwissenschaftlichen Ausführungen zum Thema Grundwasser.
Das Grundwassermodell kann bei Prof. em.
Dr. Robert Williams von der Southern Illinois
University in Edwardsville (IL, USA), E-Mail:
[email protected] (www.siue.edu/OSME/river),
bestellt werden. Er hat das Modell entwickelt.
Es kostet US$ 160,– (ohne Porto). Zusätzlich
erhältlich sind englischsprachiges Unterrichtsmaterial („H2O Below“; US$ 12,–) sowie ein Set
mit Zubehör, mit dem verschiedene Grundwasserexperimente durchgeführt werden können
(„H2O Below Activity Kit“; US$ 100,–) Die Firma
ecovia – angewandte Ökologie vertreibt das
Modell in der Schweiz (Projektleiter Fredy
Vetter, Hackenrüti 8, CH-6110 Wolhusen,
E-Mail: [email protected]; www.grundwasser.
ch). Sie bietet es in Form eines Koffers mit
verschiedenem Zubehör (z. B. Versuchsanleitungen, Experimentiermaterial, Video, CD)
zum Preis von € 1.600,– an. Das Modell kann
dort auch zum Preis von SFr. 31,– ausgeliehen
werden. Schulen, denen keine finanziellen
Mittel für die Anschaffung des Modells zur Verfügung stehen, können die Eigenschaften von
Grundwasser in stark vereinfachter Form mit
dem selbst zu bastelnden Modell von Stefan
Harnischmacher in geographie heute H. 218
(2004), S. 24–26, simulieren.
Autorin
Prof. Dr. Sibylle Reinfried, Professur für
Geographie und ihre Didaktik, Schwerpunkt
Physische Geographie und Umweltbildung,
Quelle: Owen et al., 2001; verändert
Grundwasser und Gelände
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geographie heute 244 | 2006
Inhalt
Übersicht
zum thema
Quelle: ecovia – angewandte Ökologie; Unterrichtshilfe Grundwasser S. 1,
www.grundwasser.ch
Quelle: ecovia – angewandte Ökologie; Unterrichtshilfe Grundwasser S. 6,
www.grundwasser.ch
Grundwassermodell mit Wechsellagerung von Lockersedimenten unterschiedlicher Korngröße und Permeabilität
Das Grundwassermodell in Aktion: Mit Filzstift ist die Lage unterschiedlicher Grundwasseroberflächen eingezeichnet, die sich jeweils durch verschiedene Manipulationen ergeben haben. Verschmutztes Wasser dringt aus dem See/Fluss ins Grundwasser ein. Die Verschmutzung breitet sich
im grobkörnigen Sediment schneller aus als im feinkörnigen. Die „Bohrlöcher“ werden durch Farblösungen sichtbar, die sich ebenfalls in Abhängigkeit von der Korngröße im umliegenden Lockergestein ausbreiten.
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