Dielektrische Werkstoffe

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63
6
6.1
Messung der relativen Permittivität εr und des
Verlustfaktors tan δ von Isolierstoffen bzw.
Dielektrika
Einführung
Die relative Permittivität εr bestimmt die Erhöhung des Kapazitätswertes von beliebigen, spannungsführenden Elektroden bei Einlagerung eines Isolierstoffes. Die Kapazität bestimmt vor
allem die Größe des Wechselstroms und die gespeicherte Blindleistung. Im Isolierstoff werden aber aufgrund der sehr geringen elektrischen Restleitfähigkeit, der Relaxation und der Reibung der verschobenen elektrischen Ladungsträger und Dipole auch Wirkleistungsverluste verursacht, die durch den Verlustfaktor tan δ beschrieben werden. Der Winkel δ ist die Abweichung des Phasenwinkels φ, den der kapazitive Strom, im idealen Fall mit 90◦ , gegenüber der
sinusförmigen Wechselspannung zeigt. Die Stärke eines elektrischen Feldes hängt nicht nur von
Material
εr
Epoxidharz
3,7
Glas
10
Luft
1
Polystyrol
2,5
Wasser
80
Polyäthylen
2,3
Transformatoröl
2,5
Tabelle 6.1: Relative Permittivität verschiedener Materialien
der verursachenden Ladung Q und dem Abstand zwischen dem Ort der Ladung und dem Bezugspunkt ab, sondern auch gravierend von dem Stoff, von welchem die Ladung umgeben ist.
Anhand der elektrischen Flussdichte D, sowie der Stärke des elektrischen Feldes E, ergibt sich
diese Abhängigkeit des Stoffes und wird allgemein als Permittivität ε bezeichnet.
As
m2
V
m
→
−
→
−
D =ε· E
⇒
[D]
[ε] =
=
[E]
ε = ε0 · εr
mit
ε0 = 8, 854 · 10−12
=
As
Vm
As
Vm
(6.1)
(6.2)
64
6.1 Einführung
Die relative Permittivität εr bestimmt die Erhöhung des Kapazitätswertes von beliebigen, spannungsführenden Elektroden, bei Einlagerung eines Isolierstoffes. Die Tabelle 6.1 zeigt Beispiele
für die relative Permittivität.
6.1.1
Polarisationsarten
Ist zwischen zwei wechselspannungsführenden Elektroden Materie eingebracht, so werden in
der Materie elektrische Dipole erzeugt, sowie schon vorhandene in Feldrichtung ausgerichtet.
Im Atom selbst werden Ladungen verschoben — diesen Vorgang bezeichnet man als elektrische
Polarisation.
Die Polarisationsarten werden in drei Gruppen unterschieden:
Elektronenpolarisation: Die Elektronenpolarisation tritt in allen Isolierstoffen auf. Ursache
dieser Polarisation ist, dass ein äußeres, elektrisches Feld die Schwerpunkte der positiven
und negativen Ladungen im Atom gegeneinander verschiebt. Stoffe, bei denen diese Art
die einzige Polarisation bewirkt, werden als unpolare Dielektrika bezeichnet.
Materialien: Polyäthylen, Polystyrol, Polypropylen, etc.
Orientierungspolarisation: Viele Materialien sind aus Molekülen aufgebaut, die bereits ein
permanentes Dipolmoment beinhalten. Diese Materialien erscheinen wegen der statisch
räumlichen Verteilung, der permanenten Dipole, aufgrund der Wärmebewegung, als elektrisch neutral. Das Anlegen eines äußeren elektrischen Feldes bewirkt eine Ausrichtung
dieser Dipole. Stoffe mit diesen Eigenschaften werden als polare Dielektrika bezeichnet.
Materialien: Kautschuk, Epoxidharz, Phenolharz, Silikon, etc.
Ionenpolarisation: In Materialien, welche als Kristallgitter bestehend aus Ionen aufgebaut
sind, bewirkt das Anlegen eines äußeren Feldes eine Verschiebung der positiven, sowie
der negativen Ionen gegeneinander, sodass Dipole im Material entstehen.
Materialien: Keramik, Glas, Porzellan, etc.
6.1.2
Ersatzschaltbild eines Kondensators
Abbildung 6.1 zeigt das vereinfachte Ersatzschaltbild sowie das Zeigerdiagramm eines Kondensators. Das Verhältnis von Strom i und Spannung u an einer verlustbehafteten Kapazität bei
einem sinusförmigen, sich zeitlich verändernden Spannungsverlauf kann durch einen komplexen Leitwert Y ausgedrückt werden.
Y = G− + G∼ + jBC
= G− + G∼ + jωC
(6.3)
65
6.1 Einführung
iC
iG
Im
BC
uC(t)
îC
îCK
iCK
G~
d
G-
j
îG
ûC
Re
Abbildung 6.1: Ersatzschaltbild und Zeigerdiagramm eines Kondensators
G
1
= d = tan δ =
Q
BC
G
=
ωC
(6.4)
Der tan δ wird auch als Verlustfaktor d gleichbedeutend mit dem Kehrwert des Gütefaktors Q
bezeichnet. G− und G∼ sind die Verlustleitwerte (Gleich- bzw. Wechselstromanteil).
6.1.3
Komplexe relative Permittivität
Verwendet man generell eine komplexe relative Permittivität, die auf die verlustfreie Kapazität
des Vakuums des jeweiligen Kondensators aufgeprägt wird, so ergibt sich mit der Definitionsgleichung:
ȲC = jω · C0 · ε̄r
mit
εr = ε0r
ε̄r = ε0r − jε00r =
und
tan δ =
ε00r
ε0r
C
G
−j
C0
ω · C0
(6.5)
(6.6)
Die verschiedenen Polarisationsmechanismen führen zu einer Frequenzabhängigkeit der komplexen Größe ε̄r oder εr und tan δ. Für εr entsteht vor allem ein Abfall mit steigender Frequenz
durch die Relaxation – das heißt durch die verzögerte Einstellung der Dipole gegenüber dem
äußeren elektrischen Feld. Wenn ω < 1/τ d.h. T > τ (T =Periodendauer; τ =Relaxationszeit)
ist, dann haben die Dipole genügend Zeit zur Ausrichtung und erreichen annähernd statische
Werte. Mit steigender Frequenz können die Dipole dem äußeren Wechselfeld nicht mehr folgen
und εr sinkt auf Werte der Elektronenpolarisation.
Mit folgender Gleichung kann εr beschrieben werden:
εr = εrn +
εrv − εrn
1 + (ω · τ )2
(6.7)
66
6.2 Vorbereitungen
Hierbei steht εrn für εr bei Elektronenpolarisation und εrv bei Dipol- oder Orientierungspolarisation.
6.1.4
Ursachen der Verlustgrößen
Restleitfähigkeit Bei niedrigen Frequenzen wird die Restleitfähigkeit, ausgedrückt durch den
Gleichstromleitwert G− , wirksam.
G_ = γ ·
A
d
mit
10−16
S
S
≤ γ ≤ 10−12
cm
cm
tan δ1 =
G_
ω·C
(6.8)
Hierbei steht A für die Fläche und d für den Abstand
Relaxation Bei hohen Frequenzen werden die Verluste verstärkt durch die Relaxation erzeugt.
Die verzögerte Einstellung der Dipole beeinflusst direkt den Phasenwinkel ϕ und damit
auch den Winkel δ: 90◦ = ϕ + δ.
Die maximalen Verluste werden für ωmax =
ε00r
6.2.1
erreicht.
und tan δ werden durch folgende Formeln beschrieben:
ε00r =
6.2
1
τ
ω · τ · (εrv − εrn )
1 + (ω · τ )2
tan δ2 =
ω · τ · (εrv − εrn )
εrv + εrn · (ω · τ )2
(6.9)
Vorbereitungen
Allgemein
Bereiten Sie sich mit Hilfe der Einleitung, den Vorlesungsunterlagen und mit weiteren Quellen (Bibliothek, Internet) ausführlich vor. Sollten Fragen offen bleiben, wenden Sie sich bitte
rechtzeitig an einen Betreuer oder Herrn Schneider, R. -1325, WA 73.
6.2.2
Fragen zur Vorbereitung
Beantworten Sie bitte zur Vorbereitung dieses Versuches schriftlich folgende Fragen:
1. Erläutern Sie bitte folgende Begriffe:
• elektrisches Feld
• elektrische Ladung
• elektrische Flussdichte
• Permittivität ε0 , εr und ε
67
6.3 Versuchsdurchführung
• Dipol
• Relaxation
• Kapazität
2. Leiten Sie ausgehend von der Formel Q = D · A die Kapazität eines Plattenkondensators,
der Fläche (A) und dem Abstand der Platten (d), her.
3. Was ist der Unterschied zwischen tan δ und ϕ?
4. Es sind folgende Funktionen mit halblogarithmischem Frequenzmassstab von 10Hz bis
100kHz, also über 4 Dekaden, grafisch darzustellen.
(a) εr = εrn +
(b) tan δ1 =
(c) tan δ2 =
εrv −εrn
1+(ω·τ )2
γ
ω·εr ·ε0
ω·τ ·(εrv −εrn )
εrv +εrn ·(ω·τ )2
Gegeben sind folgende Werte:
τ = 10 · 10−6 s; γ = 10−12
S
;
cm
εrn = 2; εrv = 4; εr = 3; ε0 = 8.85419 · 10−12
As
Vm
Nutzen Sie folgende Rechenwerte für die Frequenz f :
f
|0.010; 0.020; 0.050; 0.100; 0.200; 0.500; 1; 2; 5; 10; 20; 50; 100
kHz
Es ist möglich, diese Kurven auf einem DIN-A4-Blatt darzustellen; allerdings mit unterschiedlichen Massstäben auf Ordinate und Abszisse.- Ordinate:linear ; Abszisse:logarithmisch,
mit vier Dekaden.
6.3
Versuchsdurchführung
Im Praktikum wird ein sehr genaues digitales RLC-Messgerät verwendet. Der Verlustfaktor
tan δ wird direkt angezeigt (DF-Dissipation Factor), während εr mit Hilfe der Messergebnisse
des mit Materie gefüllten Kondensators errechnet werden muss – Der Plattenabstand bei Luft
wird durch die Dicke des Materials vorgegeben. Bei der Kapazitätsmessung muss berücksichtigt werden, dass am Eingang der Brücke außer der gesuchten Kapazität der Elektroden – es
handelt sich um einen Plattenkondensator – auch die Kapazität der Zuleitung und des Probenkondensatorgehäuses mit erfasst wird. Diese Fehlkapazität CF ist unabhängig von der Frequenz
und muss selbstverständlich bei der Auswertung berücksichtigt d. h. abgezogen werden.
6.3.1
Ermitteln der Fehlkapazität des ausschließlich mit Luft gefüllten
Plattenkondensators
Bevor die Kapazität eines Kondensators ermittelt werden kann, muss die Fehlkapazität CF zunächst erfasst werden.
68
6.3 Versuchsdurchführung
Die Fehlkapazität kann mit folgenden Schritten ermittelt werden:
Es ist bekannt, dass sich die Kapazität eines Kondensators verkleinert, wenn der Plattenabstand
größer wird. Die Kapazität am Versuchsaufbau ergibt sich zu
C=
ε·A
+ CF
d
(6.10)
Wird der Abstand nun vergrößert, so ist für den Grenzübergang d → ∞:
lim C =
d→∞
ε·A
+ CF = 0 + CF = CF
∞
(6.11)
Bei einem größeren Plattenabstand geht die Kapazität des Plattenkondensators gegen Null und
es bleibt CF übrig. Im Praktikum wird folgendermaßen verfahren : es soll die Kapazität CgemL
in Abhängigkeit des Plattenabstandes d gemessen und in einer Tabelle zusammengefasst werden. In einem Diagramm wird dann die Kapazität CgemL über
funktion CgemL =
f ( d1 )
wird bis
1
d
1
d
aufgetragen. Diese Geraden-
= 0, d.h. bis d → ∞ extrapoliert. Am Schnittpunkt des
Grafen mit der Ordinate lässt sich die Störkapazitat CF ablesen.
Erhöhen Sie den Abstand der Platten entsprechend der Angaben in der Tabelle 6.2 und notieren
Sie die Kapazitätswerte und berechnen Sie den inversen Plattenabstand. Tragen Sie C = f ( d1 )
auf und ermitteln Sie CF durch Interpolation.
Plattenabstand d/ mm Kapazität CgemL / nF
1
/ 1
d mm
0,3
0,5
0,7
0,8
0,9
1
1,5
2
4
6
Tabelle 6.2: Kapazität C als Funktion des Plattenabstandes d
69
6.3 Versuchsdurchführung
Die Größe der Fehlkapazität beträgt CF =
6.3.2
Ermitteln der relativen Permittivität εr verschiedener Dielektrika
Bei verschiedenen Kunststoffproben sollen bei einer Frequenz von f0 = 1 kHz die Kapazitätswerte CgemL und CgemM für Luft und für Material als Dielektrikum gemessen und in Tabelle
6.3 eingetragen werden. Der Verlustfaktor tan δ wird direkt abgelesen und ebenfalls notiert.
Im Anschluss sind die Werte von εr zu berechnen. Achtung: bei der Errechnung der relativen
Permittivität muss die Fehlkapazität CF berücksichtigt werden. Ordnen Sie den einzelnen Materialien die entsprechenden Polarisationsmechanismen zu.
Die relative Dielektrizitätskonstante wird durch folgende Formel bestimmt:
εr =
6.3.3
CgemM − CF
CgemL − CF
(6.12)
Ermitteln der Frequenzabhängigkeit der relativen Permittivität εr
bei zwei verschiedenen Dielektrika
Messen Sie die Kapazitäten CgemM und CgemL und den Verlustfaktor tan δ von zwei, in den
Plattenkondensator, eingespannten Proben in Abhängigkeit von der Frequenz. Ermitteln Sie aus
den gemessenen Werten εr und tragen Sie Ihre Ergebnisse in die Tabelle 6.4 ein. Der Abstand
70
6.3 Versuchsdurchführung
Material
CgemM / nF
tan δ
CgemL / nF
εr
Polarisationsmechanismus
Tabelle 6.3: Polarisationsmechanismen dielektrischer Materialien
d bei der Messung mit Luft muss den selben Abstand aufweisen wie die Materialdicke. D.h.
Messen Sie CgemM , entnehmen Sie dann das Material und messen Sie nun CgemL .
Die relative Dielektrizitätskonstante wird durch folgende Formel bestimmt:
εr =
CgemM − CF
CgemL − CF
(6.13)
Die Einstellung der Frequenz am RLC Meter erfolgt bei abgeschaltetem Messzyklus (Stop)
nach Anwahl des entsprechenden Menüpunkts durch Betätigung der Program-Taste und zweimaligem Drücken der Taste →. Im Anschluss lässt sich die Frequenz über die Pfeiltasten ↑ und
↓ variieren. Die Änderung ist über die Taste Program abzuschließen.
Zeichnen Sie die Funktion εr = f (f ) beider Proben in das vorbereitete Diagramm 6.2, sowie
die Funktion tan δ = f (f ) beider Proben in das vorbereitete Diagramm 6.3. Beschriften Sie
beide Diagramme. Achten Sie darauf, dass die Skalierung das Eintragen beider Materialproben
ermöglicht.
1.000.000
500.000
200.000
100.000
50.000
20.000
10.000
5.000
2.000
1.000
500
200
100
50
20
f / Hz
CgemM 1 / nF
CgemL1 / nF
εr1
CgemM 2 / nF
tan δ2
Probe 2: Pertinax
Tabelle 6.4: Frequenzabhängigkeit der relativen Permittivität
tan δ1
Probe 1: Hart-PVC
CgemL2 / nF
εr2
6.3 Versuchsdurchführung
71
6.3 Versuchsdurchführung
Abbildung 6.2: Frequenzabhängigkeit der relativen Permittivität εr
72
6.3 Versuchsdurchführung
Abbildung 6.3: Frequenzabhängigkeit des Verlustwinkels tan δ
73
6.3 Versuchsdurchführung
74
Diskutieren Sie die Diagramme der einzelnen Proben. Worin und warum unterscheiden sie sich?
Welche Polarisationsarten liegen vor?
6.3.4
Spezifikation verschiedener Kondensatoren
Am Praktikumsplatz finden Sie eine Reihe verschiedener Folienkondensatoren sowie die zugehörigen Datenblätter vor. Vermessen Sie die vorhandenen Kondensatoren (C, tan δ) bei f =
1 kHz und vergleichen Sie die Werte mit den vorgegebenen Abweichungen im Datenblatt. Welches Dielektrikum wird für den jeweiligen Typ verwendet und was sind die Einsatzgebiete?
Protokollieren Sie Ihre Ergebnisse in Tabelle 6.5.
Gibt es einen Zusammenhang zwischen den eingesetzten Dielektrika und den Einsatzgebieten/Anwendungen?
Typ
CSoll / µF
CM ess / µF
∆C/%
Dielektrikum
Tabelle 6.5: Spezifikation verschiedener Kondensatoren
tan δM ess
Anwendung
Bemerkung
6.3 Versuchsdurchführung
75
6.4 Literatur
6.4
76
Literatur
[1] C LAUSERT, H. ; W IESEMANN, G. : Grundgebiete der Elektrotechnik 1. 8. Auflage. München, Wien : Oldenbourg, 2003
[2] M ÜNCH, W. : Werkstoffe der Elektrotechnik. 6. Auflage. Stuttgart : Teubner, 1989
[3] KORIES, R. ; S CHMIDT-WALTER, H. ; KORIES, R. (Hrsg.): Taschenbuch der Elektrotechnik. 3. Auflage. Thun, Frankfurt am Main : Verlag Harri Deutsch, 1998
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