Kapitel 19 Relativistische Mechanik Die Newton’schen Bewegungsgleichungen sind invariant unter Galilei- Transformationen, nicht jedoch unter Lorentz-Transformationen. Das Relativitätsprinzip verlangt daher eine Modifikation der Newton’schen Gleichungen, und zwar derart, daß bei Geschwindigkeiten v c die Newton’schen Gleichungen gültig bleiben. 19.1 Impuls und Energie Wir betrachten zunächst ein freies Teilchen. Seinen Newton’schen Impuls dr dt erweitern wir zu einem Vierer-Impuls, dessen Komponenten durch p = m0 p µ dxµ m0 = m0 = m 0 uµ = p (c, v) dτ 1 − β2 (19.1) (19.2) gegeben sind, wobei τ die Eigenzeit des Teilchens in seinem Ruhsystem ist und uµ die Vierergeschwindigkeit. m0 is die Ruhemasse. Ruheenergie Wir entwickeln m0 c2 1 c p0 = p = m0 c2 + m0 v 2 + . . . 2 1 − β2 (19.3) in Potenzen von β 2 . Im nicht-relativistischem Limes β → 0 erkennen wir mo v 2 /2 als die kinetische Energie und nennen daher m0 c2 die Ruheenergie und E = c p0 (19.4) als die relativistische Gesamtenerige. Energie-Impuls Beziehung Die Länge eines Vierer-Vektors ist eine Lorentz-Invariante: 2 E − p2 = pµ pµ = m20 c2 , E 2 = m20 c4 + p2 c2 . c 168 (19.5) Bindungsenergien von Atomen und Kernen Für das Deuteron entspricht die Massendifferenz ∆m = mp + mn − md ≈ 3.5 · 10−27 g (19.6) d = ∆m c2 ≈ 2.2M eV, (19.7) einer Energie welche gerade die Bindungsenergie des Deuterons ist. In Atomen ist die Bindungsenergie um Größenordnungen geringer: aus mp + me − mH ≈ 2.4 · 10−32 g (19.8) folgt für die Bindungsenergie H ≈ 13.5eV. (19.9) Trägheitsgesetz Das Newton’sche Trägheitsgesetz, wonach p = const (19.10) für ein freies Teilchen gilt, verallgemeinern wir auf pµ = const; µ = 0, 1, 2, 3, (19.11) fordern also zugleich mit der Erhaltung der räumlichen Komponenten auch die Konstanz der 0. Komponente, der Energie. 19.2 Bewegungsgleichungen In Verallgemeinerung der Newton’schen Kraft-Definition führen wir im Minkowski-Raum eine Vierer-Kraft ein durch ihre Komponenten: Kµ = dpµ dpµ = γ(v) . dτ dt (19.12) Dabei ist dτ im momentanen Ruhsystem des Teilchens als differenzielle Eigenzeit erklärt. Die Raum-Komponenten von (19.12) ergeben die relativistische Verallgemeinerung der Newton’schen Bewegungsgleichungen: dp = K dt wobei K z.B. für die Lorentz-Kraft (6.24) steht. Mit (19.2) können wir auch d d γ m(v)v ≡ γ m0 γ(v)v = K dt dt 169 (19.13) (19.14) schreiben, wobei m0 die Ruhemasse und m(v) die relativistische Masse darstellt. Die Gleichung (19.14) zeigt, daß Teilchen der Ruhemasse m0 6= 0 die Geschwindigkeit v = c nicht erreichen können, da wegen m(v) → ∞ (19.15) für v → c dazu eine ∞-große Energie nötig wäre. 19.3 Lorentz-Transformation der Kraft Da Kµ die Komponenten eines Vierer-Vektors sind, gilt für die Transformation vom momentanen Ruhsystem Σ auf ein anderes Inertialsystem Σ0 mit der speziellen Transformation (18.8): K 0 − βK 1 , K 00 = p 1 − β2 K 1 − βK 0 K 01 = p , 1 − β2 K 02 = x2 , K 03 = x3 . (19.16) Für die dreier-Komponente gilt demnach ~0 = K ~ ⊥; K ⊥ ~ 0 = γ(v) K ~ k. K k (19.17) Lorentz-Kraft Wir wollen nun prüfen, ob die für die Praxis äußerst wichtige Lorentz-Kraft der Forderung der Kovarianz genügt, ob also v dp = q(E + × B) = K dt c in jedem Inertialsystem als Bewegungsgleichung eines Teilchens mit Masse m0 , m0 (v)v benutzt werden darf. Der nicht-relativistische Ausdruck für die Arbeit (19.18) dE = K·v = qE·v . dt Wie schreiben (19.18), (19.19) auf den Vierer-Formalismus um: 0 Ex Ey Ez c dpµ dpµ q q 0 Bz −By Ex vx γ = γ = F µν uν = 0 Bx vy dτ dt c c Ey −Bz Ez By −Bx 0 vz (19.18) Impuls ist mit (19.19) (19.20) mit dem Feldstärketensor F µν = gνσ F µσ (siehe (18.23)). Wegen der Lorentz-invarianz des Feldstärketensors ist es via (19.20) demnach auch die Lorentz-Kraft. Ergebnis Wir haben die Grundbegriffe und Grundgleichungen der Newton’schen Mechanik für die relativistische Mechanik erweitert derart, daß 170 1.) die Newton’sche Mechanik im Grenzfall v c enthalten ist, 2.) die modifizierten Grundgleichungen kovariant bzgl. Lorentz-Transformationen sind. Dabei blieb die Lorentz-Kraft (19.18) als Bindeglied zwischen Mechanik und Elektrodynamik erhalten. Sie findet ihre experimentelle Bestätigung z.B. im Funktionieren moderner Teilchenbeschleuniger. Der Zusammenhang zwischen relativistischer Mechanik und Elektrodynamik ergibt sich zwangsläufig im Rahmen von relativistischen Eichfeldtheorien mit minimaler Kopplung. 171