Aids: Impfstoff in Sicht?

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FORSCHUNG
U N D G E S E L L S C H AFT
SEUCHENBEKÄMPFUNG
Aids: Impfstoff in Sicht?
Das menschliche Immunsystem gegen die Aids-Erreger zu
aktivieren und so einen wirksamen Schutz gegen die weltweite
Seuche aufzubauen, ist eine große Herausforderung.
Von Reinhard Kurth
R
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Ungeduldiges Warten
auf die Schutzwirkung
Doch es sind nicht allein die großen wissenschaftlichen Schwierigkeiten in Design, Produktion und Prüfung experimenteller Impfstoffe. Es gibt auch erhebliche logistische, politische, finanzielle
und ethische Probleme in Organisation
und Analyse von klinischen Prüfungen
im Menschen. Aus diesen Gründen verwundert es kaum, dass sich nur wenige
große pharmazeutische Unternehmen in
der Entwicklung eines Aids-Impfstoffs
engagieren. Die entsprechende Grundlagen- und präklinische Forschung werden
weitgehend in häufig unterfinanzierten
Instituten durchgeführt.
Trotz dieser Schwierigkeiten hellt
sich die Stimmung unter den Wissenschaftlern und in der interessierten Öffentlichkeit in letzter Zeit etwas auf, der
frühere Fatalismus weicht einem vorsichtigen Optimismus. Grund hierfür ist
die Entwicklung eines weiten Spektrums
experimenteller Impfstoffe mittels biotechnologischer Methoden sowie einige
begrenzte Erfolge in der Immunisierung
von Rhesusaffen. Manche dieser Impfstoffe, die auch in Kombination verabreicht werden können, sind bereits in der
klinischen Prüfung im Menschen. So ist
zu hoffen, dass Impfstoffe der ersten Generation – mit vermutlich nur begrenzter
Wirksamkeit – tatsächlich entwickelt
werden können.
Zur Anwendung am Menschen müssen Impfstoffe drei Phasen der klinischen Prüfung erfolgreich bestehen:
SPEKTRUM DER WISSENSCHAFT · JULI 2002
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und zwanzig Jahre ist es nun schon
her, dass Aids – mittlerweile die
schlimmste Seuche der Gegenwart –
in das Bewusstsein der Öffentlichkeit
rückte. Anfangs war die wissenschaftliche Fachwelt durchaus optimistisch:
Menschlicher Erfindergeist könne schon
bald, so meinte man, einen Impfstoff entwickeln und die erworbene Immunschwächekrankheit besiegen.
Zweifellos gab es Fortschritte. Der
verursachende Erreger, das Human-Immunschwächevirus HIV und sein Erbmaterial wurden genauestens analysiert.
Schließlich standen auch Medikamente
zur Therapie der chronischen HIV-Infektion zur Verfügung. Doch die Bemühungen, einen Impfstoff zu entwickeln,
brachten jahrelang nur Enttäuschungen:
Alle experimentellen Vakzine, die in
Tierversuchen eigentlich hätten erfolgreich immunisieren sollen, versagten.
Die traurige Wahrheit heute ist: Über
vierzig Millionen Menschen sind gegenwärtig mit HIV infiziert oder haben bereits das volle Aids-Krankheitsbild entwickelt, über zwanzig Millionen Menschen sind bereits an Aids verstorben,
und der erhoffte Impfstoff gegen den
Aids-Erreger ist noch immer nicht wirklich in Sicht.
Nur ein wirksamer Impfstoff – und
ein preiswerter dazu – wird die AidsPandemie eines Tages begrenzen können. Natürlich fragen sich nicht nur die
Wissenschaftler, warum die Entwicklung
eines Aids-Impfstoffs so schwierig ist.
Zuweilen wird die sehr hohe Variabilität der HIV-Partikel als Begründung angeführt. Diese Problematik ist von den
echten Grippeviren her bestens bekannt.
Auch wird angeführt, dass HIV in den
verschiedenen Erdteilen in unterschiedlichen Stämmen auftritt, die sich immunologisch voneinander unterscheiden. Da
wir aber derzeit nicht einmal gegen einen
einzigen definierten HIV-Stamm einen
Impfstoff besitzen, sind solche Einwände
eher zweitrangig. Das größte Hindernis
ist und bleibt, dass wir nicht einmal wissen, ob es überhaupt eine Immunität gegen HIV geben kann.
Weder in infizierten Menschen und
Tieren, von denen einige durchaus lange
Jahre überleben können, noch in Tieren,
die zunächst experimentell immunisiert
und danach infiziert wurden, konnte jemals eine dauerhaft schützende Immunität nachgewiesen werden. Hinzu kommt,
dass es kein geeignetes Kleintiermodell
gibt, um in größerer Zahl experimentelle
Impfstoffe mit vielen Tieren zu prüfen.
Erschwerend ist weiterhin, dass HIV gerade diejenigen Zellen des Immunsystems infiziert, die notwendig sind, um
eine wirksame Immunantwort zu starten
und aufrechtzuerhalten.
➤ Zunächst wird an wenigen Freiwilligen die Sicherheit des Impfstoffs überprüft.
➤ Sodann wird die Immunogenität des
Impfstoffs, also ob er eine messbare Immunantwort auslöst, an beispielsweise
mehreren hundert Freiwilligen untersucht.
➤ In einer anschließenden dritten Phase
an Tausenden von Freiwilligen muss die
Frage nach der schützenden Wirksamkeit
des Impfstoffs geklärt werden.
Derzeit gibt es nur einen einzigen
Impfstoffkandidaten, Aidsvax genannt,
der sich in der dritten Prüfungsphase befindet. Die Forscher warten ungeduldig
auf die Ergebnisse zur Schutzwirkung,
die bis zum Jahresende vorliegen sollen.
Aidsvax besteht aus der gereinigten äußeren Hülle des Aids-Virus und induziert
in erster Linie Antikörper gegen HIV.
Auf Grund von Ergebnissen in Tierversuchen ist allerdings zu vermuten, dass
die Induktion solcher Antikörper wenig
schützend sein wird. Wirkungsvoller
wäre vermutlich ein Impfstoff, der eine
starke zelluläre Immunantwort gegen
HIV-infizierte Zellen induziert, denn im
Tierversuch entfaltete diese Art der Immunantwort am ehesten eine gewisse
Schutzwirkung. Deshalb steht zu befürchten, dass Aidsvax nicht erfolgreich
sein wird. Vielleicht irren aber auch die
Skeptiker, worüber diese sicher selbst
sehr glücklich wären.
Doch selbst, wenn die dritte Prüfungsphase mit Aidsvax fehlschlagen
sollte, wird ein Trostpflaster bleiben:
Aus den Erfahrungen werden die Forscher gelernt haben, wie solche umfangreichen und sehr teuren – rund fünfzig
Millionen Euro kostenden – Prüfungen
künftig noch besser organisiert und
durchgeführt werden können.
Die meisten der jetzt in die erste oder
zweite Prüfungsphase gehenden Impfstoffkandidaten sind so konzipiert, dass
sie eine starke zelluläre Immunabwehr
gegen virusinfizierte Zellen stimulieren
sollen. Man kann dies erreichen durch
die Injektion von nackter DNA, die für
ein oder mehrere HIV-Proteine codiert,
oder durch Einschleusen von HIV-Genen
in virale oder bakterielle Vehikel, die für
sich genommen harmlos sind. Geeignete
Träger für solche Fremdgene sind zum
Beispiel abgeschwächte Stämme von Pockenviren, Adenoviren, Alphaviren oder
Salmonellen.
Man kann solche „genetischen Vakzine“ auch kombinieren und in zeitlichem Abstand geben. In Versuchen mit
Affen wurden mit ihnen relativ ermutigende Erfolge erzielt. Wie alle im medizinischen Alltag eingesetzten Impfstoffe
Eine Impfstrategie gegen Aids
Um das Immunsystem in die Lage zu versetzen, HIV-infizierte
Zellen anhand eines Proteins aus dem Kernbereich des AidsErregers zu erkennen und anzugreifen, hat die US-Firma Merck
ERSTIMPFUNG
nackte DNA
1
Impfstoff mit
nackter DNA
wird injiziert.
Viruskern
eine Zweifachimpfung entwickelt: Der zuerst verabreichte
Impfstoff enthält nackte DNA, der zweite, der einige Monate
später injiziert wird, genetisch veränderte Adenoviren.
Muskel
Zellkern
Gag-Gen
(codiert
Kernprotein)
Zellplasma
Human-Immunschwächevirus
(HIV)
2
Gag-Gen
WIEDERHOLUNGSIMPFUNG
Antigenpräsentierende
Zelle
Adenovirus
3
Antigen-präsentierende Zellen produzieren Gag-Protein
und präsentieren Teile davon
Immunzellen, die über Cytokine chemisch miteinander
kommunizieren.
ZELLULÄRE
IMMUNREAKTION
Antikörperpräsentierende
Zelle
GRAFIK: TERESE WINSLOW
GagProteinFragment
inaktive
cytotoxische
T-Zelle
5
Muskelgewebe und so genannte Antigen-präsentierende Zellen nehmen die
nackte DNA auf.
GagProtein
Gag-ProteinFragmente
inaktive
cytotoxische
T-Zelle
aktivierte
cytotoxische
T-Zelle
Eine Wiederholungsimpfung mit
einem Adenovirus reaktiviert und
verstärkt die zelluläre Immunreaktion.
HUMORALE
IMMUNREAKTION
T-Helferzelle
(CD4)
Cytokine
aktivierte Antikörperproduzierende B-Zelle
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Die Cytokine und das Gag-Protein aktivieren Immunzellen, die
infizierte Zellen abtöten oder
Antikörper herstellen.
Antikörper
absterbende HIVinfizierte Zelle
SPEKTRUM DER WISSENSCHAFT · JULI 2002
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FORSCHUNG UND GESELLSCHAFT
haben diese genetischen Vakzine zwar
nicht gegen eine nachfolgende HIVInfektion geschützt; sie konnten aber im
geimpften und später experimentell infizierten Tier die Virusvermehrung quantitativ drastisch reduzieren und im Beobachtungszeitraum von bis zu mehreren Jahren den Ausbruch der Krankheit
entweder völlig verhindern oder stark
verzögern. Ein Impfstoff der ersten Generation, der den Krankheitsausbruch
zumindest verzögert und zugleich die
Übertragung von HIV vom Geimpften
auf andere Menschen deutlich reduziert,
wäre ein signifikanter Fortschritt im
Kampf gegen Aids.
Dennoch wissen wir zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht, ob die jetzt zur
Prüfung vorgesehenen Impfstoffe einen
Menschen wirksam schützen können.
Unser gegenwärtiger Wissensstand und
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die verfügbaren Technologien geben uns
dafür keine Gewähr.
Andererseits gibt es Hinweise auf
Resistenz gegen die HIV-Infektion im
Menschen unter bestimmten natürlichen
Bedingungen. So ist seit einigen Jahren
bekannt, dass einige Prostituierte in Afrika, die fast täglich in sexuellen Kontakt
mit HIV-Infizierten kommen, trotz des
hohen Übertragungsrisikos bisher selbst
nicht infiziert wurden. Wüssten wir mehr
über die Art des Schutzes, ob er überhaupt immunologischer Natur ist oder
auf einer genetischen Resistenz basiert,
könnten wir möglicherweise die Komponenten des Immunschutzes im Detail definieren. Dann ließen sich auch experimentelle Impfstoffe konzipieren, die insbesondere diese Art des Immunschutzes
im Geimpften induzieren. Deshalb ist es
so wichtig, dass ausreichende finanzielle
und personelle Ressourcen zur Verfügung stehen, damit unser Wissen und die
verfügbaren Technologien, die wir für
die Entwicklung künftiger experimenteller Impfstoffe brauchen, verbessert werden können.
Angesichts der riesigen Unterschiede
bei der Forschungsförderung auf diesem
Gebiet wäre es illusorisch zu erwarten,
dass Europa im Wettbewerb mit den
USA mithalten kann. Gleichwohl zeigt
die jüngste Vergangenheit, dass viele
Forschungsgruppen in Deutschland und
Europa, die auch oft vernetzt arbeiten,
wichtige Teilbereiche in der Erforschung
eines Impfstoffs gegen Aids erfolgreich
abdecken können.
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Prof. Dr. Reinhard Kurth ist Präsident des
Robert-Koch-Instituts in Berlin.
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