Zeitabhängige Felder, Maxwell-Gleichungen Man beobachtet, dass ein zeitabhängiges Magnetfeld ein elektrisches Feld erzeugt. Dies führt z.B. zu einer Spannung an einer Drahtschleife (Induktion). Umgekehrt beobachtet man auch: ein zeitabhängiges elektrisches Feld erzeugt ein Magnetfeld. Auf diese Weise werden elektrische und magnetische Felder gekoppelt. Die Kopplung über die Zeitabhängigkeit ermöglicht elektromagnetische Wellen. In den Maxwell-Gleichungen werden diese Zusammenhänge mathematisch formuliert. 150 Induktion Ein zeitabhängiges Magnetfeld erzeugt ein elektrisches Feld. Elektrische Felder lassen sich besonders gut an einem Leiter messen, an dem sie eine Spannung erzeugen wegen der wiederum ein Strom fließt. Auf diese Weise steht Leistung P=U·I für den Messprozess zur Verfügung. Wir beobachten daher diesen Effekt besonders gut an Leiterschleifen, an denen durch ein zeitabhängiges Magnetfeld eine Spannung induziert wird. r ∂B ∂t r E U ind 151 In der Elektrostatik waren elektrische Felder immer wirbelfrei. Bei der Induktion wird dagegen ein wirbelförmiges elektrisches Feld erzeugt, das entlang der Leiterschleife verläuft. Integriert man entlang der Leiterschleife ergibt sich eine Spannung Uind an den offenen Enden: U ind r r = ∫ E ⋅ ds Leiter − schleife M. Faraday fand 1831 folgenden Zusammenhang: Die Spannung ist proportional zur umschlossenen Fläche der Leiterschleife. proportional zur zeitlichen Änderung des Magnetfeldes. proportional zum cos des Winkels zwischen B und U ind = − r r ∫ B ⋅ dA d dt Leiter − der Flächennormalen schleife 152 Mit dem magnetischen Fluss Φ durch die Fläche der Leiterschleife r r Φ = ∫ B ⋅ dA lässt sich einfach formulieren: U ind dΦ =− dt Faradaysches Induktionsgesetz Eine Spannung wird induziert, wenn sich die magnetische Feldstärke ändert, oder wenn sich die Fläche der Leiterschleife ändert, oder wenn die Orientierung der Leiterschleife zum Feld sich ändert. Experimente: Annähern eines Magneten an eine Leiterschleife Vergrößern einer Leiterschleife Drehen einer Leiterschleife im Magnetfeld 153 An einer Spule mit n Windungen ist die relevante Fläche n mal die Querschnittsfläche A der Spule: r A r ∂B ∂t U ind Die an einer Spule induzierte Spannung ist proportional zur Fläche und zur Anzahl der Windungen der Spule. Ändert sich das Magnetfeld sehr schnell, können an einer Spule u.U. sehr hohe Spannungen induziert werden. Beispiel: schnelle Änderung der magnetischen Feldstärke eines Elektromagneten bei dem der Strom ein- bzw. ausgeschaltet wird. 154 Lenzsche Regel: Durch die induzierte Spannung und den in der Leiterschleife fließenden Strom wird Feldenergie in Wärmeenergie umgewandelt. Diese Energie muss an anderer Stelle als Arbeit aufgewendet werden. Der induzierte Strom erzeugt wiederum ein Magnetfeld, dass dem ursprünglichen Magnetfeld entgegengerichtet ist. Dadurch wird Arbeit beim Bewegen eines Magneten in der Leiterschleife verrichtet. 155 Wirbelströme: Induktionsströme, die in einem ausgedehnten Leiter (z.B. Metallplatte) erzeugt werden, nennt man Wirbelströme. Wirbelströme können technisch für Bremsen ausgenutzt werden. Die Bremskraft ist proportional zur Geschwindigkeit, was ein weiches Bremsen ermöglicht. Die Bremskraft kann elektrisch über einen Elektromagneten gesteuert werden. Früher wurden Wirbelströme bei mechanischen Tachometern ausgenutzt. 156 Selbstinduktion: Ändert man den Strom, der durch eine Spule fließt, ändert sich das Magnetfeld, das die Spule erzeugt. Diese Änderung induziert an der Spule eine Spannung und damit einen Strom, der dem ursprünglichen Strom entgegengerichtet ist. Der Strom I in der Spule erzeugt ein Magnetfeld mit der Feldstärke B und den magnetischen Fluss in der Spule: r r Φ = ∫ B ⋅ dA B ist proportional zum Strom also ist auch Φ proportional zum Strom. Φ=LI Die Proportionalitätskonstante L nennt man Induktivität der Spule. Sie hängt von der Geometrie, der Windungszahl und der Permeabilität μ des Spulenkerns ab. 157 Einheit der Induktivität ist das Henry [H] Vs 1H =1 A Die durch Selbstinduktion an der Spule induzierte Spannung ist: U ind = − dΦ d( LI ) dI =− = −L dt dt dt U ind = − L dI dt Selbstinduktion 158 Einschaltvorgang: Schaltet man den Strom in einem Stromkreis mit Spule ein, dann steigt anfänglich die Stromstärke mit der Steigung U dI =− 0 dt L an, so dass die induzierte Spannung gerade die gesamte anliegende Spannung aufhebt. Fließt dann ein Strom, fällt auch an dem ohmschen Widerstand der Spule Spannung ab und der Strom erreicht den Wert I = U / R. I I= U0 + I U0 R dI U =− 0 dt L t 159 Der genaue Kurvenverlauf ergibt sich aus: U 0 = I R − U ind = I R + L dI dt Die Differentialgleichung hat als Lösung eine Exponentialfunktion der Form I (t ) = I 0 + I1 e − t /τ Einsetzen des Ansatzes ergibt U 0 = I 0 R + I1 R e − t / τ − I1 L τ e −t / τ Es folgt für die Parameter und aus der Anfangsbedingung I(0) = 0 : U0 I0 = R und L τ= R und I1 = − I 0 Die Lösung lautet also R − t⎞ U0 ⎛ ⎜1 − e L ⎟ I (t ) = ⎟ R ⎜⎝ ⎠ 160 Abschaltvorgang: Schaltet man den Strom aus, klinkt der Strom durch die Spule nicht abrupt auf null ab, sondern es fließt durch Selbstinduktion ein Strom über den Widerstand R0. I R0 U L, RL I= U0 RL + I t Nach Öffnen des Schalters gilt entsprechend der Maschenregel: I ( R0 + RL ) − U ind = 0 I ( R0 + RL ) + L dI =0 dt 161 Die Differentialgleichung hat die Lösung I (t ) = I 0 e − R0 + RL t L und aus der Anfangsbedingung U0 − I (t ) = e RL I (0) = U 0 / RL folgt R0 + RL t L Am Widerstand R0 fällt die Spannung U ab: − R0 U (t ) = U0 e RL R0 + RL t L Bei t=0 hat man eine um den Faktor R0/RL höhere Spannung als U0 Technische Anwendungen findet man bei der Zündspule im Auto, dem Weidezaun, Zündung von Leuchtstoffröhren, etc. Die Hochspannung ist oft ungefährlich, da nur sehr kurzzeitig ein Strom fließen kann und die Gesamtenergie des Strompulses klein ist. 162 Induktivität einer Zylinderspule Das Magnetfeld in einer Zylinderspule der Länge l mit n Windungen ist (siehe Seite 103): B = μ0 n I l Der magnetische Fluss durch n-mal die Querschnittsfläche A ist A n2 Φ = μ0 I l A n2 Die Induktivität der Spule ist somit: L = μ 0 l und die durch die Selbstinduktion induzierte Spannung: U ind A n 2 dI = −μ0 l dt 163 Energie des Magnetfeldes Zum Aufbau des Magnetfeldes in einer Spule wird Energie benötigt. Diese wird von der Spannungsquelle beim Einschalten als Arbeit geleistet, wenn ein Strom gegen die induzierte Spannung fließt. Für den Stromkreis gilt U 0 = I R − U ind Multipliziert man mit dI = I R+L dt U0 + - I erhält man I PBatterie = U 0 I = I 2 R + L I dI = PWärme im + PMagnetfeld dt Widerstand Integriert man mit I(t) über die Zeit erhält man die Gesamtenergie des Magnetfeldes: ∞ dI W = ∫ L I dt = dt 0 I max ∫ 0 1 2 L I dI = L I max 2 164 Energiedichte des Magnetfeldes Fließt in einer Zylinderspule mit Induktivität L der Strom I, dann ist die Gesamtenergie des Magnetfeldes W = 12 L I 2 In der Spule herrscht die Magnetfeldstärke B = μ0 A n2 Die Induktivität der Spule ist L = μ 0 l n I l Wir können die Gesamtenergie also schreiben als 2 1 2 1 A n2 2 1 1 n 1 1 W = L I = μ0 I = Al μ 02 2 I 2 = V B2 2 2 l 2 μ0 l 2 μ0 Unter der Annahme, das das Feld im Außenraum sehr schwach ist erhält man daraus die Energiedichte des Magnetfeldes: W 1 1 2 w= B = V 2 μ0 (vgl. Seite 110b) 165 Verschiebungsstrom Ein zeitabhängiges elektrisches Feld erzeugt ein Magnetfeld. Ist eine Leiterschleife durch einen Kondensator unterbrochen und fließt ein Strom I, dann läd sich der Kondensator auf U = Q/C = I t /C Das elektrische Feld im Kondensator wächst linear mit der Zeit an E = It dC Um dieses zeitabhängige elektrische Feld herum wird ein wirbelförmiges r B Magnetfeld erzeugt. r B r ∂E ∂t r B I Das zeitabhängige elektrische Feld wirkt wie ein Strom. Daher nennet man es Verschiebungsstrom. 166 r ∂E Ein zeitabhängiges Feld am Ort r wirkt wie eine Stromdichte jV an ∂t diesem Ort r r ∂E jV = ε 0 ∂t Verschiebungsstromdichte Für den Plattenkondensator leitet man diese Beziehung einfach her: E= It dC ⇒ r ∂E I I 1 d 1 I 1 = = = = j ∂t d C d ε 0 A ε 0 A ε 0 Die Magnetfeld erzeugende Wirkung von Strömen und Verschiebungsströmen ist gleich. Nur die zeitliche Änderung eines elektrischen Feldes erzeugt ein Magnetfeld. Statische elektrische Felder im Kondensator haben kein Magnetfeld um sich. 167 In der Elektrostatik und Magnetostatik hatten wir vier Gleichungen, die die Erzeugung von elektrischen und magnetischen Feldern beschreiben: r rot E = 0 Elektrische Felder sind wirbelfrei r r rot B = μ 0 j Amperesches Gesetz r ρ div E = Poisson-Gleichung r div B = 0 Quellenfreiheit des Magnetfeldes ε0 Bei zeitabhängigen Feldern kommen zwei zusätzliche Erzeugungsmechanismen hinzu: die Induktion und der Verschiebungsstrom U ind dΦ =− dt r r ∂E jV = ε 0 ∂t 168 Maxwell-Gleichungen Fügt man diese Mechanismen in die Gleichungen ein erhält man: r r ∂B rot E = − ∂t r r r ∂E rot B = μ 0 j + μ 0ε 0 ∂t r ρ div E = Maxwell-Gleichungen ε0 r div B = 0 Dieses gekoppelte System von partiellen Differentialgleichungen beschreibt die zeitliche Entwicklung von elektromagnetischen Feldern im Raum. Die Maxwell-Gleichungen gehören zu den grundlegendsten und wichtigsten Gleichungen in der Physik. 169 Maxwell-Gleichungen in Koordinatenschreibweise ∂E z ∂E y ∂B − =− x ∂y ∂z ∂t ∂B y ∂E x ∂E z − =− ∂z ∂x ∂t ∂E y ∂E x ∂B − =− z ∂x ∂y ∂t ∂E ∂Bz ∂B y − = μ 0 j x + μ 0ε 0 x ∂y ∂z ∂t ∂E y ∂Bx ∂Bz − = μ 0 j y + μ 0ε 0 ∂x ∂z ∂t ∂B y ∂x − r r ∂B rot E = − ∂t r r r ∂E rot B = μ 0 j + μ 0ε 0 ∂t ∂Bx ∂E = μ 0 j z + μ 0ε 0 z ∂y ∂t ∂E x ∂E y ∂E z ρ + + = ∂x ∂y ∂z ε 0 r ρ div E = ∂Bx ∂B y ∂Bz + + =0 ∂x ∂y ∂z r div B = 0 ε0 170 Maxwell-Gleichungen in Materie Befindet sich Materie im Raum, können die Maxwell-Gleichungen mit Hilfe der Größen H und D ebenso einfach formuliert werden: r r ∂B rot E = − ∂t r r r ∂D rot H = j + ∂t r div D = ρ Maxwell-Gleichungen in Materie r div B = 0 Hierbei sind auch die Konstanten μ0 und ε0 in D und H enthalten r r D = ε ε0 E r r B = μμ 0 H Diese Form kann auch im Vakuum mit μ =1 und ε =1 verwendet werden. 171 Die außerordentlich große Komplexität elektromagnetischer Phänomene wird deutlich, wenn man nicht nur die Felder und Polarisation von Materie betrachtet, sondern zusätzlich die enge Kopplung an die Bewegung freier Ladungen hinzunimmt. Die Maxwellgleichungen zusammen mit der Lorenzkraft auf Ladungen ( r r r r F = q E+v×B ) und deren Beschleunigung gemäß den Newtonschen Axiomen r r F = ma liefert einen umfassenden Satz an Gleichungen der die klassische Elektrodynamik vollständig beschreibt. Eine Lösung dieser Gleichungen erfordert sehr hohen numerischen Aufwand und ist für komplexe Probleme auch heute oft nicht möglich. Zusätzlich werden in vielen Fällen relativistische Effekte relevant, die in diesen Gleichungen nicht enthalten sind. 172