P O L I T I K LEITARTIKEL Datenlieferung zum Arzneimittelbudget KBV kritisiert die „Phalanx der Verhinderer“ Der „Blindflug“ durch das Arzneimittelbudget geht weiter. Nachdem die rund 110 000 Kassenärzte mit ihren Verordnungen in 1995 vermutlich das Budget im Westen nicht und im Osten nur relativ geringfügig überschritten haben dürften, deuten die Zahlen aus dem ersten Quartal dieses Jahres wiederum einen Anstieg der Verordnungen um 10 Prozent gegenüber dem Vorjahresquartal an. Nach wie vor fehlen uch im dritten Jahr der Arzneimittelbudgetierung stecken die Kassenärzte in derselben Zwickmühle. Sie dürfen mit ihren Verordnungen eine bestimmte Ausgabengrenze nicht überschreiten, weil sie sonst für die Überschreitungen mit ihren Honoraren haften müssen. Aktuelle Daten, die Aufschluß über den Stand der Verordnungen geben könnten, stehen hingegen nicht zur Verfügung. Die Unfähigkeit der Krankenkassen, die erforderlichen Daten zeitnah zu liefern, sind Zeitungsberichten zufolge auf technische Probleme bei Siemens zurückzuführen. Das Unternehmen scheint sich mit der Entwicklung der aufwendigen Abrechnungssoftware für die Apothekenrechenzentren schwerzutun. Für Dr. med. Peter Schwoerer ist die Diskussion um die Schwierigkeiten bei der EDV-technischen Datenaufbereitung bei den Apothekerverbänden eher vorgeschoben. Der Zweite Vorsitzende der Kassenärztlichen Bundesvereinigung ist vielmehr der Auffassung, „daß sich im Hinblick auf die von den Kassenärzten geforderte Transparenz im Arzneimittelgeschehen eine Phalanx der Verhinderer“ etabliert habe. Schwoerer meint damit zum einen die Apotheken, die „kein Interesse an der Datenlieferung haben können, da die Ausschöpfung von Wirtschaftlichkeitsreserven ihre umsatzabhängigen Einkünfte schmälert“. A den Kassenärztlichen Vereinigungen die notwendigen zeitnahen Daten, um steuernd auf das Verordnungsverhalten einwirken zu können. Inzwischen spricht die KBV von einer „Phalanx der Verhinderer“ und meint damit unter anderem auch die Krankenkassen. Eine Budgetverantwortung könne unter diesen Umständen nicht akzeptiert werden, stellte Dr. med. Peter Schwoerer, Zweiter Vorsitzender der KBV, fest. Ebensowenig könne die Pharmazeutische Industrie ein Interesse daran haben, daß gezielt Empfehlungen zur Wirtschaftlichkeit und Effizienz von Arzneiverordnungen bei häufig auftretenden Krankheiten erarbeitet werden. Und auch den Krankenkassen spricht der Zweite Vorsitzende der KBV „ein gesteigertes Interesse“ ab, der Ärzteschaft relevante Daten zur Verfügung zu stellen. Die Kassen trügen keinerlei finanzielles Risiko, da ja die Ärzte für die Überschreitung des Budgets haften. Zum anderen, so Schwoerer weiter, könnte die Kenntnis von Verordnungsprofilen auch bedeuten, daß die „Qualität“, die man aus Wettbewerbsgründen seinen Versicherten zukommen lassen möchte, deutlich teurer als heute werde. Kassenärzte lehnen Verantwortung ab Schwoerers Fazit: „Angesichts der Tatsache, daß fast alle Mitspieler im Gesundheitswesen, einschließlich der Patienten, kein Interesse an drastischen Arzneimitteleinsparungen haben, ist es nicht akzeptabel, die Verantwortung für das wirtschaftliche Gesamtresultat ausschließlich dem Kollektiv der Kassenärzte zu übertragen.“ Im Gegensatz zu den Krankenkassen und dem Bundesgesundheitsminister sehe die KBV in der „aktuellen Situation der allseitigen Verweige- rung“ auch die rechtlichen Voraussetzungen für eine Budgetverantwortung als nicht gegeben. Gleichwohl wolle sich die KBV auch im laufenden Jahr der Aufgabe stellen, die Ausgaben zu begrenzen und das Budget einzuhalten, und zwar ohne Qualitätsverlust für die Patienten. Für eine begrenzte Zeit könne dies durch die Mobilisierung von Wirtschaftlichkeitsreserven im System erreicht werden. Informationen über Verordnungen So plant die Kassenärztliche Bundesvereinigung derzeit „ein Bündel von Maßnahmen zur Ausgabenstabilisierung“ bei den Arzneiverordnungen. EDV-abrechnende Ärzte sollen bei Lieferung ihrer Verordnungsdaten auf Datenträgern gezielte Hinweise auf Wirtschaftlichkeitsreserven in ihrer Praxis erhalten. Zusätzlich sollen die Ärzte, die ihre anonymisierten Verordnungsdaten in Qualitätszirkel einbringen, eine Aufwandsentschädigung erhalten. Darüber hinaus will die KBV den Ärzten regelmäßig Informationen zur Generikaausschöpfung, zu patentgeschützten, teuren Arzneimitteln ohne innovativen Charakter, zur angemessenen Indikationsstellung und Wirkstoffauswahl sowie zum effizienten Einsatz einzelner Präparate zukommen lassen. Josef Maus Deutsches Ärzteblatt 93, Heft 23, 7. Juni 1996 (15) A-1507