Hereditäre motorische und sensible Neuropathien

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Berichte aus der Medizin
Bernd Rautenstrauß
Hereditäre motorische und sensible Neuropathien:
Experimentelle Beiträge zur Charakterisierung
der ursächlichen Mutationen und ihrer
phänotypischen Auswirkungen
.
Shaker Verlag
Aachen 1999
Die Deutsche Bibliothek
-
CIP-Einheitsaufnahme
Rautenstrauss, Bernd:
Hereditäre motorische und sensible Neuropathien: Experimentelle Beiträge zur
Charakterisierung der ursächlichen Mutationen und ihrer phänotypischen Auswirkungen / Bernd Rautenstrauss. - Als Ms. gedr. Aachen : Shaker, 1999
(Berichte aus der Medizin)
Zugl.: Univ. Erlangen-Nürnberg, Habil.-Schr. 1998
ISBN 3-8265-6533-9
Bei »Zugl.:« Uni ändern ! , ansonsten : .
Copyright Shaker Verlag 1999
Alle Rechte, auch das des auszugsweisen Nachdruckes, der auszugsweisen
oder vollständigen Wiedergabe, der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen und der Übersetzung, vorbehalten.
Als Manuskript gedruckt. Printed in Germany.
ISBN 3-8265-6533-9
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Zusammenfassung
Die hereditären moto-sensorischen Neuropathien (HMSN) stellen eine nosologische Klasse
von Erkrankungen des peripheren Nervensystems dar, die sowohl klinisch als auch
genetisch heterogen sind. Nach neueren Erkenntnissen muß auch die sog. hereditäre
Neuropathie mit Neigung zu Druckläsionen (engl. hereditary neuropathy with liability to
pressure palsies, HNPP), synonym tomakulöse Neuropathie (von tomakulum = lat. das
Würstchen) genannt, hierzu gerechnet werden. Gemeinsam ist dieser Erkrankungsgruppe
eine Störung der Schwannzelldifferenzierung, also der Myelinisierung des peripheren
Nerven. Diese neurogenen Muskelatrophien beginnen distal symmetrisch an den Beinen und
befallen später auch Hände und Arme. Bei ca. 70% der Patienten einer HMSN Typ 1 oder
Charcot-Marie-Tooth'sche Erkrankung Typ 1 (CMT1) wird eine 1.5Mb Duplikation
beobachtet, die das PMP22 Gen einschließt (CMT1A). Reziprok hierzu kann, ebenfalls durch
ungleiches crossing over während der Meiose eine Deletion entstehen, die dann als Ursache
für etwa 80% der HNPP Erkrankungen angesehen wird. Weitere ursächliche Mutationen
wurden im Myelin Protein Zero (MPZ, P0; CMT1B) und Connexin32 (Cx32; CMTX) Gen
gefunden.
Im
Rahmen
der
vorliegenden
Arbeit
konnte
gezeigt
werden,
daß
die
Rekombinationsmutation der CMT1A Duplikation und HNPP Deletion nicht zufällig, sondern
bevorzugt in einem "hotspot" von 1.7 kb innerhalb von 30 kb großen repetitiven Elementen
(CMT1A-REP) stattfindet. Für eine Familie mit komplexem Phänotyp aus HMSN und
geistiger Retardierung wurde eine CMT1A Duplikation von mehr als 2 Mb gefunden. Durch
FISH war es möglich, eine zusätzliche Duplikation von Teilen der Smith-Magenis Region
einschließlich des FALDH Genes (Sjögren-Larsson) zu zeigen. Diese ausgedehnte
Duplikation geht wahrscheinlich nicht auf ein ungleiches crossing-over zwischen den zwei
bekannten CMT1A-REP Elementen zurück, sondern auf eine Rekombination eines CMT1AREP Elementes mit einem noch unbekannten, hierzu homologen Abschnitt in Chromosom
17p, aber distal des CMT1A Monomeren. Der komplexe Phänotyp wird vermutlich durch
einen synergistschen Gendosis-Effekt vieler duplizierter Gene in dieser insgesamt ca. 7Mb
großen Region verursacht.
In der vorliegenden Arbeit konnten zwei CMT Typ1A Mosaikfälle beschrieben werden: zum
einen ein erwachsener Patient mit relativ mildem Verlauf der Erkrankung und zum anderen
ein zum Zeitpunkt der Untersuchung vierjähriges Kind mit einer besonders schweren
Erkrankung. Regelmäßig wurde die höchste Anzahl Interphasekerne mit einer CMT1A
Duplikation im peripheren Nervengewebe, gefolgt von solchen des Muskelgewebes und mit
der niedrigsten Rate in Lymphozyten (Blut) beobachtet. Eine Reversion der CMT1A
Duplikation geht daher wahrscheinlich nicht kontinuierlich vor sich, sondern ist auf eine frühe
Stufe der Enbryonalentwicklung beschränkt. Offen bleibt, ob diesselben genetischen
Elemente innerhalb der CMT1A-REP Einheiten einerseits ein ungleiches crossing-over
während der Meiose begünstigen und andererseits eine mitotische Rekombination als
Ursache einer somatischen Reversion erleichtern. Es konnte zwar gezeigt werden, daß
„Mariner-like transposon elements (MITE)“ in den CMT1A-REP Elementen enthalten sind.
Nach unseren Ergebnissen werden sie in einer großen Zahl unterschiedlicher Gewebe
exprimiert. Ein offener Leserahmen in diesen Elementen enthält zwei frameshift Mutationen,
daher kann nicht von der Expression einer funktionellen MITE Transposase ausgegangen
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werden. Nachdem ein Testis-spezifischer Faktor noch nicht eindeutig identifziert werden
konnte, bleibt es daher nach wie vor offen, warum diese Rekombinationsmutationen
hauptsächlich paternalen Ursprungs sind. Unsere Beobachtung, daß viele Transposonhomologe ESTs im Bereich chromosomaler Bruchpunkte lokalisiert sind, legt dennoch die
Annnahme nahe, daß eine grundlegende Beteiligung dieser Elemente an chromosomalen
Rearrangements vorliegen kann.
Von den Punktmutationen im PMP22 Gen war ein Thr118Met Aminosäureaustausch
besonders interessant, denn diese potentiell rezessive PMP22 Punktmutation wurde
hemizygot bei gleichzeitigem Vorliegen einer HNPP Deletion bei einem Patienten mit CMT
Phänotyp gefunden.
Durch radioaktive (RISH) und anti-sense Fluoreszenz in situ Hybridisierungen (asFISH)
wurden Untersuchungen zur Expression von PMP22 an menschlichem Biopsie Material
sowie an Mäuseembryonen, adulten Mäusen und Trembler Mäusen durchgeführt.
Überraschenderweise zeigte sich eine deutliche PMP22 Expression auch in nicht-neuronalen
Geweben, wie Knorpel, Linsenepithel, Leberkapsel oder Darm in unterschiedlichen Phasen
der Embryonalentwicklung. In der adulten Trembler-Maus konnte eine Erniedrigung der
PMP22 mRNA Menge nur im Ischias-Nerven gefunden werden, nicht im nicht-neuronalen
Gewebe. Eine Analyse der PMP22 Expression an Nervus suralis Biopsien von CMT Typ 1,
1A und HNPP Patienten sowie an Normal-Kontrollen zeigte allerdings keine eindeutige
Korrelation mit dem Gendosiseffekt. Die gemessenen RNA Mengen waren für die CMT1A
Duplikation zwar teilweise erhöht, schwankten jedoch stark, was die Annahme einer
posttranskriptionalen Kontrolle stützt. Für die PMP22 Expression bei HNPP Deletion wurden
ebenfalls sowohl normale als auch erniedrigte Werte gefunden. Immunhistochemisch konnte
eine Fehlverteilung des PMP22 Proteins im Myelin gezeigt werden, so daß der postulierte
Gendosiseffekt wohl erst auf der Ebene der Proteinentstehung bzw. -verteilung in der Zelle
zum Tragen kommt.
In einer Osteosarkom sowie einer Gliomzellinie, also Gewebe, welches bei Adulten in der
Regel keine oder höchstens minimale PMP22 Expression zeigt, konnte eine Amplifikation
des PMP22 Genes nachgewiesen werden. Für diese Zellinien konnte die Expression von
PMP22 im Westernblot nachgewiesen werden. Ein denkbarer Zusammenhang zwischen
dieser PMP22 Expression und der Telomerase-Aktivität wurde allerdings nicht gefunden.
Damit lässt sich für PMP22 auch eine Funktion als potentielles Onkogen oder
Tumorsuppressorgen postulieren.
Zu CMT Typ 1B: Der Typ 1B ist durch Kopplung an Chr1q22-23 und eine etwas schwerere
Verlaufsform als Typ 1A gekennzeichnet. Mutationen im Myelin Protein Zero (MPZ, P0)
werden hierfür, aber auch für das Déjérine-Sottas-Syndrom sowie die congenitale
Hypomyeliniserung verantwortlich gemacht. In unserer Studie konnte bislang eine pathogene
Leserasterverschiebung im P0 Gen (INS702GC) identifziert werden. P0 ist als
Adhäsionsmolekül bekannt, daher war diese Mutation im intrazellulären Anteil besonders
auffällig, da ein direkter Zusammenhang mit einer Störung der Funktion der extrazellulären
Adhäsionsdomäne nicht offensichtlich ist. Um diese und andere MPZ Mutationen analysieren
zu können, wurde ein Insekten-Zell basiertes Adhäsionstestsystem entwickelt. Sog. S2
Zellen, die unter geeigneten Wuchsbedingungen nicht selbst-adhäsiv sind, wurden mit einer
Wildtyp- sowie verschiedenen in vitro mutierten P0 cDNAs transfeziert. Interessanterweise
konnte so eine direkte Korrelation zwischen dem Verlust der Adhäsionsfähigkeit und dem
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Schweregrad der Erkrankung gefunden werden. Alle von uns untersuchten Mutationen
liegen nicht in den durch Röntgenkristallographie gefundenen "attachment sites" der P0
homo Di- und Tetramere, so daß sie vermutlich einen größeren Anteil des Proteins in seiner
Raumstruktur beeinflussen.
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