Zur Stellung der Pflanzen im Buddhismus Lambert Schmithausen I. Bäume in der Buddha-Legende als Ausdruck von Naturverbundenheit? 5 10 15 20 25 In der Literatur wird häufig betont, welch große Rolle Bäume im Leben des Buddha (bzw. in den legendären Berichte über sein Leben) spielten. Oft wird dies als Indiz für die Naturverbundenheit des Buddha, und des Buddhismus, gewertet. Kein Zweifel: der BuddhaBiographie bzw. -Legende zufolge sollen die zentralen Ereignisse im Leben des Buddha unter einem Baum stattgefunden haben. Ich nenne hier nur drei: 1. die Geburt, 2. das Erwachen und 3. das Parinirvā1a. 1. Den legendären Berichten von der Geburt des Buddha zufolge gebar ihn seine Mutter stehend unter einem śāla-Baum (Shorea robusta, ein großer immergrüner Blütenbaum)1, nach einigen Quellen unter einem plaka (eine Feigenart: Ficus infectoria)2.3 2. Das Erwachen (bodhi) — d.h. die Einsicht, durch die er überhaupt erst zum Buddha, d.h. zu einem Erwachten, wurde — soll nach der Tradition unter einem Feigenbaum (aśvattha oder pippala, Ficus religiosa) stattgefunden haben.4 Dieser Baum vertritt in den ältesten bildlichen Darstellung des Ereignisses den Buddha, er selbst wird nicht dargestellt; dies geschieht vielmehr erst später. So erklärt sich auch, daß die Buddhisten dem "BodhiBaum" schon früh kultische Verehrung zollten. 3. Beim Parinirvā1a — d.h. seinem Eingehen ins vollkommene Verlöschen beim Tode — hat sich der Buddha, so berichtet die Überlieferung, sein Sterbe-Lager zwischen zwei śāla-Bäumen herrichten lassen. Obwohl es nicht die Jahreszeit dafür war, sollen diese daraufhin plötzlich erblüht sein.5 Es stellt sich die Frage, wie die Funktion der Bäume in der Buddha-Biographie bzw. -Legende zu deuten ist. Geht es wirklich um Naturverbundenheit? Oder stecken bestimmte religiöse oder mythische Vorstellungen dahinter? Oder waren Bäume einfach der zweckmäßigste Ort für das betreffende Ereignis? 1 Renate SYED, Die Flora Altindiens in Literatur und Kunst, Diss. München 1990: 559–571. SYED, op.cit. (s. Anm. 1): 448–454. 3 Ernst WALDSCHMIDT, Die Legende vom Leben des Buddha, Nachdruck Graz: Verlag für Sammler 1982: 41–42; Odette VIENNOT, Le culte de l'arbre dans l'Inde ancienne, Paris: Presses Universitaires de France 1954: 130–157. 4 So Dīghanikāya II 4 (Mahāpadāna-suttanta 1.8). In der vermutlich ältesten Überlieferung (MN I 166f) ist nur von einem "lieblichen Wäldchen" (pāsādika" ... vanasa$%a") die Rede. Vinaya I 1 nimmt auf den "Baum, [wo das] Erwachen [stattgefunden hatte]" (bodhirukkha) Bezug, wird nur von einem der übrigen älteren Vinayas, der zumindest von "einem Baum" spricht, gestützt (vgl. A. BAREAU, Recherches sur la biographie du Buddha dans les Sūtrapi*aka et les Vinanyapi*aka anciens: de la quête de l'éveil à la conversion de Śāriputra et de Maudgalyāyana, Paris 1963: 57–61. 5 Dīghanikāya II 137 (Mahā-parinibbāna-suttanta 5.1-2); WALDSCHMIDT, op.cit. (wie Anm. 3): 232; Hans-Joachim KLIMKEIT, Der Buddha: Leben und Lehre, Stuttgart: Kohlhammer 1990: 142–143. 2 1 30 35 40 45 50 55 1. Bei der Geburts-Legende (die in den frühen kanonischen Texten nicht dokumentiert ist) spielen religiöse bzw. magische Vorstellungen zweifellos eine wichtige Rolle: Die Mutter des Buddha nimmt die Pose der śālabhañjikā ein, der einen Zweig herunterbiegenden jungen Frau. Diese Pose zeigt einen Brauch, bei dem es offenbar darum geht, die überschäumende Lebenskraft und Fruchtbarkeit des Baumes bzw. der ihn bewohnenden Gottheit auf sich überzuleiten. Er soll der Frau zu Fruchtbarkeit bzw. zu einer glücklichen Niederkunft verhelfen.6 2. Auch mit dem Baum als Ort des Erwachens des Buddha dürften sich über kurz oder lang religiöse und mythische Assoziationen verbunden haben.7 Zumal große, alte Bäume galten als Sitz mächtiger, potentiell gefährlicher, z.T. mit blutigen Opfern kultisch verehrter Baumgottheiten. Daß sich ein Asket am Fuße ihrer Behausung niederläßt, mag auch Zeichen seiner Furchtlosigkeit und Unangreifbarkeit sein. Primär ist aber doch wohl die simple Tatsache, daß in der freien Natur ein großer Baum geradezu der ideale Ort für die Meditation ist, abgeschieden und zugleich schattig.8 "Am Fuße eines Baumes" wird ja auch sonst häufig als geeigneter Ort für die Meditation empfohlen.9 Und erst recht dürfte für das Sterbelager des Buddha ein schattiger Platz, eben unter zwei dichten Bäumen, angemessen gewesen sein. Ihr Erblühen außerhalb der Saison unterstreicht die Einzigartigkeit des Buddha als Heilsbringer. 3. Solche Orte konnten natürlich auch ästhetisch ansprechend sein. In einer Lehrrede des frühbuddhistischen Kanons 10 bezeichnet der Buddha selbst die Stelle, wo er anschließend zum Erwachen gelangte, ausdrücklich als "ein entzückendes Fleckchen Erde" (rama$īyo ... bhūmibhāgo). Interessant ist in diesem Zusammenhang eine Stelle in einem späteren (Mahāyāna-)Text:11 Hier erklären Nirgranthas (= Jainas, Anhänger einer rivalisierenden Asketengruppe), der Asket Gautama (d.h. der Buddha) liebe von Natur aus dichte Wälder sowie Flüsse und Quellen mit reinem Wasser. Um ihn fernzuhalten, stiften sie daher die Leute dazu an, alle Bäume ringsherum abzuhacken und die Gewässer zu verunreinigen. In der buddhistischen Erzählungsliteratur und Dichtung ist, wie in der Hindu-Literatur, die Schilderung der idyllischen Umgebung von āśramas, von Einsiedeleien, ein Topos. Dabei wird stets auch die Vielfalt der Blumen und Blütenbäume hervorgehoben. 6 Gustav ROTH, "The Woman and the Tree Motif", in: Journal of the Asiatic Society Vol. 23.1/1957: 91–116 (nachgedruckt in: H. BECHERT and P. KIEFFER-PÜLZ (Hrsg.), Indian Studies (Selected Papers) by Gustav Roth, Delhi 1986: 19–44. 7 Vgl. hierzu vor allem VIENNOT, op. cit. (s. Anm. 3): 162–234. 8 Auch die "erste Meditation" in der Jugendzeit des Bodhisattva (d.h. des Buddha vor seinem Erwachen), an die er sich nach Aufgabe der strengen Selbstkasteiung, die nicht zum Ziel geführt hatte, erinnert, hatte unter einem Baum (in diesem Falle einem jambu-Baum) stattgefunden (Majjhimanikāya I 246; VIENNOT, op.cit (s. Anm. 3): 158–162; Syed, op.cit. [s. Anm. 1]: 288–302, bes. 290f u. 298–300). 9 Z.B. Majjhimanikāya I 46,8f: "Da habt ihr die [Plätze] am Fuß der Bäume (eigtl.: Baumwurzeln), da habt ihr die leeren Häuser: meditiert, seid nicht nachlässig!" (etāni ... rukkhamūlāni, etāni suññāgārā$i; jhāyatha ... mā pamādattha). 10 Majjhimanikāya I 167,1ff (Nr. 26: Ariyapariyesana-sutta). 11 T (= Taishō Shinshū Daizōkyō) Bd. 12: 457c17ff (K. YAMAMOTO, The Mahāyāna Mahāparinirvā$asūtra, Bd. II, Tokyo: Karinbunko 1974: 384). 2 60 4. Manchmal warnen die Texte aber auch vor zu stark emotionalisiertem Gefallenfinden an der Schönheit der Natur. Bäume als Meditationsobjekt dienen eher als Anschauungsmaterial für die Betrachtung der Vergänglichkeit: fallende Blätter und im Wind dahintreibende Blüten. 12 Auch die Pflanzen müssen als Teil der unbeständigen, unzulänglichen Welt begriffen werden.13 Sie wuchern und vermodern. Ideale Welten werden daher oft so beschrieben, daß dort Blumen und Bäume aus Edelmetall und Edelsteinen bestehen. II. Verhalten gegenüber Pflanzen14 65 70 75 80 Den Ordinierten (d.h. Mönchen und Nonnen) ist es untersagt, Pflanzen und Samen zu beschädigen. Eine solche Regel findet sich nicht nur im Prātimokasūtra, den Grundregeln der Disziplin (vinaya) der Mönche und Nonnen, sondern schon in einer wohl noch älteren Liste asketischer Verhaltensnormen in den Lehrreden.15 Die Regel bezieht sich nicht nur auf Nutzpflanzen, sondern auf Pflanzen aller Art. Der traditionellen Erklärung zufolge wurde die Regel erlassen, weil Mönche im Zusammenhang mit einer Baumaßnahme eigenhändig einen Baum gefällt hatten. Diese Erklärungen sind durchweg später als die Regeln selbst, aber doch immer noch vergleichsweise alt. Daß aber nicht nur an Bäume, sondern an Pflanzen überhaupt gedacht ist, ergibt sich aus einigen weiteren Pflanzen betreffenden Verboten. So ist es den Mönchen und Nonnen untersagt, während der Regenzeit umherzuwandern, da sie dabei nicht nur Kleingetier, sondern auch grüne Gräser bzw. Kräuter zertreten würden. 16 Auch dürfen sie nicht junge tāla-Bäume (Palmyrapalmen, Borassus flabillifer)17 beschneiden, um sich aus den Blättern Sandalen zu machen.18 Von den buddhistischen Laienanhängern hingegen wird eine so strikte Zurückhaltung gegenüber Pflanzen normalerweise nicht erwartet. Allenfalls krasses Fehlverhalten gegenüber Bäumen wird bisweilen getadelt; so etwa, wenn jemand, der einen Baum fällt, dessen Früchte er genossen oder in dessen Schatten er sich erquickt hat, als undankbar bezeichnet wird.19 12 Vgl. Verf., "Heilsvermittelnde Aspekte der Natur im Buddhismus", in: G. OBERHAMMER und M. SCHMÜCKER (Hrsg.), Raum-zeitliche Vermittlung der Transzendenz, Wien: Verlag der Österr. Akad. d. Wiss. 1999: 247–251. 13 Vgl. Majjhimanikāya III 274: Auch Wurzel, Stamm, Zweige und Blätter eines großen, stabilen und kernigen Baumes sind vergänglich und dem Verfall geweiht. 14 Für das Folgende sei verwiesen auf Verf., The Problem of the Sentience of Plants in Earliest Buddhism, Tokyo: The International Institute for Buddhist Studies 1991. Eine Kurzfassung bietet Verf., Plants as sentient beings in earliest Buddhism, Canberra, The Australian National University 1991 (Basham Lecture for 1989). 15 Vinaya IV 34 (Pācittiya 11); Dīghanikāya I 64 u. Parallelen. 16 Vinaya I 137 u. IV 296. 17 SYED, op.cit. (s. Anm. ): 308–325. 18 Vinaya I 189: "Die Mönche der Sechsergruppe ... ließen junge Palmyra-Palmen beschneiden (oder: beschnitten für sich ...: Kausativum in der Funktion eines Mediums [O. VON HINÜBER: Das ältere Mittelindisch im Überblick, 2. Aufl. Wien 2001, § 415]?) und trugen [aus] Palmyra-Blättern [gemachte] Sandalen." Ebenso T Bd. 22: 847b12f: "Mönche der Sechsergruppe (die notorisch durch ungebührliches Betragen auffallen) schnitten Blätter eines Tāla-Baumes ab und machten sich Sandalen daraus. Der Baum verdorrte daraufhin. ...". 19 ACguttaranikāya III 369; Jātaka IV 352; Petavatthu II.9.1ff. 3 Hemmungen beim Fällen von Bäumen, zumal großen, dürften dem volkstümlichen Baumkult zu verdanken sein: die Baumgottheiten sind ambivalent; sie können hilfreich sein, über eine Verletzung oder gar Zerstörung ihres Sitzes aber auch in Zorn geraten und sich am Täter rächen. 85 90 95 100 105 110 III. Religiös-weltanschaulicher Hintergrund des Verhaltens Grundsätzlich ist das Verhalten gegenüber Pflanzen, vor allem das von den Ordinierten geforderte, gewiß im Kontext der ahi"sā zu sehen, des Nichtverletzens fühlender, empfindungsfähiger Lebewesen jedweder Art. Verletzen und Töten solcher Lebewesen gilt nicht nur im Buddhismus, sondern auch in anderen Asketenbewegungen der damaligen Zeit, vor allem bei den Jainas, als unheilsam und unethisch. Unheilsam, weil es zu einem üblen Nachtodschicksal führt (ursprünglich gab es die Vorstellung, daß sich das Opfer im Jenseits am Täter rächt). Unethisch, weil alle Lebewesen wie man selbst den Tod fürchten und vor Schmerz zurückscheuen. Es stellt sich dann aber zwangsläufig die Frage, ob denn auch Pflanzen als empfindungsfähige Lebewesen gelten können. Für die vorbuddhistische Religion der vedischen Texte ist dies in der Tat zu bejahen. Noch expliziter sind die Texte der Jainas, einer mit dem Buddhismus konkurrierenden, in ihren Anfängen wohl etwas älteren Asketenbewegung. Hier gelten nicht nur Pflanzen und Samen, sondern auch die Elemente, zumindest Erde und Wasser, als belebt; sie verfügen immerhin über ein Sinnesvermögen, den Tastsinn, und empfinden daher bei Verletzung Schmerz. Auch im nachvedischen Hindu-Denken ist die Vorstellung, daß Pflanzen empfindungsfähige Lebewesen seien, noch relativ weit verbreitet. Einem Textstück des großen Epos, des Mahābhārata, zufolge besitzen sie sogar alle sechs Sinne.20 Andere Texte lehren (ähnlich wie die Jainas), daß es sich bei den Pflanzen um vergleichsweise niedrige, dumpfe Geschöpfe handle: sie sind nur in ihrem Inneren empfindungsfähig, spüren aber ebendeshalb aber durchaus den Schmerz tiefer Axthiebe.21 Im Gegensatz dazu wird in den ausgebildeten, nachkanonischen buddhistischen Lehrsystemen den Pflanzen Empfindungsfähigkeit abgesprochen. Allenfalls wird ihnen eine Art rein physischer Lebenskraft zuerkannt, aber keine geistig-seelischen Regungen.22 Die individuelle Pflanze hat, im Gegensatz zu Mensch und Tier, kein Vor- und Nachleben,23 d.h. die Pflanzen nehmen nicht am karma-gesteuerten SaXsāra, dem Immerwiedergeborenwerden, 20 Mahābhārata (krit. Ausg.) 12.177.10-18; vgl. Albrecht WEZLER, "Bemerkungen zu einigen von Naturbeobachtung zeugenden Textstellen und den Problemen ihrer Interpretation", in: Studien zur Indologie und Iranistik 13/14 (1987): 333–345 21 Vgl. Albrecht WEZLER, "On the term antaYsaXjña-, in: Annals of the Bhandarkar Oriental Research Institute 68/1987: 111–131. 22 Vgl. Verf., The Problem of the Sentience... (s. Anm. 14) § 30. In diesem Sinne möglicherweise auch Milindapañha 151,18-21, wo es im Rahmen eines Vergleiches von einem vertrockneten Baum heißt, sein Leben (jīvita) sei zerstört und sein Lebensdauer-Impuls (āyusaCkhāra) aufgebraucht, weshalb er auch durch ausgiebiges Bewässern keinen neuen Saft bekomme und nicht wieder austreibe und ergrüne, vorausgesetzt, daß man sie überhaupt im Sinne einer theoretischen Anschauung auslegen darf (s. S. 9). 23 Abhidharmakośa-bhāya (ed. P. PRADHAN, Patna 1967) 221,1. 4 115 120 125 130 135 140 teil. Man kann folglich auch selbst nicht als Pflanze wiedergeboren werden. Manchmal werden die Pflanzen rundweg mit anorganischen Dingen (z.B. den Juwelenbäumen in der Himmelswelt) auf eine Stufe gestellt.24 Einige Autoren führen sogar formelle Argumente gegen den Lebewesencharakter der Pflanzen ins Feld. So heißt es z.B., Pflanzen könnten keine empfindungsfähigen Lebewesen sein, weil sie keine Körperwärme haben, weil sie (so dachte man) nicht atmen, oder weil sie bei Verletzung nicht zusammenzucken. Fällen eines Baumes oder Abschneiden von Gras fällt dann definitiv nicht unter die Kategorie ‘Töten von Lebewesen’.25 Es fragt sich aber, ob solch eine dezidierte Ablehnung der Empfindungsfähigkeit der Pflanzen schon für die Anfänge des Buddhismus anzunehmen ist. In den kanonischen Texten des frühen Buddhismus wird die Frage nämlich nicht diskutiert, und es gibt dort m.W. auch keine explizite Aussage in einem doktrinären Kontext, weder eine positiv noch eine negativ, was schon sehr merkwürdig ist. Es bleibt somit kein anderer Weg, als die frühen Texte nach Indizien abzuklopfen. Von Interesse sind dabei zunächst einmal die bereits erwähnten Pflanzen betreffenden Vorschriften im Vinaya, also den Texten zur Ordensdisziplin. Hier wird als Grund dafür, daß die Ordinierten Pflanzen nicht beschädigen sollen, mehrfach angeführt, daß die Leute Bäume bzw. Pflanzen für Lebewesen (jīva) mit einem Sinnesvermögen (ekindriya) halten26 und sich darob entrüsten, daß die buddhistischen Mönche solche Lebewesen verletzen. Diese Ausdrucksweise (sc. ekindriya jīva) wird nirgendwo im Kanon im Sinne einer buddhistischen Anschauung verwendet. Sie ist vielmehr typisch für die Jainas,27 und in einigen Vinaya-Versionen wird der Vorwurf tatsächlich von nichtbuddhistischen Asketen erhoben. Nun geht es im Vinaya nicht so sehr um ethische Richtlinien als vielmehr um die Sicherung des harmonischen Zusammenlebens der buddhistischen Mönche und Nonnen miteinander und vor allem mit der säkularen Gesellschaft, d.h. um die Sicherstellung des gesellschaftlichen Ansehens des buddhistischen Ordens. Das Verbot, Pflanzen zu beschädigen, muß deshalb nicht ethisch begründet sein; es muß nicht bedeuten, daß die buddhistischen Ordinierten selbst die Pflanzen für empfindungsfähige Lebewesen und deshalb für unverletzlich hielten. Es kann sehr wohl aus Rücksichtnahme auf die Er- 24 So MadhyamakahEdaya IX.140 u. 147. Vgl. Abhidharmakośa-vyākhyā (ed. U. WOGIHARA, Nachdr. Tokyo 1971) 381,21-23 u. 381,30f; s. auch Verf., The Problem of the Sentience ... (wie Anm. 22): 82 n. 459. 26 Vinaya IV 34; s. auch I 137; 189; III 156; IV 296; ebenso übrigens auch im Falle der Erde (Vinaya IV 32). Die spezifische Bezeichnung "Lebewesen mit [nur] einem Sinnesvermögen" ist in diesen Kontexten außerhalb der Pāli-Version schlecht belegt. Vgl. aber für die Pflanzen immerhin T Bd. 23: 74c24-25 (Vinaya der Sarvāstivādins): "Bei dieser Gelegenheit gab es Haushälter, welche bezüglich der Pflanzen der Ansicht waren, sie besäßen Leben; als [diese] sahen, [daß die Mönche eigenhändig Pflanzen beschädigten,] sprachen sie entrüstet: ‘Die buddhistischen Mönche sind Leute, die [lebenden Wesen] das Leben nehmen, sie töten Wesen mit einem Sinnesvermögen (一根眾生 = ekendriya jīva)’." Für die Erde T Bd. 22: 384c13 (mit v.l.) u. Bd. 23: 117b19f. 27 Auch in der Kommentarliteratur der Theravādins wird die Vorstellung der Lebewesen mit nur einem Sinnesvermögen ausdrücklich den Jainas zugeschrieben: vgl. Nalini BALBIR, "Jain-Buddhist Dialogue: Material from the Pāli Scriptures", in: Journal of the Pali Text Society 26/2000: 23. 25 5 145 wartungen der Leute erlassen worden sein, d.h. weil in deren Augen auch eine Verletzung pflanzlichen Lebens einen Verstoß gegen das Ideal der ahi"sā und somit ein für Asketen ungebührliches Verhalten darstellte. Solches Verhalten wäre dem Ansehen des Ordens abträglich gewesen und hätte sich leicht als Wettbewerbsnachteil gegenüber anderen Asketengemeinschaften auswirken können. 150 Es ist übrigens bemerkenswert, daß das Verbot, Pflanzen zu beschädigen, auch damit begründet wird, daß diese — zumal Bäume — Wohnstätte von Gottheiten (devatā) oder auch von allerlei Getier seien, ihre Zerstörung somit diese schädigen würde. Diese Begründung versucht ganz offenbar, ohne den (von den Leuten unterstellten) Lebewesencharakter der Pflanzen auszukommen. 170 Die große Masse der kanonischen Prosa-Lehrreden gibt für die Frage, ob im frühesten Buddhismus die Pflanzen noch als empfindungsfähige Lebewesen galten, wenig her. Interessant sind dagegen ein paar Stellen in alten Verstexten.28 Hier ist von "beweglichen" (tasa) und feststehenden oder ortsgebundenen (thāvara) Wesen die Rede, die ein frommer Buddhist nicht töten oder verletzen, sondern verschonen und mit Wohlwollen betrachten soll. Die Terminologie scheint aus der alten Asketentradition zu stammen. Sie ist vor allem bei den Jainas geläufig, kommt aber auch im Epos gelegentlich vor. Mit den "ortsgebundenen" Wesen sind vor allem die Pflanzen gemeint, die auch später oft mit diesem Ausdruck (Skt. sthāvara) bezeichnet werden. Die Aufforderung, die beweglichen und ortsgebundenen Wesen nicht zu schädigen, sondern mit Wohlwollen zu betrachten, steht in den betreffenden Texten nicht im Kontext der Ordensdisziplin. Es geht hier vielmehr um Ethik und spirituelle Praxis. Es ist daher zu vermuten, daß hier die Vorstellung, auch Pflanzen seien empfindungsfähige Wesen, noch lebendig (oder zumindest nicht in Frage gestellt) war. In der Tat reden ein paar Stellen29 ausdrücklich von den "beweglichen und ortsgebundenen Lebewesen" und benutzen dabei dasselbe Wort (pā$a), daß sonst Tieren und Menschen vorbehalten ist. In einem Verstext werden sogar, im Rahmen einer Aufzählung unterschiedlicher Klassen von Lebewesen (pā$a), neben Tierklassen auch Gräser und Bäume, also die Pflanzen, genannt. 30 Es ist aber nirgendwo davon die Rede, daß man als Pflanze wiedergeboren werden kann. In die kanonischen Schemata möglicher Wiedergeburtsformen passen die Pflanzen nicht hinein.31 175 Wie ist dieser Befund zu deuten? Denkbar wäre, daß die Verse eine ältere Überlieferungsschicht repräsentieren, in der die Pflanzen noch wie selbstverständlich als empfindungsfähige Lebewesen galten. Möglich ist aber auch, daß sie einen anderen, offeneren, weniger an doktrinären Aspekten ausgerichteten literarischen Strang der Überlieferung darstellen. Daß auch solche Texte in die kanonische Überlieferung 155 160 165 28 Suttanipāta Vers 394; 967; 629 = Dhammapada 405; Sa"yuttanikāya I 141; IV 117; Majjhimanikāya II 105 = Theragāthā 876. Nur ganz sporadisch in Prosa-Lehrreden: Sa"yuttanikāya IV 351 u. V 393. 29 Suttanipāta Vers 146 u. 704. 30 Suttanipāta 600ff. 31 Vgl. Verf., The Problem of the Sentience ... (wie Anm. 14): 79–81. 6 180 185 190 195 200 205 210 einbezogen wurden, erscheint aber doch nur vorstellbar, solange die Ausgliederung der Pflanzen aus dem Kreis der empfindungsfähigen Lebewesen noch nicht definitiv, sondern allenfalls eine Tendenz war. Ich bin daher der Auffassung, daß die Pflanzen im ältesten Buddhismus als eine Art Grenzfall empfunden wurden. Im Bereich der Meditationspraxis (etwa der Übung des Wohlwollens mit allen Wesen) kostete es nichts, sie mit einzubeziehen. Auch in der Alltagspraxis der Ordinierten war Rücksichtnahme möglich, da die Ordinierten nicht selbst für ihre materiellen Bedürfnisse sorgen mußten. In der Lebenswelt der meisten Laien aber war konsequentes Nichtverletzen von Pflanzen noch viel schwieriger durchzuhalten als ahi"sā gegenüber Tieren. Und selbst für die Ordinierten konnte es Probleme geben, wenn sie Einladungen annahmen. Im Normalfall mußten dann eigens für sie Gemüse, Früchte und Körner zerschnitten, zerquetscht oder gekocht werden. Wären Pflanzen und Samen empfindungsfähige Lebewesen, würde solche Zubereitung Verletzen und Töten bedeuten, und die Ordinierten wären indirekt verantwortlich dafür. Jaina-Asketen dürfen deshalb keine eigens für sie zubereitete Nahrung und folglich auch keine Einladungen annehmen. Im Buddhismus dagegen wurde der Lebewesencharakter der Pflanzen, wenn es um ihre Nutzung ging, weitgehend verdrängt. So ließ sich das Leben für Laien und Ordinierte halbwegs praktikabel halten. Eine doktrinäre Entscheidung der Frage, ob Pflanzen Lebewesen sind oder nicht, wurde aber zunächst vermieden. Sie gehört, zumindest de facto, zur Kategorie der nicht heilsrelevanten rein theoretischen Fragestellungen, zu denen der Buddha nicht Stellung genommen hat, ähnlich wie die Frage nach der Existenz eines wahren Ichs oder Selbstes (ātman). Aus buddhistischer Sicht ist der Abbau der inneren Fehlhaltungen (Gier, Haß, Verblendung) das Entscheidende. Übertriebene ahi"sā, sozusagen über das intuitiv einleuchtende Maß hinaus, führt nicht weiter. Die Jaina-Asketen hingegen legen größten Wert darauf, nur ja kein Lebewesen zu verletzen. Für sie ist es daher ganz wichtig, den Bereich der empfindungsfähigen Lebewesen genau abzustecken. Sie fassen ihn lieber zu weit als zu eng. Einer strikten Einhaltung der ahi"sā zuliebe nehmen sie extrem restriktive Verhaltensund Speisevorschriften in Kauf. Im Alltagsleben stehende Laien haben eine solche Möglichkeit nicht. Selbst wenn sie nur Pflanzen verarbeiten, töten sie – nach jinistischer Auffassung – Lebewesen und sammeln schlechtes Karma. Im Buddhismus ist demgegenüber deutlich eine Tendenz zu mehr Praktikabilität erkennbar. Wie dargelegt, waren nach meiner Auffassung die Pflanzen im frühen Buddhismus eine Art Grenzfall der empfindungsfähigen Lebewesen, u. zw. sozusagen am unteren Rand. Nur so wird m.E. plausibel, daß in späteren buddhistischen Texten die Empfindungsfähigkeit der Pflanzen ausdrücklich bestritten wird. Einen Gegenvorschlag hat kürzlich Ellison Banks FINDLY gemacht.32 Sie meint, daß die Pflanzen im ältesten Buddhismus — zumindest auch — als ein Grenzfall am oberen Rand der Skala der Lebewesen betrachtet werden könnten.33 32 Ellison Banks FINDLY, "Borderline Beings: Plant Possibilities in Early Buddhism", in: Journal of the American Oriental Society 122.2/2002: 252–263. 33 Ibid. 262(l)–263(r): "... either they are so rudimentary that they can't move and accumulate kamma, or they are so advanced that they no longer move about and need only dissipate a few kammic remains before final enlightenment." 7 215 220 225 230 235 240 Sie seien standfest (thāvara) nicht nur im Sinne von "ortsgebunden", sondern auch von "innerlich unbewegt, frei von Leidenschaften", wie die Arhats, d.h. heilige Personen, welche die inneren Fehlhaltungen restlos abgebaut haben und mit dem Tode ins Nirvā1a eingehen.34 Die (oder einige?) Pflanzen seien also nicht durch Dumpfheit, sondern ganz im Gegenteil durch Klarheit, durch Geläutertsein, charakterisiert.35 Es handle sich um Lebewesen, die, wie Arhats, nur noch einen letzten Rest von Karma abgelten, bevor sie aus dem SaXsāra, dem Kreislauf der Wiedergeburten, ausscheiden. Auch ihre äußerliche Bewegungslosigkeit füge sich dazu: sie erinnere an fortgeschrittene Jaina-Asketen, die bewegungslos bleiben, um kein neues Karma anzusammeln.36 Für ihre Deutung verweist FINDLY auch auf die im ostasiatischen Buddhismus anzutreffende Lehre von der Buddha-Natur oder Buddhaschaft der Pflanzen: Pflanzen als vollkommene, erwachte Wesen.37 Das wäre ein bemerkenswerter Fall von Kontinuität, wenngleich eine solche Auffassung von den Pflanzen in der Zwischenzeit verschüttet gewesen zu sein scheint. FINDLYs These ist originell und — mir jedenfalls — durchaus sympatisch. Jedoch erscheint mir die Evidenz, auf die sie sich stützt, problematisch. Es ist mir auch nicht klar, ob ihre Deutung der Pflanzen als vollkommene Wesen für alle Pflanzen gelten soll oder nur für einige. Zumindest wenn sie für alle Pflanzen gelten soll, wäre eine solche Einordnung der Pflanzen im Ambiente des frühen Buddhismus ohne Parallele. Bei Jainas und Hindus gehören die Pflanzen, wie FINDLY selbst bemerkt,38 ans untere Ende der Lebewesen-Skala. Allenfalls die zugleich als Gottheit personifizierte Soma-Pflanze, deren Saft in frühvedischer Zeit in Mythus und Kult eine zentrale Rolle spielte, könnte man hier anführen, aber sie ist ein Ausnahmefall und für den Buddhismus kaum noch relevant. Einer generellen Einordnung der Pflanzen am oberen Skala-Ende widerspricht auch FINDLYs eigener Ausgangspunkt: die Charakterisierung der Pflanzen als nur ein Sinnesvermögen, den Tastsinn, besitzend.39 Dies wäre gewiß eher ein Indiz für eine dumpfe, hilflose Existenzform. Wesen am oberen Ende der Skala müßten, wie FINDLY selbst sagt,40 geistige Qualitäten haben: Urteilsfähigkeit und Einsicht. Ganz abgesehen davon ist der von FINDLY gewählte Ausgangspunkt, eben die Charakterisierung der Pflanzen als nur ein Sinnesvermögen besitzend, als solcher problematisch: diese Auffassung wird ja nie als buddhistische vorgetragen, sondern stets nur als die "der Leute", also mit deutlicher Distanzierung. Zur Rekonstruktion der frühbuddhistischen Position kann sie daher nicht verwendet werden. 34 Vgl. ibid. 262(r). Ibid. 262(l): "... there are also ways to see ‘stationary’ plants in early Buddhism as sattvic" (d.h. durch die Qualität des sattva, d.h. Reinheit, Lichthaftigkeit [ein Begriff des brahmanischen Sā_khyaSystems], gekennzeichnet [L.S.]). 36 Ibid. 263(l). 37 Ibid. 261(r). 38 Ibid. 255(r); 260(r); 261(l,r). 39 Ibid. 254–258. Vgl. bes. 255r: "One way to argue that for early Buddhists, plants are one-facultied living beings [fn.: Vin 1.189 and 4.34] is to develop the notion that in the early canon plants appear to be endowed with the sense of ‘touch’." 40 Ibid. 261(r). 35 8 245 250 255 260 265 270 Daran ändern auch die zusätzlichen Belege nichts, die FINDLY für die Lebendigkeit der Pflanzen und für ihr Ausgestattetsein mit dem Tastsinn anführt. Sie stammen durchweg aus Vergleichen, sind also der alltäglichen Vorstellungswelt entnommen. Es ist daher methodisch unzulässig, ihnen doktrinäre Relevanz beizumessen. Das Gleiche gilt auch für poetisch gefärbte Stellen, in denen Pflanzen quasi als Vorbild des vollkommenen Asketen dargestellt werden. Wenn etwa ein Einsiedler sagt, er liege, in der vegetationstreibenden Regenzeit, in den Bergen wie ein Baum,41 so mag das, im Sinne des Kommentars und eines späteren Textes, darauf hinweisen, daß er wie ein Baum frei von Besitzgier ist. Aus einem solchen Vergleich aber auf Bäume als Wesen von höchster spiritueller Perfektion zu schließen, dürfte sich verbieten. Man müßte dann das Gleiche für Löwen, Elefantenbullen oder Rhinozerosse annehmen; denn auch mit diesen wird der vollkommene Asket verglichen, etwa unter dem Aspekt der Furchtlosigkeit oder des Allein-Umherwanderns.42 Das bedeutet aber gewiß nicht, daß diese Tiere als spirituell vollkommene Wesen galten! Selbst wenn man all diese Bedenken einmal zurückstellt, führt die Annahme, die Pflanzen (oder zumindest einige) seien Rest-Karma abtragende Erlöste, im Kontext des frühbuddhistischen Denkens zu erheblichen Schwierigkeiten. Erlöste, Arhats, werden ja nach einhelligem Zeugnis der Texte überhaupt nicht wiedergeboren, also auch nicht als Pflanzen.43 Man müßte schließlich auch nach den Konsequenzen von FINDLY's These für die Alltagspraxis, insbesondere der Laien, fragen. Zumal wenn alle Pflanzen vollkommene Lebewesen wären, würde das nicht eine gewaltige Barriere gegen deren Nutzung errichten? Tötung eines Arhat gilt in der Tradition als ein besonders schlimmes Vergehen. Oder sollte man annehmen, daß die Pflanzen sich bereitwillig der Nutzung durch Mensch und Tier zur Verfügung stellen, um damit ihr Rest-Karma abzugelten? Die Texte geben keine Anwort auf solche Fragen, noch liefern sie irgendwelche tragfähigen Anhaltspunkte für die These einer früh- oder urbuddhistischen Auffassung der Pflanzen als vollkommene Lebewesen am "oberen Ende der Lebewesen-Skala". Die These erscheint allzu spekulativ, und damit 41 Die Verbindung von "Baum" und "liegen" in Theragāthā 1137 (FINDLY p. 262, mit Fn. 82) spricht wohl eher für einen umgefallenen, also leblosen Baum; vgl. auch Theragāthā 62 (FINDLY p. 262 mit Fn. 81), wo sich der Einsiedler mit einem im Wald weggeworfenen Baum oder besser wohl [toten] Stamm (dāru) vergleicht. Diese letzteren Stellen eignen sich somit schon aus diesem Grunde nicht als Belege für die These, Pflanzen seien vollkommene Lebewesen. 42 Verf. (wie Anm. 12): 233. 43 Es hilft auch nicht, anzunehmen, die Erlösung, die Arhatschaft, werde von den betreffenden Lebewesen erst mit der Wiedergeburt als Pflanze erreicht. Wenn alle Pflanzen nur den Tastsinn besitzen, ist schwer vorstellbar, wie das möglich sein soll. Man müßte schon annehmen, daß sie sich in einem Versenkungszustand (nach Art des ‘Eintritts in das Aufgehörthaben von bewußter Vorstellung und Empfindung’, saññā-vedayita-nirodha-samāpatti) befinden, in welchem sie die ‘Sphäre, in der es kein Sterben gibt’ (amatā dhātu) "mit dem Körper berühren" (wie es ACguttaranikāya III 356 von bestimmten Versenkungspraktikern heißt), und diesen letzteren Ausdruck ganz wörtlich nehmen. Ohne textliche Stütze erscheint eine solche Annahme aber allzu spekulativ. Wenn hingegen die Erlösung mit der Wiedergeburt als Pflanze automatisch einträte, wozu dann die entsagungsreiche spirituelle Praxis des Erlösungsweges als Mönch oder Nonne? Wäre es nicht sinnvoller, für eine Wiedergeburt als Pflanze zu sorgen? — zumal diese ja angesichts der ungeheuren Zahl pflanzlicher Wesen nicht besonders schwierig zu erreichen sein dürfte! Für den Fall, daß nur einige Pflanzen vollkommene Wesen mit geistigen Fähigkeiten wären, entfielen zwar die obigen Schwierigkeiten, doch bliebe immer noch das Problem fehlender textlicher Evidenz. 9 verflüchtigt sich auch die Basis für eine Kontinuität in der Einschätzung der Pflanzen vom ältesten Buddhismus bis nach Japan. IV. Zur Buddha-Natur der Pflanzen im ostasiatischen Buddhismus 275 280 285 Im folgenden ein paar Hinweise zu der im vorigen angedeuteten Lehre von der Buddha-Natur oder Buddhaschaft der Pflanzen im ostasiatischen Buddhismus. Ich wage mich damit zwar über den Rand meines eigentlichen Arbeitsgebietes hinaus, möchte diese Entwicklung aber doch zumindest skizzenhaft der für den ältesten Buddhismus postulierten Situation gegenüberstellen. Die Lehre von der Buddha-Natur der "Gräser und Bäume" wird keinesfalls vom gesamten ostasiatischen Buddhismus vertreten und ist dort, wo sie vertreten wird, unterschiedlich ausgestaltet. Wichtig ist ferner, daß nicht nur die Pflanzen involviert sind. In China ist generell von der Buddha-Natur oder Buddha-Werdung der empfindungslosen oder nicht empfindungsfähigen Dinge (無情, 非情) die Rede, und dazu gehören natürlich nicht nur die Pflanzen. Auch in Japan sind explizit oder implizit etwa das Land, Berge und Flüsse und bisweilen sogar Artefakte einbegriffen.44 In der Lehre von der Buddha-Natur der Pflanzen laufen offenbar mehrere Stränge zusammen. Ich kann nur Andeutungen machen, ohne Anspruch auf Vollständigkeit: 290 295 300 1. Schon nach indischer Anschauung kann unter dem Einfluß des Buddha die Verkündigung der buddhistischen Lehre auch aus nichtempfindungsfähigen Dingen wie Bäumen, Gräsern, Blumen, Bergen, Gewässern, aber auch Wänden ertönen, etwa in Sukhāvatī, der glückvollen Welt des Buddha Amitābha.45 Daraus kann man eine Art MitErwachtsein der gesamten Umwelt ableiten. 2. Schon indisch ist auch die Lehre, daß die Buddhaschaft in allen Lebewesen in verborgener oder keimhafter Form immer schon vorhanden ist. Diese immanente Buddhaschaft wird dann mit dem alldurchdringenden wahren Wesen des Universums, der tathatā oder dharmatā, gleichgesetzt. In China wird, vom Ende des 6. Jh. an, daraus die Konsequenz gezogen, daß dann eben auch die Buddha-Natur allem, auch dem nicht Empfindungsfähigen, also auch den Pflanzen, innewohnen muß. Verstärkt wird diese Entwicklung durch die in einigen Schulen des chinesischen Buddhismus, besonders Hua-yen und T'ien-t'ai, entwickelte Ansicht, daß alles in allem enthalten sei, also auch die Buddhaschaft in den Pflanzen usw. Es geht aber bei diesen Überlegungen zunächst nicht um die Pflanzen selbst, in dem Sinne, daß sie tatsächlich imstande wären, aktiv den Weg zur Buddhaschaft zu praktizieren. Es geht vielmehr um die Überwindung von sich absolut setzenden 44 Bei einem Vergleich der ostasiatischen Theorie von der Buddha-Natur und den für den frühesten Buddhismus in Indien erschließbaren Anschauungen darf dieser Punkt nicht außer Acht gelassen werden. In den frühbuddhistischen Texten sind nur die Pflanzen noch einigermaßen als Grenzfall des Empfindungsfähigen greifbar. Von einem Lebewesencharakter der Erde hingegen ist kaum mehr etwas zu spüren, von den übrigen Elementen oder gar Artefakten ganz zu schweigen (vgl. Verf., The Problem of the Sentience ... [wie Anm. 14]: pp. 46–57). 45 Verf., "Heilsvermittelnde Aspekte ..." (wie Anm. 12): 235–236. 10 305 310 315 einschränkenden Festlegungen und Positionen,46 also um die spirituelle Praxis des nach dem Erwachen strebenden Menschen. Oder es geht um die Erklärung des unter Punkt 1 skizzierten automatischen "Mit-Erwachens" des nicht Empfindungsfähigen, das allerdings so verstanden werden kann, daß es nur in der Vorstellung der Menschen stattfindet.47 3. Im Zusammenhang mit dem Buddha Vairocana entwickelt sich, wohl ebenfalls schon in Indien, die Vorstellung, daß sein wahrer Körper den ganzen Kosmos durchdringt, bzw. daß der ganze Kosmos, die ganze Welt, der Körper des Buddha Vairocana ist. In einem alttürkischen Text aus Zentralasien heißt es: "Das Wesen des Buddha Vairocana ist alles: Erde, Berge, Steine, Sand, das Wasser von Bächen und Flüssen, alle Tümpel, Rinnsale und Gewässer, alle Pflanzen und Bäume, alle Lebewesen und Menschen. Es gibt überhaupt keinen Ort, der nicht von dem Wesen des Vairocana erfüllt wäre."48 Diese Lehre wurde von Kūkai (空海: 774––835) von China nach Japan gebracht. Sie schließt ein, daß alle Elemente, zu denen auch der Geist gehört, in allem vorhanden sind. Auch die Pflanzen enthalten somit Geist. Die Frage ist nur, was das bedeutet und was für Konsequenzen das für die Buddha-Werdung der Pflanzen hat. 320 Einen interessanten Beitrag zur Beantwortung dieser Frage hat in der 2. Hälfte des 9. Jh. 325 der Tendai-Meister Annen (安然) geleistet. Er betont, daß die nicht empfindungsfähigen Dinge wie "Gräser und Bäume" wirklich selbst Buddha werden können. Grundlage dafür ist, daß sie dieselbe wahre Natur in sich tragen wie die empfindungsfähigen Wesen (also Menschen und Tiere). Diese wahre Natur ist die Buddha-Natur und zugleich eine nicht bedingte, überindividuelle, makellose Form des Geistes.49 Unter dem Einfluß der BuddhaWerdung empfindungsfähiger Lebewesen können sich auch bei "Gräsern und Bäumen" aus dieser makellosen Form des Geistes die übrigen, individuellen und aktuellen Formen des Geistes entwickeln.50 Auf diese Weise werden "Gräser und Bäume" zu eigener spiritueller Praxis fähig und können die in ihnen angelegte Buddhaschaft verwirklichen. So wie sie jetzt 46 So im Falle von Chi-tsang (吉藏): siehe Jörg PLASSEN, "Some Problems in Understanding Jizang: The Buddha-Nature of the Insentient", in: Studies in Central & East Asian Religions 10/1997: 1–16. 47 Vgl. Fumihiko SUEKI, "How Can Grasses and Trees Attain Buddhahood?", in: An Anthology of East Asian Buddhism. A Commemorative Volume in Honor of Ven. Sheng-yen on His 70th Birthday, Tokyo: Sankibo 2001: 73–92, bes. 75–80 (Chan-jan 湛然) u. 80–83 (Antworten chinesischer T'ien-t'aiMeister auf Anfragen japanischer Tendai-Meister). Vgl. auch Fumihiko SUEKI, Heian shoki bukkyō shisō no kenkyū (Studies of Buddhism during the early Heian period), Tokyo: Shunjū-sha 1995: 709–712 (automatisches Mit-Erwachen von Wasser, Vögeln und Bäumen in Amitābhas Buddha-Gefilde: 710,8). 48 H.-J.KLIMKEIT, “Apokryphe Evangelien in Zentral- und Ostasien”, in: A. VAN TONGERLOO u. S. GIVERSEN (Hrsg.), Manichean Studies I (Manichaica selecta: Studies presented to Professor JULIEN RIES on the occasion of his seventieth birthday), Lovanii 1991, 158 (mit Verweis auf P. ZIEME, “Uigurische Steuerbefreiungsurkunden für buddhistische Klöster”, in: Altorientalische Forschungen 8/1981, 242, Anm. 46). 49 Bodhaishin-gishō (T Bd. 75, Nr. 2397) 487a26f; vgl. 484c2-5, wo Annen den weiteren Begriff der "Umwelt"(器世界, entspricht Skt. bhājana-loka) statt des pars pro toto "Gräser und Bäume" verwendet. 50 Ibid. 487c21-23; vgl. 484c5-12. 11 330 335 – im Normalzustand – sind, gibt es bei ihnen aber nur die überindividuelle unverwirklichte Buddha-Natur. 51 Die Vorstellung der Jainas, Pflanzen seien von Natur aus aktuell empfindungsfähig, besäßen also je ihre eigenen (wenn auch rudimentären) geistigen Regungen, lehnt Annen ausdrücklich ab.52 Die zu FINDLYs These am ehesten passende Gestalt hat die Lehre von der BuddhaNatur der Pflanzen in einigen Texten gefunden, die zwischen der 2. Hälfte des 11. und der 2. Hälfte des 13. Jahrhunderts in der japanischen Tendai-Schule im Kontext der Theorie des "Von-Anfang-an-Erwacht-Seins" (hongaku 本覺) entstanden sind. In einem nachträglich dem Tendai-Meister Ryōgen (良源) zugeschriebenen Text heißt es: 340 345 "Daß die Gräser und Bäume die vier Merkmale Entstehen, Bestehen, Veränderung und Vergehen besitzen, eben das ist die Form, in der sie den Entschluß [zum Erwachen] fassen, [den Weg] praktizieren, das Erwachen [realisieren] und [ins] Nirvā1a [eingehen]."53 Das Buddhawerden der Pflanzen besteht somit ganz einfach darin, daß sie ihren natürlichen Lebenszyklus durchlaufen und sich auf diese Weise gewissermaßen ohne aufzubegehren in die Natur des Daseins, die dharmatā, einfügen. Noch einen Schritt weiter geht ein (wohl ebenfalls zu Unrecht) dem Tendai-Meister Chūjin (忠尋) zugeschriebener Text: "Daß Gräser und Bäume, so wie sie sind, mit ihren Wurzeln, Stengeln, Zweigen und Blättern, jeweils (od.: immer schon) im ursprünglichen Zustand [der Vollkommenheit] sind, das ist [in ihrem Fall] die Bedeutung von ‘Buddha-Werdung’."54 350 355 Genau genommen kann man bei den Pflanzen überhaupt nicht von Buddha-Werdung reden; sie sind vielmehr, so wie sie sind, immer schon vollkommen und in diesem Sinne ‘Buddha’.55 Auch der zuletzt zitierte Text erkennt den Pflanzen Geistigkeit zu. Sie ist aber gewissermaßen unter der Oberfläche versteckt. Oberflächlich zeigen sie nur vegetative Reaktionen und "Kenntnis" der Jahreszeiten.56 51 52 53 Ibid. 487c24-26. Ibid. 486c29–487a3 u. 487a27f; 488a1-5. Sōmoku-hosshin-shugyō-jōbutsu-ki 草木發心修行成佛記, in: Dai Nihon Bukkyō Zensho, Tokyo 1971, Bd. 41, 141b10f; 1990, Bd. 24, 345a10f: 草木既具生住異滅四相, 是則草木發心修行菩提涅槃姿也. Kankō-ruijū 漢光類聚: T Bd. 74, 380b5f: 草木根莖枝葉當體己己本分是成佛義也 (so auch Dai Nihon Bukkyō Zensho [1978], Bd. 17,19b9. Der Text in Kōryū TADA et al., Tendai hongakuron, Tokyo: Iwanami Shoten 21995: 380a14 u. 216,10, liest 已已 statt 己己. 54 Vgl. Sanjū-shi ka no kotogaki 三十四箇事書 (in: TADA et al. [wie Anm. 54]) 362a16–b8; vgl. RAMBELLI (s. Anm. 57): 18–21. 56 Kankō ruijū (s. Anm. 54) 381a6-21; RAMBELLI (s. Anm. 57): 24–26. Die Unterscheidung von drei Arten von Geist/Herz (心), von denen die eine ("Geist", "Denken") Skt. citta entspreche, die anderen 55 12 360 365 370 375 380 385 Wenn aber auch die Pflanzen, trotz dieses Unterschiedes, letztlich wie Lebewesen Geistigkeit besitzen, so wirft das zwangsläufig die Frage auf, ob man sich dann nicht beim Abschneiden von Gras und Fällen von Bäumen des Tötens von Lebewesen schuldig macht. Der Autor entgegnet, die dargelegte Position sei vom Standpunkt der höchsten, nur vollkommenen Personen zugänglichen Lehre formuliert. Auf diesem Niveau gebe es keine Unterscheidungen, auch nicht die von gut und schlecht, heilsam und unheilsam. Sogar das Töten von Tieren sei dann nur die Handlung einer erwachten Person, nicht schlechtes Karma. Man kann diese Antwort dahingehend verstehen, daß die Lehre von der Buddha-Natur der Pflanzen nur auf einer höheren Ebene gilt und deshalb für die Alltagspraxis der Leute irrelevant ist, d.h. ihnen das Leben nicht erschweren soll. F. RAMBELLI57 hat aber kürzlich in einer Abhandlung mit dem Titel Vegetal Buddhas die Auffassung vertreten, daß mit dieser Lehre sehr wohl eine Hemmschwelle aufgebaut werden sollte, nämlich gegen die eigenmächtige Abholzung und Ausbeutung von Klosterbesitz durch die Landbevölkerung. Legitimiert werden soll, so RAMBELLI, lediglich die Nutzung durch bzw. im Einverständnis mit den Personen, die im Besitz der vollkommenen Lehre sind, d.h. der Mönchs-Elite vor allem der Tendai- (und, analog, der Shingon-)Schule. Im übrigen sieht RAMBELLI die These, daß Gräser und Bäume so, wie sie sind, vollkommen sind, im Kontext eines Versuches der religiösen Legitimierung und Absicherung des gesellschaftlichen Status quo: Alles, zumal auch die hierarchisch aufgebaute Gesellschaft des japanischen Mittelalters, ist so, wie es ist, vollkommen, und muß so bleiben, nicht zuletzt im Interesse der wohlhabenden und einflußreichen buddhistischen Klöster bzw. Körperschaften. 58 Dies stünde gewiß in einem deutlichen Gegensatz zur frühbuddhistischen Tendenz, die damals noch verbreitete Vorstellung von der Empfindungsfähigkeit der Pflanzen eher zurückzudrängen, mit dem Ziel, die Hemmungen bei der alltäglichen Nutzung von Pflanzen im Interesse von Mönchen und Laien zu verringern.59 Ob solche ökonomischen und gesellschaftspolitischen Motive tatsächlich die Haupttriebkraft waren, die zur Ausbildung und Weiterentwicklung der Idee der Buddha-Natur der Pflanzen führten, sei dahingestellt. Sie dürfen aber auch nicht ignoriert werden. Es ist RAMBELLIs Verdienst, den Blick auf diese Aspekte gelenkt zu haben, auch wenn er beiden hingegen offenbar Skt. hEdaya ("Herz"), geht auf Chih-i (智顗), Mo-ho-chih-kuan (摩訶止觀: T Bd. 46, Nr. 1911) 4a18-24, zurück. 57 Fabio RAMBELLI, Vegetal Buddhas, Kyoto: Scuola Italiana di Studi sull' Asia Orientale 2001: 26f; 76–80. 58 Ibid.: 20f; 23[iv]; 64f; 92f. 59 Will man dies im Sinne einer auf sozio-ökonomische Aspekte abhebenden Betrachtungsweise formulieren, könnte man vielleicht sagen, daß der Buddhismus sich dadurch einen Wettbewerbsvorteil gegenüber anderen Richtungen sicherte, daß er den Laien, zumal der Landbevölkerung, ein weniger von Schuldgefühlen geprägtes Leben in Aussicht stellte. Auch die Jainas erwarten übrigens von den Laien keine Pflanzen-ahi"sā, doch ist dies bei ihnen eine (eigentlich systemwidrige) Konzession an die Laien. Bei den Buddhisten macht demgegenüber, zumindest im Zuge der Entwicklung, eher die konsequente Pflanzen-ahi"sā der Ordinierten den Eindruck einer Konzession an ältere Vorstellungen bzw. an andere Asketengemeinschaften (speziell an die Jainas). 13 390 vielleicht zu einer Überbetonung neigt. Er läßt ja selbst durchblicken, daß das Interesse der Mönche, die Klosterumgebung intakt zu halten, auch ästhetischen und spirituellen Bedürfnissen entsprochen haben dürfte.60 Und der oben bereits einmal zitierte alttürkische Text aus Zentralasien zieht aus der Lehre, daß die gesamte Natur vom Wesen des Buddha Vairocana erfüllt ist, eine Konsequenz im Sinne der den Mönchen auferlegten ahi"sā: "Wenn ein Mönch seine Hand gegen irgendetwas (also Menschen, Tiere, Pflanzen, Gewässer, Erde) erhebt ..., so ist er gegen das Wesen des Buddha Vairocana sündig geworden."61 395 Das klingt schon fast nach ökologischer Ethik. Ich kenne allerdings keine andere derartige Stelle.62 In der Tat ist die fernöstliche Auffassung der Buddha-Natur in ihrer traditionellen Gestalt als Grundlage für eine ökologische Ethik nicht ohne weiteres geeignet. Die BuddhaNatur wohnt ja nicht nur den natürlichen, sondern auch den künstlichen Dingen, den Artefakten, inne. Es bedarf eines zusätzlichen Kriteriums, wenn intakte Natur bewahrenswerter sein soll als etwa ein vergiftetes Industriegelände. 400 405 V. Ausblick auf die Moderne Eine explizit ökologisch motivierte Ethik ist wohl auch im Buddhismus eine moderne Entwicklung. Vor allem in Amerika hat sich eine Richtung entwickelt, für die sich die Bezeichnung "Öko-Buddhismus" eingebürgert hat. Eine herausragende Vertreterin ist Joanna MACY.63 Sie vertritt einen radikal diesseitigen, innerweltlichen Buddhismus (keine Wiedergeburt, kein welttranszendentes Nirvā1a). Auch sie will (wie die mittelalterlichen Tendai-Mönche Japans) Bestehendes bewahren, aber gerade nicht die sozialen Ungleichheiten, sondern die natürliche Mitwelt, und dazu gehören neben den Tieren ganz wesentlich auch die Pflanzen. Sie engagiert sich nicht für die bestehenden Machtstrukturen, 60 Ibid.: 79: "The priests became concerned when tree cutting began to occur very near the temple buildings. In part they may have been worried about the preservation of the beauty and the character of the place as a matter of symbolic capital: ... In fact, signs of concern for the aesthetics of a sacred place also appear in other documents." Hinzu kommt die ganz konkrete Angst, daß die bei der Brandrodung entfachten Feuer auf die Tempelgebäude (aus Holz!) übergreifen könnten. — Der Ausdruck "symbolic capital" für ästhetische Werte ist bezeichnend. 61 Siehe S. 11 mit Anm. 48. 62 Die Frage des japanischen Tendai-Meisters Enchō (圓澄), wieso angesichts der Allgegenwart der Buddha-Natur nicht auch das Abschneiden von nicht empfindungsfähigen Wesen (Enchō meint hier zweifellos Pflanzen) nicht ein ebenso schweres Vergehen sei wie das Töten von Lebewesen, wird von dem chinesischen T'ien-t'ai-Meister Kuang-hsiu (廣修) offenbar bewußt umgebogen, indem er unter nicht Empfindungsfähigem zum einen die Elemente des Körpers (als solche), zum anderen eine Leiche versteht (SUEKI, Heian bukkyō ... [wie Anm. 47]: 709,11f u. 710,7f). Das Ching tê ch'uan têng lu (景德傳燈錄: T Bd. 51: 438b12-14) berichtet, dem Ch'an-Meister Hui-chung (慧忠) sei die Frage gestellt worden, ob es denn nicht, wenn die ganze Erde der Körper des Buddha Vairocana sei, ein Vergehen sei, wenn man sie mit seiner Notdurft beschmutze, in ihr bohre oder auf ihr herumtrample. Der Meister entgegnet, auch die Lebewesen seien doch allesamt Buddha (also wohl ebenfalls Teil des Körpers des Vairocana), was wolle man da als Vergehen betrachten? 63 Vgl. z.B. J. MACY, World as Lover, World as Self, Berkeley: Parallax 1991; deutsche Übersetzung: Die Wiederentdeckung der sinnlichen Erde, Zürich/München: Theseus 1994. 14 410 415 420 425 sondern gegen sie und deren zerstörerische Aktivitäten. Fraglos sind für sie die Pflanzen lebende Wesen, ja selbst die Erde als ganze. Aber es geht ihr im Gegensatz zur traditionellen buddhistischen Ethik weniger um empfindungsfähige Individuen als vielmehr um das Überleben der Arten bzw. Artengemeinschaften, der Ökosysteme, des Gesamtsystems Erde. Auch den asiatischen Buddhismus hat die ökologische Bewegung erfaßt. Ein schönes Beispiel verdanke ich meiner Doktorandin Sabine LÖHR, die diese Thematik in ihrer nahezu fertiggestellten Dissertation behandelt. Dort berichtet sie u.a. von thailändischen Mönchen, die sich aktiv für den Schutz der Bäume und Wälder (und übrigens auch Gewässer) engagieren. Sie haben ein Ritual geschaffen, in dessen Verlauf Bäume "ordiniert", d.h. wie Mönche mit der gelben Robe behangen werden. Das bewirkt, daß sie nicht so leicht gefällt werden. Zugleich werden die Dorfbewohner, auch im Rahmen des genannten Rituals, mit ökologischen Zusammenhängen vertraut gemacht. Ein innovatives Engagement, aber getragen von der traditionellen Autorität der Mönche. Bemerkenswert auch, wie die Landbevölkerung religiös motiviert wird: Bäume und Wälder zu schützen und neu anzulegen schafft religiöses Verdienst (pu$ya). Das steht schon im alten Kanon. Nur war dort an Kultivierungsmaßnahmen gedacht, an zivilisatorische Aktivitäten: Anpflanzen von (Nutz-)Wäldern und Parks neben Anlegen von Brunnen und dem Bau von Dämmen64 und sogar Straßen.65 Heute: Naturbewahrung und Renaturierung. Addendum: Eine eingehendere Ausarbeitung dieses Vortrags in englischer Sprache ist in Arbeit und wird, wenn alles gut geht, in absehbarer Zeit erscheinen. 64 65 Sa"yuttanikāya I 33 (Nr. 1.47) Jātaka I 199,19-25. 15