20 Elektrodynamik in Materie Die Maxwell’schen Gleichungen sind universell gültig. Insbesondere gelten sie auch in Materie. In Materie hat man es allerdings mit einer Vielzahl von Ladungen zu tun, die unterschiedlich auf elektromagnetische Felder reagieren. Oft sind dabei die Ladungs- und Stromverteilungen der Materie im ungestörten Zustand (sprich: ohne äußere Felder) nicht weiter von Interesse. Man unterscheidet daher zwischen • den Feldern, Ladungen und Strömen der ungestörten Materie → Index: “0” • den äußeren Störfeldern → Index: “ext” • und den durch die Störung in der Materie induzierten Feldern, Ladungen und Strömen → Index: “ind”. Die Maxwell-Gleichungen machen keinen Unterschied zwischen äußeren und induzierten Feldern. Sie beschreiben die Gesamtfelder infolge aller im System anwesenden Ladungen und Strömen: ∇ · E tot = 1 ρtot 0 ∇ · B tot = 0 ∂ B =0 ∂t tot ∂ ∇ × B tot − µ0 0 E tot = µ0 j tot ∂t ∇ × E tot + Wegen der Linearität der Maxwell-Gleichungen kann man eine Aufteilung aller vorkommenden Größen in die Größen der ungestörten Materie, der externen Felder und Ladungen und der induzierten Felder und Ladungen vornehmen. Den meisten Experimenten sind die ungestörten Größen der Materie nicht zugänglich. Sie sind auch oft von untergeordnetem Interesse. Ziel einer Beschreibung der elektrodynamischen Vorgänge in Materie ist es daher, die ungestörten Größen der Materie zu eliminieren. Im einzelnen: ρtot j tot E tot B tot = ρ0 + ρext + ρind = j 0 + j ext + j ind = E 0 + E ext + E ind = B 0 + B ext + B ind = ρ0 + ρ = j0 + j = E0 + E = B0 + B Für jede der obigen “Komponenten” gilt ein separater Satz von Maxwell-Gleichungen: ∇ · E ext = 1 ρext 0 ∇ · B ext = 0 ∇ · E ind = 1 ρind 0 ∇ · B ind = 0 ∂ B =0 ∂t ext ∂ ∇ × B ext − µ0 0 E ext = µ0 j ext ∂t ∇ × E ext + ∂ B =0 ∂t ind ∂ ∇ × B ind − µ0 0 E ind = µ0 j ind ∂t ∇ × E ind + Im Speziellen gilt dann natürlich auch ∇·E = 1 ρ 0 ∇·B =0 ∂ B=0 ∂t ∂ ∇ × B − µ 0 0 E = µ 0 j ∂t ∇×E+ Natürlich gilt ein entsprechender Satz von Maxwell-Gleichungen auch für die ungestörten Größen, aber gerade diese wollten wir aus unserer Betrachtung ja eliminieren. Die Maxwell-Gleichungen der externen Größen sind in der Regel mit den Methoden lösbar, die wir bisher kennengelernt haben, weil die externen Strom- und Ladungverteilungen (z.B. aufgrund der Versuchsbedingungen) bekannt sind. Anders verhält es sich mit den induzierten Größen. Hinter ihnen verbirgt sich die Reaktion der Materie auf die wirksamen Felder E und B. Die Berechnung dieser Reaktion geht über den Rahmen der Elektrodynamik hinaus. Sie ist vielmehr Gegenstand – beispielsweise – der Festkörperphysik, in der man die Reaktion der Materie auf die auf sie wirkenden Felder aus dem mikroskopischen Aufbau der Materie zu berechnen versucht. 20.1 Lineare Antwort Sind die auf sie einwirkenden Felder nicht zu groß ist die Reaktion der Materie in vielen Fällen proportional zur Größe der Störung – etwa ein wirkendes elektrisches Feld – ist. Der Strom durch einen Leiter – etwa – ist proportional zur angelegten Spannung. Im Allgemeinen sind die äußeren Felder sehr viel kleiner als die induzierten. Man kann daher annehmen, daß beispielsweise die induzierte Ladung proportional zum äußeren Feld zunimmt. Das wiederum bedeutet, daß das induzierte Feld proportianal mit der äußeren Störung anwächst: ρind ∝ Eext ⇒ Eind ∝ Eext ⇒ E = Eext + Eind ∝ Eext . Dies wird durch die Gleichungen 1 E = E ext und B = µB ext zum Ausdruck gebracht. Die Responsefunktionen −1 und µ vermitteln zwischen der Ursache (E ext , B ext ) und ihrer Wirkung (E, B). Man bezeichnet als dielektrische Funktion oder Dielektrikum und µ als die Permeabilität. Wenn −1 = 1 oder µ = 1, dann reagiert das betrachtete Material nicht auf die äußere Störung, es treten dann keine induzierten Felder auf. Nur in den einfachsten Fällen sind die Resonsefunktionen wirklich Konstanten, wie es obiger Gleichung zugrunde gelegt wurde. Ihre allgemeine Form werden wir im Folgenden am Beispiel der elektrischen Felder diskutieren: Befindet sich ein Stoff in einem äußeren elektrischen Feld, werden die Ladungen in dem Material versuchen sich entsprechend der auf sie einwirkenden Kraft zu verschieben. In Atomen mit ihrer kugelsymmetrischen Elektronenanordnung wird die Elektronenwolke mit einer Deformation reagieren, die in Richtung des anliegenden Feldes erfolgt und unabhängig davon ist, entlang welcher Achse das Feld anliegt. In Molekülen ist dies anders. Hier kann sich die Ladungsverteilung beispielsweise entlang der Molekülachse leichter verschieben als senkrecht dazu. Liegt das äußere Feld nun nicht in einer “Symmetrieachse” des Moleküls an, so ist die Verschiebung der Ladungen in der Molekülachse größer als in der dazu senkrechten, woraus ein induziertes Feld resultiert, das nicht mehr parallel zum angelegten Feld ist. Die dielektrische Funktion hat in diesem Fall Tensor-Charakter. In einem komplexen Material ruft die Verschiebung einer Ladung zum Zeitpunkt t0 an einer Stelle r 0 die Reaktion von anderen Ladungen an einem anderen Ort r und zu einem späteren Zeitpunkt t hervor. Das wirksame Feld am Ort r zur Zeit t ist eine Summe all dieser mikroskopischen Reaktionen. Dies kommt in dem Faltungsintegral E(r, t) = Z 3 0 dr Z dt−1 (r, r0 , t − t0 ) · E(r0 , t0 ) zum Ausdruck. Das Zeitargument der Responsefunktion deutet darauf hin, daß die Reaktion zur Zeit t nur vom zeitlichen Abstand zur Ursache t − t0 abhängen kann und die Kausalität erfordert, daß die Reaktion nur nach der Ursache erfolgen kann, d.h. die Responsefunktion hat nur für positive Zeitargumente einen nichtverschwindenden Wert. 20.2 Makroskopische Felder Bei unseren bisherigen Betrachtungen hatten wir die Reaktion einzelner Ladungen auf störende Felder im Blickwinkel. In der Regel ist man jedoch nicht daran interessiert, wie ein einzelnes Elektron auf ein von außen angelegtes Feld reagiert. Meistens ist man schon damit zufrieden, die Reaktion eines Stoffes auf Längenskalen zu kennen, die weit größer als beispielsweise der Abstand der Atome in einem Festkörper sind. In diesem Fall ist man also an den gemittelten Feldern interessiert. Formal läßt sich eine solche räumliche Mittelung durch die Faltung mit einer geeigneten Gewichtsfunktion durchführen: hAi(r, t) = Z d3 r 0 A(r 0 , t)f (r − r 0 ), wobei die Gewichtsfunktion f normiert sein sollte: Z d3 r 0 f (r − r0 ) = 1. Die Mittelung sollte dabei natürlich nur über einen Bereich erfolgen, der unterhalb einer relevanten Längenskala (beispielsweise einigen µm) liegt. Darüber hinaus sollte der Beitrag von Bereichen in unmittelbarer Nähe zu r größer sein, als der Beitrag von weit entfernten Regionen. Als Gewichtsfunktion kommt also beispielsweise die Gauss-Funktion 1 |r − r0 |2 f (r − r0 ) = 3/2 3 exp(− ) π b b2 in Frage. Die Betrachtung makroskopischer Größen birgt einen großen Vorteil: Während die mikroskopischen Felder räumlich extrem stark variieren, zeigt sich die Materie auf makroskopischen Längenskalen homogen. Das wiederum impliziert, daß die gemittelte Responsefunktion auch im Ortsargument nur vom Abstand der Ursache zur Wirkung, r − r 0 , abhängt. Während dies den Ausdruck für E(r, t) nicht wesentlich vereinfacht, kommt die Vereinfachung in der Fourier-Darstellung voll zum Tragen. Nach dem Faltungssatz gilt nämlich, daß die Fourier-Transformierte einer Faltung zweier Funktionen gleich dem Produkt der Fourier-Transformierten der beiden Funktionen ist. Also gilt: hEi(k, ω) = h−1 i(k, ω) · E ext (k, ω). Unter ähnlichen Überlegungen erhält man für das magnetische Feld hBi(k, ω) = hµi(k, ω)B ext (k, ω). Betrachten wir nun die Maxwell-Gleichungen für die gemittelten (=makroskopischen) Felder. Die räumliche Mittelung vertauscht mit den partiellen Ableitungen: ∂f (r − r 0 ) ∂f (r − r 0 ) = −dV 0 A(r 0 , t) ∂x ∂x0 + * Z ∂A(r 0 , t) ∂A = dV 0 . f (r − r 0 ) = 0 ∂x ∂x ∂hAi = ∂x Z dV 0 A(r 0 , t) (1) Hierbei wurde im vorletzen Schritt partiell integriert. Erstreckt sich die Integration über den ganzen Raum, so entfallen die Oberflächenterme. Die Maxwell-Gleichungen für die makroskopischen Felder haben also die gleiche Form wie die Maxwell-Gleichungen für die mikroskopischen Felder. Es gilt daher: 1 ∂ ∇ · hEi = (ρext + hρind i, ∇ × hEi + hBi = 0 0 ∂t ∂ ∇ × hBi − µ0 0 hEi = µ0 (j ext + hj ind i ∇ · B = 0, ∂t Wir haben bisher die induzierten Ladungen und Ströme nur als abstrakte Größen behandelt. Was aber passiert wirklich, wenn ein Feld auf die Ladungen eines Isolators einwirkt? Isolator Im Normalfall werden die Störfelder viel kleiner sein, als die atomaren Kräfte, die sowohl die Atome auf ihren Plätzen im Kristallgitter festhalten, als auch die Elektronen an die Atome binden (Das ist ja gerade der Unterschied zwischen einem Metall und einem Isolator, letzterer besitzt keine frei beweglichen Ladungen.) Die Reaktion des Isolators auf ein solches elektrisches Störfeld kann also höchstens in einer kleinen Deformation der Elektronenverteilungen, d.h. in einer Polarisation des Isolators, bestehen. +−+−+−+− + +−+−+−+− + +−+−+−+− + +−+−+−+− + + +−+−+−+− + +−+−+−+− +−+−+−+− + +−+−+−+− + +−+−+−+− + +−+−+−+− + +−+−+−+− + +−+−+−+− + +−+−+−+− + +−+−+−+− + Die Polarisation P (r) setzt sich aus den induzierten Dipolmomenten aller Atome − − − − − − − − − − − − − − des Isolators zusammen. Die Polarisation am Ort r 0 trägt zum induzierten Potential den Beitrag P (r0 ) · (r − r 0 ) 1 dφind (r) = dV 0 4π |r − r0 |3 bei. Entsprechend ergibt sich das gesamte induzierte Potential zu φind (r) = Mit ∇ ·0 1 4π Z dV 0 1 P (r0 ) · (r − r 0 ) = 0 3 |r − r | 4π 1 P (r 0 ) |r − r 0 | ! = P (r 0 )∇0 Z dV 0 P (r 0 )∇0 1 . |r − r 0 | 1 1 + ∇0 P (r0 ) 0 |r − r | |r − r 0 | lä sst sich der Ausdruck für das induzierte Potential umschreiben zu φind (r) 1 = − 4π = 1 4π Z Z V dV V dV 0 ·0 P (r 0 ) 1 + 0 |r − r | 4π 0∇ hρind i(r 0 ) |r − r 0 | + 1 4π I S I df 0 S df 0 P (r 0 ) |r − r 0 | hσ ind i(r0 ) |r − r0 | Im letzten Schritt haben wir die induzierte makroskopische Ladungsdichte hρindh als Quelle der Polarisation identifiziert, hρindi = −∇ · P ind. Außerdem führt die Polarisation auf der Oberfläche des betrachteten Volumens zu einer induzierten makroskopischen Oberflächenladung, hσ ind i = n · P ind. Eingesetzt in die Maxwell-Gleichungen ergibt sich dann für die makroskopischen Felder i i 1 h ext 1 h ext ∇ · hEi = hρ i + hρind i = hρ i − ∇ · P 0 0 Der Einfachheit halber lassen wir im Folgenden die Klammern für die Mittelwertbildung wieder weg, wenn wir die makroskopischen Felder meinen. Wir führen nun die dielektrische Verschiebung als D = 0 E + P und erhalten dann mit Hilfe des Gauß’schen Satzes ∇ · D = ρext , die Quellen der dielektrischen Verschiebung sind also die freien Ladungen. Da dies gleichzeitig die von aussen manipulierbaren Ladungen sind, ersetzt diese Gleichung das Gauß’sche Gesetz der Maxwell-Gleichungen in Materie. Bei zeitabhängigen Feldern verändern sich sowohl die Polarisation als auch die induzierte Ladungsdichte zeitlich, wodurch gemäß der Kontinuitätsgleichung eine Stromdichte induziert wird, ∂ ind ρ + ∇ · j ind = 0. ∂t Mit ρind = −∇ · P ergibt sich dann j ind = ∂ P. ∂t Fasst man nun für lineare Dielektrika die Materialgleichungen zusammen, so gilt einerseits 1 E = E ext und andererseits 1 E = D + P. 0 In einem solchen Medium ist auch die Polarisation proportional zum elektrischen Feld, P = 0 χe E, wobei die Proportionalitätskonstante - oder auch Antwortfunktion χe als elektrische Suszeptibilität bezeichnet wird. Damit ergibt sich die dielektrische Verschiebung zu D = 0 E + 0 χe E = 0 (1 + χe )E = 0 E, wobei im letzten Schritt benutzt wurde, dass ∇ · E ext = 1 ext ρ . 0 Analog zur elektrischen Polarisation reagieren die meisten Materialien auf die Einwirkung eines äußeren Magnetfeldes dadurch, dass sich in Ihnen eine Magnetisierung aufbaut, d.h. die elementaren Stromverteilungen werden verschoben. Diese ist durch ∇ × M = hj ind − ∂ P ∂t gegeben. Der letzte Term in diesem Ausdruck trägt der Tatsache Rechnung, dass auch eine zeitlich veränderliche Polarisation induzierte Ströme zur Folge hat. Die magnetische Induktion (hier müssen wir nun auf die korrekte Begriffsbildung zurückgreifen) erfüllt demzufolge das Ampère’sche Gesetz in der Form ∇ × B = µ0 vecj ext ∂ +∇×M + P ∂t ! + µ 0 0 ∂ E. ∂t Mit Hilfe der dielektrischen Verschiebung lässt sich dies vereinfachen zu ∇ × B = µ0 j ext + ∇ × M + µ0 oder ∂ D, ∂t wobei wir die magnetische Feldstärke als ∇ × H = j ext + H= 1 B−M µ0 ∂ D ∂t eingeführt haben. Zusammenfassend lauten also die Maxwell-Gleichungen in Materie ∇ · D = ρext ∇×E+ ∂ B=0 ∂t ∇ × H = j ext + ∇·B = 0 ∂ D ∂t mit den zugehörigen Materialgleichungen P = 0 χe E D = 0 E M = χm H H= 1 B µµ0 Als letzten Aspekt wenden wir uns nun noch den Ausdrücken für die Energie der Felder in Materie zu. Auch in Materie lautet die Lorentzkraft F L = q (E + v × B) . Damit gilt weiterhin, dass die Joule’sche Wärme durch j ext · E gegeben ist. Formt man dies mit Hilfe der Maxwell-Gleichungen um, so erhält man j ext · E = E · H − E · D = −∇ · (E × H) + H · (∇ × E) − E · D = −∇ · S − wobei der Poyntingvektor in Materie durch S =E×H und die Feldenergiedichte durch umat = gegeben ist. 1 (E · D + B · H) 2 ∂ u, ∂t