I L L U S T R AT I O N : P E T E R WA N N E R Altersbedingte Makuladegeneration Sehen – und trotzdem nicht genau erkennen von Therese Schwender* Menschen mit altersbedingter Makuladegeneration können Dinge, die sie direkt f ixieren, nicht schar f erkennen. Der Grund dafür liegt in einer Veränderung der Netzhaut im Auge. Eine Heilung ist mit den vorhandenen Behandlungsmethoden nicht möglich, das alltägliche Leben kann jedoch durch verschiedene Hilfsmittel erleichter t werden. M enschen mit altersbedingter Makuladegeneration (AMD) haben Probleme mit dem scharfen Sehen. Wenn sie ihr Gegenüber bei einem Gespräch ansehen, können sie die Person zwar sehen, nicht aber deren Gesichtszüge erkennen. Sie sehen lediglich eine leere Stelle oder einen dunklen Fleck. So können sie zum Beispiel auch die Uhr am Handgelenk sehen, nicht aber die genaue Zeit ablesen. Bei der AMD ist der zentrale Teil der Netzhaut, die so genannte Makula, verändert, die für das scharfe Sehen verantwortlich ist (vgl. Abbildung Seite 10). Die AMD stellt in der Schweiz eine der häufigsten Ursachen für eine Sehbehinderung dar. Die Erkrankung tritt, wie der Name schon sagt, mit zunehmendem Alter häufiger auf: Ab einem Alter von 50 Jahren steigt das Risiko, an einer AMD zu erkranken, deutlich an. Von den 65bis 75-jährigen Menschen sind etwa 11 Prozent betroffen, bei Personen ab 75 Jahren etwa 30 Prozent. Eine AMD führt aber zum Glück nur in den allerseltensten Fällen zu einer Blindheit. SPRECHSTUNDE 8 «Die altersbedingte Makuladegeneration ist eigentlich so etwas wie eine Verdauungsstörung der Netzhaut», erklärt Heidy Thölen, Fachärztin für Augenheilkunde an der Augenklinik des Stadtspitals Triemli in Zürich. «Die Sinneszellen der Netzhaut haben täglich sehr viel zu tun. In ihnen wird das ins Auge einfallende Licht zu elektrischen Signalen umgewandelt und ans Gehirn weitergeleitet. Teile dieser Sinneszellen erneuern sich ständig, die verbrauchten Teile werden abgestossen. Diese Abfallprodukte müsDas Amsler-Gitter hilf t bei der Früherkennung einer AMD. So funktionier ts: Test in Lesedistanz sen abtransportiert werden. halten und mit jeweils einem Auge den Punkt in der Mitte f ixieren. Die Linien sollten gerade verIrgendwann ist das System laufen und alle Quadrate gleich gross sein. überfordert, und die Abfälle bleiben unter der Netzhaut Augen genau untersuchen, nicht nur liegen. So entstehen die so genannten sprechend behandeln kann. Einen die Netzhaut allein. Diese UntersuDrusen, die wir als frühes Stadium eiersten, einfachen Test zur Kontrolle chungen sind ungewohnt und können ner AMD bei einer Augenuntersuseiner Augen kann jeder selbst durchsich deshalb unangenehm anfühlen. chung erkennen können.» führen. Dazu dient das Amsler-Gitter Sie sind in der Regel aber nicht Die Sehbehinderung ist bei diesem (vgl. Abbildung oben). Der Test wird in schmerzhaft. Entdeckt der Arzt oder frühen Stadium der «trockenen» Form Lesedistanz gehalten (Lesebrille benutdie Ärztin Anzeichen für eine feuchte der AMD nur gering, und der Zustand zen, falls sonst auch eine getragen AMD, so wird er oder sie als weitere kann über lange Zeit konstant bleiben. wird). Das eine Auge wird abgedeckt Untersuchung eine Fluoreszenz-AnEs ist allerdings möglich, dass es in eiund mit dem anderen der Punkt in der giografie durchführen. Falls die aunem späteren Stadium zum Absterben Mitte des Gitters fixiert. Die Linien genärztliche Praxis selbst nicht dafür von Sinneszellen kommt und sich das sollten gerade und nicht verzerrt oder eingerichtet ist, wird die Patientin zentrale Sehen merklich verschlechgewellt erscheinen, die Quadrate alle oder der Patient an eine Augenklinik tert. Die seltenere «feuchte» Form der von gleicher Grösse sein. Danach wird überweisen. Mit der Fluoreszenz-AnAMD verläuft wesentlich rascher und der Vorgang mit dem zweiten Auge giografie ist es möglich, allfällig neu ungünstiger. Hier wachsen zusätzlich wiederholt. Heidy Thölen beruhigt jegebildete Gefässe sichtbar zu machen. Blutgefässe in den Bereich der Makula doch: «Nicht jede verzerrte Linie beein. Da diese Gefässe undicht sind, deutet gleich eine AMD oder gar eine Eingriffe in ein empfindliches tritt Flüssigkeit in die Umgebung aus, feuchte AMD. Es gibt auch noch anGebiet und die Netzhaut schwillt an. Die Sindere Netzhauterkrankungen, die zu neszellen werden dadurch beschädigt, diesem Befund führen können.» Alle momentan verfügbaren Behandund es kommt rasch zu einer deutliDamit die Krankheit möglichst früh lungsformen bei AMD können die chen Verschlechterung des Sehens. erkannt wird, sollten sich Personen ab Veränderungen an der Netzhaut und 50 Jahren regelmässig von einem Audamit die Zunahme der SehvermindeEinfacher Test zur Früherkennung genarzt oder einer Augenärztin unterrung lediglich verlangsamen oder suchen lassen. stoppen. Leider ist es nicht möglich, Wie bei vielen Erkrankungen ist es DieseR wird bei Verdacht auf eine diejenigen Gebiete der Netzhaut, die auch bei AMD von Vorteil, wenn sie AMD erst einmal alle Strukturen der bereits zerstört sind, wiederherzustelfrüh erkannt wird, damit man sie ent- 9 SPRECHSTUNDE SEHBEHINDERUNG Abfälle unter der Netzhaut FOTO: BAB.CH/PHOTOTAKE Links: Der Querschnitt durch ein menschliches Auge zeigt die verschiedenen Strukturen. Die Makula (gelber Fleck mit Stelle des schär fsten Sehens) sitzt im hinteren, zentralen Teil des Auges (2). 1) Sehnerv, 3) Lederhaut, 4) Glaskörper, 5) Augenmuskel, 6) Bindehaut, 7) vordere Augenkammer, 8) Iris, 9) Linse, 10) Hornhaut, 11) hintere Augenkammer, 12) Ziliarkörper, 13) Aderhaut, 14) Netzhaut, 15) zentrale Netzhautschlagader und Netzhautvene. Rechts: Bei dieser Aufnahme eines Auges ist der gelbe Fleck gut sichtbar. len oder die Erkrankung gar zu heilen. Für die trockene Form der AMD ist keine direkte Behandlung bekannt. Es gibt jedoch eine wissenschaftliche Untersuchung, die zeigt, dass durch die Gabe von sehr hohen Dosen an Vitamin C, Vitamin E und Betakarotin in Kombination mit dem Spurenelement Zink in bestimmten Fällen einer trockenen AMD im Frühstadium das Voranschreiten der Erkrankung verlangsamt werden kann. Allerdings müssen dazu Vitamindosen eingesetzt werden, die ein Mehrfaches über den empfohlenen Tagesbedarf hinausgehen und deshalb gesundheitlich nicht unbedenklich sind. So gibt es beispielsweise Hinweise darauf, dass hohe Dosen Betakarotin bei RaucherInnen oder solchen, die erst vor kurzem damit aufgehört haben, die Entstehung von Lungenkrebs fördern können. Die Behandlung muss deshalb unter strikter ärztlicher Kontrolle durchgeführt werden. Die hoch dosierten Präparate sind in der Schweiz denn auch nicht zugelassen, und die Kosten der Behandlung müssen von den PatientInnen selbst getragen werden. Zur Behandlung der feuchten Form kommen zwei Methoden zum Einsatz: eine herkömmliche Lasertherapie und eine fotodynamische Therapie (PDT). Die herkömmliche Lasertherapie wird verwendet, wenn die neugebildeten Gefässe nicht direkt im Zentrum der Makula sitzen. Die Gefässe werden dabei durch gezielte Hitzeein- wirkung verödet. «Je näher man am Zentrum der Makula arbeitet, desto vorsichtiger wird man natürlich, weil man nicht mit dem Laser etwas zerstören will. Deshalb gelingt es nicht immer, alle Gefässe zu verschliessen», erklärt die Augenärztin Heidy Thölen die schwierige Arbeit an der empfindlichen Netzhaut. «Die gebotene Vorsicht einerseits und die Aggressivität der feuchten AMD andererseits führen dazu, dass bei etwa jedem zweiten Patienten die AMD nach drei bis fünf Jahren weiter voranschreitet, in manchen Fällen sogar früher.» Bei der fotodynamischen Therapie dagegen arbeitet man mit einem kalten Laser. Die PatientInnen erhalten eine Infusion mit einem speziellen Medikament, das sich besonders stark in den neu gebildeten Gefässen der Netzhaut ansammelt. Mit dem Laser wird gezielt dieses Medikament aktiviert. Durch eine komplexe biochemische Reaktion im Gewebe werden die kleinen Gefässe verschlossen. Diese Methode ist schonender und kann deshalb auch bei Gefässneubildungen im Zentrum der Makula eingesetzt werden. Die Behandlung ist jedoch sehr teuer, und es sind mehrere Sitzungen im Abstand von drei Monaten nötig, da meist mit einer Behandlung allein nicht alle Gefässe vollständig und dauerhaft verschlossen werden können. Momentan laufen verschiedene Versuche mit neuen Therapiemethoden bei feuchter AMD. Sie haben zum Ziel, die Neubildung der Gefässe zu stoppen. Die dazu eingesetzten Substanzen müssen hinter das oder direkt ins Auge gespritzt werden, und dies teilweise in Abständen von nur wenigen Wochen. «Interessant werden die Resultate einer Prophylaxestudie sein. Diese untersucht, ob eine der neuen Substanzen bei Patienten mit einem hohen Risiko für eine feuchte AMD das Auftreten von Gefässneubildungen verhindern kann. So eine Möglichkeit der Vorbeugung würden wir uns natürlich wünschen», erklärt Heidy Thölen. Im Alltag: Sehhilfen und sprechende Uhren Neben einer Behandlung kann der Einsatz verschiedener Sehhilfen und anderer Hilfsmittel das Leben mit AMD merklich erleichtern. Dazu gehören sprechende Uhren, Telefone mit grossen Tasten, Bücher im Grossdruck oder auch spezielle Vergrösserungsprogramme für Computer. Daneben unterstützen eine gut angepasste Brille und eine ausreichende Beleuchtung beim Lesen die verbleibende Sehkraft. Die Anwendung der Hilfsmittel ist nicht immer einfach, und es bedarf einiger Übung, damit auch gute Resultate erreicht werden. Heidy Thölen dazu: «Hier ist auch die Unterstützung und Motivation durch die Angehörigen wichtig. Denn das beste Hilfsmittel nützt nichts, wenn es unbenutzt in der Schublade liegt.» Hilft ebenfalls: gesund leben Warum es zu den Störungen in der Netzhaut kommt, ist noch nicht vollständig geklärt. Es gibt Hinweise darauf, dass die Gene dabei eine nicht unerhebliche Rolle spielen. Daneben hat aber möglicherweise auch kurzwelliges Licht (blaues und ultraviolettes) einen Einfluss. Als gesichert gilt, dass Nikotinkonsum ein Risikofaktor für das Auftreten einer AMD darstellt. Das Voranschreiten der Erkrankung kann ausserdem durch Bluthochdruck gefördert werden. «In Bezug auf eine AMD ist es wichtig, dass der Blutdruck nicht über 140 mmHg für den oberen und 90 mmHg für den unteren Wert SPRECHSTUNDE 10 liegt», so Heidy Thölen. «Auch bezüglich Blutfetten bestehen Anhaltspunkte, dass erhöhte Werte das Entstehen einer AMD fördern. Und leider scheint es auch, dass die Operation des grauen Stars das Fortschreiten einer AMD begünstigen kann, wobei die verschiedenen Studien dazu bisher zu recht widersprüchlichen Ergebnissen gelangten», ergänzt Heidy Thölen. Eine gesunde Lebensweise mit einer ausgewogenen Ernährung, das Tragen einer guten Sonnenbrille mit UV-Filter und der Verzicht aufs Rauchen stellen damit wichtige Massnahmen dar, das Risiko für eine AMD möglichst gering zu halten. Täuschung: die Kuh in der Küche Und zum Schluss noch eine Besonderheit: Menschen mit AMD können, vor allem bei fortgeschrittener Krankheit, optische Phänomene erleben. Sie sehen Figuren, Gegenstände, Lichter oder so verrückte Dinge wie eine Kuh in der Küche. Heidy Thölen kann da beruhigen: «Dies ist etwas ganz Normales, das mit der Zeit auch wieder verschwindet. Das Gehirn versucht lediglich, aus den verwirrenden Eindrücken bei einer Sehbehinderung etwas zu machen, und das gelingt ihm nicht immer optimal.» PP *Therese Schwender ist ausgebildete Tierärztin und arbeitet heute als Medizinjournalistin. Sie lebt in Hünenberg (ZG). TI Verschiedene Organisationen unterstützen Menschen mit einer altersbedingten Makuladegeneration (AMD), I N F O indem sie kostenlos und unverbindlich beraten, bei der Auswahl und Beschaffung von Hilfsmitteln helfen oder auch Selbsthilfegruppen organisieren. Daneben gibt es in jeder grösseren Stadt die Möglichkeit, spezialisierte «Low-Vision»-OptikerInnen aufzusuchen. • Dachverband der Sehbehindertenorganisationen in der Schweiz: Schweizerischer Zentralverein für das Blindenwesen (SZB) Schützengasse 4, 9000 St. Gallen Tel. 071-223 36 36 E-Mail: [email protected], Internet: Internet: www.szb.ch • Schweizerischer Blindenbund, Friedackerstrasse 8, 8050 Zürich, Tel. 044-317 90 00, E-Mail: [email protected], Internet: www.blind.ch • Schweiz. Blinden- und Sehbehindertenverband SBV, Laupenstrasse 4, 3008 Bern, Tel. 031-390 88 00, Fax 031 390 88 50, E-Mail: [email protected], Internet: www.sbv-fsa.ch • Retina Suisse, Selbsthilfeorganisation von Menschen mit Retinitis pigmentosa (RP), Makuladegeneration, Usher-Syndrom und anderen degenerativen Netzhauterkrankungen, Ausstellungsstrasse 36, 8005 Zürich Tel. 044-444 10 77, E-Mail: [email protected], Internet: www.retina.ch 11 SPRECHSTUNDE