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Alexander Poraj - Zakiej
DER BEGRIFF DER ICH-STRUKTUR IN DER
MYSTIK
MEISTER ECKHARTS UND IM ZEN-BUDDHISMUS
Eine vergleichende Untersuchung
Inaugural-Dissertation
vorgelegt der
Theologischen Fakultät
der
Albert-Ludwigs-Universität
zu Freiburg i.Br.
April 2006
Dekan: Prof. Dr. Helmut Hoping
Erstgutachter: Prof. Dr. Dr. Bernhard Uhde
Zweitgutachter: Prof. Dr. Dr. Markus Enders
Tag des Promotionsbeschlusses: 20. Juli 2006
INHALTSVERZEICHNIS
VORWORT....................................................................................................
S.
1
EINLEITUNG................................................................................................
S.
6
I.
MYSTIK – EINE BEGRIFFSBESTIMMUNG .............................
S. 12
II.
DER MYSTIK-BEGRIFF UND DAS WERK MEISTER
ECKHARTS…………………………………………………………
S. 37
1.
2.
a.
b.
c.
3.
III.
1.
2.
3.
4.
5.
6.
7.
IV.
Das Eine und das Viele................................................................................
Die Einheit...................................................................................................
Die kausale Einheit und analoge Vielheit....................................................
Die konditionale Einheit und univoke Vielheit...........................................
Der Begriff der nichtdualen `gotheit`..........................................................
Der Begriff der unmittelbaren Anwesenheit bei der Einheit.......................
S.
S.
S.
S.
S.
S.
39
45
46
49
56
60
DER BEGRIFF DER ICH-STRUKTUR IN DER MYSTIK MEISTER
ECKHARTS........................................................................................... S. 66
Der Ich-Begriff und der Begriff `gotheit`.....................................................
Die Ich-Struktur in der `gotheit`...................................................................
Der Ich-Begriff und der Begriff `gott`..........................................................
Die Ich-Struktur und der Begriff der Trinität...............................................
Die Ich-Struktur begriffen als Trinität..........................................................
Die Ich-Struktur als die Entfaltung des Absoluten.......................................
Zusammenfassung und Ausblick..................................................................
DER MYSTIK-BEGRIFF UND DER ZEN-BUDDHISMUS..........
S.
S.
S.
S.
S.
S.
S.
68
69
75
83
96
100
111
S. 113
1. Zen und der Hînayâna-Buddhismus............................................................. S. 118
2. Zen und der Mâhâyana-Buddhismus............................................................ S. 120
3. Zen und der Begriff der unmittelbaren Anwesenheit beim Absoluten......... S. 124
V.
DER BEGRIFF DER ICH-STRUKTUR IM ZEN-BUDDHISMUS.. S. 130
1. Der Ich-Begriff der Prajnāpāramitāhrdayasūtra........................................... S. 134
2. Der Ich-Begriff der Vijñānavāda-Schule...................................................... S. 143
a. Die Stufe der relativen Ich-Identität............................................................. S. 144
b. Die Stufe der universalen Ich-Identität......................................................... S. 150
c. Die Stufe der absoluten Ich-Identität............................................................ S. 153
3. Ergebnis........................................................................................................ S. 155
VI.
DER VERGLEICH.............................................................................. S. 157
1. Der abendländische Begriff der Ich-Struktur als tertium comparationis..... S. 164
2. Das Absolute als Grund der Ich-Strukturen................................................. S. 170
3. Der Vollzug der Ich-Strukturen im Vergleich............................................. S. 174
VII.
SCHLUSSWORT................................................................................................
S. 185
NACHWORT...................................................................................................
S. 186
LITERATURVERZEICHNIS........................................................................ S. 188
VORWORT
Die weltweit operierenden Wirtschaftsunternehmen sowie die Grenzen
überschreitende Vernetzung der Informations- und Telekommunikationsbranche münden in einem Synergismus, dessen Dynamik weitläufig mit
dem Begriff der „Globalisierung“ zur Sprache gebracht wird. In Folge
dieses Prozesses erfährt die bisherige Identitätsbildung aller Gruppierungen
bis hin zu jedem einzelnen Menschen einen grundsätzlichen Wandel. War es
der Einzelperson noch vor einigen Jahrzehnten möglich gewesen, der
eigenen Ich-Identität durch den Vollzug der Zugehörigkeit zu einer ganz
bestimmten Sippe, einem Volk, einer Nation, Religion oder Staat Ausdruck
zu verleihen, so erfährt diese Identität im Zuge der oben erwähnten
Globalisierung eine Relativierung, eben weil sie sich von einem größeren
Ganzen herausgefordert sieht, das noch unbestimmt, weil nicht identifiziert
ist, und verlockend zu einer neuen Identitätsbildung einlädt.
Bei diesem Prozess handelt es sich keinesfalls um ein bislang völlig
unbekanntes Phänomen, waren doch die bereits vollzogenen Übergänge von
der Sippe zum Stamm, vom Stamm zum Volk und vom Volk zum Staat
nichts anderes als das Aufgehen – keinesfalls jedoch der Verlust! – der
kleineren in eine nächst größere Identität. Wird daher jegliche auftretende
Identität als Prozess der Identitätsbildung begriffen und mit diesem
gleichgesetzt, mithin dynamisch verstanden, so muß ihr Vollzug ganz von
sich aus immer um neue Einsichten und Erkenntnisse angereichert, vor
allem also vergrößert werden. Ein Ist-Zustand der Identität wäre dagegen
statisch und ein Beharren auf ihm widerspräche dem Fluss der
Identitätsbildungen, weil er – in der Regel – von außen als reaktionär und
totalitär bezüglich seiner Wirkung wahrgenommen werden kann.
Die Gesetze der Ökonomie aber, die seit eh und je für einen Grenzen
überschreitenden Austausch unter den zahlreichen Völkern gesorgt haben,
erfahren innerhalb des Prozesses der Globalisierung ihre erste kritische
Relativierung darin, daß das ökonomisch Mögliche allzu oft human und
ökologisch unverträglich, ja sogar zerstörerisch wirkt.
1
Eine zweite Relativierung ergibt sich: obwohl wir zunehmend und zeitgleich
- eben im Zuge der Globalisierung - an jedem Ort der Erde Zugang zu den
gleichen Informationen und Produkten haben können, verstehen wir diese
aber nicht gerecht zu verteilen und sehen uns außerstande, Konflikten unter
Menschen ein Ende zu bereiten.
Wir scheinen eher an den gegebenen Identitäten festzuhalten, die dann auf
dem globalen Markt der Interkommunikation gegen andere nicht nur
behauptet, sondern vor allem durchgesetzt werden, als handele es sich
hierbei um für die Ewigkeit festgelegte Größen. Damit ist die so
verstandene Globalisierung zunächst nichts anderes als das größtmögliche
Schlachtfeld für den Schlagabtausch bestehender Identitäten und
Identifikationen, wie es Samuel P. Huntington in seinem berühmten Aufsatz
„The Clash of Civilizations?“ im Akademischen Journal „Foreign Affairs“
bereits im Jahre 1993 ausgemalt hatte. Es muß also einen qualitativen
Unterschied geben zwischen dem, was unter Globalisierung zu verstehen ist,
und dem, was unter einer globalen Identität begriffen werden kann.
Globalisierung könnte auch die räumlich uneingeschränkte Expansion der
Interessen und Identitäten einer fest definierten Gruppe sein, und die Regeln
für diese Expansion fallen zunächst in den Zuständigkeitsbereich von
Wirtschafts-, Sozial- und Politikwissenschaften, die, um der Aufgabe
gerecht zu werden, bereits im globalen Austausch stehen müssten. Weil aber
hier die Wirtschafts-, Sozial- und Politikwissenschaften selbst Erzeugnisse
herrschender Identitäten sind und in dieser Funktion immer schon und
immer nur bereits als Konfliktparteien auf dem globalen Markt
menschlicher Kommunikation auftreten können, werden sie damit in ihrer
Funktion als relative Erscheinungen - und somit per definitionem - niemals
in der Lage sein können, dem ganzen Prozess der Globalisierung an sich
und damit sich selber eine grundlegende Werte-Hierarchie zu schaffen, nach
der der Prozeß der Globalisierung zu verlaufen habe, ohne daß diese WerteHierarchie, genau wie ihre Schöpfer, dem Fluß der Unbeständigkeit anheim
fallen würde, mithin dem Anspruch der allgemein gültigen Grundlage
widerspräche.
Hier wird der Ruf nach einer globalen Werte-Ordnung laut erhoben – so
etwa von Hans Küng mit seinem Projekt eines „Weltethos“ - und das
Anliegen aus der strukturellen Ohnmacht heraus allgemein verständlich:
eben solch eine globale Werte-Ordnung ermöglichte einen Austausch nicht
nur im ökonomischen Bereich, sondern gewährleistete gleichzeitig dessen
organisches Wachstum zum Wohle aller.
2
Deutlich ist damit: Globalisierung und eine globale von allen zumindest
nachvollziehbare Werteordnung sind zwei unterschiedliche Größen.
Bei einer solchen Werteordnung nämlich handelt es sich um den möglichen
Zugang zu einer globalen Identität, welche, um ihrem Anspruch der
Allgemeingültigkeit gerecht zu werden, von jedem Menschen in völliger
Unabhängigkeit von allen ihn bestimmenden Determinationen immer
wieder vollzogen werden könnte und angesichts der Ernsthaftigkeit der
Lage der Menschheit wohl auch müsste. Damit entspricht die Frage nach
der notwendig gewordenen globalen Identität der bislang grundsätzlichen
Frage überhaupt, nämlich der Frage: Wer bin ich?
Dieser Frage widmet sich bereits ein breites Spektrum von
Naturwissenschaften, ebenso auch die verschiedenen Religionen, wie das
Vaticanum II in seiner „Erklärung über das Verhältnis der Kirche zu den
nichtchristlichen Religionen“ („Nostra Aetate“), 1., wegweisend gesehen
hat. Dies trifft vor allem die Lehren der Hochreligionen bereits vom
Zeitpunkt ihres jeweiligen Entstehens an. So kann nachvollzogen werden,
weshalb gerade zu diesem Zeitpunkt das Interesse seitens der Wirtschafts-,
Sozial- und Politikwissenschaften an spirituellen Themen, welche bislang
die Domäne der Religionen waren und in der Neuzeit in weiten Teilen der
Bevölkerung zum Privatissimum des freien Menschen gezählt werden, stetig
zunimmt.
Die Dringlichkeit der Beantwortung der Frage nach dem Ich und der
Hierarchie seiner Identitäten wird zusätzlich dadurch verstärkt, daß der Sog
der allgemein stattfindenden Globalisierung Menschen und Gruppierungen
unterschiedlicher bis konträrer Identitäten direkt (durch Reisen,
Auswanderungen, Migrationen, Geschäftstätigkeiten usw.) und indirekt
(durch Massenmedien und den Konsum gleicher Produkte) einander
begegnen läßt, ohne daß gleichzeitig die Möglichkeit der Anknüpfung an
eine allgemein gültige und Konflikt transzendierende Grund-Lage bestünde.
Zu dieser Situation kommt es nicht nur im Augenblick der Konfrontation
selber, sondern oftmals bereits zuvor, indem die Identitäten der bestehenden
Gruppierungen ihren Mitgliedern nicht selten in der einen oder anderen
Weise den uneingeschränkten Umgang und Austausch auf der nächst
höheren oder gar globalen Ebene untersagen, weil sie die eigene Identität
statisch und exklusiv begreifen und damit oft als einzig wahr, mithin diese
absolut und universal setzen oder die Gefahr ihrer Relativierung, ihrer
Revidierung, ja sogar ihrer Aufgabe erahnen, was mit der Angst vor dem
Neuen und dem Verlust des Gewohnten verknüpft ist.
3
Weil aber – und so scheint es zumindest – alles menschliche Handeln
letztlich auch mit Identitäten verknüpft ist, so erscheint es als fraglich, ob
die Suche nach einer allgemeinen Grundlage oder Werte-Hierarchie, einer
globalen alle Menschen umfassenden Identität, überhaupt möglich ist. Und
wenn, handelt es sich dabei
-
um eine Übereinkunft in der Art einer Absprache zwischen den
Vertretern der jeweiligen Gruppierungen, oder
um einen aus dieser Absprache mangels rationaler Argumente
entstandenen globalen Glaubensakt, gleichsam ein Postulat, oder
könnte es sein, daß jeder Einzelne die Einsicht in diese Grundlage
mittels spiritueller Übung erlangen kann, wie sie etwa innerhalb aller
Hochreligionen seit Jahrtausenden gelehrt und praktiziert wird?
Treffen die beiden letzten oder nur die letzte dieser drei Fragestellungen den
Sachverhalt richtig – die erste scheidet allein schon aus Gründen der
Beliebigkeit der Antworten aus –: begeben wir uns damit nicht in den
persönlichen, vom freien Entschluß bestimmten Bereich menschlichen
Handelns, wo nichts erzwungen und befohlen werden kann?
Und: läge dann nicht das Gewahr-werden der Grundlage menschlichen
Handels im persönlichen Ermessen eines jeden von uns, dieses Wagnis
einzugehen, was neben einer allgemein akzeptierbaren Ausrichtung
zusätzlich noch viel Geduld und Liebe voraussetzen würde?
Diese und ähnliche Fragen ergeben sich zwangsläufig aus dem Umkreis des
zu behandelnden Themas und sie sind es, die erneut einen Blick in den
Bereich des religiösen Wissens erfordern.
Eine Reihe von Forschungsergebnissen im Bereich der vergleichenden
Religionswissenschaften führt zum unmittelbaren Ergebnis, daß die absolute
Grundlage aller möglichen Wertesysteme, eben ihrer Absolutheit wegen,
niemals das alleinige Gut einer einzigen der fünf Hochreligionen sein kann.
Alle Hochreligionen lassen sich erst dadurch als unterschiedlich bestimmen,
daß sie Universalität der Absolutheit ursprünglich und unterschiedlich
beanspruchen.
Eben dieser Begriff des universalen Absoluten muß, so er seinem Namen
gerecht werden will, der jeweils zeitlichen und räumlichen Erscheinung
seiner ihn offenbarenden Religion bereits immer schon als dieser
vorausliegend gedacht werden, und das ganz selbstverständlich ohne die
geringste Möglichkeit der Abgrenzung gegen den Begriff des Absoluten
4
innerhalb der übrigen Hochreligionen, so diese ebenfalls über einen solchen
verfügen, weil allein schon die Möglichkeit der Abgrenzung des universalen
Absoluten seiner Relativierung gleichkommt, mithin diesen Begriff aufhebt.
Und weil der Begriff der globalen Identität, der eine Nähe zum Begriff des
Absoluten hat, allein schon der Notwendigkeit seines Vollzugs wegen nicht
abseits der sich vollziehenden Ich-Struktur eines jeden Menschen gedacht
werden kann, ist die Suche nach dem Begriff der absoluten Identität sowohl
naheliegend als auch notwendig. Diese Suche kann in unterschiedlichen
Wissenschaften mit unterschiedlichen Methoden und Zielen betrieben
werden. Innerhalb der Geschichte der Religionen aber hat diese Suche in
dem einen Anhalt, was gemeinhin als Mystik verstanden wird: wird dort
doch der Vollzug absoluter Identität behauptet.
Und weil es sich bei der Mystik – der Begriff wird seiner weitläufigen
Verwendung wegen zunächst zu klären sein – etwa im Falle des ZenBuddhismus oder des abendländischen Mönchstums keinesfalls um
Einzelmeinungen oder Erscheinungen, vielmehr aber um Kultur- und damit
Identität bildende Größen handelt, wird das Problem der Objektivität dieser
Untersuchung und des Vergleichens an sich ebenfalls zu bedenken sein,
zumal kein mit diesem Thema ernsthaft Befasster sich diesen
identitätsbildenden Größen selbst völlig entziehen kann.
Weshalb nun gerade Meister Eckhart und der Zen-Buddhismus?
Diese Themenstellung, zumal als Vergleich, ist nicht neu.
Im Abendland wie auch im fernen Osten sind die oben genannten Größen
jedoch unter anderen Aspekten verglichen worden. Sie sind über die
jeweiligen Religionen hinaus auch bezüglich vorliegender Themenstellung
als Autoritäten anerkannt werden. So wird es möglich sein, eine über die
kulturellen Barrieren hinausgehende Vertrautheit vorauszusetzen, ohne die
Anzahl vielfältiger Mißverständnisse zu vermehren.
5
EINLEITUNG
Die Untersuchung der Ich-Struktur in der Mystik Eckharts und im ZenBuddhismus läuft auf einen Vergleich beider hinaus. Dieses ist nichts
Neues, werden doch der Buddhismus und das Christentum im Allgemeinen,
das Zen und die christliche Mystik im Besonderen in den letzten
Jahrzehnten oft gegenübergestellt und ihre Beziehungen zueinander
untersucht.
Die Ergebnisse dieser Untersuchungen lassen bislang zwei Grundpositionen
erkennen:
Die erste dieser Positionen behauptet, daß auf beide Größen der Begriff
„Mystik“ zutreffe, da sie die Absicht verfolgten, eine unmittelbare
Erfahrung Gottes, des Göttlichen, der Ersten Wirklichkeit oder der
Nichtdualität zu erreichen; die Unterschiede zum jeweils anderen ergäben
sich nicht aus dieser Erfahrung heraus, die in beiden Fällen als identisch
angenommen wird, sondern lägen in den kulturell-sprachlichen
Besonderheiten, wodurch das einheitlich Erfahrene unterschiedlich
reflektiert und benannt werde, bzw. der Weg in diese Erfahrung
kulturbedingt verschieden verlaufe1.
1
Vgl. dazu: W. Jäger, Geh den inneren Weg, Freiburg 1996, S. 9: „Die Erste Wirklichkeit,
die wir Abendländer seit einigen Jahrtausenden Gott nennen, wird von den einzelnen
Religionen verschieden benannt: das Absolute, Gottheit, Tao, Sunyata, Nirwana. Der
Versuch dieser Ersten Wirklichkeit einen für alle akzeptierbaren Namen zu geben, trennt
die Religionen. Daher kam es in der Geschichte immer wieder zu Glaubenskriegen, zu
Verfolgungen, Verleumdungen, Herabsetzungen usw. (...) Religionen sind Wege, auf denen
der Mensch zu seinem Ursprung zurückfinden soll, zu dem, was wir unser tiefstes Wesen
nennen oder auch das Göttliche in allem, was existiert.“ Weil es die gleiche „Erste
Wirklichkeit“ ist, die allem zugrunde liegt, sei auch die Erfahrung dieser in allen
Religionen gleich. Diese Erfahrung wird als „Transkonfessionell“ begriffen. Ausführlicher
zum gleichen Thema vgl. ders.: Auf der Suche nach dem Sinn des Lebens, Petersberg
1996.; und: Auf der Suche nach der Wahrheit, Petersberg 1999: Hier wird Meister Eckharts
Begriff „gotheit“ mit dem Begriff der „Leere“ im Zen verglichen und gleichgesetzt.
Eine ähnliche Position, wenn auch umfassender begründet und detaillierter strukturiert
diskutiert K.Wilber in: Eros, Kosmos, Logos, Frankfurt am Main 1996. Wilber denkt die
gesamte Evolutionsgeschichte als eine auf diese Erfahrung hinaus orientierte Bewegung.
Die gegenwärtig erreichte Stufe bezeichnet er, in Anlehnung an Habermas, Kohlberg und
Gilligen als „formal – operationales Bewußtsein“, dessen Weiterentwicklung „ ...jenseits
der Vernunft und niemals – niemals – diesseits“ (S.29) stattfinden werde. Dieser „Raum“
jenseits der Vernunft lasse sich in vier aufeinander aufbauende Stufen gliedern (die
psychische, subtile, kausale, nichtduale, und er denkt deren zugehörigen Referenten als die
Naturmystik, Gottheitenmystik, formlose Mystik und nichtduale Mystik, S. 344), wovon
6
Die zweite Position vertritt die Ansicht, daß die Mystik nicht Religions- und
Kultur- übergreifend existiere; daß diese nur innerhalb einer konkreten
Religion begreifbar sei, und zwar als besonderer Ausdruck derselben.
Deswegen sei auch das, was innerhalb der Mystik als Gotteserfahrung gelte,
immer schon bezogen auf den Inhalt der jeweiligen Religion und bezüglich
der Inhalte befänden sich das Christentum und der Buddhismus in keinerlei
Übereinstimmung, da die erste Gott zum Inhalt ihrer Bewegung habe
(Religion) und seine Erfahrbarkeit (Mystik) zulasse2, während im
Buddhismus die Leere (Śūnyatā) als Prinzip eingesehen werde (Religion)
und deren unmittelbare Erfahrung (Mystik/Zen) als die Vollendung der
Buddhaschaft gelte3.
die letzte, die „Nichtduale“, aller Evolution voraus und zugrunde läge, daher immer und
überall, unabhängig von der individuellen Konditionierung erreicht werden könne. Sie
werde auch immer wieder erreicht, beispielsweise von Meister Eckhart (S. 378 ff.).
Auf die Arbeit von K. Wilber kommen wir im Zusammenhang von Sprache und Mystik
(Kap. I. 1) dieser Arbeit zu sprechen.
Abschließend sei noch auf das Werk H. E. – Lassalles verwiesen und hier exemplarisch für
alle: Zen und christliche Mystik, Freiburg. i. BR. 1986. Die Position Lassalles läßt
Eindeutigkeit in der Begriffsbestimmung vermissen. So wird Zen als Erfahrung verstanden
und der christlichen Mystik (dieser Begriff wird ohne Bestimmung eingeführt)
gleichgesetzt. Diese wiederum muß, um dem Vergleich standzuhalten, auf den Begriff der
Naturmystik (ebenfalls keine eindeutige Bestimmung und Abgrenzung des Begriffes)
beschränkt bleiben, will man den christologisch – theistischen Inhalt des Christlichen
aufrechterhalten. Damit bleiben die zahlreichen Einzelvergleiche ohne Gesamtbezug
stehen.
2
Der Ort der Unmittelbarkeit einer Gotteserfahrung im Christentum und vor allem in den
einzelnen Konfessionen ist nicht eindeutig formuliert. Diesbezüglich sei nur an die
vermittelnde Aufgabe der Gnade, der Sakramente und der ecclesia an sich erinnert.
3
Vgl. dazu das Werk von D.T. Suzuki. Obwohl er dem Gedanken Eckharts sehr interessiert
gegenübersteht und darin viele Parallelen zum Zen sieht (vgl. hierzu: Der westliche und der
östliche Weg – Über christliche und Buddhistische Mystik, Frankfurt am Main, 1995),
bleiben seiner Ansicht nach das Zen und die Christliche Mystik voneinander unterschieden
vgl. dazu: Leben aus Zen. S.28 ff. Darüber hinaus sei die Religion des Westens immer
schon eine „Religion der Fleischwerdung des Logos“, im Gegensatz zum Zen, das als
Religion des Ostens in der Gegenbewegung der „Exkarnation“ gründe. Vgl. dazu: H.
Rzepkowski, Das Menschenbild bei D. T. Suzuki, Steyl 1971, S. 28.
Zu einem ähnlichen Schluß kommt S. Ueda in seiner Untersuchung: Die Gottesgeburt in
der Seele und der Durchbruch zur Gottheit. Die mystische Anthropologie Meister Eckharts
und ihre Konfrontation mit der Mystik des Zen-Buddhismus, Gütersloh 1965: „Durch
unseren kurzen Vergleich mit dem Zen-Buddhismus zeigt sich also die Mystik Meister
Eckharts in ihrer Untrennbarkeit von der christlichen Grundlage als eine christliche
Mystik...“(S.169).
Eine ähnliche Meinung über die grundsätzliche Unvereinbarkeit beider scheint in der SotoSchule des Zen verbreitet zu sein vgl. dazu: D.G. Merzel, W sercu zen - Oko nigdy nie śpi,
Warszawa 1994, S. 61.
7
Diese Stellungnahmen markieren die beiden äußeren Rahmen der
gegenwärtigen Diskussion. Die prinzipielle Schwierigkeit des Vergleiches
beider liegt (und hier herrscht allgemeiner Konsens) in der
verstandesmäßigen, ja selbst vernunftmäßigen Unerreichbarkeit des
angegebenen Inhaltes der einzelnen mystischen Bewegungen4.
Aus dieser Einsicht heraus wird auch die Unmöglichkeit der
Begriffsbestimmung der Mystik an sich gefolgert, was nicht etwa dazu
führt, konsequenterweise darüber zu schweigen, sondern im freien
Austausch des Meinens mündet, und zwar in der Weise, daß der Begriff
„Mystik“, ähnlich wie der der „Religion“, von einer konkreten
Religion/Mystik – hin der Regel der eigenen bzw. der bevorzugten –
abgeleitet und derart bestimmt, auf eine andere konkrete Religion/Mystik
angewandt wird. Dadurch erfährt das Einzelne eine Erhebung in den Status
des Allgemeingültigen und wird als solches zum Maßstab für den Vergleich
Von der christlichen Seite wird diese Position ebenfalls häufig vertreten. Vgl. dazu
exemplarisch: J. Sudbrack: Mystik. Selbsterfahrung – Kosmische Erfahrung –
Gotteserfahrung. Mainz/Stuttgart 1991 und: Meditative Erfahrung – Quellgrund der
Religionen. Mainz/Stuttgart 1994. Trotz vieler Ähnlichkeiten und inspiritativer Momente
gäbe es immer nur die jeweils konkrete, meistens innerhalb einer Religion auftretende und
aus ihr heraus zu verstehende Mystik. Von einer übergreifenden Mystik zu sprechen, führe
in den Synkretismus.
Diesbezüglich auch das verstorbene Oberhaupt der katholischen Kirche Papst Johannes
Paul II.: „Daher besteht trotz so mancher Übereinstimmung ein wesentlicher Unterschied.
Die christliche Mystik aller Zeiten (...) entsteht nicht aus einer rein negativen Erleuchtung,
die dem Menschen das Böse bewußt werden läßt, das aus seinem Festhalten an der Welt
mittels der Sinne, des Intellekts und des Geistes hervorgeht, sondern sie entsteht aus der
Offenbarung des lebendigen Gottes.“ In: Johannes Paul II, Die Schwelle der Hoffnung
überschreiten, Hrsg. Vittorio Messori, Hamburg 1994, S. 115.
Unter den neueren Veröffentlichungen deutscher Sprache ist vor allem zu beachten: K.
Ceming: Einheit im Nichts. Die mystische Theologie des Christentums, des Hinduismus
und des Buddhismus im Vergleich. Augsburg 2004. Ungeachtet des missverständlichen
Titels („mystische Theologie“ im Zusammenhang mit „Buddhismus“?) legt die Autorin
eine weitgreifende Untersuchung vor, in deren Verlauf sie übereinstimmende Grundzüge
und Differenzen zwischen christlichem und buddhistischem Gedankengut genau betrachtet
(vgl. besonders S. 269 ff.).
4
Angesichts der Fülle der Aussagen zu diesem Thema überrascht das prinzipielle Beharren
auf der
Feststellung der
Unerreichberkeit, mithin der
Unaussagbarkeit.
Wissenschaftsgeschichtlich begegnet dieses Problem erstmals deutlich bei R. Otto: Das
Heilige. Über das Irrationale in der Idee des Göttlichen und sein Verhältnis zum Rationalen.
(erstmals 1917), München 36.-40. A. 1971. Die bei Otto auf den Inhalt von Religion
bezogenen Überlegungen finden sowohl für diese wie auch für die Mystik in der Folgezeit
zahlreiche Anhänger.
Der Gedanke Unerreichbarkeit des Inhalts dieser Erfahrung mittels Verstand und Vernunft
gilt als eine starke Tradition abendländischer Philosophie. Exemplarisch sei hier nur auf
Plotin hingewiesen, der im Verlauf dieser Arbeit genau diesbezüglich zitiert wird.
8
herangezogen, was jeglicher Objektivität entbehrt, könnte diese doch erst als
Folge der begrifflichen Bestimmbarkeit des Allgemeinen auftreten.
Ist aber eine solche im Falle der Mystik überhaupt denkbar? Und wenn
nicht, wird ein Sprechen „darüber“ von vornherein bedeutungslos? Gründete
dann nicht jeder und vor allem ein der Religionswissenschaft verpflichteter
Ansatz im Sinnlosen, wollte dieser im Anliegen nicht nur die Mystik
benennen, sondern auch noch den Grund der Benennung bestimmen?
Lässt aber die Mystik im Allgemeinen keine begriffliche Bestimmung zu, so
ist die Zuwendung zum Einzelnen, hier dem „Ich“ und seiner Struktur,
ebenfalls sinnlos, weil eine solche, der abendländischen Tradition zufolge,
nur vom Allgemeinen zum Einzelnen hin möglich ist und nicht umgekehrt.
Damit ist die Durchführbarkeit der Absicht dieser Untersuchung fraglich
geworden, denn wie soll das jeweilige Ich (anders formuliert: der Mystiker)
bestimmbar sein, wenn die Mystik als solche es nicht ist? Und ist dem so,
führt dann nicht jeder Vergleich beider Größen ins Beliebige, weil er im
Beliebigen gründet und von dort seine Bestimmung bezieht?5
Mit diesen Feststellungen sind wir an die Grundlagen des Vergleiches von
beiden Größen angekommen. Im Falle der Mystik wird hier, wenn es um
Grundlegendes geht, von „Erfahrung“ gesprochen, die dem „Ich“ in der
Regel nach gewissen Übungen zuteil werde. Diese Erfahrung eignet sich für
einen religionswissenschaftlichen Vergleich nur dann, wenn sie eine
Begriffsbestimmung ihres Inhaltes zulässt und damit aus der Vereinzelung
des Unsagbaren und somit auch dem Begriffe nach Unbestimmbaren in die
Kommunikabilität des Vergleiches hineintritt.
Damit unterscheidet sich die „Grundlage“ des Inhalts der Mystik von der
Vorgehensweise dieser Untersuchung dadurch, daß die zweite immer schon
und immer nur eine Reflexion der ersten bleiben wird und bleiben will.
5
Beispielsweise vertritt F. de Saussure die Meinung, das Allgemeine ließe sich vom
Besonderen ableiten. Im Verlaufe seiner Untersuchungen zeigt sich jedoch, daß das
Einzelne immer schon, meist implizit, aus einem größeren Kontext heraus bestimmt
worden ist und niemals umgekehrt. Vgl. dazu: Linguistik und Semiologie, Notizen aus dem
Nachlaß, Frankfurt a. Main 1997, S. 66 und den Aufbau seines Standardwerkes,
Grundlagen der allgemeinen Sprachwissenschaft, Berlin 1967. Dort beginnt er mit der
Definition der Sprache im Allgemeinen und kommt dann zu den besonderen
Bestimmungen. Grundlegend dazu: Aristoteles, Metaphysik 982 b 2 f. Diese Methode ist
auch für die Vergleiche innerhalb der Religionswissenschft von grundlegender Bedeutung,
da sonst eine Fülle einzelner Vergleiche gezogen werden kann, die aus unbestimmten
Kontext der Beliebigkeit anheimfallen.
9
Innerhalb einer vergleichenden Wissenschaft aber besteht der Fortschritt
und mit ihm das Neue darin, daß die zu vergleichenden Sachverhalte auf
Grund der beständig zunehmenden Weiterentwicklung der einzelnen
Wissenschaften immer differenzierter und damit präziser erkannt werden
können. Ist dieser Prozeß in ständiger Bewegung und in seiner Folge die
bereits unternommenen Vergleiche, so verfügt er doch gleichzeitig und
formell betrachtet über zwei Konstanten: Zum einen ist jeglicher Vergleich
reflektiver Art, mithin ein Denkprozeß, der notwendigerweise einen Denker
im Sinne eines Subjekts voraussetzt. Zum anderen, und aus dem ersten
resultierend, muß der Inhalt des Vergleiches, da Gegenstand der Reflexion
des Denkens, also völlig unabhängig in seiner eigentlichen Beschaffenheit,
immer schon als Begriff vorliegen, weswegen auch eine jede
Einzelwissenschaft letztlich als der Vollzug von Begriffsableitungen
innerhalb eines zuvor festgelegten Gebietes verstanden – und somit
wiederum – begriffen werden kann.
Können aber seit dem Beginn der Neuzeit des abendländischen Denkens
Denker und Denken als Subjekt des Denkens, mithin als einheitlich
betrachtet werden, ergibt sich daraus ein einheitlicher Begriff. Daher kann
die Begriffsableitung äußerer Gegebenheiten, wie die Aufrechterhaltung der
eigenen Ich-Identität der Form nach betrachtet, identisch und nur inhaltlich
unterschieden gedacht werden, da es sich um Begriffe handelt. Damit sind
der Denker und das Denken auf das Engste miteinander verbunden, so daß
der Begriff der Objektivität einer Untersuchung unmöglich ist, müsste er die
beiden Konstanten nicht nur statisch, sondern auch noch getrennt
voneinander denken, was im Widerspruch mündet. Weil also das Subjekt
und Objekt einer jeden und so auch dieser Untersuchung der Form nach, da
jeweils Begriffe, konstant bleiben und nur dem Inhalt nach variieren, sind
sie (als Begriffe) ihre Grundlage, weswegen auch die begriffliche Ableitung
der Ich-Strukturen bereits eine Abhandlung über die Grundlagen dieses
konkreten Vergleiches ist, wie auch eines jeden anderen Vergleiches sein
kann.
Dieser „Versuch über die Grundlagen des Vergleiches“ versteht damit unter
Grundlagen die Begriffsbestimmung der Mystik im Allgemeinen und die
des „Ichs“ im Konkreten, und zwar genau in der angegebenen Reihenfolge,
soweit das religionswissenschaftlich möglich ist, und bringt dadurch
Begriffe hervor, welche einem Vergleich zur Verfügung stehen können und
diesen als solchen ermöglichen.
10
Das so Erkannte markiert zugleich eine Grenze, deren Überschreitung das
Sprechen zunächst in den Modus des Konjunktivs umwandeln müsste,
bevor es ins bloße Meinen herabgleiten würde.
Diese Untersuchung bleibt deswegen auch ein „Versuch“, weil sie von dem
Einen lebt, das dem Denken und Sprechen immer schon bestimmend
vorausliegt und sich zugleich nicht als bestimmt und begriffen ableitet und
ergibt.
Das bisher Gesagte ordnet die Reihe der Untersuchungen: Als Erstes wird
die
Möglichkeit
und
die
Notwendigkeit
der
allgemeinen
Begriffsbestimmung der Mystik aufgezeigt (erster Teil) und am Werk
Eckharts und dem Zen überprüft (zweiter und vierter Teil), um aus diesem
Verständnis heraus die Ich-Struktur innerhalb des Werkes Eckharts (dritter
Teil) und dem Zen (fünfter Teil) getrennt voneinander bestimmen zu
können. Die auf diesem Wege gewonnen Begriffe werden dann, im sechsten
Teil, einem Vergleich unterzogen.
11
I.
MYSTIK – EINE BEGRIFFSBESTIMMUNG
Wird das Werk Meister Eckharts als Mystik und er selber als Mystiker
bezeichnet und wird gleichzeitig derselbe Begriff auf den Zen-Buddhismus
angewandt, so wird damit von vornherein nicht nur ein Vergleich getroffen,
sondern die Zuordnung beider Größen unter den gleichen Begriff
vorgenommen. Diese Art der Begriffsanwendung setzt nicht nur seine
allgemeine Bestimmbarkeit6, sondern eine bereits vorliegende Bestimmung
voraus, die einer jeden konkreten Mystik zugrunde gelegt werden muß,
damit diese als solche erkannt werden kann7.
Eine solche allgemeine Begriffsbestimmung der Mystik aber liegt der
Religionswissenschaft nicht vor, und es lassen sich grundsätzlich zwei
6
Der Skeptiker Agryppa vertitt die generelle Unmöglichkeit einer begrifflichen
Bestimmbarkeit, da diese immer schon eine vorherige Bestimmung voraussetzen würde
und das ins Unendliche. Vgl.: Hypotyposes, I 166. Ähnlich Sextus Empiricus in
Hypotyposes, II 207. Beides in: A. Chojecki, Mowa mowy – o języku wspόłczesnej
humanistyki. Gdańsk 1997.
Gegen diese auf Beliebigkeit hinauslaufende Bestimmbarkeit des Konkreten gilt der „Satz
vom (zu vermeidenden) Widerspruch des Aristoteles. Vgl. Aristoteles, Metaphysik 1005 b
19f. Damit ist diese Diskussion aber bereits zu Beginn der abendländischen Philosophie
geklärt worden.
7
Den Versuch einer solchen Bestimmung liefert A. Paus, Lexikon für Theologie und
Kirche, Freiburg 31998, Bd.7, S. 583: Demnach ist Mystik, religionsgeschichtlich gesehen
„Ausdrucksform des vorübergehenden, unmittelbaren, integralen Ergriffenseins od. werdens des homo religiosus von der numinosen anderen Wirklichkeit...“ Allein schon
anhand des Begriffes „homo religiosus“ zeigt sich die Schwierigkeit der Anwendung dieser
Definition für die Religionswissenschaft, setzt diese Definition doch die Bestimmung eines
Menschen und seiner wie allgemein auch immer gefassten Religiosität voraus. Die
prinzipielle Behauptung der Ichlosigkeit im Zen und sein Begriff der „Leere“ lassen sich
dann aber von dieser Art der Begriffsvorlage nicht ableiten und als Mystik erkennen.
D. Mieth bemerkt die Schwierigkeit einer allgemeinen Definition der Mystik und
beschränkt sich deswegen nur auf die Bestimmung der christlichen Mystik: vgl. dazu: Die
Einheit von Vita activa und Vita contemplativa, Regensburg 1969.
Auch die Überlegungen über „Das Wesen der Mystik. Eine heuristische Skizze“ (S. 11 ff.)
sowie der Forschungsbericht über „die moderne Mystikforschung“ (S. 383 ff.) im 1. Bd.
des monumentalen Werkes (mit weitläufigem Literaturverzeichnis) von B. McGinn, Die
Mystik im Abendland. Aus dem Engl. übers. von Clemens Maaß. Freiburg/Basel/Wien
1994 ff. beziehen sich dem Titel des Werkes entsprechend ausschließlich und bewußt auf
die christliche Mystik. Gleiches gilt für das Werk von K. Ruh „Geschichte der
abendländischen Mystik“, 4 Bde., München 1990 - 1999. Dieses monumentale Werk erhebt
eine Reihe von Bestimmungen, die gleichwohl nicht religionsübergreifend und schon gar
nicht für „Vergleiche“ außerhalb monotheistischer Religionen gedacht sind.
12
Gründe dafür benennen, weshalb die vorhandenen Bestimmungen innerhalb
der Religionswissenschaft nicht allgemein anerkannt werden:
1. Zum einen wird behauptet, die Mystik als solche liege außerhalb des
Zugriffs der Sprache, der Logik und der Vernunft und sei deswegen, in
ihrem Wesen, durch diese weder erreichbar noch bestimmbar8;
2. Zum anderen sei Mystik, innerhalb der fünf Hochreligionen, immer
schon als Teil einer konkreten Religion erkannt und von dieser
abgeleitet worden mit dem Ergebnis, es existiere immer nur eine
konkrete Mystik, genauso wie es immer nur eine konkrete Religion
geben könne9.
1. Der erste Einwand unterscheidet nicht zwischen dem Begriff der Mystik
und ihrem eigentlichen Referenten, d.h. im Falle des Meister Eckhart und
des Zen, zwischen der „gotheit“ (Eckhart) bzw. der „Leerheit“ (Zen) an
sich und dem Begriff der „gotheit“ und „Leerheit“ als Inhalt der Reflexion.
Genauer ausgedrückt: Es wird nicht zwischen den drei Komponenten des
sprachlichen Gefüges differenziert, die nach F. de Saussure aus dem
Signifikanten, also dem Bezeichnenden, dem Signifikat, also dem unter dem
Signifikanten Vorgestellten, und dem eigentlichen Referenten bestehen10.
Am Beispiel des eckhartschen Begriffes „gotheit“ soll dies verdeutlicht
werden:
Der Signifikant ist das geschriebene oder gesprochene Wort „gotheit“. Das
Signifikat ist das, was unter diesem Begriff denkbar und vorstellbar ist (hat
also seinen Ort in der Reflexion!), während der Referent, auf den der
Signifikant und das Signifikat hindeuten, die „gotheit“ selber und an sich ist
(jenseits der Reflexion!). Beide Seiten also, Signifikant/Signifikat auf der
einen und der Referent auf der anderen, sind nicht identisch. Wird jetzt das
Signifikat, also der reflektierte Begriff „gotheit“, mit dem Referenten, also
8
D.T.Suzuki überträgt den abendländischen Begriff Mystik ohne vorherige Definition auch
auf das Zen, und das in der Weise, daß dem Zen alleine diese Begriffszuordnung zukomme.
Damit soll zwar das Zen „mehr“ Mystik sein als das Christentum; was aber unter dieser
„Mystik“ allgemein zu verstehen ist, wird nicht deutlich, so daß im Ergebnis das „mehr“
einen eher emotionalen Charakter bekommt. Vgl. dazu: Leben aus Zen, München 1987, S.
45.
9
Vgl. F. de Saussure, Grundfragen der allgemeinen Sprachwissenschaft, Berlin 1967, S. 78
ff.
10
Vgl. F. de Saussure, Grundfragen der allgemeinen Sprachwissenschaft, Berlin 1967, S.
78 ff.
13
der „gotheit“ selber, gleichgesetzt, so liegt hier ein Mißverständnis vor,
gegen das jede Kritik seitens der Vertreter der Wissenschaft wie auch der
Mystik angebracht ist.
Keineswegs zulässig ist dagegen die Schlußfolgerung, Mystik sei deswegen
nicht bestimmbar. Die Verwechslung der Ebene der Reflexion (Signifikat)
mit der der unmittelbaren Anwesenheit (auch „Erfahrung“ genannt) beim
Referenten (im Falle Eckharts bei der „gotheit“) ist gleichzusetzen mit der
Verwechslung von begrifflicher Bestimmbarkeit mit realer Anwesenheit,
mit Ein-Sicht.
Wiewohl die zweite Ebene der Ersten immer schon zur Voraussetzung ist,
zeigt innerhalb der einzelnen Religionen die Stellung des jeweiligen
Hervortretens des Einen in die Vielheit, daß keine der – vor allem
theistischen Hochreligionen – eine unmittelbare und unvermittelte
Anwesenheit bei ihrem eigenen Prinzip kennt und deshalb ihr Wissen
(Signifikat) um diese Einheit aus dem Erscheinen dieser in der Vielheit
(Inkarnation im Christentum, Thora im Judentum, der Koran im Islam, usw.
als der jeweilige Referent) bezieht. Es ist also immer schon und immer nur –
innerhalb einer konkreten Religion gedacht - die Einsicht in die aus sich
hervorgetretene Einheit, der Gegenstand/Referent der Reflexion/Signifikat,
und das auf Grund ihrer unmittelbaren Erfahrbarkeit (Vielheit der Reflexion
kann nur Vielheit zu ihrem Gegenstand haben), weil hier das
Hervorbringende und Hervorgebrachte – vorgreifend formuliert – als zwei
Pole einer einzigen Größe gedacht werden.
Signifikat/Signifikant auf der einen Seite und der Referent auf der anderen,
bilden damit zwei Pole eines Ganzen. Läßt man eine der beiden Seiten
unberücksichtigt, beispielsweise die des Signifikates/Signifikanten, fällt der
Referent in die Beliebigkeit und Inkommunikabilität. Umgekehrt, verzichtet
man auf den Referenten, ereignet sich die Reflexion/Signifikat als bloßes
Meinen11.
Dem Sachverhalt zufolge sollte die Bestimmung der Mystik den Mystikern
überlassen bleiben, ist ihnen doch eine unmittelbare Einsicht in den
Referenten gegeben.
11
Ausführlicher zum Problem der Sprache und der Mystik sowie der Mystik als
Wissenschaft: K. Wilber, Eros, Kosmos, Logos, Frankfurt a. Main 1996. S. 333 ff. Auf der
Sprachtheorie de Saussures aufbauend und unter Hinzufügung der Merkmale einer
„Wissensuche“,die er in der Injuktion, dem Erkennen und seiner Bestätigung sieht, plädiert
Wilber sogar für die Bezeichnung der Mystik als Wissenschaft. S. 339 ff.
14
Diese Feststellung als Einwand wäre dann richtig, wenn dieses Vorhaben
auch eine solche Einsicht im Sinne der unmittelbaren Anwesenheit beim
Einen für sich beanspruchen würde (in unserem Beispiel also ein wie auch
immer gedachtes „Erreichen“ der „gotheit“ oder der „Leere“) und hierfür
gilt auch die Grenze, auf die in der Einleitung zu dieser Arbeit hingewiesen
worden ist.
Für die Religionswissenschaft ist aber die Mystik als Erscheinung innerhalb
der bestehenden Religionen der Referent und daher von Interesse, und zwar
in der Weise, daß deren Absicht auf die Möglichkeit einer begrifflichen
Bestimmbarkeit hin bedacht wird, was gerade nicht gleichgesetzt werden
darf mit der Meinung, damit werde ein Versuch unternommen, ihr Ziel auf
dem Wege der Benennung bzw. des Begreifens zu erreichen. Der Referent,
der somit als Begriff der Reflexion/Signifikat gegenübersteht, kann zum
Gegenstand dieser werden, da er keine Einheit sondern Vielheit ist, und in
diesem Sinne als Gleicher vom Gleichen erkannt werden kann12.
2. Der zweite Einwand gegen eine allgemeine Begriffsbestimmung der
Mystik deutet auf das Erscheinen einer immer schon konkreten Mystik
innerhalb einer immer schon konkreten Religion. Aber genau diese Einsicht
setzt ein Wissen darüber voraus, was Mystik im Allgemeinen ist: sie könnte
nämlich als konkrete ohne das bereits vorausgesetzte Wissen um ihre
allgemeine Bestimmung gar nicht als solche erkannt werden.
Damit ist die Möglichkeit und die Notwendigkeit der Begriffsbestimmung
der Mystik gezeigt und gleichzeitig ein Hinweis auf die Vorgehensweise
bezüglich dieser Bestimmung gegeben worden:
Wird nämlich die Mystik als in allen Hochreligionen auftretende
Erscheinung erkannt, und zwar als besonderes Merkmal einer jeden, in der
Weise, daß die Hochreligionen als reflektierter Vorgriff auf den Inhalt von
Mystik bestimmbar sind13, so läßt sich der Begriff der Mystik im
12
Vgl. dazu: Plotin, Enneade VI, 9, 11, 77.
13
Exemplarisch für viele: J. Sudbrack, Mystik, Mainz/Stuttgart 1988. Hier wird an
Einzelbeispielen die Vielfalt der mystischen Erscheinungen aufgezeigt und ihre jeweilige
Rückbindung an die Herkunft im Sinne der Kultur, Sprache und Religion hervorgehoben.
Zwei allgemeine Definitionen der Mystik, nämlich als „ Aufgehen des Menschen in Gott
oder im Göttlichen...“ (Wörterbuch der Religionen, Kröners Taschenbuchausgabe 1976.)
und: „...nach innerer seelischer Erfahrung suchen, die durch äußere Sinneserfahrung nicht
gewonnen werden kann.“ (Ökumene – Lexikon, Frankfurt 1987, Art. Mystik.) müssen hier
mit dem Hinweis auf die erste Bemerkung (oben S. 12 f.) als unzureichend zurückgewiesen
werden. In den angeführten Definitionen liegt eine Verwechslung zwischen einer
allgemeinen Begriffsbestimmung der Mystik und der Deskription einer konkreten vor. Die
15
Allgemeinen von dem der Religion im Allgemeinen ableiten, vorausgesetzt,
ein solcher steht der Religionswissenschaft zur Verfügung.14
Eine diesen Kriterien genügende Begriffsbestimmung der Religion liegt
bereits vor.15 Sie lautet:
„Religion gründet in der reflektierten Einsicht in den umfassenden Mangel
an anwesender Gegenwart, hat das Wissen um die notwendige
Voraussetzung der verborgenen Einheit zum Inhalt und ist im Beachten der
Herrschaft des Prinzips von Allem lebendig.“16
Diese Begriffsbestimmung beansprucht deshalb zurecht die Bezeichnung
einer allgemeinen, ist sie doch von keiner einzelnen Religion abgeleitet17,
ermöglicht jedoch die Bestimmung jeglicher Religion. Zugleich in der
Religionswissenschaft verankert und darüber hinaus der abendländischen
Philosophie verpflichtet, steht diese Begriffsbestimmung in keinerlei
Widerspruch zu den Prinzipien eben jener Philosophie in ihrer zweiten
Epoche18.
Aufgabe der Ersten besteht nicht darin, die Fülle der Einzelheiten einer konkreten zu
beschreiben, wohl aber Kriterien zu benennen, anhand welcher eine jede als solche
überhaupt erkannt werden kann.
14
Vgl. dazu besonders E. Feil (Hrsg.), Streitfall „Religion“. Diskussionen zur Bestimmung
und Abgrenzung des Religionsbegriffs (= Studien zur systematischen Theologie und Ethik
21), Münster 2000.
15
Vgl. dazu M. Enders, Ist ‚Religion’ wirklich undefinierbar? Überlegungen zu einem
interreligiös verwendbaren Religionsbegriff, in: M. Enders/H. Zaborowski (Hrsg.),
Phänomenologie der Religion. Zugänge und Grundfragen, Freiburg/München 2004, S. 49
ff. Enders greift das Problem von seiner grundsätzlichen Seite auf und diskutiert eine
Anzahl von Vorschlägen, um schließlich den von Uhde vorgeschlagenen Begriff (s.u. A 16
und 18) aufzunehmen und weiterzuinterpretieren (vgl. Enders S. 68, S. 86 f.).
16
B. Uhde, Gegenwart und Einheit – Versuch über Religion, Freiburg im Breisgau 1982. S.
8, sowie B. Uhde „Fiat mihi secundum verbum tuum“. Die Zurücknahme des menschlichen
Willens als ein Prinzip der Weltreligionen. Ein religionsphilosophischer Entwurf, in:
Jahrbuch für Religionsphilosophie 1/ 2002, S. 88 f. Die Arbeit von Uhde wie auch die hier
folgenden Überlegungen sind eng angelehnt an den von Heribert Boeder vorgelegten
Versuch einer prinzipiellen Betrachtung der abendländischen Philosophie. S. H. Boeder,
Topologie der Methaphysik, Freiburg/München 1980.
17
Vgl. dazu H.-M. Haußig, Der Religionsbegriff in den Religionen. Studien zum Selbstund Religionsverständnis in Hinduismus, Buddhismus, Judentum und Islam, Berlin 1999.
18
Vgl. B. Uhde, Gegenwart und Einheit, Freiburg 1982. Diese Untersuchung – in ihrer
Bedeutung für die Religionswissenschaft gewürdigt von P. Antes, Religion in den Theorien
der Religionswissenschaft, in: Handbuch der Fundamentaltheologie, hrsg. W. Kern u.a.,
16
Ist damit die Religion als solche dem Begriff nach bestimmt worden und
läßt sich innerhalb einer jeden einzelnen der fünf Hochreligionen19 eine
Größe, die als Mystik bezeichnet wird, erkennen und das in der Weise, daß
Mystik als eine besondere Erscheinung der Religion von dieser bestimmt
wird und innerhalb dieser auftritt, so gilt das Gleiche für den Begriff der
Bd. I, Freiburg 1985, S. 34 f. – hat die Begriffsbestimmung der Religion im Einklang mit
den Prinzipien der abendländischen Philosophie versucht und gleichzeitig deren Gültigkeit
erinnert. Ein Prinzip erweist sich demnach als solches, wenn es einheitlich, einsichtig,
allgemeingültig ist und jeder Versuch seiner Widerlegung seinen Inhalt als bewiesen
voraussetzt. Dementsprechend wird als erstes Prinzip der abendländischen Philosophie der
„Satz vom (zu vermeidenden) Widerspruch“ des Aristoteles erkannt, wonach einem Subjekt
nicht gleichzeitig und in gleicher Hinsicht zwei sich einander widersprechende Prädikate
zugeordnet werden können (S. 50 ff.; vgl. dazu auch B. Uhde, Erste Philosophie und
menschliche Unfreiheit. Studien zur Geschichte der Ersten Philosophie. Teil I: Von den
Anfängen bis Aristoteles, Wiesbaden 1976, S. 82 f., dazu S. 70 f.). Dem Inhalt nach wird
dieses erste Prinzip als die Reflexion des Denkens bestimmt, die als Einheit sich selbst zum
Gegenstand hat und der erscheinenden Vielheit verborgen bleibt in dem Sinne, daß sie ihr
zugrunde liegt (S. 35 ff.).
Dieses Prinzip wird der Form nach als Maßstab genommen für die Bestimmung des
sichersten und allgemeinsten Grundes und dem Inhalt nach für die Bestimmung des Inhalts
von Religion und findet sich so in der Formulierung der ersten beiden Teile der
Begriffsbestimmung der Religion wieder (S. 50 bis 64). Nun wird jedoch im weiteren
Verlauf der Untersuchung erkannt, daß Einheit als Reflexion begriffen immer noch eine
Doppelung darstellt und somit zwar als Prinzip gedacht werden kann, jedoch nicht als
Prinzip von Allem. In der plotinischen Bestimmung der Einheit als das „Eine“ wird dann
das Hervortreten eines neuen Prinzips gesehen, welches „erhaben“ ist über alle
Doppelungen, wodurch das alte Prinzip auf dieses nicht mehr angewandt werden kann, da
es ihm (Doppelung) als absolute Einheit immer schon vorausgeht (S. 91 bis 102). Darin
erkennt Uhde das Prinzip der zweiten Epoche, die von grundlegender Bedeutung für die
Begriffsbestimmung der Religion im Allgemeinen ist (nämlich als Prinzip von Allem,
mithin auch von Religion S. 101), wie auch für die des Christentums im Konkreten, da es in
seiner Absolutheit „... auch das nach dem Verstandesprinzip Gegensätzliche ohne Mühe
durchdringen oder überwinden“ kann (S. 101), wodurch der Weg frei wird für die
Christologie und das Dogma von Nicaea (Christus ist Gott und Mensch zugleich), welches
nach dem „Satz vom Widerspruch“ nicht möglich, weil ohne kommunikablen Sinn
gewesen wäre (S. 102).
Das von Descartes vorgelegte sichere Wissen um die Ich-Existenz offenbart schließlich das
Prinzip der Neuzeit (S. 7), welches sich – gleichzeitig mit der Erkenntnis des Todes – als
die allgemeinste und sicherste Bestimmung erweist, die der Bestimmung der Religion
zugrundegelegt werden kann (S. 15 ff.). Das von Descartes vorgelegte sichere Wissen um
die Ich-Existenz offenbart schließlich das Prinzip der Neuzeit (S. 7), welches sich –
gleichzeitig mit der Erkenntnis des Todes – als die allgemeinste und sicherste Bestimmung
erweist, die der Bestimmung der Religion zugrundegelegt werden kann (S. 15 ff.).
19
„Hochreligionen“ – oder auch „Weltreligionen“ – können Judentum, Christentum, Islam,
Hinduismus und Buddhismus genannt werden, da sie einen absoluten und universalen
Anspruch vertreten; vgl. B. Uhde, Judentum: eine „ethnozentrische“ Religion? Eine
religionsgeschichtliche Überlegung, in: G. Biemer u.a., Freiburger Leitlinien zum
Lernprozeß Christen Juden, Düsseldorf 1981, S. 193 ff.
17
Mystik an sich, der dann aus dem Begriff der Religion an sich hervortreten
muß. Das Hervortreten des Begriffes aber kann nur im Besonderen und
nicht im Allgemeinen stattfinden, und das aus zwei Gründen:
 Erstens: Ein Unterschied beider Größen – Religion und Mystik – im
Allgemeinen würde notwendig in eine Neubestimmung der Mystik
unabhängig von der der Religion führen, wodurch sie ihren von der
jeweiligen Religion immer schon vorgegebenen Inhalt aufgeben und
sich gleichzeitig dadurch in die Unbestimmbarkeit des begrifflich
Unerkannten begeben müßte.
 Zweitens: Beide Begriffe – Religion und Mystik – können nur im
Allgemeinen übereinstimmen und müssen im Besonderen Unterschiede
aufweisen, weil sie sonst entweder gleich wären oder aber gänzlich
voneinander unterschieden.
Die Mystik kann also nur bestimmbar sein als das Besondere innerhalb des
größeren Allgemeinen (Religion), jedoch so, daß dieses Besondere
wiederum allgemein gefasst sein muß, damit es der begrifflichen
Ableitbarkeit einer konkret auftretenden Mystik innerhalb der vereinzelt
erscheinenden Religion zugrunde gelegt werden kann.
Die genannten Voraussetzungen lassen folgende Schlüsse zu:
Kann der Begriff der Mystik nur als Hervortreten aus dem Begriff der
Religion in der besonderen und nicht in der allgemeinen Bestimmung
verstanden werden, so setzt das die Übereinstimmung beider Begriffe eben
in jener allgemeinen und einen Unterschied in der besonderen Bestimmung
voraus. Das Allgemeine aber ist stets das Grundsätzliche und daher der
Religion Grund. Dieser bestimmt sich: „... in der reflektierten Einsicht in
den umfassenden Mangel an anwesender Gegenwart ...“, wobei die
Reflexion der Einsicht und nicht die Erfahrung die Bestimmung
ermöglicht20.
20
Die Voraussetzung für den Erweis einer Begriffsbestimmung, sei es des Grundes, des
Inhaltes oder der Tätigkeit der Religion liegt darin, daß diese, entgegen der zur Zeit weit
verbreiteten Meinung, immer von der bereits reflektierten Einsicht in einen gegebenen
Sachverhalt auszugehen hat und nicht von einer, wie auch immer aufgefassten Erfahrung,
wodurch diese nicht negiert wird: „Mit der Reflexion dieser Berührung – der Einsicht in die
Ergriffenheit von der Einsicht in den Mangel an anwesender Gegenwart – gründet
„Religion“, während in der unreflektierten Einsicht in den Mangel an anwesender
Gegenwart ein als bedeutungslos genommener Sachverhalt zur Selbstaufgabe der ersten
Einsicht und zum Verlust des Wissens drängt.
Das dadurch hervortretende Bewußsein begreift sich selbst nicht, weil es seine Endlichkeit
reflexionslos negiert; es begreift aber auch seine Umwelt nicht, weil es weder deren
18
Dieser Grund also, als der allgemeinste, ist der Religion und damit auch der
Mystik eigen.
Ist damit das Grundsätzliche als das Allgemeine bestimmt worden, so fällt
dem Inhalt die Bestimmung des Besonderen zu, will dieser ja im
Vorausgehenden seinen Grund erkennen.
Dem Inhalt nach bestimmt sich die Religion im : „...Wissen um die
notwendige Voraussetzung der verborgenen Einheit“, eine Bestimmung, die
jetzt genauer bedacht werden soll, kann nämlich nur in ihr der Unterschied
beider Größen begriffen werden.21
Im zweiten Teil der Grundbestimmung des Begriffes der Religion ist vom
„Wissen“ die Rede, welches die Einheit nicht unmittelbar zum Gegenstand
der Erkenntnis hat, sondern um deren „verborgene“ und „notwendige
Voraussetzung“ weiß und das auf Grund ihres Hervortretens in die
Vielheit 22. Die Art und Weise des Hervortretens ihrerseits bildet die Vielheit
der Religionen, welche wiederum auf diesem Wege das oben genannte
Verfassung noch deren Grenze ins Urteil nimmt. So tritt dieses Bewußtsein – alter
Überlegung nach – in die Unfreiheit, ja in die Nähe der Tiere und der Werkzeuge.“ (Uhde,
Gegenwart und Einheit, op. cit. , S. 26; vgl. Uhde, Erste Philosophie, op. cit. ., S. 90 ff.).
Daher benötigt die Entfaltung des Wissens die Fähigkeit der Bildung der Signifikate, die
letztendlich zum Gegenstand der Reflexion werden können.
21
Der dritte Teil der Begriffsbestimmung der Religion, nämlich das „... Beachten der
Herrschaft des Prinzips von Allem“, läßt sich dann als unmittelbare Folge des zweiten Teils
denken, was für die Bestimmung der Mystik heißen muß, daß auch hier ein Unterschied
bedacht werden will.
Vgl. dazu B. Uhde, Gegenwart und Einheit, op. cit., S. 50 ff.: Die Anerkennung der Einheit,
als einer der Vielheit zugrunde liegenden Größe ist zunächst ein erkenntnistheoretisches
Anliegen, wie Sokrates, Platon und Aristoteles gezeigt haben, und führt nicht
notwendigerweise in die Begründung einer Religion, wohl aber in die Entfaltung der
Philosophie als einer Wissenschaft von der Bestimmbarkeit dieser Einheit. Die Religion
ereignet sich erst dann, wenn die Reflexion der Einsicht in den Mangel an anwesender
Gegenwart eine Betroffenheit auslöst, die sich mit dem Mangel nicht zufrieden gibt und
dessen Aufhebung in der „Beachtung der Herrschaft des Prinzips von Allem“ sucht, dem
ein Wissen um diese vorausgehen muß.
22
Zur Verborgenheit der jenseitigen Einheit vgl. B. Uhde, Gegenwart und Einheit, op. cit.,
S. 38 und zur Erlangung des Wissens um diese vgl. ebd. S. 103. Dort heißt es: „Dabei ist
dieses Prinzip zur Welt des Erscheinens jenseitig, aber Herr dieser Welt. Kenntnis von ihm
ist offenbar möglich – wie könnte sonst, selbst in der Vorsicht des `gleichsam`, von ihm
gesprochen werden?“
19
„Wissen“ um das „Prinzip von Allem“ erlangen und den Alltag durch die
„Beachtung“ des so Erkannten gestalten23.
Selbst wenn im Heraustreten die Einheit als Einheit erhalten bleibt, bleibt
das Wissen um diese als Reflexion immer schon Vielheit, für die oder –
religiös ausgedrückt – in die sich die jenseitige Einheit hinein offenbart24.
Aber ein als Vielheit erkanntes und sich selbst begreifendes Wissen ist
damit immer schon bedürftig, und im Angewiesen-Sein auf eine
Vermittlung erfährt es notwendigerweise seine Begrenztheit. Aus dieser
ergibt sich dann die Erkenntnis seiner eigenen Endlichkeit und in deren
Folge das Wissen um die Vergänglichkeit. Diese Selbsterkenntnis der
Reflexion besteht darin, daß sie sich und die Vielheit der erscheinenden
Welt immer nur in der „Doppelung“ als kleinster erscheinender Vielheit25
und daher als Doppelung, also als kleinste erscheinende Vielheit, vorstellen
kann. Selbst dann, wenn sie die Einheit dem Begriff nach denken kann, so
kann dieses Denken nur vermittelt geschehen und bedarf des tätigen
Eingreifens seitens der Einheit selber in der Weise ihres Hervortretens.26
Das Charakteristikum der Vielheit – und damit der Begrenztheit,
Endlichkeit und Vergänglichkeit – haftet der Reflexion an in der Art, wie
diese als Ursache jener eingesehen werden muß, und das in zweifacher
Weise, nämlich im Hervorbringen und im Erkennen, eben weil dieses
Erkennen als Doppelung Doppelungen hervorbringt und von diesen
Doppelungen selber hervorgebracht wird. Damit aber zeigt sich das
„Wissen“ als Reflexion der direkten Einsicht in die Einheit als Hindernis,
weil es als Doppelung eben nur Doppelungen zum Gegenstand der
Betrachtung haben kann. Gleichzeitig aber liegt in der unmittelbaren
Anwesenheit beim Absoluten das Heil, und dort muß es auch gesucht
23
Vgl. B. Uhde, Gegenwart und Einheit, op. cit., S. 38. Anm. 81.
24
Vgl. B. Uhde, Gegenwart und Einheit, op. cit., S. 108.
25
Das Wort „Doppelung“ sucht die plotinische Rede von „δύο“ wiederzugeben, vgl. Plotin,
Enneade III. 8,9,1-25.
26
Hier hat beispielsweise im Christentum der Stellvertretungsgedanke seinen Ort, der in
Christus als Vermittler nicht nur die Einheit der Welt/Vielheit zugänglich macht, sondern
auch in seiner Person stellvertretenderweise alle Vielheit aufhebt. Vgl. dazu: K. M. Menke,
Stellvertretung: Schlüsselbegriff christlichen Lebens und theologische Grundkathegorie,
Einsiedeln/Freiburg 1992. Obwohl auf eine reiche Tradition gestützt, bleibt der „pro nobis“
Gedanke weiterhin nicht eindeutig, weil die Übersetzung mit „für uns“ nicht zwangsläufig
mit „an unserer statt“ übersetzt werden muß.
20
werden. Allein dieses hebt, alle Doppelungen übersteigend, Begrenztheit
und damit Vergänglichkeit, Leid und Tod auf27.
Genau hier ist der Ort erreicht, an dem sich der Begriff der Mystik von dem
der Religion unterscheidet und eine Wandlung vollzieht:
Haben nämlich die Religion und die Mystik das „Wissen um die notwendige
Voraussetzung der verborgenen Einheit“ zu eigen, so ist und bleibt dieses
Wissen als Reflexion und somit Doppelung der Inhalt von Religion und
eröffnet ihr damit ein sich Entfalten ins „Beachten“ – wiederum Doppelung
- des stets vermittelten Inhaltes derselben, während die Mystik, indem sie
die Doppelungen tilgen möchte, notwendigerweise die unmittelbare und
unvermittelte Anwesenheit bei dieser verborgenen Einheit zu ihrem Inhalt
haben muß. Anders formuliert: Der Inhalt der Religion wird für die Mystik
zu ihrer Voraussetzung, da diese im Wollen nur auf etwas hinstreben kann,
was sie zuvor im Geist – Reflexion – erkannte28. Die Mystik will und muß
über diese Reflexion – jedoch wie eben gezeigt, nur dank dieser und nicht
gegen diese – hinaus, indem sie in die unmittelbare Anwesenheit bei der
Einheit selber einzugehen sucht, während die Religion in das Beachten des
in der Vielheit erschienen Prinzips von Allem umschlägt.
Der dabei der Mystik eigene Widerspruch, durch Vermittlung unmittelbar
ins Unvermittelte zu gelangen, bleibt dem Verstandeswissen anstößig. Ist
die Bewegung der Religion bedacht und als Wissen gesichert, bleibt die
Frage offen, ob eine unmittelbare Anwesenheit bei dem Einen überhaupt
vorstellbar und damit denkbar sei. Diese Frage bindet uns zurück an die
ursprüngliche Frage nach den Kriterien einer religionswissenschaftlichen
Begriffsbestimmung der Mystik. Daher ist die Antwort darauf für diese
Untersuchung von tragender Bedeutung.
Der sich in der eben genannten Weise ankündigende Begriff der Mystik
muß, analog dem der Religion, von dem er sich ableitet, einer Prüfung
unterzogen werden. Hierfür erweisen sich ebenfalls Prinzipien
abendländischer Philosophie29 als dienlich, haben sie sich ja nicht nur dem
27
Vgl. dazu: B. Uhde, Gegenwart und Einheit, op. cit. , S. 99 und S. 103. Zum Begriff
„Heil“ als Vollendung alles Strebens, welches notwendigerweise allen Doppelungen – vgl.:
Plotin, Enneade III, 8, 9, 1ff. - enthoben sein muß vgl.: Plotin, Enneade VI, 9, 9, 62.
28
Vgl. Augustinus, De trinitate, X 2, 4: „ Nemo prorsus amat incognita.“
29
Vgl. dazu H. Boeder, Topologie der Metayphysik, op. cit., S. 39 ff.
21
Begriff von Religion als widerspruchsfrei gezeigt, sondern diesen Begriff
konstituiert.
Begreift man den „Satz vom Widerspruch“ des Aristoteles als der Form
nach erstes Prinzip abendländischen Denkens und wendet dieses Prinzip auf
den Gedanken der unmittelbaren Anwesenheit bei der Einheit an, so
offenbart sich die Unmöglichkeit des Bestehens dieses Gedankens darin,
daß der Begriff der Vielheit, um die Anwesenheit bei der Einheit erreichen
zu können, selber als Einheit gedacht werden müßte, womit ihm gleichzeitig
und in gleicher Hinsicht zwei sich widersprechende Prädikate zukommen
würden, also genau das, wogegen sich der Satz vom Widerspruch richtet30.
Inhaltlich erfasst Aristoteles das einheitliche Prinzip als Reflexion des
Denkens, welches sich selber zum Gegenstand hat und unabhängig von
Raum und Zeit das vollzieht, was dem Menschen im Vollzug der Reflexion
in gleicher Weise nur analog möglich ist31.
Damit ist die Bestimmung des Inhaltes der Mystik als unmittelbare
Anwesenheit beim Prinzip von Allem nicht denkbar, weil keine
menschliche Reflexion absolute Einheit hervorbringt und die Nähe zur
absoluten Einheit keine absolute Einheit ist.
In dieser inhaltlichen Bestimmung der Einheit als Reflexion des Denkens
kann der Ort der Anwesenheit der Reflexion beim ersten Prinzip gesehen
werden. Genau dies ist auch von Plotin gesehen und zurückgewiesen
worden32 mit dem Hinweis darauf, daß die Einheit, begriffen als das Denken
des Denkens, immer noch, wenn auch subtiler, eine Doppelung aufweist und
damit nicht als das absolut Eine gedacht werden kann. Weil aber der Begriff
des absolut Einen nicht als Ergebnis der Reflexion des Denkens – ihrer
Doppelung wegen- gedacht werden kann, gleichzeitig aber als Begriff
vorhanden ist, muß er seine Erscheinung der Manifestation des Einen selbst
verdanken, weswegen er über jeglichen Zweifel erhaben, da gleichzeitig
immer schon von diesen vorausgesetzt, sicheres Wissen ist und damit als
Prinzip gilt.
30
Vgl.: Aristoteles, Metaphysik 1005 b 19 f.
31
Vgl: Aristoteles, Metaphysik 1072 b 15 f.
32
Vgl. Plotin, Enneade VI, 9, 2, 14 und VI, 9, 3, 4.
22
Das Erscheinen dieses Prinzips im plotinischen Begriff des Einen tritt
hervor in der Art, daß es alle Vielheit, Doppelung wie auch Reflexion
übersteigend von diesen und damit auch von Prinzipien („Satz vom
Widerspruch des Aristoteles“), welche diese beherrschen, notwendigerweise
unberührt bleiben muß, kann nämlich ein Verstandesprinzip immer nur
innerhalb eines Reflexionsverhältnisses seine Anwendung finden. Ein
Verstandesprinzip muß in Folge und damit notwendigerweise jenseits seines
Anwendungsfeldes den Anspruch auf Gültigkeit aufgeben33.
Indem jedoch das eine Prinzip, wie es Aristoteles bestimmt, von Plotin als
„Doppelung“ erkannt worden ist, erweist es sich damit gleichzeitig als
ungeeignetes Ziel der mystischen Bewegung, für deren Bestimmung nur die
unmittelbare Anwesenheit bei der absoluten Einheit, jenseits aller
Doppelungen, von Bedeutung sein kann.
Daraus ergeben sich für die Bestimmbarkeit der Mystik folgende
Konsequenzen: Konnte diese bei prinzipieller Anerkennung des
Widerspruchsprinzips, dem „Satz vom Widerspruch“ zufolge, nicht als
unmittelbare Anwesenheit beim Prinzip von Allem gedacht werden, so zeigt
sich jetzt, daß dieses Prinzip im Bezug auf die Einheit nicht angewendet
werden kann. Weil aber in der Einheit nur Einheit denkbar ist, muß die
unmittelbare Anwesenheit bei dieser ebenfalls als Einheit gedacht werden
und damit „jenseits“ der Anwendbarkeit des Satzes vom Widerspruch ihren
Ort haben, da dieser Satz Zuordnungsproblematiken – mithin Vielheit –
beherrscht. Selbst wenn also das Prinzip der Philosophie des Aristoteles
inhaltlich eine unmittelbare Anwesenheit im Denken zulässt, so zeigt sich
diese als Doppelung und ist damit nicht als Inhalt von Mystik bestimmbar.
In diesem Sinne unterläuft und überbietet das plotinische Prinzip des Einen
das aristotelische Prinzip der Einheit einzig hinsichtlich des Einen selbst,
schränkt also den Gültigkeitsbereich des aristotelischen Prinzips nur in
Bezug auf jenes plotinische Eine ein und offenbart sich damit gleichzeitig
als ein Neues im Sinne des sichersten Wissens, welches eine neue Epoche
des Denkens begründet und beherrscht, setzt doch die relative Einheit, ihrer
Eigenart als Doppelung wegen, den Begriff der absoluten immer schon
33
Dazu Plotin in Enneade VI, 9, 2, 14:
„ί ι έ όςό 
ίό
ς

χ άς
όο“ – „Selbst wenn der Geist des Denkende und das Gedachte ist, so ist er
Zweiheit und nicht Einheit, und damit nicht das Eine.“ Zu der Unanwendbarkeit des
Prinzips der ersten Epoche auf das Eine des Plotins vgl.: B. Uhde, Gegenwart und Einheit,
op. cit. : S. 99.
23
voraus und somit als sicher. Für die Begriffsbestimmung der Mystik heißt
dies, daß sie aus der Wissensentfaltung dieser neuen Epoche, die das
Absolute zum Prinzip erhebt, ihre Begriffsbestimmung ableiten kann.
Sollte sich aber herausstellen, daß beim Prinzip des Einen in dieser neuen
Epoche eine unmittelbare Anwesenheit nicht gedacht werden kann, so läßt
sich die Mystik als Begriff in der vorgelegten Weise nicht bestimmen und
von dem der Religion auch nicht ableiten. Und weil die absolute Einheit,
wie eben gezeigt wurde, in keiner Weise von der Reflexion des Denkens,
wie rein auch diese gedacht werden mag, erreichbar ist, läßt sich unter der
unmittelbaren Anwesenheit der Reflexion bei jener absoluten Einheit
zunächst überhaupt nichts vorstellen und nichts denken:
„ ός άέή έήηά
έ ό όός·““ Denn die Wissenschaft
ist Wort, und das Wort ist Vielheit.“
Unterscheidet aber diese Feststellung Plotins zwischen der unmittelbaren
Anwesenheit beim Absoluten und seinem Begriff, so hat sie keine
allgemeine Gültigkeit in dem Sinne, daß eine unmittelbare Anwesenheit
überhaupt nicht gedacht werden kann, sondern bezieht sich nur auf das
Verhältnis Einheit – Vielheit/Reflexion und meint damit, daß diese
Anwesenheit zwar gedacht, jedoch nicht im Denken erreicht werden kann.
Denn kann das Gleiche nur vom Gleichen erkannt werden, so muß die
Reflexion sich selber aufheben – auf daß sie der Einheit kein Gegenüber
bietet - um damit die Voraussetzung zu schaffen, als unmittelbar anwesend
bei dieser gedacht zu werden.
Mit anderen Worten: Wenn das Denken seine eigene Aufhebung erkennen
kann, kann es als deren Folge den Begriff der unmittelbaren Anwesenheit
beim Absoluten ebenfalls erkennen:
„ύέέήίίίίήέίύ
έ



ΐάά ίέιήςίέςά
ίάς
“35 – „ So soll sie (die Seele) die Reflexion
hinter sich lassen, und aus dem Einssein nicht hervortreten; sie soll von
allem Wissen und Gewußtem, ebenfalls von jedem Gegenstand der
Betrachtung Abstand nehmen, so schön dieser auch sein mag.“
34
Plotin, Enneade VI. 9, 4, 24.
35
Plotin, Enneade VI. 9, 4, 25.
24
Und weiter heißt es:
„ίόέόςέέτός
ίό
όίέπίό ίόον
36
“  „...denn das Sehen und das Schauen ist keine Vernunft mehr, vielmehr
ist es größer als die Vernunft, ist vor der Vernunft und über der Vernunft, in
gleicher Weise wie das Geschaute.“
Damit zeigt Plotin, daß die Aufhebung der Entzweiung der Reflexion des
Denkens im Durchschreiten derselben als Schau vorzustellen ist, und wenn
dem so ist, dann ist auch die unmittelbare Anwesenheit bei der Einheit, und
zwar als Einheit erkennbar, weil in ihr alle Gegensätze aufgehoben sein
müssen, damit im Ergebnis das Gleiche vom Gleichen als das Gleiche
erkannt wird, weil es dann das Gleiche/Eine ist37.
Für diese Untersuchung zeigt sich, daß die inhaltliche Bestimmung der
Mystik, gedacht als unmittelbare Anwesenheit beim Prinzip von Allem,
gemäß der Bestimmung des Prinzips selber erkennbar und beschreibbar ist,
kann doch die Aufhebung der Reflexion des Denkens von dieser selbst
erkannt werden, womit kein Widerspruch im Sinne eines Gegenüber zum
Absoluten erkennbar bleibt und der Begriff der unmittelbaren Anwesenheit
ableitbar ist.
Damit ist deutlich, daß Mystik eine begriffliche Bestimmung ihres Inhaltes
zuläßt und daß diese Bestimmung, ähnlich wie die der Religion, im
Einklang mit dem abendländischen Denken steht, wie sich dieses bis zu der
plotinischen Epoche bestimmen läßt38. Kann die Bestimmung von Mystik
36
Plotin, Enneade VI. 9, 10, 69.
37
Vgl. dazu Anm. 12. Zu Plotin vgl. auch die erhellenden Ausführungen von W.
Beierwaltes, Plotin. Über Ewigkeit und Zeit (Enneade III 7). Übers., eingel. und
kommentiert Frankfurt a.M. 1967, S. 11 ff.
Hier sei nochmals darauf hingewiesen, daß die Denkbarkeit des Inhalts der Mystik als
erscheinende Größe innerhalb der Religionen und die unmittelbare Anwesenheit beim
Inhalt dieser, wenn auch denkbar, so doch zwei gänzlich unterschiedliche Größen sind,
denn mit dieser Bestimmung hat sich lediglich die Erreichbarkeit der unmittelbaren
Anwesenheit bei der Einheit als denkbar erwiesen, nicht etwa das Erreichen dieser mittels
des Denkens.
38
Wie B. Uhde richtig bemerkt, müsste das Prinzip der Neuen Epoche innerhalb der
Religion – im Christentum seitens seiner Dogmatik – bedacht werden, bevor es Gegenstand
einer religionswissenschftlichen Untersuchung werden kann. Uhde, Gegenwart und Einheit,
op. cit., S. 7. Nichtdestoweniger wird innerhalb dieser Untersuchung auf den Einfluß des
neuen Prinzips und dessen Konsequenzen auf die Begriffsbestimmung der Mystik
ausführlicher eingegangen. Vgl. dazu S. 28 ff. dieser Arbeit.
25
als ein Auftrag für das Fach Religionsgeschichte als Wissenschaft betrachtet
werden, so findet die unmittelbare Anwesenheit als Übung an einem
anderen Ort statt, wenngleich beides von einer und derselben Person
vollzogen werden kann39. Es hat sich aber auch gezeigt, daß die
Bestimmung des Inhaltes der Mystik den Inhalt des Begriffs der Religion
voraussetzt und somit zwar einen Unterschied, jedoch keinen Widerspruch
zu dieser aufweist.
Während die Religion nach der vermittelten Erkenntnis des Einen, im
Beachten seiner Herrschaft lebendig bleibt 40, scheint die Mystik erst mit der
unmittelbaren Anwesenheit bei dem Einen das Heil und somit die
Vollendung erreichen zu wollen. Trifft dies zu, muß bei der Bestimmung
von Mystik die Abwendung von der Vielheit hinzu gedacht werden.
Eben dies ist genau zu bedenken, da es immer schon zu vielen
Mißverständnissen in der Vergangenheit wie in der Gegenwart Anlaß
gegeben hat. Der Gedanke muß sich folglich auf die genauere Bestimmung
der unmittelbaren Anwesenheit beim Absoluten richten.
Der Weg in die Unmittelbarkeit des Einen führt durch den Rückzug aus der
Vielheit in der Art, wie die Reflexion, welche Vielheit bedeutet, aufgehoben
wird. Damit aber muß die Vielheit weder gemieden noch verachtet werden,
da die Ursache der Zweiheit in der Reflexion als solcher gründet und nicht
außerhalb ihrer zu denken ist, weswegen die Reflexion und nicht die
Vielheit (immer schon als ihr Ergebnis) überwunden werden muß. Ein
jegliches Verneinen bzw. Verachten, aber auch das Gegenteil, nämlich das
Hochheben und Anhaften an der Vielheit, zeigt sich immer schon als die
Tätigkeit der Reflexion des Denkens, wodurch diese nur verstärkt wird. Und
so kann das Ereignis der unmittelbaren Anwesenheit beim Absoluten als
direkte Folge des Aufhebens der Reflexion des Denkens bestimmt werden,
muß die Entzweiung und Vielheit als Ergebnis des Auftretens dieser
gedacht werden.
Damit wird der Unterschied zwischen der Religion und der Mystik im
unterschiedlichen Umgang dieser beiden mit der Reflexion des Denkens
begriffen, denn sowohl Religion wie auch Mystik sehen ein, daß das erste
39
Dieses scheint bei Plotin der Fall gewesen zu sein. Vgl. dazu: K. Jaspers, Die großen
Philosophen, München/Zürich 1981, Bd. 1. S. 676.
40
Vgl. dazu: B. Uhde, Gegenwart und Einheit, op. cit., S. 104.
26
Prinzip aller Vielheit zugrunde liegt in der Weise, daß sich die Vielheit in
ihm als solche begründet weiß. Innerhalb des Begriffes der Religion, wie er
hier nachgezeichnet wurde, bleibt aber die Reflexion immer bestehen und
muß konsequenterweise einsehen, daß die Einheit für sie nur vermittelt
erkennbar ist mit der Folge, daß die Religion und die Religionen immer nur
eine vermittelte und damit reflektive, da begriffliche Anwesenheit sowohl
bei der Einheit wie auch in der Vielheit zulassen, weil sie diese gegenüber
beiden selber konstituieren. Der Blick von der Reflexion des Denkens auf
die Einheit hin ist immer schon ein entzweiender, einer, der Unterschied
setzt, weil er Unterschied ist, ganz gleich welchen Inhalt die Vermittlung
auch anzunehmen vermag.
Im Begriff der Mystik dagegen, wie gezeigt worden ist, läßt sich die
unmittelbare Anwesenheit bei der Einheit dergestalt denken, daß zunächst
die Entzweiung setzende Instanz, die Reflexion des Denkens, aufgehoben
sein muß, damit sich diese ereignet. Aus der so erreichten Perspektive der
Einheit heraus wird der Unterschied Einheit – Vielheit notwendigerweise zu
Fall gebracht, und das gleich in zweifacher Weise:
Zum einen fällt er mit der Reflexion als deren Erkenntnisweise, zum
anderen wird die Einheit als durch nichts begrenzt gedacht, damit auch nicht
durch die Vielheit, und so muß die unmittelbare Anwesenheit bei ihr in die
unmittelbare Anwesenheit bei jedem einzelnem Ding in der Vielheit
münden, worin sich die Mystik in ihrer Bewegung vollendet41. Diese
Vollendung wird bereits als ein Herausfallen aus der unmittelbaren
Anwesenheit bei dem Einen gedacht; jedoch im Unterschied zu der
Möglichkeit der Anwesenheit bei dem Prinzip der ersten Epoche, das eine
gelegentliche Anwesenheit bei sich zulässt42, geschieht dieses in beide
Richtungen gewollt und damit bewußt43.
Die Rückkehr in die Vielheit wiederum muß als allererstes als Rückkehr in
die Reflexion des Denkens gedacht werden – war diese nämlich die Letzte
41
Dieses Verständnis der Mystik ergibt sich notwendigerweise aus der plotinischen
Bestimmung des Einen, welches von sich aus keine Unterschiedenheit kennt und dadurch
immerschon bei uns anwesend ist. Plotin, Enneade VI 9, 9, 59.
42
Vgl. Aristoteles, Metaphysik 1072b 13 f.
43
„Und ist man so mit jenem vereint und hat genug gleichsam Umgang mit ihm gepflogen,
so möge man wiederkehren und wenn mans vermag auch anderen von der Vereinigung mit
jenem Kunde geben;...“ Plotin, Enneade VI 9, 7, 52 übersetzt von R. Harder, Plotins
Schriften, Hamburg 1956, Bd. 1 S. 193.
27
vor dem Eintritt in die unmittelbare Anwesenheit bei dem Einen, so ist sie
die Erste nach dem Heraustreten aus dieser Einheit - und damit in ein
Erkennen dieser, jetzt aber als Vollzug jener44.
Der Unterschied der Reflexion vor und nach dem Eintritt in die unmittelbare
Anwesenheit besteht jetzt im Wissen um den Vollzug der Vielheit und
damit ihrer selbst als ununterschieden von der Einheit, da diese von sich aus
weder Begrenzung noch Unterschied aufweist. Gleichzeitig verfügt diese
Art der Erkenntnis über ein Wissen um die Beschaffenheit der Vielheit an
sich im Unterschied zu dem von außen Hinzugedachten.
Diese Art des Wissens setzt jedoch die unmittelbare Anwesenheit bei dem
Einen als notwendig vollzogene Tatsache voraus45.
So zeigt sich, daß der Unterschied zwischen der Einheit und der Vielheit
nicht im Sein und damit als ein ontologischer Unterschied gedacht werden
kann, sondern im Erkennen des Unterschiedes, also in der Reflexion des
Denkens selber begründet ist, und zwar in dem Sinne, daß die Reflexion des
Denkens im Vollzug ihrer selbst diesen hervorbringt46.
Der Begriff der Mystik und sein Inhalt, die unmittelbare Anwesenheit bei
der Einheit, lassen sich mithin auch aus der begrifflichen Vorlage der
plotinischen Epoche ableiten. Ist aber diese hinsichtlich ihrer Eigenschaft
als sicheres Wissen vom Prinzip der Moderne, durch Descartes, abgelöst
worden, so daß dieses den Zeitraum und damit die Begrifflichkeit dieser
Untersuchung beherrscht, so ist die Überprüfung des Begriffes der Mystik
44
Dazu K. Jaspers sehr treffend in seiner Deutung des plotinischen Begriffes der
unmittelbaren Anwesenheit bei der Einheit in der Relation zum Denken: „Das Denkbare ist
das Zwischenreich, an dessen Grenzen auf das Undenkbare zu treffen ist. Wird diese
Grenze in den Augenblicken der Einung mit dem Einen überschritten, so doch auf dem
Wege über das Denken, und, solange das Zeitdasein bleibt, mit der folgenden Rückkehr in
das Denken.“ Jaspers, Die großen Philosophen, München/Zürich 1981, Bd. I. S. 678.
45
Das Wirken in der Vielheit und für die Vielheit steht jetzt im Einklang mit der Wirkung
des Einen dank der vollzogenen unmittelbaren Anwesenheit bei diesem: „in solcher
Vereinigung stand vielleicht auch Minos, weshalb er in der Sage als des Zeus vertrauter
Genosse galt, und dieser Gemeinschaft gedenkend gab er als ihr Abbild seine Gesetze,
durch die Berührung des Göttlichen befruchtet zur Gesetzgebung.“ Plotin, Enneade VI 9, 7,
52 übersetzt von R. Harder in op. cit., S.193.
46
Die unmittelbare Anwesenheit bei der Einheit setzt das Überwinden der Reflexion und
nur dieser voraus, da sie ihrer Eigenschaft nach diese verhindert. Sie: „...flieht die
Gesamtheit, fällt ab in Geschiedenheit,...richtet sich auf ein Teilwesen und in der
Absonderung von der Ganzheit läßt sie sich dann auf irgend ein Einzelding nieder,...“
Plotin, Enneade IV 8, 4, 22. übers. von R. Harder in op. cit., S.138 f.
28
im Hinblick auf eben dieses Prinzip unerläßlich, bildet dieses Prinzip immer
noch einen Maßstab zeitgenössischer Wissensentfaltung, wozu auch die
Religionswissenschaft zählt.
Die neuere abendländische Philosophie, beginnend mit Descartes, und
verstanden als die Methode der Entfaltung sichersten Wissens, fand eben
dieses Wissen in der Betrachtung („Meditationes“!) der Reflexion des
Denkens selber.47
Das „Ich“ nämlich, als reine Tätigkeit der Reflexion des Denkens betrachtet,
kann die Existenz von allem, seine eigene mit eingeschlossen, in den
Zweifel ziehen; indem es aber an allem zweifelt, kann es gleichzeitig nicht
daran zweifeln, daß es dasjenige ist, das zweifelt, woraus es ein sicheres
Wissen der eigenen Identität schöpft, indem es diese hervorbringend
aufrechterhält 48:
„Suppono igitur omnia, que video, falsa esse, credo nihil umquam existisse
eorum, que mendax memoria repraesentant, nullos plane habeo sensus;
corpus, figura, extensio, motus loqusque sunt chimerae; quid igitur erit
verum? Fortassis hoc unum nihil esse certi. ...Numquid est aliquis Deus, vel
quocumque
nomine illum vocem, qui mihi has ipsas cogitationes
immittit?....haud dubie igitur ego etiam sum, si me fallit, et fallat quantum
potest, numquam tamen efficiet, ut nihil sim quamdiur me aliquid esse
cogitabo. Adeo ut omnibus satis superque pensitatis denique statuendum sit
hos pronuntiatum: ego sum, ego existo, quoties a me profertur vel mente
concipitur, necessario esse verum.“49.
Dieses Wissen offenbart sich als ein einheitliches, einsehbares wie auch
allgemeingültiges und jedem Einspruch als bewiesen vorausgehendes, so
daß es den Anspruch eines neuen Prinzips allen sicheren Wissens erfüllt.
47
Vgl. H. Boeder, Topologie der Metaphysik, op. cit. S. 371 ff. Die Methode der Entfaltung
des sichersten Wissens in der neueren abendländischen Philosophie zeigt vorzüglich C.-A..
Scheier, Die Selbstentfaltung der methodischen Reflexion als Prinzip der neueren
Philosophie. Von Descartes zu Hegel. Freiburg/München 1973.
48
Die Ableitung der Gewissheit des eigenen Daseins aus der negativen Reflexion des
Denkens kommt bereits bei Augustinus vor. Vgl. dazu: Augustinus, De trinitate, X 10, 14 f.
49
Descartes, Meditationes de Prima Philosophia,, Meditatio II, 17, 18 in: Oeuvres de
Descartes, ed. Adam & Tannery, Paris 1996, Bd. 7, S. 24 f.
29
Seine Überlegenheit gegenüber dem Einen, wie es Plotin als notwendige
Voraussetzung von Allem, also aller Vielheit, eingesehen hat, erweist das
Ich als neueres Prinzip dadurch, daß es im Vollzug des Selbstzweifels alles
andere und das heißt die Existenz aller bis dahin abgeleiteten Begriffe,
mithin auch die vorausgesetzte Einheit, bezweifeln kann, mit Ausnahme
seiner selbst, das den Selbstzweifel ja vollzieht und als „Ich“ begreift. Es ist
eben der negative Vollzug der Reflexion des Denkens verstanden als
Zweifel, welcher sogar das Prinzip des plotinischen Einen bezweifeln
kann50, weil dieses die Möglichkeit des Zweifelns an sich zulassen und
damit den Status des sicher Gewussten im Sinne des Unbezweifelbaren, das
nicht einmal die Möglichkeit des Zweifels zuläßt, notwendigerweise
aufgeben muß, während gerade diese Möglichkeit des Zweifelns, gedacht
als Inhalt der sich vollziehenden Reflexion des Denkens, das „Ich“ als
sicher Gewußtes hervorbringt und das so Hervorgebrachte sich gleichzeitig
darin als sicher Existierendes erkennt. Das „Ich“, seiner selbst gewiß,
gründet damit in der sich vollziehenden Reflexion des Denkens und kann
nicht mehr als eine von dieser unabhängig existierende Größe gedacht
werden:
„Ego sum, ego existo, certum est. Quamdiu autem? Nempe quamdiu
cogito;“51
Das Denken also und das Ich sind nicht als zwei voneinander
unterschiedene - wenn auch sprachlich unterscheidbare - Größen etwa derart
vorstellbar, daß einem bereits vorhandenen Ich die Reflexion des Denkens
als Fähigkeit oder Fertigkeit hinzugedacht werden kann, welche dann von
diesem, je nach Umstand und Lage, vollzogen werden kann oder auch nicht:
„Cogitare? Hic invenio: cogitatio est, haec sola a me divelli nequit. (...) Sum
igitur praecise tantum res cogitans,... . Sum autem res vera, & vere existens;
sed qualis res? Dixi, cogitans.“52
Daher ergeben sich für die Bestimmung des Zusammenhangs zwischen dem
Ich und der Reflexion des Denkens folgende Schlüsse:
50
Die Möglichkeit des Zweifels am Ersten Prinzip besteht; vgl. Anselm von Canterbury,
Proslogion II („Dixit insipiens ...“); Thomas von Aquin, Summa Theologiae I, II, 3
(obiectiones); u.a.
51
Descartes, in op. cit., S. 27.
52
Descartes, in op. cit. , S. 27.
30
-
Das Ich existiert im Vollzug des Denkens, und nur während dieses
geschieht, ist es seines Daseins in der Form des Wissens von sich selbst
sicher.
-
Weil das Ich unabhängig vom Geschehen des sich vollziehenden
Denkens – ganz gleich welchen Inhalt dieses hat – nicht gedacht werden
kann, besteht eine Gleichzeitigkeit im Hervortreten beider in der Weise,
daß eine Trennung zwischen Denken und Ich zwar grammatikalisch
möglich, der Sache nach aber nicht denkbar ist53.
-
Eine kausale Abhängigkeit beider Größen – etwa im Sinne des
Verursachers und des Verursachten – ist für die Verhältnisbestimmung
des Ichs und des Denkens ebenfalls nicht vorstellbar, setzt diese nämlich
ein zeitliches Nacheinander voraus, was hier, wie gezeigt worden ist,
nicht zutreffen kann.
-
Kann das Ich als Ich sich selbst nur im Vollzug des Denkens begreifen
und ist eine Existenz beider unabhängig voneinander nicht denkbar, so
muß das Verhältnis beider zueinander als konditionale Wechselwirkung
dergestalt aufgefaßt werden, daß das Ich sein Dasein behauptet, wenn
sich das Denken vollzieht, und das Denkens ereignet sich, wenn das Ich
seine Existenz behauptet.
Dieses Prinzip dieser Epoche der abendländischen Philosophie, dessen
Gültigkeit bis heute nicht obsolet ist,54 entmachtet das Prinzip der von Plotin
bestimmten Epoche, indem jenes Eine nicht mehr als erstes Sicheres,
sondern nur noch als ein zweites gedacht werden kann.55
53
Die Unmöglichkeit der Vorstellbarkeit eines Ichs, dessen Dasein unabhängig von der
Reflexion des Denkens möglich sein sollte, scheitert immer schon daran, daß die
Vorstellbarkeit an sich - ganz unabhängig von der Richtigkeit ihrer Argumentation – immer
schon ein im Vollzug begriffenes Denken ist.
54
Wohl haben philosophische Schulen die res cogitans, ihrer Eigenart zufolge,
unterschiedlich bedacht und damit das „wie“ dieser differenzierter vorgestellt, ohne aber
das „was“, die res cogitans, aufheben zu können. Selbst das von M. Heidegger angedachte
`Ende der Metaphysik`, dessen Kennzeichen, die Umwandlung des Denkens als Vorstellen
vom Seienden zum Andenken des Seins, wie es sich von sich aus zeigt, bedenkt, bleibt im
Wesen weiterhin als Reflexion des Denkens bestehen – wenn auch einem `Anderem`
zugewandt - damit immer noch Ich-stiftend und Ich-aufrechterhaltend, mithin res cogitans.–
Freilich ist die Literatur zu diesem Thema kaum überschaubar.
55
Vgl. Descartes, Meditationes, op. cit., Meditatio III.
31
Für die Begriffsbestimmung der Mystik hat dies Folgen. Sie betreffen
jedoch nur die Gewichtung einzelner Begriffe innerhalb der
Gesamtbestimmung: war die Voraussetzung der absoluten Einheit, gedacht
als Prinzip von Allem, innerhalb der plotinischen Epoche das sicherste
Wissen dieser, so konnte das Ich in der negativen Reflexion die Gewissheit
seines Daseins behaupten, wußte aber um dieses als eines von der Einheit
Empfangenes. Damit war die absolute Einheit – nicht etwa die Reflexion
des Denkens – für das Ich-Dasein seinsstiftend. Das Erreichen der
unmittelbaren Anwesenheit bei dieser Einheit – immer noch gedacht
innerhalb der Herrschaft dieses Prinzips – bedeutete dann das Verlassen des
bedingt Seienden für den Seinsstifter, also des Unsicheren für das mit
Sicherheit Gewußte56.
Mit dem Auftreten des cartesischen Prinzips erfährt die schon angedeutete
Gewichtung innerhalb der Begriffsbestimmung der Mystik ihre Umkehrung,
wird jetzt das Ich, welches gerade im Vollzug der negativen Reflexion des
Denkens als erstes und mithin zunächst Einziges nicht zu bezweifelndes und
somit sicher Gewußtes hervortritt, verlassen auf das Eine hin, dessen Dasein
Zweifel zuläßt und somit nur noch als ein zweites denkbar ist57.
Die Einheit als Voraussetzung und Prinzip von Allem bleibt weiterhin
denkbar - wenn auch nicht mehr als sicherstes Wissen, mithin herrschendes
Prinzip der ersten Philosophie – und als Folge ihrer Bestimmung ebenfalls
eine unmittelbare Anwesenheit bei dieser. Allerdings muß die Frage
56
In der populären Auslegung der Verlagerung des absolut sicheren Wissens auf die
Einheit hin – das betrifft vor allem die monotheistischen Religionen – liegt eine der
Ursachen, für die zuweilen lebensverneinende Ausübung dieser Religionen. Vgl. dazu: M.
Erbstösser/E. Werner, Ideologische Probleme des mittelalterlichen Plebejertums. Die
freigeistige Häresie und ihre sozialen Wurzeln, Berlin 1960.
57
War die Einheit innerhalb der plotinischen Epoche das logische Subjekt und Objekt der
Theologie – weswegen auch ihre Existenz als sicher und über alle Zweifel erhaben am
Anfang aller großen Abhandlungen der Hochscholastik stand, Ableitungen zulassend,
jedoch selbst nicht mehr ableitbar – so tritt sie jetzt an zweite Stelle, nachdem das Ich, als
sicherstes Wissen, die Erste annimmt, und wird damit zum Gegenstand der Betrachtung,
also zum Objekt der Reflexion. Vgl. dazu den Aufbau des „Opus tripartitum“ von M.
Eckhart, das er als sein größtes Werk geplant und bereits begonnen hat. Es beginnt mit dem
„Opus propositionum“ und dort heiß es in den ersten zwei Sätzen: „Esse Deus est. Incipit.
pars prima tripartiti operis....“ in: LW I, S. 166; ferner den Aufbau der „Summa
theologiae“ des Aquitanen. Dagegen folgt bei Descartes die Abhandlung über Gott –
Meditatio III: De Deo, quod existat – auf die „De natura mentis humanae...“, die der
erstgenannten als sicheres Wissen vorausgeht.
32
beantwortet werden, weswegen das Ich, als sicherstes Prinzip, sich selber als
res cogitans aufgeben sollte, um in die unmittelbare Anwesenheit bei dem
Einen, das nicht mehr als ein Erstes sicher vorausgesetzt werden kann, zu
gelangen.
Die Antwort darauf ergibt sich aus der Bestimmung der res cogitans an sich,
die zwar einheitlich, doch kein Absolutes ist, weswegen sie der Zeitlichkeit
unterworfen ist – „Ego sum, ego existo, certum est. Quamdiu autem?
Nempe quamdiu cogito.“ – und dadurch gleichzeitig die Erkenntnis ihres
Daseins mit der ihres Todes verbinden muß58.
Damit kommen wir an den Anfang der Untersuchung zurück, zeigte sich
doch die reflektierte Einsicht in die Endlichkeit des Daseins als „reflektierte
Einsicht in den umfassenden Mangel an anwesender Gegenwart“59 und
damit als Grund für die Bestimmbarkeit sowohl des Begriffes der Religion
wie auch der Mystik.
Die Reflexion des Denkens, bestimmt als letzte Stufe vor dem Eintritt in die
unmittelbare Anwesenheit bei der Einheit und als erste Stufe nach dem
Heraustreten aus dieser, wird jetzt in ihrem Vollzug mit dem Ich identisch
und begriffen als res cogitans gleichzeitig zum sicheren Wissen. Dieses
wiederum gilt als Voraussetzung aller Freiheit, gründet diese gerade in der
reflektierten Gewissheit der Selbstbestimmung.
Aus dieser Bestimmung der Freiheit heraus läßt sich das Verhältnis des
„Ichs“, begriffen als Reflexion, innerhalb des Reflexionsverhältnisses der
Einheit, der Vielheit, aber auch sich selbst gegenüber ebenfalls als ein freies
Verhältnis denken, was in einer gewollten Ausrichtung dieses so
bestimmten „Ichs“ hinsichtlich der drei genannten Größen zum Vorschein
kommt 60.
58
Vgl. dazu: B. Uhde, Gegenwart und Einheit, op. cit., S. 18: „Nun ist aber die Reflexion
dieser ersten Einsicht – nicht etwa dieser Erfahrung! – stets unmittelbar mit der Einsicht in
die gegensätzlichen Seiten des Reflektierenden verbunden, ist doch das reflektirte Einsehen
zwar Anfang, doch nicht Einheit. Die Unmittelbarkeit der ersten Reflexion verbindet die
Erkenntnis des Daseins mit der Erkenntnis des Todes“.
59
B. Uhde, Gegenwart und Einheit, op. cit., S. 27 f.
60
Die Nennung der drei Größen, nämlich der Einheit, der Vielheit und der Reflexion des
Denkens als identisch mit dem Ich, stellt keine Reduzierung der Auswahl für die
willentliche Ausrichtung der Reflexion, vielmehr die begriffliche Vorlage und zwar im
Sinne der weitesten und sichersten, weil für diese prinzipiellen, dar.
33
Diese Ausrichtung der Reflexion bedarf einer Entscheidung, die nicht als
mögliche, sondern als notwendige gedacht werden muß, setzt auf der Stufe
der reflektierten Selbstgewissheit jegliche Art der Ausrichtung, auch deren
Verweigerung - da Willensakt, mithin Reflexion – diese voraus.
Damit ist für das „Ich“, als res cogitans und Prinzip neuzeitlichen Denkens,
der Umgang mit Allem, auch mit sich selbst, stets reflektiver Art – also
Doppelung –, weil das Ich diese Reflexion selber ist. Die willentliche
Ausrichtung dieser ist nur dann als eine Freie denkbar, wenn das Gewollte
zuvor als Gewußtes zum Gegenstand der Reflexion geworden ist. Dieses
Geschehen setzt eine begriffliche Bestimmbarkeit einer jeden Begebenheit
voraus, weil diese dem Ich, also der Reflexion des Denkens nur als Begriff
gegenüber treten kann, um ihr zum Gegenstand der Betrachtung zu werden.
Als eine solche begriffliche Vorgabe dienen die Prinzipien der durch
Aristoteles und Plotin bestimmten vorhergehenden Epochen, die ihre
Gültigkeit gegenüber dem cartesischen Prinzip nur dem Rang nach verloren
haben. Und so kann das Ich zunächst aus der reflektierten Einsicht in die
eigene Vergänglichkeit den Willen auf die Aufrechterhaltung der Reflexion
des Denkens und somit seiner selbst richten, in deren Vollzug es
philosophisch wird und die Weltweisheit erlangt. Es kann sodann dem
Wissen um die notwendige Voraussetzung der verborgenen Einheit
zustimmen, in ihr das Prinzip von Allem erkennen (Prinzip der zweiten
Epoche) und im Beachten ihrer Herrschaft religiös werden.
Schließlich kann das Ich die unmittelbare Anwesenheit bei dem zuvor als
absolute Einheit erkannten Prinzip der zweiten Epoche suchen und damit
den Willen auf die Rücknahme der Reflexion des Denkens von aller
Beschäftigung mit der Vielheit, aber auch mit der Einheit richten. Der durch
die Rücknahme der Reflexion des Denkens ziellos gewordene Wille hebt
sich selber auf, wodurch die ursprüngliche Unmittelbarkeit hergestellt
werden kann und im Herausfallen aus dieser in die Reflexion zurück als
solche auch begriffen. Im Vollzug dieser Möglichkeit wird das Ich
mystisch.
Der Ursprung der Bewegung lag in der res cogitans und der damit
zusammenhängenden reflektierten Einsicht in den Mangel an anwesender
Gegenwart, während die reflektierte Einsicht in die Fülle dieser Gegenwart
den Willen nach der unmittelbaren Anwesenheit bei ihr erklären läßt. Indem
aber die unmittelbare Anwesenheit die völlige Aufhebung der Reflexion des
Denkens wie auch des Willens – als welches sich das Ich gegründet weiß voraussetzt, ist sie dem Tod des Ichs gleichzusetzen, womit die Mystik nicht
34
als eine Abhebung von der Religion, sondern als deren Konkretisierung und
Radikalisierung erscheint, sieht nämlich jede der fünf Hochreligionen61 in
dem Festhalten an der Willensentfaltung62 des Ich den Grund für die
Unmöglichkeit der Erkenntnis und damit auch des Vollzuges der
Wirklichkeit des Einen63.
Der Durchgang durch Prinzipien der abendländischen Philosophie hat
gezeigt, daß das Eine die begriffliche Bestimmung seiner selbst und die der
Anwesenheit bei sich zuläßt, damit einerseits über dem Welt-Prinzip der
ersten Epoche steht, andererseits aber mit der Bestimmung der res cogitans
als Prinzip die Qualität des an erster Stelle sicher Gewußten an diese
abgeben muß – wodurch diese die Freiheit der Selbstbestimmung gewinnt -,
während es gleichzeitig die Attraktion für die willentliche Ausrichtung
dieser weiterhin behält, ja sogar noch verstärkt, begreift sich doch das aus
der res cogitans entfaltete Ich im Vollzug der Reflexion des Denkens als
Dasein zum Tode und im Leiden erlösungsbedürftig.
Damit ist die Mystik dem Begriff nach bestimmt worden. Dieser lautet:
Mystik gründet in der reflektierten Einsicht in den umfassenden Mangel an
anwesender Gegenwart, weiß um die notwendige Voraussetzung der
verborgenen Einheit, hat das Erreichen der unmittelbaren Anwesenheit bei
dieser zum Inhalt und erkennt sich dadurch als ihr Vollzug in der Vielheit.
Dieser Begriff erfüllt für den weiteren Verlauf der Untersuchung zwei
Aufgaben:
-
Die erste besteht in der Hervorbringung einer möglichen allgemeinen
Grundlage im Sinne des tertium comparationis für die Bestimmbarkeit
beider Größen, der Mystik Eckharts und des Zen-Buddhismus, und
damit für die Möglichkeit der ersten Bestimmung des Verhältnisses
beider zueinander und das in der angegebenen Reihenfolge. Die zweite
Bestimmung wird das Ergebnis der ersten - in Form eines Begriffes –
zum Inhalt haben64.
61
Vgl. Anm. 16.
62
B. Uhde „Fiat mihi secundum verbum tuum“, op. cit., S. 93 f.
63
Vgl. exemplarisch für das Judentum: Ex. 33, 20 ff.; für das Christentum: Joh. 3,1 ff.; den
Buddhismus: Maka Hannnaya Haramita Shin Gyo – Sutra.
64
Die Beschränkung auf die Möglichkeit der Hervorbringung der für die Untersuchung
relevanter Begriffe erweist sich deswegen als eine Notwendige, da, wie gezeigt worden ist,
35
-
Die zweite Aufgabe erfüllt der Begriff der Mystik, indem er den Raum
strukturiert, in welchem das Ich als das Besondere gegenüber dem
Allgemeinen innerhalb dieser konkreten Mystik bedacht und damit
gleichzeitig bestimmt werden muß, um in die Bestimmung des
Verhältnisses beider – wiederum als Begriff - gelangen zu können.
dem Ich, gedacht als Reflexion des Denkens, nur diese Begriffe zum Gegenstand werden
können. Dieses sei bedacht vor allem hinsichtlich der zahlreichen Verweise auf
Erfahrungen, die innerhalb der aufrecherhaltenen res cogitans, also dem Ich – und damit der
Wissenschaft notwendigerweise verstanden als Reflexion des Denkens - nur Mittels der
Begriffe zugänglich sein können. Dadurch wird jetzt schon deutlich (auch vorausgreifend
für die genauere Untersuchung im III und V Kapitel dieser Arbeit), daß die unmittelbare
Anwesenheit bei der Einheit weder Erfahrung noch Reflexion sein kann, da beide einen
Inhalt bzw. ein Gegenüber voraussetzen, somit eine Doppelung, was in der absoluten
Einheit nicht gedacht werden kann.
36
II.
DER MYSTIK-BEGRIFF UND DAS WERK MEISTER
ECKHARTS
Das Werk Meister Eckharts als Beispiel einer konkreten Mystik innerhalb
einer konkreten Religion und beides innerhalb einer konkreten Zeit soll nun
im Folgenden als eine solche konkrete Mystik bedacht werden, wobei das
Denken im Falle einer Konkretion die Zeit und den Ort ihres Auftretens
deshalb nicht außer Acht wird lassen können, weil ihm nämlich diese zwei
Komponenten die Bestimmung der Konkretion als solche ermöglichen.
So erscheint das Werk Meister Eckharts, zeitlich gesehen, innerhalb des
Geltungsbereiches des Prinzips der zweiten Epoche, hat damit das Wissen
um die jenseitige Einheit als sicheres zu eigen und muß daher den
Fortschritt aller weiteren Reflexion aus der reflektierten Voraussetzung
dieser ersten Einheit entfalten65.
Der Ort dieser Wissensentfaltung gründet bei Meister Eckhart in der
Religion des Christentums, welche das Wissen um die Einheit als „cognitio
Dei“ auffaßt und diese dank dem Heraustreten Gottes als Vollzug der
Trinität dem Begriff nach empfängt66. Das Christentum kann damit die
Einheit als Gott in seiner zeitlosen trinitarischen Reflexion denken, deren
Vollzug und damit Inhalt die Liebe ist67.
65
Vgl. dazu Anm. 15, S. 15 f.
66
Eckhart nimmt zunächst den Begriff des plotinischen Einen auf und setzt ihn gleich mit
dem Begriff Gott. Vgl. dazu: Prol. prop. n. 6, LW I, S. 43: „Rursus eodem modo se habet
de uno, scilicet quod solus deus proprie aut unum aut unus est, Deut. 6: `deus unus est`. Ad
hoc facit quod proclus et Liber de causis frequenter nomine unius aut unitatis deum
exprimunt.“. In den Predigten wird der der trinitarische Gott und die eine `gotheit`
differenziert. Ausf. dazu: Kap. I und II dieser Arbeit.
Zur „Cognitio Dei“ als Aufgabe der Theologie vgl. Thomas Aquinas, Summa Theologiea,
Prolog.
Zum Gedanken der Trinität als Offenbarung Gottes vgl. Augustinus, De trinitate XIII, 17 ff.
67
Vgl. Augustinus, De trinitate, XI, 12.
37
Das geoffenbarte Wissen um das Trinitarische Geschehen ist dem
Christentum Inhalt und – gemäß der allgemeinen Bestimmung des Begriffes
der Mystik - ihre notwendige Voraussetzung.68
Aus dem so Gedachten zeigt sich aber auch, daß im Falle der Werke
Eckharts sowohl die genannte Voraussetzung für die unmittelbare
Anwesenheit bei der Einheit wie auch das sicherste Wissen, also das
herrschende Prinzip der Epoche, welches die Wissensentfaltung als solche
überhaupt erst möglich macht, der Form wie dem Inhalt nach gleich sind. In
beiden Fällen wird die verborgene Einheit - innerhalb der Religion des
Christentums begriffen als Gott im Vollzug der Trinität – vom Denken als
sicheres Wissen um die Notwendigkeit seiner Voraussetzung und damit als
notwendig seiend reflektiert. Dadurch aber beansprucht dieses Wissen für
sich – als erste sichere Reflexion – die Position der allgemeinsten und
sichersten Grundeinsicht, aus der heraus – und somit innerhalb der
Begriffsbestimmung der Mystik, sofern diese auf Eckhart bezogen wird –
die Vielheit in ihrem umfassenden Mangel an anwesender Gegenwart
gedacht und erst als solche erkannt werden kann.
Innerhalb der Herrschaft des Prinzips der durch das Denken Plotins
bestimmten „zweiten“ Epoche und der Form nach gedacht erscheint damit
notwendigerweise die Reflexion der Einsicht in die Beschaffenheit der
Vielheit immer nur als Folge der bereits gewußten und damit ihr begrifflich
vorausgesetzten Einheit 69.
Diese Vorüberlegungen erklären den Aufbau der Argumentationsstruktur
des systematischen Teils des eckhartschen Werkes und erweisen diesen
Aufbau als einen – gemäß der zweiten Epoche – folgerichtigen, der dann
den Grundvoraussetzungen der Bestimmung der Mystik entspricht:
68
Zur Trinität als Charakteristikum des Christentums vgl. auch B. Uhde, Gott der Eine –
Dreieinig? Christliche Überlegungen und Anregungen im Gespräch mit Juden und
Muslimen, in: Lebendige Seelsorge, 53/2002, S. 19 f.
69
Hier zeigt sich, daß die Wissensentfaltung der einer Epoche immer nur eine sein kann,
die das Prinzip dieser in der Reflexion bereits voraussetzt: „Was das Individuum betrifft, so
ist ohnehin jedes ein Sohn seiner Zeit; so ist auch die Philosophie, ihre Zeit in Gedanken
erfasst.“ (G.W.F. Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, GA ed. H. Glockner,
Reprint Stuttgart-Bad Cannstadt 1964, S. 35.) Und so mußte die Bestimmung des Grundes
des Begriffes der Mystik wie auch der Religion, wenn sie dem neuzeitlichen Denken
verpflichtet sein will, dessen Prinzip zum Ausgang der Bestimmung nehmen, was auch
geschah, indem die res cogitans der reflektierten Einsicht in den Mangel an anwesender
Gegenwart als sicheres Wissen vorausgegangen ist. Genau dies unternimmt Eckhart, wenn
er dieser Einsicht das sicherste Wissen vorauslegt, welches innerhalb der zweiten Epoche
das Wissen um die Voraussetzung der jenseitigen Einheit war.
38
Im Wissen um die notwendige Voraussetzung der verborgenen Einheit muß
sich die Reflexion der Einsicht in die Vielheit als die Bestimmung ihrer
Nichtigkeit erweisen, weil sie von sich aus Gegenwart und somit Sein nicht
hervorbringen kann.
Und so wird zunächst nachzuvollziehen sein, wie Eckhart den Begriff der
Einheit innerhalb der gegebenen Religion des Christentums bestimmt, ihn
als sicherste und damit erste Reflexion begreift, aus ihr heraus die Vielheit
in ihrem Wesen erkennt, um sodann schließlich, aus den beiden
Grundreflexionen heraus, die unmittelbare Anwesenheit bei dem Einen zu
bedenken.
1.
Das Eine und das Viele
Das Wissen um Gott als erste Reflexion wird von Eckhart aus den oben
genannten Gründen an den Anfang aller weiteren Reflexionen, damit also zu
Beginn des „Opus tripartitum“, seines systematischen Hauptwerks gestellt,
womit er formell der inhaltlichen Priorität des Einen Folge leistet und das
gleich in dreifach differenzierter Weise, nämlich mit „Esse est Deus.“ als
`prima propositio` des `Opus propositorum`; „Utrum deus sit.“ als `prima
questio` des `Opus quaestionum` und „In principio creavit deus caelum et
terram.“ als `prima expositio` des `Opus expositionum`70.
Der damit aller weiteren Reflexionsentfaltung notwendigerweise
vorangestellte Begriff `Gott` bedarf aber im nächsten Schritt des Erweises
als sicheres Wissen, damit er die Ableitung aller anderen Reflexionen – hier
vor allem der in die Einsicht in den umfassenden Mangel an anwesender
Gegenwart - zulassen kann, ohne selber einer solchen zu unterliegen.
70
Prol. gen. in op. trip. n. 11, LW I, S. 38. Daß die Wissensentfaltung Eckharts dem Geist
seiner Zeit entsprach (d.h. dem Prinzip der zweiten Epoche folgte) und vom Allgemeinen
und Sicheren zum Konkreten und damit aber auch Möglichen sich entfaltete, war dem
Meister eine Selbsverständlichkeit: „Primum est quod de terminis generalibus, puta est,
unitate, veritate, sapientia, bonitate et similibus nequaquam est imaginandum vel
iudicandum secundum modum et naturam accidencium, quae accipiunt esse in subiecto et
per subiectum et per ipsius transmutationem et sunt posteriora ipso et inhaerendo esse
acipiunt. (...) Secus autem omnio se habent de praemissis generalibus. Non enim ipsum esse
et quae cum ipso convertibiliter idem sunt, superveniunt rebus tamquam posteriora, sed
sunt priora omnibus in rebus.“ Prol. gen. in op. trip. n. 8, LW I, S. 36.
39
So muß Eckhart als erstes die begriffliche Bestimmung der Existenz Gottes
als sicherste Reflexion erweisen, die damit allen anderen vorausgehend von
diesen wiederum als ihr sicherster Grund reflektiert werden kann. Als
Zweites muß er dessen Wesen bestimmen, damit ein Qualitätsurteil über die
Vielheit ableitbar ist. Aus den beiden Vorhergehenden und damit als drittes
resultierend steht dann die Benennung des Verhältnisses beider zueinander
an, welche dem Inhalt nach im Begriff des Qualitätsurteils erscheinen wird.
Weil aber in Gott dem Begriff nach Sein und Wesen zusammenfallen –
„Sed esse est essentia dei sive deus“ – ist die Bestimmung seiner Existenz
gleichzeitig die seines Wesens und umgekehrt, so daß beide Erweise nur der
Form nach getrennt voneinander durchführbar sind, dem Inhalt nach jedoch
notwendigerweise als aufeinander bezogen gedacht werden müssen71.
Damit gilt für, daß Gott ist, weil das Sein Gott ist, und weil das Sein Gottes
Wesen ist, sind beide untrennbar und daher identisch. Daher die erste
propositio: „Esse est deus“. Und nun bedenkt Eckhart den Erweis dieser
propositio in fünf Stufen:72
- Erstens: Alles, was ist, kann ohne das Sein nicht gedacht werden, da es
sein „Ist“ von diesem empfängt. Das gilt auch für Gott. Ist dieses Sein
jedoch nicht identisch mit ihm, so müsste Gott dem Sein nach eine
andere Ursache außerhalb seiner selbst haben, weswegen dann diese
Ursache und nicht er als Gott begriffen werden müsste. Weil Gott aber
nicht die Ursache seiner selbst außerhalb seiner selbst haben kann, muß
das Sein als mit ihm Identisches gedacht werden.
- Zweitens: Haben alle Dinge ihre Ursache im Sein und wäre dieses nicht
Gott, so müßten sie diese außerhalb seiner haben, was wiederum Gott als
verursacht voraussetzen würde. Weil die zweite Behauptung im ersten
Argument bereits widerlegt worden ist und alle Dinge im Sein gründen,
muß dieses identisch mit Gott sein.
- Drittens: Dem Sein kann nur der Begriff des Nichts gegenübergestellt
werden, und Schöpfung wird dadurch als Seinsgabe aus dem Nichts
durch das Sein selber gedacht. Könnten das Sein und Gott als getrennt
71
Vgl. Prol. gen. n. 13, LW I, S. 39. Hier stimmt Eckhart noch mit Thomas überein. Vgl.
dazu Thomas, Summa theol. I q. 3 a. 4.
72
Prol. gen. n. 13, LW I, S. 38.
Eine detaillierte Analyse dieser Argumentationen findet sich bei B. Mojsisch, Meister
Eckhart. Analogie, Univizität und Einheit, Hamburg 1983, S. 44 ff.
40
voneinander gedacht werden, so müsste dieser Gedanke
notwendigerweise eine Trennung von Schöpfer und Gott beinhalten, was
nicht sein kann.
- Viertens: Alles was Sein hat, ist, indem es dieses empfängt, und kann
daher ohne das Sein nicht gedacht werden (drittes Argument). Wäre das
Sein getrennt von Gott, so könnte dieser notwendigerweise nicht als erste
Ursache gedacht und somit nicht als Gott bestimmt werden.
- Fünftens: Wie Eckhart bereits im dritten Argument formulierte, ist
außerhalb des Seins nur das Nichts denkbar, und so müsste Gott als
Nichts gedacht werden, was nicht möglich ist und woraus die Identität
von Sein und Gott folgt.
Der Erweis der Gleichstellung des Seins mit Gott ermöglicht Eckhart jetzt,
im zweiten Schritt, das Bedenken der Frage nach der Existenz Gottes
überhaupt: „Utrum deus sit“, die Eckhart als `prima quaestio` zu Beginn des
`Opus quaestionum´ stellt und die Gründe für ihre Bejahung in enger
Anlehnung an die vorher erwiesene `propositio` wie folgt entfaltet:73
-
Wenn Gott nicht ist, dann ist nichts. Und weil für Eckhart der Nachsatz
nicht stimmt – „probat natura, sensus et ratio“ - schließt er dadurch auf
die falsche Annahme des Vorsatzes.
-
Weil die Selbstprädikation für Eckhart die sicherste Aussage ist und
Gott und das Sein identisch sind, ist der Satz, Gott ist, die sicherste
Reflexion.
-
Augustinus zustimmend begreift Eckhart die Unmöglichkeit der
Selbstaufgabe aller Dinge und damit auch des Seins. Weil er aber das
Sein als identisch mit Gott denkt, müsste die Selbstaufgabe des Seins die
Nichtexistenz Gottes zu Folge haben, wovon die Voraussetzung und
daher auch der Nachsatz falsch ist.
73
Prol. gen.in op. trip. n. 13, LW I, S. 39. Bezüglich der sogenannten `Gottesbeweise` sei
Folgendes bemerkt: Innerhalb der Hochscholastik war die Existenz Gottes als sicheres
Wissen derart erhaben über alle Zweifel, daß der Schwerpunkt der Traktate und
Abhandlungen dieser Zeit eher in der Klärung des „wie“ der Existenz Gottes und dem
Verhältnis Gott – Schöpfung – Kreatur seine Aufgabe gesehen hat. Dieser Bestimmung
widmete auch Eckhart den Hauptteil seines systematischen Werkes und allem voran die
Predigten.
41
-
Weil das Wesentliche dem Seienden sein Eigenes und nicht
Verursachtes ist und Gottes Wesen eben mit dem Sein schlechthin als
identisch begriffen wird, ist für Eckhart der Nachsatz nicht nur wegen
der Richtigkeit des Vorsatzes, sondern in Bezug auf Gott wegen der
Identität beider Inhalte notwendig wahr.
Die begriffliche Bestimmung der Existenz wie auch des Wesens Gottes
vorausgesetzt und als Wissen gesichert ermöglicht Eckhart jetzt das
Bedenken des Verhältnisses zwischen Gott und der Welt, kann nämlich
diese nur dank der als sicher geltenden Reflexion in die notwendige
Voraussetzung der Existenz Gottes und der Erkenntnis seines Wesens, in
ihrem Wesen erkannt und dem Begriff nach bestimmt werden.
Die Grundlagen dieses Verhältnisses bedenkt Eckhart als `prima expositio`
zu Beginn des `Opus expositionum` und das deswegen an dieser Stelle, weil
die Schrift – sowohl die des alten wie auch die des neuen Bundes – die
Offenbarung Gottes an die Schöpfung nicht nur beinhaltet, sondern im
gewissen Sinne auch ist; und so denkt Eckhart das Heraustreten Gottes aus
sich und in sich im Wort und als Wort und dieses Wort wiederum als das
Leben und somit das Sein der Schöpfung, das von dieser im Erkennen
empfangen wird74.
Daher kann Eckhart dieses Verhältnis wie folgt bestimmen75:
-
Wurde Gott dem Wesen nach als Sein bestimmt, so empfangen alle
Dinge von ihm ihr Sein.
-
Ist außerhalb des Seins nur das Nichts als Begriff denkbar und ist das
Sein mit Gott identisch, so sind alle Dinge im Sein und damit in Gott
gegründet.
-
Weil bei Gott keine Zeit gedacht werden kann, muß das `in principio
creavit` der Schöpfung als ein `semper creit` gedacht werden.
74
Hier an dieser Stelle soll nur angedeutet werden, was im Kap. III dieser Untersuchung
ausführlicher bedacht wird, nämlich das Verhältnis der Vernunft zum Sein, wie dieses
Eckhart zu eigen ist und das er in den Quaestiones Parisienses I und II zu entwickeln
beginnt und in den Predigten zur Vollendung führt. Vgl. dazu: Quest. Par. I n. 4 ff. LW V,
S. 40 ff.; In Ioh. n. 10 ff. LW III, S. 10 ff.
75
Prol. gen. n . 17 ff. LW I, S. 39 f.; Gen. n. 2 ff. LW I, S. 49.
42
-
Aus dem gleichen Grunde der Zeitlosigkeit muß alles Geschaffene als
vollendet und beendet zugleich gedacht werden.
Das Verhältnis zwischen Gott und Vielheit denkt Eckhart zunächst als das
des Schöpfers zum Geschaffenem, der Ursache zum Verursachten, des
Gebenden zum Empfangenden und des Seins zum Nichts und zeigt, daß die
Reflexion der Einsicht in die Beschaffenheit der Welt nur als Ableitung des
Wissens um die notwendige Voraussetzung des ihr zugrunde liegenden
Gottes möglich ist, den er ja deswegen im Vorfeld dem Begriff nach in
dreifacher Weise bestimmt hat, nämlich „daß“ er ist, „was“ er ist und „wie“
er ist.
Diese dreifache Bestimmung Gottes macht jetzt auch ein dreifaches und
daraus ableitbares, daher analoges Wissen um die Beschaffenheit der Welt
möglich:
- Erstens: Kann Gott und nur ihm allein die Existenz aus sich selber
zukommen – wegen der Identität von Sein und Gott –, so kann das
Seiende als unabhängig von Gott, gleichsam als aus sich heraus
Existierendes nicht gedacht werden76.
- Zweitens: Ist Sein mit Gott identisch, so sind alle Dinge an sich, also
unabhängig bzw. außerhalb von Gott, für Eckhart ein „Nichts“77. Der
Begriff des Nichts bezogen auf den Wesensstand der Dinge, wenn sie als
unabhängig von Gott gedacht sein sollten, kann für Eckhart nicht scharf
genug hervorgehoben werden und so fügt er ihm – als würde dieser auf
ein Etwas bezogen sein können und somit paradoxerweise – das Adjektiv
„rein“ hinzu78 ; übersteigt ihn nochmals mit der Umformulierung zur
„Nichtigkeit“79 und „Nichtheit“80 um im Begriff der „Lüge“ zu
münden81.
76
Prol. prop. n. 21. LW I, S. 46:„...nihil ens hoc vel hoc dat esse.“
77
In Sap. n. 91. LW II, S. 424: „Omne autem ens divisum a deo dividitur et distinguitur ab
esse, quia deus est ipsum esse. Divisum autem ab esse et distinctum necessario nihil est;
nihil enim tam quam divisum ab esse.“
78
Pred. 4, DW I, S. 69 f.: „ Alle crêatûren sind ein lûter niht. Ich spriche niht, daz sie kleine
sîn oder iht sin: sie sint ein lûter niht. Swaz niht wesens enthât, daz enist niht. Alle
crêatûren hânt kein wesen, wan ir wesen swebet an der gegenwerticheit gotes. Kêrte sich
got ab allen crêatûren einen ougenblik, sô würden sie ze nihte.“
79
Sermo XXVII, n. 375, LW II, S. 320: „Et notatur etiam in hoc creaturae nihileitas.“
43
Drittens: Wird die Welt in ihrem Verhältnis zu Gott als eine von ihm
verursachte Größe begriffen und zwar derart, daß ohne ihn nur das Nichts
als Begriff nennbar, nicht aber inhaltlich denkbar ist, so müssen alle
Aussagen, die von Gott gemacht werden können – also die
Transzendentalien – bezüglich der geschaffenen Dinge ausschließlich als
deren Negation in Erscheinung treten, denn positiv ausgedrückt kommen sie
nur Gott zu82 und Allem, was im Sein selbst und das heißt in Gott gedacht
wird83. An sich aber sind sie als Nichts die Negation des Seins84; als
Vielheit die Negation der Einheit 85, als Lüge die Negation der Wahrheit86
und als das Schlechte die Negation des Guten87.
Das Sein, gedacht als Gott; begriffen als das Eine, Wahre und Gute; erkannt
als sicheres Wissen und damit erste Reflexion ist für Eckhart Voraussetzung
genug, die Einsicht in die Vielheit als die Reflexion ihrer gänzlichen
Nichtigkeit zu begreifen und damit in ihr und sie selbst für sich genommen
als Ausdruck des umfassendsten Mangels an anwesender Gegenwart zu
bestimmen. Und weil sich in dieser Reflexion auch die Mystik gegründet
weiß und auf den Begriff der Mystik hin das Denken Eckharts in diesem
Teil der Untersuchung bedacht sein wollte, erfüllt Eckhart mit dieser ihre
erste Grundbestimmung. Gleichzeitig mit der Bestimmung Gottes als Sein,
80
Sermo XV 2, n. 158, LW II, S. 150: „...nec vitae, quae vapori et umbrae comparatur, non
tam pro brevitate, durationis quam pro nulleitate...“. Die Übersetzung von „nulleitate“ mit
Nichtheit entnommen aus: B. Mojsisch, Meister Eckhart, op. cit., S. 51. Dort heißt es
treffend: „...Ohnmacht des Bestimmten gegenüber der Undurchschauten sich mit sich selbst
vermittelten Andersheit, dem Sein. Das Bestimmte als solches ist Lüge, ist Versagen, ist
Ohnmacht ist nicht allein nichts, sondern das Nichts schlechthin: nihileitas oder nulleitas,
Nichtheit oder Nichtigkeit.“
81
Sermo XXV 2, n. 264, LW II, S. 240: „Hoc enim et hoc creatura est, proprium est,
mendacium est.“
82
Prol. prop. n. 25, LW I, S. 47:„...solus deus proprie est ens, unum, verum, bonum.“
83
Prol. prop. n. 9, LW I, S. 43: „...quod a solo deo omnia habent esse, unum esse, et verum
esse et bonum esse (...) Quomodo enim quippiam esset nisi ab esse, aut unum esset nisi ab
uno aut per unum sive per unitatem, aut verum sine veritate, vel bonum nisi per
bonitatem...?“
84
Pred. 11, DW I, S. 185.
85
In Gen. n. 113 f. LW I, S. 71 f.
86
Vgl. dazu Anm. 78.
87
In Sap. n 15 f. LW II, S. 336 f.
44
Eines, Wahrheit und Gutheit, die er notwendigerweise der zweiten
Reflexion hat voranstellen müssen, könnte auch schon die zweite
ausbleibende Grundvoraussetzung der Mystik erfüllt sein, stimmt nämlich
der von Eckhart oben aufgeführte Begriff Gottes mit dem Inhalt der
christlichen Religion überein und ist damit die zweite Voraussetzung der
Mystik – wie diese bereits definiert worden ist.
Hier sieht Eckhart die Stärke seiner bisherigen – zugleich aber auch der
zeitkonformen – Begriffsbestimmung Gottes, ihre und damit auch seine
eigene Absicht vollzogen zu haben, welche in der Betonung der Allheit
Gottes gegenüber der Nichtigkeit der Dinge – sofern sie außerhalb seiner
gedacht werden – ihren Inhalt erschöpft88.
Die Schwäche dieses Begriffes von Gott offenbart sich für Eckhart in der
trinitarischen und damit reflexiven Bezogenheit Gottes auf sich selber wie
auch auf die Vielheit. Dadurch nämlich ist Gott dem Begriff nach
Doppelung und kann als Ziel der Aufhebung einer solchen – und somit als
Ziel der Mystik – nicht gedacht werden89.
2. Die Einheit
Den gedanklichen Weg von Gott als `unum et trinum` über den Gott als
`unus´ bis hin zum Begriff der `gotheit` versteht Eckhart als Läuterung des
ersten auf den letzten hin, der dann weder als sein Gegensatz - die Trinität
als Begriff und Erkenntnisweise der Reflexion und damit als revelatio dei
quo ad nos bleibt mit dieser, für diese und als diese notwendigerweise
erhalten – noch als dessen Essenz und somit begriffliche Verdichtung
erscheint. Vielmehr denkt Eckhart das `unus-esse dei´ im Vorgang der
Läuterung als begriffliches Destillat des `unum esse dei´, und zwar
deswegen, weil das ´unus´ als Begriff im Vorgang des Erkennens das
88
Damit reduziert Eckhart die seine Zeit beherrschende Analogielehre zum rhetorischen
Stilmittel einer weit aufs Größeres angelegten Unterweisung. Vgl. dazu: In Joh. n. 5, LW
III, S. 7; In Eccli. n. 61; LW II, S. 290. In der Beurteilung dieser Stelle übereinstimmend
mit B. Mojsisch, Meister Eckhart, op. cit., S. 51: „Einzig zum Zweck der Hervorhebung der
Schwachheit der Geschöpfe gegenüber der Erhabenheit Gottes, zum Zweck der Markierung
ihrer Nichtigkeit, sofern sie in sich selbst genommen werden, dient, wie Eckhart selbst
bemerkt, die Analogielehre.“
89
Vgl. Pred. 2, DW I, S. 42 ff.
45
`unum´ in sich hinein aufhebt und dadurch voraussetzt, somit der
Offenbarung Gottes – die uns zu Erkenntnis geschah – notwendigerweise in
umgekehrter Richtung denkerisch folgt.
Anders ausgedrückt: Zunächst beginnt Eckhart den innertrinitarischen
Vorgang als kausales Verhältnis zu denken, an dem das Seiende in analoger
Weise partizipiert und sich damit als Vielheit gegenüber der Einheit
begreift. Indem aber Eckhart innerhalb der Trinität das Erkennen vorrangig
vor dem Sein denkt, muß er die Trinität als Reflexion des Denkens im
Vollzug begreifen, und als Reflexion läßt sie sich nicht mehr als kausales,
sondern als konditionales Verhältnis denken, wonach das Denken und das
Gedachte jeweils gegenseitig Ursache und Verursachter füreinander sind
und damit zwar „unus“, als Reflexion jedoch weiterhin „trinus“, mithin
„Doppelung“ – in der Dreiheit der Personen – bleiben.
Im weiteren Verlauf nimmt er den Begriff des „unus“ nur noch vor der
Wesensbestimmung der „gotheit“ an sich zurück, die in ihrer absoluten
Einheit beide Bestimmungen übersteigend, die Reflexion und damit jegliche
Doppelung zu ihrer Selbstaufgabe zwingt. Diese „Zurücknahme“ des „unus“
als letzte Doppelung vor der Einheit geschieht für Eckhart innerhalb der als
konditionales Wechselverhältnis von Denken und Gedachtem, also als der
durch Vater und Sohn begriffenen Trinität, und zwar dadurch, daß eine Seite
des Verhältnisses – nämlich die des Sohnes und damit der Schöpfung – dem
Begriff nach aufgehoben wird, wodurch sich gleichzeitig (eben weil
konditional bezogen) die zweite – nämlich Gott als Vater und Schöpfer –
aufhebt. Das Ergebnis der Aufhebung wird manifest in der Möglichkeit der
Benennung der absoluten Einheit im Begriff der „gotheit“, die erst jetzt in
Erscheinung treten kann.
a. Die kausale Einheit und analoge Vielheit
Den Ausgang aller Entwicklung des Begriffes „Gott“ bildet die zu Eckharts
Zeiten ausgeprägte Trinitätslehre, die dem Magister bestens bekannt ist und
die er wie folgt wiedergibt:
„...propter hoc restat ostendere ex naturalibus, per naturalia et in naturalibus
quod in divinis et praecipue in deo necessarium est dicere et fateri patrem,
filium et spiritum sanctum, et quod `hi tres unum sunt`, non unus; adhuc
46
autem quod coaeterni sunt, coaecuales et consubstantiales, unum in
omnibus, que naturae sunt, distincti autem in solis illis et omnibus, quae
generare et generari, spirare et spirari sapiunt, connotant vel important.“90
Diese Trinitätsauffassung im Sinne einer Definition ist nicht das Problem
Eckharts, so daß er bemüht wäre, eine neue zu bestimmen. Die oben
aufgeführte hat seine Zustimmung, und deren tragende Begriffe werden von
ihm übernommen. Der ganze Schwerpunkt seines Denkens gründet in der
Auseinandersetzung mit der zu seiner Zeit üblichen Interpretation der
trinitarischen Bestimmung und damit der Begriffsbestimmung Gottes im
Sinne der absoluten Einheit.
Die scholastische Lehre seiner Zeit gipfelt in den beiden Summen des
Aquinaten, der die causa efficiens-Theorie wie auch den Hylomorphismus
des Aristoteles auf Gott überträgt, wonach dann in Gott dessen Sein, Wesen,
Erkenntnisvermögen- und Akt sowie Tätigkeit zusammenfallen und in der
Weise eins sind, wie dies analog und daher zeitlich und räumlich begrenzt
dem Seienden, entsprechend dessen Position innerhalb der Seinshierarchie,
zukommt 91.
Um die Einheit der drei göttlichen Personen aufrecht zu erfassen, ist die
zweite Person als „natus et non creatus“ aufzunehmen. Sie bleibt aber auf
die erste als Ursache derart bezogen, daß diese ohne die zweite, die zweite
aber nicht ohne die erste gedacht werden kann, da ihr sonst der Status der
absolut ersten Ursache und damit das Gott-Sein abgesprochen werden
müsste. Das gleiche gilt dann für den Geist, der aus den beiden ersten
Personen seiner Ursache nach hervorgeht.
Thomasisch gedacht also gründet das „unum“ der drei göttlichen Personen
im „natus“ der zweiten und „spiritus“ der dritten, während das
innertrinitarische Verhältnis vom Vater zum Sohn und von beiden zum
Geist kausal bestimmt ist und das bei der gleichzeitigen Voraussetzung, daß
der Kausalitätsbegriff, angewandt auf Gott, die Tendenz der trinitarischen
Begriffsentfaltung und nicht den Sachverhalt selbst, die Trinität also,
wiedergibt, kann nämlich das Denken als Vielheit diese, da dem Inhalt nach
als Einheit gedacht, in der Folge eines synthetischen Urteils nicht erfassen.
90
In Joh. n. 160, LW III, S. 132.
91
Vgl. Thomas von Aquin, Summa contra gentiles, I 45.
47
Die so verstandene kausale Bestimmung des innertrinitarischen Vorgangs
wiederum erklärt damit ihrerseits die Entfaltung der Analogielehre, indem
sie diese als solche ermöglicht:
Das zeit- und raumlose kausale Verhältnis der göttlichen Personen
zueinander wird in ihrem Heraustreten aus sich selber als Ursache der
Schöpfung gedacht, welche sich dann, nicht nur in Raum und Zeit, sondern
als Raum und Zeit, damit notwendigerweise als qualitativ minderes Sein –
eben analoges – im Nach-Vollzug der Trinität begreift.
Damit zeigt die Bestimmung der Trinität als kausales Verhältnis zwei
Gründe auf, die sie als Ziel der Mystik ausschließen:
- Erstens: Die Trinität, gedacht als kausales Verhältnis der drei Personen
zueinander, erweist sich allein schon auf Grund der Möglichkeit, ein
Verhältnis innerhalb der „gotheit“ bestimmen zu können, als
„Doppelung“ und damit nicht absolute Einheit. Dabei ist es für den
Begriff der Mystik völlig unerheblich, wie dieses Verhältnis bestimmt
wird. Alleine die Tatsache, daß eine Verhältnisbestimmung möglich ist –
und innerhalb der Religion des Christentums war und ist es notwendig,
eine solche anzunehmen – deutet auf eine „Doppelung“ – in der Dreiheit
der Personen – hin.
- Zweitens: Indem das aus der Kausalität stammende Prinzip der Analogie
dem Seienden eine der Trinität qualitativ untergeordnete Seinsstufe
zuweist, errichtet es damit gleichzeitig zwischen beiden eine
ontologische Schranke und damit einen eben solchen Unterschied, der
die unmittelbare Anwesenheit bei der Einheit deswegen ausschließt, weil
dadurch das Erkennen des Gleichen vom Gleichen als prinzipiell nicht
denkbar besiegelt wird.
Diese beiden Gedankengänge zwingen Eckhart geradezu, die Einheit Gottes
neu zu bedenken, und daß er damit bei der Trinität einsetzen muß, ergibt
sich nicht nur aus dem Kontext der Zeit, sondern aus dem Selbstverständnis
des Christentums an sich.
48
b. Die konditionale Einheit und univoke Vielheit.
Wie schon angedeutet behält Eckhart die innertrinitarische Begrifflichkeit
bei, setzt den Begriff Gott mit dem des Vaters gleich, betont dessen zeitlose
„Fruchtbarkeit“92 im Zeugen des Sohnes und – hier setzt die Wende
gegenüber der thomasischen Vorlage an – denkt das Zeugen als Erkennen
und damit als Denken93.
Während sich, thomasisch gedacht, der Vater im Gezeugten erkennt und
somit das Zeugen als ins Sein-Rufen Vorrang vor dem Erkennen hat (daß
die Rede vom `Vorrang` innerhalb der Trinität weder zeitlich noch räumlich
gedacht werden kann, versteht sich von selbst), denkt Eckhart das Erkennen
und somit das Denken an sich schon als Sohnzeugend und damit das SohnSein nicht als `voraussetzendes`, sondern stiftendes Geschehen94.
Weil er damit das Denken als zeugend und erkennend in einem denkt und
weil der Denker im Gedachten sich selbst denkend erkennt und damit zeugt,
ist für Eckhart Gott, trinitarisch gedacht, Reflexion des Denkens im Vollzug
und daher Tätigkeit. Der Vater denkt sich im Sohn als Sohn und erkennt
sich dadurch als Vater, weil er sich im Sohn als Vater gleichzeitig zeugt95
und das in zeitloser, weil ewiger Weise96.
Indem Eckhart Gott und damit die Trinität mit der Reflexion des Denkens
identisch denkt, muß er notwendigerweise für das innertrinitarische
Verhältnis der drei Personen zueinander die Bestimmungen übernehmen,
die den drei Komponenten der Reflexion des Denkens eigen sind. Lassen
sich die drei Komponenten der Reflexion als der Denker, das Gedachte und
92
„Amplius autem paternitas nomen est fecunditatis.“ Sermo n. 363, XXXV, LW IV, S.
312.
93
In Joh. n. 31, LW III, S. 25, 4: „...quia semper intellexit, semper filium genuit.“
94
In Joh. n. 31, LW III, S. 25, 2 – 4: „... quia semper actu intelligit, et intelligendo gignit
rationem; et ipsa ratio, quam gignit ipsum intelligere suum, est ipse deus: deus erat verbum,
et hoc erat in principio apud deum, quia semper intellexit, semper filium genuit.“
95
Quest. Par. I n. 4, LW V, S. 40:„...et est ipsum intelligere fundamentum ipsius esse.“
96
In Joh. n. 31, LW III, S. 25, 6 – 8: „...quia semper gignit actu sicut erat, id est sicut
genuit, a principio: aut enim semper aut nunquam, quia finis et principium idem ibi est, ut
dictum est supra.“
49
das Denken benennen, so ist das Verhältnis dieser zueinander konditionaler
Art:
-
Der Denker , das Gedachte und das Denken treten nur gleichzeitig als
Gesamtheit im Vollzug auf. Man kann nämlich nicht das Gedachte ohne
den Denker, das Denken ohne den Denker und das Gedachte und den
Denker ohne das Denken und das Gedachte denken.
-
Weil, wie gezeigt worden ist, alle drei Komponenten entweder
gleichzeitig oder gar nicht auftreten können, führt die Aufhebung einer
einzigen Komponente in die gleichzeitige Aufhebung aller anderen und
somit der Reflexion an sich. Damit ist notwendigerweise jede
Komponente die conditio sine qua non innerhalb des Gesamtgefüges.
-
Im Vollzug sind die drei Komponenten nur dem Begriff, jedoch nicht
der Sache nach zu unterscheiden. Würde nämlich das zweite zutreffen,
müsste einer jeden unabhängige Existenz zukommen, was aber nicht
denkbar ist.
-
Keine der drei Komponenten hat Vorrang vor einer der beiden anderen
als deren Ursache, weil sie damit als deren Voraussetzung ohne die
anderen denkbar sein müsste, was nicht möglich ist.
Aus dem Gesagten ergibt sich für den Begriff der Trinität, daß durch die
Tatsache ihrer Bestimmung als Reflexion des Denkens im Vollzug das
Verhältnis der trinitarischen Personen zueinander nicht mehr kausal,
sondern nur noch konditional denkbar ist mit der Folge, daß die drei
Personen der Trinität als gleichzeitig und gleichberechtigt erscheinend –
eben im Sinne der conditio sine qua non – gedacht werden müssen. Diesen
Wandel zur Konditionalität hin formuliert Eckhart in aller Deutlichkeit im
Johanniskommentar, wo es jetzt heißt:
„Pater enim et filius opponuntur relative: in quantum opponuntur,
distinguuntur, sed in quantum relative mutuo se ponunt; nec est nec
intelligitur pater sine filio et e converso, et per consequens filius non
excludit nec tacet, sed enarrat patrem esse patrem. Si enim filius est , pater
est; si pater est , filius est. Si semper Pater fuit et est, semper filius fuit et
est: semper natus, semper nascitur.“97
97
In Joh. n. 197, LW III, S. 166.
50
Das bedeutet:
- Treten der Denker und das Gedachte gleichzeitig hervor, so auch der
Vater und der Sohn98.
- Das gleichzeitige Hervortreten begründet nicht im Sinne einer Ursache,
sondern ist als Hervortreten selbst das Verhältnis beider zueinander:
„Pater enim et filius opponuntur relative“, und damit Unterschied: „in
quantum opponuntur, distinguuntur“.
- Manifestiert sich die Reflexion des Denkens immer schon als Denker und
Gedachtes, damit Gott als Vater und Sohn, und ist das Auftreten einer
jeden Komponente des Reflexionsverhältnisses nur im Zusammenhang
mit den anderen denkbar, so ist der Vater Vater wegen des Sohnes und
der Sohn Sohn wegen des Vaters: „nec est nec intelligitur pater sine filio
et e converso, et per consequens filius non excludit nec tacet, sed enarrat
patrem esse patrem. Si enim filius est , pater est; si pater est , filius est. Si
semper Pater fuit et est, semper filius fuit et est...“, so daß der Vater nicht
mehr als Ursache und der Sohn als Verursachter gedacht, sondern jeweils
als conditio sine qua non füreinander, in der Gleichzeitigkeit ihres
Erscheinens begriffen werden.
Die konditionale Wechselbeziehung der drei Komponenten der Reflexion
des Denkens ist immer schon notwendigerweise der Ausdruck ihrer Einheit,
weil keine der drei als unabhängig existierend denkbar ist.
Für den Gottesbegriff folgt daraus für Eckhart: Ist Gott immer nur und
immer schon als Vater, Sohn und Geist denkbar - wobei der Vater nicht
ohne den Sohn, dieser nicht ohne den Vater; der Geist nicht ohne die beiden
und die beiden nicht ohne den Geist vorstellbar sind – so sind die drei
göttlichen Personen die „Komponenten Gottes“ in der Weise, wie dieser
jetzt als Erkenntnis gedacht wird. Die Erkenntnis an sich aber ist die
Reflexion des Denkens und das ist jetzt für Eckhart dem Begriff nach Gott.
Gott ist damit weder Vater noch Sohn noch Geist, sondern diese drei, als
Momente ihrer selbst vereinende und damit übersteigende Reflexion des
Denkens, als Ganzes im zeitlosen Vollzug ihrer selbst und erst als solche
begriffene Einheit im Sinne des „unus“:
-
„deus tuus deus unus est. Ubi nota, quod unitas sive unum videtur
proprium et proprietas intellectus solius.(...) Unde signanter dictum est:
98
In Gen. n. 7, LW I, S. 190: „Simul enim et semel, quo deus fuit, quo filius sibi
coaeternum per omnia coaequalem, deum genuit...“
51
deus tuus deus unus est, deus Israel, deus videns, deus videntium, qui
scilicet intelligit...“99
-
„...quod (unum) nusquam est et nunquam nisi in intellectu, nec est, sed
intelligitur.(...) Intellectus enim proprie dei est, deus autem unus.“100
Bestand, thomasisch gedacht, das innertrinitarische Verhältnis aus
„Doppelungen“, die kausal bestimmt waren, so hat sie Eckhart in die Einheit
Gottes, begriffen als Reflexion des Denkens, dadurch aufheben können, daß
er ihre Konditionalität innerhalb der sich vollziehenden Reflexion des
Denkens erkannte.
Das kausale „generare“ als Bezeichnung des Verhältnisses vom Vater zum
Sohn bestimmte die christliche Trinitätslehre und ist als Begriff Träger und
damit Ausdruck des „unum esse die“. Eckhart kann ihn jetzt, auf Grund der
erkannten Konditionalität, durch den Begriff des „ponere“, ersetzen, der die
besagte Konditionalität zum Ausdruck bringend die Einheit nicht schafft,
sondern bereits voraussetzt.
Damit ist der Unus-Begriff Gottes die erste Konsequenz aus seiner
Bestimmung als Reflexion des Denkens. Die zweite Konsequenz betrifft die
Aufhebung der „ontologischen Schranke“ welche das analoge Denken der
Scholastik in Folge der kausalen Gottesbestimmung zwischen ihm und dem
Seienden errichtet hat.
Innerhalb der thomasischen Gottes- und damit Trinitätslehre bezieht sich der
kausale Begriff des „generare“ ausschließlich auf den Sohn, soweit er Gott
ist und innertrinitarisch gedacht wird. Außerhalb der Trinität gilt die creatio
ex nihilo, die dem als absolut gedachten Sein Gottes notwendigerweise
qualitativ, weil verursacht und quantitativ, weil Vielheit gegenüber dem
Einen, untergeordnet ist.
Begreift aber Eckhart Gott als „intellectus se toto“101, der nicht mehr das
oberste Sein der Kausalität ist, sondern dieses Sein denkend, weil er Denken
ist, hervorbringt, so ergeben sich daraus für das Verhältnis Gottes zu seiner
Schöpfung folgende Bestimmungen:
99
Sermo XXIX, n. 300, LW IV, S. 267.
100
Sermo XXIX, n. 303 f. LW IV, S. 269.
101
Sermo XXIX, n. 300, LW IV, S. 267.
52
-
Gott ist Vater und nur dann Vater, sofern er den Sohn zeugt. Er zeugt
ihn, indem er ihn ausspricht, denn der Sohn ist das Wort. Das Zeugen als
Sprechen ist Vollzug des Denkens: Also zeugt Gott den Sohn, weil er
ihn denkt102.
-
Der Zeitlosigkeit wegen kann in Gott weder ein `Vorher` noch ein
`Nachher` gedacht werden, weswegen Gott nur ein Wort spricht und
dieses notwendigerweise am Anfang103, weil damit der Anfang im Sinne
der „Doppelung“ und als Folge dessen Wahrnehmung und damit Zeit
überhaupt erst in Erscheinung treten. Dieses Wort ist dann sowohl der
Sohn wie auch die ganze Schöpfung104.
-
Weil alles entweder Sein ist (Gott) oder Sein hat (Schöpfung) und dieses
von Gott denkend geschaffen wird in der Weise, daß es identisch mit
ihm ist, kann notwendigerweise außerhalb des Seins und damit Gottes
nichts existieren, denn sonst müsste Gott etwas außerhalb seiner selbst
denkend schaffen, was seinem Alles-Sein widerspräche und er nicht als
Gott denkbar wäre. Damit ist das Nichts außerhalb Gottes kein Hinweis
auf ein Etwas, vielmehr reine Verneinung des Seins105 und begriffliche
Notwendigkeit innerhalb der Entfaltung der bipolaren Logik.
-
Daraus resultiert wiederum, daß es nur Gott gibt, weil es nur Gott geben
kann und weil er entweder ganz oder gar nicht gedacht werden kann, ist
alles dem Sein nach in ihm und mit ihm gleiches Sein oder nicht
existierend106.
Mit diesen Schritten hebt Eckhart die klassische „ontologische Schranke“
auf, ohne aber auf die Hierarchie zwischen dem „deus unus“ und seiner
creatio gänzlich verzichten zu wollen und zu können, denn diese, so Eckhart
jetzt, findet im Erkennen und nicht im Sein statt, denn im Sein müssen alle
Dinge – und nicht nur die göttlichen Personen – notwendigerweise in Gott
102
Vgl. dazu: In Joh. n. 44, LW III, S. 37.
103
Vgl. dazu: Prol. gen. n. 15 f. LW I, S. 39; In Gen. n. 7, LW I, S. 50.; In Joh. n. 4 – 51.
LW III, S. 5 – 42.
104
Vgl. In Gen. n. 7, LW I, S. 50 f.
105
Vgl. Prol. gen. n. 17, LW I, S. 39.
106
Vgl. In Gen. n. 7, LW I, S. 50.
53
und damit gewissermaßen als Gott gedacht werden. Im Erkennen jedoch
besteht für Eckhart folgende Hierarchie:
-
Sind alle Dinge das eine Sein und ist dieses eine Sein Gott, dann ist Gott
nur in der Weise Gott, wie er dieses Sein im Denken hervorbringt da er
reines Denken ist107.
-
Weil in Gott das Sein und Denken eins sind und weil außerhalb seiner
kein Sein gedacht werden kann, ist ein möglicher Abfall von Gott nur in
die Entzweiung von Sein und Denken denkbar, welches dadurch als
Doppelung die Einheit verliert108.
-
Der Abfall von Gott ist damit der Verlust der Fähigkeit diesen aus der
Doppelung der Reflexion heraus als Einheit zu erkennen109.
-
Je weniger diese Fähigkeit einem Seienden zukommt, desto weiter ist es
von der Einheit entfernt, obwohl es gleichzeitig dem Sein nach in Gott
gedacht werden muß110.
War die Aufhebung der „ontologischen Schranke“ als Ergebnis der Einsicht
in die Konditionalität der Trinität möglich, und konnte diese wiederum aus
der Bestimmung Gottes als Reflexion des Denkens erkannt werden, so ist
jetzt das Aufrichten einer Erkenntnishierarchie die notwendige Folge der
Bestimmung Gottes als Erkenntnis, die eine solche setzt, weil sie eine
solche ist.
Gesucht war innerhalb des eckhartschen Werkes ein Gottesbegriff, der als
Einheit Doppelungen übersteigt und als Ziel für die Aufhebung dieser der
Mystik zu Voraussetzung wird. Zunächst schied das thomasische „unum
dei“ auf Grund seiner innertrinitarischen Kausalität und der daraus
folgenden Analogielehre aus. Mit dem Begriff des „unus“ auf der einen und
der Aufhebung der „ontologischen Schranke“ auf der anderen Seite hat
Eckhart nicht nur die Einheit Gottes dem Begriff nach gedacht, sondern er
107
Vgl. Quest. Par.I, n. 4 ff. LW V, S. 40 ff.
108
Vgl. In. Joh. n. 44, LW III, S. 37.
109
Vgl. In Joh. n. 44, LW III, S. 37.
110
Vgl. Sermo XXIX, n. 304, LW IV, S. 269 f.
54
legte zugleich den Weg in die unmittelbare Anwesenheit bei dieser an, die,
obwohl eine qualitative Hierarchie auf den „unus deus“ hin wahrend und im
Vollzug des Denkens selber einheitlich bleibend, diese bei ihm erreichen
kann.
Ist nämlich Gott nur dann „unus“, wenn er Reflexion des Denkens ist, so ist
die unmittelbare Anwesenheit bei ihm im Denken selber möglich, und zwar
so, daß dieses in seiner Vereinheitlichung und damit Abkehr von der
Vielheit in der Weise ihrer begrifflichen Durchdringung mit dem „unus“
eins wird, indem es das „unum in esse“ erkennt. In der Begegnung beider
Reflexionen wird die Grundvoraussetzung der unmittelbaren Anwesenheit
dadurch erfüllt, daß jetzt das Gleiche, also Vernunft, vom Gleichen,
ebenfalls Vernunft, erkannt werden kann.
Mit diesen Bestimmungen hat Eckhart zwar die thomasische Kausalität in
die Konditionalität wie auch die Analogie in die Univozität aufheben
können, erreicht aber mit dem Begriff „deus unus est quia intellectus“
weiterhin nicht einen Gottesbegriff, der frei wäre von jeglicher Doppelung
und damit der Mystik zur Voraussetzung, weil Gott, gedacht als
„intellectus“ immer schon ein „intellectus“ im Vollzug – also “intelligitur“ ist, daher Tätigkeit: und in solcher Tätigkeit gedacht stiftet er Beziehung,
weil er Beziehung und damit Zweiheit ist111.
Ganz gleich, wie rein die Reflexion des Denkens und damit Gott gedacht
wird – etwa in Bezug auf sich selbst – ist dieses Sich-Beziehen immer schon
ein Verhältnis, damit Doppelung und niemals absolute Einheit.
Für die Tatsache, daß Eckhart diese duale Begriffsbestimmung Gottes
immer schon gesehen hat und sie aufzuheben bemüht war, spricht die
Fortführung seines Denkens auf den Begriff der „gotheit“ hin, mit dem er
letztlich die Dualität dem Begriff nach zu tilgen versucht.
Mit dem gedanklichen Durchdringen Gottes auf die „gotheit“ aber verläßt
Eckhart zugleich die offizielle Kirchenlehre, die nicht nur zu seiner Zeit ihre
auf der logischen Begrifflichkeit basierende Gültigkeit beanspruchte.112
111
Sermo XXIX, n. 303, LW IV, S. 269: „...quod nusquam est et nunquam nisi in intellectu,
nec est, sed intelligitur.“
112
War der Eckhartsche Begriff Gottes als Erkennen innerhalb der Scholastik – hier
reduziert auf die Thomistik – durchaus noch als eine Variante dieser denkbar und deswegen
auch weitestgehend nicht von der offiziellen Seite beanstandet, so führt der Begriff der
`gotheit´ mit all seinen Konsequenzen in die Verdammung seiner Lehre insgesamt.
55
c. Der Begriff der nichtdualen `gotheit`
Um Gott nicht als „Doppelung“ denken zu müssen, verläßt Eckhart den
trinitarischen Gottesbegriff, konnte nämlich dieser, selbst durch die
konditionale Bestimmung seiner Komponenten, die duale Grundstruktur
nicht aufgeben.113 Ganz unabhängig davon also, wie das innertrinitarische
Verhältnis gedacht wird, die Tatsache allein, daß ein solches gedacht
werden kann – und der Christologie wegen in der christlichen Orthodoxie
gedacht werden muß – zeigt die „Doppelung“ des christlichen
Gottesbegriffes, gedacht als Trinität. Das bedeutet im Ergebnis: solange
Gott als Vater, Sohn und Geist, bzw. synonym als Schöpfer gedacht wird,
wird er immer schon dual gedacht, weil er von der Reflexion des Denkens,
die zwar einheitlich, jedoch Doppelung ist, als Reflexion des Denkens und
innerhalb der Reflexion des Denkens gedacht und erkannt werden kann.
Damit erkennt zwar Doppelung Doppelung, bleibt aber notwendigerweise
als solche bestehen, setzt der Erkenntnisakt einen Unterschied – auch
innerhalb der Trinität – voraus, der aber nicht, wie gezeigt worden ist,
ontologisch besteht, sondern der die Erkenntnis als Erkenntnis selber ist.
Aus dem Gesagten wird verständlich, weshalb der Begriff der `gotheit` als
absolute Einheit gegenüber Gott als eine relative – der Begriff `relativ` hier
im Sinne der relatio als Beziehung und damit Doppelung verwendet - nicht
erkannt, bzw. positiv als Begriff gedacht werden kann, da sie im Augenblick
ihrer begrifflichen Bestimmbarkeit den Status der nicht-dualen `gotheit` für
den dualen Gott und damit für die Reflexion des Denkens notwendigerweise
aufgeben muß114. Und weil sich das Erkennen als Reflexion des Denkens
und Doppelung zugleich in Begriffen und damit in der Sprache vollzieht,
113
Es sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, daß bezeichnenderweise die bisherige
Entfaltung der Eckhartschen Gedanken fast gänzlich dem systematischen Teil seines
Werkes hat entnommen werden können, das im wörtlichen Sinne scholastisch (nämlich
während seiner Lehrtätigkeit an der Pariser Universität angelegt worden) und in der
Anlehnung an die Summen der damaligen Zeit gedacht worden ist. Die folgenden
Ausführungen werden die `gotheit` und die unmittelbare Anwesenheit bei dieser bedenken.
Sie stammen fast ausschließlich aus den Predigten.
114
Pred. 71; DW III, S. 223: „Der iht sihet oder vellet iht in dîn bekennen, daz enist got
niht; dâ von niht, wan er noch diz noch daz enist. Swer sprichet, daz got hie oder dâ sî, dem
engloubet niht.“
56
kann diese, der absoluten Einheit der `gotheit´ wegen, auf diese nicht
angewendet werden115.
Hat Eckhart aber den innertrinitarischen Prozeß, also Gott als Reflexion des
Denkens im Vollzug und damit als „Doppelung“ bestimmt in der Weise,
daß er Gottes Wirken seinem Erkennen gleichgesetzt hat, so führt seine
Aussage
„Got wirket, diu gotheit wirket niht, si enhât niht zu wirkenne, in ir ist kein
werc. Si geluogete ûf nie kein werc. Got unde gotheit hât underscheid an
würken und an niht-würken.“116
in die Konsequenz, daß das Nichtwirken der `gotheit` notwendigerweise ein
Nichtdenken ist und damit `gotheit` von Gott, als Einheit gegenüber
Doppelung, nicht erkannt werden kann und somit ebenfalls unterschieden
ist. Dieser Zusammenhang begründet dann die eckhartsche Aussage,
wonach „got unde gotheit hât underschied als verre als himel und erde“117,
denn `gotheit` ist Gott bevor er denkt, also bevor er sich in der Trinität und
als Trinität offenbart118.
Das unmittelbare Erkennen der `gotheit´ ist demnach der Vernunft nicht
möglich, da sie per definitionem als absolute Einheit außerhalb dieser – da
Doppelung – ihren Ort hat. Damit läßt die `gotheit´ auch keinerlei
inhaltliche Begriffsbestimmung zu, da der Begriff die einzige Weise der
Vernunfterkenntnis und somit ihr Vollzug ist119. Das angemessene
Verhalten des Denkens der `gotheit` gegenüber wäre demnach, wie Eckhart
es selbst bemerkte, ein Nicht-Sprechen und damit ein Nicht-Denken. Dieser
Zusammenhang erklärt damit, weshalb er, indem er auf die `gotheit´
hinweist, inhaltlich wie auch formal seine bisherige Vorgehensweise ändert:
115
Pfeiffer, S. 181, 7 – 10: „Alsô sprechent alle crêatûren von gote. Und war umbe
sprechent sie niht von der gotheit? Allez daz, daz in der gotheit ist, daz ist ein, unde dâ von
ist niht zu sprechenne.“
116
Pfeiffer, S. 181, 10 – 13.
117
Pfeiffer, S. 180, 15 f.
118
Pred. 21, DW I, S. 361: „...`ein got´.(...) dâ er in im selber ist, ê er ûzulieze in sun und
heiligen geist.“
119
Pred. 71, DW III, S. 221 f.: „Ein sache ist, wan got namelôs ist. Sölte si im namen
geben, daz müeste bedâht werden. Got ist über alle namen; nieman enkan im zuokomen,
daz er got gesprechen müge.“
57
-
Was den Inhalt angeht, so wechselt sein Denken von der Unmittelbarkeit
der bisher üblichen Benennung in die theologia negativa, die ihrer
Eigenart zufolge ein „Außerhalb“ der eigenen Doppelung durch
Selbstverneinung voraussetzt. Dieses „Außerhalb“ muß notwendigerweise dem Begriff nach als absolute Einheit gedacht werden, ermöglicht
doch die Voraussetzung dieser die Selbsterkenntnis der trinitarischen
Reflexion als „Doppelung“.
-
Der Form nach entfaltet sich das eckhartsche Denken der theologia
negativa ausschließlich in den Predigten, ist damit ein unmittelbarer
Ausdruck der Seelsorge und damit der caritas. Und weil der zuletzt
genannten im Sendungs- und Heilsbewußtsein der christlichen Religion
der Wichtigkeit nach die erste Position zukommt, sprengt das Gebot der
Nächstenliebe - des Heils wegen - im Konfliktfall die Regeln der
natürlichen Erkenntnis120.
-
Als drittes soll daran erinnert werden, daß gemäß dem Prinzip der
zweiten Epoche nur dasjenige geliebt werden kann, das zuvor erkannt
worden ist. Damit setzt die Mystik die „cognitio die“ notwendigerweise
weiterhin voraus, verläßt seiner Doppelungen wegen den Begriff des
trinitarischen Gottes und bestimmt im Vollzug der via negativa die
aduale `Gotheit` als ihre Voraussetzung121.
War also Gott begriffen worden als Vater, Sohn und Geist, damit als das
Eine, Wahre und Gute, wonach sich dann der Wille bzw. die Liebe hat
ausrichten können, so heißt es jetzt für Eckhart, indem er die Liebe nach der
Ausrichtung – und damit der notwendig vorausgehenden Erkenntnis - fragen
läßt:
„Wie sol ich in denne minnen? Dû solt in minnen als er ist: ein nihtgot, ein
nihtgeist, ein nihtpersone, ein nihtbilde, mêr: als er ein lûter pûr klâr ein ist,
gesundert von alle zweiheite...“122.
Erst an der Unmöglichkeit, die `gotheit` unmittelbar zum Gegenstand ihrer
selbst haben zu können, erkennt die Reflexion des Denkens – hier als
120
Vgl. dazu: Thomas v. Aquin, Summa Theologiae I, qu. II, prologus.
121
Diese Bestimmung, dem Verstand ein Widerspruch, wird durch den Begriff des
plotinischen Einen ermöglicht, wonach das Eine, erhaben über alle Widersprüche, diese
überwindet. Vgl. dazu: Plotin. Enneade VI, 8, 13, 8 f.
122
Pfeiffer, S. 320, 27 – 30.
58
Trinität - sich selber als Doppelung123 und setzt damit gleichzeitig den
Begriff der `gotheit` als absolute Einheit voraus124.
Dieses Wissen um die absolute Einheit Gottes – eben die `gotheit` - liegt
allem Wirken Gottes, und das bedeutet bei Eckhart auch der Reflexion des
Denkens, zugrunde, begreift sich diese dadurch selbst als Doppelung und
damit in letzter Konsequenz als nicht Gott125, denn Gott kann nur als Gott in
der Absolutheit seiner Einheit gedacht werden und damit als `gotheit`126.
War der kausale Gottesbegriff ausreichend für die Reflexion der Einsicht in
den umfassenden Mangel an anwesender Gegenwart, so zeigte er sich als
Doppelung für die Aufhebung einer solchen und damit als Voraussetzung
der Mystik ungeeignet. Auch die konditionale Bestimmung des
Gottesbegriffes, gegründet in der Einsicht in den reflektiven Charakter der
Trinität, erwies sich als Doppelung und damit ebenfalls für die Aufhebung
dieser nicht in Frage kommend; gleichwohl hat dieser Begriff Gottes, zum
ersten Mal innerhalb der Entfaltung der christlichen Lehre, eine
unmittelbare Anwesenheit bei sich zulassen können127.
Erst mit der Bestimmung Gottes als `gotheit` erreicht Eckhart die
notwendige Voraussetzung für die Aufhebung aller Doppelungen. Die
Bestimmung Gottes als `gotheit` setzte wiederum die vorhergehende als
Reflexion des Denkens notwendigerweise voraus, konnte nämlich das
absolut Eine nicht unmittelbar gedacht, sondern nur von der Reflexion des
Denkens im Vollzug ihrer selbst als Denken und somit Erkennen der
eigenen Doppelung notwendigerweise als Begriff vorausgesetzt werden.
Diese notwendige Voraussetzung des Begriffes der Einheit, welche das
123
Pred. 21, DW I, S. 368, 6: „Ich spriche: got entmöhnte niemer gebern sînen einbornen
sun, enwaere er niht ein.“
124
Pred. 21, DW I, S. 368, 6 – 8: „In dem daz got ein ist, in dem nimet er allez, daz er
würket an crêatûren und an gotheit.“
125
Pred. 21, DW I, S. 368, 8 – 9: „Gotes eigenschaft ist einicheit; an dem nimet got, daz er
got ist, er enwaere anders got nicht.“
126
Pred. 21, DW I, S. 368, 5: „`Ein got`: in dem daz got ein ist, sô ist volbrâht gotes
gotheit.“
127
Die Parallele zum aristotelischen Gottesbegriff ist unverkennbar, wenn auch nur im
Ansatz übereinstimmend. Während der aristotelische Gott, dem Begriff nach als Reflexion
des Denkens, seiner Absolutheit und Erhabenheit wegen nur sich selber zum Gegenstand
haben kann (ähnlich dann auch die Entfaltung der Thomistik), denkt der eckhartsche Gott
im Wort ( als Sohn ) und gleichzeitig und unvermittelt die ganze Schöpfung. Vgl. dazu:
Aristoteles, Metaphysik, XII, 7.; für Meister Eckhart exemplarisch: In Gen. LW I, S. 49 ff.
59
unmittelbare Ergebnis der reflektierten Einsicht der Reflexion selber in die
eigene Beschaffenheit ist, bleibt als Wissen weiterhin der Reflexion
verhaftet, ist damit Doppelung und darf als solche nicht mit der
unmittelbaren Anwesenheit bei der Einheit selber verwechselt werden.
Es ist eben das Wissen um die notwendige Voraussetzung der Einheit, und
nur dieses Gegenstand der Reflexion des Denkens und nicht die Einheit an
sich. Diese bleibt dem Denken, per definitionem, weiterhin verborgen.
Innerhalb der christlichen Religiosität ausgedrückt ersetzt die begriffliche
`revelatio` der `gotheit` in die Reflexion des Denkens – und nur eine solche
kommt in Frage - die unmittelbare Anwesenheit bei der ersten in keinster
Weise, geschieht nämlich die revelatio dei nicht in eine bereits vorhandene
Reflexion, sondern als eine solche und ist damit immer schon „Doppelung“.
Der Umgang mit dem so gewonnenen Begriff der Einheit kann sich dann in
diversen Formen seiner Beachtung niederschlagen, damit Doppelung
bleiben und somit als Religion hervortreten oder aber, den Begriff des Einen
voraussetzend, die durch ihn als Doppelung erkannte Identifikation in
diesen hinein aufzuheben suchen.
Setzte die Mystik, ihrer Bestimmung nach, neben der reflektierten Einsicht
in den umfassenden Mangel an anwesender Gegenwart auch ein Wissen um
die notwendige Voraussetzung der Einheit voraus, so ist dieses, im Denken
Eckharts, mit seiner Bestimmung der `gotheit´ gegeben.
3. Der Begriff der unmittelbaren Anwesenheit bei der Einheit
Die inhaltliche Bestimmung des Begriffes der Mystik als das Erreichen der
unmittelbaren Anwesenheit bei der Einheit scheint zunächst den Eindruck
zu erwecken, als beabsichtige diese, ein „Etwas“ zu erreichen, das zeitlich
wie auch räumlich nicht mehr oder noch nicht präsent ist, und das als Folge
der reflektierten Einsicht in den absoluten Mangel an anwesender
Gegenwart. Gleichzeitig setzt der Begriff „Erreichen“ einen Willen voraus,
der das zuvor Erkannte – in diesem Fall die Einheit im Begriff der `gotheit`
- mit seiner Ausrichtung anstrebt.
Da aber der Wille, in Anlehnung an die Reflexion des Denkens im Sinne
seiner notwendigen Voraussetzung, ebenfalls der Spaltung in Subjekt/
60
Objekt unterliegt, ist er Zweiheit und damit Doppelung. Und kann der Wille
nur das wollen, was zuvor von der Reflexion des Denkens als Begriff oder
Vorstellung erkannt worden ist, und konnte er – weil selbst Doppelung –
diese absolute Einheit nicht unmittelbar, sondern nur indirekt, begriffen als
Wissen um ihre notwendige Voraussetzung, denken, so hat das für den
Willen zur Folge, daß er die unmittelbare Anwesenheit bei dieser deswegen
nicht wird anstreben können, weil sie ihm nicht als ein erkanntes Etwas
vorgelegt werden kann.
Damit befindet sich sowohl die eckhartsche Reflexion des Denkens wie
auch die des Willens innerhalb einer paradoxen Situation:
Zum einen verfügt das Denken – und zwar mit Notwendigkeit – über den
Begriff des absolut Einen, kann den Einen jedoch logischerweise nicht
positiv bestimmen, da er sonst augenblicklich zum Gegenstand des Denkens
werden würde, damit Doppelung und nicht mehr absolute Einheit, setzt die
unmittelbare Anwesenheit bei der `gotheit` doch auch die Aufhebung der
theologia negativa voraus, die in ihrem Vollzug, den Begriff des Einen als
ihre Voraussetzung gewinnend, mit diesem wiederum ein Etwas in der
`gotheit` begreift – nämlich sein Einssein – was wiederum Doppelung und
damit nicht `gotheit` sein kann. Weil die `gotheit` damit nicht als das
Ergebnis der theologia negativa begriffen werden kann, „ist“ sie ihre
Negation und damit die Negation der Negation128.
Zum anderen ergibt sich daraus für die Reflexion des Willens die
Erkenntnis, daß sich dieser auf den Einen nicht wird ausrichten können,
zeigt sich nämlich der Begriff des Einen – nicht das Eine an sich – als
Doppelung. Anders ausgedrückt heißt das: Solange der Wille als Wille
besteht, will er etwas und zwar genau das gleiche Etwas, das zuvor von der
Vernunft als ein Solches erkannt worden ist. Wird aber das Eine von der
Vernunft, mittels der via negativa, genau als ein Nicht-Etwas begriffen,
entzieht diese dem Willen das Ziel seiner Ausrichtung. Will der Wille das
absolut Eine trotzdem wollen, so bleibt er innerhalb der Reflexion des
Denkens verhaftet in der Weise, daß er diese und damit eine Doppelung
weiterhin aufrechterhält. Denn entledigt sich die Reflexion des Denkens –
und zwar willentlich – aller ihrer Inhalte, behält aber das absolut Eine als
Begriff in der Art, wie sich dann der Wille danach ausrichten könnte, so
erreicht sie, wie Eckhart es bereits gezeigt hat, die unmittelbare
Anwesenheit bei dem als Reflexion des Denkens begriffenen Gott, der aber,
128
Pred. 21, DW I, S. 364: „in dem daz ich gote versage, dâ begrîfe ich etwaz von im, daz
er niht enist; daz selbe muost abe. Got ist ein, er ist ein versagen des versagennes.“
61
genau wie sie, Doppelung bleibt. Und weil Eckhart zufolge der Unterschied
zwischen Gott und `gotheit` wie der zwischen Erde und Himmel oder
Doppelung und Einheit ist, muß der Wille notwendigerweise über alles
Erkannte und damit in die Aufhebung seiner selbst hinaufsteigen 129.
Aus der Perspektive der Reflexion des Denkens betrachtet müssen der
Begriff der absoluten Einheit und die absolute Einheit an sich gänzlich
voneinander unterschieden sein in der Weise, wie die Doppelung vom
Absoluten es ist. Aus der Perspektive der absoluten Einheit jedoch kann ein
solcher Unterschied deswegen nicht gedacht werden, da sich zunächst das
Absolute dadurch selber begrenzen und somit aufheben müsste130. Ihrer
Absolutheit, Allmacht und Erhabenheit wegen wäre das Zweite aber
trotzdem denkbar, dann aber nur in der Art, wie die Einheit über alle
Widersprüche des Verstandes erhaben, von diesen, falls überhaupt
vorhanden, in ihrem Einssein unberührt bleibt 131 .
Damit ist der Begriff der absoluten Einheit – gemeint ist der Signifikat und
das Signifikant - der Reflexion des Denkens zugeordnet, seine Herkunft
aber hält weiterhin zwei Denkrichtungen offen: innerhalb der einen wird er
als „revelatio dei quoad nos“ gedacht, womit alle monotheistischen
Religionen gemeint sind. Innerhalb der anderen aber kann er der
Selbsterkenntnis der Reflexion als Doppelung und damit von dieser als ihr
notwendiges „Außerhalb“ vorausgesetzt werden, weil sich diese nur dann
dem Begriff nach als Doppelung bestimmen kann, sofern sie gleichzeitig
über den Begriff der Einheit verfügt. Da in beiden Fällen der notwendige
Nachweis des kausalen Ursprungs des Begriffes der absoluten Einheit fehlt
– und da es sich hier um den außerverstandesmäßigen Bereich gedacht als
Nicht-Doppelung handelt, auch logischerweise fehlen muß –, entzieht sich
das absolut Eine der unmittelbaren Betrachtung durch die Vernunft und
damit der Wissenschaft in ihrem bisherigen abendländischen
Selbstverständnis.
Ganz gleich aber, woher der Begriff der Einheit seinen Ursprung hat, er
bleibt als solcher immer schon Doppelung und kann im Denken selber und
von diesem niemals aufgehoben werden, ist jede Bewegung des Denkens
129
Pred. 21, DW I, S. 367: „Got will sprechen: swie hôch, swie lûter der Wille sî, er muoz
ûf baz. Diz ist ein widerkôsen, daz got sprichet: `vriunt, klim ûf baz, sô geschihet dir êre.“
130
Vgl. dazu: In Sap. n. 122, LW II, S. 459.
131 116
Vgl. dazu: Pred. 52, DW II, S. 503 f.; Von abgesch. DW V, S. 400 f.
62
immer schon und immer nur Denken und damit Verlust der Einheit. Anders
ausgedrückt: die Doppelung der Reflexion, will sie die unmittelbare
Anwesenheit bei der Einheit erreichen, muß sich selbst vor ihr bzw. in sie
aufheben, während die Einheit die Doppelung, ihrer absoluten Macht und
Erhabenheit wegen, als solche bestehen lassen kann, ja sogar muß, ohne
sich dabei selbst aufzugeben.
Wird das Gesagte als Voraussetzung beibehalten, so wird jetzt verständlich,
an welchem Ort die berühmte eckhartsche Predigt „Beati pauperes spiritu“
ansetzt. Sie beginnt nämlich mit der Aufhebung der beiden Reflexionen
genau dort, wo die unmittelbare Anwesenheit im Denken bei dem als
Denken und damit konditional bestimmten Gott bereits erreicht worden ist.
War also Gott: „Deus enim unus est intellectus, et intellectus est deus
unus“132 und die unmittelbare Einheit mit ihm entsprechend im Denken
möglich133, so wird jetzt die in Gott aufgehobene Reflexion des Denkens
und des Willens und damit Gott selber als letzte Doppelung aufgehoben134,
weil die Seligkeit und damit die unmittelbare Anwesenheit bei der absoluten
Einheit, der Doppelung wegen, weder im Denken noch im Lieben und damit
Wollen als aufgehoben gedacht werden kann135.
Aus diesem Zusammenhang heraus erklärt sich die ekckhartsche
Formulierung „Her umbe sô bite ich got, daz ermich ledic mache gotes“136,
denn der wirkende und das heißt denkende Gott konnte, wegen der
Doppelung beider Reflexionen, nicht deren Aufhebung gewesen sein137. Im
Ergebnis ist die unmittelbare Anwesenheit bei der absoluten Einheit
132
Sermo XXIX, n. 304, LW IV, S. 270, 1-2.
133
Sermo XXIX, n. 304, LW IV, S. 270, 4 – 6: „Ascendere igitur ad intellectum, subdi
ipsi, est uniri deo. Uniri, unum esse, est unum cum deo esse. Deus enim unus est.“
134
Pred. 52, DW II, S. 497, 4 f.: „Sô sprechent wir: got enist niht wesen noch vernünftic,
noch enbekennet niht diz noch daz.“
135
Pred. 52, DW II, S. 496, 2: „Aber wir sprechen, daz si ( die saelicheit ) niht enlige an
bekennenne, noch an minnenne;“
136
Pred. 52, DW II, S. 502, 6.
137
Pred. 52, DW II, S. 505, 2 – 4: „In disem îndrucke enpfâhe ich sôgetâne rîchheit, daz
mir niht genuoc enmac gesîn got nâch allem dem, daz ´got´ ist, und nâch allen sînen
götlîchen werken;“
63
notwendigerweise diese Einheit selbst: “wan ich enpfâhe in diesem
durchbrechen, daz ich und got einz sîn.“138.
Mit diesem „Erreichen“ vollendet Eckhart den ersten Teil der inhaltlichen
Begriffsbestimmung der Mystik, womit aber noch nicht ersichtlich ist, in
welcher Art sich diese Bestimmung auf das Verhältnis für Vielheit auswirkt.
Sollte nämlich die in der Aufhebung der Doppelung beider Reflexionen
erreichte absolute Einheit die Einheit mit der Vielheit negieren und sich
damit nicht gleichzeitig als unmittelbare Anwesenheit bei dieser erweisen,
so müsste daraus geschlossen werden, daß mit dem Begriff der `gotheit`
diese nicht als erreicht gedacht worden ist und in Folge das eckhartsche
Denken den Begriff der Mystik für sich nicht beanspruchen kann.
Diesen Sachverhalt löst das eckhartsche Denken wie folgt:
Der Unterschied zwischen der Einheit und der Vielheit konnte, wie bereits
gezeigt worden ist, nicht im Sein, sondern nur im Denken bestehen, weil das
Denken ein solcher Unterschied – im Sinne einer Doppelung –selber ist und
daher einen solchen setzt. Aus der Perspektive der sich vollziehenden
Reflexion des Denkens also und nur aus ihr heraus, und das bedeutet
wiederum zeitgleich mit dem Aufkommen dieser – wobei das Denken
gleichzeitig seine eigene Perpektive setzt, weil es diese ist – entsteht der
Bruch in Einheit und Vielheit, jedoch nicht zwischen Einheit und Vielheit,
weil der Begriff „zwischen“ einen vorhandenen Unterschied bereits
voraussetzen müsste, der dann als solcher und damit zeitlich versetzt, von
dieser erkannt werden würde. Daher gibt es bis zum Aufkommen der
Reflexion des Denkens bei Eckhart weder Seiendes noch Schöpfung. Diese
taucht notwendigerweise mit Gott, gedacht als Reflexion des Denkens zeitund raumgleich auf, indem sie Zeit und Raum als Vollzug ihrer selbst
schafft.
Mit der Aufhebung der beiden Reflexionen und damit Gottes erreicht
Eckhart die Nichtdualität und damit die unmittelbare Anwesenheit bei der
absoluten Einheit und da diese, ihrer Absolutheit wegen, über jeden
Unterschied erhaben, von sich aus keinen Unterschied setzt, wird dieser der
138
Pred. 52, DW II, S. 505, 4 – 5. Es ist zu beachten bei der Formulierung der
unmittelbaren Anwesenheit bei der absoluten Einheit, daß Eckhart hierfür keinen seiner
bisherigen Begriffe, wie Erkennen oder Wissen benutzt, da diese eindeutig als
Doppelungen belegt worden sind. Gleichzeitig aber und per definitionem, kann es keinen
Begriff geben, der nicht Doppelung wäre und somit ist der von ihm diesbezüglich
vewendete Begriff „Enpfâhen“, obwohl neu und einmalig in diesem Zusammenhang, so
doch auch eine solche.
64
Vielheit gegenüber – jedoch nicht diese! – aus ihrer Perspektive her
gedacht, notwendigerweise aufgehoben139 und damit gleichzeitig die
unmittelbare Anwesenheit auch bei der Vielheit erreicht.
Wird die unmittelbare Anwesenheit bei der Einheit - und mit ihr auch bei
der Vielheit – in die Reflexion zurückgelassen, so geschieht jetzt der
Vollzug dieser, begriffen als Gott und Doppelung, im Wissen um die
Einheit von Gott und `gotheit`. Jetzt erst nämlich wird Gott als Vollzug der
`gotheit` im Denken und damit zugleich als Denken von diesem erkannt140.
Mit dem letzten Erweis zeigt sich das eckhartsche Denken als Mystik, so
wie diese dem Begriff nach hat bestimmt werden können. Damit ist sein
Denken von der abendländischen Philosophie her im Allgemeinen und dem
christlichen Gedankengut im Besonderen derart abhängig, daß es beide
notwendigerweise voraussetzt, bei gleichzeitiger Unabhängigkeit aber,
welche die Erste dem Begriff nach in der Zweiten aufnimmt und beide in
dem, was als Mystik bestimmt hat werden können, aufheben läßt.
Für den religionswissenschaftlichen Vergleich im Allgemeinen steht somit
das Denken Eckharts dem Begriff nach als konkretes Beispiel der Mystik
wie folgt zur Verfügung:
Die notwendige Voraussetzung der verborgenen Einheit im Begriff der
`gotheit`, läßt die Reflexion des Denkens als Vielheit und somit Mangel an
Einheit in Erscheinung treten; gewährt in der Aufhebung dieser die
unmittelbare Anwesenheit bei sich und erkennt sich damit selber als ihr
Vollzug.
War die Bestimmung des Begriffes der Mystik Grundvoraussetzung für die
Annäherung an das eckhartsche Denken, so ist jetzt, mit seiner erwiesenen
Bestimmung als konkrete Erscheinung derselben, wiederum die
Grundvoraussetzung gegeben, das „Ich“ innerhalb ihrer dem Begriff nach
zu bestimmen. Gesucht wird damit die Bestimmung des „Ichs“ dem
Begriffe nach, denn nur auf diesen kann die vergleichende Reflexion des
Denkens zurückgreifen.
139
Pred. 52, DW II, S. 497, 4 – 6: „Sô sprechen wir: got enist niht wesen noch vernünftic
noch enbekennet niht diz noch daz. Her umbe ist got ledic aller dinge, und her umbe ist er
alliu dinc.“
140
Pred. 52, DW II, S. 503 f: „In mîner geburt, dâ wurden alliu dinc geborn, und was sache
mîn selbes und aller dinge; und haete ich gewolt, ich enwaere niht, noch alliu dinc
enwaeren niht; und ewaere ich niht, sô enwaere ouch `got` niht.“
65
III.
DER BEGRIFF DER ICH-STRUKTUR IN DER MYSTIK
MEISTER ECKHARTS
Der Ort, den das `Ich` innerhalb der eckhartschen Denkstruktur – jetzt
begriffen als Mystik – einnimmt, wird von der Begriffsentfaltung der
absoluten Einheit in der Weise bestimmt, wie diese die unmittelbare
Anwesenheit bei sich selber dem Begriff nach zuläßt. Die Ich-Struktur also
setzt der Eigenbestimmung nicht nur das Wissen um die notwendige
Voraussetzung der absoluten Einheit voraus, wie das der Theologie als
Wissensentfaltung innerhalb der christlichen Religion der zweiten Epoche
nach entsprechend der Fall gewesen ist, sondern den Inhalt der zuvor
begrifflich bestimmten Mystik und damit die unmittelbare Anwesenheit bei
der Einheit selbst. Das eckhartsche Ich wird damit nicht in Differenz zu Gott
und somit, dem Begriff nach, religiös bestimmt, sondern aus der Tatsache
der unmittelbaren Anwesenheit bei der Einheit heraus und damit zusammen
mit jener Einheit.141
Dadurch ergibt sich für das Bedenken der eckhartschen Entfaltung der IchStruktur die Notwendigkeit ihrer begrifflichen Rückkopplung an die jeweils
zuvor vollzogene begriffliche Bestimmung Gottes. Diese wiederum, wie
vorausgehend gezeigt worden ist, bedenkt Eckhart sowohl im Begriff der
´gotheit` als absolute Einheit, wie auch im Begriff des Gottes, welcher als
die `gotheit` im Wirken, und das heißt im Vollzug ihrer selbst als Reflexion
des Denkens und deswegen Trinität, in Erscheinung tritt.
Das Besondere an der eckhartschen Ich-Bestimmung liegt somit in der
jeweiligen Ausrichtung dieser auf die unmittelbare Anwesenheit bei der
`gotheit` wie auch bei Gott, und weil Eckhart diese in beiden Fällen dem
Begriff nach für möglich, ja notwendig hält, gilt für das Ich als erstes
innerhalb der unmittelbaren Anwesenheit bei der `gotheit` oder bei Gott, der
Einheit von Ich und `gotheit` oder Ich und Gott wegen, die absolute Identität
der jeweiligen Strukturen.
Wird die unmittelbare Anwesenheit des Ichs bei der `gotheit` gedacht, so
übernimmt das Ich, weil selbst Einheit, notwendigerweise ihre `Struktur`.
Das Gleiche wiederholt sich bei der Einheitsbestimmung mit Gott in seiner
trinitarischen Erscheinung. Das ist der Hintergrund der eckhartschen
Aussage, wonach der Mensch Gott erkennt, indem er sich selber erkennt,
141
„Ich“ wird hier und im Folgenden als Begriff in der Mystik des Meister Eckhart
verstanden, nicht als beliebiger grammatischer oder alltäglicher Gebrauch.
66
und umgekehrt erkennt er sich nur dann vollständig selber, indem er Gott
erkannt hat.
Innerhalb des eckhartschen Denkens also, insofern es als Mystik bestimmt
ist, kann notwendigerweise nicht nach einem Ich-Begriff gesucht werden,
der subjekthaft statisch innerhalb des Seienden als ein Seiendes gedacht
werden kann in der Weise einer Abgrenzung gegen ein anderes Seiendes
und gleichzeitig im Stand einer wie auch immer gedachten Trennung von
Gott. Eine solche Ich-Bestimmung läge im Widerspruch zu der bisher
aufgezeigten Entfaltung des eckhartschen Denkens, begriffen als Mystik,
und wird von Eckhart selber, wie im Folgendem zu zeigen sein wird, zwar
gesehen, jedoch mit dem Stand der Sünde gleichgesetzt.
Es wird so ersichtlich, daß die vorausgehende Begriffsbestimmung des
eckhartschen Denkens als Mystik die Struktur und damit die notwendige
Voraussetzung liefert, innerhalb der die eckhartsche Ich-Bestimmung ihren
Ort findet, nämlich als Doppelung und damit als Vielheit begriffenes
`Ausfließen` aus der ´gotheit` im Vollzug der Reflexion des Denkens,
welche wiederum die Vielheit im Denken vereinheitlichend aufhebt und
damit unmittelbare Anwesenheit bei dem als Trinität gedachten Gott
erreicht, um diesen wissend und willentlich – da Doppelung – in der
Aufhebung seiner Selbst auf die `gotheit` hin zu `durchbrechen`. Dort
angekommen, erkennt das Ich sich selber in der Einheit von `Ausfluß` und
`Durchbruch` als den Selbstvollzug der einen `gotheit`.
Dieser Vorgriff auf die Bestimmung der eckhartschen Ich-Struktur soll nun
in einzelnen Schritten entfaltet und entlang seiner Werke begründet werden.
Daß der Beginn der Entfaltung der Ich-Struktur notwendigerweise bei der
Bestimmung dieser innerhalb der `gotheit` seinen Ausgangsort findet,
erklärt sich auch hier aus der Tatsache, daß die absolute Einheit im
eckhartschen Begriff der `gotheit` innerhalb seiner Zeit als erste und
sicherste Reflexion Voraussetzung und damit Ausgang aller anderen war.
67
1.
Der Ich-Begriff und der Begriff `gotheit`
Der Eckhartsche Begriff der ´gotheit`, als absolute Einheit gedacht, erweist
zunächst seine Erhabenheit über alle Vielheit in der Art, wie er von dieser
ihrer Entzweiung wegen nicht unmittelbar erkannt werden kann. Weil
jegliche Entzweiung aber notwendigerweise sowohl Begrenzung und daher
Raum wie auch Vergänglichkeit und daher Zeit in der Gleichzeitigkeit ihres
Erscheinens hervorbringt, muß die absolute Einheit in sich raum- und
zeitlos, daher als absolute Gegenwart und in dem Sinne der Vielheit
gegenüber als erhaben (`superius`) gedacht werden, wie sie keinerlei
Gesetzmäßigkeiten und somit Begrifflichkeiten unterworfen von diesen
unberührt bleibt 142. Als absolute Gegenwart aber ist sie in ihrer
Gleichzeitigkeit weder Ursprung noch Ende der Vielheit (sie wäre damit ein
Etwas, mithin wiederum Doppelung), sondern ist in ihrer Präsenz, gedacht
als unmittelbare Anwesenheit bei der Vielheit, die Ermöglichung der
Zeitabfolge und daher der Zeitwahrnehmung schlechthin, kann nämlich die
Erste von der Zweiten nur deswegen wahrgenommen werden, da beide
Doppelungen und damit Bestandteile des Reflexionsverhältnisses sind und
die Gegenwart als Einheit notwendigerweise voraussetzen.
Daher ist die `gotheit` immer schon da, und das vor der Vielheit, in der
Vielheit und nach der Vielheit, wobei sie mit dem Hervortreten der Vielheit,
so Eckhart, zum Gott wird in dem Sinne, wie sie von der Vielheit im
Denken als Denken und somit unmittelbar dem Begriff nach gedacht
werden kann143.
Weil aber, wie erneut gezeigt worden ist, die `gotheit` wegen ihrer absoluten
Einheit und Gegenwart als unabhängig, im Sinne von unberührt von aller
Vielheit und damit von Raum und Zeit gedacht werden muß und
gleichzeitig, so Eckhart, eine unmittelbare Anwesenheit bei sich zuläßt, so
besteht diese unmittelbare Anwesenheit des Ichs bei der `gotheit`
notwendigerweise vor dem `Ausfließen` dieser als Gott und somit vor der
Schöpfung. Kann aber bei der `gotheit` im Unterschied zu Gott, weder ein
`Vor` noch ein `Nach` der Schöpfung gedacht werden, so muß die
unmittelbare Anwesenheit des Ichs bei der `gotheit` notwendigerweise ein
142
In Joh. n. 207, LW III, S. 174 f.
143
Vgl. dazu: Pred. 52, DW II, S. 486 ff.
68
permanenter Ist-Zustand sein im Sinne der absoluten Gegenwart und daher
ebenfalls absoluten Einheit144.
Wenn dem so ist, muß die Struktur des Ich-Begriffes derart bestimmt sein,
daß ihre Anwesenheit bei der `gotheit` gedacht werden kann.
2.
Die Ich-Struktur in der `gotheit`
Recht bedacht hat sowohl die vorhergehende wie auch diese Überschrift
eine paradoxe Formulierung zum Inhalt, suggeriert sie nämlich mit dem
Begriff der Ich-Struktur und dem der ´gotheit` ein räumliches, mit dem `vor
der Schöpfung` auch ein zeitliches Verhältnis innerhalb der absoluten
Einheit. Die Not der Formulierung aber, die per definitionem immer als
Vielheit zu begreifen ist, offenbart sich bezüglich der gestellten Frage
insofern als Tugend, verweist sie allein schon der Sprache nach auf die
Widersprüchlichkeit und somit Unmöglichkeit, irgend ein Etwas, und damit
Zeitlichkeit wie auch Räumlichkeit innerhalb der `gotheit`, dem Begriff
nach zu denken. Ein solches Etwas wäre demnach das Ich, während das `in`
die `gotheit` ebenfalls zum solchen herabsetzen müsste und es sprachlich
auch tut. Der Begriff der absoluten Einheit ist damit der Reflexion des
Denkens zwar gegeben, entzieht aber gleichzeitig dieser seinen `Inhalt`, so
daß er nicht vor–gestellt, wohl aber, aus der Not der Entzweiung heraus,
dieser notwendig vorausgesetzt werden muß.
Um daher die prinzipielle Anwesenheit des Ichs bei der `gotheit` denken zu
können, benötigt Eckhart einen Ich-Begriff, der mit dieser identisch sein
muß, da in der `gotheit` als das Absolute nur das Absolute, mithin sie selbst
dem Begriff nach gedacht werden kann.145
144
Vgl. dazu: Pred. 52, DW II, S. 504 f: „sô bin ich ob allen crêatûren und enbin weder got
noch crêatûre, mêr: ich bin, daz ich was und daz ich bl°iben sol nû und iemermê.“
145
Vgl. – übrigens die vorliegende Untersuchung mit anregend – B. Mojsisch, <Dieses
Ich>: Meister Eckharts Ich-Konzeption, in: K. Flasch/ U.R. Jeck (Hrsg.): Das Licht der
Vernunft. Die Anfänge der Aufklärung im Mittelalter, München 1997, S. 101:
„Eckharts spezifisches Interesse war es nun, dem Ich des Menschen, sofern es Ich ist, eine
besondere Stellung einzuräumen, ungeschützt formuliert: Das Ich als solches tritt an die
Stelle der Gottheit. Deshalb müssen mindestens zwei Probleme geklärt werden: 1. Wie wird
das Ich des Menschen zur Gottheit – ein pädagogisch-philosophisches Problem? 2. Was ist
das Ich, wenn es an die Stelle der Gottheit getreten ist?“
69
Die Ich-Struktur also, unter dem eckhartschen Begriff der Seele, muß damit
jeweils die gleiche Struktur aufweisen wie der ihr korrespondierende
Gottesbegriff, von dem her sie abgeleitet und auf den hin sie gerichtet ist.
Die Entfaltung der Ich-Struktur läßt Eckhart daher der Entfaltung seines
Gottesbegriffes folgen und das in der Reihenfolge, wie dieser innerhalb
seiner „revelatio quoad nos“ das Wissen von sich selber, mithin die
Ableitung der Begriffe zuläßt. Der Beginn der Entfaltung liegt damit
notwendigerweise bei der ´gotheit´, die einzig als absolute Einheit gedacht,
für Eckhart Gott schlechthin ist. War aber, der Entfaltung des sicheren
Wissens innerhalb der zweiten Epoche wegen und somit der Form nach, der
Beginn dieser bei der `gotheit` anzusetzen, so kommt jetzt, wegen der
unmittelbaren Anwesenheit der Ich-Struktur bei der ´gotheit`, die inhaltliche
Notwendigkeit für diesen Ansatz hinzu, nämlich, wie im Folgenden zu
zeigen sein wird, die absolute Identität beider.
Aus dem Gesagten wird verständlich, weshalb die eckhartsche Folge
analytischer Urteile bezüglich der `gotheit` wie auch der ihr unmittelbar
anwesenden Ich-Struktur, von ihm als Grund der Seele begriffen, identisch
sein muß und wie folgt zum Ausdruck kommt:
Die absolute Einheit kann zwar als Begriff Gegenstand der Reflexion des
Denkens werden, ihrer Absolutheit wegen aber läßt dieser Begriff bezüglich
seines Inhaltes die Entfaltung synthetischer Urteile nicht zu, da diese eine
Kenntnis und damit Anwesenheit bei der Einheit selber im Denken zur
Voraussetzung hätten, was widersprüchlich ist. Deswegen ist die `gotheit`
ein „nihtgot“146 – da Gott noch als Denken im Denken dem Ich, wiederum
als Denken begriffen, unmittelbare Anwesenheit gewährt, – damit dem
Inhalt nach ein „unbekanntes“, da notwendigerweise kein Gegenstand des
Denkens mehr und somit ein „übergotten gotes“147.
Das eckhartsche `Über` im Sinne von `Außerhalb` der `gotheit` darf
wiederum nur in Bezug zum Ich als Einheit mit Gott, gedacht als Reflexion
Dazu auch W. Goris, Der Mensch im Kreislauf des Seins. Vom >Neuplatonismus< zur
>Subjektivität< bei Meister Eckhart, in: T. Kobusch/B. Mojsisch/O.F. Summerell (Hrsg.):
Selbst – Singularität – Subjektivität. Vom Neuplatonismus zum Deutschen Idealismus,
Amsterdam/Philadelphia 2002, S. 185 ff, bes. S. 192 ff. (>Ich< als Fundamentalkategorie
bei Meister Eckhart). Von Bedeutung auch die Arbeit von B. Mojsisch, Die Theorie des Ich
in seiner Selbst – und Weltbegründung bei Meister Eckhart, in: C. Wénin (Hrsg.): L‘
homme et son univers au moyen âge, Louvain-la-Neuve, 1982, Bd. 1, S. 267 – 272.
146
Pfeiffer S. 320, 28.
147
Pfeiffer S. 8, 5.
70
des Denkens verstanden werden und nur aus der Perspektive von dieser, die
in ihrer Eigenschaft als Doppelung die Einheit dem Inhalt nach nicht
immanent denken kann. Damit ist für Eckhart die `gotheit` absolut
beziehungslos148 und so bestimmt die begriffliche Voraussetzung ihrer
selbst als Gott, und dadurch erst „grund der gotheit“149 und somit das
Absolute150.
Deswegen entspricht dann dem `grund der gotheit` auf der Seite der IchStruktur im Begriff der Seele der Seelengrund, der allein, so Eckhart, frei
von allen Doppelungen ist und auch sein muß, weil er in der unmittelbaren
Anwesenheit bei der absoluten Einheit nur so gedacht werden kann151. Er ist
damit in sich absolut einheitlich und in dieser Einheit der Einheit, wie sie
Eckhart als `gotheit` gedacht hat, gleich152. Das „einvaltic“ gedacht im
Unterschied zu Vielheit, begreift die `gotheit` und den Seelengrund als
absolute Einheit vor dem Ausfließen dieser als die zeitlose Reflexion des
Denkens und damit Trinität, so wie vor dem Ausfließen Gottes, bestimmt
als zeitlicher Vollzug der relativen Einheit, begriffen als die Entfaltung ihrer
Kräfte, gedacht als Reflexion des Denkens und des Wollens153.
Der Grund der Seele aber, einfältig, da ledig aller Reflexionsverhältnisse
und daher in sich lauter154, gleicht damit nicht der `gotheit`, sondern ist
diese und das deswegen, weil die Gleichheit Doppelung und damit
Entzweiung voraussetzt und auch beibehält in der Weise, wie die Reflexion
des Denkens Gott in seiner Doppelung als Trinität erfasst und willentlich im
Sinne der imitatio dei nachahmt. Deswegen sagt Eckhart, daß Gott
148
Pred. 10, DW I, S. 171 f.: „got in sîne einunge und in sîner einoede: got in sîne
wüestunge und in sînem eigenen grunde: got in sîne gotheit und in sînem eigentuome sîner
eigenen natûre...“
149
Pred. 15, DW I, S. 247, 3.
150
Pred. 22, DW I, S. 388, 10 f. : „...diu stille vinsternisse der verborgenen vaterschaft.“
151
Pred. 2, DW I, S. 40. 2: „Ez ist von allen namen vrî und von allen formen blôz, ledic und
vrî zemâle...“
152
Pred. 2, DW I, S. 40. 3 f. : „Ez ist sô gar ein und einvaltic, als got ein und einvaltic ist...“
153
Vgl. dazu: Pred. 22, DW I, S. 389.
154
Pred. 21, DW I, S. : „Diu sêle in ir selber, dâ si obe dem lîchamen ist, ist so lûter und sô
zart...“
71
Gleichheit nicht ertragen kann, weil es in ihm, begriffen als `gotheit`, „niht
vremdes (keine Doppelung also) in der einicheit“ geben kann155.
Vor der Schöpfung also – und wegen der Zeitlosigkeit der ´gotheit`
notwendigerweise auch während dieser und nach ihr156 – ist der äußerste
Teil der Ich-Struktur begriffen als Seelengrund, zeitlos bei der `gotheit`
unmittelbar anwesend157, und da in der Einheit nur Einheit gedacht werden
kann, eins mit ihr in aller Ewigkeit: „ez gibet mir einsîn in der êwicheit“158.
In der `gotheit´ begriffen weist damit das `Ich` eine mit ihr
notwendigerweise identische Struktur auf und, als absolute Einheit gedacht,
kommt dem Ich in der `gotheit`, jetzt als `gotheit´, da unterschiedslos zu ihr,
eine und dieselbe Folge analytischer Urteile zu, wie sie die absolute Einheit
dem Begriff nach zuläßt.
Denkt Eckhart aber den Grund der Ich-Struktur in permanenter, weil
zeitloser Einheit mit der `gotheit`, somit als diese selbst – und damit vor,
während und nach der Schöpfung –, so ist die Frage nach dem „wozu“
derselben deswegen berechtigt, scheinen der Beginn wie auch das Ende
155
Pred. 13, DW I, S. 216.
156
Vgl. dazu: Pred. 22, DW I, S. 387.
157
Pred. 22, DW I, S. 382, 5: „...inneblîbende in dem êrsten beginne der êrsten lûterkeit...“
158
Pred. 13, DW I, S. 216, 7. Vgl. dazu aber auch die folgenden Bemerkungen – wenn sie
sich auch auf Seuse beziehen – von M. Enders, Selbsterkenntnis „im Seelengrund“ in: T.
Kobusch, B. Mojsisch, O.F. Summerell (Hrsg.): Selbst – Singularität – Subjektivität. Vom
Neuplatonismus zum deutschen Idealismus, Amsterdam/Philadelphia 2002, S. 227, mit
denen Enders (ein ebenso seltenes wie zu lobendes Beispiel in der deutschen
Geisteswissenschaft!) eine eigene früher vorgetragene Interpretation einer Stelle bei
Heinrich Seuse selbst korrigiert: „Meine frühere Interpretation dieser Stelle ... war von der
Aussage des Textes motiviert, daß das ‚vernúnftig gemuete ... och ewig ist‘ [Seuse, Leben
Seuses II, S. 191, 34 f.]. Aus der Annahme, daß der Ausdruck ‚ewig‘ hier im strengen Sinne
entzeitlichter Gegenwart zu verstehen sei, glaubte ich, auf die Identität des Seelengrundes
mit der ewig-innergöttlichen Seinsweise des Menschen schließen zu können. Daß diese
Annahme und der aus ihr gezogene Schluß jedoch falsch waren, daß also der Terminus
‚ewig‘ als Bestimmung des ‚vernúnftig gemuete‘ nicht im strengen Sinne einer
entzeitlichten Gegenwart und damit einer göttlichen Seinsbestimmung aufgefaßt werden
darf, davon konnte mich inzwischen ein Blick auf Seuses mutmaßliche Quelle im ersten
Kapitel des Itinerarium mentis in Deum Bonaventuras überzeugen, die von ihm hier
teilweise zitiert wird. Bei Bonaventura ist in bezug auf die menschliche (Geist-)Seele nicht
von imago Dei aeterna, sondern von imago Dei aeviterna die Rede. [Vgl. Bonaventura
Itinerarium mentis in Deum (Ed. Collegii S. Bonaventurae, tom. V, Quaracchi 1891), cap.
I, n. 2, p. 297] Offensichtlich übersetzt Seuse diesen Ausdruck mangels eines geeigneten
sprachlichen Äquivalents im Mittelhochdeutschen mit ‚ewig‘“.
72
dieser – indem sie aus der Einheit kommend mit dem Grunde der IchStruktur diese auch während der Schöpfung nie verlässt – identisch zu sein.
Gleichwohl die Frage nach dem „wozu“ der Schöpfung bereits an diesem
Ort der Überlegungen berechtigterweise aufkommt, so setzt die
Beantwortung derselben ein Wissen voraus, welches seinerseits wiederum
die unmittelbare Anwesenheit bei der `gotheit` im `Durchbruch` voraussetzt,
der eben damit und auch dadurch, da eine Art des Wissens hervorbringend,
edler aufzufassen ist als das Bleiben in ihr bzw. `Ausfließen` aus dieser159.
Der Form nach betrachtet also ist das bis hierher vorgetragene Wissen
sowohl um die ´gotheit` wie auch um die Ich-Struktur innerhalb dieser eines
aus der Perspektive der zweiten Gedachtes und zwar so, wie sich diese ihre
notwendige Voraussetzung denken muß, sobald sie sich selber als Reflexion
des Denkens im Vollzug und daher als Doppelung erkennt und eben noch
nicht als eines aus der Perspektive der unmittelbaren Anwesenheit bei der
Einheit selbst. Und weil sich das Ich als Doppelung erkennt, läßt sich diese
Erkenntnis als Folge synthetischer Urteile auffassen, kann nämlich das Ich
als Doppelung gedacht, dem Ich als Reflexion des Denkens, dem Begriff
nach zum Gegenstand der Betrachtung werden.
Daraus folgt wiederum – und dies soll zunächst an diesem Ort als Antwort
auf das `Wozu` der Schöpfung ausreichen – daß die Schöpfung die
Entfaltung synthetischer Urteile nicht nur zuläßt, sondern mit dem
Aufkommen der Reflexion des Denkens gleichgesetzt, sich als Folge
synthetischer Urteile und somit als die Hervorbringung des Wissens um sich
selbst und in sich selbst manifestiert160.
Die eckhartschen Begriffe `gotheit` und der „Grund“ der Ich-Struktur als
absolute Einheit gedacht, treten aus sich heraus (Schöpfung), jedoch nicht in
die Vielheit, denn das müßte diese als bereits gegeben voraussetzen,
sondern als diese und damit als Doppelung gedachter Vollzug der Reflexion
159
Vgl. dazu: Pred. 52, DW II, S. 500 ff. Folgt man der Struktur dieser Predigt, so erscheint
das Wissen um das Heraustreten der `gotheit` in die Reflexion des Denkens als Trinität
notwendigerweise als das Ergebnis der unmittelbaren Anwesenheit in ihr im Durchbruch,
und das, nachdem das Denken und der Wille bereits aufgehoben worden sind, was
wiederum deren Ausfluß voraussetzt.
160
Vgl. dazu: Pred. 45, DW II, S. 363 f.; Sermo XI, 2 n. 120, LW IV, S. 114 f. Die
„seeligkeit“, wie sich Eckhart ausdrückt, liegt hier in der Erkenntnis und daher in der
Einheit mit Gott, wie sich dieser bereits als Dreifaltiger in der Eigenschaft als Vollzug der
Reflexion des Denkens offenbart. Daß es sich dabei jedoch letztlich nicht um den
Endzustand handeln kann – wegen der Doppelung der Dreifaltigkeit – zeigt innerhalb der
Predigt 52, seine Aufhebung auf die aduale `gotheit` hin.
73
des Denkens, begriffen als Gott in seiner dreifaltigen Struktur vom Denker
(Vater ), Gedachtes oder Wort ( Sohn ) und dem Denken (Geist)161, welcher
gleichzeitig mit seinem Erscheinen, jedoch nicht im temporalen Nachher,
die Schöpfung denkend hervorbringt, ist in ihm doch Denken und Sein
eins162.
Der Form nach gesehen sind Gott und die Schöpfung dem Sein nach
insofern gleich, als beide im Heraustreten aus der Einheit in den Status der
Doppelung übergehen, inhaltlich betrachtet jedoch, und das heißt bei
Eckhart der konditional bestimmten Hierarchie des Denkens zufolge, erhebt
sich Gott über das Seiende derart, wie in ihm Denken und Sein
zusammenfallen und er dadurch ist, weil er denkt, damit seine Existenz der
eigenen Reflexion des Denkens verdankt und das in der Weise, wie die
Erste als immerwährendes Ergebnis der sich vollziehenden Zweiten in
Erscheinung tritt. Dieses In-Erscheinung-Treten-Gottes, da reflektiver Art,
ist immer schon ein Gedachtes und Seiendes zugleich, somit Einheitliches,
jedoch weil Doppelung kein Absolutes. Als Manifestation zerfällt es erneut
in das Seiende und seine begriffliche Erkenntnis, die damit die einheitliche
Voraussetzung zeitlich (nach-einander) und räumlich (getrennt voneinander) erkennend begreift. Diese Tatsache kann nur dann sinnvoll
bedacht werden, wenn die zeitliche Manifestation Gottes (relative Einheit)
ihrer Struktur nach Begriffsableitungen zuläßt. Die Struktur der zeitlichen
und räumlichen Manifestation also muß damit ebenfalls eine reflektive sein
und das wiederum notwendigerweise, ist nämlich nur die sich vollziehende
Reflexion des Denkens in der Lage einen Begriff hervor zu bringen.
Der dreifaltigen Struktur Gottes also muß seitens des zeitlichen Ichs eine
Struktur entsprechen, in die hinein sich Gott, jetzt als Begriff gedacht, nicht
nur offenbaren kann, sondern die ihrer Struktur nach – und damit von sich
aus in der Lage sein muß – eine unmittelbare Anwesenheit bei dem sich
161
Vgl. dazu: In Gen. n. 3, LW I, S. 186 f.: „ De primo sciendum quod principium, in quo
creavit deus caelum et terram,est ratio idealis. Et hoc est quod Joh. I dicitur: `in principio
erat verbum`- Graecus habet logos, id est ratio - et sequitur: `omnia per ipsum facta sunt, et
sine ipso factum est nihil´.(...) Hinc est et tertio quod commentator VII Metaphysicae dicit
quod quiditas rei sensibilis semper fuit desiderata sciri ab antiquis, eo quod ipsa scita
sciretur causa prima omnium. Vocat autem commentator, primam causam non ipsum deum,
ut plerique errantes putant, sed ipsam rerum quiditatem, que ratio rerum est, quam diffinitio
indicant, causam primam vocat.“
161
In Gen. n. 3, LW I, S. 186 f.
162
In Gen. n. 3, LW I, S. 186 f.
74
offenbarenden Gott zu erreichen. Denn beim ersten Anspruch an die
Beschaffenheit des Ichs stehengeblieben wäre Gott dem Ich ein Gegenüber,
mithin das Denken ein religiöses, während es, dem Begriff der Mystik
zufolge, auf die Einheit von beiden gerichtet sein muß. Diese Ausrichtung
des Denkens auf die Einheit mit Gott ist für Eckhart an dieser Stelle
deswegen möglich, denkt er Gott bereits als Ausfluß der `gotheit`, mithin als
Doppelung, die in Folge eine Begriffsableitung zuläßt163.
3.
Der Ich-Begriff und der Begriff `got`
Aus dem permanenten Ist-Zustand der absoluten Einheit, die bei Eckhart im
Begriff der `gotheit` die Identität des Seelengrundes und damit der IchStruktur mit Gott – sofern beide keinerlei Reflexionsverhältnisse mehr
aufweisen – zusammenfaßt, manifestiert sich `got` als eine dreifaltige
Struktur und ebenso der Mensch als Träger einer Ich-Struktur. Weil aber
Eckhart den Grund der Ich–Struktur immer schon in unmittelbarer
Anwesenheit bei der `gotheit` denkt, kann er die Manifestation der `gotheit`
in die Doppelung des Seins, bestimmt als Reflexion des Denkens und
begriffen als Trinität, immer nur gleichzeitig mit der Entfaltung der IchStruktur aus seinem einheitlichem Grunde heraus bedenken. Dieser Vorgang
als Ganzes ist damit notwendigerweise zeitlos wegen der absoluten Einheit
des Seelengrundes164 und ebenfalls zeitlos wegen der Einheit der Trinität,
jedoch zeitlich, so sich diese im Nacheinander begreifend entfaltet165.
Die Parallelität der Entfaltung des Ichs aus seinem eigenen einheitlichen
Grunde und Gottes als Trinität aus der `gotheit` bietet zunächst die
Möglichkeit an, daß sowohl Gott der Dreifaltige wie auch die Ich-Struktur
des Menschen in keinster Weise zusammen gedacht werden können, und
das wegen der ontologischen Differenz, welche zwischen den beiden
163
In Joh. n. 195, LW III, S. 163 f.: „ Nihil enim cognoscitur per aliud sive alienum a se,
sicut nec est per aliud. Notum est autem omne superius, omne divinum, in quantum
huismodi, sibi soli et genito a se ipso, quod non est aliud nec alienum ab ipso. Generat enim
unumquodque alterum se, non aliud a se.“
164
Pfeiffer, S. 3, n. 4: „...die got der vater hât geborn unde gebirt âne undelâz in êwigkeit,“
165
Pfeiffer, S. 3, n. 5: „ ...daz diu selbe geburt nû ist geborn in der zit in menschlîcher
nâtûre.“
75
notwendigerweise gedacht werden muß, soll Gott als Gott und somit als
absolute Einheit begriffen und auch belassen werden.
Hier erweist der eckhartsche Gottesbegriff in der Differenzierung zwischen
`got` und `gotheit` seine Stärke gegenüber dem der maßgeblichen Tradition,
wonach bereits innerhalb der Trinität die absolute Einheit gesucht und als
solche bedacht wird, und zwar in der Person des Gott-Vaters, dessen
Absolutheit sich „quoad nos“, und das heißt im Wort als Sohn, mithin
Doppelung, der Vielheit (und nicht als Vielheit) offenbart hat.
Weil die gesamte Schöpfung, somit auch das menschliche Ich, innerhalb der
Religion des Christentums als „creatio dei extra sui“ gedacht wird, befindet
sich das Ich außerhalb der Trinität und damit notwendigerweise dieser, der
Qualität des Seins nach betrachtet, unterstellt. Von sich aus kann das so
gedachte Ich hinsichtlich der Überwindung dieser Spaltung nichts tun –
allein schon die Möglichkeit einer eigenständigen Ausrichtung auf Gott
widerspräche der „ontologischen Schranke“ zwischen den beiden Größen –
und ist damit von vorneherein als erlösungsbedürftig bestimmt. Die
Erlösung als Gnadenakt und somit Eingriff der Einheit in die Vielheit wird
innerhalb des Christentums in der Erlösergestalt Christi begriffen, in der
exemplarisch und explizit, da als Einheit und Vielheit zugleich bestimmt,
diese Schranke auf die als Doppelung begriffene Einheit hin als überwunden
gedacht wird. Das Ich als „creatio ex nihilo“ und somit „extra die“ – hier
wird der Begriff Gott im engerem Sinn nur auf den innertrinitarischen
Vorgang selbst bezogen, der ausschließlich die drei göttlichen Personen
umfaßt – ist zwar nach seinem Bild geschaffen, dies jedoch nur in analoger
Weise, so daß es zeitlebens trotz der Menschwerdung Christi Vielheit bleibt,
um danach in Gott aufgenommen zu werden, jedoch nicht als Gott im Sinne
der absoluten Einheit. Damit entledigt sich das Ich seiner selbst als Vielheit,
jedoch nicht der endgültigen Doppelung, welche die Formulierung `in Gott`
weiterhin aufrechterhält, indem sie ein wie auch immer gedachtes Ich
beibehält und dieses in die zeitlose Betrachtung Gottes versetzt. Das Ich, in
der Tradition um Eckhart, ist damit durchgehend getrennt von Gott gedacht
worden und das beginnend mit der „creatio (ex nihilo)“, über die analoge
Seinsweise hindurch, bis hin zur „salvatio“, welche, wie eben gezeigt,
weiterhin Zweiheit und damit einen Unterschied in Gott beibehält.
Jetzt wird verständlich, weshalb formal – und das heißt zunächst zum
Beginn seines Werkes (entsprechend auch dieser Arbeit) – wie auch dem
Inhalt nach die absolute Einheit der Ich-Struktur mit Gott im Begriff der
`gotheit` bedacht worden ist, denn so Eckhart selbst:
76
„ `nemo ascendit in caelum, nisi qui descendit de caelo`.“166
Soll also die absolute Einheit zwischen dem Ich und Gott, also die `gotheit`
wiederhergestellt werden, so muß dieselbe Einheit notwendigerweise immer
schon bestehen, weil es sonst nicht denkbar ist, wie diese aus der Vielheit
heraus erreicht werden soll, ist doch jedes Wollen und Denken, damit
jegliches Bestreben, immer nur die Fortsetzung der Entfaltung der Vielheit
wie auch gleichzeitig ihre Aufrechterhaltung167. Anders ausgedrückt:
Einheit als Ziel kann nur dann erreicht werden, wenn sie als solche der
Ausgangspunkt der Bewegung selbst ist, mithin ihr Ursprung. Fallen aber
im Begriff der absoluten Einheit Anfang und Ende zusammen in dem Sinne,
wie jegliche unterscheidende Begriffe und damit Verstandesprinzipien auf
sie bezogen ihre Gültigkeit verlieren, so ist der Vielheit der Begriff ihrer
Erscheinung einzig und allein das Ergebnis ihrer eigenen
Betrachtungsweise, damit eine Frage der Erkenntnis und nicht des Seins.
Weil aber nur das Heraustreten der Einheit als Ganzes und nicht ein
Heraustreten aus der Einheit denkbar ist – im zweiten Falle wäre nur ein
größeres Ganzes gedacht, mithin nicht Einheit – ist die Entfaltung der IchStruktur aus ihrem eigenen Grunde und Gottes als Trinität aus der `gotheit`
notwendigerweise ein und derselbe Vorgang. Mehr noch: Auf Grund der
absoluten und daher stets gegenwärtigen Einheit beider Größen im Begriff
der `gotheit´ kann Eckhart den Gedanken der „creatio ex nihilo“ fallen
lassen168, der das Ich in die analoge Seinsweise führt. Er formuliert jetzt den
einen Vorgang des Heraustretens der `gotheit` wie folgt:
„ got unde gotheit hât underscheit als verre als himel und erde. Ich spriche
mê: der inner und ûzer mensche die hânt alse verre underscheit als himel
und erde.“169.
166
In Joh. n. 279, LW III, S. 234.
167
Vgl. dazu: Pred. 11, DW I, S. 179: „ Ich sprach einest: einicheit einet alle
manicvalticheit, aber manicvalticheit eneinet niht einicheit.“
168
Vgl. dazu: Prol. gen. LW I, S. 161: „ Non ergo falsum imaginandum est quasi deus
proiecerit creaturas vel creaverit extra se in quodam infinito seu vacuo.“; In Joh. n. 329,
LW III, S. 278: „ Sic etiam omne, quod natum est vel quod nascitur ab uno ut unum,
necessario est unum. Ab uno enim ut sic non procedit nisi unum.“
169
Pfeiffer, S. 180, 15 ff.
77
Der innere Mensch in der absoluten Einheit mit der `gotheit` gedacht, tritt
hervor – jetzt im Sinne der creatio – als äußerer Mensch in gleicher Weise
und zeitgleich, wie der trinitarische Gott aus der ´gotheit`. Mehr noch:
wegen der Einheit vom inneren Menschen und der `gotheit` sind der äußere
Mensch und Gott Zeitgleiche, da mit ihrem Aufkommen das Erscheinen der
Vielheit und somit die Zeit zusammenfällt170.
Denkt Eckhart den Grund der Ich-Struktur in der `gotheit` und damit mit ihr
identisch, so bleibt die Frage offen, wie sich diese in ihrem Ausfluß als
Vielheit zu Gott, der seinerseits als Ausfluß der `gotheit` gedacht und als
Trinität begriffen, verhält. Fraglich ist das Verhältnis vor allem deswegen,
weil bei der Annahme der absoluten Einheit und daher Identität beider
Größen im Begriff der `gotheit` zusätzlich zu der vertikalen Spaltung in
Einheit und Vielheit, das heißt der `gotheit` (Einheit) in Gott als Trinität
(Doppelung) und des inneren Menschen (Einheit) in den äußeren Menschen
(Doppelung) eine horizontale Spaltung hinzukäme: zwischen dem Begriff
des trinitarischen Gottes und der als Doppelung verstandenen äußeren IchStruktur des Menschen.
Zweifelsohne bedenkt die christliche Theologie bis in die Gegenwart hinein
das Verhältnis Gottes als Trinität zum Menschen und umgekehrt immer
schon in der Weise, wie sie die Eigenständigkeit beider grundsätzlich in der
Entfaltung der Überlegungen von Beginn an voraussetzt. Diese Möglichkeit
drängt sich auf, mehr noch, sie ist die einzig logische, sobald ein dualer
Ausgangspunkt der Begriffsentfaltung beider angenommen wird. Das genau
aber ist bei Eckhart nicht der Fall! ´Gotheit,` dem Begriff nach, ist die
absolute Einheit von Ich und Gott, daher analytisch entfaltet zugleich
absolute Gegenwart, mithin permanenter Ist-Zustand, bestimmt als
Wechselerscheinung von Ausfluß (Vielheit) und Durchbruch (Rückkehr),
weshalb eine erneute Spaltung des Abschnittes der Vielheit in Gott und Ich,
der Logik nach, keineswegs mehr zwingend notwendig ist. Mehr noch: Die
Annahme der Trinität als absolute Einheit scheitert für Eckhart an der
Tatsache der ihr dem Begriff nach innewohnenden „Doppelung“,
ausgedrückt in der Dreiheit der göttlichen Personen. Damit ist der
trinitarisch gedachte Gott nicht mehr Gott, da ´über` ihn der Begriff der
`gotheit` gedacht werden kann und muß, welcher, über alle Doppelungen
erhaben, ein qualitatives `Mehr` gegenüber dem trinitarisch gedachten Gott
aufweist171.
170
Pred. 52, DW II, S. 504: „ Dô ich ûz gote vlôz, dô sprâchen alliu dinc: got der ist.“
171
Vgl. dazu: Anselm v. Canterbury, Proslogion, cap. II. Hierzu die Studie von B. Weiß,
Der Einfluß von Anselm von Canterbury auf Meister Eckhart, in: Analecta Anselmiana
78
Zugleich eröffnet der Begriff Gott die Entfaltung synthetischer Urteile –
etwa in der Benennung der drei Personen und ihres Verhältnissens
zueinander – woran seine Relativität (exakt im Sinne von Beziehung
verstanden) erkennbar, weil denkbar, zum Vorschein kommt.
Aus dem Gesagten resultiert, daß Eckhart durch die Einführung des
Begriffes der `gotheit` für die absolute Einheit gleichzeitig den bis dahin
unter dem Begriff der Trinität gedachten Gott nicht mehr als Gott denken
und der Vielheit als Begriff der absoluten Einheit voraussetzen kann. Die
Trinität als Ganzes und nicht nur, wie in der Tradition angenommen wurde
und wird, der Sohn alleine, ist bereits - da Doppelung und somit als
Doppelung – begreifbar. Sie ist damit immer schon Offenbarung, mithin
Verlust der absoluten Einheit und eben dadurch nicht mehr Gott172.
Und weil der als absolute Einheit gedachte Gott nur der doppelungsfreien
`gotheit` zukommen kann und diese wegen der Unmittelbarkeit ihrer
Voraussetzung keine Vermittlung zuläßt – so gesehen keinen, wie auch
immer gedachten Gott zwischen dem Ich und der `gotheit` duldet – wozu
der trinitarisch gedachte Gott, nach der Einführung des Begriffes der
`gotheit` degradiert worden wäre, ist die Trinität die Weise des
Heraustretens der absloluten Einheit, welche Eckhart nicht mehr erneut
spalten kann und muß, in den trinitarischen Gott und die, wie auch immer
gedachte äußere Ich-Struktur, weil er damit die absolute Einheit der
`gotheit` durch die Einführung des trinitarischen Schöpfergottes aufzuheben
suchte, was in sich widersprüchlich ist.
Die `gotheit` manifestiert sich als Trinität nach Eckhart also als Vollzug des
Denkens, die gleichzeitig Vielheit setzt, weil sie sich als diese entfaltet. Da
die `gotheit` dem Begriff nach identisch ist mit dem Grund der Ich-Struktur,
muß als Folge dieser begrifflichen Voraussetzung die Trinität nicht nur als
Manifestation der `gotheit`, sondern auch des Grundes der Ich-Struktur
gedacht werden, die identisch mit der trinitarischen Struktur Gottes sein
muß, da ein Unterschied zwischen den beiden im Heraustreten der Identität
IV/2, Frankfurt 1975. Dazu M. Enders, Denken des Unübertrefflichen, in: Jahrbuch für
Religionsphilosophie I/2002, S. 69 f.
172
Hier handelt es sich um die entscheidende Stelle, an der sich Eckhart von Augustinus
und damit auch seiner Deutung des Neuplatonismus absetzt. Augustinus setzt die absolute
Einheit mit dem Begriff des Vaters innerhalb der Trinität gleich, dessen Offenbarung im
Wort (Sohn) quo ad nos geschieht und als Begriff vom vernünftigen Teil der Seele in
Empfang genommen werden kann, welche auf diesen Vorgang hin geschaffen worden ist.
Vgl. dazu: Augustinus, De trinitate, lib. XIII, cap. XVII ff.
79
beider im Begriff der `gotheit` widerspräche, wodurch dieser, da erneut
Doppelung bestünde, die Voraussetzung der absoluten Einheit abgesprochen
werden müßte173.
Daß Eckhart die Begriffe `gotheit`, `got` und Ich mit ihren jeweiligen
Konsequenzen sehr wohl nicht nur inhaltlich, sondern auch der Form nach
streng zu unterscheiden gewußt hat, spiegelt erneut der Aufbau seines
Werkes, worin er im systematischen Teil nur den trinitarisch gedachten Gott
und die sich davon analog ableitende äußere Ich-Struktur als die sich
vollziehende Reflexion des Denkens bestimmt, sowie deren Verhältnis
zueinander, in welchem die Trinität im Denken der ebenfalls als solcher
begriffenen Ich-Struktur unmittelbare Anwesenheit gewährt, soweit sich
diese, innerhalb der Denkhierarchie bedacht, im Denken selber
vereinheitlicht (sie wird, was sie denkt, und denkt, was sie ist), mithin
aufhebt.
Die unmittelbare Anwesenheit der Ich-Struktur bei dem trinitarischen Gott
ist damit zwar denkbar, offenbart sich jedoch immer nur als Doppelung, da
die Trinität, als Reflexion des Denkens begriffen, eine solche der Struktur
nach ist: drei wesensgleiche göttliche Personen. Die Doppelung aber als Ziel
der Aufhebung derselben ist ein Widerspruch in sich, weswegen Eckhart der
Trinität den Status der `gotheit` und damit der absoluten Einheit
abgesprochen hat174.
Weil damit der trinitarisch gedachte Gott für Eckhart notwendigerweise
nicht mehr der Gott – also absolute Einheit – ist und als solcher der als
Vielheit begriffenen Ich-Struktur, da selber Vielheit, kein Ziel (wohl aber
Ursprung und Ende), wird die bis dahin innerhalb der christlichen Tradition
mit dem Begriff Gott bedachte trinitarische Struktur der sich vollziehenden
173
Pred. 52, DW II, S. 502: „ Her umbe sô bite ich got, daz er mich ledic mache gotes, wan
mîn wesenlich wesen ist obe gote, alsô als wir got nehmen begin der crêatûren; wan in dem
selben wesene gotes, dâ got ist obe wesene und ob underschiede, dâ was ich selbe.“ Gott als
Beginn der Kreaturen ist damit immer schon und immer nur die sich vollziehende
Reflexion des Denkens, welche notwendigerweise unterhalb, da Vielheit, des einheitlich
begriffenen Grundes der Ich-Struktur zu denken ist und zwar als dessen gewollte
Schöpfung: „ dâ wollte ich mich selben und bekante mich selben ze machenne disen
menschen.“
174
Pred 52, DW II, S. 493: „ Nû sprechen wir, daz got nâch dem, als er `got` ist, sô enist er
nihit ein volmachet ende der crêatûre; alsô grôze rîcheit hât diu minste crêature in gote.
Und waere daz sache, daz ein vliege vernunft haete und möhte vernünfticlîche suochen den
êwigen abgrunt götlîches wesens, ûz dem si komen ist, sô spraechen wir, daz got mit allem
dem, daz er `got` ist, sô enmöhte er niht ervüllen noch genuoc tuon der vliegen.“
80
Reflexion des Denkens von Eckhart im ersten Schritt als solche erkannt
(systematischer Teil) und mit der ganzen äußeren Ich-Struktur als
permanenter, da zeitloser Ausfluß der `gotheit`, identisch gesetzt (das Werk
der Predigten).
Die Verbindung zwischen seinem systematischen Werk und den Predigten
besteht also darin, daß das Erste reine preparatio des Begriffes der Reflexion
des Denkens und gleichzeitig selbst ihr eigenes Ergebnis ist, während die
`gotheit`, von der Reflexion des Denkens notwendigerweise dem Begriff
nach als absolute Einheit vorausgesetzt, in der Aufhebung derselben und
daher weder im Begriff noch als Doppelung die unmittelbare Anwesenheit
bei sich selber zuläßt, welche wiederum in der Gleichzeitigkeit, da absolute
Einheit, in der Aufhebung des Unterschieds von Vielheit und Einheit
mündet. Und weil die Aufhebung der Spaltung in Einheit und Vielheit mit
der Aufhebung der Reflexion des Denkens im gleichen Akt zusammenfällt,
mithin kein Akt des Denkens sein kann, verlegt Eckhart das Sprechen davon
notwendigerweise aus dem systematischen Teil seiner Werke in die
Predigten, welche als Reden der Unterweisung und somit reine revelatio der
Caritas die prepa-ratio zwar voraussetzen, jedoch nur so weit, wie diese aus
dem Bedürfnis der absoluten Erkenntnis heraus sich selbst und die Einheit
dem Begriff nach aufgeben müssen, was der Selbstaufhebung auf der einen
und gleichzeitig der unmittelbaren Anwesenheit bei der Einheit selber, auf
der anderen Seite, gleichkommt 175.
Der von Eckhart in seinen Predigten eingeführte Begriff der `gotheit´ mit
seinen oben nachgedachten Folgen erweist sich damit als der erste
ernsthafte Versuch innerhalb der christlichen Theologie, den Begriff der
175
Der in diesem Zusammenhang oft zitierte Beitrag von K. Flasch, Meister Eckhart und
die `Deutsche Mystik`, Amsterdam 1988, S. 439 ff. hält seine Kritik gegen eine mystische
Vereinnahmung und für eine systematisch-philosophische Quellenforschug Eckharts nur
solange berechtigterweise als begründet aufrecht, wie die Mystik allein schon als Begriff
von der Wissenschaft – gemeint ist in diesem Fall vor allem die Philosophie - unbedacht
bleibt. Verharrt die Philosophie in dieser Position der Mystik gegenüber, so ist das kein
Argument für sie, da sie damit zweifelsohne ein Gebiet der abendländischen
Geistesgeschichte außer Bedacht läßt und somit den Anspruch, `die Philosophie` sein zu
wollen, damit aufgibt. Das Plädoyer von K. Flasch für den, wie auch immer verstandenen
Begriff der Philosophie und gegen den, in der Regel zwar formulierten, keinesfalls jedoch
allgemein bestimmten Begriff der Mystik läuft Gefahr das eckhartsche Werk in der
gleichen Weise einseitig zu deuten, wie die vom Autor kritisierte Subsumierung unter einen
unklaren Begriff derselben. Ein systematisches Durchdenken dieser, wenn auch inhaltlich
angreifbar, ist doch formal gesehen der einzig mögliche Weg, der Weite des eckhartschen
Denkens Folge zu leisten, dem es offensichtlich meisterhaft gelungen ist, beides zu
verknüpfen.
81
absoluten176 Einheit mit all seinen Konsequenzen einzuführen, der, wie
bereits angedeutet und im Folgenden weiterhin näher auszuführen sein wird,
der äußeren Ich-Struktur den zuvor von dem trinitarisch gedachten Gott
besetzten Begriff zuweisen wird177.
176
Die Betonung liegt hier deswegen auf dem Begriff der Absolutheit, da der
Einheitsbegriff ohne diese Radikalisierung sehr wohl Bestandteil der Tradition innerhalb
der Entfaltung der Trinitätslehre gewesen ist. Vgl. hierzu vor allem Augustinus, De
trinitate. Auch Eckhart, wie bereits gezeigt worden ist, denkt die konditinal erkannte
Trinität als Einheit, ihrer Doppelungen wegen jedoch nicht als das Absolute.
177
Den Gedanken der absoluten Einheit zwischen dem Ich und Gott im Begriff der
`gotheit` entwickelt Eckhart, wie bereits gezeigt worden ist, einzig und alleine in seinen
Predigten (vgl. dazu Kap. II, 2b und c. dieser Arbeit). Das Gleiche gilt für die Einheit
zwischen dem äußern Ich und dem trinitarischen Gott. Das `Wie` dieser wird ebenfalls von
ihm nur innerhalb der Predigten bedacht. Die systematischen Werke bereiten die jeweiligen
Begriffe vor und zwar in der Weise, daß die Gleichheit ihrer jeweiligen Strukturen bereits
erkennbar ist und das vor allem dann, wenn diese aus der Perspektive der bereits zur
Kenntnis genommenen Predigten analysiert werden.
Damit ist der Unterschied zwischen dem Systematischen Werk und dem Predigerwerk
analog der gleiche wie zwischen dem Begriff der Religion und dem der Mystik. Das Erste
ist jeweils, der Logik des sich entfaltenden Wissens nach, notwendig die Voraussetzung des
Zweiten. Formal betrachtet läßt die Mystik als Einheitslehre keine Entfaltung synthetischer
Urteile zu, gehört daher als Abhandlung nicht in den Bereich der auf Vernunft gestützten
Wissensentfaltung. Die Trennung beider Bereiche im Werke Eckharts ist daher verständlich
und unterliegt keineswegs der Willkür ihres Schöpfers und auch nicht des Kommentators.
Die Verfasser der neuesten Werke der Eckhartforschung sind sich zwar in der
Herausarbeitung der eckhartschen Schlüsselbegriffe weitgehend einig, lassen aber die
Konsequenzen eigener Einsichten außer Acht, indem sie die Dualität zwischen Gott und
Mensch anhand der eckhartschen Werke verfeinern, jedoch nicht verlassen und daher in
Selbstwiderspruch treten. So befasst sich R. Manstettens Gesamtinterpretation Eckharts
„Esse est Deus“, Freiburg/München 1993 erst im letzten Teil mit dem Begriff der `gotheit`,
der, würde er vom Autor in seiner Wirkung ernst genommen, die duale Auffassung
einzelner Kapitel im Ansatz unmöglich machen würde. Ohne die permanente
Voraussetzung der `gotheit` ist Eckharts Einheitsdenken in einzelnen Gebieten nicht
vollziehbar.
Die Arbeit von A. Wilke, Ein Sein – Ein Erkennen, Lang Verlag 1995, differenziert
überhaupt nicht die Begriffe Gott und `gotheit`, woraus als Folge nicht einsichtig ist,
weswegen der Gott-Vater als Teil der Trinität, bzw. diese, als absolute Einheit auch noch
im neuplatonischen Sinne begriffen werden sollen. Die Entfaltung des Einheitsbegriffes
(Ebd. Kap. 2.6.4.2) stützt sich auschließlich auf das systematische Werk Eckharts, verkennt
damit formal wie auch inhaltlich den Begriff der `gotheit` und damit den der Einheit. Die
Behauptung: „ Eckhart denkt Einheit trinitätstheologisch“ (Ebd. Kap. 4, S. 443) ist
schlichtweg falsch und liefert demnach eine Voraussetzung für den Vergleich mit der
angeführten östlichen Einheitslehre Śamkaras, der dieser nicht standhält, weil er nicht
standhalten kann, da er sich, auf die Trinität als Einheit verstanden, immer wieder als dual
erweist. Die daraus resultierende Schlußbemerkung, der Vergleich sei sinvoll, da er die
Unterschiedlichkeit der jeweiligen Einheitslehren verdeutliche (ebd. S. 448) ist damit aus
82
4. Die Ich-Struktur und der Begriff der Trinität
Der Unterschied zwischen der inneren und der äußeren Ich-Struktur ist für
Eckhart der Unterschied zwischen der absoluten Einheit - dem Grund der
Ich-Struktur – und seiner Erscheinungsform178, die zwar zunächst einen
Unterschied aufweist, jedoch nicht als Unterschiedliches gedacht werden
kann, müsste sie damit ein Außerhalb der Einheit setzen, mithin diese
aufheben. Weil der Grund der Ich-Struktur, als absolute Einheit im Begriff
der `gotheit` gedacht, sich eben dadurch auszeichnet, daß er keinerlei
Doppelungen aufweist 179, müssen die äußere Ich-Struktur und ihr eigener
Grund gleichzeitig einheitlich und unterschieden sein, da sie, der absoluten
Einheit des eigenen Grundes wegen, von diesem nicht getrennt gedacht
werden kann und doch in gleicher Hinsicht, allein durch die Tatsache ihrer
Manifestation, eine Doppelung und daher Unterschied setzt. Die
solchermaßen angedeutete Entfaltung der äußeren Ich-Struktur ist dem Satz
vom Widerspruch und somit dem Prinzip der ersten Epoche180 nach
undenkbar, wodurch Eckhart notwendigerweise auf die plotinische Vorlage
des absolut Einen zurückgreift, das als Prinzip der zweiten Epoche das
Prinzip der ersten Epoche in seiner Eigenschaft als sicherstes Wissen
ablöst181.
zweifachen Gründen falsch. Zum einen, weil die auf dem Begriff der Trinität aufbauende
Interpretation Eckharts keine Einheitlehre hergibt, zum anderen ist die Behauptung, es gäbe
unterschiedliche Einheitslehren, in sich als Satz ein Widerspruch, da es, dem Begriff der
Einheit zufolge, immer nur eine geben kann. Ein Vergleich muß daher notwendigerweise,
was die Einheit an sich betrifft, entweder mit der Identität der Verglichenen oder dem
Erweis enden, daß eine von beiden, gegebenfalls auch, beim Vorhandensein eines tertium
comparationis (was die Arbeit vermissen läßt), beide, sich dem Begriff nach nicht als
solche bestimmen lassen.
178
Vgl. Pfeiffer, S. 180, 16 f.
179
Pfeiffer, S. 181, 10: „ ...diu gotheit wirket niht, si enhât niht zu wirkenne, in ir ist kein
werc.“
180
Zu den Prinzipien der abendländischen Philosophie vgl. abermals H. Boeder, Topologie
der Metaphysik, op. cit. Dazu auch, gleichsam als Kurzfassung, B. Uhde, Katholische
Theologie und neuere Philosophie. Zum Verhältnis zweier Wissenschaften, in: G.
Stephenson (Hrsg.): Der Religionswandel unserer Zeit im Spiegel der
Religionswissenschaft, Darmstadt 1976, S. 248 ff.
181
Zum detaillierten Nachweis plotinischen Gedankengutes im Werke Eckharts vgl.: H.
Ebeling, Meister Eckharts Mystik, Stuttgart 1941, sowie auch H. Hof, Scintilla Animae.
Eine Studie zu einem Grundbegriff in Meister Eckharts Philosophie mit besonderer
83
Die Konsequenz aus der Voraussetzung der absoluten Einheit hebt
sämtliche Eigenständigkeit außerhalb ihrer selbst auf, aus der logischen
Folge heraus, daß ein Außerhalb ihrer nicht mehr gedacht werden kann182.
Die äußere Ich-Struktur muß demnach die zeitliche Erscheinung des sich
permanent - und weil einheitlich, deswegen auch zeitlos – offenbarenden
eigenen Grundes sein.183
Diese Manifestation des Grundes nennt Eckhart „homo“184, der sich selbst
als „animal rationale“185 begreift, um im Vollzug des Begreifens, der
Einsicht in die Beschaffenheit desselben als Doppelung, die Einheit –
zunächst dem Begriff nach – vorauszusetzen, als deren Bild (`ad imaginem
dei`)186 und somit Vollzug er sich selber versteht.
Entfaltet sich der Ich-Grund zunächst als Doppelung und dann als Vielheit,
so folgt das Nach-Denken dieser Entfaltung der Chrono-logie ihrer
begrifflichen Entfaltung, indem zunächst „animal rationale“ und in seiner
Folge „imago dei“ untersucht werden, setzt nämlich der zweite Begriff den
tätigen Vollzug des Ersten voraus187.
Berücksichtigung des Verhältnisses der Eckhartschen Philosophie zur neuplatonischen und
thomistischen Anschauung, Lund/Bonn 1952.
182
In Joh. n. 341, LW III, S. 289: „...omnia ex semet ipso, per semet ipsum, in semet ipso et
propter semet ipsum...“
183
Vgl. dazu W. Goris, Der Mensch im Kreislauf, op. cit., S. 194 f.
184
Gen. II, n. 138, LW III, S. 604, 3.
185
Gen II, n. 138, LW III, S. 604, 3 f.
186
Pred. 69, DW III, S. 176 f.: „...bilde und bilde ist sô gar ein und mit einander, daz man
keinen underscheit dâ verstân enmac.“ Vergleicht man dieses Zitat mit dem Kontext der
Interpretation des `ad imaginem dei` aus Gen. II, n. 138, LW III, S. 604, so wird das
Angedeutete einsichtig, daß das systematische Werk die Dualität beibehält, während das
Predigerwerk den zuvor herausgearbeiteten Begriff der Bildhaftigkeit Gottes auf Grund
seiner zuvor bestimmten Konditionalität in die Einheit von beiden aufhebt.
187
Daß die Zeitlichkeit der äußeren Ich-Struktur das Ergebnis ihrer eigenen Erscheinung
ist, ist zu Eckharts Zeiten Allgemeingut. Vgl. dazu: Pred. 32, DW II, S. 133 f.: „ Ein alter
meister [Alcher v. Clairvaux] sprichet, daz diu sêle ist gemachet enmitten zwischen einem
und zwein. Daz ein ist diu êwicheit, diu sich alle zît aleineheltet und einvar ist. Diu zwei
daz ist diu zît, diu sich wandelt und manicvaltiget.“
84
Den Begriff des Menschen setzt Eckhart damit mit dem der Vernunft188
gleich, und diesen wiederum entfaltet er zunächst im systematischen Teil
des Werkes, und das entsprechend seiner Ausrichtung zum einen auf die
Vielheit hin, zum anderen auf die Einheit, unter der er, weiterhin im
systematischen Teil bleibend, den dreifaltigen Gott versteht. Weil die
Ausrichtung der Vernunft im Begriff der `ratio superior` auf den
trinitarischen Gott stattfinden muß, der, wie noch zu zeigen sein wird, der
unmittelbaren Anwesenheit bei ihm gleichkommt, unterscheidet sich an
dieser Stelle das eckhartsche Denken vom aristotelischen und damit auch
thomasischen dadurch, daß diese den äußeren Menschen lediglich mit dem
Vollzug der auf die Vielheit gerichteten Vernunft identifizieren.189
Diese auf die Vielheit ausgerichtete Vernunft ist die `ratio inferior`190,
welche in ihrer Eigenschaft als `tabula rasa`191 aus den durch die Sinne
vermittelten Vorstellungsbildern der Dinge die Begriffe abstrahiert, mithin
diese denkt192.
Die so gewonnenen Begriffe aber sind zugleich die jeweiligen Ideen der
Dinge selbst, welche, so Eckhart weiter, als Logos im Begriff des Sohnes
und damit als Vollzug der Trinität aufrechterhalten werden. Die Verbindung
188
Pred. 15, DW I, S. 250: „Nun will ich och wissen, was ain mentsch si. Homo sprichet als
vil als ain mentsch, (...) vnd ain vernunftiges wesen.“ Der eckhartsche Begriff der Vernunft
basiert gänzlich auf dem Prinzip der zweiten Epoche, die die unmittelbare Anwesenheit
sowohl bei der Einheit wie bei der Vielheit denken kann und somit die ausschließliche
(aristotelische) Bestimmung des Menschen als zeitlicher Vollzug des Denkens mit in die
neue intergriert.
189
Hierzu übereinstimmend: W. Tatarkiewicz in: Historia filozofii, Bd. I, Warszawa 1990,
116 ff.; und Jean Bernhard, den ich stellvertretend zu zitieren an dieser Stelle der
Diskussion für wichtig halte: „In einem Fragment der Abhandlung Über Philosophie, also
in einem frühen Text, erinnert ein Bild an die Höhle, die zu verlassen Platon die Menschen
anhält, damit sie zum Licht des Wahren gelangen. (...) Aristoteles evoziert nicht eine Höhle
elender Sklaven, sondern: „schöne Wohnungen (...) ausgestattet mit Bildern und
Gemälden“; nichts treibt die Menschen, zu versuchen, dort auszubrechen. (...) Sie bemühen
sich also nicht, wie bei Platon, um eine schwierige Wandlung, die sie dazu brächte, Ihr
Sehen, das von der sinnlichen Welt beherrscht ist, aufzugeben, um ein anderes
anzunehmen, das von einer intelligiblen Welt beherrscht wäre.“ In „Geschichte der
Philosophie“ Bd I, Hrsg.: F. Chatelet, Frankfurt 1973. S.142.
190
Gen. II, n. 138, LW I, S. 605, 10.
191
Gen. II, n. 138, LW I, S. 604, 5.
192
In Joh. n. 29, LW II, S. 22: „...est enim ratio a rebus accepta sive abstracta per
intellectum ...“
85
zwischen dem zeitlichen und reflektiven Vollzug der zeitlosen und ebenfalls
reflektiven Voraussetzung ist die Stelle, an dem sich der von der Mystik her
abgeleitete Begriff der Ich-Struktur und der von der Religion her abgeleitete
qualitativ unterscheiden müssen, kann nämlich der durch die Vermittlung
der Sinne erkannte Begriff, gedacht als die Idee der Dinge, nicht allein der
Willkür der sich vollziehenden ratio inferior unterliegen, alleine der
Sinnestäuschung wegen, wie auch vor allem der Notwendigkeit des Wissens
um die Gewährleistung der „imitatio die“. Und so muß der ratio inferior
notwendigerweise zumindest die Möglichkeit der Schau derselben in Gott
gegeben werden. Anders ausgedrückt: die ratio inferior muß, bei der
notwendigen Voraussetzung einer jenseitigen Einheit, wie sie Plotin
epochemachend dachte, über die Möglichkeit des Zugangs zum a
priorischen Wissen verfügen. Sonst könnte dieses ihr nicht als vorausgesetzt
gedacht werden, was innerhalb der zweiten Epoche des abendländischen
Denkens ein Widerspruch ist, ermöglicht sie ihm, als sicherstes Wissen,
geradezu den Selbstvollzug im Begriff der Reflexion des Denkens193.
Denkt die Religion, gemäß ihrer dualen Begriffsbestimmung, den Zugang
zu dieser Art des notwendigen Wissens mit dem Hinweis auf das äußere
Geschehen einer geschichtlichen Offenbarung (etwa der Logos als bereits
inkarnierter Christus; aber auch der Koran und die Thora), so wird die
Mystik diesen Zugang aus dem Begriff der Ich-Struktur heraus ableiten
müssen, und zwar als notwendige Folge aus der Voraussetzung der
absoluten Einheit, zu der jegliche Vermittlung im Widerspruch steht.
Der bis hierher nachgedachte eckhartsche Begriff der ratio inferior folgt
dem thomasischen intellectus agens, welcher die qualitativ mindere, da nicht
göttliche Seinsweise alles Geschaffenen, mithin auch die des Menschen, auf
seine Seelenkraft, eben den intellectus agens notwendigerweise ausweiten
muß, der die eine, zeitlose und unmittelbare göttliche Idee analog, somit
auch zeitlich, das heißt in einem Nach-einander und vermittelt durch die
Dinge, deren Bilder und Begriffe er im Sinne der imitatio dei, nach-denkt194.
193
Wenn überhaupt, so gleicht der eckhartsche Begriff der `gotheit` als sicheres Wissen
dem augustinischen „Deus absconditus“ , dessen Bestimmung als „Vater“ ihn doch zum
Mitträger eines Reflexionsverhältnisses macht, eine Tatsache, die Eckhart strengstens zu
vermeiden vermochte, indem die Trinität als Ganzes bereits unterhalb der absoluten Einheit
gedacht wird. Das thomasische Denken und in seiner Folge die gesamte Scholastik,
überbieten nicht den Begriff der Trinität, der damit als eine Verhältnisbestimmung
aufrechterhalten bleibt. Dazu: Gen II, n. 138, LW I, S. 604; In Joh. n. 28, f.; LW II, S. 22 f.
194
Thomas v. Aquin, Summa theologicae, I 84, 6 c.: „...illud superius et nobilius agens
quod vocat intellectum agentem, de quo supra jam diximus, facit phantasmata a sensibus
accepta intelligibilia in actu, per modum abstractionis cujusdam.“
86
Da sich aber der intellectus agens seiner Beschaffenheit nach nur auf ein
Seiendes richten kann, soweit dieses eine Begriffsbestimmung zuläßt, bleibt
die Bestimmung des Verhältnisses zwischen Mensch – gedacht als
intellectus agens im Vollzug – und Gott – gedacht als absolute Einheit – zu
klären, kann nämlich der intellectus agens Gott unmöglich zum Gegenstand
haben, wiewohl er aber gleichzeitig und notwendigerweise nicht nur einen
Begriff von ihm hat, sondern auch ein Wissen, und dies allein schon seiner
Bestimmung als imitatio wegen.
Die Art der Teilhabe am Wissen um die absolute Einheit ist damit der
Ort195, an dem sich Eckhart sowohl von der thomasischen wie auch der
augustinischen Denkweise der Ich-Struktur unterscheiden muß, und das aus
Gründen seiner als Mystik bestimmten Denkweise:
-
Der thomasische intellectus agens ist nicht nur Doppelung, sondern
Vielheit, da er analog zu Gott, daher „extra die“, so dieser
innertrinitarisch gedacht wird, agiert. Die Teilhabe am Wissen um die
absolute Einheit hebt diese Doppelung nicht auf, da der intellectus agens
aus der revelatio dei, welche in der Inkarnation Christi gipfelnd in die
Vielheit herausgetreten ist, die Ableitung einer Begriffsbildung
vornehmen kann und auch muß, ohne sich selber dabei aufzuheben. Der
intellectus agens als Hauptmerkmal der thomasischen Ich-Struktur
begreift sich, wegen der „ontologischen Schranke“, die
notwendigerweise auch ihn selber betrifft, als grundsätzlich von der
Einheit geschieden in der Weise, daß er als gänzlich auf deren
Offenbarung ausgerichtet gedacht wird196.
-
Die augustinische ratio inferior, so Eckhart, wird durch die
Vereinheitlichung, und das heißt durch Selbstaufhebung zur ratio
superior197, welche dann die Idee unvermittelt als Ursache der Dinge in
ihrem Ursprung erkennt. Diese Idee, mit Wort gleichgesetzt und als
Logos begriffen, ist der `Sohn`, auf den die ratio superior gleichzeitig
195
Zum „Ort“ der „mystischen Einung“ bei Seuse, Tauler und Eckhart vgl. M. Enders,
Selbsterkenntnis „im Seelengrund“, op. cit., S. 204.
196
Auch das lumen intellectuale, eröffnet dem intellectus agens eine „ participata similitudo
luminis increati“ Thomas v. Aquin, Summa theologicae, I 84, 5 c. welches die Analogie
beibehaltend, logischerweise kein unmittelbares Apriori denken läßt.
197
Zur Rede von „ratio superior“ vgl. A. M. Haas, Gottleiden – Gottlieben. Zur
volkssprachlichen Mystik im Mittelalter, Frankfurt am Main 1989, S. 54 f.
87
mit ihrem Erscheinen ausgerichtet ist, und das heißt in diesem Fall mit
ihr in der Liebe vereint. Weil aber der Sohn im Begriff des Logos bereits
die „revelatio dei quoad nos“ ist und damit, wenn nicht Vielheit so doch
Doppelung, ist die Teilhabe an der Einheit durch den Logos wiederum
nur eine vermittelte, daher nicht unmittelbare Teilhabe an der absoluten
Einheit selbst198, muß zwangsläufig bei jeder Vermittlung ein Ziel dieser
mitgedacht werden, mithin ein Etwas, was den Begriff der absoluten
Einheit aufhebt.
Hat aber Eckhart den Begriff des trinitarischen Gottes als Reflexion des
Denkens im Vollzug bestimmen und somit die „ontologische Schranke“
zwischen ihm und der Schöpfung aufheben können (Einwand gegen
Thomas und indirekt gegen Aristoteles), so mußte er in gleicher Folge den
eben als Denken begriffenen Gott um `Gottes willen` fallen lassen, da er,
der Struktur nach notwendigerweise Doppelungen aufweisend (der Denker,
das Gedachte und das Denken entsprechend als Vater, Sohn und Geist),
bereits Manifestation der absoluten Einheit, damit Doppelung, mithin nicht
als diese an sich gedacht werden kann (Einwand gegen Augustinus )199.
Für die Denker der mittleren Epoche gilt als allgemeines Gesetz, das
Eckhart so formuliert: „nihil potest facere opera propria alicui naturae vel
formae, nisi participet formam illam et ipsam in se habeat“200, so kann
infolge dessen die absolute Einheit von der Ich-Struktur nur dann erreicht
werden, wenn sie von vornherein an dieser partizipiert. Genau das aber ist
weder von Thomas (wegen der „ontologischen Schranke“) noch von
Augustinus (wegen des als „Doppelung“ bestimmten trinitarischen
Gottesbegriffes) jeweils als möglich gedacht worden. Genau diese
Voraussetzung denkt Eckhart mit dem Begriff der `gotheit`. Damit ist
`gotheit` der entscheidende Begriff in seinem Denken, mit dem er sowohl
die „ontologische Schranke“ wie auch die als „Doppelung“ gedachte
Trinität aufhebt, und indem er ihn als identisch mit dem inneren Grund der
äußeren Ich-Struktur – jetzt als intellectus agens bestimmt – denkt, kann er
der oben genannten Voraussetzung gerecht werden, wonach die äußere IchStruktur die absolute Einheit deswegen erreichen kann, weil sie bereits
immer schon an ihr teilnimmt. Die Einführung des Begriffes der `gotheit` ist
damit gleichzusetzen mit der Einführung des Begriffes der absoluten
198
Vgl. dazu eckhartsche Hinweise auf Augustinus in Gen II, n. 139, LW I, S. 606 f.
199
Vgl. dazu: Kap. II, 2 dieser Arbeit.
200
In Joh. n. 322, LW II, S. 270, 11 f.
88
Einheit, die in dieser Konsequenz notwendig war und deren erste Folge
nicht mehr das „Ob“ der unmittelbaren Teilnahme des intellectus agens an
ihr, sondern das „Wie“ dieser Teilnahme zu bedenken bemüht ist201.
Auf die ratio inferior, welche die Idee a posteriori via phantasmata erkennt,
folgt, so Eckhart, die ratio superior, die direkt, daher unmittelbar auf Gott
als trinitarischer Vollzug gerichtet ist202 und somit als „ratio rebus prior“
agiert, die dann gleichzeitig die „causa rerum et ratio“ ist, mithin diese „in
ipsis principiis intrinsecis“ erfasst203 und damit ihr Wissen a priori erlangt.
Die ratio superior liegt damit der ratio inferior immer schon zugrunde und
das in der Weise, wie sie einer jeden durch zeitliches Ableiten gewonnenen
Idee dieselbige a priori vorlegt und „quam diffinitio indicat“204. Die ratio
inferior ist damit als Vollzug des Denkens aus der sinnlichen Wahrnehmung
heraus, durch welche sie die Dinge im Begriff erkennt, notwendigerweise
auf die unmittelbare Schau der Ganzheit der Ideen angewiesen, als deren
spiegelbildliche zeitlich-räumliche Entfaltung sie sich dann versteht.
Denkt Eckhart aus diesem Zusammenhang heraus die ratio inferior als
Reflexion des Denkens im Vollzug ihrer eigenen Voraussetzung, bedeutet
die Rückbeugung der ratio inferior auf sich selber das Verlassen dieses
natürlichen Vollzugs und in Folge nichts anderes als die Bildung des IchBegriffes als Ersatzzentrierung der eigenen Tätigkeit, die als zeitliche IchIdentität erlebt und aufrechterhalten wird. Der Ich-Begriff setzt wiederum
gleichzeitig mit der Tatsache des Erscheinens sein Gegenteil und damit
Unterschied: Wenn Ich, dann auch ein nicht Ich, mithin ein anderer; wenn
ein anderer, so auch gleichzeitig ein anderes, mithin Vielheit. Die Vielheit
ist damit das unmittelbare Ergebnis der auf sich selbst sich beziehenden
ratio inferior, mit der gemeinhin die äußere Ich-Struktur und damit der
201
Vgl. dazu: B. Mojsisch, Meister Eckhart, op. cit., S. 117: „ Prinzipiell ist dem Menschen
nichts verborgen, da er nicht nur nachträglich in die Absolutheit des Absoluten
aufgenommen wird, diese Absolutheit ihm somit nicht vorgängig fremd, sondern
uneingeschränkt bekannt ist, insofern er die Prozessualität des Absoluten selbst ist,
Prozessualität auch erst ermöglicht.“
202
Gen. II, n. 139, LW I, S. 607, 11: „...ordinata in suum superius, deum scilicet...“
203
In Joh. n. 29, LW II, S. 23, 1 ff.
204
In Joh. n. 29, LW II, S. 23, 1.
89
Mensch gleichgesetzt wird205, und entsteht auf Grund der Verneinung, durch
die sich jeder abgeleitete Begriff von seinem Gegenteil absetzen muß206.
Daraus zieht Eckhart die Konsequenz: daß dem so verstandenen Ich-Begriff
und dadurch auch dem Begriff der Vielheit an sich keine Wesenheit
zukommen kann, ist sie vielmehr als begriffliches Ergebnis der reflektierten
Einsicht ihrer selbst in sich selbst ein Festhalten am Spiegelbild ihres
eigenen Grundes und deswegen „ein zouval der natûre“207 und damit
Akzidenz208.
Die mit ratio inferior bestimmte äußere Ich-Struktur ist in ihrem Vollzug als
intellectus agens die Ursache des Ich-Begriffes, mithin der Ich-Identität und
damit die bestehende Perspektive der Schöpfung. Und weil der intellectus
agens auf dem `niht` der Unterscheidung gründet, ist die alleinige
Identifikation des Menschen mit ihm die Verleugnung des Ganzen zu
Gunsten eines Teils, was mit der Verleugnung der Einheit zu Gunsten der
selektiv, weil mit der Willkür der jeweiligen Ich-Identität entsprechend
begrifflich vollzogenen Vielheit identisch ist. Dadurch aber, gleichzeitig
und irrtümlich, wird die zeitliche Identität in den Status ihrer Ursache
erhoben, indem sie sich selber, obwohl nur Spiegelbild, so doch
eigenständig und damit substanziell denkt. In dieser Verkehrung gründet der
Abfall von der Wahrheit 209 in die Sünde, und weil das Wesen der Sünde in
der Verneinung gründet, sodann in das aus der Verneinung begriffene
Nichts: „et nihil est“210.
205
Pred. 46, DW II, S. 379 f.
206
Pred. 46, DW II, S. 382, 5 ff: „...wan niht machet underscheit. Wie ? Daz merket! Daz
dû niht enbist dêr mensche, daz niht machet underscheit zwischen dir und dêm menschen.“
207
Pred. 46, DW II, S. 381, 4.
208
Der Begriff `Akzidenz` in diesem Zusammenhang geht auf die Quintsche Übersetzung
zurück, DW II, S.707, 381, der im Bezug auf die Definition des Menschen in der Predigt
16, wo Eckhart den Begriff der `Substanz` verwendet, als äußerst präzise gewählt erscheint.
Darüber hinaus aber auch deswegen, weil auf diesen Ich-Begriff die Kategorien des
Aristoteles zutreffen, womit sich wiederum zeigt, daß das aristotelische Denken (und die
Ich-Bestimmung) Bestandteil der Mystik Meister Eckharts sein kann und muß, weil es als
solches immer schon vorausgesetzt wird, um überschritten und ins größere Ganze
intergriert zu werden.
209
Pred. 29, DW II, S. 88, 4 f: „Dâ diu sêle ir natürlich geschaffen wesen hât, dâ enist keine
wârheit.“
210
In Joh. n. 454, LW III, S. 388, 6 f.: „Omne quod quis facit ex se ipso, motus non ex deo
patre, peccatum est ...“
90
Selbst dann, wenn die ratio inferior während ihres Selbstvollzuges als
Reflexion des Denkens sich selbst als Doppelung erkennt und damit
notwendigerweise die Einheit zumindest dem Begriff nach voraussetzen
muß, bleibt ihr – innerhalb der monotheistischen Religionen – der Status der
Vielheit während ihres Vollzuges (und das heißt das Leben lang) erhalten211.
Gleichzeitig aber – jetzt innerhalb der christlichen Tradition gedacht – läuft
sie Gefahr, die als ihre eigene Voraussetzung gedachte Einheit nicht in ihrer
Absolutheit denken zu können, kann das Denken als Doppelung und damit
per definitionem diese zwar voraussetzen, inhaltlich jedoch nicht
entfalten212.
Es mangelt daher der christlichen Tradition, im Festhalten am Begriff des
trinitarischen Gottes, und daher als Religion bestimmt, auch innerhalb der
zweiten Epoche an entfalteter Konsequenz aus der Voraussetzung einer
absoluten Einheit 213, die der Begriff der Trinität, seiner Doppelungen
wegen, nicht hergibt.
Mehr noch: der als Trinität gedachte Gottesbegriff, da synthetische Urteile
zulassend, ist notwendigerweise bereits Doppelung, weil er von der ratio
inferior im Sinne einer Verhältnisbestimmung entfaltet werden kann214. In
Folge davon wird der Versuch der Gotteserkenntnis auf der Ebene der ratio
inferior nur dann notwendig, wenn gleichzeitig die unmittelbare
Erkenntnisweise der ratio superior verlassen, bzw. überhaupt nicht versucht
wird. Deswegen ist, so Eckhart, die Erkenntnis Gottes durch die ratio
inferior: „ein vnverstandenheit“215 Gottes, und weil er, bereits als relative
211
Die drei großen monotheistischen Religionen, das Judentum, das Christentum und der
Islam, verfügen innerhalb ihrer Orthodoxie (im Unterschied zu den jeweils vorhandenen
mystischen Denkweisen) über die „ontologische Schranke“, welche die Vielheit von der
Einheit trennt und deren Überwindung nur seitens der Einheit selber geschehen kann, in der
Weise ihres Heraustretens in die Vielheit. Auf diesem Hintergrund wird die jeweilige
Funktion der Thora, der Inkarnation Christi und des Korans verständlich.
212
Pred. 83, DW III, S. 442, 4 f.: „...do von swig und klaffe nit von gotte; wande mit dem,
so dv von imme claffest, so lvgest du, so tvstv svnde.“
213
Dieses Problem sieht schon Augustinus, indem aus der notwendigen Voraussetzung
Gottes als absoluter Einheit kein unmittelbares Verstehen zu gewinnen ist, da Gott als
absolute Einheit keinem Begreifen zugänglich: „Si enim comprehenids, non es Deus“
(Sermo CXVII, 3 (5)).
214
Pred. 83, DW III, S. 443, 1 f.: „...vertast dv nv iht vin ime, des en ist er nit, vnde mit
dem, so dv iht von ime versast,...“
215
Pred. 83, DW III, S. 443, 2.
91
Einheit, notwendigerweise alles ist, führt seine Nichterkenntnis in die
gänzliche Erkenntnislosigkeit und damit in die Eigenschaft der Tiere216. Das
Erkennen Gottes in Begriffen und damit als Vollzug der ratio inferior ist
demnach für Eckhart nichts anderes als zunächst die Projektion ihrer selbst
auf ihre eigene Voraussetzung217, und weil hier Vielheit Einheit zu
begreifen sucht, ein zum Scheitern verurteiltes Unterfangen.
Der eben genannte Ort der Trinität, welche dem Begriff nach innerhalb der
christlichen Religion Gott vorbehalten war und auch weiterhin ist, wird
vollends erst dann verständlich, so dem eckhartschen Begriff der ratio
superior noch genauer nachgedacht wird.
Fraglich in diesem Zusammenhang ist zunächst, weshalb Eckhart die ratio
inferior, welche: „natürlich geschaffen wesen hât“218, somit gottgewollt ist,
auf die ratio superior ausrichtet und letztlich als gänzlich von ihr abhängig
denkt, bleibt für den Menschen doch, begriffen als Vollzug der ratio
inferior, das Argument der unmittelbaren Gotteserkenntnis zwar verlockend,
jedoch als Begriff der Natur nach selber Vielheit, mithin eines unter vielen
und somit nicht zwingend notwendig. Die Antwort liegt nicht nur, wie
bereits gezeigt, in der Logik der Sache, sondern vor allem im Wesen der
sich als Vielheit vollziehenden Ich-Identität des Menschen, die sich als
zeitlich und räumlich begrenzt bestimmen muß, damit als Vergängliche, was
in Folge notwendigerweise eher oder später von dieser Identität als Leid
erfahren wird, weil es, genauer ausgedrückt, die Ursache des Leidens an
sich ist.
Daß das Verharren in der ratio inferior, mithin in der Vielheit,
notwendigerweise bereits Leiden ist und wenn nicht zu einem solchen
hinführt, ergibt sich auch aus dem Begriff der Vielheit selber, denn jeder
Versuch einer zeitlichen Identifikation ist gleichzeitig nur möglich als Folge
der Trennung vom Ganzen219. Der vom Leiden ergriffene Mensch – so er
216
Pred. 83, DW III, S. 443, 3: „...vnd von der unverstandenheit kvmest dv in ein
vihelicheit.“
217
Pred. 83, DW III, S. 441, 2 f.: „Swas wir verstant oder sprechent von der ersten sachen,
das sin wir me selber, dan es die erste sache si, wan si ist vber allis sprechen vnd verstan.“.;
Ausführlicher dazu: S. 70 ff dieser Arbeit.
218
Pred. 29, DW II, S. 88, 5.
Sermo XLIV, LW IV, S. 368 f.: „Omne ergo creatum, omne duo, omne multum
separans ab uno et per consequens ab vero, a bono, ab esse est amarum, tenebra et quoddam
nihil.“
219
92
immer noch und immer nur mit sich als der ratio inferior identifiziert ist –
richtet sich als diese entweder auf die Vielheit oder auf Gott. Da aber der
Vielheit an sich, eben weil sie als solche dem Begriff nach leidstiftend ist,
die Aufhebung desselben verwehrt bleiben muß220, verursacht der Mensch,
indem er sich als Reflexion des Denkens begriffen im beständigen Vollzug
derselben zwecks Leidensaufhebung an diese weiterhin bindet, dieses sein
Leiden selbst 221. Dieser Art des Vollzugs der ratio inferior entspricht der
Begriff der „eigenschaft“222 oder der der „sünde“223, die von Eckhart
synonym verwendet werden.
Richtet sich aber die Reflexion des Denkens, mithin der Mensch, auf Gott,
so bleibt er dem Vollzug der Sünde weiterhin verhaftet, kann sich die als
Vielheit gedachte ratio inferior ihrer Struktur nach immer nur auf
ihresgleichen ausrichten und erreicht damit die absolute Einheit lediglich in
der Gestalt des Begriffes, der, da wiederum Vielheit, dem Gesetz seiner
eigenen Vergänglichkeit unterliegend, niemals Gott sein kann224. Selbst die
Struktur des Bittgebetes, in welchem ein Seiendes ersehnt oder abgewendet
werden soll, setzt gleichzeitig ein Ich im Vollzug der ´eigenschaft` voraus,
wie auch die Unkenntnis über die Beschaffenheit der Vielheit an sich, bleibt
damit als Folge in ihr und somit dem Leiden verhaftet225.
Der Tod als natürliches Merkmal der Vielheit und Höhepunkt des Leidens
ist damit als logische Konsequenz die unmittelbare Folge der Reflexion des
Denkens im Vollzug ihrer selbst, sofern sie die `eigenschaft`
220
Pred. 79, DW III, S. 366, 2: „Daz ist allen crêatûren versaget, daz deheiniu allez daz
habe, daz den menschen genzlîche getroesten müge.“
221
Buch der göttlichen Tröstung, DW V, S. 16, 1 f.: „Wie möhte der getroestet sîn und âne
leit, der sich kêret ze dem schaden und ze dem leide und bildet daz in sich und sich
darinund siehet daz ane, und ez sihet wider in ane und kôset mit im und sprichet mit dem
schaden, und der schade kôset wider mit im und sehent sich ane von antlize ze antlize.“
222
Pred. 2, DW I, S. 25, 8.
223
Gen. II, n. 144, LW I, S. 612, 8 f.
224
Reden der Unterweisung, DW V, S. 205, 5 f.: „Der mensche ensol niht haben noch im
lâzen genügen mit einem gedâhtem gote, wan, swenne der gedank vergât, sô vergât ouch
der got.“
225
Pred. 26, DW II, S. 25 f.: „Alsô schiere sô dû gote anebetest umbe die crêatûre, sô bitest
dû umbe dînen eigenen schaden, wan alsô balde sô crêatûre crêatûre ist, sô treget si inne
bitterkeit und schaden und übel und ungemach. Und dar umbe sô geschihet den liuten gar
reht, die dâ hânt ungemach und bitterkeit. War umbe? Sie hânt dar umbe gebeten.“
93
aufrechterhalten will. Zugleich aber, so Eckhart weiter, ist das Leiden der
schnellste Weg in die unmittelbare Anwesenheit bei der Einheit226, muß in
ihm nämlich die zwingendste Ursache für die Aufhebung der `eigenschaft`
gedacht werden. Denkt Eckhart somit das Leiden als Folge der
`eigenschaft`, mithin der Sünde und reduziert diesen Begriff eben nicht auf
jenen Kodex moralisch – sittlichen Verhaltens der Vielheit innerhalb der
Vielheit, so ist ihr Vollzug eine der zwei möglichen Voraussetzungen für
den Beginn der Ausrichtung auf die unmittelbare Anwesenheit bei der
Einheit, deswegen auch notwendiger Bestandteil der Schöpfungsgeschichte
und damit der Ort seiner Gnadenlehre227.
Verläßt man aber die Perspektive der ratio inferior und bedenkt den gleichen
Sachverhalt bereits aus der Entfaltung des Begriffes der `gotheit`, so ist die
Ausrichtung der ratio inferior auf die ratio superior die notwendige Folge
dieses Begriffes selbst im Sinne eines analytischen Urteils, wonach die
absolute Einheit, erhaben über alle Widersprüche und damit auch während
des Vollzuges der Vielheit immer in sich selber bleibend, gedacht werden
muß228, weswegen dieser „status“ nicht nur „ante peccatum“ gedacht
werden kann, sondern als ein „immer“ im Sinne permanenter Gegenwart
gedacht werden will229. Das ist die zweite Voraussetzung, beziehungsweise
bereits der natürliche, wenn auch unbewußte Zustand der Hinordnung der
ratio inferior auf die ratio superior.
Erkannt worden ist die ratio inferior in ihrer Struktur, die von Eckhart als
äußerer Mensch - „ûzer mensche“230 - begriffen, welche die sich
vollziehende Reflexion des Denkens ist. Gezeigt worden ist auch die
Ursache für eine mögliche Ausrichtung dieser auf die absolute Einheit
selbst, die im Leiden gegründet, das vom Denken und das bedeutet
notwendigerweise im Denken niemals aufgehoben werden kann. Die
Ausrichtung des Denkens auf Gott ergibt in Folge auch nur einen Begriff
226
Von abgescheidenheit, DW V, S. 433, 1 f.: „Daz snellste tier, daz iuch treget ze dirre
volkomenheit, daz ist lîden.“
227
Vgl. dazu: Gen. II, n. 145, LW I, S. 613 f.
228
Pred. 12, DW I, S. 201, 5: „ Daz ouge, dâ inne ich got sihe, daz ist daz selbe ouge, dâ
inne mich got sihet; mîn ouge und gotes ouge daz ist ein ouge und ein gesiht und ein
bekennen und ein minnen.“
229
Gen. II, n. 143, LW I, S. 612, 6: „...et est status naturae...“
230
Von abgescheidenheit, DW V, S. 419, 10.
94
desselbigen, mithin Vielheit, darf auch deswegen niemals mit der absoluten
Einheit an sich verwechselt werden.
Genau hier entscheidet sich das religiöse Denken gemäß dem Begriff der
Religion für die Beachtung der im Begriff vorausgesetzten Einheit, mithin
für den Verbleib in der Vielheit, was nach Eckhart dem Vollzug der Sünde
gleichkommt, während die Mystik, ebenfalls gemäß ihrer Bestimmung, den
Begriff der absoluten Einheit, somit den Inhalt der Religion voraussetzend
und korrigierend, die unmittelbare Anwesenheit bei dieser zu erreichen
sucht231, was Eckhart mit der Ausrichtung der ratio inferior zunächst auf die
ratio superior innerhalb des systematischen Teils seines Werkes oder des
äußeren auf den inneren Menschen – „inner mensche“232 – innerhalb seiner
Predigten wiedergibt.
231
Vgl. dazu: Pred. 79, DW III, S. 368, 6 ff.: „Und ich spriche mê, daz aller crêatûren
wesen und leben liget dar ane, daz sie got suochent und im nâchjagent.“ Das „Finden“
Gottes, als Ende der Suche ist dann identisch mit der unmittelbaren Anwesenheit bei der
`gotheit`. Dazu: Pred. 15, DW I, S. 252 f.
232
Von abgescheidenheit, DW V, S. 419, 12.
95
5.
Die Ich-Struktur begriffen als Trinität
Formal betrachtet denkt Eckhart die ratio superior zunächst als unmittelbar
auf Gott gerichtetes Vermögen233, folgt damit – äußerlich gesehen – der
Tradition234, die er aber, wegen ihrer Ausrichtung auf den Begriff des
trinitarisch gedachten Gottes, genau an dieser Stelle verläßt, um daraufhin –
und der Form nach – außerhalb seiner systematischen Werke die
unmittelbare Anwesenheit bei der im Begriff der `Trinität` eingeführten
Einheit zu predigen235. Die inhaltlich wie auch formal vollzogene Trennung
spiegelt sich dann erneut in der Sprache der Predigten wider, die sich, da auf
die direkte Begriffsgewinnung verzichtend, in Sprachbildern und
Gleichnissen niederschlägt.
Die ratio superior ist demnach auf den Ursprung aller Vielheit ausgerichtet,
weil sie in die Ursache derselben, nämlich in die sich als Trinität
vollziehende Einheit der Ideen „blicket“236 und „durchbrichet“ diese auf ihre
absolute Voraussetzung hin, wo sie diese in ihrer Gesamtheit aus dem
„herzen des vaters“, - der begriffen als `gotheit` eben das Absolute ist –
empfängt237. Der Vollzug der ratio superior („vernünfticheit“) ist auf Grund
dieser Tätigkeit Doppelung, weswegen sie an dieser kein Gefallen im Sinne
ihrer Aufhebung finden kann238, ist die Identität der ratio superior mit sich
selbst, begriffen als Vollzug der Trinität, wiederum nichts anderes als
erneutes Festhalten am Teil einer größeren Gesamtstruktur, mithin
233
Gen. II, n. 140, LW I, S. 607 ff.
234
Vgl. dazu: Augustinus, Confessiones, X, caut. XXVI. n. 37, den hier Eckhart explizit
neben Maimonides zitiert. Gen II, n. 139, LW I, S. 606.
235
Da sich nirgendwo innerhalb der systematischen Werke der Begriff der `gotheit` als
absolute Einheit finden läßt, scheint mir diese Tatsache, bei einem so präzis denkendem
Menschen wie Eckhart, keine Willkür zu sein, vielmehr die formelle Konsequenz des
Inhaltes selber, dessen Erscheinen die Aufhebung des Denkens zu Voraussetzung hat,
folglich von diesem nicht erfasst werden kann, im Sinne einer systematischen Darlegung.
236
Pred. 69, DW III, S. 178, 10.
237
Pred. 69, DW III, S. 178, 2.
238
Pred. 69, DW III, S. 179, 3: „ Jâ, bî guoter wâhrheit, ir engenüeget als wênic an gote als
an einem steine oder an einem boume.“
96
„eigenschaft“239 und in diesem Sinne auch Sünde. Bleibt aber die ratio
superior im Vollzug ihrer selbst ohne Anhaftung, somit offen und deswegen
auch sine peccatum, ist sie über sich selber - begriffen als Gott - erhaben
und befindet sich damit im „Ausfluß“ des Einen, nämlich im „Anfang“240.
Der „Ort“, auf den die ratio superior jetzt „blicket“, ist damit „in principio“
und damit sie selbst vor jeder Doppelung und damit gleichzeitig, weil Zeit
hervorbringend, vor jeder zeitlichen Entfaltung derselben241.
Und so läßt sie sich als die immer währende Manifestation des Einen
bestimmen, die zeitlos im Begriff der Trinität die Ideen - begriffen als Sohn,
als Logos oder als das Wort242 - denkt, indem sie diese schafft und so
gedacht werden kann, weil sie diese im Vollzug gleichzeitig ist243.
Es ergibt sich, daß der ratio superior laut Eckhart genau die Tätigkeit
zukommen muß, die innerhalb der Tradition Gott, gedacht als Trinität, dem
Begriff nach vorbehalten war, weswegen sie die gleiche Struktur aufweisen
muß, denn sie ist jetzt im Ursprung und, weil identisch mit ihm,
notwendigerweise der Ursprung selber.
Hat Eckhart die erste Ursache244 als die sich zeitlos vollziehende Reflexion
des Denkens gedacht und als Gott begriffen, deren Sein eben in ihrem
Vollzug gründet, so daß sie ist, weil sie denkt, so kommt der ratio superior
eben die Struktur der zeitlosen und einheitlichen, da hier Denken und Sein
identisch sind, Reflexion des Denkens zu. Ist diese wiederum als
konditionales Wechselverhältnis bestimmt worden, so muß das Sohnsein in
239
Pred. 48, DW II, S. 420, 1´: „Im engenüeget noch an vater noch an sune noch an
heligem geiste noch an den drin persônen, als verre als ein ieglîchu bestât in ir eigenschaft.“
240
Pred. 69, DW III, S. 179, 9: „ Einheit „dâ der sun ûzquillet und der heilige geist
ûzblüejende ist.“
241
Pred. 69, DW III, S. 179, 6: „...ê ez dâ deheinen namen gewinne, ê ez ûzbreche, in einem
vil hoehern grunde, dan güete und wîsheit sî.“
242
In Joh. n. 29, LW III, S. 23, 1 ff.
243
In Joh. n. 29, LW III, S. 23, 3: „ Propter quod dicitur quod logos, ratio scilicet, est in
principio: in principio, inquit, erat verbum.“
244
Zu „erster Ursache“ bei Eckhart vgl. auch T. Kobusch, Bedingte Selbstverursachung.
Zu einem Grundmotiv der neuplatonischen Tradition, in: T. Kobusch, B. Mojsisch, O.F.
Summerell (Hrsg.): Selbst – Singularität – Subjektivität. Vom Neuplatonismus zum
deutschen Idealismus, Amsterdam/Philadelphia 2002, S. 167 ff.
97
gleichzeitiger Einheit mit dem Vater und dem Geist gedacht werden,
weswegen die ratio superior unmöglich nur als der Sohn gedacht werden
kann, sondern als der Vollzug der Trinität im ganzen und somit als der
gleiche Prozeß: „Daz ist ein geburt“245.
Können aber, unabhängig von Raum und Zeit, nicht zwei getrennte
Strukturen – Gott und die ratio superior – gedacht werden, setzt die
Trennung eben Raum und Zeit, mithin die Vielheit voraus, weswegen die
ratio superior zunächst in Gott gedacht wird: „...und dar umbe ist si ein bilde
in der drîvaltikeit...“, und dort, eben weil keine Unterschiede denkbar sind,
nicht nur als das Gleiche, sondern identisch und somit eins mit ihm: „...und
dar umbe sprach unser herre vater, mache sie einz mit uns.“246.
Die ratio inferior ist damit, weil Vielheit, „ad imaginem die“, während die
ratio superior das Bild selber ist und in Relation zu der ersten gedacht das
Urbild und somit das Licht, erkannt als die Idee a priori, in dessen Glanze
die ratio inferior die Dinge – a posteriori – erkennend vollziehen kann.
Dank der Tatsache, daß der im Begriff der Trinität gedachte Gott der ratio
inferior in ihrer Wandlung zur ratio superior die unmittelbare Anwesenheit
bei sich gewährt und diese wiederum als die absolute Identität beider
gedacht werden muß und auch kann, wird der zuvor von der ratio inferior
`außerhalb` ihrer vorgestellte Gott zum Vollzug ihrer selbst, sobald sie den
Status der ratio superior beziehungsweise ihr Innerstes erreicht hat. Der als
Einheit gedachte trinitarische Gott, von dem sich der äußere Mensch analog
begriffen hat, ist damit er selbst im Begriff der ratio superior.
Weil aber innerhalb der ratio superior auf Grund ihrer Konditionalität
Verhältnisse, mithin Doppelungen gedacht werden müssen247, kann diese
mit dem Begriff der absoluten Einheit nicht gleichgesetzt werden,
weswegen sie zwar als die Ursache der ratio inferior gedacht werden kann,
nicht aber als ihr Grund und somit vollständige Aufhebung. Läßt die
absolute Einheit keine synthetischen Urteile zu, wodurch sie nicht als die
Verneinung der Vorausgegangenen gedacht werden kann – sie wäre damit
245
Pred. 10, DW I, S. 171, 8 ff.: „Diu sêle, diu dâ stât in einem gegenwertigen nû, dâ gebirt
der vater in sie sînen eingeborenen sun (...) und in der selben geburt, wird diu sêle (Sohn)
wider in got geboren.“
246
Pfeiffer, S. 581, 34 f.
247
In Joh. n. 194, LW III, S. 162 f.: „...`ego et pater unum sumus`: `unum` propter naturae
identitatem, sumus propter imaginis et eius, cuius est imago, distinctionem personalem.“
98
ein anderes, mithin ein Etwas –, ist sie als Verneinung dieser Verneinung
die endgültige und damit auch notwendige Voraussetzung der sich bisher als
Vielheit (ratio inferior) beziehungsweise Doppelung (ratio superior)
erweisenden Ich-Struktur. Das Sprechen von ihr ist alleine in Sprachbildern
möglich, deren Gebrauch den logischen Verzicht auf die Begrifflichkeit als
Ergebnis der sich vollziehende Reflexion des Denkens voraussetzt und
damit ihrer Aufhebung gleichkommt.
Das Absolute im Begriff der `gotheit` und als Grund der ganzen bis hierhin
gedachten Ich-Struktur übersteigt im Sinne von Verlassen jeglichen Ansatz
einer durch diese erfassten Begrifflichkeit 248, und war die ratio superior
begriffen als Idee, Logos und Licht, so ist die absolute Einheit „kein lieht“,
weshalb ihr eigener Grund identisch mit der `gotheit` ist, weil er selber als
absolute Einheit bestimmt, es in Folge dieser Bestimmung
notwendigerweise sein muß249.
Der Grund der Ich-Struktur im Begriff der absoluten Einheit muß damit als
die notwendige Voraussetzung seiner eigenen Entfaltung gedacht werden
und sich - weil erhaben über jegliche Doppelungen, und daher permanent –
als ihre Aufhebung im Begriff der unmittelbaren Anwesenheit bei sich
selber bestimmen lassen250.
Die Frage nach der Ausrichtung der äußeren Ich-Struktur auf ihr Innerstes
ist damit die Frage nach der Methode der Aufhebung derselben, die
gleichzeitig und notwendigerweise der Vollzug der jetzt in ihrer Ganzheit
begriffenen Ich-Struktur ist. Dieser will nun zum Abschluß ebenfalls
nachgedacht sein.
248
Pred. 72, DW III, S. 253, 5: „ Dâ got (ratio superior) ûzbrichet in sînen sun, dâ
enbehanget diu sêle niht.“
249
Pred 22, DW I, S. 389, 7 f.:„ ...diu verborgene vinsternisse der êwigen gotheit, (weshalb
sie auch) unbekant und wart nie bekant und enwirt niemer bekannt.“
250
Pred 22, DW I, S. 389, 1 f.: „`In principio` daz sprichet als vil ze tiutsche als ein
angenge alles wesens, als ich sprach in der schoule; ich sprach noch mê: ez ist ein ende
alles wesens, wan der êrste begin ist durch des lesten endes willen.“
99
6.
Die Ich-Struktur als Entfaltung des Absoluten
Die Gedankenführung des Meister Eckhart zeigt: die Struktur der Reflexion
des Denkens, als welche sich der äußere wie auch der innere Mensch hat
bestimmen lassen, ist trinitarisch, können in ihr der Denker, das Gedachte
und das Denken unterschieden und benannt werden. Dabei ist die als
Vielheit erscheinende Reflexion des Denkens (ratio inferior) nichts anderes
als der zeitliche Vollzug ihrer als Einheit bestimmten Voraussetzung (ratio
superior), weswegen sie in den sinnlich hervorgebrachten Gegenständen
ihre Ursprungsidee (Begriff, Logos) erkennend vollzieht, so sie aus der
unmittelbaren Anwesenheit bei sich selber agiert. Die Möglichkeit der
Anhaftung („eigenschaft“) an die der ständigen Veränderung unterworfenen
Vielheit, die in der zeitlichen Aufrechterhaltung einer im Ich-Begriff
bestimmten Ich-Identität ihre Ausformung findet, behindert so gesehen den
natürlichen Fluß der ursprünglichen und in diesem Sinne verstandenen
ganzheitlichen Ich-Entfaltung251. So gesehen existiert immer nur die als
Denken begriffene ratio superior (Trinität), die sich im und als ihr zeitliches
Abbild (ad imaginem dei) manifestiert, welches usurpatorisch auf Grund der
als Ich-Begiff aufrechterhaltenen zeitlichen Ich-Identität in dieser statt in
ihrem Ursprung Substanzhaftigkeit behauptet.
Weil aber jegliche Ausrichtung des Denkens, seinen eigenen Vollzug
voraussetzend, diesen weiterhin fortsetzt und in der Selbstreflexion direkt,
in der Hinwendung auf ein anderes indirekt, das Ich als Begriff bildet, muß
es sich selber in der Hinwendung zum eigenen Grund gänzlich aufheben,
was, wegen der Identifizierung mit dem Ich-Begriff, dessen Tod
gleichkommt.252
Erfolgt die Entfaltung – „ûzfluz“ – der absoluten Einheit, begriffen als
innerer Mensch, in einem Dreischritt, nämlich als Vernunft, Verstand
(äußerer Mensch) und Wille, so muß die Aufhebung dieser, erneut und
251
Pred 15, DW I, S. 250. Einem vernünftigen Menschen, so Eckhart hier, kann nur dann
Substanz, mithin Wesen zugesprochen werden, so er „abgescheiden“ ist und damit bereits
im Status der relativen Einheit. Mit `Vernunft`ist hier dann die ratio superior gemeint.
252
Die Aufhebung des Denkens, da sie logischerweise nicht gedacht werden kann, versteht
sich daher selbst als Übung, der wiederum innerhalb dieser Arbeit nur im Denken
nachgegangen werden kann, womit diese nur im Verzicht auf die unmittelbare Anwesenheit
bei der Einheit ihr Anliegen fortsetzen kann.
100
notwendigerweise, drei Stufen aufweisen, dann jedoch in umgekehrter
Reihenfolge253:
1. Die jetzt nachzuvollziehende Aufhebung betrifft zunächst den Willen und
erfolgt deswegen an erster Stelle, wird seine Manifestation zwar aus der
Vernunft gedacht, jedoch nach dem Auftreten des Verstandes und damit in
Abhängigkeit von ihm, weswegen er in der Reihenfolge zweiter ist254.
Andernfalls müßte er sonst unabhängig von der Reflexion des Denkens
gedacht werden, was widersprüchlich wäre, setzt er seiner Ausrichtung die
Erkenntnis, mithin den Begriff voraus255.
Der Wille also ist, genau wie der äußere Mensch, zum einen unmittelbare
Manifestation des inneren Menschen, zum anderen aber, weil dem äußeren
Menschen nachkommend, damit als Reflexion seiner Reflexion gedacht, die
reine – sofern als Liebe begriffen – Ausrichtung derselben auf ihre
Ursache256. In dieser Ausrichtung auf die ratio superior – die sein erster
Ursprung ist und weswegen er überhaupt als mögliche Ausrichtung auf
diese gedacht werden kann257 - ist er der Reflexion des Denkens deswegen
überlegen, weil er, als Liebe gedacht, den Liebenden, mithin die ihn
konstituierende Reflexion des Denkens, auf den Geliebten hin aufhebt258.
253
Vgl. dazu: Pred. 73, DW III, S. 260 f. und S. 266, 7 f.; Pfeifer, S. 255, 6 ff. Es sei hier
vorab auf den Aufbau der Aufhebungsstruktur der äußeren Ich-Struktur in der Pred. 52,
DW II, S. 486 ff. hingewiesen.
254
Pred. 37, DW II, S, 219, 8: „Verstantnisse (äußere Mensch) brichet ze dem êrsten ûz
vernünfticheit, und wille gât dar nâch ûz in beiden.“
255
In Gen. II, LW I, S. 530, 5: „ Voluntas autem et amor descendunt ab intellectu et
cognitione, et procedunt ab istis, ut impossibile sit quippiam esse volitum vel amatum, quod
non fuerit prius cognitum.“
256
Pred. 3, DW I, S. 52, 11: „...wan swaz ich will, daz suoche ich.“
257
Die Vernunft, als ratio superior gedacht, ist der Beginn aller begrifflichen Entfaltung,
bringt den Willen als Liebe (Heiliger Geist) aus sich hervor und richtet ihn auf sich zurück
(Reflexion des Willens), nachdem sie von der ratio inferior als `Gutheit` erkannt worden ist.
Vgl. dazu: Pred. 69, DW III, S. 179, 2 ff. Die Ausrichtung auf die Einheit, begriffen als
Gott, ist der Wille der Einheit selber, in der Tradition auch als Engel begriffen. Der
Unterschied zum Willen, begriffen als Liebe, besteht damit nicht in der Sache, sondern in
der Perspektive der Betrachtung. Vgl. dazu: Pred. 3, DW I, S. 48 ff.; Pred. 12, DW, I, S.
199 f.
258
Aus diesem Grund wurde der Wille zum Inhalt des Prinzips der zweiten Epoche (Vgl.
Pred. 6, DW I, S. 113, 8 ff.) und löste damit die Reflexion des Denkens als den Inhalt des
Prinzips der Ersten ab. Der eckhartsche Begriff der Vernunft aber, mit der er den Willen
übersteigt, meint die ratio superior, mithin die absolute Einheit, und darf deswegen
101
Diese Selbstaufhebung der Reflexion des Denkens in ihren eigenen Willen,
begriffen als Liebe, ist das Äußerste, was diese denken kann, erreicht aber
Gott nur, insofern er das Gute, also die Liebe ist, damit ein Etwas, nicht aber
die absolute Einheit, setzt nämlich die Tatsache der begrifflichen
Voraussetzung, gedacht als Folge ihrer Ursächlichkeit, dem Willen ein
notwendiges Gegenüber und bestimmt ihn damit seiner Struktur nach als
Doppelung. Selbst dann, wenn der Geliebte, also Gott, seinerseits in der
Liebe aufgehoben wäre – und in diesem Zusammenhang wird er als diese
gedacht –, bliebe die Liebe als solche bestehen, mithin immer noch ein
Etwas, das ein Subjekt und Objekt voraussetzt und somit Ausrichtung
andeutet259.
Gleichzeitig aber, der eckhartschen Terminologie folgend, wonach die
Erkenntnis der Einheit mit dieser identisch ist, wird verständlich, weshalb
der Wille diese Erkenntnis im Begriff der Einheit voraussetzen muß, ist die
Einheit als ratio superior seine Ursache und sein Ziel einzig und alleine auf
Grund der begrifflichen Voraussetzung und somit der Tätigkeit der ratio
inferior wegen. Das ist auch die Ursache, weshalb der Wille gegen die vom
Begriff der Religion geprägte Tradition weiterhin von Eckhart der
Wichtigkeit nach an zweiter Stelle gedacht wird260.
Der so verstandene Wille ist damit die Ausrichtung des inneren Menschen
durch den äußeren auf sich selbst zurück: Er, der Wille, setzt nämlich im
Ursprung die Einheit des ersten notwendigerweise als Erstursache voraus261,
richtet den äußeren Menschen – hder damit und gleichzeitig dadurch seine
Zweitursache ist - und durch seinen Vollzug als Reflexion des Denkens alle
anderen Dinge der Schöpfung, da als Begriff gegeben, auf sich (innerer
keinesfalls mit einer Regression auf den aristotelischen Begriff derselben verwechselt
werden. Deswegen haben seine Zeitgenossen Unrecht, denn „ wan laege ez alleine an
willen, sô enwaere ez niht ein.“ Ebd. S. 114, 1 f.
259
Pred. 69, DW III, S. 174, 7: „...der wille gât ûz ûf daz, daz er minnet.“.; Vgl. dazu: Von
abgescheidenheit, DW V, S. 402 f. Vgl. dazu auch B. Uhde, „Fiat mihi secundum verbum
tuum“, op. cit., S. 93 f.
260
Pred. 3, DW I, S. 52. 9 ff.: „...wan bekantnisse ( obere Vernunft ) hât den slüzzel und
sliuzet ûf und dringet und brichet durch und vindet got blôz und saget denne ir gespilen,
dem willen, waz si besezzen habe, swie si doch den willen ê gehabet habe.“ Die
Möglichkeit der Aufhebung der ratio in die Liebe läßt bereits mit Augustinus die zweite
über die erste herrschen.
261
Pred 13, DW I, S. 218, 9: „Daz got staete ist, daz machet alliu dinc loufende.“
102
Mensch) aus262, „...daz sie komen wider, dannen sie gevlozzen sint...“263. In
dieser Bewegung bleibt der Wille immer dem Zustand der jeweiligen IchStruktur, begriffen als obere und untere Vernunft, notwendigerweise
untergeordnet, indem er sie, ihrer Zuständigkeit entsprechend, als Ursache
voraussetzt.
Ist der Wille aber bereits in principio ein Verursachter und als solcher
Doppelung, wird er es in finiis auch bleiben müssen, was als die erste
Ursache seiner Aufhebung vor dem `Eintritt` in die absolute Einheit gedacht
werden muß, gemäß dem Prinzip, wonach „ Finis autem et principium
idem.“264.
Damit ist die Liebe die letzte und subtilste Weise der Reflexion des
Denkens, das von ihr dem Begriff nach Erkannte zu erreichen. Mit dem
Hinweis auf die duale Struktur des Willens und der Liebe verläßt Eckhart
endgültig, weil dem Inhalt nach, die augustinische265 und mit ihr die
überkommene religiöse Art des Denkens.
2. Weil Etwas gedacht werden kann, ohne daß es gewollt wird, jedoch
nichts gewollt werden kann, ohne vorher gedacht worden zu sein, folgt der
Aufhebung des Verursachten und damit notwendigerweise an zweiter Stelle
die Aufhebung der Ursache selbst, nämlich des äußeren Menschen. Und
weil aus dem vorausgehenden Satz gefolgert werden muß, daß ein Ich
gedacht werden kann, welches über keine Willensäußerung verfügt, jedoch
keine Willensäußerung ohne einen Träger, findet im Tod des Ichs die
eigentliche Aufhebung des dem Willen vorausgesetzten Trägers statt.
Kommt dem Ich, unabhängig von der Reflexion des Denkens, begriffen als
Vollzug ihrer drei Momente, die da sind: der Denker, das Gedachte und das
Denken, keinerlei Existenz zu und werden gleichzeitig diese drei Momente
als im konditionalen Wechselverhältnis zueinander stehend erkannt, so folgt
daraus, daß das Ich das unmittelbare Ergebnis der sich vollziehenden
Reflexion des Denkens ist, mithin ein Begriff und somit genau das, was der
Wille als Ursache jeglicher Ausrichtung seiner selbst innerhalb der
erscheinenden Vielheit voraussetzt.
262
Pfeiffer, S. 180, 24.: „ Ich alleine bereite alle crêatûren wider zuo gote.“
263
Pred. 13, DW I, S. 219, 1.
264
In Gen. II, LW I, S. 636, 3.
265
Vgl. Augustinus, In Ioannis Evangelium XIX, 1 f. Daher auch die Ausrichtung aller auf
Gott, begriffen als Liebe: „...ad unum deum tendentes et ei uni religantes animas nostras –
unde religio dicta creditur...“ Augustinus, De vera religionae LV, 111.
103
Daraus ergibt sich zum einen, daß die Aufhebung des Ichs nicht als gewollt
gedacht werden kann, ist der Wille auf dieser Stufe doch bereits
aufgehoben. Wenn nicht, so ist die Aufhebung der Ursache (des IchBegriffs) vom Verursachten (dem Wille) deswegen nicht denkbar, weil dann
das Verursachte ohne seine Ursache bestehen müßte, was, wie bereits
gezeigt, widersprüchlich wäre. Zum anderen kann die Aufhebung des Ichs
nicht im Denken vollzogen werden, ist gerade der Vollzug des Denkens als
Begriff die Ursache des Ichs, weshalb die Aufrechterhaltung der Reflexion
des Denkens auf direkte (indem sie sich selber denkt) oder indirekte (indem
sie anderes denkt) Weise immer das Ich als Begriff hervorbringt und
aufrechterhält.
Daraus folgt wiederum, daß die Ich-Aufhebung der Aufhebung seiner
Ursache, mithin der Reflexion des Denkens, gleichkommt, weshalb Eckhart
im Anschluß an die Aufhebung des Willens von der Aufhebung des Wissens
und nicht des Ichs spricht266.
Setzt das konditionale Wechselverhältnis die völlige Gleichberechtigung
ihrer einzelnen Momente untereinander voraus, ist eine etwaige Hierarchie
unter diesen auf die Grammatik, nicht aber die Logik der Sprache
zurückzuführen. So suggeriert etwa die besagte grammatische Struktur der
Sprache mit dem Begriff des Denkers eine zeitliche Vorab- und subjektive
Einzelstellung eines Seienden gegenüber dem zeitlich nachgestellten
Gedachten, und die Ursächlichkeit beider für das Aufkommen des ganzen
Prozesses begriffen als Denken mithin eine Kausalität. Die Logik des
Denkens, angewendet auf das Denken selber, erkennt dieses unter dem
Begriff der Konditionalität, indem sie das grammatische Subjekt, Objekt
und Prädikat, also den Denker, das Denken und das Gedachte, eben nicht
der grammatischen Suggestion folgend, miteinander entsprechend
gleichsetzt, sondern als gleichberechtigte Momente des gleichen Prozesses
erkennt, dessen Ergebnis, unabhängig von dessen Ausrichtung, immer nur
einen (singular) Begriff hervorbringt267.
266
Pred. 52, DW II, S.494, 4 : „Ze dem andern mâle (als zweite Stufe) ist daz ein arm
mensche, der niht enweiz.“
267
Auf diesem Hintergrund wird erneut verständlich, weshalb Eckhart den vorgefundenen
kausalen Gottesbegriff notwendigerweise in die Konditionalität aufhebt, ergibt der erste,
alleine durch die Versetzung in die Zeitlosigkeit, immer noch keine im Denken eindeutig
nachvollziehbare Verbindung zwischen den einzelnen Personen und keinesfalls den Begriff
der absoluten Einheit.
Der als Reflexion des Denkens bestimmte Gottesbegriff erweist dagegen in der
Konditionalität der inneren Struktur die Notwendigkeit seiner Einheitlichkeit, erklärt
zugleich als reiner Vollzug dieser und das wiederum notwendigerweise, die Identität von
104
Daraus folgt, daß der zunächst kausal gedachte trinitarische Gottesbegriff,
die in die Zeitlosigkeit versetzte und ihrem Stand entsprechende
Selbsterkenntnis des Menschen, begriffen als Reflexion des Denkens und
damit ratio inferior ist. Setzt aber diese bei ihrem Vollzug, gedacht als
Begriffsableitung von den sinnlich vermittelten Bildern ein a priorisches
Wissen um dieselben Begriffe notwendigerweise voraus, ist der von den
Dingen abstrahierte Begriff nichts anderes als die Idee des Dinges selber268,
die immer schon als seine Ursache gedacht, ihm und damit seiner
Erkenntnis vorausgeht. Deswegen ist auch die Idee – als a priorisches
Wissen gedacht – die „Causa prima omnis rei“ und damit das „verbum in
principio“269.
Das „verbum“ wiederum begriffen als „Sohn“ kann, der Konditionalität
wegen, nicht ohne den „Vater“ gedacht werden, weshalb die „causa prima
omnis rei“ Gott im Vollzug der Trinität ist. Als diese ist er dann der ratio
inferior notwendige Voraussetzung und muß ihr, als deren a priorisches
Wissen, Anwesenheit bei sich gewähren, die, wiederum der Konditionalität
wegen, nicht mehr vermittelt – durch den „Sohn“ als das „verbum“ –
gedacht werden kann, sondern unmittelbar bei sich im Vollzug begriffen
werden muß und daher mit ihr identisch. Die notwendige Anwesenheit der
ratio inferior bei Gott kann deswegen unmittelbar gedacht werden und wird
darum in Folge als ratio superior begriffen.
So gedacht folgt, daß der Inhalt der Religion, innerhalb der Entfaltung des
Begriffes der Mystik, kein `Außerhalb` der Ich-Struktur sein kann, sondern
als Doppelung bestimmtes und im Begriff der ratio superior gedachtes a
priorisches Wissen, notwendiger Moment ihres Selbstvollzuges, weswegen
die ratio superior oder Gott (immer als Trinität) niemals Ziel der Aufhebung
derselben sein können, vielmehr dieser selbst unterliegen. Die Aufhebung
der Ich-Struktur, begriffen als Reflexion des Denkens, unterteilt sich
Sein und Denken, wonach Gott zeitgleich ist und sein muß, weil er denkt, und nicht etwa
umgekehrt, womit er damit im letzten Schritt die vom kausalen Begriff her errichtete
„ontologische Schranke“ zum Seienden hin aufhebt. Und obwohl der so gedachte
Gottesbegriff,die unmittelbare Anwesenheit bei sich zulassen müsste – im Denken nämlich
– erweist er sich wegen der Doppelungen, die notwendige Momente seines Selbstvollzuges
sind, nicht als absolute Einheit, mithin nicht als Gott.
268
In Joh. n. 11, LW III, S. 11: „Constat ergo, quod in rebus creatis nihil lucet praeter
solam rerum ipsarum rationem.“
269
In Joh. n. 12, LW III, S. 13.
105
deswegen selbst wiederum in zwei Stufen: die Aufhebung der äußeren IchStruktur (ratio inferior) und die der inneren Ich-Struktur (ratio superior).
Ist damit der Denker das Ergebnis der Ausrichtung des Denkens auf das
Gedachte, so erreicht Eckhart die Aufhebung der ganzen Bewegung durch
die des einen Teils, nämlich des dritten, welcher die Begriffe selber sind in
der Hierarchie ihrer Aufstiegs- und Abstiegsfolge und damit in der Weise,
wie sich die Reflexion des Denkens aus der eigenen Gewissheit heraus
entfaltet, beziehungsweise im Denken zu überwinden sucht, mithin auf sich
bezogen ist im Sinne der `eigenschaft` und damit Bindung, verstanden als
Ich-Begriff der Selbst-Identifikation270. Die Aufhebung ereignet sich damit
wie folgt:
In der Aufstiegshierarchie folgt der Aufhebung der Reflexion des Denkens,
hier begriffen als Wissen und damit diskursives Denken271, die
Identifikation mit und damit die Notwendigkeit der Aufhebung der
Erkenntnis als der vergleichenden Hinordnung des Einzelfalls des sinnlich
Wahrnehmbaren auf den Begriff hin272, um schließlich die im Grunde
gegebene Identifikation mit den Sinnen273 selber aufzugeben274.
Die Aufhebung der ratio inferior erfolgt im Fallenlassen der als
„eigenschaft“ bestimmten Bindung an die Schein-Substanzhaftigkeit der im
Ich-Begriff stattfindenden Selbst-Identifikation275. Als Folge davon erreicht
die ratio inferior die unmittelbare Anwesenheit beim Ursprung ihrer selbst,
begriffen als ratio superior, als deren zeitliches Erscheinen sie sich im
270
Weswegen die `Seligkeit`, somit die unmittelbare Anwesenheit bei der absoluten
Einheit, in keinerlei Reflexionsverhältnissen begründet sein kann. Vgl. dazu: Pred. 52, DW
III, S. 496, 1 ff.
271
Vgl. zum Problem der Entfaltung des Begriffes der Wissenschaft: Aristoteles,
Metaphysik 981 b 10 f.
272
Vgl. dazu: In Joh. n. 11, LW III, S. 11.; die Tatsache, daß in diesem Zusammenhang der
Begriff der Erkenntnis zwischen dem des Wissens und dem der sinnlichen Wahrnehmung
steht, spricht für seine Entsprechung mit dem des Künstlers bei Aristoteles. Vgl.
Aristoteles, Metaphysik 981 a, 25.
273
Vgl. dazu: Pred. 83. DW III, S. 443.; In Gen. II, n. 141 ff, LW I, S. 609 ff.; Aristoteles,
Metaphysik 981 b, 30.
274
Pred. 52, DW II, S. 494, 10: „...daz er niht enwizze noch enbekenne noch enbevinde...“
275
Sermo XXIX, n. 304, LW IV, S. 269.
106
begrifflichen Vollzug der erscheinenden Vielheit denkend manifestiert.
Ohne die Zentrierung auf die zeitliche und damit begriffliche Ich-Identität
denkt sie die erscheinende Vielheit unmittelbar aus ihrem Ursprung heraus
und auf ihren Ursprung hin und damit einheitlich, ohne einen explizit als Ich
definierten Träger dieser Reflexion276. Alleine die Einsicht in die
Substanzlosigkeit der aufrechterhaltenen Ich-Identität ereignet sich als die
unmittelbare Anwesenheit bei der Einheit, die dem Sein nach der eigentliche
Träger ihrer eigenen Entfaltung ist277.
Der äußere Mensch ist jetzt, da willenlos, im Stand der „hoesten armuot“278,
und wissenslos, darum in „klârste armout“279, und somit im Innersten seiner
Struktur, die jedoch die „ naeste armout“280, so Eckhart weiter, noch nicht
erreicht hat, ist Gott, gedacht als ratio superior, Doppelung, mithin nicht das
Ziel der Aufhebung derselben281, behält er noch mit dieser Bestimmung
Identität, mithin auch Unterschied282 und ist damit Ursache erneuter
Identifikation im Sinne der `eigenschaft`, weswegen er, als ratio superior
begriffen, ebenfalls aufgehoben werden muß283.
Ergab sich aber die Ursache der Aufhebung der ratio inferior aus ihrem
Leiden heraus, so ist die ratio superior, im Sinne der ´eigenschaft` begriffen,
deswegen schwerer zu durchbrechen, ist sie, wegen der bereits
stattgefundenen Aufhebung der Vielheit, doch ein Zustand der „Lust“284, der
276
Sermo XXIX, n. 305, LW IV, S. 270.
277
Von abgescheidenheit, DW V, S. 402.
278
Pred. 52, DW II, S. 499, 4. Hier ist der Begriff `hoeste` wegen der ursprünglichen
Besetzung durch den Begriff des Willens, der nämlich auf das `hoeste` gerichtet war,
beibehalten worden.
279
Pred. 52, DW II, S. 499, 6.
280
Pred. 52, DW II, S. 499, 7.
281
Pred. 52, DW II, S. 502, 7: „ ...alsô als wir got nemen begin der crêatûren...“
282
Pred. 52, DW II, S. 502, 5: „ ...dâ behaltet er underscheit...“
283
Pred. 52, DW II, S. 502, 6: „Her umbe sô bite ich got, daz er mich ledic mache gotes;
wan miîn wesenlich wesen ist obe gote...“
284
Pred. 86, DW III, S. 482, 17: „...umbegriffen was mit luste nâch aller ir sêle
genüegende...“
107
um seiner selbst willen gesucht wird285 und dies auf Kosten der Verachtung
und der Geringschätzung der erscheinenden Vielheit. Damit ist die
auschließliche Ausrichtung auf die ratio superior ihrer Doppelung wegen
nicht nur „under gote“, sondern ein Widerspruch zu der sich vollziehenden
Vielheit im Begriff der Tugend286, deren Vollzug aus der Einheit in die
Vielheit, unmittelbar nach der Erkenntnis des Absoluten, die
zweitwichtigste Tätigkeit ist287.
3. War das Durchschauen der Ich-Identität auf ihre Substanzlosigkeit hin die
Übung und der Zustand zugleich, durch welche zunächst die ratio inferior
hat aufgehoben werden können, so geschieht die Aufhebung der ratio
superior mit der Einsicht in die Doppelung ihrer Struktur. Weil die
Aufhebung der Doppelung niemals sich solch einer als „Mittel“ bedienen
kann und weswegen jegliche als Reflexion vorstellbare Tätigkeiten
ausscheiden, müssen die „Übung“ der Aufhebung und ihr Ergebnis
identisch sein, denn es ist sonst ein Widerspruch zu denken, daß sich die
Vielheit (ratio inferior) durch die Vielheit (Reflexion des Denkens) oder
durch die Doppelung (ratio superior), mithin ihren Selbstvollzug, aufheben
könnte. Dies bestimmt Eckhart mit dem Begriff der „abgescheidenheit“,
deren Bestimmung mit der der absoluten Einheit identisch ist288. So gedacht
kommt die völlige Identifikation der Vielheit mit sich selbst dem nicht
aufgenommenen Vollzug der Abgeschiedenheit gleich, während die
Identifikation mit dem Logos im Begriff der ratio superior dem Abbruch
derselben auf dieser Stufe gleichkommt, ist die Abgeschiedenheit, als
absolute Einheit, immer schon die Aufhebung schlechthin289.
285
Pred. 86, DW III, S. 483, 15: „ ...mê durch lust da durch redelîchen nutz.“
286
Pred. 86, DW III, S. 483, 3 f.: „ Leben gibet daz edelste bekennen. Leben bekennet baz
dan lust oder lieht allez, daz man in disem lîbe under gote enpfâhen mac, und etlîche wîs
bekennet leben lûterer, dan êwic lieht gegeben müge.“
287
Pred. 86, DW III, S. 482, 17 ff.
288
Von abgescheidenheit, DW V, S. 400 ff.
289
Von abgescheidenheit, DW V, S. 428, 7 ff.; Vgl. dazu: Pred. 2, DW I, S. 43, 3 ff: „ Got
selber louget dâ niemer în einen ougenblik und geluogete noch nie dar în, als verre als er
sich habende ist nâch wîse und ûf eigenschaft sîner persônen (...) Und sô diu
abgescheidenheit kumet ûf daz hoehste, sô wirt si von bekennenne kennelôs (die
Aufhebung der Reflexion des Denkens) von minne minnelôs (die Aufhebung des Willens)
und von liehte vinster (die Aufhebung der ratio superior).“
108
Daraus folgt, daß die Abgeschiedenheit als vollkommenste Aufhebung aller
zuvor gedachten Stufen der Ich-Struktur zu denken ist. Sie gründet damit
und notwendigerweise indirekt – aus ihrer Perspektive betrachtet – „ûf
einem blôzen nihte“290, kann deswegen nicht mehr als ein Etwas innerhalb
oder gegenüber der absoluten Einheit gedacht werden und muß in Folge mit
ihr identisch sein291.
Mit dem Erreichen der unmittelbaren Anwesenheit bei der absoluten Einheit
erreicht das Nachdenken der Ich-Struktur ihren Grund, mithin die
`gotheit`292 und damit, wenn auch im zeitlichen Nachher, das Wissen um
den permanenten Ist-Zustand dieser selbst im Begriff der absoluten Einheit.
Die somit erreichte Perspektive der absoluten Einheit mündet
notwendigerweise zeitgleich in der unmittelbaren Anwesenheit bei allen
Dingen, hebt doch die absolute Einheit alle Unterschiede, mithin
Vermittlung auf293.
Die Aufhebung des Unterschiedes ist aber keinesfalls mit der Aufhebung
der Vielheit an sich gleichzusetzen, kann nämlich diese innerhalb der
absoluten Einheit gedacht werden, eben weil sie erhaben über alle
Unterschiede und gemäß ihrer Absolutheit dieselben aufhebt. Deswegen
kann jetzt, aus der Perspektive des Begriffes der absoluten Einheit gedacht,
in dem jeweilig gesetzten Unterschied – damit im Denken – und nicht in den
einzelnen Dingen – damit im Sein – die als Sünde begriffene „eigenschaft“
der Identifikation bestimmt werden.
In der Möglichkeit dieser Identität scheint die Freiheit des Menschen zu
gründen, die damit im Widerspruch zum Ganzen seiner Entfaltung steht.
Was nämlich als Freiheit auf der einen Stufe der Entfaltung der Ich-Struktur
erscheinen kann, wird mit dem Erreichen der nächst höher liegenden als
Notwendigkeit erkannt, bis beide Begriffe im Erreichen der unmittelbaren
Anwesenheit beim Absoluten ihre Gegensätzlichkeit verlieren.
290
Von abgescheidenheit, DW V, S. 423, 3.
291
Von abgescheidenheit, DW V, S. 428, 1: „...sô diu sêle dâ zuo kumet, sô verliuset si irn
namen und ziuhet sie got in sich, daz sie an ir selber ze nihte wirt, als diu sunne dat
morgenrôt an sich ziuhet, daz ez ze nihte wirt.“
292
Pred. 47, DW II, S. 409, 8: „ ...sô muz daz sîne daz ir sîn, und daz îr daz ist eigentlîche
daz sîne.“
293
Von dem edeln Menschen, DW V, S. 116, 8 ff.
109
Und ist die Sünde, begriffen als „eigenschaft“, die Aufrechterhaltung der
Unterschiede, so ist das daraus resultierende Leid bereits die „Strafe“ und
damit die „Hölle“294.
Die einmalige unmittelbare Anwesenheit der Ich-Struktur in ihrem Grund –
wegen der Zeitlosigkeit der Absolutheit ist der Begriff „einmalig“
gleichbedeutend mit „immer“ – muß jetzt als die notwendige Voraussetzung
für den freien Vollzug der äußeren wie auch der inneren Struktur ihrer selbst
gedacht werden. Dies Anwesenheit gründet die Freiheit in der Auflösung
der „eigenschaft“295, die, aus der jetzigen Perspektive bedacht, nichts
anderes war als die ausschließliche Identifikation der jeweiligen ratio mit
sich selbst, begriffen als Ich oder Gott. Und konnte der Mensch, in der
„eigenschaft“ der ratio superior stehend mit dem Sprachbild (und
gleichzeitig, da Identifikation somit in der „eigenschaft“) der Jungfrau
„juncvrouwe“296 wiedergegeben werden, so muß und kann er jetzt Weib
„wîp“297 sein.
Somit kann die im Vollzug der ratio superior erkannte und als Logos
begriffene Einheit der Vielheit (a priorisches Wissen) sich innerhalb der
Letzten, mithin im zeitlichen Nacheinander ohne „eigenschaft“ und damit
als Tugend entfalten298, ist doch die Ursache der Eigenschaft-Bildung,
nämlich die duale Anschauungsweise, mit dem Erreichen der unmittelbaren
Anwesenheit beim Absoluten aufgehoben worden.
Die Entfaltung der Einheit aller Dinge ist dann gleichbedeutend mit dem
Vollzug der ratio inferior, begriffen als Reflexion des Denkens, die jetzt
unterschiedslos die Dinge in der Reihenfolge ihres Erscheinens dem Begriff
nach denken kann299, um sie damit, erkannt als das, was sie sind – mithin in
Form des Begriffes – in ihren Ursprung zurück zu tragen, der nichts anderes
294
Pred. 5b, DW I, S. 88, 9: „Aber ich spriche waerlîche, daz niht [der Unterschied] in der
helle brinnet.“
295
Vgl. Pred. 2, DW I, S. 43, 3 ff.
296
Pred. 2, DW I, S. 24. 8 f.
297
Pred. 2, DW I, S. 27, 3.
298
Pred. 2, DW I, S. 27. 6: „Daz aber got vruhtbaerlich in im werde, daz ist bezzer...“
299
Pfeiffer, S. 180, 23 f.: „ Alle crêaturen tragent sich in mîne vernunft, daz si in mir
vernünftic sint. Ich alleine bereite alle crêatûren wider zuo gote.“
110
ist als die einheitlich gedachte Idee der Dinge selbst im Spiel ihres
Selbstvollzuges300.
Der Mensch, gedacht als zeitlicher Vollzug der Reflexion des Denkens, ist
immer schon und immer nur der unmittelbare begriffliche Vollzug seines
Innersten, erkannt aus der absoluten Einheit seiner selbst heraus im Begriff
des Grundes.
An dieser Stelle und aus dieser Perspektive heraus kann die anfangs
gestellte Frage nach dem Sinn der Schöpfung dahingehend beantwortet
werden, daß diese im Begriff der äußeren Ich-Struktur die Entfaltung des
Schöpfers im Begriff ihres Grundes, mithin das notwendige Moment für die
Konstituierung der Möglichkeit seiner Selbstreflexion verstanden werden
kann. Der gewissermaßen durch das Leiden an der Identifikation mit der
äußeren Ich-Struktur erzwungene Vollzug der unmittelbaren Anwesenheit
bei der absoluten Einheit ist eine Rückbeugung derselben auf sich selber,
mithin Selbstreflexion und deswegen auch Leben. In der Möglichkeit der
Verweigerung der Hingabe an das in diesem Sinne verstandene Leben
könnte der Ursprung menschlicher Freiheit gedacht werden, allerdings
vorausgesetzt, die Verweigerung hielte dem Leiden Stand, denn als auf
diesem gegründet ist sie anzusehen, was, wie jetzt erkennbar, gegen die
Natur der Sache ist.
7.
Zusammenfassung des ersten Teils und Ausblick
Der Ausgangspunkt dieser Untersuchung verstand die Religionsgeschichte
als Wissenschaft, mithin auch den Versuch der Begriffsbestimmung
einzelner Phänomene innerhalb des vom Begriff der Religion angezeigten
Gebietes. Als ein solches Phänomen zeigen sich das Werk Eckharts und der
Zen-Buddhismus und innerhalb dieser die jeweilige Entfaltung der IchStruktur, die den Schwerpunkt der Gegenüberstellung bildet.
Kann aber das Vereinzelte innerhalb der gegebenen Phänomene nur dann
verglichen werden, wenn diese zuvor und somit das Allgemeine als
vergleichbar erkannt worden ist, so muß dann – innerhalb einer
300
Pred. 2, DW I, S. 27. 6 f: „ ...wan vruhtbaerkeit der gâbe daz ist aleine dankbaerkeit der
gâbe, und dâ ist der geist ein wîp in der widerbernden dankbaerkeit, dâ er gote widergibirt
Jêsum in daz veterlîche herze.“
111
Wissenschaft – die Subsumierung unter denselben Begriff (Signifikat)
dieser Voraussetzung folgen. Aus diesem Grund geschah zu Beginn dieser
Untersuchung die Ableitung der allgemeinsten Voraussetzung im Begriff
der Mystik und der Erweis der Werke Eckharts als die Konkretion dieser
innerhalb der christlichen Religiosität. Diese Voraussetzungen wiederum
waren notwendig, um ein vereinzeltes Phänomen wie das der Ich-Struktur
dem Begriff nach ableiten zu können.
Im Folgenden muß daher überprüft werden, inwieweit Zen-Buddhismus als
Mystik begriffen werden kann, denn sollte sich die Subsumierung des ZenBuddhismus unter denselben Begriff als unmöglich erweisen und
gleichzeitig kein neuer allgemeiner Begriff abgeleitet werden können, wäre
zwar die nachfolgende Ableitung der Ich-Struktur dem Begriff nach
innerhalb des Zen-Buddhismus weiterhin möglich, ein Vergleich aber mit
der Ich-Struktur innerhalb des eckhartschen Werkes deswegen unsinnig,
läge das Ergebnis dieser bereits zu Beginn vor. Es kann nämlich das
Vereinzelte – hier der jeweilige Begriff der Ich-Struktur – nur aus dem
Kontext der Konkretion abgeleitet werden – hier innerhalb der Werke
Eckharts oder der des Zen-Buddhismus –, die wiederum allgemein
vergleichbar sein müssen, und das im Sinne der Subsumierung unter
denselben Begriff, hier als Mystik bestimmt. Weil dann in Folge das
Konkrete nicht auf das gemeinsame Allgemeine hin bestimmt werden
könnte, entbehrte die Fortführung des Vergleiches auf der Ebene der
Vereinzelung jeglicher begrifflicher Grundlage und widerspräche dem
wissenschaftlichen Anspruch dieser Untersuchung.
112
IV.
DER MYSTIK-BEGRIFF UND DER ZEN-BUDDHISMUS
Die Untersuchung der Möglichkeit, den Zen-Buddhismus als Mystik zu
begreifen, folgt zunächst der allgemeinen Weise, wie dieser innerhalb der
Moderne bereits umschrieben worden ist301. Dabei kommt dem Begriff der
Mystik an sich tragende Funktion zu, bestimmte er bislang das
Unbestimmbare, nämlich das als Mystik vermutete Werk Eckharts oder das
Zen, weswegen er selbst (und das irrtümlich!) in den Bereich des
Unbestimmbaren gerückt ist, womit konsequenterweise eine konkrete
Erscheinung derselben nicht wirklich gedacht werden konnte, fehlte ihr die
notwendige
begriffliche
Allgemeinerfassung.
Erhebt
aber
die
Religionsgeschichte selbst den Anspruch einer Wissenschaft, so kann dieser
nur dann und solange aufrechterhalten werden, wie diese in der Lage ist,
gemäß ihrem eigenen Verständnis das Vorgestellte und Angetroffene dem
Begriff nach zu denken. Die Begriffsentfaltung und Ableitung wiederum,
will sie nicht ins bloße Meinen abgleiten, muß dem Maßstab des
abendländischen Denkens Folge leisten, das in seinen Prinzipien
offenkundig geworden ist302. Damit ist der Begriff der Mystik, verstanden
als Ergebnis der Religionsgeschichte in ihrem Eigenverständnis als
abendländische Wissenschaft, gleichsam dem Befragten jeweils immer nur
ein Begriff und kann in diesem Zusammenhang keinesfalls durch den
Verweis auf eine Erfahrung auf beiden Seiten ersetzt werden, ist die zweite
nämlich nur mittels des Begriffes Gegenstand der Betrachtung, mithin
wissenschaftsfähig und niemals an sich selbst303.
301
Vgl. dazu: Dumoulin, Zen, Bern 1959, S. 10.; Lasalle, Zen und christliche Mystik,
Freiburg 1986, S. 26. Diese Stellen seien nur exemplarisch angeführt für die
selbstverständliche Anwendung des Mystik-Begriffes auf beide Größen, ohne seine
vorherige exakte Bestimmung.
302
Nochmals sei hier auf die grundlegende Arbeit von Heribert Boeder, Topologie der
Metaphysik, op. cit., verwiesen.
303
Mit der Hervorhebung der Erfahrung gegenüber der Begriffsbestimmung innerhalb einer
Wissenschaft begibt sich diese in einen Selbstwiderspruch, indem sie ihren reflektiven,
mithin auf Begriffe angewiesenen Vollzug negiert. Vgl. dazu exemplarisch die Abgrenzung
des Begriffes der Vergänglichkeit gegenüber wie auch immer verstandenen Erfahrung
derselben in B. Uhde, Einheit und Gegenwart, op. cit., S. 17. Dort der Verweis auf die
Hegelsche Begründung des Sachverhalts, die ihrer Wichtigkeit wegen für die Annäherung
an das Zen als Begriff und nicht Erfahrung angeführt sei: „Über dieses Prinzip ist zunächst
die richtige Reflexion gemacht worden, daß in dem, was Erfahrung genannt wird und von
bloßer einzelner Wahrnehmung einzelner Tatsachen zu unterscheiden ist, sich zwei
Elemente finden,- das eine der für sich vereinzelte, unendlich mannigfaltige Stoff, - das
113
Deshalb soll und kann im Folgenden untersucht werden, inwieweit die
Selbstreflexion des Zen einen Begriff hervorbringt, welcher der fragenden
Hinbewegung im Begriff der Mystik entspricht.
Das Zen versteht sich selbst wie folgt:
„ Eine besondere Überlieferung außerhalb der Schriften
unabhängig von Wort und Schriftzeichen:
Unmittelbar des Menschen Herz zeigen,die (eigene) Natur schauen und Buddha werden.“304
Die Begrifflichkeit dieser Selbstreflexion, so die Eigendefinition des Zen
weiter, entstammt der buddhistischen Lehre: „Die Worte und der Geist des
Buddha bilden die Grundlage des Zen“305 und wird von den Trägern der
Zen-Orthodoxie, die gemäß der Definition die Buddhaschaft erlangt haben
und qualifiziert sind, in diese hineinzuführen, nämlich den Zen-Meistern
(jap. Rôshi306), fast ausschließlich auf dreierlei Weise betrieben: in der Form
einer „Aufgabe“ (jap. Kôan), der „Unterweisenden Darlegung“ (jap.
Teishô), und des „Zwiegespräches“ (jap. Mondô).
andere die Form, die Bestimung der Allgemeinheit und Notwendigkeit. Die Empirie zeigt
wohl viele, etwa unzählbar viele, gleiche Wahrnehmungen auf; aber etwas ganz anderes ist
noch die Allgemeinheit als die große Menge. Ebenso gewährt die Empirie wohl
Wahrnehmungen von aufeinander-folgenden Veränderungen oder von nebeneinanderliegenden Gegenständen, aber nicht einen Zusammenhang der Notwendigkeit. Indem nun
die Wahrnehmung die Grundlage dessen, was für Wahrheit gelte, bleiben soll, so erscheint
die Allgemeinheit und Notwendigkeit als etwas Unberechtigtes, als eine subjektive
Zufälligkeit, eine bloße Gewohnheit, deren Inhalt so oder anders beschaffen sein kann. Eine
wichtige Konsequenz hiervon ist, daß in dieser empirischen Weise die rechtlichen und
sittlichen Bestimmungen und Gesetze sowie der Inhalt der Religion als etwas Zufälliges
erscheinen und deren Objektivität und innere Wahrheit aufgegeben ist.“ G.W.F. Hegel,
Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse von 1830, § 39.
304
H. Dumoulin, Zen, Bern, 1959, S. 73. Die Verse stammen vermutlich vom Zen-Meister
Nan-chüan und sind auf das Jahr 1237 datiert, bzw. auf das Jahr 1108 nach H. W.
Schumann, Mahâyâna Buddhismus, München 1990, S. 103.
305
Mumon Ekai, Mumonkan, München 1989, S. 23.
306
Der Rôshi-Titel beinhaltet die vollständige Erlangung der Buddhaschaft und gleichzeitig
die Befähigung, den Weg zu dieser zu lehren. Inhaltlich betrachtet versteht sich jeder ZenMeister der Qualität seiner Einsicht nach identisch mit dem historischen Buddha Siddhârta
Gautama, in dessen Traditionskette er namentlich eingetragen wird. Vgl. dazu: K. J. Notz,
Das Schüler-Meister-Verhältnis im Zen, Festschrift für G. J. Bellinger, Dortmund, 1996, S.
411 ff.
114
Bei einem Kôan handelt es sich meistens um eine erzählte Begebenheit,
deren Unlösbarkeit auf dem intellektuellen Wege den Übenden aus der
Identifikation mit dem Ich, begriffen als Vollzug der Reflexion des
Denkens, befreien soll, während der japanische Begriff Teishô mit dem
Begriff `Darlegung` wiedergegeben, je nach der Eigenart des Rôshis, oft
allgemeiner Natur ist und die Grundlagen des Zen an sich reflektieren kann,
jedoch immer nur im Hinblick auf die unmittelbare Erlangung der
Buddhaschaft selbst, mithin die Übung der Aufhebung der Reflexion des
Denkens unterstützend307. Das Mondô ist entweder ein Wortgefecht zweier
Rôshis und dann zum Zweck der Vertiefung der bereits erworbenen Einsicht
selbst, oder eine Frage-Antwort-Begebenheit des Meisters mit dem Schüler
zwecks der Belehrung des Letzteren. Teile des Mondôs wie auch des
Teishôs bilden oft ein Kôan, wobei alle drei keinesfalls begrifflicher Natur
sein müssen, so daß nur die begrifflichen Gegenstand dieser Untersuchung
sein können.
Damit sind die in der oben genannten Form verfassten und überlieferten
Aussagen der Zen-Meister für die begriffliche Bestimmung des Zen die
Primärquelle: „Solange einer für sein Verständnis dieser inneren Zusammenhänge nicht das Siegel der Bestätigung durch einen Meister erhält,
nach welchem Maßstab will er sich dann anstellen, Worte zu reden, die in
das Geheimnis der Tiefe führen?“, Worte, mit deren Hilfe der Möglichkeit
der Begriffsbestimmung des Zen als Mystik nachzudenken sein wird308.
In der Eigendefinition begreift sich das Zen als die unmittelbare Erlangung
der Buddhaschaft, scheint damit dem Inhalt der Begriffsbestimmung der
Mystik zu entsprechen, vorausgesetzt aber, der Begriff der `Buddhaschaft`
307
Exemplarisch dazu: D. T. Suzuki, Koan, der Sprung ins Grenzenlose, Bern 1988.; ferner
T. Cleary, Zur Geschichte der Koan-Übung, in Mumonkan, München 1989, S. 273 ff.
308
Engo Kokugon Roshi, Bi-yän-lu, Bd. I, Leipzig 1980, S. 255. – Der Hinweis auf die
Primärquelle kann nicht genug hervorgehoben werden, vor allem in Zeiten wachsender
Sekundärliteratur, die zum Selbstverständnis des Zen im Widerspruch steht. So versteht
beispielweise Yamada Kôun Rôshi die Aussage: „Die Worte und der Geist von Buddha
bilden die Grundlage des Zen“ dahingehend, daß „ die Worte aus dem Geist als Entfaltung
seiner Erfahrung hervorgehen“ (Mumonkan, München 1989, S. 25), mithin diese
notwendigerweise voraussetzen und eben den Rôshi-Status begründen, der wiederum, eben
weil erfahren, befähigt ist, diese (Begriffe) zu entfalten. Die Schriften Zen-Geübter müssen
daher notwendigerweise als Sekundärliteratur gelten, können diese die Entfaltung der
Begriffe aus der Erfahrung nicht hervorbringen, so ihnen diese Erfahrung nicht bestätigt
worden ist. Dazu gehören vor allem auch die Werke des D. T. Suzukis wie auch der
Mitglieder der Kyôto-Schule, mit Außnahme von Hisamatsu Shin` ichi, die über kein InkaShômei verfügen.
115
läßt sich als absolute Einheit bestimmen und die unmittelbare Anwesenheit
bei der so verstandenen Einheit mit der bei der Vielheit denken.
Selbst dann, wenn sich das Zen weiterhin, der Eigendefinition zufolge, eben
nur auf das Erreichen der Buddhaschaft beschränken möchte, so setzt dieses
Selbstverständnis ein Wissen um die Buddhaschaft im Sinne der absoluten
Einheit, mithin einen Begriff voraus, der wiederum nur dann sinnvoll
gedacht werden kann, wird er mittels der Selbstreflexion der Vielheit, als
deren notwendige Voraussetzung, im Zuge ihrer Selbsterkenntnis bestimmt.
Verzichtet aber das Zen weitgehend auf die reflexive Analyse seiner eigenen
Begrifflichkeit (erster Teil der Eigendefinition), ist aber gleichzeitig auf
diese angewiesen (zweiter Teil der Eigendefinition), so muß es auf eine
bereits vorhandene Bestimmung seiner tragenden Begriffe zurückgreifen,
um diese überwinden zu können und sich damit seinem Inhalt entsprechend
zu manifestieren.
Damit erweist sich als erstes die formale Anwendung der
Begriffsbestimmung der Mystik auf den Begriff des Zen als möglich,
während sich die inhaltliche wie folgt entfaltet:
In der reflektierten Einsicht in den umfassenden Mangel an anwesender
Gegenwart in der Vielheit, verstanden als erster Teil der
Begriffsbestimmung der Mystik, gründet die Gesamtlehre Buddhas, damit
auch die des Zen, und das sowohl der Form wie auch dem Inhalt nach. Der
Form nach, weil die Reflexion dieser Einsicht zu Beginn seiner
Lehrtätigkeit steht, nämlich am Anfang der ersten Lehrrede, gehalten wohl
im Jahre 528 im Gazellenhain von Benares; dem Inhalt nach, weil die
Reflexion dieser Einsicht in die Vielheit die Substanzlosigkeit derselben
erkennen läßt und somit die Voraussetzung für ihre Aufhebung begründet.
Umgekehrt formuliert und damit in der Absetzung gegen die Lehre der
Upanishaden argumentiert: In der Annahme einer Wesenheit innerhalb
(âtman) oder außerhalb (Brahmâ) der Vielheit liegt die Ursache einer
möglichen, jedoch irrtümlichen Identifikation mit einer von beiden, die
Unterschied, mithin wiederum irrtümlich, Dualität stiftet309.
Die erscheinende Vielheit ermangelt deswegen nicht nur einer
Dauerhaftigkeit im Sinne der anwesenden Gegenwärtigkeit, sondern läßt
sich als deren absoluter Mangel bestimmen, kann diese notwendigerweise
nur im Zusammenhang mit einer ihr innewohnenden Wesenheit gedacht
werden, welche aber alles Erscheinende entbehrt:
309
Vgl. dazu: Majjhima - Nikâya 22, Pali Text Society,Vol. I, London 1954.
116
„Wenn im Geiste der Bodhisattva-Mahasattvas solche willkürliche Begriffe
von Phänomenen wie: die Existenz einer eigenen Selbstheit, die Selbstheit
eines Anderen, Selbstheit verteilt unter einer unendlichen Zahl lebender und
sterbender Wesen oder Selbstheit vereinigt in einem ewig existierenden
Universalselbst, vorhanden wären, so wären sie unwürdig, BodhisattvaMahasattvas genannt zu werden.“310
„Der Buddhismus lehrt (im Gegensatz zum Christentum, Judentum, Islam
und Hinduismus), daß alle erscheinende Vielheit ( jap. shiki ) dem Gesetz
von Ursache und Wirkung unterworfen ist. Ändert sich die Ursache, erfolgt
eine entsprechende Änderung in der Wirkung. Mit dem Aufheben der
Ursache geschieht gleichzeitig und auf natürliche Weise die Aufhebung der
Wirkung. Damit ist verständlich, daß keine Erscheinung über eine eigene
dauerhafte Wesenheit verfügen kann.“311
Die Reflexion dieser fundamentalen Einsicht in die Beschaffenheit alles
Erscheinenden ist dem Buddhismus begriffen als Religion312 und dem Zen
in der möglichen Bestimmbarkeit als Mystik seiner allgemeinsten Aussage
wegen gleichermaßen eigen. Folgt man weiter der Begriffsbestimmung der
Religion wie auch der Mystik, so ist der Inhalt der ersten im Begriff der
absoluten Einheit die notwendige Voraussetzung der zweiten, jedoch so, daß
zunächst nur die Position des Begriffes, keinesfalls aber dieser an sich
unterschiedlich gedacht werden muß.
Der abendländischen Bestimmung der absoluten Einheit im plotinischen
Begriff des `τò έν` innerhalb der Begriffsbestimmung der Mystik entspricht
im Zen neben dem Begriff der `Buddhaschaft` der Begriff der „Leerheit“ –
(Skrt. Śūnyatã; P. Sunnatã; jap. Kû) -, dessen Erhabenheit über jegliche
Dualität und Doppelung bestimmbar sein muß, damit dieser als gewußte
Voraussetzung für die Aufhebung derselben, mithin das Zen als Mystik
gedacht werden kann.
310
Dana-Paramita 3 in Vajracchedikâ-Prajñāpāramita-Sûtra. Übersetzung aus: MeditationsSutras des Mahayana-Buddhismus, hrsg. Muralt, Bd. I, Zürich 1973, S. 19.
311
Hakuun Yuasutani Roshi, Osiem podstaw buddyzmu zen, Gdańsk 1993. S. 13.
312
Unabhängig von der westlichen Diskussion über die Bestimmbarkeit des Buddhismus
als Religion wird dieser abendländische Begriff von den Vertretern des Buddhismus zu
Bestimmung desselben angewendet. Dazu: K. Nishitani, Was ist Religion, Frankfurt 1982.;
D. T. Suzuki, Wesen und Sinn des Buddhismus, Freiburg 1998, S. 15 ff.
117
War der auf den historischen Buddha zurückgehende Begriff der Leerheit
und damit verbunden die Predigt vom „Nicht-Ich“ („Anatta“-Predigt) eine
Absetzung gegen die Lehre der Upanischaden und damit gegen die
Fundamente der frühbrahmanischen hinduistischen Religiosität, so ist jetzt
seine Positionierung im reflexiven Selbstverständnis und die damit
zusammenhängende Bestimmung desselben innerhalb der sich ausbreitenden Lehre des Buddha Ursache für die Gründung diverser Schulen,
zu denen sich auch das Zen zählt 313. Die Überprüfung des vom Zen
übernommenen Begriffes der „Leerheit“ auf seine Bestimmbarkeit als
absolute Einheit kann damit anhand seiner Entfaltung innerhalb der zwei
größten buddhistischen Schulen, dem Hînayâna und dem Mahâyâna,
nachgedacht werden, von denen sich das Zen, gemäß der eingangs
gegebenen Selbstdefinition, durch die Unmittelbarkeit („unabhängig von
Wort und Schriftzeichen“, mithin nicht reflektiver Art) seiner Anwesenheit
beim Prinzip von Allem zu unterscheiden glaubt. Damit liegt die
Möglichkeit der Subsumierung des Zen unter den Begriff der Mystik in der
Möglichkeit der reflektiven Bestimmung des Begriffes der „Leerheit“
innerhalb seiner Selbstdefinition.
1.
Zen und der Hînayâna-Buddhismus
Verfügt keine Erscheinung über eine Wesenheit, mithin Dauer, ist jede
substanzlos und daher „leer“ (Skt. śūnya). Der adjektivisch gebrauchte
Begriff „leer“ bezieht sich damit zunächst ausschließlich auf die
Bestimmung der Beschaffenheit aller aufkommenden Phänomene und sagt
nichts über deren Voraussetzung aus. Diese wurde zu Beginn der
Entwicklung der buddhistischen Lehre und damit innerhalb des Hînayâna
mit dem als Substantiv gebrauchten Begriff „Leerheit“ (P. Śunnatā)
bestimmt und im Sinne der Einheit der reflektierten Einsicht in die
mangelnde Gegenwart (śūnya) zugrunde gelegt314. Bezeichnet aber der
Begriff der „Leerheit“ das Fehlen „von Faktoren, die der Meditation und der
Erlösung im Wege stehen – und ist damit oft eine Bezeichnung der Erlösung
313
Vgl. dazu: Schumann, Mahâyâna Buddhismus, München 1990, S. 29 ff.; Suzuki, Leben
aus Zen, Bern 1987, S. 19.
314
Vgl. dazu: Majjhima-Nikâya 121 und 122, in op. cit., Vol. I.
118
selbst“315, so ist, weiterhin innerhalb des Hînayâna gedacht, der Begriff der
„Leerheit“ mit dem Begriff des „Nirvâna“ (Pali: „Nibbâna“) identisch.
Indem aber das Hînayâna zwischen dem Bereich der „bedingten“ (Pali:
sankhata), daher als leer erkannten Phänomene und dem Bereich des
Nichtbedingten (Pali: asankhata), begriffen als Nibbâna, nicht nur
unterscheidet, sondern diese voneinander als getrennt denkt316, kann die im
Begriff des Nibbâna beziehungsweise Śunnatā der Vielheit vorausgesetzte
Einheit unmöglich als absolut gedacht werden, widerspricht dieser
Bestimmung nicht nur jegliche Trennung, sondern allein schon die
Möglichkeit, einen Unterschied innerhalb ihrer zu denken.
Selbst die Tatsache, daß das Hînayâna den Śunnatā-Begriff innerhalb seines
Selbstverständnisses als die begrifflich erfasste Voraussetzung für die
inhaltlich zu erreichende unmittelbare Anwesenheit bei der unter dem
gleichen Begriff verstandenen Einheit denkt, läßt ihn zwar der Form nach
bereits als Mystik vermuten, dieses jedoch keinesfalls inhaltlich, offenbart
sich die als Einheit gedachte Śunnatā, ihrer Doppelung wegen hinsichtlich
der erscheinenden Vielheit, nicht als absolut.
Im Ergebnis führt die unmittelbare Anwesenheit bei der als Śunnatā
gedachten Einheit logischerweise nicht in die unmittelbare Anwesenheit bei
der als Vielheit begriffenen Erscheinungswelt (samsarâ), ist die Trennung
von ihr nicht nur die Voraussetzung der Śunnatā, sondern auch das Ergebnis
der Bewegung selbst, mündet diese in der Idealgestalt des Heiligen (Pali:
Arahat)317, der die Vielheit eben durch die Vernichtung derselben
weitgehend aufgehoben hat und damit im Zwischenstadium des
Savupadisesa-Nibbâna weilt, bevor er in den, mit dem Tod verbundenen
endgültigen Zustand der Einheit (Pali: Anupadisesa-Nibbâna) eintritt.
Die vom Zen verwendeten und für seine Bestimmbarkeit als Mystik
relevanten Begriffe können damit ihre Begründung nicht aus der HînayânaTradition entnehmen, entspricht die Entfaltung dieser innerhalb des
Gesamtzusammenhangs der ersten buddhistischen Lehre weder dem
Selbstverständnis des Zen318 noch dem Begriff der Mystik.
315
H.W. Schumann, op. cit., S. 32.
316
H.W. Schumann, op. cit., S. 34.
317
Vgl. dazu: N. Katz, Buddhist images of human perfection, Delhi 1982.
318
Hierzu sei auf den ethisch betonten Achtfachen Pfad bezüglich der Erreichung der
Bedingung der Möglichkeit der unmittelbaren Anwesenheit bei der Einheit innerhalb des
Hînayâna hingewiesen, die keinerlei Schlüsse auf die Unmittelbarkeit dieser Anwesenheit,
119
Die Frage nach der absoluten Einheit und dem Verhältnis dieser zur Vielheit
und umgekehrt der Vielheit zur Einheit führte zu einer Verschiebung
innerhalb der Bestimmung beider Begriffe, infolgedessen das zunächst für
die Beschreibung der Vielheit benutzte Adjektiv `leer` (Skt. śūnya) jetzt
auch Wesensbestimmung der Leerheit und damit des Nibbâna wurde,
wodurch in beiden das gleiche Wesen gedacht werden konnte, welches auch
deswegen substantiviert wurde319. Mit dieser Bestimmung ist die Trennung
zwischen der Einheit und der Vielheit dem Begriff nach aufgehoben und
dadurch gleichzeitig die Weise erkannt worden, wie die Einheit jetzt in ihrer
Absolutheit begriffen der Vielheit nicht nur als notwendig vorausgesetzt
gedacht werden kann, sondern auch die unmittelbare Anwesenheit bei sich,
mithin auch bei eben dieser Vielheit zuläßt. Diese reflektive
Neubestimmung ereignete sich im Rahmen dessen, was allgemein unter
dem Mâhâyana-Buddhismus verstanden wird.
2.
Zen und der Mâhâyana-Buddhismus
Obwohl das Zen seine vier fundamentalen Begriffe, nämlich die Leerheit
(Skt. Śūnyatā), die Form (Skt. Rupam), den konditional bedingten Kreislauf
der Erscheinungen (Skt. Samsâra) und dessen Verlöschen ( Skt. Nirvâna )
bereits mit dem Hînayâna gemeinsam hat, verdankt es die Art und Weise
ihrer Verwendung aber einzig und allein der Bestimmung, welche diese
Begriffe innerhalb der als Mâhayâna bekannten buddhistischen Tradition
und Lehre bekommen haben. Die Mâhayâna-Tradition entfaltete ihre Lehre
wie sie eben das Zen propagiert, zuläßt. Dazu: Majjhima-Nikâya 117; ferner: U. Schneider,
Einführung in den Buddhismus, Darmstadt, S. 75 ff. –
Darüber hinaus äußert sich das Zen kritisch bis abschätzig über das Hînayâna. Dazu Yôka
Daishi im „Lobgesang des Erleuchtungsweges“ (jap. Shôdôka), Geh den inneren Weg,
Freiburg 1999, S. 113:
„Der leere Schein-Leib ist der wahre Dharma-Leib.(...)
Gier, Zorn und Verblendung erscheinen und verschwinden
Wie Blasen auf der Oberfläche des Meeres.(...)
Keine Sünde, kein Segen, kein Verlust und kein Gewinn.“
Dies gegen asketische Übungen und Selbstdisziplin des Hînayâna, deren Ernstnehmen die
Vielheit als solche konstituiert, mithin die Unterscheidung aufrechterhält. Vgl. auch Kôun
Yamada Rôshi, Teishô n. 10, Mumonkan, München 1989, S. 77 f.
319
Vgl. dazu: H.W. Schumann, op. cit., S. 33.
120
innerhalb ihres umfangreichen Sûtra-Werkes und in den auf die
Interpretation dieser ausgerichteten Lehrbücher (Skt. Śāstra).
Das Zen greift die Bestimmung seiner Begrifflichkeit allem voran aus dem
Prajñāpāramitā -Sûtra und dessen Kern, dem Herz-Sutra (Skt. MahāPrajñāpāramitā-Hridaya-Sûtra),
das
innerhalb
der
täglichen
Rezitationsübungen in den Zen-Klöstern gelesen wird. Darüberhinaus aus
den Śāstras des Nāgārjuna, der in der Zen-Übertragungslinie als der
vierzehnte Zen-Patriarch in Indien aufgeführt wird, wie auch aus den des
Vasubandhu, der als Hauptvertreter der Vijñānavāda-Schule der
einundzwanzigste Zen-Patriarch war320. Damit gehören die Werke der zwei
Hauptvertreter des Mâhayâna, dank dieser Personalunion, zugleich in den
Kanon der Zen-Orthodoxie mit dem Ergebnis, daß diese für die
Bestimmbarkeit ihres Selbstverständnisses auf die eigene Tradition
zurückgreifen kann321.
Die für die Bestimmung des Zen als Mystik notwendige Voraussetzung des
Begriffes der absoluten Einheit erfolgte in einem Zweierschritt: Durch
Nāgārjunas Bestimmung derselben im Begriff der `Leerheit` und die
innerhalb der Vijñānavāda - Schule vorgenommene Entfaltung der „nur
Geist“ - Lehre (Skt. citta).
-
Nāgārjunas Schule des „Mittleren Weges“ (Skt. Madhyamaka),
basierend auf seinem Hauptwerk, dem Kommentar der PrajñāpāramitāSûtra (Skt. Madhyamakakārikā322), entfaltet den Begriff der absoluten
Einheit aus der reflektierten Einsicht in die Beschaffenheit der
erscheinenden Vielheit, indem er dieser notwendigerweise vorausgesetzt
wird. Die erscheinende Vielheit ist demnach wesenlos und daher leer
(śūnya), weil bedingt und damit „konditional“ entstanden (Skt.
pratītyasamutpāda), gleichzeitig wie die Konditionalität ihrer
320
Vgl. dazu die Traditionstafel des Zen in Dôgen Zenjis, Shôbôgenzô, Bd. I, Zürich 1999,
S. 124.; dazu auch: Lexikon der östlichen Weisheitslehren, Bern 1986, S. 474.
321
Es ist bis heute üblich, daß die großen Zen-Meister die jeweilige Begriffsbestimmung
innerhalb ihrer Teishos auf Nâgârjuna bzw. Vasubandhu zurückführen. Vgl. dazu
exemplarisch: Hakuun Yasutani Rôshi, Teishô III, op. cit., S. 43 ff.; Engo Kokugon Roshi,
Bi-yän-lu, Bd. I, Leipzig 1980, S. 252 ff.
322
Die im Folgenden benutzte deutsche Übersetzung der Zitate aus dem
Madhyamakakārikā entstammt aus: E. Frauwallner, Die Philosophie des Buddhismus,
Berlin 1994, S. 178 – 199.; H.W. Schumann, Mahâyâna-Buddhismus, München 1990, S. 58
– 68.
121
Beschaffenheit erkannt, mithin gedacht werden kann wegen der
`Leerheit` (Śūnyatā) ihrer Voraussetzung323. An diesem Punkt vollzieht
sich die Substantivierung des Begriffes „śūnya“, der damit gleichzeitig
die Beschaffenheit der Vielheit wie auch die der ihr vorausgesetzten
Einheit wiedergibt, womit beide in ihrem Grunde als identisch bestimmt
werden konnten324. Mit dieser Bestimmung hebt Nāgārjuna die vom
Hînayâna gesetzte Trennung beider Bereiche auf und ermöglicht
dadurch die Bestimmung der „Leerheit“ als ein Absolutes, denn obwohl
das konditionale Entstehen der Vielheit (Samsâra) zeitlos gedacht
wird325, ist es dem Wesen nach mit dem des Nirvâna identisch, eben
weil es in beiden Bereichen die eine „Leerheit“ ist. Die im Begriff der
`Leerheit` bestimmte Identität zwischen der Vielheit und der Einheit ist
deswegen niemals aufgegeben worden, weswegen sie auch nicht erlangt
werden kann326; sie ist weder ein „Sein“ noch ein „Nichtsein“ wegen der
Korrelation dieser Bestimmungen zueinander327; sie ist zwar im Begriff
angedeutet328, jedoch ohne ihm zu entsprechen329, weil sie von der durch
ihn hervorgebrachten Unterscheidung unberührt bleibt. Sie bleibt
immer: „...nichtbedingt und nonkonditional...“330, „...nicht vergangen
und nicht ewig, nicht vernichtet und nicht entstanden,...“331 und nur in
diesem Sinne das Absolute (Skt. tattva)332.
323
Madhyamakakārikā XXIV, 18.
324
Madhyamakakārikā, XXIV, 39, f.
325
Madhyamakakārikā, XI, 1.
326
Madhyamakakārikā, XXV, 3.
327
Madhyamakakārikā, XXV, 5, Übertr. Frauwallner, op. cit., S.196: „Wenn Nirvâna ein
Sein wäre, dann wäre das Nirvâna bedingt.“; XXV, 8: „Wenn das Nirvâna Nichtsein wäre,
wieso wäre dann das Nirvâna unabhängig ? Denn es gibt kein Nichtsein, das unabhängig
entsteht.“
328
Madhyamakakārikā, XXIV, 10, Übertr. Schumann, op. cit., S.65: „Ohne daß man sich
auf den (weltlichen) Sprachgebrauch stützt, ist der höchste Sinn nicht darzulegen.“
329
Madhyamakakārikā, XIII, 8, Übertr. Schumann, op. cit., S. 65: „Die Sieger (Buddhas)
haben die Leehrheit als das Aufgeben aller (philosophischen) Theorien verkündet.
Diejenigen aber, die eine Theorie der Leerheit (aufstellen), die haben sich als
unverbesserlich bezeichnet.“
330
Madhyamakakārikā, XXV, 9, Übertr. Schumann, op. cit., S. 66.
331
Madhyamakakārikā, XXV, 3, Übertr. Schumann, op. cit., S. 66.
332
Madhyamakakārikā, XVIII, 9.; XXIV, 9. Übertr. Schumann, op. cit., S. 66.
122
-
Den Begriff der absoluten Einheit entfaltet die Vijñānavāda-Schule vor
allem innerhalb der Lankāvatārasūtra, ihrem Versanhang (sagāthaka),
sowie den Schriften ihrer Meister, von denen Vasubandhu als
einundzwanzigster Zen-Patriarch verständlicherweise innerhalb der ZenTradition das größte Ansehen genießt333. Die Bestimmung selbst erfolgt
in drei Stufen, die den jeweiligen Existenzweisen der sich
manifestierenden Einheit zugeordnet werden, indem die letzte und
äußerste als die Objektwelt der erscheinenden Vielheit, begriffen als
„Bewußtsein“ (vijñāna) verstanden wird334. War diese, jetzt innerhalb
des Hînayâna gedacht, den sechs Sinnen vorgesetzt und damit von der
Einheit als getrennt bestimmt, so vollzieht bereits an diesem Punkt der
Vijñānavāda die entscheidende Wende auf die Bestimmung der Einheit
als ein Absolutes, indem die einzelnen Sinnesobjekte (vijñāna) von dem
ihnen jeweilig zugrundeliegenden Sinnesbewußtsein hervorgebracht335
und somit von diesem nicht getrennt gedacht werden können. Dieses
Bewußtsein, begriffen als das „Denken“ (manas) und damit die zweite
Existenzweise, gründet seinerseits im „Geist“ (citta) schlechthin, dessen
Manifestation wiederum Geist und durch ihn dann auch die
erscheinende Sinneswelt ist: „Geist, Vorstellung und Vorstellungsprodukt, (mit anderen Worten:) Grundbewußtsein, Denken und
Bewußtsein, die die drei Existenzweisen ausmachen, - sie alle sind
Erscheinungsformen des Geistes.“336. Dieser „Geist“ wiederum kann nur
begrifflich vorausgesetzt, jedoch niemals selbst Gegenstand des
Denkens werden, wäre er damit immer schon ein Verursachter und nicht
die Ursache selbst337. Vom Denken - mithin von der erscheinenden
Vielheit - unerreichbar, gleichzeitig aber von dieser sowohl
ununterschieden wie auch nichtgetrennt338, ist er ein „überweltliches
333
Die Übertragung der Zitate aus dem Sagāthaka, so wie seine Interpretation folgt der
Arbeit von H.W. Schumann, op. cit., S. 75 – 102.
334
Sagāthaka, 102.
335
Vgl. Schumann, op. cit., S. 77.
336
Sagāthaka, 459.
337
Vasubandhu, Trimśikā Vijñaptimātratāsiddahih, 27. Übertr. Frauwallner, op. cit., S.
389.: „Auch durch die Wahrnehmung, daß (alles) dies bloß Erkenntnis ist, faßt man in der
bloßen (Erkenntnis) nicht Fuß, da man etwas vor sich hinstellt.“
338
Vasubandhu, op. cit., 28.
123
Wissen“ der „Nichtwahrnehmung“, mithin ledig aller Doppelungen339
und erst dadurch Ziel der Aufhebung derselben: „ Es ist das unbesudelte
Element,
das
undenkbare,
heilbringende,
unvergängliche,
340
wonnevolle.“ , daher auch das Absolute.
Mit dieser Bestimmung des Absoluten im Begriff der „Leerheit“ und im
Begriff des „nur Geist“ ist die Überprüfung des Selbstverständnisses des
Zen auf seine Denkbarkeit als Mystik hinsichtlich der Grundbestimmung
dieses Begriffes erfüllt. Es gilt daher als nächstes die Eigendefinition des
Zen auf den Inhalt des Mystikbegriffes hin zu prüfen.
3. Zen und der Begriff der unmittelbaren Anwesenheit beim
Absoluten
Benutzt das Zen den Begriff der Buddhaschaft in gleicher Weise wie den
der Leerheit und den des Geistes, mithin als absolute Einheit341, und begreift
sich selber gleichzeitig in der unmittelbaren Erlangung derselben
unabhängig von Wort und Schrift, so bietet seine Eigendefinition den
Ausgangspunkt nicht nur für die Untersuchung der möglichen
Begriffsbestimmung der Durchführbarkeit derselben, sondern diese
Eigendefinition muß damit zugleich die Begründung für die Entstehung des
Zen im Sinne einer Schule hergeben.
Das Erreichen der unmittelbaren Anwesenheit bei der als Leerheit
beziehungsweise Geist vorausgesetzten absoluten Einheit wird innerhalb der
Zen-Orthodoxie der Unterschiedlichkeit dieser Begriffe wegen, keinesfalls
jedoch der „Sache“ wegen, auf zweifache Weise bestimmt:
-
Die unmittelbare Anwesenheit beim Absoluten, begriffen als Leerheit,
ist das Ergebnis der gleichen Wesensbestimmung von Einheit und
Vielheit. Eben weil die erscheinende Vielheit ihrem Wesen nach „leer“
ist und „dieselbe“ Leerheit gleichzeitig als ihre Voraussetzung im Sinne
339
Vasubandhu, op. cit., 29.
340
Vasubandhu, op. cit., 30.
341
Vgl. dazu: Hui Hai, Der Weg zur blitzartigen Erleuchtung, in Meditationssutras des
Mahayana-Buddhismus Bd. II, hrsg. V. Muralt, Zürich, 1956, S. 136.
124
der absoluten Einheit erkannt worden ist, kann die unmittelbare
Anwesenheit der ersten bei der zweiten nur dann als erreicht gedacht
werden, wenn die Vielheit in ihr eigenes Wesen einkehrt. Gründet aber
alle erscheinende Vielheit auf der Dualität der bipolaren
Verstandeslogik342, die zugleich Manifestation und damit die
Erscheinungsweise des Absoluten selbst ist, so verhindert die
ausschließliche Identifikation mit dieser die Erkenntnis ihres eigenen
Wesens, kann das Absolute nämlich niemals ihr Gegenstand werden343
und das aus zwei Gründen: zum einen wegen der auf Doppelung, mithin
Vielheit angelegten Weise der Erkenntnis selber, zum anderen aber und das ist für die Methode des Gewahrwerdens der unmittelbaren
Anwesenheit bei der Einheit entscheidend -, weil die erscheinende
Vielheit innerhalb des Monismus immer schon und immer nur als
ununterschieden vom Absoluten gedacht werden muß344. Ist damit das
Erkennende und das Erkannte im Wesen identisch und als Leerheit
begriffen345, so ist die unmittelbare Anwesenheit beim Absoluten nur
möglich in der Aufhebung der Unterscheidung346 und damit ihres
Trägers, bestimmt als das Denken347. Kann aber die Aufhebung des
Denkens keine Tätigkeit desselben sein, ist sie damit nur als das
Ergebnis seines „Zurruhekommens“ bestimmbar348. Dieses wiederum,
342
Nāgārjunas Begründung des „Mittleren Weges“ gründet zunächst in der Annahme und
deswegen auch in der Aufhebung der bipolaren Logik, was für die Zen-Schulen und deren
Methoden der Aufhebung von fundamentalen Bedeutung war und ist.
343
Seng-ts`an, (jap. Sôsan), Hsin- hsin- ming (jap. Shinjin-Mei), Geh den inneren Weg,
hrsg. W. Jäger ( Kô-un Ken Roshi), Freiburg 1999, S. 140: „Der Leerheit zu folgen heißt,
sich gegen die Leerheit wenden.“
344
Dazu: Hakuin Zenji Roshi, Lied auf Zazen, Übertr. von Joan Rieck in, Geh den inneren
Weg, hrsg. W. Jäger (Kô-un Ken Roshi), Freiburg 1999, S. 145: „Alles Seiende ist der
Natur nach Buddha...“; Hakuun Yasutani Roshi, op. cit. , S. 32.
345
Seng-ts`an, (jap. Sôsan), op. cit., S. 141: „Willst du beide Ebenen kennen, sie sind
ursprünglich die eine Leerheit.
346
Seng-ts`an, (jap. Sôsan), op. cit., S. 141: „Unterscheidest du nicht zwischen fein und
grob, wie kann es dann Vorurteile geben ?“
347
Dazu: Kôun Yamada Roshi, Teishô 5, in: Mumonkan, München 1989, S. 52 ff.; Hakuun
Yasutani Roshi, op. cit., S. 32: „Der Begriff der ‚Leerheit’ bildet einen wichtigen Teil der
Mâhayâna-Lehre und ist die Grundlage anderer Wissenbereiche. Will aber jemand das
absolute Verstehen der ‚Leerheit’ erlangen, so muß er über das begriffliche hinausgehen.“
348
Madhyamakakārikā, XXV, 24, Übertr. Schumann, op. cit., S. 67: „Zurruhekommen aller
Wahrnehmungen, Zurruhekommen der Vielheit, Heil (-das ist Nirvâna).“
125
obwohl in der Regel lange Übung (jap. Zazen) voraussetzend, ereignet
sich „blitzartig“349 wegen der auf Konditionalität beruhenden
Verfasstheit von allem350, wie auch wegen ihrer notwendigen
Zeitlosigkeit, und sie ist daher mit der unmittelbaren Anwesenheit beim
Absoluten (jap. Kenshô) identisch. Das Absolute aber, im Begriff der
`Leerheit` als Wesen der Vielheit bestimmt, kann unmöglich als
unterschieden, geschweige denn als getrennt von dieser gedacht
werden351, weswegen gleichzeitig mit dem Gewahrwerden der
unmittelbaren Anwesenheit beim Absoluten die unmittelbare
Anwesenheit bei der erscheinenden Vielheit folgt, verstanden als der
gewöhnliche Vollzug des Alltäglichen352.
-
349
Die unmittelbare Anwesenheit beim Absoluten, begriffen als `Geist`
(citta), wird durch die Tatsache ermöglicht, daß die erscheinende
Vielheit als dessen unmittelbare Manifestation erkannt und entsprechend
den Entfaltungsstufen derselben als das Speicherbewußtsein
(ālayavijñāna), dessen individueller Träger (manas) und das jeweilige
Sinnesbewußtsein (vijñāna) begriffen wird. Entstehen alle
Sinnesgegenstände als willentliche Objektivierung der
im
Speicherbewußtsein vorhandenen Inhalte mittels der Reflexion des als
Denken (manas) bestimmten Trägers353, so ist die Identifikation mit der
Vgl. dazu: Hui Hai, op. cit., S. 137 ff.
350
Madhyamakakārikā, XXIV, 18, Übertr. Schumann, op. cit., S. 60.: „Das Konditionale
Entstehen ist es, was wir Leerheit nennen. Sie ist ein synonymer Begriff und sie ist der
mittlere Weg.“
351
Madhyamakakārikā, XXV, 19 f, Übertr. Schumann, op. cit., S. 67: „Es gibt keinen
Unterschied des samsâra vom Nirvâna; es gibt keinen Unterschied des Nirvâna vom
Samsâra. Der Gipfelpunkt des Nirvâna ist auch der Gipfelpunkt des Samsâra. Zwischen den
beiden gibt es auch nicht das mindeste (das sie trennt).“ Darauf aufbauend das Koan 19,
Mumonkan, S. 114.: Jôshû fragte Nansen in allem Ernst: „ Was ist der WEG?“ Nansen
antwortete: „Der alltägliche Geist ist der WEG.“
352
Vgl. dazu: Hakuun Yasutani Roshi, op. cit., S. 15 f.: „Obwohl manche Patriarchen ihre
Vollendung durchs Sitzen (Zazen) manifestiert haben, können wir sie durch Gehen oder
Schlafen ausdrücken – durch alle unsere Tätigkeiten. Manche Menschen beklagen ihre
alltägliche Situation, können daher die Vollkommenheit des Augenblickes nicht
einschätzen. Immer denken sie egoistisch und finden deshalb keine Zufriedenheit. Solche
Menschen sind einfach Dummköpfe.“ Vgl. auch: Yoka Daishi, Shodoka, in: Geh den
inneren Weg, hrsg. W. Jäger ( Kô-un Ken Roshi), Freiburg 1999, S. 116.: „Gehen ist Zen,
Sitzen ist Zen, Sprechen oder Schweigen, Bewegung oder Ruhe...“
353
Vgl. dazu: Hui Hai, op. cit., S. 136:
126
so entstehenden und damit vereinzelt erscheinenden Vielheit das
Nichterkennen des Geistes als Ganzes, mithin Ursache der
Unterscheidungen und der Unterschiede354 und als solches
Täuschung355. Sind die irrtümlich als wesenhaft erkannten Objekte
nichts anderes als die Projektionen des Denkens „aus dem Denk-, Seh-,
usw. (-bewußtsein)“356, so liegt allein in dessen Aufhebung das
Erreichen der unmittelbaren Anwesenheit beim Absoluten, begriffen als
`Geist`. Obwohl der Begriff des „Denkens“ innerhalb der von der
Vijñānavāda-Schule inspirierten Zen Meister eine Präzision seiner
Positionierung erfährt357, ist der Weg zu seiner Aufhebung mit dem der
vorausgehenden Tradition weitgehend identisch, indem in der Regel
meist nach einer harten358 Übung (Zazen) mit einem Kôan die
Identifizierung mit der Bewußtseinstätigkeit durchbrochen wird359. Der
unmittelbaren Anwesenheit beim `Geist` folgt notwendigerweise die
unmittelbare Anwesenheit bei jedem sinnlich begreifbaren Objekt, der
erst jetzt, in der Reihenfolge seines Erscheinens und daher
„1. Phänomene jeglicher Art existieren nur in dem, was wir, mangels eines besseren
Ausdrucks, als Geist bezeichnen.
2. Der Geist ist gleichbedeutend mit der höchsten Realität, die der Erscheinung der
Phänomene zugrunde liegt. Diese höchste Realität ist nichts anderes als der Bodhi-Geist
oder Geist eines Buddha.“; Lankāvatāsūtra, 3, 33. Übertr. Schumann, op. cit., S. 79: „Es
gibt keine sichtbaren (Objekte), die Außenwelt ist Geist (citta), darum sieht man eine
Vielfalt (citra). Körper, Besitz und Umwelt sind nur Geist, so sage ich.“
354
Vgl. dazu: Hui Hai, op. cit., S. 136: „5. Da die Phänomene geistiger Natur sind, folgt
daraus, daß Unterschiede (...) falsch sind...“
355
Sagāthaka, 218, Übertr. Schumann, op. cit., S. 79: „Was man sieht, ist der eigene Geist,
es gibt kein äußeres Objekt (artha). Wer (mit dieser Einsicht) die (Welt als) Täuschung
durchschaut, der erkennt damit die Soheit."
356
Sagāthaka, 872, Übertr. Schumann, op. cit., S. 84.
357
Das Denken ist jetzt nicht nur wie im Hînayâna der sechste Bereich der Sinnesorgane
(âyatana), sondern denen hierarchisch übergeordnet und damit zweite Bedingung ihrer
Entstehung. Vgl. dazu Sagāthaka, 269.
358
Die Härte und auch Dauer des Zazen sind relativ und richten sich einzig und alleine am
Grad der Identifizierung mit dem Ich im Vollzug des Denkens und dem vom Zen-Meister
erkannten Wunsch wie auch Begabung, diese zu lösen. Vgl. dazu: Die Vitas der ZenMeister in: Dumoulin, Geschichte des Zen-Buddhismus, Bd.I und II, Bern/München 1985.
359
Vgl. dazu oben Anmerkung 304 dieser Arbeit.
127
unterschiedslos, wahrgenommen werden kann360. Ist aber die
unmittelbare Anwesenheit beim `Geist` mit der bei der erscheinenden
Vielheit identisch, so folgt der Aufhebung der zweiten konsequent die
Aufhebung der ersten, weil deren gewollt werden nichts anderes ist als
die Konsequenz aus der Identifikation mit der Vielheit. Damit ist das
Nirvâna, genauso wie Samsâra, nur eine Vorstellung und Begriff361.
Im Ergebnis setzen beide Traditionen der unmittelbaren Anwesenheit beim
Absoluten jeweils die Aufhebung der irrtümlicherweise mit dem
Aufkommen des Denkens stattfindenden Identifikation mit demselben
voraus. Weil aber alles, mithin auch das Absolute im Begriff der
`Buddhaschaft, der `Leerheit`, des `Geistes` und des `Nirvâna` nichts
anderes sein kann als eine weitere Vorstellung und damit letztlich Ursache
einer erneuten Identifikationsmöglichkeit, wird verständlich, weshalb das
Zen diese niemals benutzt, wiewohl aber voraussetzt362.
Äußerlich betrachtet und damit geschichtlich gedacht führte die
Entwicklung innerhalb des Mâhayâna zu einer starken intellektuellen
Auseinandersetzung um die jeweiligen Begrifflichkeiten, und auf der
populären Ebene der Volksreligiosität nicht selten zum Kult der jeweiligen
Sûtras363.
360
Vgl. dazu: Shunruyu Suzuki Roshi, Zen-Geist Anfänger-Geist, Zürich 1996, S. 97: „Was
immer ihr auch tut, selbst Nichts-Tun, das ist unsere Praxis. Es ist ein Ausdruck des Großen
Geistes. Deshalb ist der Große Geist etwas, das auszudrücken ist, nicht aber etwas, das
auszudenken ist.“; Hui Hai, op. cit., S. 142.: „Personen verschiedenen Geschlechtes und
jeder Art von Phänomenen betrachten ohne Anhaften, ohne Abneigung oder Unterscheiden
unter ihnen...“
361
Lankāvatāsūtra, 2, 146. Übertr. Schumann, op. cit., S. 90: „(Auch) Nirvâna ist (nur)
Traum. Nichts ist erkennbar, daß im Samsâra (der Wiedergeburt unterworfen wäre), und
nichts kann je (im Nirvâna) verlöschen.“
362
Dazu exemplarisch: Engo Kokugon Roshi, Bi-yän-lu, Bd. I, Leipzig 1980, S. 240: „Weil
Worte nur Gefäße und Stützen sind, um den Weg, die Wahrheit zu tragen: Die Leute
verstehen eben einfach nicht, wie die Alten es tatsächlich meinten und suchen nur immer
im Wortlaut herum. Was werden sie da wohl für eine Nase zum Anfassen finden ?“
363
Hier sei an eine der zahlreichen Kritiken Mumons gegen die Vertreter der Gelehrsamkeit
erinnert: Mumon Ekai, op. cit., S. 51: „Möge eure Beredsamkeit auch dahinfließen wie ein
Strom, es ist ohne Nutzen. Und könntet ihr auch die Gesamtheit der Sutren erklären, es
brächte keinen Gewinn.“; Grundsätzliches zum Gebrauch der Begriffe im Zen: Engo
Kokugon Roshi in: op. cit. Bd. I, S. 133.: „Die Alten (Meister) sind nicht so leichtfertig wie
die Menschen von heute. Die denken nicht daran, auch nur ein Wort, ein halbes Sätzchen
an Gewöhnliches zu wenden. Wenn einer an dem Aufbau unseres Lehrgutes arbeitet, so
setzt er damit das Leben Buddhas fort, und darum schneidet er mit jedem Wort, mit jedem
128
Das „Erreichen“ der unmittelbaren Anwesenheit beim Absoluten, als die
Essenz der Sutras, geriet deshalb in Vergessenheit, weswegen das
Aufkommen des Zen, im Sinne seiner Eigendefinition, das Aufkommen der
buddhistischen Essenz schlechthin wie auch gleichzeitig die Weise der
Erinnerung des Weges ihrer Erlangung ist364.
Auf Grund seiner Voraussetzung und der Bestimmbarkeit der
Durchführbarkeit seines Inhalts kann das Eigenverständnis des Zen als
Mystik begriffen werden. In der Tatsache dieser möglichen Bestimmbarkeit
des Zen liegt die gesuchte allgemeine begriffliche – damit auch
wissenschaftliche- Grundlage, wonach beide Größen, das Zen und das Werk
Eckharts, dem Eigenverständnis ihres Inhaltes nach überhaupt erst
miteinander verglichen werden können.
Die Bestimmbarkeit dieser allgemeinen Grundlage der Vergleichbarkeit
macht das Nachdenken der zur Untersuchung anstehenden Konkretion,
nämlich der Ich-Struktur im Zen, nicht nur möglich, sondern auch sinnvoll,
liegt doch in der begrifflichen Bestimmung der so abgeleiteten Konkretion
das Unterschiedliche wie auch das Gemeinsame.
halben Sätzchen, das er spricht, ganz unwillkürlich den anderen Menschen in der Welt die
Zunge ab. In solch ein Wort hinein kannst du dir keinen vorsätzlichen Weg bahnen, kannst
du es mit deinem ichbefangenen Gefühl nicht deuten, es hilft dir nichts, dich auf
vernünftige Erwägung einzulassen.“
364
Dazu: D.T. Suzuki, Leben aus Zen, op. cit., dort das Vorwort.
129
V. DER BEGRIFF DER ICH-STRUKTUR IM ZEN-BUDDHISMUS
Indem die Schulen des Buddhismus im allgemeinen und das Zen im
besonderen die Substanzhaftigkeit aller Erscheinungen negieren, mithin
auch dem wie auch immer gedachten „Ich“ jegliche Wesenhaftigkeit
absprechen, müssen sie jedoch gleichzeitig und notwendig das
Vorhandensein einer Struktur voraussetzen und damit auch anerkennen,
welche die wenn auch irrtümliche, so doch mögliche Annahme einer sich
als „Ich“ begreifenden Erscheinung anzunehmen erlaubt.
Weil das Zen aber in seiner Orthodoxie einzig und alleine darauf ausgelegt
ist, die unmittelbare Anwesenheit bei der als `Leerheit` beziehungsweise
`Geist/ Bewußtsein` begriffenen absoluten Einheit zu erreichen, muß er
diese als der Vielheit immanente Größe bestimmen, da sie sonst gegen die
Vielheit begrenzt und damit nicht absolut gedacht werden könnte, wiewohl
auch das Erreichen einer wie auch immer gedachten Größe, ein `AußerhalbSein` dieser, mithin eine Doppelung wenn nicht konstruieren, so doch
suggerieren würde, was innerhalb des auf die Einheit bestimmten Denkens
auf das Gleiche hinausläuft.
Die Immanenz der absoluten Einheit in der Vielheit gründet im Zen (im
Anschluß an die Mahāyāna-Tradition) im Begriff der `Wesenlosigkeit` (Skt.
anātman) der zweiten, die damit der absoluten Einheit gegenüber als kein
`Etwas` gedacht wird, somit keinerlei Doppelung aufweist und dadurch ein
Gegenüber im Sinne der Dualität überhaupt nicht aufkommen läßt. Eben im
Begriff der Wesenlosigkeit - der keinesfalls gleichgesetzt und damit
verwechselt werden darf mit dem der Realitätslosigkeit 365 - der
erscheinenden Vielheit gründet zum einen ihre Vergänglichkeit, welche die
Ursache des Leidens ist, zum anderen aber und gleichzeitig ermöglicht
dieser Begriff die Aufhebung der erscheinenden Vielheit und erweist sich
365
Ein jegliches Kôan unterscheidet zwischen der Realität der erscheinenden Vielheit und
der auf Spekulation gegründeten Annahme einer Substanz, welche dieser zugrunde liegen
sollte. Das Hervorbringen und vor allem die Identifikation mit der zweiten ist es, welche
überwunden werden muß, um die „Soheit“ der Dinge zu erkennen. Vgl. dazu: Dōgen Zenji,
Shinjingahudō, in: Shōbōgenzō, Bd. I, Zürich 2000, S. 35: „Als er (Zen-Meister Sôzan)
vollständig erleuchtet war, konnte er durch Schlamm waten und mit schmutzigem Wasser
bespritzt werden, ohne aus der Fassung zu geraten. Er akzeptierte einfach Schlamm als
Schlamm und schmutziges Wasser als schmutziges Wasser. Er war ein freier Mann, frei
von Vorstellungen von Mögen oder Nicht-Mögen. Diese Kraft kommt vom NichtAnhaften.“; S. 34: „Wir müssen sehr sorgfältig unterscheiden zwischen der Realität und
den Ideen über Realität.“
130
damit als die notwendige Bedingung für die unmittelbare
Erscheinungsweise der Einheit selber, die erhaben über jegliche Doppelung
(ist diese immer schon wesenlos) keinerlei Vermittlung bedarf, wäre diese
doch dem Begriff nach wiederum nur als Doppelung denkbar und als solche
Vielheit, damit erneut als wesenlos zu bestimmen, mithin nichts anderes als
wiederum die unmittelbare Manifestation des Einen.
Der Zen-Buddhismus setzt daher die immer nur als gegenwärtig denkbare
unmittelbare Anwesenheit der Einheit bei der Vielheit seinem Inhalt voraus,
weswegen er die Umkehrung, nämlich die der Vielheit bei der Einheit,
überhaupt erst vollziehen kann.
Der erste Teil der Begriffsbestimmung der Mystik, angewendet auf das Zen,
erweist sich daher als eine Art von Monismus und wird in der Form der
begrifflichen Grundlage dem Vollzug des Inhalts (zweiter Teil der
Begriffsbestimmung) vorausgesetzt366.
Daraus folgt, daß die wie auch immer gedachte Struktur, die zur
Entwicklung einer Ich-Identifikation führen kann, zum einen – weil
Doppelung – wesenlos gedacht werden muß, zum anderen aber gleichzeitig
und aus dem gleichen Grund als die unmittelbare Manifestation des
Absoluten begriffen wird, der dieser die unmittelbare Anwesenheit bei sich
deswegen gewähren kann, da sie, jetzt aus der Perspektive der Einheit
gedacht, niemals aufgegeben worden ist, selbstverständlich auch dann nicht,
wenn diese nicht vollzogen wird367.
Daher kommt der Ich-Struktur im Zen keinerlei Möglichkeit einer
Selbstidentifikation zu. Käme sie der notwendigen Voraussetzung einer
Wesenhaftigkeit gleich, die nirgendwo gedacht und damit auch erkannt
werden kann, ist die Wesenlosigkeit nicht nur das Merkmal der Vielheit,
366
Vgl. dazu: Hakuun Yasutani Roshi, op. cit., S. 29 f.
367
Vgl. dazu: Die Lehre des Huang Po vom UniversalBewußtsein in: Meditations-Sutras
des Mahayana-Buddhismus, op. cit., Bd. II, S. 86.: „Die wahre Natur des Absoluten ist
etwas, daß uns nie verloren geht, selbst nicht in Momenten des Irrtums, noch wird sie von
uns im Augenblick der Erleuchtung gewonnen.“; Hakuun Yasutani Roshi, op. cit., S. 27:
„Das typische und auch falsche Verständnis des ´Ichs` ist aus der Perspektive der BuddhaNatur gleichwertig mit dem Nichtverstehen eben dieser Buddha-Natur. Weil diese ohne ein
`Ich` ist, kann nichts außerhalb ihrer als ein unabhängiges Ganzes existieren. (...) Es ist
einfach so, und deswegen kann die Welt monistisch, beziehungsweise als die Welt des
einen großen Kreises verstanden werden. So ist die wirkliche Welt, in der alle
Erscheinungen die der Buddha-Natur sind.“
131
sondern durch die Substantivierung des Begriffes `leer` (śūnya) zur
`Leerheit` (Śūnyata) das Absolute schlechthin368. Im Zen wird damit nicht
eine zuvor erkannte Wesenlosigkeit der eigenen Person beispielsweise zu
Gunsten einer wesenhaft vorausgesetzten Einheit aufgegeben: es wäre die
zweite in solch einem Zusammenhang nichts anderes als ein größeres
Ganzes, mithin ein Etwas und als solches die Perpetuierung der Dualität
schlechthin369. Die Wesenslosigkeit der Ich-Struktur kann damit niemals als
ein frei gewordener „Ort“ bestimmt werden, den das Absolute besetzen
kann, weil dadurch sofort und notwendigerweise beide, das Absolute und
die Vielheit, wenn auch subtil, so doch gegenständlich gedacht werden
müßten, sondern sie ist immer schon die permanente Erscheinungsweise des
Absoluten selbst, eben weil dieses als wesenlos an sich gedacht wird.
Müssen die Vielheit und somit die Ich-Struktur als wesenlos begriffen
werden, so schafft das Zen, durch die Tatsache der Anwendung der gleichen
Begrifflichkeit auf das Absolute hin, der Form nach die Identität beider,
dem Inhalt nach ihre vollständige Aufhebung370.
Gerade im Wissen um die Wesenlosigkeit nicht nur der Vielheit im
allgemeinen und der Ich-Struktur im besonderen, sondern auch des
Absoluten an sich erscheint sowohl die Eigendefinition des Zen wie auch
der Inhalt der Begriffsbestimmung der Mystik als bedürftig in dem Sinne
und Umfang, wie es deutlich wird, daß eben mit dem Aufkommen der
Sprache und damit des Denkens die Dualität ihren Anfang genommen
hat371.
368
Vgl. dazu: Die Lehre des Huang Po vom UniversalBewußtsein, in: Meditations-Sutras
des Mahayana-Buddhismus, op. cit., Bd. II, S. 15: „Unsere eigentliche Buddhanatur ist in
Wahrheit nichts, das begriffen werden könnte. Sie ist leer,...“
369
Vgl. dazu: Die Lehre des Huang Po vom UniversalBewußtsein, in: Meditations-Sutras
des Mahayana-Buddhismus, op. cit., Bd. II, S. 20: „ Es ist nur zu befürchten, daß Schüler
des Weges sich erlauben mögen, nur einen einzigen Gedanken von etwas zu fassen, das
absolute Existenz besitzt und so ein Hindernis errichten zwischen sich und dem Wege.“
370
Vgl. dazu: Die Lehre des Huang Po vom UniversalBewußtsein, in: Meditations-Sutras
des Mahayana-Buddhismus, op. cit., Bd. II, S. 20: „ Es gibt keine Form, die auch nur von
einem Augenblick zum anderen dieselbe bleibt. Es gibt nichts, das eine absolute Existenz
hat von einem Moment zum anderen. So ist die Buddhanatur. (...). Das Aufgeben von
Jeglichem ist der Dharma, und derjenige, der das versteht, ist ein Buddha, aber das
Loslassen von allen Täuschungen läßt keinen Dharma mehr sein, der ergriffen werden
könnte.“
371
Vgl. dazu: Daio Kokushi, Über Zen, in: Geh den inneren Weg, op. cit., S.97: „ In der
Absicht, Blinde anzuziehen, ließ Buddha seinem goldenem Munde spielerische Worte
entspringen; seitdem sind Himmel und Erde überwuchert mit dichtem Dornengebüsch.(...)
132
Ist aber innerhalb der Zen-Orthodoxie das durch Begriffe sich vollziehende
Denken diejenige Struktur, welche einzig und alleine in der Lage ist, eine
Selbstidentifikation zu vollbringen und dadurch das Ich als Begriff
hervorzubringen, so folgt daraus, daß nicht primär das Denken, sondern die
mit seinem Vollzug einhergehende Möglichkeit der Identifikation der
Ursprung aller dualen Wirklichkeitssicht und damit ihre Mißdeutung ist372.
Hat der Mahāyāna diesen Sachverhalt bereits erkannt, ist aber aus der Sicht
des Zen in der begrifflichen Weiterentwicklung desselben steckengeblieben
und damit inhaltlich gesehen in der Aufrechterhaltung der Dualität, hat das
Zen mit dem Erreichen der unmittelbaren Anwesenheit beim Absoluten als
Inhalt seinen Ursprung in der Hinwendung auf die Aufhebung der
Identifikation mit dem Gedachten, welche auf Grund der konditionalen
Wechselverhältnisse innerhalb der Reflexion des Denkens gleichzeitig die
Aufhebung der Ich-Identifikation nach sich zieht373. Kann daher der
Umstand der Aufhebung der Ich-Struktur keinesfalls begrifflicher Natur
sein, so verdankt diese ihre systematische Entwicklung innerhalb der Zen –
Literatur zunächst dem Interesse einiger weniger Meister, und wenn das der
Fall gewesen ist, dann wiederum einzig und allein aus dem Grund, die
Übung zur ihrer Aufhebung möglichst präzise darlegen zu können. Diese
Tatsache wird vor allem für die Blütezeit des Zen im Osten verständlich,
konnten die Meister bei Bedarf die Kenntnis besagter Strukturen, die vor
allem gleichzusetzen ist mit der Kenntnis der Hauptsutras des Mahāyāna,
voraussetzen. Erst die Begegnung des Zen mit der westlichen Kultur
innerhalb des 20. Jahrhunderts führte dazu, daß die Vertreter vor allem der
von Daiun Sôgaku Harada Roshi begründeten Schule den Aufbau der IchStruktur innerhalb ihrer Teishos wegen der neuen Zuhörerschaft- und nicht
der Wichtigkeit des Themas wegen – etwas genauer entwickelt haben374.
Wenn ihr euch danach sehnt, die donnernde Stimme des Dharma zu hören, gebt eure Worte
auf, entleert eure Gedanken ...“
372
Vgl. dazu: Die Lehre des Huang Po vom UniversalBewußtsein, in: Meditations-Sutras
des Mahayana-Buddhismus, op. cit., Bd. II, S. 21: „Die Menschen haben Angst ihren
eigenen Geist zu vergessen, indem sie fürchten, durch die Leere hindurch hinunterzustürzen
mit nichts, woran sie sich halten könnten. Sie wissen nicht, daß die Leere in Wirklichkeit
nicht leer ist, sondern das wahre Reich des Dharma.(...) Ein einziger Gedanke und ihr trennt
euch von der Wirklichkeit.“ Dazu auch: Seng-t`san, Shinjin-Mei, in: Geh den inneren Weg,
op. cit., S. 140: „Je mehr Worte und Gedanken, desto weiter entfernt von der Wirklichkeit.“
373
Vgl. dazu: Madhyamakakārikā, XVIII, 6.
374
Vgl. dazu: Daiun Sôgaku Harada Roshi, in: P. Kapleau, Drei Pfeiler des Zen, Bern 1981,
S. 429 f.; Hakuun Yuasutani Roshi, op. cit., S. 27 ff. Auf dem Entwurf seines Vorgängers
und Meisters, Harada Roshi, widmet Yasutani Roshi der Ich-Struktur vier nacheinander
133
So kann daher beispielsweise, beginnend bei den klassischen KôanSammlungen und dem „Shōbōgenzō“ des Dōgen Zenji bis hin zu den
Teishos
zeitgenössischer
Zen-Meister,
eine
auf
der
Prajnāpāramitāhrdayasūtra basierende präzise und für die Übung der
Aufhebung derselben vor allem innerhalb einer buddhistischen Kultur
ausreichende Andeutung der besagten Struktur gefunden werden, während
die auf den Erkenntnissen der Vijňānavāda-Schule basierende Ich-Struktur,
vor allem des verwendeten Hauptbegriffes „vijňana“ (Bewußtsein) wegen,
ihre Renaissance im Zuge der Ausbreitung des Zen innerhalb der westlichen
Kultur gefunden hat375.
1. Der Ich-Begriff der Prajnāpāramitāhrdayasūtra
Immer dann, wenn innerhalb der Zen-Orthodoxie die Wesenlosigkeit aller
erscheinenden Vielheit als „Leerheit“ gedacht wird, greift diese auf die
Bestimmung dieses Begriffes zurück, wie er innerhalb der Tradition des
Herz–Sutra (Prajnāpāramitāhrdayasūtra) herausgearbeitet worden ist.
Der bipolaren Logik der Sprache- und nicht der „Sache“ wegen setzt der
Leerheitsbegriff des Herz–Sutra den der „Form“ voraus, wobei er nicht als
dessen Ursache gedacht wird mit der Folge, daß sich dann die „Leerheit“ als
Bezeichnung des Absoluten zu der „Form“ als Bezeichnung der
erscheinenden Vielheit etwa wie Schöpfer zum Geschaffenen und damit
kausal verhält, sondern das Erscheinen des Begriffes der “Leerheit“ bedingt
das gleichzeitige Erscheinen (auch dann, wenn dieses nicht ausgesprochen
wird) seines Gegenteils, der „Form“ und umgekehrt, ist daher diesbezüglich
konditional gedacht376. Was der Sprache nach als getrennt erscheinen muß,
folgende Teishos innerhalb eines für die westlichen Schüler gehaltenen Sesshins. Diese
werden im Kap. 2, S. 104 dieser Arbeit untersucht.
375
In der Tatsache, daß der buddhistische Begriff „vijňāna“ mit „Bewußtsein“ übersetzt
wird, liegt die Quelle zum einen einer möglichen Annäherung an das diesbezüglich
vorhandene, wie auch sich stark entwickelnde Gedankengut des Westens, zum anderen aber
zahlreicher Mißdeutungen, die dadurch entstehen, daß unter den vermeintlich als identisch
vorausgesetzten Wortlaut unterschiedliche Konzepte subsumiert werden. Zur Kritik dieses
Ansatzes: Seung Sahn, Strzepując Popiół na Buddę, Warszawa 1990, S. 11; 14 ff.
376
Zu bedingten Entstehung der Begriffe vgl.: Nāgārjuna, Madhyamakakārikā, II ff.
134
ist der Sache nach, so die Zen-Orthodoxie weiter, notwendigerweise eins, ist
doch die Wesenlosigkeit der Form identisch mit der Bezeichnung des
Absoluten und dieses daher wiederum und notwendigerweise identisch mit
der Weise der erscheinenden Vielheit 377:
„Sariputra, Form ist nichts anderes als Leere,
Leere nichts anderes als Form.
Form ist wirklich Leere,
Leere wirklich Form.“378
Wird des Weiteren die erscheinende Vielheit der begrifflichen Analyse
unterzogen, so läßt sie sich in fünf Aggregatzustände (Skt. Skandha)
unterteilen, von denen das dynamische Zusammenspiel aller auch eine im
ständigen Prozeß sich befindende Ich-Struktur hervorbringt379. Obwohl die
einzelnen Skandhas als gleichwertig untereinander erkannt werden und
erkannt werden müssen – sind sie nur alle zusammen auf Grund ihrer
konditionalen Wechselwirkung untereinander als das Aufkommen der IchStruktur bestimmbar -, so werden sie im Zen, ohne die Gleichwertigkeit
aufzuheben, auf das Erscheinen des Ich-Bewußstsein hin hierarchisch
geordnet, weil erst mit dessen Vorhandensein – die Möglichkeit der
Anhaftung, welche als das Auseinanderbrechen der ursprünglichen Einheit
in Erscheinung tritt, gegeben ist 380. Dieses Ich-Bewußtsein wiederum kann
377
Vgl. dazu: Die Lehre des Huang Po vom UniversalBewußtsein in: Meditations-Sutras
des Mahayana-Buddhismus, op. cit., Bd. II, S. 21: „Die Leere und der Dharmakaya sind
nicht voneinander verschieden, und ebenso steht es mit den lebenden Wesen und den
Buddhas, der phänomenalen Welt und dem Nirvana oder der Täuschung und der Bodhi.“
378
Prajnāpāramitāhrdayasūtra, in: Geh den inneren Weg, op. cit., S. 77.
379
Die fünf Skandhas sind: 1. Materie oder Form (Skt. Rūpa); 2. Empfindung oder Gefühl
(Skt. Vedanā); 3. Wahrnehmung, Vorstellung oder Idee (Skt. Samjňā); 4. Wollen (Skt.
Samskara); 5. Denken oder Bewußtsein (Skt. Vijňāna). Vgl. auch: Dōgen Zenji,
Makahannyaharamitsu, in op. cit., S. 28.; Ausführlich: Samyutta-Nikâya, XXII, 48.; XXII,
18-20 und 97.
380
Wichtig für das Aufkommen des Ich-Bewußtseins ist die Tatsache der wechselseitigen
Beziehung aller fünf untereinander, denn für sich alleine genommen ist die Materie (erstes
Skandha) die Erscheinungsform der leblosen Materie, im Wechselverhältnis mit Wollen
(Selbsterhaltungstrieb und viertes Skandha) aber schon das Aufkommen der Pflanzen und
einzelner einfacher Lebewesen usw. Vgl. dazu: Hakuun Yuasutani Roshi, op. cit., S. 28 f.:
„Betrachten wir diese Einteilung unter dem Gesichtspunkt der Bewußtseinsentwicklung,
bei den leblosen Gegenständen beginnend, über Pflanzen, pflanzenfressende Tiere,
fleischfressende Tiere bis hin zu dem Menschen, so wird die Tatsache offensichtlich, daß
mit der Zunahme des Intellektes die duale Wahrnehmung ebenfalls zunimmt. (...) Leider
akzeptiert die Mehrheit von uns die scheinbare Dualität zwischen dem Ich und dem Nicht-
135
nicht als eine von den anderen Skandhas getrennte und unabhängige Größe
gedacht werden, müsste es damit doch zwangsläufig substanziell und somit
wesenhaft bestimmt sein, was innerhalb des Buddhismus überhaupt – auf
Grund der prinzipiellen „nicht-ein-Ich“- (P. an-atta) Einsicht Buddhas – ein
Widerspruch gegen die Drei-Merkmale-Lehre (P. tilakkhana) wäre381. Daher
wird von der Zen-Tradition, so sich diese der Begrifflichkeit des HerzSurtas bedient, zunächst konform mit der Mahāyāna-Tradition durch den
konditional verstandenen Prozeß der gegenseitigen Bedingtheit der fünf
Skandhas untereinander erklärt. Gerade der Konditionalität wegen werden
die Skandhas als gleichzeitig und gemeinsam auftretend derart gedacht, daß
die Körperlichkeit (erstes Skandha) immer schon und immer nur als
Bedingung der Empfindung (zweites Skandha), beide als Bedingung der
bildlichen Vorstellung und ihrer begrifflichen Ableitung (drittes Skandha)
bestimmt werden, die ihrerseits die Bedingung für die positive oder negative
Reflexion des Willens darstellen, um letztlich, und das wiederum in
Begriffsform, als Ich im Denkbewußtsein aufrechterhalten zu werden
(fünftes Skandha)382.
Der
Begriff
des
Ich-Bewußtseins
im
Zusammenhang
der
Prajnāpāramitāhrdayasūtra erweist sich somit als durch das Anhaften
bedingte gänzliche Identifikation mit dem begrifflichen Ergebnis eines
unbeständigen, weil substanzlosen Prozesses der gegenseitigen Bedingtheit
der fünf Skandhas, die damit, so die Zen-Orthodoxie weiter, den ersten der
drei Leiber des Buddha, den Nirmānakāya, verkörpern383. Sind die
Ich. Wir können diesen Dualismus nicht durchschreiten, um die Wahrheit zu erblicken.
Weil unser Verstehen begrenzt ist, unterliegen wir einem Irrtum, indem wir glauben, daß
der Kampf zwischen dem Ich und einem Nicht-Ich instinktiv sei.(...) Die, welche dieser
Illusion unterliegen, sind wie Menschen, welche, wenn sie zwei Hände sehen, die um ein
Stück Papier auseinander zu reißen, sich in gegensätzliche Richtungen bewegen, auf Grund
dessen was sie sehen glauben, daß zwei getrennte Dinge (Hände) gegeneinander wirken
und vergessen dabei das Wichtigste, daß trotz allem diese zwei Hände zu einer und
derselben Person dazugehören.“
381
Diese sind: Unbeständigkeit (P. anicca), Leiden (P. dukkha) und nicht-das-Ich (P.
anattâ). Vgl. dazu: Anguttara-Nikâya, III, 134.
382
Vgl. dazu: Bi-Yän-Lu, op. cit., Bd. I, S. 244.
383
Damit unterscheidet sich die im Zen vorgenommene Interpretation der Drei-LeiberLehre der Mahāyāna-Tradition fundamental von ihrer ursprünglichen Deutung, die sich
explizit auf die Buddhas bezogen hat. Sie ist säkularisiert worden und bezeichnet das IchBewußtsein eines jeden Menschen, entsprechend seinem Erkenntnisstand. Dazu: Die Lehre
des Huang Po vom UniversalBewußtsein in: Meditations-Sutras des MahayanaBuddhismus, op. cit., Bd. II, S. 30 f.: „ Der Sambhogakaya und der Nirmanakaya, beide
antworten mit Manifestationen, die mit dem Stand des Verständnisses der verschiedenen
136
Skandhas, für sich gedacht jeweils als substanzlos bestimmt worden, so muß
das Ich-Bewußtsein es ebenfalls sein, kann die Summe der substanzlosen
Komponenten niemals eine substanzielle hervorbringen.
Was dem auf diese Art entstehenden Ich-Bewußtsein als Bedrohung der
Aufrechterhaltung seiner erscheinenden Existenz vorkommen muß, erwies
sich aber schon im Vorfeld als das Absolute schlechthin, daß dadurch die
Tatsache, die unmittelbare Anwesenheit bei sich selber zu gewähren,
überhaupt erst ermöglicht384.
Ist aber die im Begriff der „Leerheit“ bestimmte absolute Einheit mit der
Wesenlosigkeit der Ich-Struktur und deren Bewußtseins identisch, erscheint
zunächst der Nachdruck seitens der Zen-Meister, das Erreichen der
unmittelbaren Anwesenheit bei dieser vollziehen zu sollen, da bereits
vorhanden, widersprüchlich, wenn nicht gar sinnlos, weswegen auch ein
Erreichen- beziehungsweise Erkennenwollen von vorneherein und ebenfalls
mit Nachdruck verneint wird, „weil es nichts zu erreichen gibt“385.
Mit der zweiten Feststellung fügt das Zen dem ersten Widerspruch einen
zweiten hinzu, markiert aber zugleich den Ort der Aufhebung beider und
meint damit den irrtümlichen Glauben des Ich-Bewußtseins an seine eigene
Substanzhaftigkeit, die im gleichen Denkakt eine solche beim Gegenüber
voraussetzen muß, kreiert das Bestehen auf eigener Wesenhaftigkeit
notwendigerweise zeit- und raumgleich die einer nicht eigenen
Wesenhaftigkeit, von der die Abgrenzung hat stattfinden können.
Ist aber der Inhalt des Ich-Bewußtseins immer nur ein Denkobjekt, mithin
ein Begriff, ist der Glaube im Sinne des Anhaftens an ein substanzielles Ich
Individuen übereinstimmen.“; Vgl. auch: H.W. Schumann, Buddhismus. Ein Leitfaden
durch seine Lehren und Schulen, Darmstadt 1973, S. 83: „Der Zen (...) deutet die DreiLeiber-Lehre in interessanter Weise um. Er nimmt an, daß alle Erdenwesen an allen Drei
Leibern teilhaben. Nirmānakāya sei jeder, soweit er einen Körper besitzt...“
384
Vgl. dazu Anmerkung 344, S. 124 dieser Arbeit. Ein über die fünf Skandas
hinausgehende Bewusstsein, ist damit immer schon ein Nicht-Ich-Bewußtsein, in folge
notwendigerweise a-temporär und eines diesem zugrundeliegendes.
385
Prajnāpāramitāhrdayasūtra, in: Geh den inneren Weg, op. cit., S. 77. Dazu der ZenMeister Hui Hai in: Meditations-Sutras des Mahayana-Buddhismus, op. cit., Bd. II, S.145:
„Der Ausdruck Erleuchtung wird nur im relativen Sinne gebraucht. In Wirklichkeit kann sie
nicht erreicht werden, und so gibt es keine solchen Zustände wie vor und nach der
Erleuchtung. Da sie nicht erreicht werden kann, so gibt es nichts, das darüber gedacht
werden kann.“
137
das Aufrechterhalten einer rein begrifflichen Identität, weshalb auch das
gleichzeitige Setzen eines Gegenübers ebenfalls rein begrifflicher Natur sein
muß, weswegen diese Identität logischerweise niemals durch einen erneuten
Denkvorgang und damit einen Begriff aufgehoben werden kann386.
Den ersten Widerspruch, nämlich das Erreichen-Müssen der niemals
aufgehobenen unmittelbaren Anwesenheit beim Absoluten, erklären die
Zen-Meister dadurch, daß die sprachlich nachvollziehbare Erkenntnis des
Monismus als die Erkenntnisweise der bipolaren Logik, somit der Vollzug
des diskursiven Denkens und damit wiederum ein Begriff, nichts anderes sei
als die Anhaftung an die Dynamik der Skandhas und eben dadurch das
Aufrechterhalten des die Scheindualität verursachenden begrifflichen IchBewußtseins387. Gerade weil der Vollzug des Denkens identisch mit der
permanenten Hervorbringung von Begriffen ist und diese Substanzhaftigkeit
und damit Dualität suggerieren, ist jeglicher Versuch der Gleichstellung von
begrifflicher Erkenntnis und der unmittelbaren Anwesenheit beim
Absoluten absurd, setzt der Begriff der Einheit diese zwangsläufig dem der
Vielheit vor, indem er in beiden Fällen Substanzhaftigkeit vortäuscht388.
386
Vgl. dazu: Vajracchedikā-Prajñāpāramitā-Sūtra, in: Meditations-Sutras des MahayanaBuddhismus, op. cit., Bd. I. S. 44: „Deshalb soll jeder Jünger, welcher Anutara-samyaksambodhi sucht, nicht nur Begriffe vom eigenen Selbst, anderer Selbste, lebender Wesen
und Universalselbst verwerfen, sondern auch alle Ideen über solche Begriffe und ebenso
alle Ideen über die Nichtexistenz solcher Begriffe.“; dazu auch: Die Lehre des Huang Po
vom UniversalBewußtsein in: Meditations-Sutras des Mahayana-Buddhismus, op. cit., Bd.
II, S. 23: „Nur durch vollständiges Entfernen sämtlicher Objektsbegriffe kann der wahre
Dharma verstanden werden.“
387
Exemplarisch dazu sei auf die Teishos des zeitgenössischen Zen –Meisters Genpo
Merzel Roshi hingewiesen. Vgl. dazu: Dennis Genpo Merzel Roshi, Oko nigdy nie spi,
Warszawa 1995, S. 9.
388
Vgl. dazu: Die Lehre des Huang Po vom UniversalBewußtsein in: Meditations-Sutras
des Mahayana-Buddhismus, op. cit., Bd. II, S. 60 f.: „Wenn ihr euch mit solchen objektiven
Begriffen täuscht, werdet ihr einen Buddha erkennen, aber in diesem Falle wird euch der
Buddha ein Hindernis! Und ebenso, wenn ihr lebende Wesen erdenkt, werden diese euch
hemmen. (...) Erst wenn ihr euch von der ganzen Folge der dualistischen Begriffe von der
unwissenden und weisen Kategorie befreit habt, werdet ihr zuletzt den Titel eines
Transzendentalen Buddha verliehen bekommen.“; damit richtet sich das Zen nicht nur
gegen die Lehre und Praxis der Theravada-Anhänger, sondern auch gegen jegliches SutraStudium und daher gegen die große Tendenz des Mahayana. Dazu: Dialoge des Huang Po
mit seinen Schülern in: Meditations-Sutras des Mahayana-Buddhismus, op. cit., Bd. II, S.
128 f.; Seng-t`san, Shinjin-Mei, in: Geh den inneren Weg, op. cit., S. 140:
„Auch nur ein Wort von richtig und falsch
Und der Geist ist in Wirren verloren...“.
138
Wird dieser Sachverhalt erkannt, so ist in Folge leicht einsehbar, weswegen
innerhalb der Begrifflichkeit der Prajnāpāramitāhrdayasūtra der Gegenstand
der Erkenntnis- und der Willensausrichtung - sei er auch noch so erhaben
und absolut – notwendigerweise aufgehoben worden ist, wäre sonst sein
begriffliches Vorhandensein identisch mit dem Aufrechterhalten des dritten
Skandha, welches eine andere Form seiner eigenen gegenüber setzend
(erstes Skandha), diese als leidlos empfände (zweites Skandha), darauf
wiederum den Willen ausrichtete (viertes Skandha) und somit zusammen im
Bewußtsein (fünftes Skandha) die Bedingungen des Anhaftens an das in
dieser Weise selbsthervorgebrachtes Ich weiterhin und auf Grund der
konditionaler
Wechselwirkung
aller
Skandhas
untereinander
mithervorbringen würde389.
Wegen der wechselseitigen Konditionalität der Skandhas genügt die
Bindung an einen einzigen Begriff, die gesamte Ich-Struktur hervorzubringen und damit die Identifikation mit dem Ich-Bewußtsein
aufrechtzuerhalten. Aus aus dem gleichen Grund ist es möglich, so die ZenOrtodoxie weiter, durch die Aufhebung eines der Skandhas die gesamte IchStruktur und damit die Ich-Bindung aufzuheben. Die Wahl des zur
Aufhebung vorgesehenen Skandha ist nicht zufällig, sondern wiederum das
Ergebnis der Einsicht in ihre Konditionalität, setzt daher die unmittelbare
Anwesenheit beim Absoluten voraus, geht somit der Tradition nach auf den
historischen Buddha zurück390 und wird wie folgt entfaltet:
Die direkte Aufhebung des Körpers (erstes Skandha) ist unmöglich, weil der
Wunsch danach immer schon eine Willensäußerung ist. Er setzt damit die
Aufrechterhaltung des vierten Skandha voraus und zwar derart, daß die
Stärke einer asketischen Übung gleichzeitig eine ebensolche des Willens
bedingt. Bei dem Versuch der Aufhebung der Empfindungen (zweites
Skandha) und des Willens (viertes Skandha) geschieht dasselbe, sind doch
beide Tätigkeiten, also Bedingungen eines Willensaktes. Da aber sowohl
der Körper, die Empfindungen wie auch der Willem als solche erkannt
werden müssen, bevor sie überhaupt aufgehoben werden können, mithin die
Ableitung eines Begriffes zulassen müssen, sind sie notwendige
Bedingungen für das Aufrechterhalten des Denkens (drittes Skandha),
389
„ Weil es das Eine gibt (als Begriff), existieren die zwei, doch halt auch nicht fest an
dem einen.“ Zitat aus: Seng-t`san, Shinjin-Mei, in Geh den inneren Weg, op. cit., S. 140.
390
Der Aufhebung des Wissens liegt ein Nicht-Wissen zugrunde, welches unmöglich
begrifflicher Natur sein kann und deswegen, folgt man der ersten Lehrrede Buddhas, mit
der unmittelbaren Anwesenheit beim Absoluten identisch sein muß.
139
welches im Vollzug der Begriffsbildung den Inhalt des Bewußtseins (fünftes
Skandha) bildet.
Aus dem Gesagten ergibt sich, daß die Aufhebung der gesamten IchStruktur einzig und allein mit der Aufhebung des Denkens (drittes Skandha)
vollziehbar ist, kann nämlich nur dieses der direkten Aufhebung unterzogen
werden391, wodurch die Form (erstes Skandha) als begrifflich gesetztes
Gegenüber aufhört ein solches zu sein und damit die Bindung der
unterschiedlichen Empfindungen aufhebt (zweites Skandha), die wiederum
als Zielausrichtung für den Willensakt (viertes Skandha) bestimmt diesen
zur Ruhe, somit ebenfalls zur Aufhebung bringen. Weil damit das
Bewußtsein (fünftes Skandha), welches immer nur als Bewußtsein eines
Begriffes in Erscheinung treten kann, leer ist, wird auch dieses
aufgehoben392.
Die unmittelbare Anwesenheit bei der absoluten Einheit ist damit der
permanente Ist-Zustand der Wirklichkeit, verdeckt durch das Anhaften an
nur einer der beiden Weisen ihrer Manifestation393, denn:
„Entweder vernachlässigen die Sprecher die Wurzel und reden von den
Zweigen, oder sie vernachlässigen die Realität der `illusorischen` Welt und
sprechen nur von der Erleuchtung. Oder auch schwatzen sie über kosmische
391
Der Versuch einer direkten Willensaufhebung ist unmöglich, bleibt ein Nicht-Wollen
immer ein Wollen, mithin ein Willensakt, der zudem und wie die Formulierung es auch
schon andeutet, immer von einer begrifflichen Vorlage abhängig ist, die seine Ausrichtung
bestimmt. Deswegen ist ein Wollen ohne ein gleichzeitiges Denken unvorstellbar (weil
beides letztlich Begriffe sind), wiewohl das Denken ohne ein Wollen durchaus denkbar ist,
wie auch ein Nicht-Denken im Nachhinein! ebenfalls. Dazu: Seng-t`san, Shinjin-Mei, in
Geh den inneren Weg, op. cit., S. 140:
„Ruhe und Unruhe kommen aus der Illusion,
Erleuchtung kennt weder Vorliebe (Wollen) noch Abneigung (Nicht-Wollen).“
392
Vgl. dazu: Dialoge des Huang Po mit seinen Schülern in: Meditations-Sutras des
Mahayana-Buddhismus, op. cit., Bd. II, S. 118: „Wenn ihr nur jeden einzelnen Gedanken
vor dem Aufsteigen zurückhalten könntet, dann würden Erkennen und eure körperlichen
Sinne verschwinden zusammen mit ihren Objekten und den Empfindungen, die diesen
Objekten ihre Entstehung verdanken.“
393
Vgl. dazu: Dialoge des Huang Po mit seinen Schülern, in: Meditations-Sutras des
Mahayana-Buddhismus, op. cit., Bd. II, S. 129: „ Als sich die Lotusblume eröffnete und das
Universum sich entfaltete, entstand die Dualität des Absoluten und der Welt der
Lebewesen, oder besser, das Absolute erschien in zwei Aspekten, welche
zusammengenommen die wahre Vollendung ausmachen.(...) Deshalb gibt es für die
Lebewesen solche Gegensatzpaare wie Entstehen und Vergehen usw. Hütet euch davor, an
einer Hälfte eines Paares zu haften.“
140
Aktivitäten, die zu Veränderungen führen, während sie die `Substanz`,
woraus sie entspringen, vernachlässigen – wahrlich, aus der Diskussion
entsteht nie ein Gewinn.“394, während sich im unmittelbaren Gewahrwerden
dieser Tatsache das Zen vollzieht395.
Ergibt sich aus dem Gesagten, daß die Ausführung des Zen keine
vermittelnde Übung sein kann396, da diese, wie auch immer verstanden und
umgesetzt, die Anhaftung an der Dualität aufrechterhalten müsste, ist
deswegen das Zen und seine Praxis mit dem „Zazen“ identisch397, dessen
Ausübung die Tätigkeiten des Alltags398 aus dem Zustand des „NichtDenkens“ vollzieht399, wodurch das Zazen „...nicht das Mittel zur
Erleuchtung (ist); Zazen selbst ist das vollendete Handeln Buddhas. Zazen
ist reine, natürliche Erleuchtung.“400.
Der Begrifflichkeit der Prajnāpāramitāhrdayasūtra folgend ist das
Gewahrwerden der „Leerheit“ der eigenen Ich-Struktur identisch mit der
394
Dialoge des Huang Po mit seinen Schülern in: Meditations-Sutras des MahayanaBuddhismus, op. cit., Bd. II, S. 100.
395
Vgl. dazu: Die Lehre des Huang Po vom UniversalBewußtsein, in: Meditations-Sutras
des Mahayana-Buddhismus, op. cit., Bd. II, S. 100: „Der Buddha ist nicht erleuchtet, noch
sind die lebenden Wesen unwissend, denn diese beiden Extreme haben in der Wahrheit
keinen Platz. Und nun solltet ihr beginnen, den geeigneten Weg zur Erweckung, den zen,
zu finden.“
396
Vgl. dazu: Dōgen Zenji, Daigo, in op.cit., Bd. I, S. 60: „ Vor kurzem, während der Sung
–Dynastie, gab es Mönche, die ihre Köpfe nicht rasierten und den Buddhismus nicht
verstanden, auch wenn sie ihn viele Jahre lang studierten. Sie strebten andauernd danach,
ein Buddha zu werden und warteten unaufhörlich auf die Erleuchtung, das für sie das
Hauptziel des Buddhismus war. Was für vulgäre Leute! Sie hatten die wahren
buddhistischen Lehren niemals kennengelernt und dachten, daß Erleuchtung als ein
Resultat ihres Zazen komme.(...) – sie waren faul und nachlässig, verschwendeten ihre Zeit
und verstanden den Buddhismus nicht.“
397
Dōgen Zenji, Zazengi in op. cit., Bd. I, S. 61: „Das Studium des Zen bedeutet die Übung
des Zazen.“
398
Vgl. dazu: Dōgen Zenji, Zazengi in op. cit., Bd. I, S. 6: „Lerne vom Beispiel des fünften
Patriarchen Kônin vom Berg Ôbei. Jede seiner Tätigkeiten, Tag für Tag, war eine Übung
des Zazen.“
399
Dōgen Zenji, Zazengi in op. cit., Bd. I, S. 62: „Die Form deines Zazen sollte so fest wie
ein Berg sein. Denke `Nicht-Denken`. Wie? Durch Ausüben des `Nicht-Denkens`.“
400
Dōgen Zenji, Zazengi in op. cit., Bd. I, S. 62.
141
Aufhebung des Denkens, wodurch der scheinbare und deswegen auch
substanziell gedachte Zusammenhalt der übrigen Skandhas eben auf die
Leerheit hin, weil aus der Leerheit her (Subjekt und Objekt der Handlung
werden als identisch erkannt und dadurch aufgehoben), durchschaut wird401.
Da aber der Aufhebung der Substanzialität der Ich-Struktur keinesfalls hat
eine solche vorliegen können, ist das Erreichen der unmittelbaren
Anwesenheit beim Absoluten lediglich die Erkenntnis einer irrtümlichen
Annahme einer solchen (Skrt. Māyā)402. Diese wird innerhalb des Mahayana
als die transzendente, da diskursives Denken übersteigende Weisheit (Skrt.
Prajnā) bestimmt und nicht selten gepriesen, während sie bei den ZenMeistern allenfalls ein Schulterzucken hervorruft403, ist nämlich ein
Beharren auf „Weisheit“ wiederum nichts anderes als der Vollzug einer
erneuten Begriffs- und Identitätsbildung, mithin die Fortsetzung der
Aufrechterhaltung des die Dualität stiftenden Ich-Bewußtseins.
Ohne die Realisierung der unmittelbaren Anwesenheit bei der „Leerheit“
sind Begriff und Anhaftung im Zen identisch, in seiner Folge das Ich real
und die Wirklichkeit dual404. Der Augenblick des Vollzuges dieser ist
deshalb wiederum identisch wie auch zeitgleich – da notwendigerweise
zeitlos405 – mit der völligen Aufhebung der mit der Tätigkeit der Skandhas
401
Exemplarisch dazu: Dōgen Zenji, Ikkamyôju, in op. cit., Bd. I, S. 46: „ Jedoch erwartete
er (der große Meister Sôischi) sicherlich nicht den `goldenen Fisch` (die Erleuchtung) zu
fangen, der sich selber fängt.“; Und Seng-t`san, Shinjin-Mei, in: Geh den inneren Weg, op.
cit., S. 140:
„Das Subjekt ist Subjekt wegen dem Objekt
das Objekt ist Objekt wegen dem Subjekt.
Das Subjekt vergeht mit dem Objekt,
das Objekt vergeht mit dem Subjekt.“
402
Vgl. dazu: Die Lehre des Huang Po vom UniversalBewußtsein in: Meditations-Sutras
des Mahayana-Buddhismus, op. cit., Bd. II, S. 60 f.: „ Der Besitz von Merkmalen gehört in
die Welt der Illusion. Nur durch Begreifen, daß diese Merkmale keine solche sind, führt
zum erkennen des Tathagata (Buddha).“
403
Vgl. dazu vor allem das erste Koan des Bi-Yän-Lu, op. cit., Bd. I, S. 37 ff.
404
Der Ich-Begriff erzeugt nicht nur die äußere Scheindualität: Ich ein Anderer/ Anderes,
sondern auch die innere, wie Leben und Tod. Dazu Zitat aus dem Teisho des Fumon S.
Nakagawa, Roshi, in: Zen – weil wir Menschen sind, Berlin 1997, S. 133: „Ein Mönch
fragte Unmon Zenji `Der Tod ist gekommen. Wie kann man ihm entgehen?` Unmon sagte:
` Wo gibt es ihn überhaupt? ` . Es ist das Ich des Menschen, daß sich den eigenen Tod mit
Angst und Schrecken vorstellt. Aber in Wirklichkeit des jetzigen Augenblicks ist der Tod
ein bloßer Begriff und eine Vorstellung jenseits der momentanen Wirklichkeit.“
405
Zeit in diesem Zusammenhang ist nichts anderes als das Ergebnis der begrifflichen
Anhaftung an Vergangenes oder Künftiges und damit ihre Hervorbringung, immer schon
142
verbundenen Identität, nicht aber mit der Aufhebung der Skandhas an sich,
so daß er im freien Gewahrwerden der sich manifestierenden Wirklichkeit
seine Vollendung findet406:
„Unsere ganze Aktivität hat ihre Wurzeln in der ewigen Natur des
alltäglichen Geistes. Wir vergessen dies die meiste Zeit, aber Buddhas sind
sich dieser Tatsache immer bewußt.
Wenn wir dies nicht verstehen, werden wir nie die wichtige Bedeutung
eines Nießens oder jedes anderen, scheinbar kleinen Ereignisses
erfassen.“407
2. Der Ich-Begriff der Vijñānavāda-Schule
Der zweite Begriff, mit dem innerhalb der Zen-Orthodoxie das Absolute
bestimmt wird, ist „Bewußtsein“ (Skrt. Vijñāna) oder „nur Geist“ (Skrt.
cittamātra), dessen Verständnis als Lehre (Skrt. Vijñānavāda) identisch ist
mit der begrifflichen Entfaltung der Ich-Struktur, weswegen der
Entstehungs- wie auch Aufhebungsprozeß der letzten anhand dieser
Begrifflichkeit detaillierter und homogener hat nachgedacht werden
können408.
und immer nur bezogen auf die Aufrechterhaltung einer Ich-Subjektivität, mithin, genau
wie diese, ein Irrtum. Ihre Aufhebung und die des Ichs ist daher identisch. Dazu: Dōgen
Zenji, Daigo, in op. cit., Bd. I, S. 60: „ Das heißt alles, gerade jetzt, in der ewigen
Gegenwart, ist die Große Erleuchtung.“
406
Der irrtümlich angenommene Wahrnehmende ist aufgehoben worden, keinesfalls jedoch
der Wahrnehmungsvollzug. Dazu: Dōgen Zenji, Shinjingakudô, in: op. cit., Bd. I, S. 36:
„Dieser Geist kümmert sich nicht um vergangene oder zukünftige Welten – er ist
fortwährendes Arbeiten jetzt, in der Gegenwart und beschäftigt sich selbst nur mit jedem
neuen Augenblick.(...) Die alten Zeiten sind abgeschnitten und vergangen, Gegenwart und
Zukunft existieren zusammen in jedem Moment. Halte deinen Geist in der Gegenwart.
Wenn wir immer an das Vergangene denken, wendet sich unser Sehvermögen zur
Vergangenheit hin und wird verzerrt.“
407
Dōgen Zenji, Shinjingakudô, in: op. cit., Bd. I, S. 36.
408
Nimmt man das Lankāvatārasūtra als eines der wichtigsten Werke des Vijñānavāda und
die beiden Ŝāstras des Zen-Patriarchen Vasubandhu, das Trisvabhāvanirdeśa und das
Vijñaptimātratāsiddhi, als dessen Interpretationen, so stellt man fest, daß die dort
entwickelte Erkenntnislehre nicht nur eine Ich-Struktur voraussetzt, sondern als Tätigkeit
verstanden identisch mit dem Vollzug dieser ist. Das Lankāvatārasūtra und ihr Kommentar,
143
Versteht sich aber das Zen ausschließlich aus der Tatsache der
unmittelbaren Anwesenheit bei der Einheit, so kann die Ich-Struktur in ihrer
Ganzheit nur dann als solche gesehen und in Folge begrifflich entfaltet
werden, wenn diese Einheit, verstanden als Ganzheit, erreicht worden ist.
Da die Einheit ihrer Absolutheit wegen weder verlassen noch gedacht
werden kann, wird sie im Zen weder außerhalb noch innerhalb der IchStruktur angenommen, noch umgekehrt diese innerhalb oder außerhalb der
Einheit vorgestellt, sind beide Konzepte und als solche immer schon
Ausdruck der irrtümlichen Annahme einer dualen Wirklichkeit.
Aus dieser Einsicht heraus lehrt die Zen-Orthodoxie anhand der
Begrifflichkeit der Vijñānavāda-Schule die einzig übrig gebliebene
Möglichkeit, nämlich den Vollzug des Absoluten im Relativen und des
Relativen im Absoluten, begriffen als die einheitliche Entfaltung des Geistes
oder des Bewußtseins409, was gegenüber der Prajnāpāramitā-Literatur einer
Präzisierung der Terminologie gleichkommt, benennen die beiden
Hauptbegriffe der Vijñānavāda-Schule nicht nur die Tatsache der
Überschreitung der bipolaren Logik, sondern die Dynamik ihrer
Manifestation aus dem Absoluten selbst410.
das Vijñaptimātratāsiddhi des Vasubandhu, sind darüberhinaus nicht nur Bestandteil der
Zen-Tradition auf Grund der Tatsache, daß Vasubandhu der Linie der Zen-Patriarchen
angehört, sondern ihrer bis in die Gegenwart andauernden Lebendigkeit innerhalb der
wichtigsten Zen-Schulen. Und so greift unter anderem die auf Daiun Sôgaku Harada Roshi
zurückgehende Schule die oben erwähnte Entfaltung der Ich-Struktur auf und macht sie
sich zu Eigen. Vgl. dazu: Anmerkung 371 auf Seite 132 dieser Arbeit.
409
Während das Mahayana durchaus dazu tendiert, die Erleuchtung außerhalb des
Alltäglichen zu suchen und damit nicht zuletzt die Dualität aufrechterhält, hebt das Zen
auch die äußeren Unterschiede in den „einen Geist“ auf. Exemplarisch dazu: Die Lehre des
Huang Po vom UniversalBewußtsein in: Meditations-Sutras des Mahayana-Buddhismus,
op. cit., Bd. II, S. 20: „ Ob die Worte Bodhi und Nirwana sie nun auf übernatürliche Weise
erreichen oder dies einfach ihrem Glücke gemäß geschieht, so werden sie die Buddhaheit
erst nach drei unendlich langen Kalpas der Vorbereitung erlangen. (...). Aber sofort zur
Tatsache zu erwachen, daß eurer eigner Geist wirklich der Buddha ist und daß es nichts zu
ergreifen oder irgendeine Handlung auszuführen gibt – dies ist der höchste Weg und führt
zum Buddha, der nichts anderes als das Absolute ist.“
410
Lankāvatārasūtra, in: Meditationssutras des Mahayana-Buddhismus, op. cit., Bd. I, S. 92
ff. Während die Ich-Struktur der Prajnāpāramitā-Literatur von der Stufe der Skandhas
direkt in die Leerheit und umgekehrt führt, ohne den Übergang selber genauer zu
erforschen, liegt die Stärke der Vijñānavāda-Schule mitunter in der Benennung der
Übergänge im Prozeß der Ich-Struktur Entfaltung.
144
Genau in dieser Art der begrifflichen Differenzierung gegenüber der
Prajnāpāramitā-Literatur liegt der Fortschritt der Vijñānavāda-Schule, auf
die und deren Konzepte die Zen-Meister mit der Verwendung ihrer
Begrifflichkeit zurückgreifen und damit den Begriff der Ich-Struktur wie
folgt entfalten:
a.
Stufe der relativen Ich-Identität
Die Wechselwirkung der Skandhas untereinander, die in der
Prajnāpāramitā-Terminologie das Ich hervorbringt und aufrechterhält, wird
jetzt aus der fünften Skandha, dem Bewußtsein, heraus betrachtet und
geordnet, in der Weise, daß den sechs Sinnesorganen, also dem Auge, dem
Ohr, der Nase, der Zunge, dem Körper und dem Denken ein
korrespondierendes Bewußtsein auf der einen und ein wahrgenommenes
Objekt auf der anderen Seite zugeordnet wird.
Während aus der Sicht der Zen-Meister die Hīnayāna-Schulen das
Vorhandensein der Sinnesobjekte der Wahrnehmung voraussetzen und
damit die Dualität aufrechterhalten411, die Prajnāpāramitā-Literatur wegen
des alles überragenden Leerheits-Begriffes das Verhältnis dieser zu den
Sinnesorganen vernachlässigt412, versteht der Vijñānavāda die Sinnesobjekte
als „Manifestationen“ der ihnen entsprechenden Sinnesorgane413. Weil aber
die Sinnesorgane im Normalfall der Täuschung unterliegen, den
Wahrnehmungsvorgang dual auffassen, indem sie das Wahrgenommene der
Wahrnehmung als gegeben voraussetzen und der Wahrnehmung wiederum
411
Eben in der Annahme des Gegebenseins der Objekte liegt bereits der Ansatz für die
Aufrechterhaltung der Dualität, die im Kampf gegen diese irrtümliche Annahme nur noch
verstärkt werden kann. Das Gleiche gilt demnach auch für die Fixierung auf den Begriff der
„Leerheit“ Vgl. dazu: Dhyana Meditation für Anfänger, in: Meditationssutras des
Mahayana-Buddhismus, op. cit.,Bd. I, S. 326.; Schumann, Buddhismus – Ein Leitfaden
durch seine Lehren und Schulen, Darmstadt 1973, S. 32 f.
412
Vgl. dazu: Lankāvatārasūtra, op. cit., Bd. I, S. 86.
413
Dazu: Chu-Ch`an, in: Meditationssutras des Mahayana-Buddhismus, op. cit., Bd. II, S.
136: „Phänomene jeglicher Art existieren nur in dem, was wir, mangels eines besseren
Ausdrucks, als Geist bezeichnen.“; vgl. auch: Lankāvatārasūtra, in op. cit., S. 92: „Die
Geistessinne und ihr zentralisierter unterscheidender Geist sind mit der äußeren Welt
verbunden, welche eine Manifestation desselben ist...“
145
ein wahrnehmendes Subjekt unterstellen, verkennen sie die Beschaffenheit
der erscheinenden Vielheit. Diese nämlich liegt den Sinnesorganen und dem
dann in Folge notwendigerweise angenommenen Ich keineswegs zur
Anschauung im Sinne eines Gegenüber vor, sondern kann wahrgenommen
und unterschieden werden, nur weil sie gleichzeitig hervorgebracht wird.
Das Wahrnehmen und Hervorbringen sind damit identisch, weswegen ein
Gegenstand und das Sehen, der Ton und das Hören, der Duft und das
Riechen, der Geschmack und das Schmecken, der Körper und die
Berührung, damit die fünf ersten Sinnesorgane und ihre Entsprechungen,
untrennbar zusammengehören und den konditionalen Prozeß der Entstehung
der erscheinenden Vielheit erklären414.
Wird die Entstehung der Vielheit mit ihrer Wahrnehmung als ein und
derselbe Vorgang begriffen und notwendigerweise dynamisch verstanden,
so ist die Vielheit ohne die Wahrnehmung und viceversa, die Wahrnehmung
ohne die Vielheit nicht denkbar, weswegen eine permanente Entfaltung der
Vielheit und die der Bestandteile der Ich-Struktur als identisch gedacht
werden müssen415.
Kann jedoch innerhalb der beschriebenen Tätigkeiten der ersten fünf
Sinnesorgane lediglich von Eindrücken, keinesfalls aber von Erkenntnis die
Rede sein, welche die einzelnen Eindrücke übergreifend und damit
verknüpfend diesen übergeordnet sein müsste, wird verständlich, weswegen
das Denken als sechstes Sinnesbewußtsein, seiner reflektiven Art wegen, die
Eindrücke der fünf anderen, aber auch sich selber zum Gegenstand haben
kann416.
414
Diese und die folgende Analyse beruhen auf dem Teisho III des mittlerweile zitierten
Zen-Meisters Hakuun Yasutani Roshi (op. cit., S. 43 ff.) und untersuchen genauer die dort
verwendeten Begriffe. Vgl. deswegen: Lankāvatārasūtra, op. cit., Bd. I, S. 54.; Dōgen
Zenji, Gabyō, op. cit., Bd. I, S. 109 ff.
415
Exemplarisch dazu Dōgen Zenji,Gabyō, op. cit., Bd. I, S. 112: „ So besteht eine
Bananenstaude aus Erde, Wasser, Feuer, Wind, Luft, Herz, Geist, Bewußtsein und Weisheit
– all das existiert in ihren Wurzeln, Stamm, Zweigen, Blättern, Blüten und Früchten. (...).“
416
Vasubandhu, Trisvabhāvanirdeśa, Übertragung von H. W. Schumann, op. cit., S. 95:
„Dasjenige, was (als Person) erscheint, ist das Abhängige; (die Objektwelt), wie sie
erscheint ist das Vorgestellte. (Das Abhängige) entsteht nämlich abhängig von
Voraussetzungen; (das Vorgestellte) hat Dasein nur in der Vorstellung.“; Lankāvatārasūtra,
op. cit., Bd. I, S. 93: „Der unterscheidende Geist ist die Ursache der Geistessinne, ist ihre
Stütze und mit deren Hilfe wird seine Tätigkeit fortgesetzt. Er beschreibt eine Welt von
Objekten und ist ihr angehangen...“
146
Und gleich den übrigen Sinnesorganen suggeriert zunächst auch das Denken
das Gedachte als sein Gegenüber, damit beides als getrennt voneinander
Existierendes417. Besteht aber die Tätigkeit des Denkens in der Ableitung
von Begriffen, so ist seine Reflexion der permanent stattfindenden wahrnehmenden Hervorbringung oder hervorbringenden Wahrnehmung der
erscheinenden Vielheit immer nur als Begriff möglich. Das gleiche gilt dann
im Vollzug seiner Selbstreflexion, indem das sechste Sinnensorgan auf sich
selber gewendet sich selber hervorbringt und dadurch gleichzeitig erkennt
und als ein Ich begreift 418.
Es ergibt sich: der Wahrnehmungs- und Hervorbringungsvollzug der ersten
fünf Bewußtseinsorgane kann weder Dualität noch Einheit hervorbringen
(wohl aber der Ungenauigkeit wegen vortäuschen), denn diese schließen als
Begriffe die Erkenntnis und damit die Tätigkeit des Denkens mit ein. Die
erscheinende Vielheit und die fünf Bewußtseinsorgane werden daher als
Komponenten der Ich-Struktur erkannt und gleichzeitig als solche
hervorgebracht durch die immer schon einer jeden solchen Aussage implizit
enthaltenen Tätigkeit des Denkens419.
Das Wahrnehmen, Hervorbringen und Erkennen sind daher Momente einer
einzigen Bewegung, deren Vollzug, da Reflexion des Denkens, immer
schon ein Ich als Begriff direkt hervorbringen (Selbstreflexion) oder indirekt
implizieren kann, ist dieses Ich nichts anderes als Eigenname der
Selbstreflexion selbst, mithin nur ein Begriff420.
417
Dōgen Zenji, Genjōkōan, op. cit., Bd. I, S. 25: „Desgleichen, wenn du versuchst, die
Natur der Erscheinungen nur durch deine eigene verwirrte Vorstellung zu verstehen, wirst
du fälschlicherweise annehmen, daß deine Natur beständig ist.“
418
Lankāvatārasūtra, op. cit., Bd. I, S. 56: „Dies kommt daher, daß die Unwissenden an
Namen, Merkmalen und Ideen hängen. Da sich ihr Geist diesen Wegen entlang bewegt,
nährt er sich von einer Menge von Objekten und verfällt dem Begriff einer Ich-Seele, und
was dazu gehört,...“
419
Lankāvatārasūtra, op. cit., Bd. I, S. 53: „ ...hängen sie (die Unwissenden) an Begriffen
von Sein und Nichsein, Einheit und Verschiedenheit, Zweiheit und Nichtzweiheit, Existenz
und Nichtexistenz, Ewigkeit und Nichtewigkeit und vermeinen eine eigene Selbstnatur zu
besitzen, welches alles von der Unterscheidung des Geistes herstammt...“
420
Wie bereits aus den vorhergehenden Zitaten ersichtlich, ist dieses Ich-Verständnis nicht
nur im Zen, sondern innerhalb der gesamten buddhistischen Tradition von fundamentaler
Bedeutung. Deswegen auch hier exemplarisch: „Das Ich - es ist eine ausschließlich
theoretische Konstruktion.“ Hakuun Yasutani Roshi, op. cit., S. 36.
147
Daraus resultiert wiederum, daß der Ich-Begriff, gleich allen anderen
Begriffen, zunächst als das natürliche Ergebnis einer sich vollziehenden
Reflexion des Denkens betrachtet wird, die im Denken allerdings – und das
wiederum analog zu allen anderen Begriffen - die Möglichkeit der Annahme
einer dem Ich-Begriff entsprechenden Ich-Substanz erlaubt421. Weil der IchBegriff mit dem des Denkens identisch ist und das Denken gleichzeitig
Wahrnehmen, Hervorbringen und Erkennen in einem ist, käme die
Annahme einer Ich-Substanz innerhalb eines Ich-Begriffes der Annahme
einer Wahrnehmung innerhalb einer Wahrnehmung gleich, was absurd ist,
weswegen die Zen-Meister für die Kritik dieser Ich-Substanz Annahme die
härtesten Worte und Taten nicht scheuen, ist diese Annahme gleichwertig
mit der Bindung an sie und dadurch Ursprung der dualen Wahrnehmung,
die bei der Voraussetzung einer Substanz, notwendigerweise andere
Substanzen voraussetzen und damit hervorbringen muß, können solche
überhaupt nur in gegenseitiger Abgrenzung gedacht werden422. Auf dieser
Stufe gedacht ist das Ich ein Prozeß der begrifflichen Identifikation und
damit Bindung an die Wahrnehmung der selbst hervorgebrachten, jedoch
irrtümlich substanziell gedachten Momente seiner eigenen Struktur.
Weil aber Bindung an „Leerheit“ unmöglich entstehen kann, müsste
nämlich diese als etwas, mithin substantiell gedacht werden, ist das
Aufrechterhalten der Ich-Identifikation mühevoll und als solches Leiden,
dessen Stärke immer in Proportion zu der Intensität der besagten IchIdentifikation erscheint 423.
421
Lankāvatārasūtra, op. cit., Bd. I, S. 56: „Da sie töricht sind, verstehen sie nicht, daß alle
Dinge wie eine Maya sind, wie die Spiegelung des Mondes im Wasser, daß es keine
Ichsubstanz gibt, vorgestellt als eine Ichseele und was zu ihr gehört...“
422
Die präziseste Ausführung zu diesem Thema enthält vor allem das Sokushinzebutsu des
Dōgen Zenji, in op. cit., Bd. I. S. 40 ff., wo die aduale Erkenntnisweise aus der „Ein Geist
ist alles“ – Lehre begrifflich entfaltet wird, ohne einen Widerspruch und das heißt Dualität
aufkommen zu lassen. Die Verwirklichung besteht eben auch im erkennenden Vollzug der
Wirklichkeit, weswegen nur die jeweiligen Extreme gemieden werden sollen, nämlich das
„Zuviel denken“, mithin Substanzannahme und „zu wenig denken“ als das „Verpassen“ der
Realität.
423
Auf die Tatsache des Leidens ist der gesamte Buddhismus gegründet (Siehe die erste
Predigt Buddhas in Benares), wobei dessen Erscheinung sowie Aufhebung vom Zustand
der Ich-Identifikation abhängen. Dazu Vasubandhu als Vertreter der besprochenen
Schulrichtung: „An dem Kennzeichen, daß sie mit Leiden verbunden sind, sind das
Vorgestellte (die Erscheinungen) und das Abhängige (das Ich) zu erkennen. Das
Kennzeichen des Freiseins (vom Leiden) aber gilt als das Absolute.“ aus
Trisvabhāvanirdeśa, op. cit., S. 98; Hakuun Yasutani Roshi, op. cit., S. 38: „Himmel und
Hölle sind Produkte unseres Denkens.(...). Wenn wir aus der Ego-Illusion heraus leben,
148
Gleichzeitig und seiner direkten Berührbarkeit wegen gründet im Leiden die
Möglichkeit der Wandlung, die mit der Einsicht in die wahre Beschaffenheit
der Ich-Struktur und auf Grund ihrer Identität mit der erscheinenden
Vielheit ebenfalls mit der Einsicht in diese identisch ist424. Erscheint damit
die Ich-Identität als die Aufrechterhaltung und gleichzeitiges Hervorbringen
des Ich-Begriffes in der Weise der Bindung an diese, so kommt die Einsicht
in ihre Substanzlosigkeit ihrer Aufhebung gleich. Da der Ich-Begriff aber
die unmittelbare Folge der sich vollziehenden Reflexion des Denkens ist, so
ereignet sich seine Aufhebung stets mittelbar, als das Ergebnis der
Aufhebung derselben425.
Mit dem Vollzug dieser Aufhebung wird die als Nirmānakāya verstandene
Ich-Identität eines jeden Menschen aus ihrer zeitgebundenen (da Vielheit)
Relativität heraus-, in die zeitlose Identität mit ihrem eigenem Ursprung
hineinversetzt und als Intuition (Skrt. Manas) beziehungsweise
„Universalleib“ (Skrt. Sambhogakāya) bestimmt 426.
sind unsere Handlungen egoistisch und alles außerhalb von uns wirkt feindlich. Das ist das
Leben in der Hölle.“
424
Ist das Leiden das Merkmal der Ich-gebundenen Person (vgl. dazu die Legende vom
Gautama Buddhas viermaligen Ausritt) und der legendäre, wie auch fast immer der
tatsächliche Beginn der Suche (vgl. dazu die Lebensläufe fast aller Zen-Meister), so ist auf
Grund der absoluten Einheit die Ich-Erkenntnis mit der Welt-Erkenntnis identisch, daher
zeitgleich und durch Ruhe des Geistes gekennzeichnet. Dazu Dōgens berühmte Worte:
„Den Buddha-Weg zu erfahren bedeutet, sich selbst zu erfahren. Sich selbst erfahren heißt
sich selbst vergessen. Sich selbst vergessen heißt, sich selbst wahrnehmen – in allen
Dingen.“, Genjōkōan, op. cit., S. 24.
425
Hier sei besonders auf die Wandlung der Methode der Ich-Aufhebung hingewiesen.
Betonte das Hīnayāna das asketische Mönchtum, die Mahāyāna-Schulen die Rezitation und
das Studium der Sutras, so versteht die Zen-Orthodoxie unter der Weltentsagung nichts
anderes als die Aufhebung des diskursiven Denkens als Vollzug der Zazen–Übung. Dazu
Dōgen Zenji, Shinjingakudō, in op. cit., Bd. I. S. 33. „Vielleicht denken manche Menschen,
daß das Entsagen der Welt ein Absondern sei (ein Teilen der Welt in klösterlich und
weltlich), aber das Betreten der Priesterschaft sollte ein Transzendieren des analysierenden
Geistes sein. Dies ist die Stufe des `Nicht-Denkens`, jenseits aller egoistischen
Erkenntnis.“.
426
Innerhalb des Zen erfährt die mahāyānische trikāya-Lehre eine fundamentale
Umwandlung. Bezieht sie sich außerhalb des Zen ausschließlich auf die Wirkweisen der
Buddhas, so bezeichnet sie innerhalb der Zen-Schulen die drei Stufen der Ich-Identität eines
jeden Menschen. Die erste davon wird durch die zwei ersten Weisen des Wissens
hervorgebracht, und zwar erzeugen die fünf ersten Wahrnehmungsarten, das Sehen, Hören,
Riechen, Schmecken und Tasten das „Wissen der Selbstvervollkommnung“, die zusammen
mit dem Wissen der Unterscheidbarkeit (sechstes Sinnesorgan) eben den Nirmānakāya
darstellen. Die zweite Stufe wird als Identität mit dem universellen Wissen gleichgesetzt
149
b.
Stufe der universalen Ich-Identität
War die als Nirmānakāya bestimmte Ich-Identität eine zeit- und
raumgebundene, weil diese hervorbringende Identifizierung mit dem Prozeß
der gleichzeitigen Erzeugung ihrer erkannten Komponenten, so bleibt die
Frage nach dem Ursprung der jeweiligen Bewußtseinsinhalte und damit der
Ich-Identität deswegen weiterhin offen, suggeriert sie mit den Begriffen der
Erzeugung und der Wahrnehmung, ebenso wie mit dem des Wissens ein
kausales Verhältnis zu dem jeweils Erzeugten, Wahrgenommenen und
Gewußten. Die Kausalität aber setzt Wesenhaftigkeit voraus, womit sie der
Einsicht der Anatta-Lehre widerspricht.427
Kann dieser Einspruch mit dem Hinweis auf die absolute Gleichzeitigkeit
des nur sprachlich differenzierbaren Vorgangs behoben werden, so setzt ein
geschlossenes System wie das der zeitlich begrenzten Ich-Identität, der
Konditionalität seiner eigenen Komponenten wegen, aus denen es sich
zusammensetzt und, solange diese Wechselwirkung linear vorgestellt wird,
eine sich selbst überdauernde Instanz voraus, eben im Begriff dieser
Konditionalität selbst. Weil aber der Zeitbegriff, so er weiterhin linear
vorgestellt wird, einzig mit dem Vollzug der Aufrechterhaltung des
Nirmānakāya gedacht werden kann, ist seine Aufhebung mit der der linear
gedachten Zeit identisch. Dieses geschieht auf Grund der Übung des NichtDenkens (Zazen), mit der die als substanziell, deswegen auch
notwendigerweise statisch vorgestellte Ich-Identität fallengelassen wird428.
(drittes Wissen), dessen Erreichen den als Sambhogakāya begriffenen Leib umfasst. Das
vierte Wissen entspricht der Buddhaschaft. Vgl. dazu: Hui Hai, op. cit., S. 164 ff.
427
Vgl. S. 136, Anm. 378.
428
Daß es nur Zeit gibt, oder daß es überhaupt keine Zeit gibt – beide Aussagen haben nur
deswegen einen relativen Aussagewert, sind sie jeweils Manifestationen zweier
unterschiedlicher Standpunkte und damit Ergebnis einer bereits vollzogenen Identifikation
mit einem von diesen und daher immer schon duale Auffassungsweise. Erst mit dem
Vollzug der unmittelbaren Anwesenheit beim Absoluten wird die wahre Ich-Dimension
erfahren, deren Wesen die Nichtbindung auch an die Nichtbindung ist. Im Ergebnis
erscheint die Zeit als Vollzug der Gegenwart von Augenblick zu Augenblick. Vgl. zum
Thema Zeit: Dialoge des Huang Po mit seinen Schülern, op. cit., S. 130: „Vermeidet den
Irrtum, in Begriffen der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zu denken. Die
Vergangenheit ist nicht verschwunden, die Gegenwart ist jetzt augenblicklich, die Zukunft
wird nicht erst kommen.“; Dōgen Zenji, Uji, in: op. cit., Bd. I. S. 92: „Die vergangene Zeit
wird in unserer gegenwärtigen Existenz erfahren. Sie scheint vorüberzugehen, aber die
150
Ohne die Annahme eines statisch vorgestellten Subjekts gibt es keinen Fluß
der Zeit, wird die Wahrnehmung ihrer Bewegung immer nur gleichzeitig
mit der Voraussetzung einer fixierten Bezugs-Identität reflexiver Art
ermöglicht429.
Der Zustand der Aufhebung der relativen Ich-Identität ermöglicht jetzt die
unmittelbar gegenwärtige Wahrnehmung aller Komponenten, deren
gegenseitige Wechselwirkung mittels der ersten sechs Sinnesorgane alleine
auf Grund der Anhaftung an eine vom Geist hervorgebrachte und erkannte
Erscheinung, die jeweiligen, als Ich bezeichneten Identitäten aufkommen
und vergehen läßt, was als Geboren werden und Sterben empfunden wird430.
Das „Universalbewußtsein“ (Skrt. Ālayavijñāna) wird demnach als
„Speicherbewußtsein“ – (und) weil zeitlos – (daher) aller jeweils in
Erscheinung getretener wie auch noch auftretender Sinneseindrücke
bestimmt und als achtes Sinnesbewußtsein verstanden431. Die Verbindung
zwischen ihm und dem unterscheidenden Geist (sechstes Sinnesbewußtsein)
wie auch den fünf anderen Sinnesorganen wird durch das nicht mehr
begriffliche, weil nicht-duale, aber doch eine Art von Wissen und daher als
Vergangenheit ist immer fortwährend in der Gegenwart enthalten. (...). Wenn die Zeit
wirklich vorbeieilen würde, wäre das eine Trennung zwischen der Zeit und uns. S. 91:
„Ein alter Buddha (Zen- Meister Yakusan) sagte einst: „ Sein-Zeit steht auf der höchsten
Spitze des Berges und liegt auf dem Grunde des tiefsten Ozans, Sein-Zeit ist die Gestalt der
Dämonen und Buddhas, Sein-Zeit ist der Stock eins Mönches, Sein-Zeit ist ein Hossu,
Sein-zeit ist eine runde Säule, Sein-Zeit ist eine Steinlaterne, Sein-Zeit ist Taro, Sein-Zeit
ist Jiro, Sein-Zeit ist die Erde, Sein-Zeit ist der Himmel.“
429
Dōgen Zenji, Uji, in op. cit., Bd. I. S. 94: „Geist und Worte sind in Sein-Zeit.(...). Der
Geist geht nicht und die Worte sind bereits da; der Geist ist bereits da, und die Worte
können nicht gehen. Kommen kommt nicht von außerhalb, Nicht-Kommen ist bis jetzt
nicht gekommen. (...). Die ganze Vereinigung von Sein-Zeit ist vollendete Handlung.“
430
Hakuun Yuasutani Roshi, op. cit., S. 47: „Wenn wir sterben, so ist das lediglich der Tod
der ersten sechs shiki, deren wir uns im Leben bedienen. Unser fundamentales shiki, die
Quelle, also der Grund der Ich-Identität, geht nicht eine Verbindung mit der Geburt und
dem Tod ein. Deswegen, sogar dann, wenn eine Atombombe explodieren würde, shiki
sieben und acht wären davon nicht im Geringsten berührt.“
431
Die Übersetzungen in diesem Zusammenhang entstammen der Lankāvatārasūtra, op.
cit., Bd. I, S. 92, und werden im Weiteren durch die von Hakuun Yuasutani Roshi
verwendete Begrifflichkeit präzisiert. Vgl. dazu Anmerkung 371 und 405 dieser Arbeit.
151
Doppelung bestimmte „intuitive Bewußtsein“
Sinnesbewußtsein, Skrt. Manas) aufrechterhalten432.
(eben
das
siebte
Seiner verbindenden Funktion zwischen den gespeicherten und
erscheinenden Sinneseindrücken wegen erweist es sich als der eigentliche
Ursprung aller Phänomene, allen voran der Ich-Identität433. Aus diesem
Grund wird bei der Übung der Aufhebung der relativen Ich-Identität die
unmittelbare Anwesenheit und damit Identität mit dem intuitiven
Bewußtsein als großes Hindernis auf dem Weg der Erlangung der
unmittelbaren Anwesenheit beim Absoluten gewertet, ist damit der Zugang
zum Speicherbewußtsein geöffnet und die Überflutung der sechs ersten
Sinnesorgane mit parapsychologischen Phänomenen (jap.makyo)
möglich434.
Als Doppelung aufgefaßt, ist das intuitive Bewußtsein ebenfalls der
Konditionalität unterworfen; indem es nämlich den Inhalt des
Speicherbewußtseins erkennt, bringt es diesen hervor und sich selber im
Begriff des Universalleibes (Skrt. Sambhogakāya)435.
Wird innerhalb der Mahāyāna-Schulen das „Speicherbewußtsein“ mit der
absoluten Einheit gleichgesetzt, erfolgt dadurch die begriffliche Annahme
einer Doppelung als Absolutes, da selbst im Falle einer konditionalen und
nicht mehr kausalen Bestimmung des Verhältnisses zwischen dem
Speicherbewußtsein (die Nummer acht) und dem relativen Bewußtsein (die
ersten sechs zusammengenommen), vermittelt durch die Tätigkeit des
intuitiven Bewußtseins (die Nummer sieben), eben ein solches Verhältnis
notwendigerweise gedacht werden muß, das damit die duale Beschaffenheit
seiner Komponenten voraussetzt.
432
Begriffübersetzung aus:Lankāvatārasūtra, op. cit., Bd. I, S. 91; Zum Inhalt vgl. S. 92: „
Manas ist eins mit dem Universalbewußtsein auf Grund seiner Teilnahme am
Transzendentalwissen und ist auch eins mit dem Geistsystem durch sein Verständnis für
differenziertes Wissen. Manas besitzt keinen eigenen Körper noch irgendwelche Zeichen,
durch welche es differenziert werden könnte.“ Darauf aufbauend: Hakuun Yuasutani Roshi,
op. cit., S. 48: „Nummer sieben, shiki mana, wird zuweilen das shiki Übertragung genannt.“
433
Hakuun Yuasutani Roshi, op. cit., S. 48: „ Es ist das shiki nummer sieben, das ein klares
und determiniertes Ego-Bild enthält. Selbstverständlich besitzen wir ein Bewußtsein von
diesem Ego im shiki nummer sechs, dieses ist aber zeitlich begrenzt.“
434
Ausführlich dazu: Hakuun Yuasutani Roshi, Täuschende Erscheinungen und
Empfindungen, in : P. Kapleau, Die drei Pfeiler des Zen, München 1979. S. 71 ff.
435
Vgl. dazu Anmerkung 397, S. 107 dieser Arbeit
152
c.
Stufe der absoluten Ich-Identität
Seiner Doppelung wegen kann weder der Begriff des Universalleibes noch
der des Universalbewußtseins als Speicher verstanden wie auch die
unmittelbare Anwesenheit bei ihnen mit dem Inhalt der Begriffsbestimmung
der Mystik gleichgesetzt werden, weswegen die Zen-Orthodoxie auch
innerhalb der Begrifflichkeit um eine erneute Präzisierung bemüht ist und es
auch sein muß, basiert ihre eigene Tradition des „rechten Denkens“ auf der
unmittelbaren Anwesenheit bei der absoluten Einheit und umgekehrt: die
Anwesenheit manifestiert sich auch als diese Denkweise436.
So differenziert das Zen hier erneut und versteht das von allem unberührte
Universalbewußtsein als das Bewußtsein der „reinen und unverfälschten
Natur“, beziehungsweise als das Bewußtsein des „wahren Ich“ (jap. shiki
anmora und die Nummer neun innerhalb der Stufen der Ich-Identität),
dessen Verbindung mit dem Speicherbewußtsein sehr „intim“ ist, auf Grund
ihrer Fast-Identität437.
Die neunte Bewußseinsstufe, als „Dharmakāya“438 begriffen, wird deswegen
mit dem „Ocean“ verglichen, auf dessen Oberfläche und als dessen
436
Vgl. dazu: Hui Hai, op. cit., S. 144: „Abwesenheit von Gedanken bedeutet, sich nicht
falschem Denken hinzugeben; es bedeutet nicht, daß kein richtiges Denken stattfinden soll
.(...). Nicht-Hängen an diesen (dualen) Begriffen wird rechtes Denken genannt.“ Letztlich
aber ist natürlich auch der Begriff des „rechten Denkens“, wie alle anderen auch, dualer
Natur, weswegen „rechtes Denken“, Erleuchtung, unmittelbare Anwesenheit beim
Absoluten synonym verwendet werden. dazu S. 145: „Rechtes Denken bedeutet nur an die
Erleuchtung denken.“, und weil diese weder gedacht noch erreicht werden kann, ist die
Ausrichtung der Reflexion des Denkens auf absolute Inhaltslosigkeit mit ihrer Aufhebung
identisch. Und wird mit dieser vor allem das Erzeugen der dualen Scheinwirklichkeit
durchbrochen, erscheint aus der Einheitsperspektive jedes Denken recht, da es immer nur
als der unmittelbare Vollzug dieser erkannt wird. Vgl. dazu auch: Dōgen Zenji, Daigo , in
op. cit., Bd. I, S. 59.
437
So Hakuun Yuasutani Roshi in: op. cit., S. 48: „Das Verhältnis zwischen dem shiki
nummer acht und dem shiki nummer neun ist sehr nah und intim. Im Grunde genommen
sind sie fast das Gleiche.“; während das Lankāvatārasūtra, op. cit., Bd. I, S. 92 ff., weil es
diese Differenzierung noch nicht vollzogen hat, Gefahr läuft, im Absoluten Inhalte zu
setzen und dadurch Dualität aufrechtzuerhalten.
438
Hui Hai, op. cit., S. 165. und Hakuun Yuasutani Roshi in: op. cit., S. 48. Weil Hui Hai
mit dem Begriff des Dharmakāya das Absolute meint und Yasutani dieses mit dem neunten
shiki gleichsetzt, erscheint die oben gemachte Verbindung sinnvoll. Vgl. dazu auch: Dōgen
Zenji, Shinjingakudō, in op. cit., Bd. I, S. 32.
153
Oberfläche die zeitlose, wie auch relative Ich-Identität und durch diese die
gesamte Vielfalt der Phänomene wie „Wellen“ erscheinen und vergehen439.
Weil aber Wellen ihrer Eigennatur nach Wasser sind und nur ein anderer
Ausdruck für dieses, ist jede Stufe der Ich-Identität nichts anderes als ein
anderer Name für die immer gleichbleibende Buddhanatur440. Das Erreichen
der unmittelbaren Anwesenheit beim Absoluten ist daher identisch mit der
sich vollziehenden neunten Bewußtseinsstufe, deren Gewahrwerden als
„Buddhawissen“ den Dharmakāya erzeugt441. Ist aber das Absolute auf
Grund seiner Erhabenheit über jegliche Doppelung kein Bewußtseinsinhalt
und deswegen „absolute Leere und Stille“, so muß der Dharmakāya als das
Gewahrwerden des sich vollziehenden Buddhawissens es ebenfalls sein,
womit er dann dem Inhalt nach mit dem Leerheitsbegriff der
Prajnāpāramitāhrdayasūtra übereinstimmt 442.
Aus der Tatsache, daß der Vollzug der unmittelbaren Anwesenheit beim
Absoluten und das Absolute selber identisch sind und als Nicht-Doppelung
bestimmt werden, ergibt sich als Folge für die Übung der Erlangung
derselben die Absurdität ihrer Ausübung mit dem oben genannten Ziel443,
weswegen diese und das Absolute ebenfalls von Anfang an als
ununterschieden gedacht werden müssen444.
439
Das Sprachbild entstammt ebenfalls aus Hakuun Yuasutani Roshi, in: op. cit., S. 48.
440
Hakuun Yuasutani Roshi, in: op. cit., S. 49.
441
Der Form nach, da ebenfalls Begriff und damit Konzept, gilt auch für den Dharmakāya
die Vijñānavāda-Begrifflichkeit. Vgl. dazu: Hui Hai, op. cit., S. 165: „Das vollkommene,
alles erleuchtende Buddhawissen wird alleine den Dharmakāya erzeugen.“
442
Hui Hai, op. cit., S. 165.
443
Dialoge des Huang Po mit seinen Schülern, op. cit., S. 126, Abs. 53: „Wenn ihr
behauptet, daß etwas übertragen wurde, so nehmt ihr an, daß der zweite Patriarch das
Universalbewußtsein durch Suchen erreichte, doch noch so viel Forschen kann je dorthin
führen.“
444
Dōgen Zenji, Fragen und Antworten, op. cit., Bd. I, S. 176: „Es ist die Ansicht der
Ungläubigen, daß Übung und Erleuchtung nicht eins sind. Doch die Übung selbst ist die
Erleuchtung, und sogar der erste Entschluß, den Weg zu suchen, enthält bereits schon die
vollständige und perfekte Erleuchtung. Es gibt keine Erleuchtung außerhalb der Übung.
Dies zu erkennen, ist sehr wichtig. Da die Übung die Erleuchtung ist, hat die Erleuchtung
kein Ende und die Übung keinen Anfang.“
154
Wird die Übung als die Haltung des Nicht-Denkens im Sinne des NichtAnhaftens445 verstanden und aufrechterhalten, so überschreitet sie die
begriffliche – und deswegen auch relative, da vom unterscheidenden Wissen
hervorgebrachte – Ich-Identität auf die Universale hin, welche zwar nicht
eine begriffliche, so doch eine intuitive Ich-Identität hervorbringend
voraussetzt. Ist diese wiederum das Ergebnis einer bereits vollzogenen
Anhaftung – und weil zeitlos, deswegen auch ihre Voraussetzung –, ereignet
sich ihre Überschreitung in der Fortsetzung des Nicht-Anhaftens bis zum
„blitzartigen“446, da zeitlosen Gewahrwerden des Absoluten, begriffen als
Selbstidentität des Nicht-Anhaftens innerhalb der „Leerheit“.
Erfolgt auch hier die Aufrechterhaltung der Übung, so wird zum ersten
Male die unmittelbare Anwesenheit bei der erscheinenden Vielheit
vollzogen, so ist aus dieser Perspektive betrachtet die erste nichts anderes
als die Ermöglichung der zweiten, weswegen ihr Vollzug die
Überschreitung im Sinne des Vergessens der ersten voraussetzen muß, um
bei der ganzheitlichen Entfaltung der mit dem Leben identischen IchStruktur in der Form ihrer vielfältigen Identitäten und Identifikationen
unmittelbar gegenwärtig sein zu können447.
445
Vgl. dazu: Dialoge des Huang Po mit seinen Schülern, op. cit., 52, S. 126, Abs. 52.
446
„Blitzartig“ aber auch „plötzlich“ sind mit die am meisten Ausdrücke für dieses
Ereignis. Exemplarisch dazu: Mumonkan, op. cit., S. 41; Beim Hui Hai ist dieser Begriff
bereits im Titel seines, hier oft zitierten Werkes enthalten.
447
Dazu: Dōgen Zenji, Kuge, op. cit., Bd. I, S. 71: „Im wahren Buddhismus ist (...) ein
Buddha jemand, der über die Erleuchtung hinaus gegangen ist.(...) Nirvana und Samsara
sind die Blumen der Leerheit. Nirvana muß von allen Buddhas, Patriarchen und Schülern
erreicht werden. Leben und Tod sind der wahre Körper des Menschen. Die Wurzel,
Stengel, Zweige, Blätter, Blüten, Früchte und die Form jeder Blume sind Kuge (Blume der
Leerheit). Kuge bringt seine Früchte aus der Leere hervor und pflanzt seinen Samen in den
Himmel (der umfassenden Leerheit). Da die drei Welten ein Blumenblatt des blühenden
Kuge sind, sind sie nicht verschieden. Kuge ist die wahre Form aller Erscheinungen; die
wahre Form einer Pflaume-, Weiden-, oder Pfirsichblüte.“.
Eine präzise und detaillierte Beschreibung der Entfaltung der Ich- und Welt-Struktur aus
der unmittelbaren Anwesenheit beim Absoluten folgt jetzt der umgekehrten Richtung ihrer
Aufhebung und findet sich beim Hui Hai, in: op. cit., S. 165: „Fähig zu sein, jedes einzelne
Atom ohne Empfinden von Liebe und Haß zu betrachten, bedeutet Leere der
Unterscheidungen. Diese Leere der Unterscheidungen ist Universalwissen (Nummer
sieben). Fähig zu sein, in die Sphäre sämtlicher Wahrnehmungsformen einzudringen und
geschickt zwischen ihnen zu unterscheiden, ohne daß störende Gedanken auftauchen und so
Freiheit von Täuschung erringen, bedeutet Wissen durch tiefes Beobachten (Nummer
sechs). Fähig zu sein, sämtliche Quellen der Wahrnehmung (die fünf Sinne) zu benutzen,
ohne deshalb an die Vielheit der Form zu glauben, bedeutet Wissen der
Selbstvollkommenheit.“
155
3. Ergebnis
Obwohl das Zen seinem Inhalt nach einzig auf den Vollzug der
unmittelbaren Anwesenheit bei der Einheit ausgelegt ist, erweist sich dieser
Inhalt als Prozeß, der mit der begrifflichen wie auch tatsächlichen IchStrukur identisch ist, weil er es sein muß. Andernfalls wäre die begriffliche
Behauptung einer absoluten Einheit, geschweige denn der Vollzug einer
unmittelbaren Anwesenheit bei ihr, mit dem Setzen auch nur eines einzigen
Unterschiedes in sich ein Widerspruch und damit das Zen weder als Mystik
bestimmbar noch sein Anspruch universal vertretbar.
Aus diesem Grund, der zugleich die Perspektive der Erkenntnis und damit
der begrifflichen Entfaltung der Ich-Struktur ist, erklärt sich der einerseits
freie, andererseits differenzierte und deswegen auch präzise Umgang der
Zen-Meister mit der Ich-Begrifflichkeit ihrer eigenen Tradition, die nur
dann eine Umwandlung erfährt beziehungsweise eine neue Darstellung
findet448, wenn diese die Ein-Deutigkeit der Ausrichtung, wie auch
gleichzeitig die der Entfaltung der absoluten Einheit – zuweilen subtil – so
doch außer Acht läßt.
Die innerhalb der Zen-Tradition mit der jeweiligen Identitätssstufe
keinesfalls identische Darstellung der gesamten Ich-Struktur ergibt
folgenden Begriff:
Auf Grund der Identität mit dem Absoluten ereignet sich die gesamte IchStruktur als unmittelbares Gewahrwerden des Vollzuges ihrer jeweiligen
Identität.
448
Hier sei vor allem auf die kommentierten Zeichnungen der zehn Ochsenbilder des ZenMeisters Kuo-An Shih-Yüan hingewiesen, dessen Wiedergabe der Erlangung der
unmittelbaren Anwesenheit beim Absoluten die gesamte Ich-Struktur mit ihren jeweiligen
Identifikationsstufen bildlich und sprachbildlich darstellt. So entspricht das erste Bild der
leidvollen Identifikation mit den erscheinenden Phänomenen, das dritte dem beginnenden
Gewahrwerden ihrer Leerheit, das vierte dem Gewahrwerden der Einheit von Allem,
verstanden als Identität mit dem zeitlosen Universalwissen, das fünfte bis siebente der
Vertiefung dieser Einsicht, das achte der unmittelbaren Anwesenheit beim Absoluten
begriffen als Leerheit, das neunte der unmittelbaren Anwesenheit bei den erscheinenden
Phänomenen und schließlich das zehnte dem Vollzug der eigenen Identität. Vgl. dazu: Die
zehn Ochsenbilder, Pfüllingen 1986; Die Kommentare des Daiun Sogaku Harada Roshis zu
den Briefen der Yaeko, in Kapleau, op. cit., S. 377 ff.
156
VI.
DER VERGLEICH
Sieht sich diese Untersuchung der Religionswissenschaft und wie auch der
Philosophie verpflichtet, so kann die Wissensentfaltung auch innerhalb des
Vergleiches selbst ihr eigenes Prinzip nicht verlassen. Dieses Prinzip, als
sicherstes Wissen verstanden, bestimmt sich mit dem Aufkommen der
Moderne als die sich vollziehende Selbstreflexion des Denkens, die damit,
das „Ich“ als Begriff hervorbringend, das so erzeugte „Ich“ bei der
Ableitung aller anderen Begriffe notwendigerweise aufrecht erhält und die
Subjekt-Objekt-Spaltung erzeugt. Weil das Subjekt und Objekt Begriffe der
sich mit ihnen vollziehenden ein und derselben Reflexion des Denkens sind,
sind sie formal betrachtet – da jeweils Begriffe und gleichzeitig auftretend –
als Begriffe gleich und aus dem gleichen Grund auch inhaltlich unterscheidbar. Dieser gegenseitigen Angewiesenheit zufolge ist der reine, von der
Vielheit getrennt zu denkende Ich-Begriff auf der Stufe dieser Vielheit
unmöglich zu vollziehen, ist er nämlich immer schon das Ergebnis der alle
anderen Begriffe gleichzeitig ableitenden Reflexion des Denkens und immer
nur als Unterschied zu diesen Begriffen denkbar, weswegen er diese
gleichzeitig, bewußt oder unbewußt, als gegeben voraussetzen muß. Die
selektive Auswahl der selbst abgeleiteten oder übernommenen Begriffe
bildet dann den Prozeß der Hervorbringung, Zusammensetzung und
Aufrechterhaltung der ihn ausmachenden Identität449.
449
Der von Descartes als „res cogitans“ abgeleitete Ich-Begriff (vgl. dazu Teil I dieser
Arbeit), erfährt innerhalb des deutschen Idealismus das „Wie“ seiner Bestimmung. Die
Reflexion des Denkens nämlich, von Kant als „Verstandeserkenntis“ bestimmt und der
„Vernunft“ unterstellt, unterliegt dieser im Sinne seines eigenen a priori bei jeglichen
Begriffsableitungen, so daß die jeweiligen Begriffe und mit ihnen der Ich-Begriff nicht die
Ableitung vorhandener Gegenstände sein können, vielmehr sind diese Gegenstände die a
priori Setzung der Vernunft und deswegen von der Reflexion des Denkens als Begriffe
ableitbar und somit auch erkennbar. Damit existiert der Ich-Begriff, wie alle anderen auch,
weder von diesen unabhängig, noch außerhalb der Reflexion des Denkens, die mit ihnen
und an ihnen (gleichzeitig) ihr eigenes a priori erkennt und vollzieht. Vgl. Kant, Vorrede
zur zweiten Auflage der Kritik der reinen Vernunft, in Kant Werke Bd II, Darmstadt 1998,
S. 26: „... weil Erfahrung selbst eine Erkenntnisart ist, die Verstand erfordert, dessen Regel
ich in mir, noch eher mir Gegenstände gegeben werden, mithin a priori voraussetzen muß,
welche in Begriffen a priori ausgedrückt wird, nach denen sich also alle Gegenstände der
Erfahrung notwendig richten und mit ihnen übereinstimmen müssen. (...) daß wir nämlich
von den Dingen nur das a priori erkennen, was wir selbst in sie legen.“ S. 27: „ (...) wenn
man annimmt, unsere Vorstellung der Dinge, wie sie uns gegeben werden, richte sich nicht
nach diesen, wie sie uns gegeben werden, richte sich nicht nach diesen, als Dingen an sich
selbst, sondern diese Gegenstände vielmehr, als Erscheinungen, richten sich nach unserer
Vorstellungsart...“.
157
Wenn dem so ist, kann von Objektivität des Absoluten niemals die Rede
sein, ist jegliche Begriffsableitung Reflexion des Denkens und damit die
Fortsetzung der Aufrechterhaltung der jeweiligen Ich-Identität, ganz gleich,
ob diese wahrgenommen wird oder nicht. Daraus folgt, daß jeder Vergleich
auf Grund der Beschaffenheit seiner beiden Konstanten der Reflexion des
Denkens und der Begrifflichkeit immer schon die Selbst-Identität des
Vergleichenden impliziert, weil er als Vollzug der Reflexion des Denkens
diese hervorbringt und damit gleichzeitig auch aufrecht erhält.
Eben diese Selbst-Identität des Vergleichenden ist dann, sei sie reflektiert
worden oder nicht, das eigentliche tertium comparationis eines jeden
Vergleiches450.
So zeigt sich innerhalb des wissenschaftlichen Umfeldes der diese Arbeit
betreffenden Thematik die implizierte Selbst-Identität in den Begriffen der
Religion, der Mystik und in ihrer Folge in dem Begriff der absoluten
Einheit, die in der oben beschriebenen Weise, als tertium comparationis,
über den Ausgang der bereits unternommenen Vergleiche entschieden
hat451.
Diesen Sachverhalt differenziert Fichte weiter, und um die durch die Kantsche Setzung
einer a priori eröffneten Möglichkeit des regressum ad infinitum zu unterbinden (eine
Voraussetzung setzt immer eine Voraussetzung voraus), vereint er die Voraussetzung und
den Vollzug in der „Tathandlung“ des Satzes: „Ich bin Ich“, weil das Ich, bevor es tätig
erkannt wird, gar nicht existieren kann, muß es in dem zu sich Ich-Sagen erst entstehen.
Diese „Tathandlung“ entspräche dem reinen Ich-Denken, das aber deswegen nicht
vollzogen werden kann, setzt das Ich mit sich selbst gleichzeitig alles andere als sein
Gegenüber mithin als Inhalt seiner Identität. Vgl. dazu: Fichte, Einleitung, S. 5 – 32 und
Zweite Einleitung in die Wissenschaftslehre, S. 33 – 100, beides in: Versuch einer neuen
Darstellung der Wissenschaftslehre, Hamburg 1975.
450
Unabhängig vom Begriff kann es niemals so etwas wie eine Erfahrung, auch nicht eine
sogenannte Grunderfahrung geben, ist das Bewußtwerden einer solchen immer schon mit
der Ableitung eines Begriffes identisch, der wiederum immer schon einer Ich-Identität
entstammt. Deswegen ist ein oft gut gemeinter Versuch, innerhalb eines Dialoges diesen
mit den gemeinsamen Grunderfahrungen beginnen zu lassen, identisch mit einem Dialog
über die wie auch immer gemeinten Grundbegriffe. Vgl. dazu: Zur Hermeneutik des
christlich-buddhistischen Dialogs vgl.: P. Schmidt-Leukel, Den Löwen brüllen hören,
Paderborn 1992 und in Folge ein Kommentar dazu von M.v. Brück und Whalen Lai, in op.
cit., S. 238 f.
451
Für die Buddhologen scheint die Ableitung eines tertium comparationis deswegen
problematisch zu sein, sind im Buddhismus die philosophische Reflexion und die Religion
aufs engste miteinander verbunden, so daß eine Meta-Position aus der Begrifflichkeit der
eigenen Tradition wohl nicht ableitbar zu sein scheint. Vgl. dazu: Yoshinori Takeuchi, Das
Schweigen des Buddha. Ein Problem der Religionsphilosophie des Buddhismus in: Die
Philosophie der Kyôto-Schule, op. cit., S. 419 ff.; So reflektiert beispielsweise Ueda
158
innerhalb seines Vergleiches nicht das tertium comparationis der Selbst-Identität des
Vergleichenden, entwickelt in Folge keinen Begriff, in dem die zu Vergleichenden hätten
inhaltlich übereinstimmen können, und ist deswegen gezwungen, eine der beiden zu
vergleichenden Größen – in seinem Fall das Zen – unbewußt, da eben unreflektiert, zum
tertium comparationis seines Vergleiches zu nehmen. Der darauf folgende Vergleich
verliert sich auch deswegen in der schwer begründbaren Gegenüberstellung formaler
Begriffszusammenhänge, welche, bei der wirklichen Übereinstimmung oder
Unterschiedlichkeit iherer Inhalte, niemals in den Rang eines tertium comparationis hätten
gelangen dürfen. Die Behauptung: „Sowohl die negativ-theologische Erfassung der
Transzendenz als auch die Rückkehr zur Weltwirklichkeit als realer Vollzug zur wahren
Transzendenz sind im Zen Buddhismus viel radikaler und konsequenter durchgeführt als
bei Meister Eckhart“ verdeutlicht das Gesagte, und ergibt das Urteil über die
Radikalisierung einer konkreten Ausführung aus dem Zusammenhang ihrer eigenen
begrifflichen Voraussetzung und nicht aus der Abgrenzung gegen ein bereits interpretiertes
Fremdes. Ueda, op. cit., S. 146 ff.;
Umfangreicher, doch der Struktur nach ähnlich gestalten sich diesbezüglich die Vergleiche
D.T. Suzukis, der als Buddhologe ebenfalls kein tertium comparationis entwickelt, sondern
innerhalb des Vergleiches des Zen zu Eckhart das tertium comparationis eindeutig mit der
zen-buddhistischen Begrifflichkeit gleichsetzt. Weil auch in diesen Vergleichen das
Allgemeinste, worin die beiden hätten übereinstimmen oder sich unterscheiden können,
nicht bestimmt worden ist, kann niemals ein für beide Seiten annehmbares Ergebnis erzielt
werden, indem eine der Konkretionen zugleich das tertium comparationis abgibt. Vgl. dazu:
Meister Eckhart und Buddhismus in: Der westliche und der östliche Weg, Frankfurt 1995,
S. 13 – 41.;
Innerhalb der christlich-abendländischen Positionen ist bezüglich des Themas die Reflexion
eines tertium comparationis möglich, ist die abendländische Philosophie doch niemals mit
der Theologie des Christentums identisch. So gehört J. Sudbracks Bestimmung des
Begriffes der „Meditation“ zu den Versuchen, ein im oben beschriebenen Sinne und damit
die eigene Selbstidentität reflektierendes tertium comparationis abzuleiten. Nachdem der
Autor
den
Begriff
der
Mystik
(wegen
der
„Schwierigkeiten“
und
„Voreingenommenheiten“) und den der Kontemplation (seiner christlichen Fixierung
wegen) verabschiedet und sich für den der Meditation entscheidet, der „... nicht nur den
Gang nach Innen, (...) sondern, ebenso auch das Schauen nach Außen ....“ umfasst, bleibt
das eigentliche Problem weiterhin ungelöst. Auch wenn der Inhalt des von J. Sudbrack, auf
Grund einer dualen Auffassung des tertium comparationis eine entsprechend andere Sicht,
nämlich ebenfalls duale, des Sachverhaltes entfaltet und in Folge zu anderen Ergebnissen
kommt, ist dem Ansatz, formal gesehen, zuzustimmen. Vgl. dazu: Meditative Erfahrung –
Quellengrund der Religionen? Stuttgart 1994, S. 33 – 40, 128 ff.; Zum dualen Charakter
des tertium comparationis: Mystik im Dialog, Würzburg 1992, S. 139 ff.: „Das Ziel des
interreligiösen Gesprächs ist der ewige Gott in seinem Geheimnis...“.
Es ist nicht vorstellbar, daß die Zen-Meister mit dieser dualen Auffassung, alleine der Form
nach (über den Inhalt, also den Gottesbegriff, könnte man noch streiten), einverstanden
sein dürften. Auch Lasalle, Zen und christliche Mystik, Freiburg 1986, sucht zunächst den
Begriff eines tertium comparationis und greift den der Religion, Philosophie,
Psychoanalyse und Mystik auf (S. 21-26), entscheidet sich zwar vor allem für den letzten,
den er dann nicht ableitet, sondern am Beispiel der christlichen Mystiker inhaltlich
entwickelt und damit unreflektiert voraussetzt (S. 263 ff.). Formal betrachtet lehnt sich sein
159
Ist damit ein Vergleich ohne die implizierte Selbst-Identität nicht möglich,
da ihre Aufhebung mit der der Reflexion des Denkens identisch ist und
wodurch der Vergleich ebenfalls aufgehoben worden wäre, so gibt es
diesbezüglich nur eine entweder-oder Entscheidung: Entweder ist das
Vergleichen mangels objektiver Begrifflichkeit zu unterlassen, oder aber es
ist vorab die den Vergleich bestimmende Selbst-Identität zu bedenken, die
als Prozeß verstanden Veränderungen unterliegen muß, weswegen sie dann
um den laufenden Fortschritt der einzelnen Wissenschaften im Allgemeinen
wie auch im Besonderen wissend sich der Vorläufigkeit des unternommenen
Vergleiches bewußt ist.
Aus diesem Grund sind zu Beginn dieser Untersuchung die Begriffe
Religion, Mystik und absolute Einheit in der Weise abgeleitet worden, wie
es das abendländische Denken zuläßt, weil sie formal wie auch inhaltlich
betrachtet die Selbst-Identität des Vergleichenden ausmachen und so
verstanden das tertium comparationis dieses Vergleiches bilden.
Allem voran und mit der Ableitung des Begriffes der Mystik fand das jetzt
als tertium comparationis verstandene Selbst seine begriffliche Identität und
ermöglichte damit eine fragende Bewegung auf das eckhartsche Werk und
das Zen, die als Konkretionen der Mystik diese Frage haben beantworten
können.
Daraus resultiert, daß ein sinnvoller Vergleich immer nur in Bezug auf ein
zu vergleichendes Drittes vollzogen werden kann, weil dieses immer schon
im Sinne der Selbst-Identität des Vergleichenden mitgedacht wird, was für
diese Untersuchung - und damit inhaltlich gesehen – bedeutet, daß das
eckhartsche Werk als Mystik mit dem Zen (ebenfalls als Mystik begriffen),
nicht jedoch mit dem Buddhismus als Religion verglichen werden kann und
umgekehrt. Als Folge davon kann das Zen mit dem Werk Eckharts oder
Vergleich an die der japanischen Seite, ist das tertium comparationis immer schon die
eigene (christliche) Mystik oder - seiner Tätigkeit als Zen-Lehrer wegen – das Zen, mithin
eines der zu vergleichenden Teile. Im Ergebnis müssen dann einzelne Begriffe einer
direkten Gegenüberstellung standhalten, womit das tertium comparationis, je nach
Begriffspaar inhaltlich (da abhängig vom Begriffspaar) und formal (je nach Tendenz der
Selbst-Identifikation des Vergleichenden) variiert und gänzlich relativiert wird. So ist
beispielsweise der Direktvergleich zwischen der „gnadenhaften“ Erleuchtung (Christentum)
und „natürlichem“ Satori (Zen) bereits durch den Gebrauch der Adjektive ein Ergebnis,
welches als tertium comparationis einen Gottes- bzw Natur-Begriff voraussetzt, der, ohne
eigens reflektiert worden zu sein, den Ausgang des Vergleiches bestimmt hat (S 332 ff.).
Ähnliches geschieht mit dem Begriffspaar Zazen-Gebet (S. 457 ff.)
160
einem anderen als Mystik bestimmbaren Werk, keinesfalls jedoch mit dem
Christentum begriffen als Religion, in einen sinnvollen Vergleich treten452.
Ist aber mit dem Inhalt des Begriffes der Mystik zugleich der Begriff der
absoluten Einheit abgeleitet worden, der die gesamte Untersuchung
deswegen paradox erscheinen läßt, handelt es sich beim Absoluten zunächst
um eine Bestimmung, die als Ergebnis der Reflexion des Denkens
Doppelung ist und damit zu ihrem eigenen Inhalt im Widerspruch steht. Das
ist die zu Beginn der Untersuchung angedeutete und jetzt gänzlich
einsehbare Grenze dieses Vergleiches, bestimmt dieser Widerspruch formal
wie auch inhaltlich die Selbst-Identifikation und damit das tertium
comparationis dieser Arbeit dadurch, daß sich bislang die abendländische
Wissenschaft einzig und alleine mit der Ableitung von Begriffen
identifiziert und in Folge als scientia rationalis453 definiert hat. Aus dieser
Tatsache resultiert, daß sich das Absolute, da per definitionem über jegliche
Doppelung und daher über die scientia rationalis erhaben, niemals von
dieser begreifen lassen kann, wiewohl es sich selbst und aus dem gleichen
Grund als solche manifestiert. Dieser Gegebenheit wegen entspricht diese
Untersuchung einer „Schwarzweißzeichnung“, innerhalb welcher die
Zunahme an Wissen Schattierungen herausarbeiten kann, ohne jemals Farbe
hinzufügen zu können, und das bei gleichzeitiger Voraussetzung ihrer
unmittelbaren Anwesenheit.
Weil mit dem Begriff der Mystik ein tertium comparationis hat bestimmt
werden können, in dem das eckhartsche Werk und das Zen miteinander
übereinstimmen, erscheint der Vergleich der jeweiligen Ich-Strukturen nicht
nur möglich, sondern auch sinnvoll, erfuhr dadurch auch das Allgemeine
seine Bestimmung, was die Ableitung der konkreten im Begriff des
eckhartschen Werkes und des Zen sich manifestierenden Mystik
ermöglichte und in deren Folge ihren Inhalt, als die Weise der begrifflichen
Entfaltung der jeweiligen Ich-Struktur offenlegte. Diese Ableitungsstufen
legen zugleich die Ordnung des Vergleiches der besagten Ich-Strukturen
452
Exemplarisch für eine solche Verwechslung sei auf den Vergleich D. T. Suzukis
hingewiesen. Der religiös gedeutete Begriff der Kreuzigung ist hier einem mystisch
gedeuteten Begriff des Satori gegenübergestellt worden. Daß der Vergleich den
Unterschied herausarbeiten muß, liegt bereits in der Voraussetzung und nicht im Ergebnis,
da unreflektiert Allgemein-Unterschiedliches gegenüber gestellt worden ist, innerhalb
dessen dann, im Konkreten also, Gegesetzliches festgestellt werden mußte.
453
Jede bis heute im Abendland definierte scientia, ganz gleich ob sie als scientia divina,
humana, naturalis usw. bezeichnet wird, ist aller Bestimmung zuvor, weil auf dem Vollzug
der Reflexion des Denkens gründend, immer schon scientia rationalis.
161
fest, sind auch hier die Übereinstimmung oder der Unterschied im
Allgemeinen immer schon die Voraussetzung derselben im Konkreten, nicht
jedoch umgekehrt.
Auf Grund der Tatsache, daß sich der Mystik-Begriff seinem Inhalt nach
mit dem der absoluten Einheit als identisch erwiesen hat, übernimmt der
Begriff des Absoluten innerhalb des Vergleiches die tragende Funktion. Der
Inhalt des Begriffes der absoluten Einheit nämlich läßt per definitionem nur
analytische Urteile zu, weil er erhaben über jegliche Synthese, Doppelung,
mithin auch Relation sein muß. Aus diesem Grund unterliegt er keinerlei
Wandlung oder Veränderung und ist vom jeweiligen Kontext, in dem er
erscheint, unabhängig, obwohl er sich der Form nach, und das bedeutet dem
Wortlaut nach, innerhalb unterschiedlicher Konkretionen unterscheiden
kann. Daraus ergibt sich, daß dieser Begriff, unabhängig vom jeweiligen
Zusammenhang seiner Erscheinung, dem Inhalt nach immer
gleichbedeutend bleiben muß. Der als Inhalt der allgemeinen Bestimmung
der Mystik abgeleitete Begriff der absoluten Einheit muß deswegen
identisch sein mit dem der absoluten Einheit innerhalb ihrer Konkretionen
und deren Besonderheiten, so er auch dort gedacht wird.
Für diesen Vergleich heißt das, daß die in den beiden untersuchten
konkreten Erscheinungen der Mystik abgeleiteten Begriffe der `gotheit`, der
`Leerheit`, der `Weisheit` oder `nur Geist`, zwar formal, und das heißt
phonetisch, wie auch orthographisch unterschiedlich ausgesprochen bzw.
geschrieben, niemals jedoch inhaltlich als unterschiedlich gedacht werden
können, müsste sich sonst das Absolute der eckhartschen Konkretion gegen
das Absolute des Zen oder umgekehrt begrenzen, wäre damit bereits relativ
und als solches ein Selbstwiderspruch. Und was für das Allgemeine und
Konkrete gilt, muß auch für das Besondere gelten, entsprechen dem Begriff
des Absoluten innerhalb der jeweiligen Ich-Bestimmung die Begriffe
`Grund der Seele` und `Buddhanatur` oder `reines Ich`, welche ebenfalls
Identisches denken müssen.
Indem die Bestimmungen der beiden Ich-Strukturen wörtlich genommen im
Grunde identisch sind, müssen sie in Folge als die Entfaltung einer und
derselben absoluten Einheit gedacht werden, und zwar so, daß sie sich nicht
innerhalb dieser – dualer Ansatz! –, sondern als diese manifestieren. Weil
der Begriff des Absoluten weder ein Innerhalb noch ein Außerhalb seiner
selbst zulassen kann, ist jegliche Erscheinung immer schon seine
unmittelbare Manifestation. Und läßt sich die Manifestation des Absoluten
als der erkennende Vollzug seiner a priori bestimmten Einheit verstehen,
der, weil Doppelung, das Absolute dem Begriff nach voraussetzen muß, so
162
setzt die Erkenntnis der Entfaltungsweise des Absoluten eine Struktur
voraus, welche zum einen unmittelbare Anwesenheit bei den Stufen seiner
Entfaltung erreichen muß, um zum anderen ein Wissen, mithin einen
Begriff davon ableiten zu können. Die erkennende Entfaltung der absoluten
Einheit entspricht somit der als Ich bestimmten Struktur454.
Weder konnte jedoch gedacht werden, daß die absolute Einheit diese
Struktur hervorbringt noch voraussetzt, da beide Konzepte auf Grund ihres
dualen Ansatzes dem Begriff des Absoluten widersprächen, noch kann – aus
dem gleichen Grund – ihre Unabhängigkeit vom Absoluten gedacht werden,
so ist die Ich-Struktur in der Gesamtheit ihrer Dynamik die unmittelbare
Manifestation der absoluten Einheit und in diesem Sinne mit ihr identisch.
Selbst wenn an dieser Stelle eingewandt werden sollte, daß der Begriff des
Absoluten auf Grund seiner Erhabenheit unterschiedliche Entfaltungsweisen
als denkbar zulassen muß, so widerspricht dieser Einwand der bisherigen
Argumentation deswegen nicht, setzt er doch immer eine Struktur voraus,
die diese Entfaltungsweisen erkennt bzw. denkt. Genau diese Struktur als
Ich-Struktur begriffen ist der Gegenstand dieser Untersuchung und eben
nicht die unendliche Vielheit und damit auch Vielfalt, die diese
wahrnehmen und denken kann.
Weil sich dieser Begriff der Ich-Struktur aus dem der absoluten Einheit
ableiten läßt, der wiederum als Inhalt des Begriffes der Mystik das
allgemeine tertium comparationis des Vergleiches ist, muß er genauer
untersucht werden, bildet er im Folgenden das tertium comparationis des
Vergleiches im Besonderen und ist damit zugleich in diesem
Zusammenhang die Selbst-Identität des Vergleichenden.
Mußte das Allgemeine im Begriff der Mystik, weil der
Religionswissenschaft verpflichtet und im Einklang mit den Prinzipien der
Philosophie bestimmt werden, so gilt das Gleiche für die Bestimmung des
Besonderen im Begriff der Ich-Struktur.
454
Hier sei auf den Unterschied zwischen dem Ich-Begriff und der Ich-Struktur
hingewiesen. Der innerhalb des Begriffes der Mystik gedachte Ich-Begriff ist als Ergebnis
der Reflexion des Denkens bereits nur ein Teil der hier gedachten Ich-Struktur, deren
ganzheitlichen Vollzug er, bewußt oder unbewußt, voraussetzen muß. Vgl. dazu Kap. III
und V dieser Arbeit.
163
1. Der abendländische
comparationis
Begriff
der
Ich-Struktur
als
tertium
Gemäß dem „Satz vom zu vermeidenden Widerspruch“ des Aristoteles und
damit dem formalen Prinzip der ersten Epoche der abendländischen
Philosophie nach,läßt sich immer nur eine Ich-Struktur bestimmen, die
entweder als Vielheit oder als Einheit gedacht werden kann, verstieße eine
andere Weise ihrer Bestimmung gegen das Prinzip selbst455. Die
Bestimmung der Ich-Struktur als Einheit ist innerhalb der Epoche
undenkbar, wäre sie damit doch Gott, was auch ihrer Zeitlichkeit
widerspricht. So kann sie, weiter innerhalb des Verständnisses der ersten
Epoche, nur als Vielheit bestimmt werden, die als Reflexion des Denkens,
unabhängig von der Einheit, diese aber voraussetzend, sich selber vollzieht.
Das Prinzip der ersten Epoche ermöglicht daher eine Ich-Bestimmung, die
auf den zeitlichen, deswegen auch räumlichen Vollzug der Reflexion des
Denkens beschränkt bleiben muß, ist sie als Ergebnis seiner Anwendung mit
ihm formal und das heißt als Vielheit begriffen auch nur zeitweise
identisch456.
Der plotinische Begriff des Einen, mithin das Prinzip der zweiten Epoche
der abendländischen Philosophie, entfaltet den Begriff der Ich-Struktur aus
sich selber heraus und damit genau in umgekehrter Reihenfolge wie der des
Aristoteles, der ihn der Vielheit, aus ihr heraus bestimmt, voraussetzt.
Dieser formale Akt ist vom Inhalt des Begriffes selbst nicht trennbar und
folgt daher einer Notwendigkeit, welche mit der Einführung des Begriffes
der absoluten Einheit zusammenhängt. Das Absolute nämlich, in seiner
„Über-Fülle“457 die „Quelle des Geistes“458, ist aus der Notwendigkeit
seiner selbst im Begriff des Absoluten und in diesem Sinne nicht als
Voraussetzung und damit Ursprung (aristotelische Vorgehensweise) der Ich-
455
Vgl. dazu Anmerk. 14 und 15 dieser Arbeit; Aristoteles, Metaphysik 1005a ff.; 1072 a
ff.
456
Aristoteles, Metaphysik 1072b, 14 ff: „Sein [des Gottes = der reflektierten Einheit]
Leben aber verläuft so, wie es in seiner besten Form uns nur kurze Zeit zuteil wird. Bei ihm
herrscht immerwährend dieser Zustand …“
457
Enneade V 2, 1, 8.
458
Enneade VI, 9, 9, 1.
164
Struktur zu begreifen, sondern als die Fülle ihrer und gleichsam seiner
Entfaltung zu benennen459.
Weil einerseits das Eine in sich selbst keine Reflexion aufweisen kann,
sonst wäre es als Doppelung kein Absolutes mehr, andererseits ein
Außerhalb seiner nicht denkbar und gleichzeitig so etwas wie Denken, also
das Erscheinen der Doppelung bestimmbar ist, wird die Frage nach dem
Zueinander dieser Größen mit der Entfaltung der Ich-Struktur identisch,
erkennt alleine diese Struktur den besagten Sachverhalt durch die Tatsache
seiner begrifflichen Präsenz.
Im Gewahrwerden des Einen nämlich, entsteht der „Geist“, der damit nicht
das Eine ist, sondern der Träger dieser Reflexion und der Reflexion
überhaupt und in Folge Doppelung und so verstanden „Bild des Einen“460.
Der Geist ist seiner unmittelbaren Herkunft wegen Einheit, wie auch
gleichzeitig seiner Reflexion wegen Vielheit und in diesem reflexiven Sinne
„Logos“461, dessen Inhalt aber nicht das Eine sein kann (sonst wäre es ein
Etwas, mithin kein Absolutes), sondern das Sein des Geistes selber, der sich
denkend erzeugt und erzeugend denkt, weil Sein und Denken in ihm
identisch sind462.
459
Das Absolute muß seinem Begriff nach sowohl überall sein wie auch alles sein, zugleich
aber mit nichts identisch, da es sonst als ein Etwas denkbar sein müsste, was ihm
widerspräche. Plotin, Enneade III, 9, 4, 1 ff. Übers. Beierwaltes, Plotin, über Ewigkeit und
Zeit, Frankfurt 1967, S. 19: „Wie wird nun aus Einem die Vielheit? Weil es überall ist,
denn es gibt keine Stätte, wo es nicht wäre. So erfüllt es also Alles; es ist also Vielheit,
vielmehr ist es geradezu Alles. Wäre das Eine nämlich nur überall, so wäre es selbst Alles;
da es aber auch nirgends ist, entsteht Alles durch das Eine, sofern das Eine überall ist, aber
von dem Einen verschieden, sofern dieses nirgends ist. Aber warum muß der Eine nicht nur
überall, sondern auch nirgends sein? Weil vor und über Allem ein Eines sein muß; so muß
es Alles erfüllen und schaffen und es darf nicht das Alles, was es schaffte auch selber sein.“
460
Die exakte Bestimmung des Geistes ist deswegen schwierig, weil er zugleich abhängig
vom Einen, da dieses kein Außerhalb seiner selbst zulassen darf, und nicht in Beziehung
zum Einen gedacht werden muß, da sonst das Eine, Beziehung zulassend, duale
Bestimmung zulassen müsste und sich selbst widerspräche. Deswegen kann auch das Eine
niemals Träger einer wie auch immer gedachten Reflexion sein, wiewohl diese gleichzeitig
niemals „außerhalb“ seiner gedacht werden kann. Dazu: Enneade V, 4, 2, 19 ff.; 6, 5, 16.
461
Enneade VI, 4, 11, 16.
462
Enneade V, 9, 5, 7.
165
Und weil sein Sein inhaltlich mit den „Ideen“463 gleichgesetzt wird, ist ihre
Hervorbringung identisch mit ihrer Aufrechterhaltung, die einheitlich –
deswegen auch zeitlos im Sinne des a priori – von der als „Vermittlerin“464
gedachten „Seele“465 in der zeitlich sich vollziehenden Reflexion des
Denkens als begriffliche Ableitung der durch die Sinne hervorgebrachten
Gegenstände erkannt werden466.
Weil die ausschließliche Identifizierung mit der untersten der
Entfaltungsstufen des Absoluten möglich, jedoch auf Grund der Entzweiung
und damit der Haftung am Vergänglichen nicht nur leidvoll, sondern
zugleich auch mühevoll ist, vollzieht sich das sich Verschließen gegen die
Dynamik der ganzen Struktur doch als eine Daseins-Behauptung contra
naturam, muß dem Wissen um die notwendige Voraussetzung der jeweils
vorausgehenden Stufe die unmittelbaren Anwesenheit bei dieser folgen
können, wäre sonst diese alleinige Identität ein Widerspruch zum Ganzen467.
Die Gesamte Ich-Struktur ist damit ein permanenter Prozeß des
„Ausfließens“468 des Einen, wie auch der Rückkehr zu sich selbst innerhalb
463
An dieser Stelle wird die eigentliche Konsequenz der Einführung und Entfaltung des
Begriffes des Absoluten durch Plotin deutlich. Das bislang Absolute nämlich scheint
sowohl bei Platon wie auch bei Aristoteles immer schon als Doppelung gedacht worden zu
sein, wenngleich mit unterschiedlicher Gewichtung. So die Selbstreflexion des Denkens des
Aristoteles auf der einen und die Ideen des Platon auf der anderen Seite.
Indem Plotin im Begriff des Geistes nicht nur beide Stränge zusammenfügt und damit
Inhalt (Ideen) und Form (Selbstreflexion) als Momente einer und derselben Bewegung
denkt, begreift er diese als das von der sich zeitlich vollziehenden Reflexion des Denkens
notwendig vorausgesetzte a priori, welches deswegen, weil Beziehung zulassendes, niemals
absolut gedacht werden kann. Dazu: Enneade V, 9, 8, 1 ff.: „Was ist die Idee? Sie ist der
Geist und denkendes Sein...“.
464
Enneade I, 2, 3, 26.
465
Den Begriff der „Seele“ entfaltet Plotin ausschließlich anhand ihrer Tätigkeit als
Vermittlerin, zwischen dem Geist, dessen Bild sie ist, und der vergänglichen Wirklichkeit,
indem sie gesamte Wirklichkeit (Ideen) des Geistes im zeitlichen Nacheinander
hervorbringt und discursiv begreift. Enneade V, 1, 3, 7 ff. Sie ist damit weder das eine noch
das andere, hat aber an beiden Anteil im Sinne der unmittelbaren Anwesenheit.
466
Vgl. dazu: Enneade VI, 2, 11, 25 ff.; IV, 3, 1, 7 ff.
467
Deswegen kann die „Rückkehr“ niemals als die Vernichtung bzw. Negierung der
Vielheit gedacht werden, sondern nur als das Loslassen einer statischen Teil-Identität zu
Gunsten des Vollzuges der gesamten. Dazu: Enneade VI, 9, 7, 17.; V, 1, 10, 10.
468
Enneade V, 1, 6, 7.
166
der als Ich-Struktur begriffenen Entfaltung, daher auch aus- und in den:
„inneren Menschen“469.
Der Tatsache wegen, daß die dem Begriff der Mystik entsprechende IchStruktur sich nur aus dem Begriff der absoluten Einheit entfalten und damit
logischerweise ihre Bestimmung innerhalb des Denkens der zweiten Epoche
der abendländischen Philosophie finden kann, muß zum Abschluß ihr
Verhältnis zum Prinzip der dritten Epoche der abendländischen Philosophie
untersucht werden, das bis heute grundlegend ist für die Wissens- und damit
die Begriffsentfaltung an sich.
Das als „res cogitans“ erkannte Sicherste allen Wissens und damit als
Prinzip der neueren Philosophie wirkende ist gleich mit der Festlegung des
Begriffes der Ich-Struktur auf den Vollzug ihrer selbst, bestimmt als
Reflexion des Denkens. In der Tatsache dieser Identität gründet alleine das
sicherste Wissen und erschöpft sich keinesfalls der Anspruch der Totalität
des Wissens an sich, mithin auch der Ich-Struktur, um ihrer möglichen
Ganzheit gerecht zu werden. Deswegen hebt die „res cogitans“ als Prinzip
jener dritten Epoche der abendländischen Philosophie das Prinzip des Einen
der Zweiten und in seiner Folge den Begriff der Ich-Struktur in ihrer
Ganzheit nicht auf, sondern führt dieses Prinzip und den Begriff des `Einen`
in den Status eines Möglichen und nicht mehr Notwendigen über, mit dem
Wissen, daß die Weise seiner Entfaltung weder bewiesen noch verworfen
werden kann, setzt die Durchführung eines solchen die unmittelbare
Anwesenheit bei ihm voraus, somit die Aufhebung der Reflexion des
Denkens und damit die des Prinzips selber470.
Der aus dem Inhalt des Begriffes der Mystik, mithin aus dem der absoluten
Einheit entfaltete Begriff der Ich-Struktur, läßt sich jetzt bestimmen als:
Der zeitliche Vollzug der Reflexion des Denkens, der sich und die Vielheit
dem Begriff nach ableitet, indem er diese aus der Einheit ihrer notwendigen
469
Enneade V, 1, 10, 10.
470
Die Notwendigkeit einer erweiterten Begriffsbestimmung der Ich-Struktur ergibt sich
spätestens mit Kant und seinem Begriff der Aporie. Vgl. dazu: Anmerkung 419, S. 155
dieser Arbeit. Eine genauere Untersuchung der Bestimmung der Ich-Struktur innerhalb der
modernen Philosophie sprengt den Rahmen dieser Vorlage, nicht aber unbedingt den der
plotinischen Erkenntnisse, kann nämlich das Absolute im Zuge der Zeit und damit
innerhalb noch zu erwartetender neuer Prinzipien der allgemeinen Wissensentfaltung
vielleicht doch noch bewiesen werden. Auf jeden Fall und unabhängig von jeglicher
anerkannten Grundlage der Wissensentfaltung wird das Absolute per definitonem niemals
überschritten werden können, ohne ad absurdum geführt zu werden.
167
Voraussetzung entfaltet und der durch seine absolute Selbstaufhebung die
unmittelbare Anwesenheit bei dem Einen erreicht, um sich in Folge als
dessen unmittelbare Manifestation zu erkennen.
Die Angemessenheit dieser Begriffsableitung für die Aufgabe des tertium
comparationis gründet zum einen darin, daß sie unabhängig von den zu
vergleichenden Denkweisen abgeleitet werden konnte, wobei sie aber
gleichzeitig im Einklang mit der Methode der abendländischen
Wissensentfaltung und damit mit der Religionswissenschaft steht. Zum
anderen und im gleichen Zug reflektiert sie die Selbst-Identität des
Vergleichenden, und als unmittelbare Folge davon relativiert sie den
Anspruch des Vergleiches an sich, der, obwohl über den Status eines tertium
comparationis verfügend, per definitionem niemals den der absoluten
Objektivität wird erreichen können.
Schematisch dargestellt verhalten sich deswegen die bisher abgeleiteten
Begriffe derart zueinander, daß ein Nebeneinader dieser möglich ist.
Wichtig dabei ist allerdings – und dies darf keinesfalls außer Acht gelassen
werden –, daß die Möglichkeit des Nebeneinanders der jeweiligen IchBegriffe nur dann sinvoll in Bezug gesetzt werden kann, wenn die Ebenen,
welche die Dynamik dieser Strukturen bilden, strengstens beachtet
werden.471
471
Es ist nämlich auf dem Gebiet der religiösen Vergleiche durchaus üblich geworden, die
Inhalte der Religionen in der Weise zueinander in Beziehung zu setzen, als würden sie alle
und ausnahmslos einer und derselben Ebene angehören. Dies kann deswegen nicht genug
und klar erinnert werden, hat sich nämlich gezeigt, daß das, was unter dem Begriff Gott
innerhalb des Christentums verstanden werden kann, weitaus differenzierter zu betrachten
ist als oft angenommen.
Diese Differenziertheit der Betrachtung wiederum zeigt sich nicht nur in der präzisen
Analyse des Sachverhaltes, sondern vor allem in der Ausarbeitung der Folgen, die aus
dieser Erkenntnis resultieren können, und hier vor allem in der gewohnten Betrachtung des
Absoluten als ein – wie auch immer gedachtes – Gegenüber. Durch die Ernstnahme des
Absoluten – allein schon als Begriff – erlebt das bis hierher geglaubte „Gegenüber“ seine
stärkste Erschütterung, können nämlich beide Begriffe in keinster Weise in Einklang
gebracht werden.
168
Die Ich-Struktur Eckharts
Das tertium comparationis
Die Ich-Struktur des Zen
Die absolute Einheit
Gotheit =
Grund der Seele
Das Eine =
der Innere Mensch
Leerheit = Buddhanatur =
reines Ich
Gott = Trinität = Logos
Geist = Logos = Zeitlose
= gesamte Schöpfung =
Selbstreflexion des Denkens
zeitlose Selbstreflexion
= Ideen = Identität von
des Denkens = Identität
Denken und Sein = Einheit =
S von Denken und Sein = S zeitlose, da einheitliche Ichratio superior = Einheit
Identität.
=
zeitlose,
da
einE
E
heitliche Ich-Identität.
E
E
V Speicher-Bewußtsein = S
zeitlose
E Aufrechterhaltung der H
Ideen = zeitlose IchR Identität
I
L Ratio
inferior
= L Zeitlicher
Vollzug
der
Verstand = zeitlicher
Reflexion des Denkens =
E Vollzug der Reflexion E zeitlicher
Vollzug
der
des
Denkens
=
Identität von Denken und
zeitlicher Vollzug der
Sein = zeitliche Ich-Identität
Identität von Denken
= Begriffe = erscheinende
und Sein = Ich-Begriff
Vielheit = Materie.
= zeitliche Ich-Identität
= Begriffe = Vielheit
der Erschei- nungen =
Materie.
T Reflektiver
Vollzug
des
sechsten
T Bewußtseins = Denken
=
Ich-Begriff
=
L zeitliche Ich-Identität =
Begriffsableitung der
U fünf übrigen Sinne =
erscheinende Vielheit
N = Materie.
M
K
I
I
G
Weil im Bereich des Absoluten keine Unterschiede gedacht werden können,
gibt es zwischen den einzelnen Begriffen, die das Absolute innerhalb ihrer
Tradition benennen, keine Trennlinien. Aus dem gleichen Grund gibt es
diese auch nicht zwischen dem Absoluten und der jeweils formalen
169
M
A
N
A
Bestimmung der jeweiligen Ich-Struktur im Begriff der Seele oder im
Begriff der Vermittlung, muß jede erkennende Struktur, die den Begriff des
Absoluten denkend voraussetzt, sich gleichzeitig als identisch (deswegen
keine Trennlinie) und doch getrennt von ihm (unterbrochene Trennlinie)
bestimmen. Identisch, weil kein außerhalb seiner denkbar ist, getrennt, weil
die Erkenntnis als der Vollzug der Reflexion des Denkens, mithin
Doppelung, bereits die Weise des Heraustretens aus der unmittelbaren
Anwesenheit beim Absoluten ist und in Folge mit dem Verlust dieser gleich.
Wird das Absolute als Begriff vorausgesetzt, so muß es, wie bereits gezeigt
worden ist, nicht nur formal eine Übereinstimmung in diesem Begriff
geben, sondern, wie noch zu zeigen sein wird, auch eine inhaltliche, werden
Form und Inhalt im Begriff des Absoluten zunächst vorausgesetzt und dann
ineinander aufgehoben und, weil jeweils Doppelung, deswegen auch
überschritten.
Dem inhaltlichen Vergleich der Begrifflichkeit des Absoluten folgt dann der
Vergleich seiner Manifestation im Begriff der äußeren Ich-Struktur, der,
wiederum, dem Schema vom Allgemeinen hin zum Konkreten folgend,
immer nur dann sinnvoll fortgesetzt werden kann, so die Vergleichbarkeit
im Allgemeinen der Vergleichbarkeit im Konkreten zugrunde gelegt werden
kann.
2. Das Absolute als Grund der Ich-Strukturen
Insofern innerhalb des abendländischen Denkens das Absolute seine
begriffliche Bestimmung im plotinischen Einen (έν) gefunden hat, muß
diese notwendigerweise als Maßstab aller weiteren Bestimmungen des
Absoluten innerhalb der gleichen Tradition herangezogen werden, vor allem
dann, wenn jene, dieser nachfolgend, sie damit voraussetzen. Allein schon
deswegen kann und muß die eckhartsche Bestimmung des Absoluten im
Begriff der `gotheit` am plotinischen Begriff des Einen gemessen werden,
wiewohl und gleichzeitig das plotinische Eine auch die Selbstidentifikation
des Vergleichenden im Sinne des tertium comparationis formuliert und
somit die fragende Hinwendung aus dem Abendland heraus auf den Begriff
des Absoluten im Zen-Buddhismus darstellt.
170
Ist damit das plotinische Eine nicht nur ohne Grund und daher völlig
gestaltlos („άμορφον“)472, mithin dem Denken kein Gegenüber, sondern
gerade als Nicht-Denken bestimmt, über dieses –
da dies ein
Reflexionsverhältnis – erhaben und in diesem Sinne als Über-Denken
(„ύπερνόησις“)473 begriffen, das allzeit gegenwärtige Innerste des Menschen
(„τόν εϊσω άνθρωπον“)474 und sein Grund, so muß die eckhartsche
Bestimmung der `gotheit` als Grund der Seele und damit der Ich-Struktur
dem Absolutheitsanspruch dieser Definition des Einen genügen.
Das entscheidende Merkmal der Bestimmung des Einen bei Plotin ist der
Begriff seiner absoluten „Nicht-Bezüglichkeit“475, der dadurch jegliche
Möglichkeit einer Verhältnisbestimmung im Ansatz vereitelt, indem er
keine Doppelung aufkommen läßt und sich erst so und infolge davon als das
Absolute behauptet.
Hätte Eckhart dagegen das Absolute - gemäß der Tradition – als Trinität
bestimmt, so würde diese Bestimmung notwendigerweise ein doppeltes
Verhältnis beinhalten:
Zum einen wäre das Eine in sich als ein Verhältnis bestimmt worden, das –
zum anderen – eine zweite Verhältnisbestimmung zu der als Ich begriffenen
Struktur erforderlich machen würde. Beide Folgen widersprächen der
begrifflichen Voraussetzung des Absoluten und damit der Mystik.
So ist für Eckhart die Bestimmung des Absoluten im Begriff der `gotheit`
ein Durchbrechen der Trinität und der mit ihr identischen ratio superior, die,
verstanden als Doppelung, in der Aufhebung ihrer selbst im Akt des NichtWissens die unmittelbare Anwesenheit bei ihrem eigenen Grund, begriffen
als `gotheit`, erreicht, der damit und eben weil die Reflexion übersteigend
als `Über-Wissen´ benannt, keinerlei Doppelung entfaltend, ebenfalls
absolute `Nicht-Bezüglichkeit` ist476.
472
Enneade VI, 9, 3, 39.
473
Enneade VI, 8, 16, 33.
474
Enneade V, 1, 10, 10.
475
Enneade VI, 7, 37 f.
Zum eckhartschen Begriff des Nicht-Wissens vgl. Kap. III, 2 dieser Arbeit.
476
171
Damit ist die `gotheit`, begriffen als Grund der Seele in der Weise, wie sie
von Eckhart gedacht worden ist, mit dem abendländischen Begriff des
Absoluten, wie er durch Plotin seine prinzipielle Bestimmung hat finden
können, formal und inhaltlich identisch.
Untersucht man aus dieser begrifflichen Selbst-Identifikation heraus die
Bestimmung des Absoluten im Zen, und das in den Begriffen der `Leerheit`,
der `Buddhanatur` und des `Reinen Ichs`, so ist der Inhalt dieser Begriffe
immer schon und immer nur als das Ergebnis der Aufhebung einer ihn
verdeckenden Doppelung bestimmt, die mit dem Vollzug der Reflexion des
Denkens identisch gesetzt worden ist.
Weil aber das Zen, der Vijñānavāda-Terminologie folgend, alle
erscheinende Vielheit, welche als Doppelung die Ursache jeglicher
Verhältnisbestimmung ist, auf die sich deswegen auch als Doppelung
manifestierende Tätigkeit der äußeren Ich-Struktur - in ihrer Grundlage
begriffen als siebte Bewußtseinsstufe - zurückführt, kommt das
Überschreiten dieser und des Speicherbewußtseins als Akt des NichtDenkens der Bestimmung des Absoluten als einem Nicht-Träger einer
Reflexionsseite gleich, das damit in Folge keinerlei Reflexionsverhältnisse
eingehend ebenfalls reine Nicht-Bezüglichkeit ist.
Aus dem Gesagten folgt, daß der Vergleich der eckhartschen Bestimmung
des `Grundes der Seele` und die dem Zen eigene Bestimmung der neunten
Bewußtseinsstufe als `Reines Ich` nur drei Ergebnisse haben kann:
Entweder können beide als das Absolute im abendländisch-plotinischen
Sinn bestimmt und dann entsprechend auch verglichen werden, oder es
lassen sich beide nicht unter dieses tertium comparationis subsumieren, so
daß dieser Vergleich Grund-los erscheint. Die dritte Möglichkeit bestünde
im Nachweis, daß eine der beiden Bestimmungen den Begriff des Absoluten
nicht ableitet, womit ein weiterer Vergleich ebenfalls voraussetzungslos
wäre.
Es konnte jedoch bereits gezeigt werden, daß beide Bestimmungen nicht nur
dem Begriff des absolut Einen entsprechen und deswegen auch verglichen
werden können, sondern indem sie das Absolute ableiten, auch formal und
inhaltlich unmöglich etwas Unterschiedliches denken können, müsste sonst
das Absolute in sich Unterschiede aufweisen, was widersprüchlich ist. Die
beiden Begriffe meinen damit nicht nur das Gleiche, sondern absolut
172
daßelbe und müssen notwendigerweise, zwar in unterschiedlichen
Sprachbildern, so doch Identisches ausdrücken477.
Weil im Absoluten per definitionem niemals Unterschiedliches gedacht
werden kann, es selbst aber – wie anhand der beiden Traditionen ersichtlich
- unterschiedlich zum Ausdruck kommt, so können diese Unterschiede nur
innerhalb der als Doppelung verstandenen Manifestation seiner selbst
bestimmt werden478. Dieses ist deswegen wahrscheinlich, definiert die
Vielheit geradezu am Unterschied ihre jeweilige Identität, wiewohl
gleichzeitig zu untersuchen sein wird, inwieweit sie sich dabei
477
Um entscheidenden Mißverständnissen vorzubeugen muß auch hier darauf hingewiesen
werden, daß mit dem Absoluten das identische Signifikat und nicht der identische Referent
gedacht werden und zwar deshalb, weil das Absolute an sich kein Verhältnis, mithin keine
Entsprechung haben kann.
478
Aus dieser Perspektive bleibt der Ansatz S. Uedas (in op. cit. S. 145 ff.) diesbezüglich
unpräzise, denn indem er das Werk Eckharts und das Zen dem Begriff nach im Absoluten
gegründet weiß (S. 146 oben), bleibt der Einsatzort für die Unterschiede eher willkürlich
gewählt als strukturell und damit einer Notwendigkeit folgend bestimmt. Denn seiner
Argumentation folgend, daß beide im Absoluten gründen, bleibt unverständlich, weshalb
ein Unterschied im Relativen das doch wohl fundamentalere Gegründet-Sein beider im
Absoluten außer Kraft zu setzen vermag, so daß Ueda im Ergebnis auf eine prinzipielle
Unvereinbarkeit beider Größen plädieren kann. Formal betrachtet ist das Prinzipielle immer
schon das Allgemeinere und damit Vorausgehende und in diesem Falle auch
Vorausgesetzte, so daß ein Unterschied im Relativen die allgemeinere Übereinstimung
niemals außer Kraft zu setzen vermag, vor allem auch deswegen nicht, weil er diese seiner
Bestimmbarkeit als Unterschied voraussetzt. Hinzu kommt die Tatsache, daß der Vergleich
Uedas nicht nur der Form, auch dem Inhalt nach keinesfalls korrespondierede Begriffe
untersucht. Das Heranziehen des Kôans als Bestandteil der spirituellen Zen –Praxis (und
eben nicht Reflexion) auf der einen, und eines zweihundert Jahre nach Eckhart datierten
Gemäldes bzw. Gedichtes auf der anderen Seite (S. 146 unten) entbehrt einer
nachvollziehbaren systematischen Grundlage, so daß unklar bleibt, weswegen gerade diese
Exponenten exemplarisch für beide Größen stehen sollen, um den Vergleich zu
entscheiden, wird vor allem Eckhart diesbezüglich nicht einmal durch seine ipsissima verba
vertreten, die dem Anliegen angemessen wären.
Obwohl der spätere Aufsatz Uedas, Eckhart und Zen am Problem Freiheit und Sprache, op.
cit., S. 21 – 92, die notwendige Unmittelbarkeit des Absoluten im Akt des Sprechens als
Sprechen bestimmt und bei Eckhart wie im Zen nachweist, (S. 53 ff.) und damit letztlich
zunächst formale Identität beider innerhalb der Vielheit erkennt, beharrt der Autor
weiterhin darauf, die Unmittelbarkeit dieser Manifestation in der Zen-Tradition stärker als
bei Eckhart zu finden, um im Egebnis auf einen prinzipiellen Unterschied hinzuweisen (S.
64 ff.). Bezüglich dieser Argumentation sei darauf hingewiesen, daß die Sprache per
definitionem Vielheit ist, und wenn sich das Absolute als diese unmittelbar manifestiert –
was Ueda für beide Größen nachweist – so kann niemals gedacht werden, daß diese
Unmittelbarkeit des Absoluten in der Zen-Tradition, und dort dem Inhalt nach, radikaler
ausfällt als bei Eckhart (S. 62), ohne daß das Absolute in Selbstwiderspruch träte.
173
unterschiedlicher Struktur bedient. Es ist nämlich einsichtig, daß die gleiche
Struktur als das Allgemeinere Unterschiedliches hervorbringen kann, der
Rückschluß aber, wonach Unterschiedliches vom Unterschiedlichen
verursacht wird, nur eine mögliche, keinesfalls jedoch notwendige
Annahme ist.
3. Der Vergleich der beiden Ich-Strukturen in ihrem Vollzug
Wie gezeigt können im Bereich der manifest werdenden Ich-Struktur
Unterschiede auftreten, wobei untersucht werden muß, inwieweit diese die
Struktur der Erscheinung an sich betreffen oder ausschließlich innerhalb der
Bestimmung ihrer jeweiligen Ausformung zu finden sein werden. Denn es
ist offensichtlich, daß die Reflexion des Denkens, in ihrem Vollzug
verstanden als die Ableitung und Aufrechterhaltung von Begriffen, ganz
unabhängig von Signifikaten und Referenten, stets die gleiche Struktur
beibehält und in der Lage ist, sich selbst durch die Benennung wie auch
Identifizierung mit dem Ich-Begriff geradezu eine Permanenz
vorzutäuschen.
So gedacht kann die plotinische Entfaltung des Absoluten ihrer Struktur
nach in zwei Bereiche unterteilt werden, nämlich in den Bereich des
Absoluten und den Bereich des Dualen479.
Während der Bereich des Absoluten begrifflich unberührt bleiben muß480,
erfährt der Bereich des Dualen - weiterhin seiner Struktur nach - eine
erneute Unterteilung in den zeitlich und räumlich manifest werdenden
Vollzug seiner eigenen, zeit- und raumlosen Voraussetzung481.
Diese Einteilung des Offenbarwerdens des Absoluten rechtfertigt aus
folgenden Gründen ihre Bestimmung als Struktur, denn:
479
Enneade III, 7.
480
Der Begriff des Einen (Signifikant), der ja Gegenstand dieser Passage ist, bleibt
selbstverständlich unabhängig von seiner Bedeutung (Signifikat) immer schon und immer
nur Ausdruck und Vollzug der Vielheit, so daß jegliche Erkenntinis – weil immer
Doppelung – diese niemals „verläßt“. Vgl. dazu: Enneade V, 5, 7, 17 ff.
481
Enneade V, 1, 3, 7 ff.
174
-
Jegliche Dualität setzt ihrer Selbsterkenntnis als solche zunächst den
Begriff (nicht aber zwangsläufig die Existenz) der Einheit voraus, so daß
mit dem Aufkommen der Dualität gleichzeitig und notwendig der
Einheitsbegriff einhergeht.
-
Obwohl aus der Bestimmung des Absoluten heraus jede Erscheinung
seine unmittelbare Manifestation sein muß, kann das Absolute nicht als
die im kausalen Sinne gedachte Ursache der erscheinenden Vielheit
gedacht werden, denn als solche bestimmt wäre es als ein Etwas
definiert, stünde darüber hinaus in einem Verhältnis zum Verursachten
und in Folge, als Träger einer Reflexion, im Widerspruch zum eigenen
Absolutheitsanspruch. Diese Überlegung – nicht Erfahrung! –
rechtfertigt die Annahme einer Zwischengröße, die als Ursache der
zeitlich-räumlichen Erscheinungen von den auf dieser Ebene
herrschenden Kategorien unberührt bleiben muß, sonst wäre sie
lediglich als das Vorhergehende, nicht aber als die Ursache bestimmbar,
wiewohl sie gleichzeitig und aus dem selben Grund – als erste Ursache
eben – nicht mit dem Absoluten gleichgesetzt werden kann. Diese
Zwischenstufe, die weder als das Viele noch als das Eine seine
Bestimmung findet, wird in der plotinischen Tradition mit dem Begriff
Geist („νούς“) zur Sprache gebracht482.
-
Wie das Duale (zusammengesetzt aus dem Vielen und dem einheitlichen
Geist) das Absolute dem Begriff nach voraussetzen muß, so erfordert
der Begriff der erscheinenden Vielheit die begriffliche Voraussetzung
eines einheitlichen Ursprungs, und das immer dann, wenn diese als
solche begriffen und bestimmt worden ist483.
-
In Folge der begrifflich notwendigen Annahme eines Absoluten ist die
begriffliche Spaltung seiner Manifestation in das Einheitliche und das
Viele ebenfalls das notwendige Ergebnis seiner begrifflichen
Überlegenheit.
-
Weil damit im Ergebnis der Begriff des Absoluten die drei Bereiche
seiner Entfaltung voraussetzt und sich gleichzeitig als diese manifestiert,
müssen eben diese Bereiche unabhängig von der durch die Kultur
bedingten sprachbildlichen Ausprägung und Differenzierung überall
dort bestimmbar sein, wo das Absolute als das Absolute hat bestimmt
werden können.
482
Exemplarisch dazu: EnneadeVI, 9, 9, 1.
483
Enneade IV, 6, 3, 5 ff.
175
Aus dem so Gedachten resultiert, daß die Einteilung in die besagten drei
Bereiche bei gleichzeitiger Voraussetzung eines Absoluten immer schon
jeglicher weiteren Differenzierung vorausgeht, so daß sie mit Recht als
Struktur bestimmt werden kann.
Ist zuvor gezeigt worden, daß sowohl Meister Eckhart wie auch die ZenOrthodoxie, als Mystik begriffen, immer nur das Absolute – mithin auch das
Identische - dem Begriff nach denkend voraussetzen müssen, und kann das
Absolute, plotinisch-abendländisch gedacht, als Ich-Struktur in einem
Dreierschritt begrifflich entfaltet und damit auch bestimmt werden, so ergibt
sich für die Fortsetzung des Vergleiches die Notwendigkeit der Überprüfung
der Begriffe der jeweiligen äußeren Ich-Strukturen im Denken Eckharts und
im Zen auf ihre Entsprechung bezüglich der als tertium comparationis
bestimmten Dreierstruktur des Ich-Begriffes hin.
Folgt man der mittleren Spalte des Schemas auf S. 170, so entfaltet sich das
Absolute (im Begriff des Einen und als erster Bereich in der oberen Spalte)
der Struktur nach als die begriffliche Ableitung des sinnlich
Hervorgebrachten (der Bereich der Ich-Identität als Ich-Begriff im Vollzug
der Spaltung von Sein und Denken, weswegen auch als dritter Bereich in
der unteren Spalte aufgeführt) und damit als der zeitlich-räumliche Vollzug
der als Ursache vorausgesetzten Einheit von Sein und Denken (der mittlere
Bereich bestimmt als `Geist` und dem entsprechend die mittlere Spalte).
Seiner absoluten Nicht-Bezüglichkeit wegen besteht zwischen dem ersten
Bereich und den beiden folgenden keine Verbindung im Sinne einer
Relation, und das nicht etwa, weil das Eine getrennt von seiner Entfaltung
gedacht wird, vielmehr wegen der als notwendig gedachten Unmittelbarkeit
der Identität von beiden, die als absolute Einheit bestimmt, erhaben über alle
Begriffe und deswegen auch a-dual, überhaupt nicht vorstellbar, wohl aber
begrifflich voraussetzbar ist.
Dagegen und der Ursächlichkeit wegen muß eine Verbindung zwischen dem
zweiten und dem dritten Bereich gedacht werden. Diese Verbindung als
tätiger Vollzug der Entfaltung des Einheitlichen als Vieles und seiner
Rückkehr zu sich selbst im Vollzug der Reflexion des Denkens wird in
Anlehnung an Plotin als Seele („ψυχή“)484 begriffen (mittlere Spalte
senkrecht links im Schema). Damit unterscheidet sich der Begriff der Seele
einerseits von der als zeitliche Ich-Identität sich vollziehenden und
484
Enneade V, 1, 3, 7 ff.
176
begreifenden Reflexion des Denkens, wie auch von der andererseits als
einheitlich gedachten Einheit von Sein und Denken begriffen als Geist. So
definiert, ist die Seele das tätige Verhältnis der Einheit zu seiner eigenen
Entfaltung und in diesem Sinne reine Vermittlung („έρμηνεύς“485 und im
Schema mittlere Spalte senkrecht rechts).
Vergleicht man hierzu die eckhartsche Struktur der Entfaltung des
Absoluten, so deutet bereits seine Benennung als `grund der sêle`486 auf die
begriffliche Entfaltung einer solchen, deren Struktur in Bezug auf das
äquivalente tertium comparationis nun überprüft werden muß.
Indem Eckhart das Absolute (begriffen als ´gotheit` und `grund der sêle`,
deswegen auch erster Bereich der Gesamt-Struktur und somit oben links im
Schema) als Trinität entfaltet, welche mit der ratio superior identisch
gedacht ist, weil sie denkt, und denkt, weil sie ist, wird von ihm dieser
Zustand des Hervortretens des Grundes, da im Ergebnis zeit- und raumlos
bestimmt, als Einheit begriffen. Diese Einheit entspricht genau der Struktur(Signifikat), wenn auch nicht immer dem Wortlaut nach (Signifikant), dem
zweiten, eben als Einheit definierten Bereich der als tertium comparationis
bestimmten Vorlage, ist doch die eckhartsche ratio superior, als Synonym
für den Logos oder den Sohn und der Konditionalität wegen auch für Gott,
keinesfalls das Absolute mehr, ihrer Einheitlichkeit von Sein und Denken
aber noch keine Vielheit (Mitte links im Schema)487.
Diesbezüglich unterscheidet die Zen-Orthodoxie, vor allem in ihrer
terminologischen Anlehnung an die Vijñānavāda-Schule, zwischen dem
Absoluten, begriffen als das `Reine Ich` oder `shiki Anmora`, und dem
relativen Ich-Begriff als Ergebnis der Reflexion des Denkens (sechster
Bewußtseinssinn), eine Zwischengröße, nämlich das Universalbewußtsein
(Skrt. Ālayavijñāna) in der Funktion als „Speicherbewußtsein“ (Mitte rechts
im Schema). Als Ursprung und Endziel der sinnlichen Hervorbringung und
ihrer begrifflichen Erkenntnis – und in diesem Sinne als Speicherbewußtsein
verstanden – wird es notwendigerweise zeit- und raumlos gedacht, mithin
als Einheit. Selbst dann, wenn die Zen-Orthodoxie bezüglich der Einheit
keine weiteren Differenzierungen vorzunehmen scheint, kann festgestellt
485
Enneade I, 2, 3, 26.
486
Exemplarisch dazu: Pred. 71, DW III, S. 225, 8. Und Kap. III, 3 dieser Arbeit.
487
Vgl. dazu Kap. II, 1 und 2 dieser Arbeit. Gegen die Behauptung von Wulf, op. cit., S.
27 ist gezeigt worden, daß Eckhart unmöglich das „Hen mit dem Nus“ identifiziert. Denn
gerade darin besteht ja seine Leistung und Fort-schritt gegeüber der traditio, daß er das Eine
dem Einheitlichen, also die `gotheit` dem trinitarischen Gott voraussetzt.
177
werden, daß eine solche gedacht wird, womit dem zweiten Bereich der
Entfaltung der Ich-Stuktur seitens des Zen ebenfalls entsprochen wird488.
Führte die Übereinstimmung im Bereich des Absoluten notwendigerweise
auch zur absoluten Identität in diesem Bereich, so scheint die
Übereinstimmung im Bereich der Einheit lediglich die Strukturen zu
betreffen, wird das Einheitliche innerhalb des tertium comparationis wie
auch bei Eckhart als Einheit von Denken und Sein gedacht, während das
Speicherbewußtsein solch eine Bestimmung zunächst nicht aufweist.
Hinzu kommt, daß ein Unterschied zwischen den Strukturen überhaupt erst
ab diesem Bereich denkbar ist, läßt das Einheitliche in beiden Fällen eine
Verhältnisbestimmung zu – beispielsweise als Ursache –, weil es bereits
selber vom Absoluten unterschieden ist, und nur als Doppelung begriffen
kann es als Ursache aller weiteren Doppelungen begriffen werden489.
Formal betrachtet ist damit das Aufkommen inhaltlicher Unterschiede ab
und daher im Bereich der Einheitlichkeit gerechtfertigt, welche aber, wie
bereits gezeigt, immer schon die gleiche Struktur des Ich-Begriffes
voraussetzen.
Es soll deswegen geprüft werden, worauf der mögliche und auch so
scheinende inhaltliche Unterschied zwischen dem eckhartschen Begriff der
ratio superior und dem Begriff des Speicherbewußtseins im Zen gründet.
Die Untersuchung dieser konkreten Frage kann sich ebenfalls nur im
Horizont der fragenden Bewegung aus dem als Selbst-Identifikation
bestimmten tertium comparationis heraus ereignen, vor allem dann, wenn
der Zen-Orthodoxie eine reflexive und damit dynamische Bestimmung des
Einheitlichen fremd zu sein scheint. So ergibt die abendländische
Betrachtung des Begriffes des Speicherbewußtseins folgende Ergebnisse490:
-
488
Ist das Speicherbewußtsein Ursache aller sich als Zeit und Raum
manifestierenden Vielheit, so kann es, als ein `Etwas` bestimmt, weder
das Absolute noch ein Vielheitliches sein, wäre es im ersten Fall eine
Vgl. dazu: Kap. V, 2, b dieser Arbeit.
489
Der Geist, mithin das Einheitliche ist der Träger einer ersten Verhältnisbestimmung, in
der er sich geradezu als Unterschied begreift und niemals als das Eine. Vgl. dazu: Enneade
VI, 9, 2, 35.
490
Der folgende Gedankengang interpretiert das Teisho III a und b des Yasutani-Roshi aus
op. cit., S. 43 – 59.
178
Doppelung und im zweiten lediglich als ein Vorhergehendes, nicht aber
als die Ursache schlechthin bestimmt.
-
Weil die Zen-Orthodoxie den ersten sechs Bewußtseinssinnen lediglich
eine hervorbringende Funktion einräumt, so daß das sinnlich
Hervorgebrachte (die ersten fünf Bewußtseinssinne) und begrifflich
Reflektierte (sechster Bewußtseinssinn) als der zeitliche Vollzug, mithin
auch als Spaltung der ursächlichen Einheitlichkeit gedacht werden, muß
das, was gespalten wahrgenommen und vollzogen wird, im Ursprung
einheitlich gedacht werden.
-
Als gespalten aber werden auf der einen Seite die sinnliche
Hervorbringung und die Wahrnehmung, auf der anderen Seite die
reflexive und damit begriffliche Erkenntnis gedacht, die dann, im
Ursprung und daher einheitlich bestimmt, erneut als Einheit von Sein
(Sinnliches) und Denken (Erkenntnis) begriffen, notwendigerweise den
als gespalten gedachten Vollzug einheitlich zu vollziehen hat.
So gedacht kann das Speicherbewußtsein auch inhaltlich mit dem
eckhartschen Begriff der ratio superior übereinstimmen, so daß im Ergebnis
der Referent und das Signifikat identisch sind, lediglich die Signifikanten
Unterschiede aufweisen. Und war im Bereich des Absoluten die absolute
Übereinstimmung per definitionem zwingend, so ist sie es im Bereich des
Einheitlichen nur noch der Struktur nach, und zwar als Folge der
identischen Voraussetzung, weil sie aber zugleich als Doppelung bestimmt
Unterschied ist und damit bereits dem Inhalt nach unterschiedlich aufgefasst
werden kann, es aber trotzdem nicht muß.
Mit der Übereinstimmung der Begriffe im zweiten Bereich der jeweiligen
Ich-Struktur ist die begriffliche Grundlage ihrer weiteren Manifestation
gelegt, die, abendländisch gedacht, im Begriff der Seele das Einheitliche als
das Viele entfaltet und als Vielheit erkannt, und gleichzeitig zum
Einheitlichen zurückführt.
Dieser als Vielheit bestimmte und zum Vergleich ausstehende dritte Bereich
der Ich-Struktur wird innerhalb des tertium comparationis wie folgt genauer
entfaltet:
Die als Geist gedachte Einheit von Sein und Denken, die als das eine
Extremum der Seele verstanden wird491, entfaltet sich - und ist deswegen als
491
Plotinisch gedacht ist der Geist, begriffen als Logos der Ursprung und damit auch die
eine Seite der Seele. Vgl. dazu: Enneade III, 2, 2, 17.
179
Tätigkeit der Seele bestimmt - als das sinnlich Wahrnehmbare, weil
gleichzeitig sinnlich aus der Einheit Hervorgebrachte und als dessen
Erkenntnis im begrifflichen, daher zeitlichen Vollzug der Reflexion des
Denkens. Das sinnlich Hervorgebrachte und Wahrgenommene bildet das
andere Extremum der Seele492, während die begriffliche und daher reflexive
Erkenntnis des Wahrgenommenen als ihre Mitte gedacht wird493. Indem die
Reflexion des Denkens, jetzt bestimmt als Teil der seelischen
Gesamtdynamik, das sinnlich Wahrgenommene und bildlich Vorgestellte
begrifflich erfasst, vollzieht sie im Urteil die einheitliche Grund-Idee des
Erscheinenden und damit gleichzeitig die Rückbeugung des Geistes auf sich
selbst494.
Die als Mitte der Seele definierte Reflexion des Denkens ist auf Grund der
Identifikation mit den begrifflichen Ableitungen die zeitliche und daher als
Vielheit bestimmte Definition der Ich-Struktur, während in der als Seele
gedachten Gesamtdynamik der Entfaltung der Einheit die eigentliche
Ursache dieser möglichen Identifikation gründet. Die Seele ist nämlich, aus
dem Geist kommend auf diesen ausgerichtet, jedoch ihrer vermittelnden
Eigenschaft wegen auf dem Weg dahin zu anderen, und weil nicht
einheitlichen, deswegen auch qualitativ minderen Identifikationen fähig495.
Der Form nach wird der dritte Bereich der gesamten Ich-Struktur als die
Manifestation des Zweiten entfaltet, die nicht einmalig als Akt, sondern weil
dynamisch und als Prozeß bestimmt, niemals von seiner Ursache getrennt
gedacht werden kann, weswegen beide auf den Begriff der Seele als
Vermittlung angewiesen sind.
In Bezug dazu und deshalb ebenfalls der Form nach denkt Eckhart im
Begriff der ratio inferior die begriffliche Ableitung des bildlich
Vorgestellten des zuvor sinnlich Wahrgenommenen, die dadurch im Urteil
492
Das Viele als das Andere des ursprünglich Einheitlichen und als sein Gegenüber gedacht
ist das stets qualitativ Niedrigere, weil Zeitliche und das andere Extremum der Seele.
Enneade IV, 3, 18, 4.
493
Enneade VI, 6, 1, 1; 42, 24.
494
Die Vereinheitlichung des Vielen auf den Geist ist mit dem Durchdenken seiner
Manifestation identisch (Enneade VI, 9, 3, 21) und führt nach „Innen“, also in den zweiten
Bereich der als Ich bestimmten Struktur. VI, 9, 11, 38.
495
Enneade III, 2, 8, 9 ff: „τό δέ κείται άνθρωπος έν μέσω θεών (Einheit) καί θηρίων
(Sinnliches).“
180
die Idee verwirklichend, diese gleichzeitig im Reflexionsakt auf sich selbst
zurückbeugt. Und indem Eckhart das Absolute als Grund der Seele
bestimmt hat, der in seiner zeitlichen Entfaltung als ratio inferior die
Manifestation und Rückbeugung seiner eigenen Ursache bestimmt als ratio
superior ist, übernimmt er gänzlich die plotinische Vorlage und benennt den
Gesamtprozeß mit der gleichen Terminologie, nämlich ebenfalls als
Seele496.
Analog zu der plotinischen Entfaltung des Geistes und inhaltlich betrachtet
ist der eckhartsche Begriff der ratio superior als Ausgang und Ende der
Gesamtbewegung das einheitliche eine Extremum der Seele, während die
sinnlich erscheinende Vielheit – die extra dei nicht gedacht werden kann –
das andere Extremum darstellt. Der Tätigkeit der ratio inferior, bestimmt als
zeitlicher Vollzug der Reflexion des Denkens, kommt die mittlere Position
zu, ist sie in der Ableitung von Begriffen die Durchdringung des
Erscheinenden auf seinen als Idee gedachten Ursprung hin und damit die
Rückbeugung der ratio superior auf sich selbst. Die Selbstreflexion der ratio
inferior in der Ableitung des Ich-Begriffes und die Identifikation mit diesem
im Sinne der Eigenschaft, macht die ratio inferior – ebenfalls in der
Anlehnung an Plotin – zum Träger der gemeinhin unter dem Begriff des
Menschen verstandenen Identität.
Das eckhartsche Denken der Vielheit und ihre Verbindung zur Einheit im
Begriff der Seele entspricht der plotinischen Vorlage, so daß, selbst im Fall
der Verwendung eines unterschiedlichen Signifikantes – die Begriffe `sêle`
und `ψυχή` beispielsweise unterscheiden sich in der Phonetik und
Orthographie – das Signifikat, also das jeweils darunter Gedachte, der Form
wie dem Inhalt nach übereinstimmt.
Im Begriff der Bewußtseinssinne denkt die Zen-Orthodoxie das jeweils
Erscheinende, welches wesenlos ist und daher unbeständig, in Folge zeitlich
und räumlich begrenzt, was der abendländischen Bestimmung der Vielheit
entspricht497.
Diese so gedachte Vielheit wird von den jeweiligen Sinnen hervorgebracht
und gleichzeitig wahrgenommen, so daß sie bereits im Akt der
496
Ausführlich dazu: Kap. III, 4 dieser Arbeit; aber auch: Pred. 71, DW III, S. 217 ff., wo
die Seele immer nur als die Entfaltung der ratio superior als Vollzug der ratio inferior
gedacht wird und ihre Extrema bestimmt werden.
497
Ausführlich zu diesem Abschnitt: Kap V, 2 a – c dieser Arbeit.
181
Wahrnehmung dem sechsten Bewußtseinssinn zur begrifflichen Ableitung
vorliegt. Ist der Begriff der Hervorbringung der äußerste Aspekt der
gesamten Ich-Struktur im Sinne ihrer Entfaltung, so ist der Aspekt der
Wahrnehmung, weil Voraussetzung der Reflexion des Denkens, bereits ihr
Rückfluß, wird das Denken in der Hierarchie der Bewußtseinssinne der
ersten Ursache am nächsten gesetzt. Diese Ursache, als Speicherbewußtsein
gedacht, ist der Ursprung und das Ende ihrer eigenen Entfaltung und kann
deshalb rein begrifflich als das eine Extremum der gesamten Dynamik
verstanden werden, während das andere die Bewußtseinssinne in ihrem
hervorbringenden Aspekt darstellt. Wird das Denken keinem der beiden
Extreme zugeordnet, jedoch so gedacht, daß es sich, beide voraussetzend,
als die Ableitung von Begriffen vollzieht, und wird gleichzeitig die IchIdentität innerhalb der Vielheit als Begriff gedacht, so muß das Denken
sowohl die Mitte der Dynamik wie auch der Träger dieser Ich-Identität sein.
Der Form nach betrachtet wird das Speicherbewußtsein, bestimmt als
Einheit und zweiter Bereich der Ich-Struktur, als Vielheit, mithin ebenfalls
als dritter Bereich manifest, und ist daher mit der Vorlage identisch.Und
weil das Zen ebenfalls eine Verbindung zwischen den beiden Bereichen im
Begriff des siebten Bewußtseinssinnes denkt, muß noch untersucht werden,
ob dieser formal dem Begriff der Seele entspricht, die innerhalb des terium
comparationis an dieser Stelle gedacht wird.
Der als `shiki mana` vorgestellte siebente Bewußtseinssinn, soll er die
Einheit als Vielheit entfalten und in sie wieder zurückführen, kann nicht mit
einer dieser beiden Seiten gleichgesetzt, noch unabhängig von diesen
betrachtet werden, weswegen er, als funktionelle Einheit gedacht und als
Vermittler begriffen, den Prozeß der Manifestation in seiner Gesamtheit
umfassen muß, weil er dieser Prozeß ist (senkrechte Spalte rechts im
Schema). Indem also der siebente Bewußtseinssinn so gedacht wird, daß er
den zweiten und den dritten Bereich der Ich-Struktur dergestalt verbindet,
daß er als der Vollzug dieser Manifestation bestimmt wird, entspricht er,
zunächst formal gesehen, der Struktur der Seele und wird wie diese
ebenfalls als die eigentliche Ursache der zeitlichen Ich-Identität
angesehen498.
Damit beantwortet die innerhalb des Zen gedachte und als Vielheit
begriffene Entfaltung des zweiten Bereiches die fragende Hinwendung der
abendländischen Selbst-Identität der Form nach positiv. Während diese
498
Vgl. dazu Yasutani Roshi, op. cit., S. 55. Die dort angebrachte Skizze verdeutlicht die
Wirkungsweise der Übermittlung und basiert auf der Zeichnung seines Lehres Harada
Roshi (P. Kapleau, op. cit., S. 429.)
182
Form, also die Struktur des Ich-Begriffes innerhalb beider als Mystik
bestimmten Traditionen identisch gedacht werden muß, kann das Gleiche
vom jeweiligen Inhalt ab dem Bereich der als Doppelung bestimmten
Einheit nicht mehr mit Notwendigkeit abgeleitet werden, widersprächen die
innerhalb der Einheit bestimmbaren Verhältnisse und damit Unterschiede
solch einer zwingenden Identität. Weil aber damit die Möglichkeit einer
solchen weiterhin besteht – und die für den zweiten Bereich auch bestimmt
worden ist - soll diese zum Abschluß innerhalb des dritten Bereiches
gedacht werden.
Der dritte Bereich der Ich-Struktur innerhalb des Zen konnte in der gleichen
Weise wie der eckhartsche als Vielheit bestimmt werden. Inhaltlich - und
erneut abendländisch betrachtet - können innerhalb der Vielheit zwei
identische Dinge niemals gedacht werden, setzt nämlich dann der Begriff
der Identität Unterschied voraus und begibt sich damit – allerdings nur im
dritten Bereich – in den Selbstwiderspruch. Die Tatsache aber, daß
identische Dinge (Signifikante) nicht gedacht werden können, steht in
keinerlei Widerspruch dazu, daß Identisches (Signifikat) sehr wohl gedacht
werden kann, worin geradezu der – wiederum abendländische – Gedanke
der Vereinheitlichung des Denkens besteht.
Indem also das Zen die zeitliche Ich-Identität ebenfalls an den Ich-Begriff
koppelt, wird diese (Signifikat) notwendigerweise immer dann gedacht,
wenn das Ich-Pronomen (Signifikant) abgeleitet wird. Und weil das unter
dem Ich-Pronomen Gedachte und Abgeleitete die Reflexion des Denkens
selber ist, denkt das Zen innerhalb des dritten Bereiches der Ich-Struktur das
Gleiche, was auch Eckhart an dieser Stelle denkt.
Damit ist eine formale wie auch inhaltliche Übereinstimmung der als
tertium comparationis vorgedachten plotinischen Ich-Struktur und der auf
sie bezogenen eckhartschen wie auch zen-buddhistischen Ich-Struktur
gegeben, da sie im Bereich der korrespondierenden Signifikate
übereinstimmen.
Und weil bei der Voraussetzung der gegebenen Worte diese Übereinstimmung gedacht werden kann, so sind die auftretenden Unterschiede im
Bereich der Signifikanten zwar notwendig, in diesem Zusammenhang
jedoch zu vernachlässigen. Die Notwendigkeit der Unterschiede ergibt sich
nämlich alleine aus der Tatsache, daß der als Signifikant bezeichnete Teil
der Sprache, die Phonetik, Grammatik und Orthographie etwa, da zeitlich
und räumlich begrenzt, einzig im dritten Bereich der besprochenen IchStruktur auftritt und dort, als Vielheit begriffen, Unterschiede aufweist, weil
183
er per definitionem, eben auf Grund der Unterschiede überhaupt begriffen,
mithin erkannt werden kann. Anders formuliert: Innerhalb der Vielheit
müssen die Signifikanten immer im Unterschied zueinander gedacht
werden, weil das der Voraussetzung ihrer Wahrnehmung und ihrer
Erkenntnis zu Grunde liegt. Weil aber innerhalb des Sprachgefüges die
Signifikanten niemals ohne die Signifikate und Referenten gedacht, und die
Übereinstimmung der korrespondierenden Signifikate innerhalb aller
Bereiche der Ich-Struktur hat nachgewiesen werden können, ist der
Unterschied im dritten Bereich und bezogen auf die Signifikanten, eben weil
notwendiger Teil der Ich-Struktur und damit diese als stets gegebene
voraussetzend, der Form nach identisch und deswegen inhaltlich innerhalb
dieser Untersuchung zu vernachlässigen499.
Die phonetisch, orthographisch und grammatisch unterschiedlichen
Signifikanten wie `gotheit`, `Grund der Seele`, `ratio superior und inferior`
auf der einen und `Buddhanatur`, `Reines Ich`, `Speicherbewußtsein` und
`Denkbewußtsein` auf der anderen Seite, beziehen sich damit entsprechend
auf das gleiche Signifikat und denken damit Identisches.
499
Der Schwerpunkt dieser der Religionswissenschaft verplichteten Untersuchung leitet ab
und vergleicht die Signifikate, so wie diese es jeweils zulassen. Die Untersuchung der
Signifikanten würde den Schwerpunkt dieser Arbeit in den Bereich einer
sprachwissenschaftlichen Untersuchung verlegen und den vorgesehnen Rahmen sprengen.
184
VII. SCHLUSSWORT
Weil diese Untersuchung der Religionswissenschaft im Besonderen und
damit dem abendländischen Wissenschaftsverständnis im Allgemeinen
verpflichtet nichts anderes sein kann als der tätige Vollzug der Reflexion
des Denkens, ist sie immer schon auf vorhandene Begriffe angewiesen, um
diese dann, in Zusammenhängen denkend, aus diesen heraus abzuleiten. Es
sind daher Begriffe (Signifikante) auf ihre jeweilige Bedeutung (Signifikate)
hin untersucht und die Letzteren miteinander verglichen worden, worin eine
Übereinstimmung hat gezeigt werden können. Damit aber ist nicht bewiesen
worden, daß der eigentliche Referent beider Ich-Strukturen, das Absolute,
identisch ist, kann dieses niemals unmittelbarer Gegenstand der Reflexion
des Denkens werden, ohne in Selbstwiderspruch zu treten.
Deswegen bewegte sich diese Untersuchung formal und inhaltlich
ausschließlich im Bereich der Begriffe, worin, wie gezeigt, durchaus
Identitäten gedacht werden können, im Hinblick auf den Begriff des
Absoluten (keinesfalls das Absolute selbst) sogar gedacht werden müssen.
Und konnte der allgemeinste Begriff dieser Untersuchung als Mystik
bestimmt und positiv verglichen werden, so zeigte er sich seinem Inhalt
nach mit dem Begriff der Ich-Struktur identisch, die ihrerseits, formal und
inhaltlich bestimmt und verglichen, eine strukturelle Identität gezeigt und
eine inhaltliche aufgezeigt hat.
Jede Befürwortung dieser Untersuchung oder Einwand gegen sie wird sich
immer nur im Bereich der als Vielheit bestimmten Reflexion des Denkens
bewegen können, so daß dem eigentlichen Inhaltes dieser Arbeit eine
Zustimmung oder Ablehnung nur von Personen zukommen kann, welche
die unmittelbare Anwesenheit sowohl beim Einheitlichen wie auch beim
Einen vollzogen haben. Diese Menschen aber – und diesbezüglich sind sich
die Traditionen auf jeden Fall einig – die in der Fülle und aus der Fülle
leben – lächeln, wenn sie mit solchen Bemühungen, wie diese Untersuchung
es ist, konfrontiert werden, was schon eigentlich Kritik genug ist.
185
NACHWORT
Der anfangs gestellten Frage nach der Werte-Hierarche im Zeitalter der
Globalisierung ist im Laufe dieser Untersuchung mit der Ich-StrukturAnalyse entgegnet worden, einem Wissen, das gleichermaßen zum
Bestandteil der christlichen wie auch der buddhistischen Religiosität zählt,
und das mit allergrößten Wahrscheinlichkeit überall dort anzutreffen sein
wird, wo die wissende Betrachtung ihren Ursprung – und damit gleichzeitig
ihr Ende – in der absoluten Einheit findet.
Die Grundlage der Ethik im Zeitalter der spürbar zunehmenden
Globalisierung ist damit eben nicht ein Etwas, welches gesucht und
gefunden werden kann analog zu den vielen bisher getroffenen
Übereinkünften, weil sich herausstellt – natürlich immer dem religiösen
Wissen folgend -, daß diese Grundlage identisch mit der unmittelbaren
Anwesenheit beim Absoluten sein muß, daher jeglicher Identitätsbildung
immer schon vorausgeht und zugrunde liegt, um diese als Prozeß ihrer
eigenen Entfaltung zu ermöglichen.
So gesehen kann die derzeit verstärkt wahrgenommene und als
Globalisierung begriffene Tendenz der Weltbevölkerung bereits als der
Vollzug der sich manifestierenden Einheit begriffen werden. Dies um so
mehr, als bei der Voraussetzung der absoluten Einheit nicht mehr aus dem
gewohnten Zusammenhang gedacht und argumentiert werden kann, wonach
das Geschehen innerhalb der Schöpfung im Laufe der Zeit und auf Grund
menschlicher Verfehlungen eine vom Schöpfer unabhängige Richtung und
damit gar gewisse Eigenständigkeit angenommen habe, denn die
Konsequenz aus der dargestellten Perspektive besteht darin, daß jeder
Zustand, Einsicht, Ansicht, Verlauf und damit Identität bereits nichts
anderes sein können als die unmittelbare Manifestation des Einen selbst im
Vollzug, ganz gleich ob dies als angenehm oder unangenehm
wahrgenommen wird.
Ist dem so, dann muß das Erscheinen und Verschwinden der Identitäten –
womit immer nur konkrete Menschen, Organisationen, Völker, Staaten usw.
gemeint sind – die Art und Weise der Anwesenheit des Absoluten an sich
sein, dessen unmittelbares Gewahrwerden mit der globalen Identität
einhergeht. Diese wiederum ereignet sich im „blitzartigen“ Vollzug der
völligen Nicht – Identität, da alles andere notwendigerweise bereits ein
186
Etwas, mithin Identität sein muß, und damit niemals die letzte Ursache
derselben sein kann.
Was kann daraus für den Alltag geschlossen werden? Zunächst: daß der
Zugang zu der Globalen Identität in jedem von uns der Struktur nach
angelegt ist, weswegen diesbezüglich und von Grund auf völlige
Gleichberechtigung unter uns Menschen herrscht.
Darüber hinaus erlaubt diese Betrachtungsweise, den Globalisierungsprozess im neuen Licht zu sehen: Es stellt sich nämlich heraus, daß die
globale Identität im Zuge der Globalisierung niemals erreicht werden wird,
weil sie nicht erreicht werden muß, da sie bereits dieser als Gegenwart und
damit als der Ist-Zustand immer schon vorausgeht.
Die von uns wahrgenommene Globalisierung bleibt damit in den
allermeisten Fällen nichts anderes als die Ausbreitung und Ausdehnung
einzelner Identitäten mit der Absicht, die eigene Herrschaft über größere
Zusammenhänge herstellen zu wollen. Daß dieser Prozess zuweilen äußerst
schmerzhaft ist und mit viel Leid einhergeht, versteht sich von selbst.
Die so erreichte globale Dominanz ist – wörtlich betrachtet – die Pervertierung der globalen Identität, die diesen Kampf per definitionem
überhaupt nicht nötig zu haben scheint, weiß nämlich die aus dem
Bewußtsein der globalen Identität heraus vollzogene Tat oder Handlung –
völlig unabhängig von ihrer Größe und Dauer – um ihre grenzenlose
Bedeutung.
Das innerhalb der Religionen mit dem Begriff der Mystik angedeutete
Gewahrwerden der Dynamik der eigenen Ich-Struktur löst ihre erscheinende
Oberfläche – nämlich das bunte Treiben unserer Welt – weder auf, noch
trägt es sich mit der Absicht, diese verändern zu wollen. Vieles, und
vielleicht sogar alles kann und muß bleiben so wie es ist, weil die Ankunft
in der unmittelbaren Anwesenheit beim Einen allem zuvor in eine Haltung
der Demut und der Liebe gegenüber seinen Manifestationen mündet.
187
LITERATURVERZEICHNIS
Primärliteratur
1. Christlich-Abendländische Tradition
Meister Eckhart, Die deutschen und lateinischen Werke, hrsg. im
Auftrag der deutschen Forschungsgemeinschaft, Stuttgart 1936 ff.:
 Predigten, in: Deutsche Werke Bd. I – III, hrsg. und übers. von J.
Quint, Stuttgart 1958, 1971, 1976.
 Traktate, in: Deutsche Werke Bd. V, hrsg. und übers. von J. Quint,
Stuttgart 1963.
 Questiones Parisiensis I – V, in: Lateinische Werke V, hrsg. und
übers. von B. Geyer, Stuttgart 1936.
 Prologus generalis in opus tripartitum, in: Lateinische Werke I,
hrsg. und übers. von K. Weiß, Stuttgart 1964.
 Prologus in opus propositionum, in: Lateinische Werke I, hrsg.
und übers. von K. Weiß, Stuttgart 1964.
 Prologus in opus expositionum I und II. in: Lateinische Werke I,
hrsg. und übers. von K. Weiß, Stuttgart 1964.
 Expositio libri Genesis, in: Lateinische Werke I, hrsg. und übers.
von K. Weiß, Stuttgart 1964.
 Liber parabolarum Genesis, in: Lateinische Werke I, hrsg. und
übers. von K.Weiß, Stuttgart 1964.
 Expositio libri Exodi, in: Lateinische Werke II, hrsg. und übers.
von K.. Weiß, Stuttgart 1992.
 Sermones et lectiones super Ecclesiastici, in: Lateinische Werke
II, hrsg. und übers. von J. Koch, Stuttgart 1992.
 Expositio libri Sapientiae, in: Lateinische Werke II, hrsg. und
übers.von J. Koch, Stuttgart 1992.
 Expositio sanc. ev. sec. Iohannem, in: Lateinische Werke III, hrsg.
und übers. von K. Christ, B. Decker, J. Koch, H. Fischer, A.
Zimmermann, Stuttgart 1994.
 Sermones, in: Lateinische Werke IV, hrsg. und übers. von E.
Benz, B. Decker, J. Koch, Stuttgart 1956.
188
Anselmus Cantuariensis, Proslogion, ed. Fr. S. Schmitt, in: Opera
omnia, Tom. I, Stuttgart/Bad Cannstadt 1968, S. 97.
Aristoteles, Metaphysica, ed. W. Jaeger, Oxonii 1955.
Augustinus, Aurelius, De trinitate, in: Patrologia Latina, Paris 1841 –
1849, Bd. 8, S. 819.
 In Johannis evangelium; in: Patrologia Latina, Paris 1841 – 1849,
Bd. 3, S. 1379.
 De libero arbitrio, in:Patrologia Latina, Paris 1841 – 1849, Bd. 1,
S. 1221.
 De civitate dei, in Patrologia Latina, Paris 1841 – 1849, Bd. 7, S.
13.
Descartes, R., Meditationes de Prima Philosophia, in: Oeuvres de
Descartes, ed. Adam & Tannery, Bd. VII, Paris 1996, S. 1.
Fichte, J. G., Versuch einer neuen Darstellung der Wissenschaftslehre,
in J. G. Fichte-Gesamtausgabe, hrsg.: R. Lauth und H. Gliwitzky,
Stuttgart-Bad Cannstatt 1970, Bd. 4, S. 167.
Hegel, G. W .F., Enzyklopädie der philosophischen Grund wissenschaften im Grundrisse, hrsg.: W. Bonsiepen und H.Ch. Lucas,
in: Gesammelte Werke Bd. XX, Hamburg 1992.
 Grundlinien der Philosophie des Rechts, GA ed. H. Glockner,
Reprint Stuttgart-Bad Cannstadt 1964, S. 35.
Kant, I., Vorrede zur zweiten Auflage der Kritik der reinen Vernunft,
hrsg.: Königlich Preußische Akademie der Wissenschaften, in:
Gesammelte Schriften Bd. III, Berlin 1911 S. 7.
Plotin, Enneaden, in: Schriften I – VI, übertr. von R. Harder, Hamburg
1956.
Thomas Aquinas, Summa theologiae; in: Opera omnia, Romae 18881921, Bd. IV.
 Summa contra gentiles; in: Opera omnia, Romae 1888-1921, Bd.
XIII.
189
2. Buddhistische Tradition
Die Angabe der Primärliteratur für den Bereich des Zen bezieht sich
ausschließlich auf die Kôans, Mondôs und Teishôs der ZenPatriarchen und der Zen-Meister, die gemäß der Tradition nur auf
Grund der vollständigen Übertragung – Inka – den Kanon der ZenOrthodoxie bilden können.
Bi – Yan – Lu, Niederschrift von der Smaragdenen Felswand, Bd. I - III,
hrsg. von W. Gundert, Leipzig/Weimar 1980.
Dogen Zenj`s, Shobogenzo. Die Schatzkammer der Erkenntnis des wahren
Dharma, Bd. I und II, Zürich/München/Berlin 1997.
Jäger, W., Geh den inneren Weg – Texte der Achtsamkeit und
Kontemplation, Freiburg i. Br. 1999.
 Die Suche nach dem Sinn des Lebens. Bewußtseinswandel durch den
Weg nach innen. Vorträge-Ansprachen-Erfahrungsberichte, Petersberg
1996.
 Die Suche nach der Wahrheit, Petersberg 1999.
Huang-Po, in: Die Lehre des Huang-Po vom Universalbewußtsein, hrsg.:
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