Kindernetzwerk e.V. für Kinder, Jugendliche und (junge) Erwachsene mit chronischen Krankheiten und Behinderungen Krankheitsübersicht Kartagener-Syndrom KINDERNETZWERK AN ALLE BEZIEHER UND NUTZER DIESER KRANKHEITSÜBERSICHT Mit den in dieser Krankheitsübersicht enthaltenen Informationen bietet das Kindernetzwerk e.V. lediglich einen ersten Überblick über die Erkrankung, die Behinderung oder das entsprechende Schlagwort. Alle Informationen werden nach bestem Wissen – mit tatkräftiger Unterstützung unseres pädiatrischen Beraterkreises und wissenschaftlichen Fachbeirats – aus diversen Quellen ( Fachbücher, Fachartikel, Kindernetzwerk-Archiv sowie aus dem Internet ) zusammengestellt. Bei der Krankheitsübersicht wird darauf geachtet, dass die Informationen verständlich und gut leserlich geschrieben sind. Wir möchten Eltern, Betroffenen und Nichtmedizinern dadurch ermöglichen, insbesondere auch seltene Erkrankungen besser zu verstehen. Wir streben einen möglichst hohen Grad an Aktualität an, können aber wegen des rapiden medizinischen Fortschrittes nicht in jedem Fall garantieren, stets den allerneusten Stand des Wissens komplett abzubilden. Gerade deshalb empfehlen wir, sich immer an einer der zuständigen Selbsthilfegruppen zu wenden (siehe beiligende Adressen) um dort weiteres aktuelles Material anzufordern und individuelle Beratung einzuholen! Die Krankheitsübersicht ist nur für Ihren persönlichen Gebrauch bestimmt. Eine Weitergabe an Dritte ist aus urheberrechtlichen Gründen nicht gestattet. Die Unterlagen erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Die Inhalte der beigefügten Materialien stellen keine Bewertung von Seiten des Kindernetzwerks dar, sondern dienen der übersichtlichen Zusammenfassung vorhandener Informationsmaterialien in kompakter Form. Bei einem Teil der Krankheitsbildern liegen beim Kindernetzwerk noch umfassendere Informationen (Infopakete) vor. Näheres erfahren sie über die Geschäftsstelle. Aufgrund der Seltenheit vieler Erkrankungen ist es nicht möglich, bei allen Krankheitsübersichten ein Fallbeispiel darzustellen. Falls Sie uns dabei unterstützen möchten, nehmen sie bitte Kontakt mit dem Kindernetzwerk e.V. auf. 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Durch Defekte der strukturellen und funktionellen Proteine (Eiweiße) sind die Zilien beim PCD-Patienten in ihrem Aufbau verändert und deshalb funktionsuntüchtig. Die Selbstreinigung der oberen (Nase, Nebenhöhlen, Mittelohrbereich) und unteren Atemwege (Bronchien, Lunge) ist dadurch beeinträchtigt. Es kommt zu chronischem Schnupfen, bleibenden Husten, eingeschränkter Hörfähigkeit aufgrund häufiger Mittelohrentzündungen und rezidivierenden (wiederkehrenden) Lungenentzündungen sowie Polypenbildung im Nasen-Rachen-Raum. Bei 50% der Betroffenen liegt ein Situs inversus vor. Dies ist eine spiegelbildliche (seitenverkehrte) Anlage der inneren Organe (z.B. Herz rechts statt links). In diesem Fall wird das Krankheitsbild auch "Kartagener Syndrom" genannt. Symptome, Formen, Krankheitsverlauf: Respiratorische Epithelzellen kleiden die oberen und unteren Atemwege aus und tragen an ihrer Oberfläche multiple bewegliche Zilien (Flimmerhärchen), die in eine dünnflüssige Schleimschicht eingebettet sind. Der koordinierte Zilienschlag der respiratorischen Zilien ermöglicht den Transport von Schmutzpartikeln (Keime, Pollen, Staub) in Richtung Mundhöhle, wo er geschluckt oder abgehustet wird. Diese kontinuierliche Reinigung der oberen und unteren Atemwege trägt wesentlich zur Infektionsabwehr des Atemtraktes bei. PCD-Patienten leiden typischerweise an rezidivierenden Infektionen der Atemwege aufgrund des angeborenen Defektes dieses mukoziliären Reinigungsmechanismus. Bereits kurz nach der Geburt zeigt circa ein Drittel der Patienten eine respiratorische Anpassungsstörung oder ein akutes Atemnotsyndrom. Häufig wird diese Symptomatik als konnatale Pneumonie ("angeborene" Lungenentzündung) fehl gedeutet. Die 2 Erregerdiagnostik bleibt negativ. Vielfach berichten die Eltern, dass ihre betroffenen Kinder von Geburt an eine laufende Nase (Rhinitis) hatten. Im Kleinkindesalter treten oft Infektionen im Bereich der oberen Atemwege auf. Chronisch rezidivierende Mittelohrentzündungen prägen das klinische Bild und lassen sich therapeutisch nur schwer beeinflussen. In dieser Zeit kommt es auch oft zu Bronchitiden und Lungenentzündungen. Da die Atemwege nicht durch ein funktionierendes Flimmerepithel gereinigt werden, bleibt den Kindern das Abhusten als einziger Reinigungsmechanismus. Anhaltender Husten ist daher ein typischer klinischer Befund bei PCD-Patienten. Der behandelnde Arzt wird häufig nicht von Eltern und Betroffenen auf diesen dauernden Husten hingewiesen, da er von frühester Kindheit dazu gehört. Erst im späteren Kindes- und Jugendalter kommt es zu chronischen Affektionen der Nasennebenhöhlen und Entwicklung einer Polyposis nasi (gutartige Wucherungen der Nasenschleimhaut). Rezidivierende Infektionen der unteren Atemwege können aufgrund chronischer entzündlicher Prozesse zur Entwicklung von irreversiblen Bronchiektasen (schleimgefüllte Aussackungen des Bronchialsystems) führen. Typischerweise tritt dies im späten Kindes- und Jugendalter auf. Diese Veränderung lässt sich radiologisch früh mittels Computertomographie und etwas später in konventionellen Röntgenbildern nachweisen. Kartagener-Syndrom: In der Hälfte der Fälle wird bei PCD-Patienten ein Situs inversus (spiegelbildliche Vertauschung der inneren Organe) beobachtet; dies wird auch als Kartagener Syndrom bezeichnet. Die Ursachen liegen in der frühen embryonalen Entwicklung. Der "Knoten" ist eine Zellstruktur des sehr jungen, noch völlig symmetrischen Embryos, von dem aus die dreidimensionale Differenzierung gesteuert wird. Die Zellen des embryonalen Knotens tragen jeweils eine Monozilie (nodale Zilie), welche permanent im Uhrzeigersinn rotiert und eine Strömung („nodal flow“) der umgebenden Flüssigkeit von rechts nach links erzeugt. Dieser gerichtete Strom scheint maßgeblich für die Festlegung der Links/RechtsKörperasymmetrie verantwortlich zu sein. Wahrscheinlich unterbleibt bei PCD-Patienten, deren nodalen Zilien vermutlich unbeweglich sind, die Ausbildung dieser gerichteten Strömung. Deshalb entsteht eine zufällige (randomisierte) Anordnung der Links/RechtsKörperasymmetrie, so dass die Hälfte der PCD-Patienten ein Situs inversus aufweist, während die andere Hälfte eine regelrechte Anordnung der inneren Organe zeigt. Der Befund des Situs inversus hat für den Patienten in der Regel keinen zusätzlichen Krankheitswert, führt jedoch bei gleichzeitig vorliegenden respiratorischen Symptomen häufig zur früheren Diagnosestellung. Dies erklärt auch, warum PCD-Patienten ohne Situs inversus of verspätet diagnostiziert werden. Klinisch ist das Wissen um den Situs inversus wichtig, um intraabdominelle Pathologien wie z.B. Appendizitis (Blinddarmentzündung) besser einordnen zu können: Leider hat so mancher Patient mit Kartagener Syndrom im Rahmen einer Appendizitis zunächst einen Bauchschnitt rechts statt links erhalten. Fertilität: Männliche PCD-Betroffene sind in ca. 60% der Fälle infertil (nicht fortpflanzungsfähig). Ursächlich hierfür sind dysmotile oder unbewegliche Spermienschwänze. Dies lässt sich durch die ähnliche Struktur von Spermienschwänzen und Zilien erklären. Aufgrund der mangelnden Spermienbeweglichkeit haben PCD-Patienten auch häufig eine verminderte Anzahl von Spermien im Ejakulat (Azoospermie). Dies liegt wahrscheinlich daran, dass die Samenwege mit der Zeit verstopfen. Wichtig ist jedoch, dass nicht alle Männer mit primärer ziliärer Dyskinesie eine verminderte Fruchtbarkeit aufweisen, sodass bei Kinderwunsch eine andrologische Abklärung sinnvoll ist. Einige weibliche PCD-Patienten zeigen vermutlich aufgrund einer gestörten Transportfunktion der Eileiter, welche ebenfalls mit Zilien ausgekleidet sind, eine verminderte Fruchtbarkeit. Dies ist jedoch eher die Ausnahme. Aufgrund des gleichen Defektes ist möglicherweise die Rate von Eileiterschwangerschaften erhöht. 3 Diagnostik: Als selektiver Test wurde früher der Saccharin-Test verwendet, der sich jedoch in der klinischen Praxis aufgrund des zeitlichen Aufwandes und der benötigten hohen Kooperativität des Patienten (nur ältere Kinder) nicht bewährt hat. Kürzlich konnte gezeigt werden, dass die Messung des nasalen NO’s (nitric oxide, Stickstoffoxid) als Selektions-Test geeignet ist. Wichtig ist zu betonen, dass es sich hierbei um die Messung des nasalen NO’s und nicht um den NO-Wert in der Ausatem-Luft handelt. Das nasale NO ist bei PCD-Patienten typischerweise erniedrigt. Dieser Parameter eignet sich aufgrund des hohen Vorhersagewertes als Selektionstest, steht jedoch nur in wenigen Zentren zur Verfügung. Insbesondere bei Säuglingen ist die Messung nicht einfach. Auch wenn i.d.R. PCD-Patienten ein vermindertes nasales NO aufweisen, gibt es Ausnahmen, sodass die Durchführung von Bestätigungstests bei typischer Klinik auch bei normalen NO sinnvoll ist. Bei erniedrigtem Wert sollte die Diagnose ebenfalls bestätigt werden, da selten auch falsch-positive Befunde beobachtet werden. In vielen Zentren wird die direktmikroskopische Analyse des Zilienschlages als Screening- und Bestätigungstest eingesetzt. • • Die Diagnose der PCD basiert auf dem Vorliegen zweier Kriterien: Typische Klinik mit rezidivierenden Infektionen der Atemwege mit oder ohne Situs inversus. Nachweis charakteristischer ziliärer ultrastruktureller Defekte mittels Elektronen- oder hochauflösender Immunfluoreszenzmikroskopie, und/oder Nachweis von immotilen/dysmotilen respiratorischen Zilien/Spermien mittels Direktmikroskopie (Hochfrequenz-Videomikroskopie). Verfügbarkeit/Indikation für molekulargenetische Diagnostik: Eine bestätigende genetische Diagnostik ist z.Z. nur bei Patienten mit bestimmten Defekten des äußeren Dyneinarmes, einer im Elektronenmikroskop zu erkennenden Ultrastruktur, oder bei männlichen PCD-Betroffenen mit Retinitis pigmentosa (RPGR) möglich. Eine genetische Diagnostik steht weltweit nur in wenigen Laboratorien zur Verfügung. In Deutschland bietet das Labor von Prof. Dr. H. Omran (Universitäts-Kinderklinik Freiburg) eine solche Diagnostik an. Ursache der Erkrankung: Ätiologie / Pathogenese / Genetik Die Erkrankung wird durch angeborene (primäre) Defekte der Zilien und Geißeln verursacht. Es handelt sich bei diesen Zellorganellen um wenige mikrometer-messende haarähnliche Auswüchse der Zelloberfläche. Aus evolutionärer Sicht gehören Zilien und Geißeln zu den ältesten Strukturen menschlichen und pflanzlichen Lebens. Ursprünglich dienten Zilien und Geißeln der Fortbewegung von einzelligen Organismen wie Algen, Trompeten- und Pantoffeltierchen. Im Laufe der Evolution hat sich die Funktion von Zilien und Geißeln erweitert und wurde an neue biologische Bedürfnisse angepasst. Beim Menschen weiß man heute um deren Schlüsselrolle für so unterschiedliche Prozesse wie mukoziliäre Clearance (Atemwegsreinigung), Körperachsenformation, und zerebrospinaler Fluss (Strömung des Gehirnwassers). Im Gegensatz zur biologischen Funktion hat sich die strukturelle Anordnung der Zilien und Geißeln wenig verändert. 4 • • Mehrere Gen-Defekte konnten in den letzten Jahren bei PCD-Patienten charakterisiert werden und es ist anzunehmen, dass eine Vielzahl weiterer Defekte in naher Zukunft identifiziert wird. PCD ist eine genetisch heterogene Erkrankung, d.h. es sind verschiedene Defekte in unterschiedlichen Genen ursächlich. In der Regel wird die Erkrankung autosomal rezessiv vererbt: beide Elternteile müssen Erbträger (sie besitzen ein unverändertes und ein mutiertes Allel des Gens) sein und statistisch erhält nur jedes 4. Kind jeweils das nicht intakte Allel des Elternteils. Nur selten wurden Fälle mit einem dominanten (bereits ein mutiertes Allel führt zur Erkrankung) oder X-chromosomal rezessiven Vererbungsmuster beschrieben. Für autosomal-rezessiv vererbte PCD-Varianten mit Defekten des äußeren Dyneinarmes wurden bislang vier Genorte auf den Chromosomen 9p13-p21, 19q13.3-qter, 5p15-p14 und 16p12.1-12.2 lokalisiert. Für zwei Genorte konnte das verantwortliche Gen, DNAI1 bzw. DNAH5, identifiziert werden. Beide Gene kodieren für Komponenten des äußeren Dyneinarms und deren Mutationen verursachen PCD mit Defekten des äußeren Dyneinarmes, einer Randomisierung der Links/Rechts-Körperasymmetrie sowie männlicher Infertilität. Von 121 PCD-Patienten, die auf das Vorliegen von DNAI1-Mutationen untersucht wurden, waren 17 DNAI1-Mutationsträger. Fast die Hälfte der mutierten Allele zeigte eine bestimmte DNAI1-Mutation (219+3insT). Aus diesem Grund erscheint eine systematische Untersuchung auf das Vorliegen dieser Mutation bei PCD-Patienten sinnvoll. In einer großen Anzahl von PCD-Patienten (n=134) konnte in 28% der Fälle ein Mutationsnachweis für DNAH5 erbracht werden. In einer vorselektierten Gruppe von PCDPatienten (alle wiesen Defekte des äußeren Dyneinarmes auf) konnte in ca. der Hälfte der Fälle Mutationen dieses Gens nachgewiesen werden. Inwieweit DNAH11– Mutationen ebenfalls PCD verursachen ist noch nicht abschließend geklärt. Mutationen im RPRG-Gen bedingen 15-20% aller Fälle mit Retinitis pigmentosa (hereditärer Netzhaut-Aderhautdystrophie). Die Erkrankung wird X-chromosomal rezessiv vererbt. In Einzelfällen wurden bei männlichen Patienten mit Retinitis pigmentosa und nachgewiesenen RPGR-Mutationen zusätzlich typische Symptome einer PCD beobachtet. Die Diagnose einer PCD konnte durch den spezifischen Nachweis ultrastruktureller Defekte respiratorischer Zilien bestätigt werden. Einige der Betroffenen wiesen zudem eine InnenohrSchwerhörigkeit auf. Häufigkeit: Die primäre ciliäre Dyskinesie (PCD) ist eine klinisch und genetisch heterogene Erkrankung. Es handelt sich um eine seltene hereditäre Erkrankung mit einer Häufigkeit von ca. 1: 20.000. Die Erkrankung wird i.d.R. autosomal rezessiv vererbt. Nur in Einzelfällen wurden dominante oder X-chromosomal rezessive Vererbungswege beobachtet. Differentialdiagnose / Verwandte Krankheiten / Begleitfehlbildungen: Eine Reihe unterschiedlicher Störungen wie z.B. • Hydrocephalus internus (Wasserkopf), • Retinitis pigmentosa (Nachtblindheit), • zystische Nierenerkrankungen, 5 verschiedene Herzfehler im Rahmen von Situsanomalien oder Schwerhörigkeit können nach neuesten Forschungsergebnissen ebenfalls auf Zilienfunktionsstörungen zurückgeführt werden. Es ist deshalb nicht erstaunlich, dass sie bei PCD Patienten selten auch assoziiert auftreten können. Das Auftreten angeborener Aquäduktverschlüssen mit begleitendem triventrikulären Hydrocephalus internus ist bei PCD-Patienten erhöht und basiert wahrscheinlich auf dem Funktionsverlust ependymaler Zilien bei der Aufrechterhaltung des Liquortransports (Hirnwasserströmung). Zystische Nierenerkrankungen werden auf sensorische Ziliendefekte (Zilien sind auch Sinnesorgane) renaler Tubuluszellen (zilientragende, zylindrische Nierenepithelzellen) zurückgeführt und bei Retinitis pigmentosa konnte eine Dysfunktion der „connecting cilia“, welche das äußere mit dem inneren Segment des Photorezeptors der Retina (Netzhaut des Auges) verbindet, nachgewiesen werden. Selten werden auch Innenohrschwerhörigkeit, angeborene Herzfehler und Fehlbildungen der Gallengänge bei PCD-Patienten beschrieben. Vielen Klinikern sind diese seltenen assoziierten Erkrankungsmanifestationen unbekannt, was häufig dazu führt, dass differentialdiagnostisch nicht an eine PCD gedacht wird. • • Früherkennung: Typische klinische Symptome (s.o.) wie Situs inversus sollten an die Diagnose denken lassen und eine konsequente Diagnostik durchgeführt werden. Standardtherapie: Die angeborene Ziliendysfunktion lässt sich medikamentös nicht wiederherstellen, d.h. zum jetzigen Zeitpunkt steht keine kausale, d.h. die Ursache bekämpfende, Therapie zur Verfügung. Aus diesem Grunde beschränkt sich die Therapie bei PCD auf prophylaktische und symptomatische Maßnahmen sowie konsequente Infektionsbekämpfung und Physiotherapie, um die Entwicklung chronischer destruktiver Prozesse hinauszuzögern oder gänzlich zu verhindern. ➢ Prophylaktische Maßnahmen umfassen die Sicherstellung einer angemessenen Immunisierung. Fehlende Impfungen sollten nachgeholt werden. ➢ Da die mukoziliäre Reinigung der oberen und unteren Atemwege nicht funktioniert, sollten regelmäßige physikalische Maßnahmen (Physiotherapie) veranlasst werden. Die Schulung der Eltern und Kinder bezüglich Atem- und Drainagetechniken ist essentiell, um die Reinigung der Atemwege zu unterstützen. Der Reinigung durch regelmäßiges Husten („cough clearance“) darf keinesfalls durch hustenstillende Präparate (z.B. Codein) beeinträchtigt werden. ➢ Ebenfalls sollte auf eine regelmäßige sportliche Ertüchtigung der Kinder geachtet werden. ➢ Viele Kinder profitieren von einer regelmäßigen Inhalationstherapie. ➢ Sollte bei regelmäßig durchzuführenden Lungenfunktionsuntersuchungen eine obstruktive Atemwegs-Affektion (Verengung der Atemwege) auffallen, ist eine antiobstruktive Therapie sinnvoll. ➢ Bakterielle respiratorische Infekte sollten frühzeitig konsequent antibiotisch behandelt werden, um chronische destruktive Lungenveränderung zu vermeiden. Infektionen werden häufig durch H. influenza, aber auch durch St. aureus und St. pneumoniae verursacht. Eine regelmäßige Kultivierung der Atemwegsflora ist sinnvoll und die Therapie dem Antibiogramm angepasst werden. Pseudomonas-Infektionen treten 6 häufig erst im Erwachsenalter auf. Bei rezidivierenden Infektionen kann eine prophylaktische antibiotische Therapie hilfreich sein. ➢ Nur selten werden lungenchirurgische Interventionen notwendig, z.B. wenn chronisch-destruierte Lungensegmente immer wieder Anlass zu neuen Lungenentzündungen führen. Viele Kinder leiden frühzeitig an chronischen Mittelohrentzündungen, die durch therapeutisch nur schwer zu beeinflussende Belüftungsstörungen verursacht werden. Eine Schallleitungsschwerhörigkeit kann die Folge sein. Die Therapie dieser Mittelohraffektionen ist kompliziert, da die Anlage von Trommelfell-Röhrchen zu permanenten Trommelfelldefekten führen kann. In der Folge entwickeln dann viele PCD-Patienten eine chronische Mastoiditis (Entzündung des Warzenfortsatzes des Schläfenbeines). Häufig sind rezidivierende HNO-Operationen und Mastoidektomie die Folge. Deshalb sollte die Indikation einer HNO-ärztlichen Intervention nur zurückhaltend gestellt werden. Falls dennoch der Entschluß für eine Operationfällt, sollte zunächst nur einseitig operiert und das Resultat der Operation abgewartet werden. Alternativ ist bei schweren Fällen der Mittelohrschwerhörigkeit eine HörgerätAnpassung zu erwägen. Mit zunehmendem Alter verliert in der Regel die Mittelohrschwerhörigkeit an Gewicht und chronische entzündliche Prozesse der Nasennebenhöhlen dominieren im Bereich der oberen Atemwege. Auch hier sollten operative Eingriffe nur mit Zurückhaltung indiziert werden. Rezidive der Polyposis treten regelmäßig auf. Die regelmäßige Anwendung von „Nasenduschen“ reinigt die oberen Atemwege und führt bei vielen PCD-Betroffenen zu einer Abnahme von Infektionen oder Schleimverhalten. Die Anwendung dieser Nasenduschen ist jedoch i.d.R. erst ab dem späteren Kindesalter möglich. Inhalationstherapien können ebenfalls in der Prophylaxe von oberen Luftwegsaffektionen hilfreich sein. ➢ Viele männliche PCD-Patienten haben aufgrund einer Spermiendysmotilität eine verminderte Fertilität. Bei Kinderwunsch ist prinzipiell eine assistierte Befruchtung (intrazytoplasmatische Injektion) möglich. Weibliche Betroffene haben nur selten eine verminderte Fruchtbarkeit. ➢ Weitere Therapien, zum Teil noch in der Erforschung: Pharmakogentherapeutische Ansätze werden z.Z. in vitro (im Reagenzglas) erprobt. Prognose: Der respiratorische Erkrankungsphänotyp kann stark variieren, wahrscheinlich in Abhängigkeit von Begleiterkrankungen und dem zugrunde liegenden genetischen Defekt. Einige Patienten zeigen eine eher milde Ausprägung, wenige entwickeln schon im mittleren Erwachsenenalter ein chronisches Lungenversagen und bedürfen dann einer Lungentransplantation. Weiterhin zeigen viele Kinder einen schweren gastro-ösophagealen Reflux. Beratung der Familien: Die klinische Versorgung sollte in Zentren erfolgen, die Erfahrung in der Betreuung von PCDPatienten haben. 7 Viele Betroffene profitieren von Kontakten zur sehr aktiven deutschen Selbsthilfegruppe („Kartagener Syndrom und Primäre Ciliäre Dyskinesie e.V.“). http://www.kartagener-syndrom.org Weitere Informationen finden sich unter: http://www.ukl.uni-freiburg.de/kinderkl/omran/ Da die Erkrankung i.d.R. autosomal rezessiv vererbt wird, ist das Risiko in diesen Fällen statistisch gesehen 1:4. Aufgrund der Komplexizität der Erkrankung sollte in jedem Fall eine genetische Beratung bei einem Institut für Humangenetik erfolgen. BUNDESVERBÄNDE Bei folgenden BUNDESWEITEN ANLAUFSTELLEN können Sie Informationsmaterial anfordern. Fragen Sie dort auch nach Ansprechpartnern des jeweiligen Verbandes in der Umgebung Ihres Wohnortes! Falls vorhanden, sind auch Auslandsadressen mit aufgelistet. Bitte haben Sie dafür Verständnis, daß wir in Bereichen, in denen bereits bundesweite Ansprechpartner existieren, primär diesen Initiativen den Versand von Informationsmaterial und die Vermittlung spezieller Hilfen überlassen. Bei zusätzlichen Fragen können Sie sich natürlich jederzeit wieder an das Kindernetzwerk wenden! Kartagener Syndrom und Primäre Ciliäre PCD (Primary Ciliary Dyskinesia) Dyskinesie e.V., c/o Ralf Willi Frank Family Support Group Lärchenweg 14 16 Graham Road 76275 Ettlingen Tel.: 0 72 43/3 93 38 GB-CR4 2HA Mitcham / Surrey Tel.: 0044 1908 2816 35 e-mail: [email protected]; [email protected] Internet: www.kartagener-syndrom.org e-mail: [email protected] Internet: www.pcdsupport.org.uk