TERRESTRISCH TERRESTRISCH TERRESTRISCH TERRESTRISCH TERRESTRISCH Mantis religiosa - die europäische Gottesanbeterin von Benno IBOLD Flughafenweg 45A, 46519 Alpen Mantidenfreunde Niederrhein www.mantiden-niederrhein.de Alles begann vor etwa 150 Millionen Jahren, im Jura, als sich die Mantodeen von ihren Schwestern, den Schaben und den Termiten, abspalteten um evolutionsmäßig eigene Wege zu gehen. Aus dieser Zeit stammen die ersten Nachweise in Form von Kompressionsfossilien. Ersteutlich später wurden sie auch im Bernstein überliefert. Im Laufe dieser Jahrmillionen hat die Ordnung Mantodea bis heute etwa 2.400 beschriebenen Arten aus über 430 Gattungen entwickelt. Die kleinste Art ist ausgewachsen nur etwa 12 mm groß, die größte mißt stattliche 17 cm. Verbreitung Generell sind Mantodeen wärmeliebend und deshalb in den tropischen und subtropischen Gebieten der Erde am verbreitetsten. 23 Arten kommen in Europa vor und eine einzige in Deutschland: Mantis religiosa LINNAEUS, 1758. Sie bildet bei uns zwei Unterarten, die durch ihre Zuwanderwege bedingt sind, Mantis religiosa polonica BAZYLUK, 1960 und Mantis religiosa religiosa LINNAEUS, 1758. Ihre nördliche Verbreitung begrenzt sich durch den 55. Breitengrad, Fundort Omsk in Russland. In Mitteleuropa geht ihr Vorkommen bis zum 51. Breitengrad. Es handelt sich hier um eine Hochfläche im südostlichen Polen. Südlich des 46. Breitengrades ist Man- ♀ in der bekannten grünen Färbung. ©Thomas KUJAWSKI / ASA-MULTIMEDIA tis religiosa an geeigneten Lebensräumen weit verbreitet. In Deutschland ist sie beispielsweise am Kaiserstuhl heimisch, mit vulkanisch geprägten Gesteinsformationen, vielen sonnenexponierten Steinbrüchen und Hängen, sowie am Isteiner Klotz. Sie bevorzugt warme und trockene Biotope mit hohen Wiesen und Sträuchern. Weitere Fundnachweise gibt es aus RheinlandPfalz, dem Saarland, Bayern und seit kurzem aus Hessen und auch aus Sachsen. Aus Bayern und Hessen fehlen allerdings Reproduktionsnachweise. Der nördlichste Fundort in Deutschland liegt in einer thermisch begünstigten Enklave in Berlin-Schöneberg, ein aufgelassenes ehemaliges Bahngelände. Es wird vermutet, daß sie dort mit Güterwaggons eingeschleppt worden Ausbreitung und Verbreitung der Gottesanbeterin. ©Benno IBOLD 16 arthropoda ist. Auch Aussetzung ist ein möglicher Ursprung. Alle nachgewiesenen Funde haben eines gemeinsam. Sie liegen in klimatisch begünstigten Gebieten mit hohen Wärmesummen und / oder wärmespeicherndem Untergrund. Die zahlreichen neueren Fundmeldungen besagen, daß Mantis religiosa ihr Verbreitungsgebiet vergrößert hat und lassen vermuten, daß sich dieser Prozess durch die Klimaerwärmung fortsetzen wird. Die eigentliche Heimat unserer Gottesanbeterin ist jedoch Afrika. Sie hat sich über den gesamten Mittelmeerraum und bis nach Asien ausgebreitet. In nordsüdlicher Richtung geht die Verbreitung vom Kap der guten Hoffnung bis zum südlichen Westsibirien. Durch Verschleppung gelangte sie nach Nordamerika und ist dort als ,Praying Mantis‘ bekannt. Ob sie auch in Australien und Südamerika vorkommt, ist strittig. Gestalt Die Weibchen erreichen 75 mm Körpergröße, die Männchen bleiben etwa 15 mm kleiner und können fliegen. Die Grundfärbung variiert von hellgrün bis braun und bildet sich als Anpassung an die Umgebung aus. Ein golden schimmernder Längsstreifen überzieht die Facettenaugen. Bei Abwehr- oder Drohgebärden zeigt sie an den Innenseiten der Vorderhüften der Fangbei- 17(2) Oktober 2009 17(2) Oktober 2009 eigentliche Fangvorgang dauert nur ein zwanzigstel einer Sekunde. Der Fangapparat funktioniert nach dem Klappmesserprinzip und die widerhakenähnlichen Dornen an den Fangbeinen geben dem Opfer so gut wie keine Möglichkeit zum Entkommen. Dabei wird alles überwältigt bis etwa zwei Drittel der eigenen Körpergröße. Sogar Etruskerspitzmäuse Suncus etruscus (SAVI, 1822) und junge Zauneidechsen Lacerta agilis LINNAEUS, 1758 werden von adulten Weibchen gelegentlich erbeutet. Sofort nach dem Fang beginnt das Insekt mit dem Freßvorgang. Die kauenden Mundwerkzeuge zerkleinern die Beute und führen sie der Mundöffnung zu. Fortpflanzung Anfang August häuten sich die Tiere zum fertigen Insekt und sind etwa 14 Tage danach geschlechtsreif. Durch die Abgabe von hochwirksamen Sexuallockstoffen werden die Männchen angelockt und nähern sich behutsam dem Weibchen an. In einem günstigen Moment, beispielsweise wenn das Weibchen durch Nahrungsaufnahme beschäftigt ist, reiten sie von hinten auf, suchen mit dem Abdomen die Geschlechtsöffnung des Weibchens und übertragen ein Samenpaket. Nach erfolgter Kopulation läßt sich das Männchen fallen um außer Reichweite seiner Partnerin zu gelangen. Wie weit der im Volksglauben tief verankerte sogenannte Sexualkannibalismus bei Mantis religiosa ausprägt ist, ist unklar. In wie weit der Ernährungszustand des Weibchen oder das Alter des Männ- arthropoda chens oder einfach nur Unvorsichtigkeit durch Übereifer eine Rolle dabei spielen, muß noch geklärt werden. Es ist jedoch davon auszugehen, daß ausgeprägter Sexualkannibalismus in der freien Natur eher selten vorkommt. Fakt ist jedoch, daß ein bis auf die letzten Abdominalglieder aufgefressenes Männchen die Kopula noch weiter vollziehen kann. Balzrituale wie bei vielen anderen Mantodeenarten konnten bislang nicht festgestellt werden. Einige Tage nach der Begattung fer- Portrait. ©Benno IBOLD Oothek der Gottesanbeterin Mantis religiosa an einem Grashalm. ©Thomas KUJAWSKI / ASA-MULTIMEDIA 17 TERRESTRISCH Eine Gottesanbeterin verzehrt eine Hummel. ©Thomas KUJAWSKI / ASA-MULTIMEDIA Mittel-, Südeuropa, Afrika, gemäßigtes Asien. Buschlandschaften. Geschlechtlich, Eier in Oothek. Wirbellose, seltener kleine Wirbeltiere. TERRESTRISCH Fangverhalten Wie alle Mantiden ist auch unsere einheimische Gottesanbeterin ein Lauerjäger und wartet mit ihrer Umgebung verschmolzen auf Beute, die nahe genug herankommt, um ergriffen zu werden. Zu beobachten ist auch, daß sich die Tiere vorsichtig in einen günstigen Abstand zur Beute bewegen. Der Verbreitung Habitat Fortpflanzung Nahrung TERRESTRISCH ne einen augenähnlichen schwarzen Fleck, oft mit weißem Zentrum. Es findet sich der typische Grundbauplan der Insekten mit den entsprechend abgewandelten Gliedmaßen, wie dem zum dornenbewehrten Fangapparat umgebildeten ersten Beinpaar. Der verlängerte erste Brustabschnitt, das Pronotum, vergrößert die Reichweite der Fangbeine. Der dreieckige Kopf ist außerordentlich beweglich und ermöglicht den Facettenaugen binokulares Sehen und Entfernungseinschätzung. Die drei Punktaugen auf der Stirn nehmen hell-dunkel Unterschiede wahr. Arthropoda LATREILLE, 1829 (Gliederfüßer) Insecta LINNAEUS, 1758 (Insekten) Mantodea FISCHER, 1835 (Fangschrecken) Mantidae LATREILLE, 1802 (Gottesanbeterinnen) Mantinae SAUSSURE & ZEHNTNER. 1894 (-) Mantis LINNAEUS, 1758 (Gottesanbeterin) Mantis religionsa religiosa LINNAEUS, 1758 Mantis religiosa polonica BAZYLUK, 1960 TERRESTRISCH ©Benno IBOLD Stamm Klasse Ordnung Familie Unterfamilie Gattung Art TERRESTRISCH Steckbrief TERRESTRISCH TERRESTRISCH tigt das Weibchen ein selbsthärtendes Schaumnest mit separaten Kammern für jedes Ei. In dieser Oothek sind die 100 bis 200 Eier gegen thermische Umwelteinflüsse weitgehend geschützt und überleben 10-minütiges Kochen als auch Temperaturen bis - 42°C. Die niedrigen Temperaturen im Winter lassen den Stoffwechsel so weit herunterfahren, daß die Entwicklung der Embryonen fast zum Stillstand kommt (Diapause) und töten die erwachsenen Tiere ab. Im Mai bis Juni des folgenden Jahres schlüpfen die etwa 6 mm großen Larven, dann also, wenn das Habitat ein ausreichendes Nahrungsangebot verspricht. Es werden populationsabhängig sechs bis sieben Häutungen vollzogen. Die Männchen durchlaufen ein Larvenstadium weniger. Der Größenzuwachs nach jeder Häutung ist enorm und beträgt etwa ein Drittel der Körpergröße. Gesetzlicher Artenschutz Die filigrane Schönheit und das prägnante Jagdverhalten mögen vielleicht den Wunsch erwecken, dieses bemerkenswerte Tier zu Hause zu halten und zu beobachten. Nach § 10 Abs. 2 Nr. 10 des Bundesnaturschutzgesetzes in Verbindung mit § 52 Abs. 1 und § 1 gehört Mantis religiosa zu den besonders geschützten Tierarten. Sie darf nicht verkauft, zu Verkaufszwecken vorrätig gehalten werden, angeboten oder be- TERRESTRISCH TERRESTRISCH TERRESTRISCH Braune Form der Gottesanbeterin. ©Benno IBOLD Lebensraum von Mantis religiosa auf Menorca. ©Thomas KUJAWSKI / ASA-MULTIMEDIA 18 arthropoda fördert werden, nicht erworben werden und nicht zur Schau gestellt werden. Von diesen Verboten ausgenommen sind Tiere, die durch künstliche Vermehrung gewonnen oder legal der Natur entnommen worden sind. Für den letzten Fall bedarf es zwingend einer behördlichen Genehmigung. Ausgenommen sind ferner Tiere, die in Übereinstimmung mit den Vorschriften zum Schutz der betreffenden Art aus Drittländern in die Europäische Gemeinschaft gelangt sind (legaler Import). Es kommt häufig vor, daß Ootheken von Mantis religiosa an Korkeichenrinde für Terraristikzwecke anhaftend unfreiwillig importiert werden. Auf Aufforderung einer Behörde müßte man die artenschutzrechtlich legale Herkunft der Exemplare nachweisen. Das heißt, bei einem Import aus einem EU-Land ist nachzuweisen, daß die Tiere aus einem Ausfuhrstaat stammen und die Art nach den nationalen naturschutzrechtlichen Bestimmungen dort nicht unter Schutz steht. Bei einem Import aus einem Drittland ist zu belegen, daß die Tiere eben aus einem NichtEU- Staat stammen. Die oben zitierten deutschen Gesetze greifen dann nicht. Literatur BERG, M. & KELLER, M. 2004 - Die Gottesanbeterin, Mantis religiosa LINNAEUS, 1758 (Mantodea: Mantidae), im Stadtgebiet von Berlin-Schöneberg – Ihre Lebensweise und faunistische Beobachtungen in den Jahren 1998 bis 2003. - Märkische Entomologische Nachrichten 61: 55-84. DETZEL, P. & EHRMANN, R. 1998 - Mantis religiosa LINNAEUS, 1758 - Gottesanbeterin. - In: DETZEL, P. (Hrsg.) 1998 - Die Heuschrecken Baden-Württembergs. - 580 S. Ulmer, Stuttgart. ERGENE, S. 1953 - Homochrome Farbanpassungen bei Mantis religiosa. - Zeitschrift für vergleichende Physiologie 35: 36-41. Ehrmann, R. 2002 - Mantodea – Gottesanbeterinnen der Welt. - 520 S. Natur und Tier Verlag, Münster. LAWRENCE, S. E. 1992 - Sexual Cannibalism in the Praying Mantid, Mantis religiosa: A Field Study. - Animal Behaviour 43(4): 569-583. STÄRZ, C. 2006 - Feuer - (k)eine Chance für die Gottesanbeterin? Populations- und Larvalökologie von Mantis religiosa auf Rebböschungen am Kaiserstuhl. - 74 S. Diplom-Arbeit, Universität Münster. 17(2) Oktober 2009