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Einführung in die
praktische Philosophie
Vorlesung 8.
Was soll ich tun? Der kategorische
Imperativ als oberstes Prinzip der
Moral.
Kants Moralphilosophie I.
Claus Beisbart
TU Dortmund
Sommersemester 2009
Was soll ich tun?
Kants Antwort: Der kategorischer Imperativ:
“handle nur nach derjenigen
Maxime,
durch
die
du
zugleich wollen kannst, daß
sie ein allgemeines Gesetz
werde.”
Grundlegung, 52
Die Moralphilosophie von
Kant
www.en.wikipedia.org
Gliederung
1. Einführung: Was soll der kategorische Imperativ?
a. Kants Schriften zur Moralphilosophie
b. Kants Verortung der Moralphilosophie
c. Die Idee eines kategorischen Imperativ
2. Der kategorische Imperativ
a. Die allgemeine Formulierung
b. Die Naturgesetz-fassung
c. Die Zweck-Mittel-Fassung
d. Die Reich-der-Zwecke-Fassung
3. Wie kommt Kant auf den kategorischen
Imperativ?
4. Der kategorische Imperativ in der Kritik
1. Einführung: Was soll der
kategorische Imperativ?
1. a. Kants Schriften zur Moralphilosophie:
(kleinere Schriften)
Grundlegung zur Metaphysik der Sitten (1785)
Kritik der praktischen Vernunft (1788)
Metaphysik der Sitten (1797)
Beobachtung: Das sind nicht unbedingt Titel, wie man sie für
Werke zur Moralphilosophie erwartet. Grund: Kant untersucht
Moralphilosophie in einem größeren System, im Rahmen
seiner kritischen Philosophie.
Der Zusammenhang
Kants kritische Philosophie:
Motivation für die erste Kritik (KrV, 1781/1787): Einer
sachhaltigen metaphysischen Untersuchung muss
eine kritische Überprüfung der Vernunft selbst
vorangehen: Was kann die menschliche Vernunft
überhaupt leisten?
Kritik der reinen Vernunft: Gerichtshof, in dem die
Vernunft über ihre Wissensansprüche entscheidet.
Vernunftkritik als Selbstkritik der Vernunft.
Kants theoretische
Philosophie
Wesentliche Aussagen Kants:
1.
Der Mensch ist apriorischer (erfahrungsunabhängiger), aber welthaltiger (synthetischer)
Erkenntnis fähig.
2. Diese Erkenntnis bezieht sich nur auf Gegenstände
möglicher Erfahrung. Daher: Die Vernunft darf
nicht
über
mögliche
Erfahrungsgegenstände
hinausgehen. Grenze der Vernunft
3. Die Gegenstände gibt es nicht nur als mögliche
Erfahrungsgegenstände, sondern auch als Dinge an
sich (Dinge, wie sie unabhängig von uns sind).
Dinge an sich können wir aber nicht erkennen.
Kants praktische Philosophie
Wesentliche Aussagen Kants:
1. Es gibt eine apriorische oder reine Ethik, die
unabhängig von aller Erfahrung ist.
2. Reine Vernunft kann praktisch werden. Keine
Grenze der Vernunft.
3. Wenn wir frei handeln, dann müssen wir uns ein
Stück weit als Ding an sich betrachten.
b. Kants Verortung der
Moralphilosophie
Schema (Anfang der Grundlegung)
Philosophie
material
formal
Gesetze
der Natur
Regeln des Denkens
Sein
der Freiheit
Sittengesetze
Sollen
Physik
Ethik/Sittenlehre
Metaphysik
der Sitten
Praktische
Anthropologie
Metaphysik der Sitten
Metaphysik der Sitten: A priori (unabhängig von
Erfahrung); praktische Anthropologie a posteriori
Frage: Hat die Moral wirklich einen apriorischen Kern?
(VII-XII, 25 – 35).
Metaphysik der Sitten
Kants Antwort:
1.
Moralische Gebote drücken eine
Notwendigkeit aus (siehe dazu unten).
praktische
2. Moralische Gebote gelten allgemein:
a. für alle Vernunftwesen
b. in allen Situationen.
Bemerkung: Notwendigkeit und strikte Allgemeinheit
sind für Kant Kennzeichen apriorischer Urteile (KrV,
B-Einleitung)
3. Moralische Gebote lassen sich nicht aus dem
ablesen, was die Leute wirklich tun – vielleicht
halten sie sich nicht an moralische Gebote.
Beleg
„Jedermann muss eingestehen, daß ein Gesetz, wenn
es moralisch, d. i. als Grund einer Verbindlichkeit,
gelten soll, absolute Notwendigkeit bei sich führen
müsse; daß das Gebot: du sollst nicht lügen, nicht
etwa bloß für Menschen gelte, andere vernünftige
Wesen sich aber daran nicht zu kehren hätten; und
so alle übrige eigentliche Sittengesetze; daß mithin
der Grund der Verbindlichkeit hier nicht in der
Natur des Menschen, oder den Umständen in der
Welt, darin er gesetzt ist, gesucht werden müsse,
sondern a priori lediglich in Begriffen der reinen
Vernunft”
VIII
c. Die Idee eines
kategorischen Imperativ
Für Kant ist der kategorische Imperativ das oberste
Prinzip der Moral (XV, vgl. Utilitarismus, dort hatten
wir ein Entscheidungskriterium, das angab, welche
Handlung richtig ist).
Doch was heißt hier „Imperativ“?
Und was bedeutet “kategorisch”?
Imperativ
hier nicht im Sinne des Modus Imperativ in der
Grammatik („Lies dieses Buch!“)
Kants Definition:
“Die Vorstellung eines objektiven Prinzips, sofern es
für einen Willen nötigend ist, heißt ein Gebot (der
Vernunft) und die Formel des Gebots heißt
Imperativ.”
37
Also: Imperativ ist die Formulierung eines Gebots,
und ein Gebot ist ein objektives praktisches Prinzip,
das unseren Willen nötigt. Was bedeutet das?
Elemente
a. Objektives Prinzip: allgemeine Regel, die ein
bestimmtes Handeln als praktisch notwendig
herausstellt.
Beispiel: Versprechen muss man halten!
Der Begriff der praktischen Notwendigkeit ist wichtig
für Kant – seine Moralphilosophie ist daran
orientiert (etwa 39).
Die Begriffe der Pflicht, des Sollens, Müssens drücken
alle eine praktische Notwendigkeit aus.
Griechisch Pflicht: „deon“, Kants Ethik wird häufig
deontologisch genannt.
Elemente
b.
Nötigung: Ein Handeln wird als praktisch
notwendig dargestellt; das heißt, in einer
bestimmten Situation müssen wir auf bestimmte
Weise handeln. Manchmal handeln wir aber in der
Tat nicht so – manchmal verletzen wir moralische
Pflichten. Die Instanz, die hier versagt, ist unser
Wille. Ein objektives praktisches Prinzip, das von
unserem Willen missachtet werden kann, tritt dem
Willen als nötigend entgegen.
“[Imperative] sagen, daß etwas zu tun oder zu unterlassen gut
sein würde, allein sie sagen es einem Willen, der nicht immer
darum etwas tut, weil ihm vorgestellt wird, daß es zu tun gut
sei.” (37-8)
Imperative
Gebote werden sprachlich
ausgedrückt (37).
durch
Sollenssätze
Ein Imperativ formuliert ein Gebot.
Daher:
Imperative sind bei Kant Sollenssätze
Arten von Imperativen
Hypothetisch
Regeln der
Geschicklichkeit
Kategorisch
Ratschläge
der Klugheit
Gebote
der Sittlichkeit
43
Hypothetisch vs.
kategorisch
Hypothetische Imperative: Stellen ein Handeln als
notwendig für die Realisierung eines Ziels/einer
Absicht dar.
Kategorische Imperative: Stellen ein Handeln als
schlechthin notwendig dar.
Alternativ: Hypothetische Imperative stellen etwas als
gut für etwas anderes dar; kategorische Imperative
stellen etwas als schlechthin gut dar (39-40).
Hypothetische Imperative
Beispiele:
“Wenn Du gesund bleiben willst, dann musst Du
Sport treiben.”
“Sporttreiben ist notwendig für das Gesundbleiben”
Achtung
1. Das Ziel, für das ein Handeln einem hypothetischen
Imperativ zufolge notwendig ist, wird alltagssprachlich oft nicht
explizit erwähnt. “Du musst mehr Sport treiben” ist oft im
Sinne eines hypothetischen Imperativ gemeint.
P. Foot: Entscheidende Frage: Wie meint der Sprecher mit
einem hypothetischen Imperativ? Ist der Imperativ so gemeint,
dass man ihm entgehen kann, indem man sagt: Ich will doch
gar nicht (gesund werden, ...).
2. Es kommt nicht auf die “Wenn-dann”-Form eines Imperativ
allein an, sondern dass im “Wenn”-Satz ein Ziel oder eine
Willensbestimmung steht.
“Wenn Du es regnet, musst Du eine Jacke anziehen”
kann als kategorischer Imperativ gemeint sein.
Status
Kant unterscheidet in der KrV zwischen analytischen und
synthetischen Urteile.
Grob: Analytische Sätze sind bereits aus begrifflichen Gründen
wahr (“Alle Junggesellen sind unverheiratet”).
1. Ein hypothetischer Imperativ ist in Bezug auf den Inhalt
synthetisch (dass Sport gut für die Gesundheit ist, gilt nicht
begrifflich, erfordert echtes Wissen darüber, welche Folgen
Sport hat).
Ein hypothetischer Imperativ ist aber analytisch in Bezug auf
den Willen.
(Wer wirklich gesund bleiben will und denkt, dass nur Sport
gesund erhält, der will auch Sport treiben).
2. Ein kategorischer Imperativ ist nach Kant synthetisch, daher
schwieriger zu begründen!
Arten von Imperativen
Hypothetisch
Regeln der
Geschicklichkeit
Kategorisch
Ratschläge
der Klugheit
Gebote
der Sittlichkeit
43
Hypothetische Imperative
lassen sich nach Kant in zwei Klassen unterteilen.
Der Zweck, für den etwas notwendig ist, kann sein:
möglich
Imperativ ist “problematisch”
Regel der Geschicklichkeit
Beispiel: “Wenn Du heute nach Wien fahren willst, dann
musst Du den Zug um 20 Uhr nehmen.”
wirklich
Imperativ ist “assertorisch”
Ratschlag der Klugheit
Kant: Jeder Mensch will sein Glück
Beispiel: “Realisiere gute Beziehungen zu anderen
Menschen (dann wirst Du glücklich)”
Kategorische Imperative
Kategorische Imperative sind Gebote im eigentlichen
Sinne. Kant nennt kategorische Imperative
moralisch.
Kants These: Die Moral gebietet kategorisch, d.h.
unabhängig von den Zielen und Absichten, die wir
bereits haben.
Plausibilisierung: Moral sagt uns nicht, was wir tun
sollen, wenn wir x wollen, sondern was wir zuerst
einmal wollen sollen.
Beispiel: Wenn ich jemandem sage: “Du musst Dein
Versprechen halten!”, dann kann man dem nicht
sinnvollerweise entgegensetzen: “Ich will aber
etwas anderes tun.”
Arten von Imperativen
Hypothetisch
Regeln der
Geschicklichkeit
Kategorisch
Ratschläge
der Klugheit
Gebote
der Sittlichkeit
Prudentielle
Rationalität
Moralische
Rationalität
Heute Terminologie:
Instrumentelle
Rationalität
2. Der kategorische
Imperativ
Vorbemerkungen:
1. Bisher haben wir nur den Begriff des kategorischen
Imperativ nach Kant untersucht. Jetzt fragen wir:
Was
gebietet
der
kategorische
Imperativ
eigentlich? Was besagt er inhaltlich?
2. Bisher gab es keine Gründe, nicht von mehreren
kategorischen Imperativen zu sprechen. Kant ist
aber der Meinung, dass es letztlich nur einen
kategorischen Imperativ gibt (52). Um diesen geht
es nun.
Übersicht
Wir können beim kategorischen Imperativ eine
Grundformel und drei Fassungen unterscheiden.
Diese gehen wir jetzt durch.
a. Die Grundformel
“die
allgemeine
Formel
des
kategorischen
Imperativs [...]: handle nach der Maxime, die sich
selbst zugleich zum allgemeinen Gesetze machen
kann”
81
Was heißt das?
b. Die Naturgesetzfassung
”handle so, als ob die Maxime deiner Handlung
durch
deinen
Willen
zum
allgemeinen
Naturgesetz werden sollte.”
52
damit ist in etwa gemeint:
”Der kategorische Imperativ ist also nur ein einziger
und zwar dieser: handle nur nach derjenigen
Maxime, durch die du zugleich wollen kannst,
dass sie ein allgemeines Gesetz werde.”
52
Benennung der Fassungen nach Schönecker/Wood
Analyse
Die Richtigkeit/Pflichtgemäßheit einer Handlung
ergibt sich aus der Maxime, auf die Maxime kommt
es an.
Maxime: Subjektives Prinzip des Wollens (etwa Par. 1,
KpV), drückt in allgemeiner Form aus, was sich ein
Handelnder vorgenommen hat.
Beispiele:
“Ich will mein Vermöge gewinnbringend anlegen,
egal was das für andere bedeutet.”
“Ich will auch in Notlagen nicht lügen.”
Also: Nach Kant ist eine Handlung moralischerweise
nach ihren Motiven, die in der Maxime ausgedrückt
werden, zu bewerten.
Analyse 2
Die entscheidende Frage hinsichtlich der Maxime
lautet:
Kann ich wollen, dass meine Maxime Naturgesetz
wird? Das meint: Kann ich wollen, dass die Maxime
universell von allen Menschen befolgt wird?
Wir nennen das Universalisierungstest. Die Frage ist
also, ob man meine Maxime universalisieren kann.
Schwierigkeiten, die dabei auftreten können (57):
1. Es lässt sich gar nicht denken, dass jeder die
Maxime befolgt. Dann ist eine vollkommene Pflicht
verletzt.
2. Es lässt sich nicht wollen, dass jeder die Maxime
befolgt, dann ist eine unvollkommene Pflicht verletzt.
Universalisierung
Von lateinisch: universalis:
Universalisierung: Verallgemeinerung.
Vollkommene Pflichten
Frage: Darf in einer Notlage ein Versprechen geben, das ich
nicht zu halten beabsichtige?
Maxime V: In Notlagen will ich Versprechen geben, die ich nicht
halten will.
Universalisierung: Jeder handelt nach dieser Maxime.
Problem: Ein Versprechen ist eigentlich eine Selbstbindung: Wir
verpflichten uns, das Versprochene zu tun. Wenn jeder
Versprechen gibt, ohne sie halten zu wollen, dann ist die
Institution des Versprechens aber de facto abgeschafft. Wenn
jemand dann sagt: “Ich verspreche Dir ...”, so werden andere
das nicht mehr als Selbstbindung und damit im Sinne eines
echten Versprechens verstehen. Daher können wir nicht mehr
sagen, dass hier wirklich ein Versprechen gegeben wird. Daher:
Die allgemeine Befolgung der Maxime lässt sich nicht denken,
ist widersprüchlich.
Daher darf ich nicht nach Maxime V handeln (54 f.)
Unvollkommene Pflichten
Frage: Muss ich einer in Not geratenen Person helfen?
Maxime H: Ich will anderen nicht helfen, selbst wenn sie in Not
sind.
Universalisierung: Jeder handelt nach dieser Maxime.
Problem: Ich kann mir zwar vorstellen, dass jeder H gemäß
handelt, aber wenn das so ist, dann werden meine eigenen
Möglichkeiten in der Zukunft beschnitten, da mir niemand hilft,
wenn ich in eine Notlage gerate. Das ist jedoch nicht
wünschbar. Ein Wille kann nicht wollen, dass seine eigenen
Möglichkeiten in der Zukunft solchermaßen beschnitten werden.
Daher: Die allgemeine Befolgung der Maxime kann man nicht
sinnvollerweise wollen.
Daher darf ich nicht nach Maxime
unvollkommen Pflicht ist verletzt (56-57).
H
handeln
–
eine
Plausibilisierung
Ein entscheidender Schritt bei der Überprüfung von
Maximen ist die Universalisierung.
Warum soll Universalisierung in der Moral so wichtig
sein?
Eine Handlung moralisch zu bewerten heißt, sie nicht
nur aus dem Blickwinkel meiner Wünsche etc. zu
betrachten, sondern von einem allgemeineren
Standpunkt.
Die Universalisierung garantiert diesen allgemeinen
Standpunkt.
In Ihren Worten
“Kants kategorischer Imperativ gebietet, dass jede
Handlung auf der Grundlage einer Maxime
geschehen soll, die gleichzeitig auch als allgemeines
Gesetz denkbar und wünschenswert wäre. Der
kategorische Imperativ gilt somit unbedingt und
unter allen Umständen. Er ist nicht ziel - und
zweckorientiert”
Achtung
Die Universalisierung führt nur dann zu plausiblen Ergebnissen,
wenn man von relativ allgemeinen Maximen ausgeht.
Beispiel:
Maxime: An einem Geburtstag von mir (an einem Dienstag im
Juni) will ich Versprechen geben, die ich nicht zu halten
gedenke.
Die Universalisierung dieser Maxime führt nicht notwendig dazu,
dass die Instituition des Versprechens de facto aufgegeben wird.
Daher ergibt sich nicht notwendig ein Widerspruch und eine
Pflichtwidrigkeit.
Daher: Bereits bei der Formulierung der Maxime ist eine
gewisse Allgemeinheit erforderlich. Für Kant ergibt sich das
wohl aus seiner Handlungsauffassung.
c. Die Zweck-Mittel-Fassung
“Handle so, daß du die Menschheit sowohl in deiner
Person, als in der Person eines jeden andern jederzeit
zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel
brauchest.”
66 – 67
Analyse
Allgemein: Wir wählen Mittel um bestimmter Zwecke
willen.
Kant: Es gibt einen Zweck, den wir in jedem Fall
wählen
sollen,
der
für
sich
einen
Selbstzweckcharakter hat: Die Menschheit. Deren
Selbstzweckcharakter müssen wir respektieren.
Schwierigkeiten, die hier auftreten können:
1.
Eine
Maxime
widerspricht
dem
Selbstzweckcharakter des Menschen. Dann ist eine
vollkommene Pflicht verletzt.
2. Eine Maxime stimmt nicht positiv mit dem
Selbstzweckcharakter des Menschen überein. Dann
ist eine unvollkommene Pflicht verletzt.
Vollkommene Pflichten
Frage: Darf in einer Notlage ein Versprechen geben,
das ich nicht zu halten beabsichtige?
Maxime V: In Notlagen will ich Versprechen geben,
die ich nicht halten will.
Problem: Damit degradiere ich andere Menschen bloß
zum Mittel meiner eigenen Wunscherfüllung. Daher:
Meine Maxime stimmt nicht mit dem Selbstzweck
“Mensch” überein.
Daher darf ich nicht nach Maxime V handeln. Eine
vollkommene Pflicht ist verletzt (67 f.).
Unvollkommene Pflichten
Moralische Frage: Muss ich einer in Not geratenen
Person helfen?
Maxime H: Ich will anderen nicht helfen, selbst wenn
sie in Not sind.
Damit wird der Selbstzweckcharakter des Menschen
zwar nicht direkt verletzt, aber auch nicht positiv
unterstützt.
Ich
unterstütze
den
Selbstzweckcharakter des Menschen nur, wenn ich
die Zwecke der anderen Menschen realisieren helfe.
Daher: Die Maxime stimmt nicht positiv mit dem
Selbstzweckcharakter des Menschen zusammen.
Daher darf ich nicht nach Maxime H handeln. Eine
unvollkommene Pflicht ist verletzt (69).
Plausibilisierung
Mit der Zweck-Mittel-Fassung des kategorischen
Imperativs drückt Kant aus, dass es grundlegende
moralische Rechte des Menschen gibt, die wir nicht
verletzen dürfen.
Kant: Der Mensch hat nicht einen Preis, darf also
nicht mit anderen Dingen, die einen Preis haben,
verrechnet werden, sondern hat Würde (77).
c. Die Reich-der-ZweckeFassung
Erste Ankündigung:
“die Idee des Willens jedes vernünftigen Wesens
als eines allgemein gesetzgebenden Willens”
70
Formulierung als Imperativ:
“handle nach Maximen eines allgemein gesetzgebenden Gliedes zu einem bloß möglichen Reiche der
Zwecke”
84
Reich der Zwecke
Grobe Idee: Wenn jeder jeden anderen als
Selbstzweck respektiert, dann stimmen die Zwecke
aller Menschen positiv zusammen. Diesen Zustand
nennt Kant Reich der Zwecke.
Der Ausdruck “Reich” legt dabei den Gedanken einer
politischen Ordnung nahe.
Wir können uns das Reich der Zwecke als eine
politische Ordnung vorstellen, in der jeder Mensch
den Gesetzen gehorcht, jeder aber Gesetzgeber ist
(74 – 76).
Wir diskutieren diese Formulierung nicht weiter.
Drei Fassungen des
kategorischen Imperativ
Aber es sollte
Imperativ geben!
doch
nur
einen
kategorischen
Kant: Es handelt sich um unterschiedliche Fassungen
desselben Imperativ (79).
Interpretation: Die Fassungen sind extensional
äquivalent, insofern sie genau dieselben Handlungen
als praktisch notwendig/moralisch richtig darstellen.
Kant empfiehlt für die Praxis alle drei Fassungen des
kategorischen Imperativ (81).
3. Wie kommt Kant auf den
kategorischen Imperativ?
Frage also: Wie bestimmt Kant den Inhalt des
kategorischen Imperativ?
Bemerkung:
In der “Grundlegung” geht Kant hier zunächst
hypothetisch vor. Er fragt: Wenn es einen
kategorischen Imperativ gibt, was würde er fordern?
Dass es einen kategorischen Imperativ wirklich gibt,
zeigt er erst später.
Eine Überlegung
1. Annahme: Wenn wir ein Handeln moralisch
beurteilen, dann betrachten wir es im Lichte seiner
Motive.
Plausibilisierung: Ich stoße absichtlich eine Vase um.
Wann kann man mich moralisch dafür verurteilen?
Wenn ich damit etwas Schlechtes wollte. Wenn ich es
für moralisch richtig hielt, die Vase umzustoßen,
dann kann man mir in gewisser Hinsicht keinen
moralischen Vorwurf machen.
Kant: Was uns letztlich bei der moralischen
Beurteilung interessiert, ist der Wille. Was letztlich
allein gut sein kann, ist ein guter Wille (1-8).
Beleg
“Es ist überall nichts in der Welt, ja überhaupt auch
außer derselben zu denken möglich, was ohne
Einschränkung für gut könnte gehalten werden, als
allein ein guter Wille. Verstand, Witz, Urteilskraft,
und wie die Talente des Geistes sonst heißen
mögen, oder Mut, Entschlossenheit, Beharrlichkeit im
Vorsatze, als Eigenschaften des
Temperaments,
sind ohne Zweifel in mancher Absicht gut und
wählenswert; aber sie können auch äußerst böse und
schädlich werden”
1
Eine Überlegung
Wenn es bei einer moralischen Beurteilung einer
Handlung auf das Motiv ankommt, dann fragt sich:
Welches Motiv muss eine moralisch richtige/wertvolle
Handlung haben? Kant:
2. Moralisch richtiges Handeln erfolgt aus Pflicht, ist
also nicht nur pflichtgemäß.
Plausibilisierung: Wenn eine Person nur freundlich
gegen mich ist, weil sie sich davon einen Vorteil
verspricht, dann verdient sie kein moralisches Lob für
ihr Handeln. Nur wenn sie aus Pflichtbewusstsein
freundlich ist, kann man sie in moralischer Hinsicht
loben.
(8-17)
Eine Überlegung
3. Worin besteht Handeln aus Pflicht? Handeln aus Pflicht kann
nicht darin bestehen, dass ich ein moralisch wertvolles Ziel
erstrebe, denn außer dem guten Willen selbst gibt es ja für Kant
keine moralischen Güter.
Handeln aus Pflicht kann daher nicht durch den Inhalt meines
Wollens gekennzeichnet werden, sondern muss durch die Form
meines Wollens beschrieben werden. Diese Form kann man
durch ein Gesetz beschreiben.
Aber was gebietet das Gesetz? Gesetze sind allgemein, daher
kann das Gesetz für die Form des moralischen Handelns nur
Verallgemeinerung/Universalisierbarkeit
meines
Handelns
fordern → Kategorischer Imperativ in der ersten Fassung!
(15-17)
Eine andere Überlegung
Wenn ein Imperativ kategorisch gebietet, dann geht
er nicht von einem bestimmten Zweck aus. Es ist also
kein vorgegebener Zweck vorhanden, auf dem man
aufbauen kann. Der kategorische Imperativ soll ganz
allgemein ein Handeln als notwendig kennzeichnen.
Der kategorische Imperativ kann daher nur die Form
einer Handlung als Allgemeinheit festlegen.
51-52
Ein kurzer Vergleich mit
dem Utilitarismus
Der Utilitarismus (vor allem der hedonistische) geht
von einer Werttheorie aus.
Handlungen sind dann moralisch richtig, wenn sie
durch ihre Folgen hinreichend viel (nämlich
maximalen) Wert produzieren. Die Richtigkeit einer
Handlung bemisst sich also nur nach den Folgen
(Konsequenzialismus).
Kant hat eine sehr eigenartige Werttheorie (der
zufolge nur der Mensch oder der gute Wille Wert hat).
Nach Kant gründet die Richtigkeit einer Handlung
also nicht in der Produktion von Werten, sondern in
der Form der Handlung.
Literatur
Zitate hier nach:
I. Kant, Werke, herausgegeben von W. Weischedel,
Band VII, Frankfurt am Main 1974, Seitenangaben
nach der Originalausgabe
Kommentare:
C. Horn, C. Mieth und N. Scarano, Immanuel Kant.
Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, Frankfurt am
Main 2007
O. Höffe (Hrsg.), Kant: Grundlegung zur Metaphysik
der Sitten. Ein kooperativer Kommentar. Frankfurt am
Main 2000 (dritte Auflage)
Weitere Literaturangaben in der nächsten Vorlesung.
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