Einführung in die praktische Philosophie Vorlesung 9. Freiheit verpflichtet. Kants Moralphilosophie II Claus Beisbart TU Dortmund Sommersemester 2009 Was soll ich tun? Kants Antwort: Der kategorischer Imperativ: “handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, daß sie ein allgemeines Gesetz werde.” Grundlegung, 52 Bild aus en.wikipedia.org Bisher - haben wir den Begriff des kategorischen Imperativ kennengelernt. - haben wir unterschiedliche Fassungen des kategorischen Imperativ untersucht. Heute - wollen wir uns überlegen, wie weit eine Ethik des kategorischen Imperativ trägt. - wollen wir fragen: Warum dem kategorischen Imperativ folgen? Gliederung 1. Der kategorische Imperativ in der Kritik 2. Ein Vergleich mit dem Utilitarismus 3. Freiheit verplichtet. Moralbegründung bei I. Kant 4. Der kategorische Imperativ in der Kritik Eine Stimme von Ihnen “Kants kategorischer Imperativ [...] hat gegenüber teleologischen Ethikvorstellungen den großen Vorteil, dass er nicht von kulturell geprägten oder subjektiven Vorstellungen des „Guten“ abhängt sowie die individuellen Möglichkeiten des Handelnen (Kenntnis der Umstände, Abschätzen der Konsequenzen) berücksichtigt. Der Kategorische Imperativ ist außerdem trotz gesellschaftlicher oder technischer Veränderungen immer aktuell geblieben; relativ moderne Probleme wie Umweltschutz oder Gentechnik können mit Hilfe des kategorischen Imperativs betrachtet werden. Allerdings bietet der kategorische Imperativ keine konkrete Handlungsanweisung und kann nicht – wie er es ja eigentlich per Definition fordert- in jedem Fall individuell angewandt werden, sondern kann nur als idealtypischer Leitfaden gedacht werden.” Der kategorische Imperativ in der Kritik Beispielhaft wird im folgenden Naturgesetzfassung betrachtet. besonders die Kants Thesen: Verallgemeinerung einer Maxime kann nicht gedacht (und daher nicht gewollt) werden ↔ Verletzung vollkommener Pflicht. Verallgemeinerung einer Maxime kann zwar gedacht, aber nicht gewollt werden ↔ Verletzung einer unvollkommenen Pflicht. Erläuterung Dabei: vollkommene Pflicht: zugunsten unserer Neigungen. Keine Ausnahme Unvollkommene Pflicht: Ausnahme unserer Neigungen möglich. zugunsten 53 Vielleicht auch: Vollkommene Pflichten haben im Zweifelsfall den Vorrang vor unvollkommenen Pflichten. Oder: Bei unvollkommenen Pflichten ist nicht genau determiniert, was der Handelnde tun muss; er hat einen individuellen Gestaltungsspielraum. Kritik Eine Art von Kritik, die wir bereits im Zusammenhang des Utiltiarismus kennengelernt haben, vergleicht die Aussagen einer moralischen/ethischen Theorie mit moralischen Intuitionen. Wenn die Theorie in vielen Fällen unseren moralischen Intuitionen widerspricht, dann hat sie ein Problem. Kants Theorie ist einer solchen Kritik in besonderem Maße ausgesetzt, da Kant den Inhalt des kategorischen Imperativ durch eine konzeptuelle Analyse des Pflichtsbegriffs gewinnt. Wir wollen im folgenden also Handlungen nennen und fragen, ob sie a. im Sinne des k.I. und b. intuitiv moralische Pflichten verletzen. Problem Maxime und Handlung: Der kategorische Imperativ bezieht sich auf die Maxime, nicht auf die Handlung selbst. Problem: Dieselbe Handlung kann unterschiedlichen Maximen ergeben. sich aus Beispiel: Ein Vorgesetzter hat befohlen zu lügen Maxime 1: Ich will lügen. Maxime 2: Ich will dem Vorgesetzten gehorchen. Für die Bewertung des Akteurs und der Frage, ob sein Handeln moralischen Wert hat, ist natürlich entscheidend, welche Maxime der Akteur wirklich hat. Problem Aber wenn wir uns bloß abstrakt für die Frage interessieren, welches Handeln in einer bestimmten Situation richtig ist, dann gibt es keinen Akteur, an dessen Maximen wir uns halten können. O'Neill: Kant geht es primär gar nicht um die Richtigkeit einer Handlung. Im folgenden vermeiden wir das Problem, indem wir von einer bestimmten Maxime ausgehen. Typologie von Kritik Kants Thesen: Verallgemeinerung einer Maxime kann nicht gedacht (und daher nicht gewollt) werden ↔ Verletzung vollkommener Pflicht. Verallgemeinerung einer Maxime kann zwar gedacht, aber nicht gewollt werden ↔ Verletzung einer unvollkommenen Pflicht. 1. Eine Maxime kann allgemein befolgt werden, aber es ist intuitiv eine vollkommene Pflicht verletzt. 2. Eine Maxime kann verallgemeinert gewollt werden, aber es ist intuitiv eine unvollkommene Pflicht verletzt. 3. Eine Maxime kann nicht allgemein befolgt werden, aber es ist intuitiv keine vollkommene Pflicht verletzt. 4. Eine Maxime kann nicht verallgemeinert gewollt werden, aber es ist intuitiv keine unvollkommene Pflicht verletzt. Kritik vom Typ 1/2 Geist: Der kategorische Imperativ ist zu schwach, um Handlungen, die wir als pflichtwidrig ansehen, auszuschließen. Kritik oft: Der kategorische Imperativ liefert ein formales Testverfahren für Maximen, aber dieser Formalismus ist zu schwach, um zu gehaltvollen Wertungen zu kommen. Nur unter verdeckten Zusatzannahmen wird der kategorische Imperativ effektiv. Die Naturgesetzfassung ”handle so, als ob die Maxime deiner Handlung durch deinen Willen zum allgemeinen Naturgesetz werden sollte.” 52 Kritik vom Typ 1 Beispiel: Zwangsverheiratung (vgl. Birnbacher 2003) Maxime: Ich will meine Kinder zwangsverheiraten. Intuitiv missachtet diese Maxime ein grundlegendes moralisches Recht. Es scheint daher eine vollkommene Pflicht verletzt. Aus Kants Sicht ist nur dann eine vollkommene Pflicht verletzt, wenn eine allgemeine Praxis von Zwangsverheiratung nicht denkbar erscheint. Dem ist jedoch nicht so. Kritik vom Typ 2 Beispiel: Hilfeleistung (vgl. Grundlegung 56–57) Maxime: Ich will anderen Menschen auch dann nicht helfen, wenn sie unverschuldet in Not sind. Intuitiv scheint eine unvollkommene Pflicht verletzt. Aus Kants Sicht ist nur dann eine unvollkommene Pflicht verletzt, wenn man nicht wollen kann, dass niemand anderen Hilfe in Notlagen leistet. Aber warum soll man das (rationalerweise) nicht wollen können? Kant: Ein Wille, der der Verallgemeinerung der Maxime zustimmt, beraubt sich selbst möglicher Mittel für die Zukunft. Kritik vom Typ 2 Richtig ist: Wenn ich einerseits will, dass mir andere in eventuellen Notlagen helfen, und wenn ich andererseits die Verallgemeinerung der Maxime will, dann will ich Dinge, die sich einander ausschließen. Daher kann ich rationalerweise nicht beides wollen. Aber: Ein kategorischer Imperativ gebietet unabhängig davon, was ich will. Daher können wir nicht voraussetzen, dass ich will, dass mir andere in eventuellen Notlagen helfen. Ausweg: Darwall: Bestimmte Dinge will jeder Wille rationalerweise. Kritik vom Typ 3/4 Geist: Kant schließt bestimmte Maximen aus, die an und für sich kein Problem darstellen. Kritik vom Typ 3 Beispiel (Rawls, diskutiert in Darwall): Praxis des “telishment”: Personen werden willkürlich ausgewählt und verhaftet. Eine Person kann sich jedoch weigern, ein telishment durchzuführen. In diesem Fall sprechen wir von einem nullishment. Wenn alle Personen nullishment durchführen, dann gibt es kein telishment mehr. Die Maxime “Ich will mich dem telishment durch nullishment verweigern” kann nicht verallgemeinert gedacht werden, weil nullishment telishment voraussetzt. Nach Kant ist daher eine vollkommene Pflicht verletzt. Intuitiv: Nullishment scheint moralisch richtig zu sein. Diagnose Problem scheint zu sein: Versprechen, telishment etc. sind soziale Praktiken, die durch bestimmte Regeln konstituiert werden. Kants Theorie erlaubt uns nicht, nach dem Sinn und Wert dieser Praktiken zu fragen. Die Zweck-Mittel-Fassung “Handle so, daß du die Menschheit sowohl in deiner Person, als in der Person eines jeden andern jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel brauchest.” 66 – 67 Problem hier ist: Was heißt es, dass die Menschheit Zweck unseres Handelns ist. Zwecke beschreiben wir normalerweise, indem wir einen wünschbaren Verlauf der Dinge angeben. Was soll es aber heißen, dass ein Mensch Zweck ist? (vgl. Ricken in Höffe, Klassiker auslegen) Reaktionen von der Seite Kants 1. Zeige: Bei genauerer Betrachtung hat der kategorische Imperativ doch keine kontraintuitiven Konsequenzen. 2. Standpunkt des hartgesottenen Theoretikers: Unsere Intuitionen sind halt manchmal verfehlt. Insgesamt bleibt kontrovers, wie angemessen Kants Ethik des kategorischen Imperativ insgesamt ist. Die Formulierung des kategorischen Imperativ gilt jedoch als eine bleibende dauerhafte Leistung von Kant. Andere Kritik am kategorischen Imperativ Kant stellt den Menschen zu sehr in den Mittelpunkt. Er behauptet, dass nur die Menschheit ein Selbstzweck ist. Wie steht es jedoch mit Tieren und Pflanzen? 2. Ein Vergleich mit dem Utilitarismus a. Monismus Kants Moralphilosophie des kategorischen Imperativ und der Utilitarismus sind beide monistisch. Es wird jeweils ein Prinzip angegeben, anhand dessen sich bestimmen lässt, ob ein Handeln richtig/wertvoll ist. Gegensatz zum Monismus: Pluralismus: Es gibt nicht ein einziges Prinzip, das moralisch richtiges Handeln beschreibt. Motivation: Handlungen können aus unterschiedlichen Gründen richtig sein. b. Moralische Intuitionen Frage: Wie gut sind die beiden Moraltheorien, wenn es darum geht, unsere moralischen Intuitionen zu erfassen? Akt-Utilitarismus hat grundlegende Rechte Gerechtigkeit geht. Probleme, wo es und um Fragen um der Kants Moralphilosophie hat Probleme, wo es um das Einbeziehen und Abwägen von Gütern geht. c. Moralisches Überlegen Frage: Wie gut sind die beiden Moraltheorien, wenn es darum geht, Formen praktischen und moralischen Überlegens zu erfassen? Für den Akt-Utilitarismus ist moralisches Überlegen ein Abwägen von Gütern und ein Maximieren von Werten. Für Kants Moralphilosophie ist moralisches Überlegen ein Verallgemeinern. Beide Formen von Überlegen Alltagspraxis verwendet. werden in der d. Absolutismus Absolutismus: Bestimmte niemals moralisch richtig. Handlungstypen sind Tendenz: Der Utilitarismus ist nicht-absolutistisch. Kant vertritt einen Absolutismus. Einige Interpreten sind jedoch der Ansicht, dass der Absolutismus von Kant nicht zum Kern seiner Moralphilosophie gehört. Es wäre dann eine nichtabsolutistische Ethik des kategorischen Imperativ denkbar. e. Werttheorie Der (hedonistische) Utilitarismus baut auf einer Werttheorie (Axiologie) auf. Er benennt Güter. Diese Güter geben substantielle Ziele vor, an denen sich unser Handeln ausrichtet sollte. Ein Handeln ist moralisch richtig, wenn in der richtigen Relation zu den Werten steht (wenn es den Wert maximiert). Kants kategorischer Imperativ baut nicht auf einer Werttheorie auf. Kant hat zwar eine Art von Werttheorie, der zufolge nur der gute Wille und der Mensch als (potentieller) Träger des guten Willens moralischen Wert hat. Für die Universalisierungsformel spielt diese Werttheorie jedoch keine Rolle. Eine Handlung wird aufgrund ihrer Form beurteilt. Weiterhin Für den Utilitarismus hängt die Richtigkeit einer Handlung von ihrer Beziehung auf nicht-moralische Werte ab. Folge: Die Moral ist nicht selbständig, beruht auf nicht-moralischen Werten, dient nicht-moralischen Werten. Kant: Moral ist autonom. Sie hat keine Funktion. Ethik der Autonomie Autonomie ist ein wichtiges Schlagwort, mit dem Kant seine Moralphilosophie kennzeichnet. Autonomie: gr. Selbstgesetzgebung Fähigkeit, sich selbst Gesetze zu geben. oder die Gegensatz: Heteronomie (Fremdbestimmung) Kants Definition von Autonomie des Willens: “Autonomie des Willens ist die Beschaffenheit des Willens, dadurch derselbe ihm [meint: sich] selbst (unabhängig von aller Beschaffenheit der Gegenstände des Wollens) ein Gesetz ist.” 87 Ethik der Autonomie Warum spricht Kant hier von Selbstgesetzgebung? Motivation: Der kategorische Imperativ fordert, ich solle wollen können, dass die Maxime meines Wollens allgemeines Gesetz wird. Ich soll mich also fragen, inwieweit meine Maxime zur allgemeinen Gesetzgebung taugt. Ich soll mich damit in die Perspektive eines Gesetzgebers versetzen. Wenn meine Maxime in der Tat zum allgemeinen Gesetz taugt und ich danach handle, dann gebe ich ein Gesetz, das auch für mich gilt, an das ich mich halte. Ethik der Autonomie Folgerung von Kant: Moralische Pflichten gründen nicht in dem Akteur äußerlichen Werten, sondern im Akteur selbst. Moralische Forderungen entstehen, indem sich der Akteur selbst ein Gesetz gibt. Das einzelne Subjekt ist die Quelle seiner Pflichten. Vgl. dazu Kants theoretische Philosophie: Raum und Zeit, sowie die sog. reinen Verstandesbegriffe (etwa Kausalität) gründen letztlich im Subjekt selbst. Raum und Zeit sind zum Beispiel Formen der (subjektiven) Anschauung. Weitere Folgerung: Nicht nur der Wille ist autonom (gibt sich selbst Gesetze), auch die Moral als solche ist autonom (unabhängig von moral-externen Dingen) Ethik der Autonomie Der Autonomie-Begriff weckt jedoch schnell auch falsche Assoziationen. Gemeint ist nicht: 1. Jeder kann moralischerweise tun, was er will. 2. Moralische Pflichten variieren mit der Person. Jeder hat die Pflichten, die er sich selbst auferlegt. Ethik der Autonomie “Es ist nun kein Wunder, wenn wir auf alle bisherige Bemühungen, die jemals unternommen worden, um das Prinzip der Sittlichkeit ausfündig zu machen, zurücksehen, warum sie insgesamt haben fehlschlagen müssen. Man sahe den Menschen durch seine Pflicht an Gesetze gebunden, man ließ es sich aber nicht einfallen, daß er nur seiner eigenen und dennoch allgemeinen Gesetzgebung unterworfen sei, und dass er nur verbunden sei, seinem eigenen, dem Naturzwecke nach aber allgemein gesetzgebenden Willen gemäß zu handeln.” 73 3. Moralbegründung bei Kant Bisher: Wir haben Kants Ausführungen vor allem als Antwort auf die Frage gelesen: Welches Handeln ist richtig? Kants Überlegungen zur Moralphilosophie gelten jedoch auch aus anderen Gründen für interessant. Diese Gründe betreffen vor allem den Status der Moral. Einschränkung: Die Interpretation von Kants Überlegungen ist schwierig, und ich kann nur einige Überlegungen andeuten. Ansatzpunkt: Moralbegründung. Moralbegründung Frage: Warum moralisch handeln? Frage aus Kants Sicht: Warum dem kategorischen Imperativ folgen? Eine Antwort auf diese Frage heißt Moralbegründung. Vgl. die sophistische Herausforderung bei Sokrates und Platon. Die Sophisten empfehlen ein Leben, das sich nicht an moralischen Pflichten ausrichtet. Auch Kant stellt die Frage nach der Moralbegründung explizit. Kant: Ist Sittlichkeit vielleicht nur ein “Hirngespinst”, “eine chimärische Idee ohne Wahrheit”? (96) Hintergrund Die Frage der Moralbegründung stellt Kant im dritten Abschnitt der “Grundlegung”. Vorher hat er bereits den kategorischen Imperativ formuliert und in gewisser Weise hergeleitet. Frage: Wie konnte Kant den kategorischen Imperativ herleiten, ohne die Frage der Moralbegründung zu beantworten? Antwort: Kant geht in den ersten beiden Abschnitten vom Begriff der Pflicht aus. Wenn man so will, geht er vom üblichen Moralverständnis aus. Dabei blieb offen, ob wir wirklich Pflichten haben und ob das übliche Verständnis der Moral richtig ist. Die Frage: “Warum moralisch sein/dem k.I. folgen?” ist daher noch offen. Hintergrund Für Kant ist der kategorische synthetisches Urteil a priori. Imperativ ein Kants Frage: Wie sind solche Urteile möglich – wie lassen sie sich begründen? Ein Vorschlag Man beantwortet die Frage: “Warum moralisch handeln?”, indem man zeigt, dass moralisches Handeln für den Akteur vorteilhaft ist, dass es seinem eigenen Glück dient. Kants Reaktion Kant: Das kann nicht funktionieren! Ein erstes Argument: Die Moralbegründung von eben begründet moralisches Handeln in Bezug auf einen bestimmten Zweck, auf das Ziel des eigenen Glücks hin. Die Begründung setzt voraus, dass jeder Mensch sein eigenes Glück will. Aber nach Kant: Moral gebietet kategorisch, d.h. unabhängig von gegebenen Zwecken und Zielen. Folge: Die Moralbegründung von eben begründet nicht wirklich kategorische Forderungen der Moral, begründet nicht wirklich den kategorischen Imperativ Kants Reaktion Kant: Das kann nicht funktionieren! Ein zweites Argument: 1. Moralisch wertvolles Handeln erfolgt aus Pflicht: Der Akteur handelt auf bestimmte Weise, weil das seine Pflicht ist. 2. Die Moralbegründung von eben gibt dem Akteur dagegen ein externes Motiv: Der Akteur handelt auf bestimmte Weise, weil das in seinem Interesse liegt. Folge: Die Moralbegründung von eben begründet nicht wirklich moralisches Handeln. Internalismus Kant ist ein Internalist bezüglich der Moral: Internalismus: Moral ist nicht durch Verweis auf externe Motive zu begründen. Moral verpflichtet schon aus sich heraus. Moralische Überlegungen liefern Handlungsgründe, beantworten also für sich die Frage: “Warum dieses oder jenes tun?” Im Detail werden heute viele Formen von Internalismus unterschieden. Siehe etwa Darwall, Kapitel 15. Moralisches Handeln NICHT: Wunsch/externes Motiv: Überzeugung: “Ich will glücklich sein.” “Ich bin nur dann glücklich/angesehen, wenn ich moralisch richtig handle, und in meiner Handlungssituation ist x richtig.” “Ich will angesehen sein.” Handlungsabsicht “Also tue ich, was moralisch richtig ist, d. h. x” Moralisches Handeln SONDERN: Vernunftüberlegung: “Handeln x ist moralisch richtig (etwa: die Maxime: Ich will in Situationen dieser Art nicht x tun ist nicht verallgemeinerbar)” Handlungsabsicht: “Daher tue ich jetzt x.” Kants Überzeugung Reine Vernunft kann praktisch werden! Etwa Kritik der praktischen Vernunft, Vorrede Kants Überzeugung Bedeutung: 1. Damit streicht Kant die Leistungsfähigkeit der praktischen Vernunft heraus. Anders als in der theoretischen Philosophie werden hier nicht die Grenzen der Vernunft, sondern ihre positiven Fähigkeiten betont. 2. Kant wendet sich insbesondere gegen die These, dass all unser Handeln auf Neigungen zurückgeht. Neigungen entspringen der sinnlichen Natur des Menschen, ihnen gegenüber sind wir passiv. Kant: Das Handeln des Menschen ist nicht durch seine Neigungen determiniert! Gegenposition Empiristen (Hume): Handlungen brauchen eine Art von Gefühl als Handlungsmotiv. Beispiel: Ich esse, weil ich Hunger spüre. Kants Antwort im Prinzip: Der Mensch kann sich über seine Neigungen hinwegsetzen und sollte das für moralisches Handeln tun. Entgegenkommen von Kant: Moralisch wertvolle Handlungen entspringen einem besonderen Gefühl, nämlich der Achtung, aber dieses Gefühl ist vernunftgewirkt (38). Modifziertes Modell Vernunftüberlegung: “Handeln x ist moralisch richtig (etwa: die Maxime: Ich will in Situationen dieser Art nicht x tun ist nicht verallgemeinerbar)” Gefühl: Achtung für Gesetz Handlungsabsicht: “Daher tue ich jetzt x.” Frage Wie lässt sich moralisches Handeln begründen? Kants Antwort Freiheit “Wenn also Freiheit des Willens vorausgesetzt wird, so folgt die Sittlichkeit samt ihrem Prinzip [dem kategorischen Imperativ] daraus.” 98 Eine Stimme von Ihnen “Diese Aussage "Freiheit verpflichtet." wirkt zu erst einmal recht kontrovers, ist aber zutreffend, da gewisse Grundrechte und -pflichten existieren müssen, damit jeder nur so viele Freiheiten bekommt, dass er der Freiheit anderer nicht schadet, aber doch so viele, dass er sich nicht eingeschränkt fühlt.” Aber das ist nicht, was Kant meint. Was ist Freiheit? Kant meint hier Willensfreiheit. Kants Definition von Willensfreiheit: “Der Wille ist eine Art von Kausalität lebender Wesen, so fern sie vernünftig sind, und Freiheit würde diejenige Eigenschaft dieser Kausalität sein, da sie unabhängig von fremden sie bestimmenden Ursachen wirkend sein kann.” 97 Also: 1. Der freie Wille ist kausal wirksam (er setzt Wirkungen). 2. Der freie Wille ist nicht kausal bestimmt (er ist nicht bloß Wirkung). Bild Willensentscheidung Folgen der Handlung Warum impliziert Freiheit den k.I.? Kant: 1. Frei zu sein heißt, kausal Wirkungen zu setzen. 2. Wenn U die Ursache von W ist, dann gibt es einen gesetzmäßigen Zusammenhang zwischen U und W. 3. Folgerung: Freiheit ist nicht Gesetzlosigkeit, sondern eine bestimmte Form von Gesetzmäßigkeit. 4. Der kategorische Imperativ (Naturgesetzfassung) gebietet lediglich Gesetzmäßigkeit als Form unseres Handelns. 5. Folgerung: Freies Handeln gehorcht dem k.I. Anders gesagt: Freiheit impliziert den k.I.! Sind wir frei? Den kategorischen Imperativ kann man nur unter Verweis auf die Freiheit begründen, wenn wir wirklich frei sind (Willensfreiheit haben). Aber sind wir wirklich frei? Zweifel: 1. Wie kann man beweisen, dass wir frei sind? 2. Ist unser Wille nicht durch Ursachen bestimmt? In der Tat geht Kant von einem kausalen Determinismus aus. Kausaler Determinismus: Alles ist eindeutig durch Ursachen bestimmt. (heute wegen Quantenmechanik etc. nicht mehr populär) Kant 1. Ein vernünftiges Wesen kann sich nur als frei denken (99–101). Mehr noch: Als Vernunftwesen haben wir guten Grund, uns als frei zu denken. Denn die Vernunft ist ein Vermögen, das völlig unabhängig vom “Input” aus der Sinnlichkeit ist (107–109). Unsere Vernunft ist ein Vermögen spontaner Selbsttätigkeit. 2. Wenn wir uns als frei denken, dann nehmen wir einen anderen Standpunkt ein als den, den wir einnehmen, wenn wir die Welt zu erkennen versuchen (105). Ding an sich – Erscheinung Kant: Wir erkennen die Dinge nur so, wie sie sich uns darbieten, als Gegenstände möglicher Erfahrung, d.h. als Erscheinung. Wir können aber nicht davon ausgehen, dass die Dinge an sich wirklich so sind, wie sie sich uns darbieten (105–110). Beispiel: Dinge sind uns stets in Raum und Zeit gegeben. Kant: Raum und Zeit sind aber Formen unserer Anschauung, kein Bestandteil der Welt. Dinge an sich: Dinge, so wie sie unabhängig von uns, von unseren Anschauungsformen sind. Freiheit und Determinismus Kant: In der Welt der Erscheinungen mag ein kausaler Determinismus gelten: Alles ist durch Ursachen bestimmt. Daraus folgt aber nicht, das unser Wille als Ding an sich nicht frei ist! Auflösung der dritten Antinomie Kritik der reinen Vernunft Bild Dinge an sich Willensentscheidung Folgen der Handlung Willensentscheidung Folgen der Handlung Erscheinungen Neigungen Bild Ding an sich Ich Frei und nur dem kategorischen Imperativ unterworfen Erscheinung Durch Neigungen und die Sinnlichkeit bestimmt Spannung: Nötigung Heute Weiterhin großes Interesse an internalistischen Moralbegründungen im Anschluss an Kant (Beispiel: Christine Korsgaard). Ideen: - Nur wer moralisch handelt, handelt wirklich frei. - Wer moralische Pflichten verletzt, missachtet Rationalitätsforderungen, die konstitutiv für jedes Handeln sind, und handelt daher nicht mehr im Vollsinn des Wortes “Handeln”. - Wer moralische Pflichten verletzt, der ist praktisch unvernünftig. Zusammenfassung Vorlesungen 8 und 9 Wir haben: 1. geklärt, was ein kategorischer Imperativ ist (8.1) 2. die Hauptfassungen des kategorischen Imperativ kennengelernt (8.2.) 3. Kritik am kategorischen Imperativ diskutiert (9.1.) 4. Kants Moralphilosophie mit dem Utilitarismus verglichen (9.2.) 5. Kants Begründung des kategorischen Imperativ kennengelernt (9.3). Test: Was wissen Sie? 1. Erklären Sie den Begriff des kategorischen Imperativ! 2. Nennen Sie unterschiedliche kategorischen Imperativ. Formulierungen des 3. Erläutern Sie an einem Beispiel, wie der kategorische Imperativ in der Praxis als Richtschnur unseres Handelns funktionieren soll! 4. Vergleichen Sie Kants Moralphilosophie mit dem Utilitarismus! 5. Skizzieren Sie, wie Kant den kategorischen Imperativ begründet! 6. Welche Einwände kann man gegen die Ethik des kategorischen Imperativ erheben? Wie könnte Kant diesen Einwänden widersprechen? Literatur I. Kant, Werke, herausgegeben von W. Weischedel, Band VII, Frankfurt am Main 1974, Seitenangaben nach der Originalausgabe Einführungen: S. Darwall, Philosophical Ethics, Boulder 1998, Kapitel 15 und 16. Th. E. Hill jr., Kantianism, in: H. LaFollette (Hrsg.), Ethical Theory, 227–246 O. O'Neill, Constructions of Reason. Explorations of Kantian Practical Philosophy, Cambridge 1989, darin besonders: Consistency in Action D. Birnbacher, Analytische Einführung in die Ethik, Berlin 2003 Literatur Kommentare: C. Horn, C. Mieth und N. Scarano, Immanuel Kant. Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, Frankfurt am Main 2007 O. Höffe (Hrsg.), Kant: Grundlegung zur Metaphysik der Sitten. Ein kooperativer Kommentar. Frankfurt am Main 2000 (dritte Auflage) D. Schönecker und A. Wood, Kants “Grundlegung zur Metaphysik der Sitten”. Ein einführender Kommentar, Paderborn etc. 2002