Rezidivhörstürze als Manifestation einer hereditär bedingten

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5. DGA Jahrestagung 2002
Rezidivhörstürze als Manifestation einer hereditär bedingten
Schwerhörigkeit durch Connexin 26 Mutation?
D. Nekahm -Heis1 , A.R. Janecke2
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Klinische Abteilung für Hör-, Stimm- und Sprachstörungen; 2Institut für Medizinische Biologie und Humangenetik;
Leopold-Franzens Universität Innsbruck
Einleitung
In den letzten Jahren wurden viele neue Erkenntnisse
über genetische Hörstörungen durch die En tschlüsselung
des menschlichen Genoms gewonnen. Derzeit werden
etwa 100 Gene diskutiert, die für eine Hörstörung verantwortlich sein können. Der Anteil genetischer Ursachen
bei Hörstörungen wird in der Literatur mit 40% (van Camp
et al. 1997) angegeben. Mutationen im Connexin 26 (Cx26)
Gen sind die häufigste Ursache einer kongenitalen sensorineuralen Schwerhörigkeit (SNHL) ohne assoziierte Sy mptome und sind für etwa 10 – 20 % aller prälingual auftretenden Hörstörungen verantwortlich (Denoyelle et
al.1997, Kelley et al. 1998, Estivill et al. 1998), in der Regel
folgen sie dem autosomal rezessiven Erbgang.
Das Connexin 26 Gen (Cx26) kodiert ein "Gap Junction" Protein, GJB2, welches u.a. in der Cochlea exprimiert
wird und dem interzellulären Ionenaustausch dient. In
verschiedenen Populationen wurde die Mutation 35delG
mit 30 bis 80 % aller Cx26 Mutationen als häufigste Mutation identifiziert (Denoyelle et al. 1997; Zelante et al. 1997;
Gasperini et al. 2000).
Bei einer Screening - Untersuchung auf die Häufigkeit
der 35delG Mutation in der Tiroler Bevölkerung fand sich
eine Trägerrate von 1:111 (0,9 %) bei 1120 untersuchten
Proben (Löffler et al. 2001). Diese Rate liegt unter den in
der Literatur beschriebenen Raten der Nachbarländer
(Estivill et al. 1998, Gasperini et al. 2000). Basierend auf
den Mutationsdaten bei Tiroler Patienten mit nicht syndromaler sensoneuraler Schwe rhörigkeit ergibt sich eine
Trägerfrequenz aller Cx26-Mutationen von etwa 1/50. Als
zweithäufigste Mutation wurde bei unseren Patienten die
Mutation L90P gefunden.
In unserem Patientengut ließen sich bei einem jetzt 44
jährigen Patienten mit Rezidivhörstürzen am linken Ohr
und einem jetzt 13 jährigen Knaben mit audiometrisch
dokumentiertem Hörsturz im Alter von 7 Jahren Cx26Mutationen nachweisen.
Molekulargenetische Methoden
Die kodierende Region des Cx26-Gens wurde mit publizierten Methoden (polymerase chain reaction PCR, single strand confirmation polymorphism SSCP, Sequenzierung) untersucht. Diese Untersuchung hat eine Mutationsnachweisrate von ca. 95 %.
Fallbeispiel.
Es handelt sich um einen jetzt 44 jährigen Mann
M.KH., der an unserer Klinik seit November 1999 in regelmäßiger Kontrolle steht.
Anamnese:
Seit dem Jugendalter sei eine geringgradige SNHL bekannt, wobei zunächst das rechte Ohr stärker als das linke
betroffen gewesen sei. Im Alter von etwa 14 Jahren erhielt
der Patient offenbar nach einem Hörsturz eine Infusionstherapie mit Eupaverin; er sei seit dem 15. Lebensjahr mit
Hörgeräten versorgt. Zunächst habe er die Hörgeräte
beidseits getragen, nach einigen Jahren nur mehr eines am
rechten Ohr.
In der Familie sind auch Hörstörungen bekannt (siehe
Abb.1): Ein bei einem Unfall verstorbener Bruder sei von
Geburt an gehörlos gewesen, die verstorbene Mutter und
ein verstorbener Halbbruder waren anamnestisch auch
hörgestört, ebenso ein Cousin mütterlicherseits. Auch der
Vater höre schlechter, ebenso eíne Schwester, die einen
Hörsturz auf dem rechten Ohr erlitten habe.
Der Stellenwert von Cx26-Mutationen bei Patienten
mit Hörsturz wurde bisher nicht erfasst.
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Abb: 1: Stammbaum der betroffenen Familie
Befunde.
Im Erwachsenenalter erlitt der Patient aufgrund seiner
Angaben bisher insgesamt fünfmal einen Hörsturz auf der
linken Seite, der jeweils mit vasoaktiver Infusionstherapie
und Cortison behandelt wurde. Es kam immer wieder zu
Teilremissionen.
Seit Dezember 1999 beschreibt der Patient auch eine
rezidivierend vestibuläre Symptomatik mit Drehschwindel,
Übelkeit und Erbrechen, Dauer über einige Stunden bis 2 3 Tage, zusätzlich komme es zu Sekundenschwindel bei
extremen Kopfpositionen.
Es fand sich ein unauffälliger HNO-Status, insbesondere die Ohrmikroskopie zeigte beidseits reizlos gespannte Trommelfelle.
Eine Auswahl relevanter Tonaudiogramme ist in Abb.
2 dargestellt. (Die Hörschwelle der Knochenleitung entspricht jeweils der Luftleitung und wurde zur besseren
Übersichtlichkeit auf der Abbildung nicht eingezeichnet.)
Bei der letzten klinischen Kontrolle bestand eine asymmetrische Schwerhörigkeit mit schräg abfallender Hörschwelle - rechts mittelgradig, links hochgradig. Im Harnstofftest ergab sich keine Änderung des Audiogramms
nach oraler Gabe von Harnstoff.
Abb: 2: Tonaudiogramm des betroffenen Patienten
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Sprachaudiogramm: Hörverlust für Zahlen rechts 30
dB, links 75 dB, maximale Verständlichkeit für Einsilber
rechts 100 % bei 90 dB, links 50 % bei 110 dB.
Hirnstammaudiometrie: Es waren bei Beschallung
rechts mit 80dB nHL und bei Beschallung links mit 90 dB
nHL Potentiale ableitbar.
Die transitorisch evozierten otoakustischen Emissionen waren beidseits nicht nachweisbar.
Impedanzaudiometrie: Die Tympanometrie war beidseits ungestört, 1999 war der Stapediusreflex ipsilateral
beidseits vorhanden.
Vestibulometrie: kein Spontan- oder Provokationsnystagmus, 1999 kalorisch geringfügige Untererregbarkeit
des linken Labyrinths, bei Vorbefunden aus 1988, 1993
und 1994 kalorisch seitengleich erregbar.
Bildgebende Verfahren:
Bei der Hochauflösungs-Computertomographie der
Felsenbeine und einer Magnetresonanztomographie von
Felsenbein und Kleinhirnbrückenwinkel wurde kein auffälliger Befund beschrieben.
Bei der Röntgenuntersuchung der Halswirbelsäule waren keine wesentlichen degenerativen Veränderungen zu
sehen, es bestand jedoch eine Fehlhaltung mit Streckhaltung und Hypomotilität der Halswirbelsäule.
Laborchemie: Hypercholesterinämie, Hypertriglyceridämie, latente Hypothyreose, sonst kein auffälliger Befund.
Serologie: kein auffälliger Befund
Eine neurologische und eine ophthalmologische Untersuchungen ergaben keine auffälligen Befunde.
Bei der molekulargenetischen Abklärung war das Vo rliegen der beiden Cx26 Mutationen 35delG und L90P,
jeweils in heterozygoter Form zu ermitteln.
Befunde der Angehörigen.
Bei dem 1920 geborenen Vater des Patienten, M.H.
(II/1 in Abb. 1) liegt eine mittel- bis höhergradige SNHL
vorwiegend im Hochtonbereich vor (Abb. 3a), molekulargenetisch wurde eine 35delG Mutation in heterozygoter
Form nachgewiesen. Bei der um 9 Jahre älteren Schwester,
L.C. (III/1 in Abb.1) besteht rechts eine mittelgradige,
links eine geringgradige SNHL, Zustand nach Hörsturz
rechts (Abb. 3b). Bei ihr wurde eine L90P Mutation in
heterozygoter Form nachgewiesen. Bei beiden Angehörigen konnte bisher keine zweite Mutation ermittelt werden.
Die Ätiologie der SNHL bei Vater und Schwester des
betroffenen Patienten bleibt damit ungeklärt.
Abb. 3a: Tonaudiogramm des Vaters
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Abb. 3b: Tonaudiogramm der Schwester
Diskussion
sache ermittelt werden, ein Zusammenhang mit der Cx26
Mutation erscheint wahrscheinlich.
Bei dem Patienten liegt eine asymmetrische SNHL mit
Erstmanifestation im Kindes- bis Jugendalter und Progredienz am linken Ohr vor. Aufgrund der Familienanamnese
und der molekulargenetischen Untersuchung kann davon
ausgegangen werden, dass die Hörstörung hereditär ist.
Offensichtlich kann sich eine durch Cx26 Mutation bedingte Schwerhörigkeit auch durch Rezidivhörstürze manifestieren.
Für diese Annahme spricht auch ein zweiter Fall aus
unserem Patientenkollektiv. Bei einem 13-jährigen Knaben, der im Alter von 7 Jahren einen audiometrisch dokumentierten Hörsturz mit nahezu kompletter Remission
erlitt, wurden ebenfalls die Mutationen 35delG/L90P
nachgewiesen. Dieser Knabe wurde als Angehöriger
eines 6-jährigen Kindes mit permanenter mittelgradiger
Schwerhörigkeit molekulargenetisch untersucht (Janecke
et al., in Druck).
Die vestibuläre Symptomatik des Patienten M.KH., die
als Morbus Ménière links zu beschreiben ist, begann im
Dezember 1999. Ob diese ebenfalls auf die Cx26 Mutation
zurückzuführen ist, muss offen bleiben, da es in der Literatur bisher keinen sicheren Zusammenhang mit dem Auftreten eines Morbus Ménière gibt.
Hörstörungen aufgrund von Cx26 Mutationen können
- sogar innerhalb einer einzigen Familie- in unterschiedlicher Ausprägung auftreten. Weiters können Zeitpunkt
der Manifestation und Zeitverlauf stark variieren.
Nach Angaben in der Literatur weist ein Großteil der
Betroffenen eine an Taubheit grenzende Schwerhörigkeit
auf, dennoch finden sich aber auch Hörstörungen geringeren Ausmaßes (Denoyelle et al. 1999, Löffler et al. 1999).
Auch progrediente Formen von Schwerhörigkeit werden
beschrieben (Cohn et al. 1999).
Schlussfolgerungen
Weitere molekulargenetische Untersuchungen bei Patienten mit Hörsturz, insbesondere mit rezidivierenden
Hörstürzen sind erforderlich, um die Wirkungsweise der
verschiedenen Gene und ihrer Mutationen besser interpretieren zu können. Ein einzelnes Fallbeispiel kann erst in
Zusammenschau mit weiteren Erkenntnissen über die
Symptomatik und das Zusammenwirken verschiedener
genetischer Faktoren endgültig interpretiert werden. Ein
Zusammenhang zwischen Hörsturz und Cx26 Mutation
erscheint aber durchaus möglich. Daher sollte bei Auftreten eines Hörsturzes unbedingt eingehend nach Hörstörungen in der Familie gefragt werden.
Wilcox et al. (2000) beschreibt drei weitere Patienten
mit den beiden Cx26 Mutationen 35delG/L90P, jeweils in
heterozygoter Form, die auch bei dem dargestellten Patienten nachweisbar waren. In zwei Fällen habe eine Hochtonschwerhörigkeit, in einem Fall eine mittelgradige sensoneurale Schwerhörigkeit vorgelegen.
Über Hörstörungen, bedingt durch Cx26 Mutationen,
die erst im Erwachsenenalter auftreten und/oder sich als
Hörstürze manifestieren, gibt es bislang keine dokume ntierten Ergebnisse. Für die wiederholten Hörstürze des
beschriebenen Patienten konnte bisher keine andere UrRezidivhörstürze als Manifestation einer hereditär bedingten Schwe rhörigkeit durch Connexin 26 Mutation?
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Literatur
Denoyelle F, Weil D, Maw MA, Wilcox SA, Lench NJ,
Allen-Powell DR, Osborn AH, Dahl HH, Middleton A,
Houseman MJ, Dode C, Marlin S, Boulila-ElGaied A,
Grati M, Ayadi H, BenArab S, Bitoun P, Lina-Granade
G, Godet J, Mustapha M, Loiselet J, El-Zir E, Aubois
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Estivill X, Fortina P, Surrey S, Rabionet R, Melchionda S,
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Gasparini P, Rabionet R, Barbujani G, Melchionda S, Petersen M, Brondum-Nielsen K, Metspalu A, Oitmaa E,
Pisano M, Fortina P, Zelante L, Estivill X (2000) High
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European populations. Genetic Analysis Consortium
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Smith SD, Kimberling WJ (1998) Novel mutations in
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Löffler J, Nekahm D, Hirst-Stadlmann A, Gunther B, Menzel HJ, Utermann G, Janecke AR (2001) Sensorineural
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Zelante L, Gasparini P, Extivill X, Melchionda S,
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Surrey S, Fortina P (1997) Connexin 26 mutations associated with the most common form of nonsyndromic neurosensory autosomal recessive deafness (DFNB1) in Mediterraneans. Hum Mol Gen 6:
1605-1609.
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