Sascha Ragg: Ketzer und Recht. Die weltliche

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Sascha Ragg: Ketzer und Recht. Die weltliche Ketzergesetzgebung
des Hochmittelalters unter dem Einfluß des römischen und
kanonischen Rechts (= Monumenta Germaniae Historica. Studien
und Texte; Bd. 37), Hannover: Hahnsche Buchhandlung 2006,
XXXII + 303 S., ISBN 978-3-7752-5737-4, EUR 40,00
Rezensiert von:
Kathrin Utz Tremp
Staatsarchiv Freiburg
Normalerweise wird die hoch- und spätmittelalterliche
Ketzergesetzgebung von der kirchlichen Seite angegangen, vom
kanonischen Recht und vom inquisitorischen Prozedere her. Anders die
vorliegende Arbeit, eine Dissertation der Universität Konstanz (Prof.
Alexander Patschovsky). Sie geht von der weltlichen Seite aus und greift
dabei bis in die spätrömische Zeit zurück, wo sie denn auch fündig wird.
Die Tatsache, dass das Christentum im Verlauf des 4. nachchristlichen
Jahrhunderts Staatsreligion wurde, brachte mit sich, dass die häretischen
und schismatischen Bewegungen der Spätantike zu einem Problem des
Kaisers wurden. Dies führte dazu, dass die Strafen nicht nur religiösrepressiver, sondern auch materiell-repressiver Art (Konfiskation), und
insbesondere sozial-repressiver Art (Beschneidung der bürgerlichen
Rechte, Infamierung, Entzug des aktiven und passiven Wahlrechts)
waren. Was die physischen Strafmassnahmen betrifft, so reichten sie von
der öffentlichen Züchtigung (Codex Theodosianus) bis schliesslich zur
Todesstrafe (Codex Iustinianus). Hier tauchen denn auch bereits
"zahlreiche Regelungen und Sanktionen auf, denen man im später im
Hochmittelalter wieder begegnen wird. Güterkonfiskation, die
Beschneidung öffentlicher Rechte, Verbannung und körperliche Strafen
bis hin zum Todesurteil werden im Laufe des 12. und 13. Jahrhunderts
sukzessive in den kirchlichen und weltlichen Gesetzen gegen Häretiker
Eingang finden" (27f.). Ähnliches gilt für die Zauberei, die bereits in der
spätantiken Gesetzgebung der Häresie angenähert wurde. Insbesondere
wurden beide als öffentliche und als Majestätsverbrechen (crimen
publicum und crimen laesae maiestatis) betrachtet und geahndet. Damit
"erklärt sich auch die sonst im römischen Recht eher atypische Zulassung
von Denunzianten zur Anklage bei Häretikern und Zauberern" (29).
Die Entwicklung zur hochmittelalterlichen Ketzergesetzgebung war dann
freilich keine kontinuierliche, denn im frühmittelalterlichen Westeuropa
spielte die Häresie lediglich eine marginale Rolle, eine marginalere
jedenfalls als die Zauberei, die in den frühmittelalterlichen Volksrechten
(Leges) immerhin noch berücksichtigt wird. Das frühmittelalterliche Recht
hatte eher privatrechtlichen Charakter; "an die Stelle von
Strafmassnahmen im engeren Sinn, wie sie das römische Recht gekannt
hatte [...], traten nun Sühnemassnahmen", und zwar laut einem
Kompositionensystem, "das Vergehen mit Busszahlungen ahndete, die
sich in ihrer Höhe nach dem entstandenen 'Schaden' richteten" (37f.).
Der weltlich-repressive Strafkatalog, der sich in der Spätantike für
Häretiker herausgebildet hatte, geriet im Lauf des Frühmittelalters
weitgehend in Vergessenheit. Dies erklärt denn auch die Unsicherheit der
geistlichen und weltlichen Autoritäten im Umgang mit der Häresie, als
diese im 11. Jahrhundert wieder auftauchte und rein kirchliche
Sanktionen (Exkommunikation, Kerkerhaft etc.) zur Disziplinierung nicht
mehr ausreichten (53f.).
Bis etwa 1140 herrschten bei der Bekämpfung der Häresie religiösoppressive und sozial-präventive Massnahmen vor. Das Eingreifen des
weltlichen Arms wurde - noch - ausdrücklich abgelehnt. Als die Häresien
allmählich die Gestalt von Massenbewegungen annahmen, wurden, seit
der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts, auch die weltlichen Autoritäten
zum Vorgehen gegen Ketzer verpflichtet. Zu Hinrichtungen kam es nur
auf Befehl weltlicher Machthaber in politisch motivierten Fällen (Orléans
1022, Montforte 1028). Im Dekret Gratians wurden kurz vor der Mitte des
12. Jahrhunderts weltlich-repressive Massnahmen erstmals wieder
gerechtfertigt und mit ihrer Ausführung der weltliche Arm beauftragt. Ob
bereits Gratian die Todesstrafe für die Häretiker befürwortete, ist in der
Forschung umstritten, doch kam diese erst seit den 1230er Jahren im
italienischen Bereich häufiger zur Anwendung. Auf jeden Fall aber
initiierte das Dekret den Paradigmenwechsel im Umgang mit den Ketzern,
der die Folgezeit kennzeichnete und insbesondere im 13. Jahrhundert
zum Tragen kam.
Zu einer ersten Systematisierung der Ketzergesetzgebung kam es 1215
auf dem IV. Laterankonzil. Dieses "verurteilte alle Arten von Häresie,
schloss die Ketzer aus der Gemeinschaft der Gläubigen aus, überstellte
sie dem weltlichen Arm zur angemessenen Bestrafung (animadversio
debita) und sah für sie die Konfiskation ihres Besitzes (Laien) bzw. den
Einzug ihrer Pfründen (Geistliche) vor" (68f.), eine wichtige Grundlage für
die Ketzergesetzgebung Kaiser Friedrichs II. (1220–1250). Dazu gesellte
sich die Einführung der Ketzerinquisition unter Papst Gregor IX. (1227–
1241), bei der "erstmals die Ermittlungen, die Verhandlungsführung und
die Verurteilung von Ketzern in einer Hand vereinigt wurden" (73). Das
Verfahren konnte sich erst nach der Mitte des 13. Jahrhunderts
etablieren, nachdem die päpstliche Inquisition sich von der bischöflichen
abgegrenzt hatte und verbindliche Buss- und Strafkataloge aufgestellt
worden waren. Erst unter Papst Innozenz IV. (1243–1254) wurde dann
auch noch die Anwendung der Folter in die Ketzergesetzgebung
aufgenommen (in der Dekretale Ad extirpanda von 1252). Diese bildete
"den vorläufigen Endpunkt einer Entwicklung, die rund 250 Jahre zuvor
mit dem Auftauchen der ersten hochmittelalterlichen Ketzer eingesetzt
hatte" (96). Diese bestand darin, dass der weltliche Arm bei der
Ketzerverfolgung mit in die Pflicht genommen und das Spektrum der
Gegenmassnahmen zunehmend mit weltlichen Strafen ergänzt wurde.
Ihre Weiterentwicklung verdankt die kirchliche Ketzergesetzgebung der
Rechtswissenschaft, die "durch ihre Auseinandersetzung mit dem
römischen Recht und den spätantiken Ketzergesetzen den
Massnahmenkatalog der römischen Kaiser gegen Häretiker zur Verfügung
stellte (Infamie, Güterkonfiskation, crimen maiestatis)" (98f.). Durch den
Beizug des weltlichen Armes eröffnete sich freilich ein neues Konfliktfeld
im Kampf zwischen Papst und Kaiser und wurde die Häresieverfolgung
recht eigentlich politisiert: sie konnte nun auch zu anderen Zwecke
eingesetzt werden als zur Erhaltung des reinen Glaubens. Indem es in die
Hände von Herrschaftsträgern geriet, wurde das Häresiedelikt
instrumentalisiert. Dies zeigte sich vor allem in Italien, wo Kaiser und
Papst mit dem Instrument der Häretikerverfolgung die Kontrolle über die
Kommunen zurückzugewinnen versuchten. "Der Rückgriff auf
Rechtsfiguren der römischen Kaiserzeit wertete im Prinzip auch die
Stellung des mittelalterlichen Kaisertums bei der Ketzerbekämpfung
auf" (123) und führte damit zur Konfrontation zwischen Kaiser- und
Papsttum. In den Jahren 1227 und 1239 wurde Kaiser Friedrich II. selber
von Papst Gregor IX. als Ketzer exkommuniziert! Im Jahr 1231 erliess
Gregor IX. Ketzerstatuten für Rom, in denen implizit die Todesstrafe für
hartnäckige Ketzer gebilligt wurde, und im gleichen Jahr promulgierte
Friedrich II. für Sizilien die so genannten Konstitutionen von Melfi. Darin
wurde das Häresiedelikt mit dem Majestätsverbrechen gleichgesetzt und
entsprechend mit der Todesstrafe geahndet.
Das Buch von Ragg zeichnet aus, dass es die Ketzergesetzgebung, wie sie
sich bis zum Ende des Hochmittelalters entwickelte, entschieden von der
weltlichen Seite angeht und damit einiges (Majestätsverbrechen,
Todesstrafe) erklären kann, das bisher, da man vom kanonischen Recht
ausging, nicht ohne weiteres zu verstehen war. Sein Verdienst ist es,
aufgrund der Legislation eine sichere Grundlage geschaffen zu haben; der
Nachteil ist vielleicht eine gewisse Praxisferne, doch ist es an der
künftigen Forschung, hier Brücken zu schlagen.
Redaktionelle Betreuung: Jürgen Dendorfer
Empfohlene Zitierweise:
Kathrin Utz Tremp: Rezension von: Sascha Ragg: Ketzer und Recht. Die weltliche
Ketzergesetzgebung des Hochmittelalters unter dem Einfluß des römischen und
kanonischen Rechts, Hannover: Hahnsche Buchhandlung 2006, in: sehepunkte 7
(2007), Nr. 10 [15.10.2007], URL: <http://www.sehepunkte.de/2007/10/11403.
html>
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