Der Chirurg Zeitschrift für alle Gebiete der operativen Medizin Organ des Berufsverbands der Deutschen Chirurgen e.V. (BDC), der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie (DGCh) und der Deutschen Gesellschaft für Viszeralchirurgie (DGVC) Elektronischer Sonderdruck für H. Gollwitzer Ein Service von Springer Medizin Chirurg 2010 · 81:284–292 · DOI 10.1007/s00104-009-1845-2 © Springer-Verlag 2010 zur nichtkommerziellen Nutzung auf der privaten Homepage und Institutssite des Autors H. Gollwitzer · R. von Eisenhart-Rothe · B.M. Holzapfel · R. Gradinger Revisionsendoprothetik Hüftpfannenwechsel www.DerChirurg.de Leitthema Chirurg 2010 · 81:284–292 DOI 10.1007/s00104-009-1845-2 Online publiziert: 17. März 2010 © Springer-Verlag 2010 H. Gollwitzer1 · R. von Eisenhart-Rothe1 · B.M. Holzapfel2 · R. Gradinger1 1 Sektion Endoprothetik und rekonstruktive Hüft- und Kniegelenkschirurgie, Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie, Klinikum rechts der Isar der Technischen Universität München 2 Zentrum für Muskuloskelettale Forschung, Orthopädische Klinik König-Ludwig-Haus, Lehrstuhl für Orthopädie der Universität Würzburg Revisionsendoprothetik Hüftpfannenwechsel Die guten Ergebnisse der Hüftendoprothetik führten zu einer Ausweitung der Indikationen auf jüngere und aktive Patienten. In der Folge ist eine rasch steigende Zahl an Primär-, Revisions- und Mehrfachwechseloperationen zu beobachten. Auch die Erwartungen der Patienten an Lebensqualität und Aktivität nach einer Austauschoperation des Hüftgelenks sind hoch. Die gestiegenen Anforderungen erfordern ein Revisionskonzept mit guten Standzeiten und der Rekonstruktionsmöglichkeit auch ausgedehnter Knochendefekte. Herausforderung Pfannenlockerung Laut Qualitätsreport des Instituts für Qualität und Patientensicherheit (BQS) liegt die durchschnittliche jährliche Stei­ gerung der in Deutschland durchgeführ­ ten Wechseloperationen am Hüftgelenk bei 6% pro Jahr [3]. Für das Jahr 2008 wurden in Deutschland 23.228 Prothesen­ wechsel verzeichnet. Bei ca. 77% der Fälle muss ein Pfannenwechsel vorgenommen werden [18], somit ist in Deutschland von ca. 17.900 Pfannenwechseln jährlich aus­ zugehen. Bei der Lockerung von Hüftpfannen kommt es häufig zu einer Wanderung der Pfanne nach kranial und medial, welche mit einer Knochenresorption einhergeht und zu Knochendefekten im Pfannenla­ ger führt. Um eine anatomische und bio­ logienahe Rekonstruktion zu erreichen, müssen die folgenden Ziele angestrebt werden: FWiederherstellung des Drehzent­ rums, FPrimärstabilität im vitalen autochtho­ nen Knochen, FSekundärstabilität durch knöchernes Einwachsen und FRekonstruktion des Knochenlagers. Operationsplanung Die Operationsplanung ist entscheidend für den Erfolg der Austauschoperation. Grundlagen sind der Ausschluss einer Infektion, die Kenntnis des einliegenden Implantats, die Bereithaltung von Wech­ selköpfen mit passendem Konus, die Ana­ lyse des Knochendefekts, sowie die Pla­ nung der Rekonstruktion unter Beach­ Tab. 1 Radiologische Kriterien zur Analyse azetabulärer Knochendefekte. (Mod. nach [12]) Radiologisches Kriterium Lyse des Os ischium >15 mm Kraniale Migration >20 mm Destruktion der Köhler-Tränenfigur Unterbrechung der Köhler-Linie 284 | Der Chirurg 4 · 2010 Anatomisches Korrelat Posteriore Säule insuffizient Verlust der superioren Begrenzung Verlust der mediokaudalen Wand Anteriore Säule insuffizient tung zusätzlicher Risiken und Begleiter­ krankungen. Ausschluss einer Infektion Um eine periprothetische Infektion aus­ zuschließen erfolgt neben der Anam­ neseerhebung und klinischen Untersu­ chung eine laborchemische Abklärung. Während der Nachweis normaler Leu­ kozytenzahlen eine Infektion nicht aus­ schließt, machen ein normwertiges C-re­ aktives Protein (Grenzwert: <0,5 mg/dl) sowie eine normale Blutkörperchensen­ kung (<20 mm/h) eine Infektion unwahr­ scheinlich. Der nächste Schritt ist die dia­ gnostische Gelenkpunktion. Das Punktat sollte auf aerobe und anaerobe Bakterien (Inkubation über mindestens 10 Tage) als auch auf Pilze untersucht werden. EBei hoher Spezifität liegt die Sensitivität der mikrobiologischen Untersuchung des Gelenkpunktats trotz sofortiger und verlängerter Inkubation nur bei ca. 82% [17]. Wertvolle Informationen liefert die Zell­ zahlbestimmung aus dem Gelenkpunk­ tat (in EDTA). Leukozytenzahlen unter 1700/μl mit einem Anteil von weniger als 65% neutrophilen Granulozyten sprechen nach derzeitiger Datenlage bei nicht rheu­ matischen Patienten mit über 90%iger Ge­ nauigkeit gegen eine Infektion [20]. Nu­ klearmedizinische Untersuchungen kön­ nen im Zweifelsfall zusätzliche Informa­ tionen liefern. Kann eine Infektion trotz Leitthema Abb. 1 9 a Beckenübersicht einer gelockerten Pfanne links mit kranialer und medialer Migration sowie Unterbrechung der Köhler-Linie als Hinweis auf eine insuffiziente anteriore Säule und gleichzeitig superioren Knochendefekt. b Defektangepasste anatomische Rekonstruktion des Typ-III-Defekts mit Kranialpfanne und Lasche sowie zentralem Knochenaufbau mit resorbierbarem keramischem silikathaltigem Knochenersatz Abb. 2 8 a Beckenübersicht einer gelockerten Pfanne bei ausgedehnter Metastase eines Nierenzellkarzinoms. b Zugehöriges 3-D-Beckenmodell. c, d Maßangefertige Beckenprothese. e Rekonstruktion mit Individualprothese bei Beckendiskontinuität nach Metastasenresektion alledem nicht sicher ausgeschlossen wer­ den, so sollte der zweizeitige Wechsel er­ folgen [8]. Analyse und Klassifikation des Knochendefekts Die präoperative Analyse des Knochen­ defekts bildet die Voraussetzung für die Wahl des Rekonstruktionsverfahrens. Als Grundlage dient eine Röntgenübersichts­ aufnahme des Beckens. Verschiedene ra­ 286 | Der Chirurg 4 · 2010 diologische Kriterien können zur Beurtei­ lung der Pfannenzirkumferenz herange­ zogen werden (.Tab. 1, .Abb. 1). Ein Vergleich mit Voraufnahmen kann mög­ liche Ursachen des Implantatversagens identifizieren. Zur genauen Lokalisati­ on von Schrauben und Platten, zur Rota­ tionsanalyse eines fest integrierten Fe­ murstiels sowie zum Ausschluss einer Be­ ckendiskontinuität kann eine Computer­ tomographie notwendig werden. Bei sehr ausgedehnten Knochendefekten kann mithilfe einer CT­Untersuchung über das sog. „rapid prototyping“ (schnelle Proto­ typentwicklung) ein 3­dimensionales Be­ ckenmodell erstellt werden, welches eine exakte 3­D­Visualisierung, Prothesenpla­ nung sowie eine Probeimplantation am Modell ermöglicht (.Abb. 2) [1]. Klassifikation der Knochendefekte Verschiedene Klassifikationen azetabu­ lärer Knochendefekte finden regelmäßig Zusammenfassung · Abstract Anwendung. Allerdings korrelieren die intraoperativen Befunde nicht immer mit der radiologisch bestimmten Defektklas­ sifikation, sodass man intraoperativ auf Erweiterungen vorbereitet sein muss. Wir verwenden vorrangig die Klassifi­ kation der AAOS nach D’Antonio et al. [5], da sie unserer Erfahrung nach eine thera­ peutische Konsequenz bietet und eine di­ rekte Korrelation mit den Revisionsstra­ tegien erlaubt (. Abb. 3, . Tab. 2). Wei­ tere verbreitete Klassifikationen sind ins­ besondere die Klassifikation nach Papros­ ky [12] und die Klassifikation der DGOT [2] (s. Beitrag von Rudert et al. in diesem Heft). Alleiniger Pfannenwechsel: Analyse des einliegenden Stielimplantats Kann nach Beurteilung der Röntgenbilder und intraoperativer Prüfung von einem stabil fixierten Stiel ausgegangen werden, ergeben sich für den Pfannenwechsel be­ sondere Voraussetzungen. Für die Ent­ scheidung zur Belassung des Stiels ist ins­ besondere die Rotation (Antetorsion oder Retrotorsion) bedeutend. Bei geringen Abweichungen kann über einen Aufbau mit gewinkeltem Konus, exzentrischen Köpfen bzw. asymmetrischen Inlays eine stabile Situation erreicht werden. Im Hin­ blick auf die Luxationssicherheit sollte da­ bei jedoch kein Kompromiss eingegangen werden und bei nicht ausreichender Stabi­ lität ein kompletter Prothesenwechsel vor­ genommen werden. Bei Belassen des Stiels ist wesentliche Voraussetzung, dass Kopf- und Konus­ größe, und insbesondere bei älteren Stie­ len auch die Konussteigung, bekannt sind. Ist kein Implantatpass verfügbar, kann der OP-Bericht Auskunft über den implan­ tierten Stiel liefern. Teilweise kann wegen ungenauer Angaben in entsprechenden Dokumenten oder Verlust derselben nur eine Rückfrage beim Hersteller die höchst wahrscheinliche Klärung bringen. Mono-Bloc-Stiele können nur belassen werden, wenn deren Kopf keine Beschä­ digungen aufweist. Bei relevanten Schä­ den des Kopfes ist ein Austausch des be­ treffenden Mono-Bloc-Stiels vorzuziehen – es sei denn, dass reduzierter Allgemein­ zustand, geringe Beanspruchung oder ein hohes Risiko für eine iatrogene Knochen­ Chirurg 2010 · 81:284–292 DOI 10.1007/s00104-009-1845-2 © Springer-Verlag 2010 H. Gollwitzer · R. von Eisenhart-Rothe · B.M. Holzapfel · R. Gradinger Revisionsendoprothetik. Hüftpfannenwechsel Zusammenfassung Aktuell werden in Deutschland jährlich knapp 18.000 Wechseloperationen von Hüftpfannen durchgeführt, mit steigender Inzidenz. Ziele der Pfannenrevision sind die Wiederherstellung des anatomischen Drehzentrums, die Rekonstruktion des Knochenlagers sowie die zementfreie Primärstabilität des Revisionsimplantats im autochthonen Knochen zur sekundären dauerhaften Integration. Grundlage der Revisionsoperation sind eine präzise Operationsplanung mit Analyse und Klassifikation des Knochendefekts und ein darauf basierendes schlüssiges Therapiekonzept. Segmentale Defekte oder Pfannenlockerungen ohne Knochenverlust können mit Standardpfannen versorgt werden. Kavitäre Defekte – und insbesondere die häu- figen ovalären kranialen Defekte – erfordern die Verwendung von ovalären Pfannen oder Augmentaten zur Kaudalisierung des Drehzentrums. Kombinierte segmentale und kavitäre Defekte können mittels ovalärer Laschenpfannen primärstabil rekonstruiert werden, während eine Beckendiskontinuität eine primär stabile Verankerung im Os ilium mittels intramedullärem Stiel und lateraler Lasche erfordert. Defektspezifisch sind hierbei mittel- bis langfristige Standzeiten von mehr als 90% erreichbar. Schlüsselwörter Lockerung · Hüftendoprothetik · Knochen- defekt · Azetabulum · Pfannenwechsel Revision arthroplasty of the hip. Acetabular component Abstract Approximately 18,000 hip revision procedures of the acetabular component are performed annually in Germany with rising incidence. The aims of acetabular revision are reconstruction of the anatomic hip center, reconstruction of bone stock, cement-free primary stability of the revision implant in autochthonous bone and permanent secondary integration. Precise planning of the revision surgery is necessary with analysis and classification of the bone defects and reconstruction following a concise therapeutic concept. Cup loosening without bone loss as well as segmental bone defects can usually be reconstructed with standard implants. Cavity defects, es- pecially the common craniolateral defects, require the implantation of oval cups or augments to achieve anatomic reconstruction of the hip center. Combined segmental and cavity defects can be reconstructed using oval cups with craniolateral plates, whereas acetabular discontinuity requires stable fixation within the iliac wing by means of an intramedullary stem combined with an extramedullary plate. Middle and long term survival greater than 90% can be realized with the use of this therapeutic concept. Keywords Loosening · Hip arthroplasty · Bone defect · Acetabulum · Cup revision Der Chirurg 4 · 2010 | 287 Leitthema setzt. Dabei ist die defektangepasste Kom­ bination der Verankerungsprinzipien ent­ scheidend. So nimmt die Möglichkeit der Press-fit-Verankerung mit dem Grad des Knochendefekts ab, wobei die Defekte ei­ ne meist ovaläre Ausdehnung nach kra­ nial zeigen. Das Press-fit-Verfahren kann nur über einen geschlossenen azetabu­ lären Ring realisiert werden und funktio­ niert somit nicht bei der Beckendiskonti­ nuität (Defekt-Typ D’Antonio IV). Die Anwendung einer Lasche erhöht die Kipp- und Torsionsstabilität über asymmetrische Fixation am lateralen Aze­ tabulumrand. Ein zentraler Zapfen bringt eine zusätzliche stabilisierende Führung im Os ilium gegen multidirektionale Kipp­ momente. Reibschluss ist letztlich abhän­ gig von einer möglichst großen knöcher­ nen Kontaktfläche und der Rauigkeit der Implantatoberfläche. Abb. 3 8 Klassifikation azetabulärer Knochendefekte. (Mod. nach D’Antonio et al. [5]; s. auch Tab. 2) schädigung dagegen sprechen. Ferner muss bei Mono-Bloc-Stielen verifiziert werden, ob ein passendes Pfanneninlay verfügbar ist. Beim operativen Zugang ist dann zu beachten, dass der in situ bleibende Kopf bzw. Konus geschont wird. Dadurch kann die Versorgung der Pfanne deutlich er­ schwert sein. Im Hinblick auf das Design dürfen – insbesondere bei unterschied­ lichen Herstellern – nur bestimmte Im­ plantatkombinationen eingesetzt werden, d. h. Stiel, Kopf, Pfanneneinsatz und Me­ tallgehäuse dürfen nur bei entsprechender Zulassung miteinander kombiniert wer­ den. Dies trifft insbesondere bei Verwen­ dung keramischer Implantate zu. Risikoanalyse von Begleiterkrankungen und Begleitverletzungen Entsprechend der chirurgischen Grund­ prinzipien sollte eine präoperative Risi­ koabschätzung mit entsprechender logis­ tischer Planung (Blutkonserven, Intensiv­ station) durchgeführt werden. Bei Pfan­ nenprotrusionen ins kleine Becken kön­ 288 | Der Chirurg 4 · 2010 nen durch eine Angiographie und/oder eine Darstellung der ableitenden Harn­ wege mögliche Kompressionen und Per­ forationen aufgedeckt und z. B. über eine Ureterschienung intraoperative Kompli­ kationen vermieden werden. Behandlungsstrategie Revisionsimplantate Verschiedene Revisionsimplantate stehen zur Rekonstruktion azetabulärer Kno­ chendefekte zur Verfügung (. Tab. 3). Insgesamt sind die Ergebnisse der ver­ schiedenen Revisionsprinzipien nur schwer vergleichbar, da in der Literatur unterschiedliche Klassifikationen verwen­ det und die behandelten Defekte häufig nicht präzise klassifiziert wurden. Um ein knöchernes Einwachsen des Implantats zu ermöglichen, ist eine Pri­ märstabilität mit Mikrobewegungen <50 μm erforderlich [4, 13]. Als Veranke­ rungstechniken werden Schrauben, an­ formbare und anatomisch geformte La­ schen, Verankerungszapfen und die Pressfit-Verklemmung des Implantats einge­ EEine zementlose Pfanne sollte zumindest zu 50% der lasttragenden Oberfläche mit autochthonem Knochen bedeckt sein [10]. Grundsätzlich kann die Primärstabilität mit transfixierenden Schrauben erhöht werden. Allerdings ist eine langfristige Dauerstabilität nur durch direkte ossäre Integration des Implantats zu erreichen, da es sonst mittelfristig zur Überlastung der Schraubenverankerung und damit zum Versagen des Implantats kommt. Defektangepasste Rekonstruktion Basierend auf den genannten Erkenntnis­ sen sollten zementfreie Pfannenrevisions­ systeme eine defektangepasste Kombina­ tion der folgenden Prinzipien ermögli­ chen: FPress-fit-Verankerung, Fstrukturierte Oberfläche für eine ho­ he Primärstabilität und sekundäre In­ tegration, Fovaläre Form zur Kaudalisierung des Drehzentrums, FLaschen am Pfannenrand, Fintramedullärer Stiel zur Veranke­ rung im Os ilium und Fmodulare Kombinierbarkeit der ge­ nannten Charakteristika. Gemäß der etablierten Klassifikation nach D’Antonio et al. sind segmentale Defekte (Typ I) in der Regel mit Standardimplan­ taten stabil zu versorgen (. Tab. 2). Da die Pfannenzirkumferenz mit tragfähiger peripherer Begrenzung erhalten ist, wird aufgrund einer äquatorialen Kraftübertra­ gung die Implantation hemisphärischer Press-fit-Pfannen ermöglicht. Problematischer sind ovaläre und kombinierte Defekte (Typ II und III), die nach unserem Konzept mit einer der De­ fektform angepassten ovalären Pfanne zu versorgen sind. Rein ovaläre Pfannen oh­ ne Laschen sind für die Versorgung von Typ-II-Defekten, welche in der Regel kraniolateral anzutreffen sind, geeignet (. Tab. 2). Eine Rekonstruktion mit kra­ nialisiertem Drehzentrum ist aufgrund der schlechten biomechanischen Ergeb­ nisse nicht zu empfehlen. Liegen kombinierte Defekte vor, d. h. eine Kombination aus segmentalen und ovalären Defekten (Typ III), wird die Pri­ märstabilität der Pfanne durch eine lateral angebrachte Lasche erhöht (. Abb. 1). Über diese Lasche können Kompressi­ ons- und Abstützschrauben eingebracht werden. Beckendiskontinuität – Verklemmung im Os ilium Die größte Herausforderung besteht in der Versorgung von sog. Beckendiskonti­ nuitäten (D’Antonio Typ IV), die teilwei­ se erst intraoperativ erkannt werden. ­Dies bedeutet, dass man intraoperativ auf ei­ ne Beckendiskontinuität vorbereitet sein muss, wobei eine Systemlösung auf der Basis modularer Implantate wesentliche Vorteile bietet. >Auf eine Beckendiskontinui­tät muss man intraoperativ vorbereitet sein Bei Beckendiskontinuität kann eine Pri­ märstabilität über entsprechende in­ tramedulläre Stiele im Os ilium erreicht werden (. Tab. 2, . Abb. 4). Die stabi­ le Verankerung im Os ilium ist auch des­ halb so bedeutend, da trotz Osteosynthese eine sichere Wiederherstellung des Ring­ schlusses nicht zu erwarten ist und sog. Tab. 2 AAOS-Klassifikation azetabulärer Knochendefekte (mod. nach D’Antonio et al. [5]) und korrespondierendes Therapiekonzept Klassifikation I III Knochendefekt Periphere Defekte (anteriorer, posteriorer oder superiorer Pfannenrand) Zentraler Defekt (mediale Wand) Kavitäre bzw. ovaläre Defekte (vorderer oder hinterer Pfeiler, Pfannendach), mediale Wand intakt Kombinierte Defekte (I+II) IV Beckendiskontinuität II Therapie Standardpfanne Ovaläre Pfanne (z. B. Kranialpfanne) (Ovaläre) Pfanne mit Lasche (z. B. Kranialpfanne mit Lasche) Verankerung im Os ilium (z. B. Kranialpfanne mit Lasche und Stiel) Tab. 3 Revisionsimplantate zum zementfreien Wechsel gelockerter Hüftpfannen Revisionsimplantat Große Primärpfanne Abstützschale ohne Laschen Abstützschale mit Laschen Einteiliges überwiegend defektfüllendes Implantat Modulares überwiegend defektfüllendes Implantat Defektfüllende modulare Augmentate „cages“ ohne Iliumstiel hohe Versagensra­ ten von 30% und mehr aufweisen [11]. Bei hochgradiger Diskontinuität des Azetabulums wird der Rückzug auf indi­ viduell angepasste Spezialimplantate not­ wendig. Indiziert sind derartige Spezial­ implantate insbesondere dann, wenn auf­ grund großer Knochendefekte nur ei­ ne geringe Kontaktfläche zwischen Pfan­ ne und autochthonem Knochen zu er­ reichen und somit eine dauerhafte knö­ cherne Integration nicht zu erwarten ist. In diesen Fällen würde die Verankerung über Schrauben und intramedulläre Stie­ le mittelfristig versagen. In Kombination mit der fehlenden ventralen und dorsa­ len Abstützung kann in der Regel nur mit einer individuell ausgerichteten intrame­ dullären Finne im Os ilium stabil veran­ kert werden (. Abb. 2). Ist das Knochenlager im Os ilium der­ art aufgebracht, dass selbst eine Fixation über maßangefertigte Sonderimplantate nicht mehr möglich ist, bleibt als „salva­ ge procedure“ nur noch die Implantati­ on von sog. Megaköpfen. Die Metallköpfe mit 60–70 mm Durchmesser werden oh­ ne Pfanne in den Knochendefekt einge­ stellt und können nach Vernarbung eine einigermaßen belastbare Extremität her­ stellen. Beispiel Jumbopfanne Hakendachschale Burch-Schneider-Ring LOR-Pfanne Kranialpfanne Trabecular metal Rekonstruktion des Knochenlagers Die biologische Wiederherstellung des azetabulären Knochens erlaubt eine Ver­ kleinerung von Knochendefekten (sog. „down grading“) und vereinfacht da­ durch einen evtl. später notwendig wer­ denden erneuten Revisionseingriff. Dabei kommen v. a. Autografts (Beckenkamm­ spongiosa, Raspeldebris) und Allografts (spongiöse und kortikospongiöse Kno­ chenchips) zur Anwendung. EBei der Auffüllung von Knochendefekten sollte kein Kompromiss in der primär stabilen Verankerung des Implantats im autochthonen Knochen eingegangen werden. Einschlägige Erfahrungen mit struktu­ rellen Allografts zeigten bei größeren Knochendefekten vom Typ III und IV schlechte Ergebnisse mit Lockerungsraten von 45–70% nach 2 bis 21 Jahren [7, 12, 15]. Ursache sind die ausbleibende Einheilung des Transplantats mit Nekrosen und Er­ müdungsbrüche, welche regelmäßig nach 5 bis 7 Jahren auftreten [6] und sekundär zur Instabilität des Implantats führen. Zu bevorzugen ist unseres Erachtens somit eine metallische Defektauffüllung im lasttragenden kranialen Knochenlager Der Chirurg 4 · 2010 | 289 Leitthema Abb. 4 9 a Beckendiskontinuität nach Explantation einer infizierten Hüftprothese (Typ IV nach D’Antonio). b Rekonstruktion mit Kranialpfanne mit Stiel und Lasche sowie Nagelstielprothese mit proximaler Metallspongiosa kombiniert mit einer biologischen Re­ konstruktion des Knochenlagers zentral und peripher. Transplantierte Knochen­ chips sollten nicht im lasttragenden Be­ reich, sondern als Füllmaterial kavitärer und zystischer Defekte zur Verbesserung der sekundären knöchernen Integration verwendet werden. Luxationsprophylaxe Im Vergleich zur primären Hüftendpro­ thetik zeigt sich das Luxationsrisiko nach Revisionen signifikant erhöht. Neben der postoperativen Orthesenversorgung ste­ hen asymmetrische Pfanneninlays, Groß­ köpfe und sog. Schnapppfannen („con­ strained liner“) zur Verfügung. Gerade bei ausgedehnten Knochendefekten vom Typ III und IV nach D’Antonio besteht bei der Verwendung von Schnapppfan­ nen ein erhöhtes Risiko der Lockerung durch übermäßige Hebelkräfte am noch nicht ausreichend integrierten Implantat. In einer Serie von Paprosky et al. mit 83 Patienten mit Typ­IIIb­Defekten (Papros­ ky­Klassifikation) traten bei Patienten mit Schnappinlay in 22% Pfannenlockerungen auf, verglichen mit nur 4% der Patienten mit Großköpfen. Ergebnisse Insgesamt erreichte die zementfreie Pfan­ nenrevision in großen Endoprothesen­ registern bessere Langzeitergebnisse als die zementierte Fixation [18]. Bei ze­ mentfreiem Pfannenwechsel und Kno­ chendefekten vom Typ I und II nach 290 | Der Chirurg 4 · 2010 D’Antonio wurden für verschiedene Re­ visionsimplantate und Standardpfannen gute bis sehr gute Ergebnisse mit Über­ lebensraten regelmäßig über 90% nach 10 Jahren beschrieben. Deutlich schlech­ ter hingegen sind die Langzeitergebnisse bei kombinierten Defekten (Typ III nach D’Antonio) und bei Beckendiskontinuität (Typ IV nach D’Antonio). Die meisten publizierten Daten gibt es zur Rekonstruktion mittels Burch­Schnei­ der­Ring mit Lockerungsraten zwischen 4 und 29% bei einem Follow­up von 5 bis 10 Jahren [21]. Schlechtere Ergebnisse zeigten sich bei größeren kombinierten Defekten. Auffallend war, dass zwar gu­ te bis sehr gute kurz­ und mittelfristige Ergebnisse zu beobachten waren, es aber nach einem Intervall von ca. 7 bis 10 Jah­ ren zu einer deutlich vermehrten Lo­ ckerungsrate kam. Exemplarisch sei ei­ ne Nachuntersuchung von Symeonides et al. angeführt, in der insgesamt 57 Burch­ Schneider­Ringe für einen Zeitraum von 5 bis 21 Jahren beobachtet wurden [19]. Als Beckendefekte wurden mit großer Mehr­ heit kombinierte Defekte vom Typ III nach D’Antonio versorgt. Zeigte sich nach 4 Jahren noch kein Implantat und nach 8 Jahren erst gut 10% der Prothesen gelo­ ckert, so fiel die kumulierte Überlebens­ rate der Implantate nach 14 Jahren auf un­ ter 62%. „Impaction bone grafting“ wurde als Alternative zur Rekonstruktion azetabu­ lärer und femoraler Knochendefekte ein­ geführt [16]. Die Herstellung eines stabilen Verbundsystems aus impaktierter Spon­ giosa, Knochenzement und zementierter Polyethylenpfanne setzt ein Containment bestehender Knochendefekte voraus; da­ her ist „impaction grafting“ auch nur für einen kleineren Teil an Pfannendefekten möglich. Die Rekonstruktion von „Non­ contained­Defekten“ ist zwar technisch mit zusätzlichen Metallnetzen bzw. Ab­ stützschalen möglich. Allerdings zeigte „impaction bone grafting“ bei höhergra­ digen Defekten vom Typ III und IV deut­ lich schlechtere Ergebnisse und wird nur für kleinere Defekte empfohlen [22]. Für die neu eingeführten Trabecular­ metal­Implantate liegen bisher nur kurz­ fristige Ergebnisse vor [9]. Neben den Vorteilen der modularen Technik und der guten Biokompatibilität der Implan­ tatmateralien werden insbesondere der „Interface­Abrieb“ zwischen modularem Keil und Pfanne sowie Mikrobewegungen zwischen Trabecular metal und dem häu­ fig additiv eingebrachten Knochenzement kritisch diskutiert. Mittel­ und langfristige Ergebnisse bleiben abzuwarten. In den eigenen Untersuchungen mit dem beschriebenen Kranialpfannensys­ tem konnten für azetabuläre Knochen­ defekte vom Typ II, III und IV nach D’Antonio nach mittelfristiger Nachun­ tersuchung von etwas mehr als 5 Jahren für alle Defektstufen Überlebensraten von mehr als 90% beobachtet werden [14]. Die Ergebnisse zeigen, dass das beschriebene Revisionskonzept eine stadiengerechte Therapie bei gelockerten Hüftpfannen er­ laubt und über das modulare System mit Zapfen und Lasche insbesondere bei aus­ gedehnten Knochendefekten und bei Be­ Lesetipp ckendiskontinuität (Typ III und IV) eben­ falls gute Ergebnisse zu erzielen sind. Fazit für die Praxis Pfannenlockerungen erfordern eine defektangepasste Rekonstruktionsstrategie. Intraoperative Erweiterungen wie die Behandlung der Beckendiskontinuität müssen beherrschbar sein, weshalb sowohl die operative Erfahrung als auch die logistischen Vorraussetzungen mit einem entsprechenden modularen Revisionssystem vorhanden sein müssen. Die anatomische Rekonstruktion des Drehzentrums sowie eine primär stabile Fixation des Revisionsimplantats im autochthonen Knochen ermöglicht eine permanente Integration mit guten funktionellen Ergebnissen und langen Standzeiten. Korrespondenzadresse PD Dr. H. Gollwitzer Sektion Endoprothetik und rekonstruktive Hüft- und Kniegelenkschirurgie, Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie, Klinikum rechts der Isar der Technischen Universität München, Ismaninger Straße 22, 81675 München [email protected] Interessenkonflikt. Der korrespondierende Autor gibt an, dass kein Interessenkonflikt besteht. Literatur 1. Ascherl R, Grundei H, Hartung I, Gradinger R (2006) Individualprothesen, Sonderanfertigungen. 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Bei einigen, auch kardiovaskulärchirurgisch versorgten Erkrankungen, scheint moderates Übergewicht die Überlebensrate paradoxerweise jedoch zu verbessern. Die Ausgabe 6/2009 der Zeitschrift „Gefässchirurgie“ fragt nach der Rolle von Adipositas und BMI in der Entwicklung von Gefäßkrankheiten und beleuchtet das therapeutische Ergebnis nach vaskulären Eingriffen. Das Heft enthält Beiträge u. a. zu diesen Themenschwerpunkten: F Endoskopische Venenentnahme zur Reduktion von Komplikationen F Ulcus cruris venosum beim Adipösen F Lipödem: Moderne Diagnostik und Therapie F Einfluss der Adipositas auf die Beinvenen Bestellen Sie diese Ausgabe zum Preis von EUR 42,00 zzgl. Versandkosten unter folgender Adresse: Springer Customer Service Center Kundenservice Zeitschriften Haberstr. 7 69126 Heidelberg Tel.: +49 6221-345-4303 Fax.: +49 6221-345-4229 E-Mail: [email protected] www.Gefaesschirurgie.Springer.de