Idealkristall / Realkristall

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Brigitte Osterath
Idealkristall / Realkristall
AC-F-Seminar
24.06.2004
Was ist ein Idealkristall ?
• gesamter Kristall über translatorische
Aneinanderfügung von Elementarzellen
darstellbar
• alle Atome auf ihrer „richtigen“
Gitterposition (strenge Fernordnung)
• Kristall ist unendlich ausgedehnt
• Entropie = Null (S = k· lnW)
• Röntgen-Diffraktogramm: unendlich
scharfe Reflexe
Aber: kann hypothetisch nur bei T = 0 K existieren!
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Der Realkristall
• nicht perfekt!
Warum existieren Defekte?
• besitzt eine Oberfläche
• Gitterschwingungen bei T > 0 K
• strukturelle Defekte
DG = DH - TDS
Anzahl von Defekten:
in „normalen“ Kristallen ca. 1%
Domänenstruktur eines
Einkristalls
in hochreinem Si: 10-10 %
1013 Fehlstellen/cm3 !
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Welche Art von strukturellen Defekten gibt es?
Man unterscheidet:
1.:
• stöchiometrische Defekte
• nicht-stöchiometrische Defekte
→ Zusammensetzung bleibt gleich
→ Zusammensetzung ändert sich
2.:
• intrinsische Defekte
• extrinsische Defekte
→ auch in reinen Materialien
→ durch Verunreinigungen / Dotierung
3.:
• Punktdefekte (0dimensional)
→ betrifft ein einzelnes Atom
• ausgedehnte Defekte
- Liniendefekte (1dim)
- Flächendefekten (2dim)
- Ausscheidungen etc. (3dim)
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Punktdefekte
Frenkel-Paar
(AgBr)
Schottky-Fehlstelle
(NaCl)
F-Zentrum
(NaCl)
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Ausgedehnte Defekte I: Versetzungen
→
3dim. Kristall
→
Ebenenschar
Teil einer Ebene entfernt
↓
≡
Versetzung
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Ausgedehnte Defekte II: Versetzungen
• stöchiometrische Liniendefekte
• Unterscheidung von:
- Stufenversetzungen
- Schraubenversetzungen
Stufenversetzung
• entstehen:
- während Kristallwachstum
- durch Kondensation von Punktdefekten
- durch plastische Verformung / mechanische
Bearbeitung
• können nicht im Inneren des
Kristalls enden:
- Versetzungsring oder -knoten
- Verlauf bis Oberfläche (extern
oder intern)
• verantwortlich für plastische
Verformung kristalliner Materialien (Metalle)
Schraubenversetzung
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Ausgedehnte Defekte III: Korngrenzen
Korngrenze
↓
Zwillingsgrenze
Domänenstruktur
eines Einkristalls
Kleinwinkel-Korngrenze
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Sind Defekte nützlich?
Kristalle ohne Defekte: technisch uninteressant!
In ionischen Festkörper: geringe Leitfähigkeit durch Ionen-Wanderung
Voraussetzung für die Ionenleitung:
Diffusionsprozesse
• intrinsische Leitfähigkeit
aufgrund von Defekten,
wächst mit steigender
Temperatur
• durch Verunreinigung/Dotierung: erhöhte
(= extrinsische) Leitfähigkeit
→ Schottky-Fehlstelle
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Sind Defekte nützlich?
Voraussetzung für plastische Verformung kristalliner Materialien
Plastische Verformung aller Kristalle erfolgt ausschließlich durch die Erzeugung
und Bewegung von Versetzungen.
• Angelegte Spannung > kritische Scherspannung
durch den Kristall
→ Wanderung der Versetzung
• makroskopische plastische Verformung = Summe aller mikroskopischen Versetzungsbewegungen
• Gäbe es keine Versetzungen, wäre alle Metalle spröde wie Glas
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Plastische Verformung eines Kristalls
1. Anlegen einer Scherspannung
2. Bildung einer Stufenversetzung
3. Wanderung der Versetzung durch Kristall
auch im täglichen Leben
Beispiel:
→ Nettoeffekt: Abgleitung der oberen Kristallhälfte relativ zur unteren!
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Wie kann ich Verformung verhindern?
Will man plastische Verformungen verhindern, muss man die Entstehung und (wichtiger)
Bewegung von Versetzungen verhindern.
1. Mischkristallhärtung: Einbau extrinsischer atomarer
Fremdatome (substitutionell oder interstitiell)
Effekt: Fremdatom bewirkt Verspannung des
Gitters, erhöhte Passierspannung für Versetzung
Bsp.:
C in Fe → Stahl
2. Ausscheidungs- und Dispersionshärtung: Einbau 3dimensionaler Defekte
3. Verformungsverfestigung: Erhöhung der Anzahl von Versetzungen in einem Material
Effekt: Versetzungen erhöhen Verspannung im Gitter, behindern so andere
Versetzungen
4. Feinkornhärtung: Korngrenzen sind effektive
Hindernisse für Versetzungen
Effekt: jedes Korn verformt sich im Prinzip
individuell
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Untersuchung von Defekten
Problem: Beugungsmethoden liefern Durchschnittsbild der Kristallstruktur,
Strukturinformationen sind räumlich
und zeitlich gemittelt
→ Realstruktur kann so nicht bestimmt werden
Transelektronenmikroskopie (TEM) hingegen macht auch die Untersuchung von
Defekten möglich
hier: Mittelung über Schichtdicke
weitere Methoden:
- Rastertunnelmikroskopie
- Atomare Kraftmikroskopie
Nachteil: Untersuchung der Oberfläche
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Untersuchung von Defekten: TEM-Bilder
Mikroriss und Versetzungsknäuel in einem Si-Kristall:
Versetzungen an Ausscheidungen
Versetzung im TEM
Zwillingsgrenze
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Wüstit Fe1-xO
• Mischoxid
• schwarz, antiferromagnetisch
• Vorkommen: Mineral, Schlacken
• nichtstöchiometrische
Verbindung variabler Zusammensetzung
• stöchiometrische Verbindung FeO
existiert bei normalen Drücken NICHT
• Zusammensetzung variiert zwischen Fe0.89O bis Fe0.96O
→ Eisenunterschuss, kein Sauerstoffüberschuss
• Grundstruktur: NaCl-Struktur, wird auch bei Variation der Zusammensetzung
beibehalten
• aber: Leerstellen sind nicht statistisch verteilt, sondern: Bildung von Defekt-Clustern
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Realstruktur von Wüstit Fe1-xO
→
→
NaCl-Struktur
Fe2+-Leerstellen
interstitielle Fe3+-Ionen
V13T4-Cluster
Koch-CohenCluster:
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Realstruktur von Wüstit II
• Struktur ist inhomogen:
Regionen mit Defektclustern (50%) und
defektfreie Regionen (50%)
• Koch-Cohen Cluster der häufigste, aber
auch: V16T5, V10T4,…
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Urandioxid UO2
• Vorkommen: in Uranpechblende (Kanada, Tschechien)
• Kernbrennstoff in Leichtwasserreaktoren
• nichtstöchiometrische Verbindung:
UO2+x mit 0 < x ≤ 0,25
• Grundstruktur: Fluorit-Struktur:
kubisch dichteste Packung von U4+-Ionen mit O2- in allen
8 Tetraederlücken
• Nichtstöchiometrie durch:
Einlagerung zusätzlicher O-Ionen
in Zwischengitterpositionen
• keine U4+-Leerstellen!
• Bildung von Defektclustern
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Realstruktur von UO2+x
→
→
oktaedrische Zwischengitterplätze
2:2:2-Cluster:
Kette von 2:2:2-Clustern:
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Zusammenfassung
→ Idealkristall existiert nicht, alle Kristalle sind Realkristalle
→ Realkristalle sind Kristalle, die Defekte besitzen
→ Einteilung der Defekte in Punktdefekte, Liniendefekte, Flächendefekte,
3dimensionale Defekte
→ Punktdefekte: entscheidend für Ionenleitfähigkeit eines Kristalls
Versetzungen: entscheidend für plastische Verformung eines Kristalls
→ Realstrukturen von Kristallen können darüber hinaus komplizierte
Anordnungen von Defektclustern enthalten
 Defekte sind nicht Fehler einer sonst idealen Struktur,
sondern sind fundamentaler Teil der Kristallstruktur!!
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verwendete Literatur
• A. R. West, Grundlagen der Festkörperchemie, Wiley-VCH, 2000
• J. Huheey, Anorganische Chemie, deGruyter Verlag, Berlin 1995
• F. Koch, J. B. Cohen, Acta Cryst. 1969, B25, 275 (Wüstit)
• T. R. Welberry, A.G. Christy, Phys. Chem. Minerals, 1997, 24 (Wüstit)
• B. T. M. Willis, Acta Cryst. 1978, A34, 88 (UO2)
• G. C. Allen et al., Nature, 1982, 295, 48 (UO2)
• http://www.techfak.uni-kiel.de/matwis/amat/mw1_ge (20.6.2004)
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