Offener Brief an die politischen Repräsentanten Nürnbergs zur Debatte um eine Rekonstruktion der Fassade des Pellerhauses Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Dr. Maly, sehr geehrte Stadträtinnen und Stadträte, seit einigen Monaten wird über die Zukunft des Pellerhauses am Egidienplatz diskutiert. Dessen historischer Innenhof aus der Renaissancezeit wird seid 2008 von den Altstadtfreunden rekonstruiert. Deren Vorsitzender Karl-Heinz Enderle schlug im Frühjahr 2016 vor, mit der Rekonstruktion der Hauptfassade fortzufahren. Dafür müsste die mittlerweile sanierungsbedürftige Nachkriegsfassade von 1957 abgerissen werden. Der Abrissvorschlag stößt bei den örtlichen Denkmalschützern und dem „Bund deutscher Architekten“ (BDA) auf massive Gegenwehr, da dieses Gebäude unter Denkmalschutz steht. Sie werfen den Altstadtfreunden vor, ein Baudenkmal zerstören zu wollen und plädieren stattdessen für eine dringend notwendige Sanierung des ganzen Ensembles, deren Kosten auf bis zu 50 Mio. Euro geschätzt werden. Die Ansichten prallen aufeinander und nicht immer wird dabei sachlich und vorurteilsfrei diskutiert. Auch Fraktionen des Stadtrates haben sich anscheinend schon fest zu dieser Frage positioniert. Mit diesem offenen Brief möchte der Vorstand von „Stadtbild Deutschland“ einen Beitrag zur Versachlichung der Debatte leisten und Sie zugleich bitten, fraktionsübergreifend zu einer für Nürnberg optimalen Entscheidung zu gelangen. Denkmalpflege ist ohne Zweifel eine wichtige öffentliche Aufgabe, denn sie dient dem Schutz unseres baulich - kulturellen Erbes. Dennoch sollten einzelne Entscheidungen der Ämter kritisch hinterfragbar bleiben. In diesem speziellen Fall ist das besonders notwendig, schließlich geht es um hohe öffentliche Investitionssummen und um ein Objekt, das starke Kontroversen auslöst. Einst prägten die zahlreichen Nürnberger Patrizierhäuser den Ruf und das Gesicht der Stadt. Nach ihrer Zerstörung sind die allermeisten heute längst in Vergessenheit geraten. Das von Jakob Wolff d. Ä. für den Kaufmann Martin Peller 1602 -1605 im Stil der Renaissance/Manierismus erbaute Pellerhaus jedoch galt als besonders herausragendes Beispiel bürgerlicher Baukunst und ist trotz seiner Zerstörung noch heute in aktuellen Standardwerken zur Architekturgeschichte zu finden. 1 Seine Fassade, sein Innenhof sowie das „Schöne Zimmer“, welches sich einst hier befand, bildeten ein geschlossenes Gesamtkunstwerk. Obwohl das Haus am 2. Januar 1945 ausbrannte und zusammenstürzte, blieben viele Gebäudeteile erhalten. Der Aufbau der zu 90 % zerstörten Altstadt Nürnbergs war eine unglaubliche Leistung. Dabei stand man, wie vielerorts in Europa, auch hier vor der Frage: Rekonstruieren oder totaler Neuanfang? In Polen wählte man trotz Nachkriegsnot für einige ähnlich stark zerstörte Innenstädte den Weg der Rekonstruktion, welchen sich die polnischen Denkmalpfleger zu einer kulturellen Herzensaufgabe machten. Das jahrhundertealte architektonische Erbe Warschaus oder Danzigs zu rekonstruieren, um es für künftige Generationen zu bewahren, sollte zeigen, dass mutwillige Zerstörung nicht das letzte Wort haben darf. In Nürnberg dagegen entschloss man sich nach vorbildlichen Wiederaufbauleistungen (z.B. Kaiserstallung, Heilig-Geist-Spital) ab Mitte der 1950er Jahre häufiger für den Abriss wiederaufbaufähiger Ruinen (z.B. Peststadel). Auch im Fall des Pellerhauses entschied sich die Stadtverwaltung gegen den Vorschlag einer technisch machbaren Rekonstruktion des Originalzustandes. Damit verstieß die Verwaltung allerdings gegen die eigenen städtischen Vorgaben zum Wiederaufbau, die eine völlige Rekonstruktion nur teilzerstörter Baudenkmäler bereits damals zwingend vorgesehen hatten. Laut diesen Vorgaben hätte das Pellerhaus schon damals so wiederaufgebaut werden müssen, wie es die Altstadtfreunde jetzt vorgeschlagen haben! 2 1 2 Vgl. Koch, Wilfried: Baustilkunde. Das Standardwerk zur europäischen Baukunst von der Antike bis zur Gegenwart, 32. Auflage, 2014, S. 363. Die Website www.baukunst-nuernberg.de spricht vom „besten und prachtvollsten Beispiel für die Architektur der deutschen Renaissance“ Vgl. dazu Mulzer, Erich: Der Wiederaufbau der Altstadt von Nürnberg 1945 bis 1970. In: Erlanger Geographische Arbeiten, hg. vom Vorstand der Fränkischen Geographischen Gesellschaft, Heft 31. Erlangen, 1972. S 75ff. „Über die Einstellung zur Denkmalpflege gibt es in den Verlautbarungen der Stadtverwaltung und des Stadtrates nur eine einzige, oft formulierte Meinung: Alle erhaltenen Baudenkmäler sorgfältig zu schützen und zu pflegen; alle beschädigten historischen Bauten sind, soweit sie noch regenerationsfähige Substanz besitzen, wiederherzustellen;“ Die Nachkriegsfassade von Fritz und Walter Mayer aus dem Jahr 1957, deren Abriss rechtlich umstritten ist, ist demnach ironischerweise Ergebnis eines Verstoßes gegen denkmalpflegerische Vorgaben. Aus Respekt vor dem Vorgängerbau entschieden sich die Mayers 1957 immerhin für die Zwischenlösung: Bewahrung erhaltener Teile, aber Ergänzung durch einen Zweckbau im Stil der Zeit. Um die noch vorhandenen Reste des Renaissancehauses zu schützen, stellte man diese Bereiche in den 70er Jahren unter Denkmalschutz, der erst viel später auf das mayersche Gesamtgebäude ausgeweitet wurde. Die Idee der Vervollständigung der baulichen Reste des Renaissancehauses durch Rekonstruktionen steht deshalb im Einklang mit dem ursprünglichen Gedanken, das Gebäude zu schützen und bedeutet außerdem, eine Fehlentscheidung des Wiederaufbaus in der Nachkriegszeit zu korrigieren. Um den Denkmalwert des Mayer-Baues trotzdem weiter zu erhalten, gibt es Alternativen, die geprüft werden sollten. 3 Von den lokalen Denkmalschützern kommt bisher nur heftige Ablehnung. Dabei wird der Ton manchmal unsachlich: Der stellvertretende Leiter des Landesamts Bernd Vollmar z.B. bezeichnet eine Rekonstruktion gar eine „marktschreierische Touristenattraktion in Form einer Retrofassade“, mit der man „Alt-Nürnberg nachweine“. Das Originalpellerhaus sei nie berühmt gewesen, “höchstens im lokalpatriotischen Wunschdenken innerhalb des bratwurstbestückten Nürnberger Zinnrandes". 4 Auch eine derzeit laufende Vortragsreihe des BDA zum Pellerhaus hat nur Mayers Nachkriegsbau zum Thema. 5 Eine mögliche Rekonstruktion des wolffschen Baues wird nicht thematisiert, wodurch es zu keiner fairen Debatte kommen kann. Dresdens Neumarkt, Frankfurts DomRömer, Hildesheims Knochenhaueramtshaus, Potsdams Stadtschloss und ganz aktuell das Palais Barberini sind keine „marktschreierischen Attraktionen“, sondern Versuche, die gewaltigen Wunden des 2. Weltkrieges zumindest an einigen Stellen zu heilen. Auch der Hamburger Michel z.B. oder der Campanile in Venedig sind schon zu Beginn des 20. Jhds. durch Brand bzw. Erdbeben zerstört und bald darauf rekonstruiert worden. Rekonstruktionen sind längst ein fester, städtebaulicher Bestandteil des Bemühens, kulturelles Erbe zu bewahren. Anders ausgedrückt: Rekonstruktion ist auch Denkmalpflege! 6 Ein Abriss der jetzigen Fassade bietet einen weiteren Vorteil: Er ist für die öffentliche Hand erheblich günstiger und würde die gespannte Haushaltslage Nürnbergs entlasten, denn im Falle des Abrisses entfiele ein großer Teil der veranschlagten Sanierungskosten. Danach würde die neue Fassade nach dem Entwurf Jakob Wolffs von 1602 rekonstruiert werden, aber nicht durch Steuergelder finanziert, sondern durch die gesammelten Spenden der Altstadtfreunde. Da solche Projekte erfahrungsgemäß eine große, touristische Dynamik entfalten, wäre der Erfolg gewiss. 7 Schon jetzt beeindruckt allein der rekonstruierte Pellerhof viele Besucher. Aber erst durch die Kombination aus Renaissanceinnenhof und -fassade entsteht wieder das harmonische Gesamtkunstwerk, das Nürnbergs Ruf einst so prägte und wieder prägen könnte. Die Chance einer Rückkehr dieses Kunstwerks ist nun gegeben. Man muss kein Fan des RenaissanceBaustils sein, um diese Chance zu nutzen, allein die Sachargumente sprechen für sich: Eine rekonstruierte Pellerhausfassade bedeutet einen touristischen, kulturellen und städtebaulichen Gewinn für Nürnberg. Sie ergibt sich ferner aus dem ursprünglichen Konzept, das Gebäude zu schützen und bedeutet nicht zuletzt auch geringere öffentliche Kosten. Wir bitten Sie daher, die genannten Argumente zu prüfen und sich fraktionsübergreifend dafür einzusetzen, dass die Pellerhausfassade von Jakob Wolff d.Ä. in Nürnbergs Stadtbild zurückkehrt! Für dieses Ziel und für die bundesweite Vermittlung von Unterstützern bieten wir unsere ehrenamtliche Hilfe an! der Vorstand von „Stadtbild Deutschland e.V.“ 7. Januar 2017 3 Wenn der Besitzer eines denkmalgeschützten Hauses den Erhalt nicht mehr gewährleisten kann, wird andernorts oft die Abrissgenehmigung erteilt. Um den Denkmalwert trotzdem zu bewahren, wird zuvor das Gebäude gründlich dokumentiert. Eine andere, allerdings wohl zu teure Alternative wäre die Versetzung der Mayer-Fassade an andere Stelle. 4 Lauer, Isabel: Pellerhaus. Pläne zur Wiederbelebung werden konkreter. Www.nordbayern.de, 21.11.16. Der Artikel berichtete über einen Vortragsabend des „Bundes deutscher Architekten“ (BDA) und der „Initiative Baulust“, bei dem Vollmar sich so geäußert haben soll. 5 Die bisherigen Vorträge und Programmankündigungen gehen darauf jedenfalls nicht ein, Vertreter der Altstadtfreunde sind nicht eingeladen. 6 Eine oft diskutierte, umstrittene These, aber mit diesem Argument gelang es schon in den 80er Jahren dem niedersächsischen Kulturminister Johann Tönjes Cassens, öffentliche Mittel für die Rekonstruktion des Hildesheimer Marktplatzes bewilligt zu bekommen. 7 An dieser Stelle sei erneut auf die Beispiele Hildesheim und Dresden verwiesen. Sowohl Knochenhaueramtshaus als auch Frauenkirche sind v.a. durch Spenden finanziert worden und heute die Hauptanlaufpunkte für die Touristen, nicht obwohl, sondern weil sie Rekonstruktionen sind.