Forensische Psychiatrie für Juristen Operative Fallanalyse Basel, 27. April 2011 Dr. med. Marc Graf Forensisch Psychiatrische Klinik Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel der erste "Profiler" Dr. J. A. Brussel der "mad bomber" George Metesky 1 Klassifikation von Serienmördern (in Anlehnung an HOLMES u. De BURGER, 1988) Verhaltensmuster Ursprung des Verhaltens Motive Verhaltensorientierung psychogen soziogen biogen innere äussere psychischer Gewinn: expressiv materieller Gewinn: instrumentell Opfereigenschaften Opferauswahl Täter-Opfer-Beziehung spezifisch unspezifisch gezielt zufällig fremd bekannt Vorgehensweise geplant spontan prozessorientiert ergebnisorientiert organisiert desorganisiert Tatorte konzentriert verstreut Tätertypen visionär missionarisch hedonistisch machtorientiert meist psychotisch, oft imperative Halluzinationen schwere Persönlichkeitsstörung, eigene „Moralvorstellungen“ lust- und thrillorientiert, sexuell deviant schwaches Selbstwertgefühl, Erleben von Dominanz 2 ViCLAS: Violent Crime Linkage Analysis System •Ungeklärte Tötungsdelikte •Tötungsdelikte ohne erkennbares Motiv •Tötungen mit sexuellem Bezug •Gewaltsame Sexualdelikte •Vermisste Personen bei Verbrechensverdacht •Nicht identifizierte Verbrechensopfer •Entführungen incl. Versuche Profiling: Grundannahmen • • • • Der Tatort sagt etwas über die Persönlichkeit aus Der modus operandi bleibt gleich Täter haben eine persönliche „Handschrift“ = Signatur Die Persönlichkeit des Täters bleibt konstant 3 Modus operandi • • • • Erlerntes Verhalten, um Tatziel effektiv zu erreichen, Entdeckung zu verhindern Flucht zu ermöglichen „Handschrift“ • • • • Ungewöhnliches, zur Tatdurchführung unnötiges Verhalten Ausdruck individueller Bedürfnisse Umsetzung von Phantasien in Rituale Häufig übermässige Gewaltanwendung („Overkill“), bizarres Sexualverhalten, Erniedrigung des Opfers, Mitnahme von „Souvenirs“, „Undoing“ • Je ausgeprägter die Handschrift, desto schwerer die psychische Störung! 4 Grenzen der Verhaltensanalyse • • • • • Verhalten immer multikonditional nie alle Motive bekannt nie alle Randbedingungen erkennbar keine einheitliche Handlungstheorie in den Psychowissenschaften Fazit: möglich sind nur Verhaltensprofile und darauf basierende Wahrscheinlichkeitsaussagen TÄTERPROFIL • Auflistung charakteristischer Merkmale eines noch unbekannten Täters • Rekonstruktion und Interpretation des Täterverhaltens • nach systematischer Tatort- und Tatanalyse • Hypothese, die Ermittlungshandlungen lenken kann 5 Operative Fallanalyse • • • • • Systematisches Aufarbeiten von Kriminalfällen Exakte Rekonstruktion des Täterverhaltens Ermittlungshinweise Teamwork Ganzheitlicher Ansatz OFA vs. «Profiling» 1. Ziel: Ermittlungsunterstützende Beratung 1. Voraussetzung: Kenntnis der Ermittlungsmethoden von Staatsanwaltschaft und Polizei 2. Kriminalistisch ermittelbare Tätermerkmale als Resultat der Tathergangsanalyse 6 Aufgaben der Rechtsmedizin • Erfassung, Dokumentation und Sicherung biologischer Spuren • Analyse von Verletzungsmustern • Rekonstruktion des Geschehens • Unterscheidung: vital – postmortal Ablauf einer Fallanalyse • • • • • • • • • Systematische Materialsammlung Entscheiden: wichtig – unwichtig? Erste Tatrekonstruktion Interaktion Täter-Opfer: was, wann, wo, wie, womit, warum? Bedeutung des Täterverhaltens? Charakteristische Fallgruppe? Täterprofil Ermittlungshinweise Validierung 7 Tat- und Tatortanalyse • genaue Ortsanalyse (Fotos, Lagepläne) • Zugangsmöglichkeiten (Fahrzeug!) • Schädigungsart (Obduktionsbefund, Fotos, Schemazeichnungen) • Tatwerkzeug(e) • Interaktionsspuren • minutiöse Rekonstruktion des Tatablaufes inkl. Vor- und Nachtatphase • Kontrolle, Eskalation, Progression, Inszenierung, • Gesamteindruck, erste Zuordnung zu spezifischer Deliktsgruppe Viktimologische Analyse • • • • • • • persönliche Kerndaten des Opfers genaue Lebensumstände Beziehungsanalyse Freizeit, Hobbys sexuelle und andere Gewohnheiten Opferrisiko und spezifisches Risikoverhalten letzter Aufenthaltsort mit Zeitdiagramm 8 Täterprofil I • • • • • • Verhaltensstil vermutliches Motiv Alter, Geschlecht (empirisch) biografische Hinweise (empirisch) wahrscheinliche Vorstrafen (empirisch) Vermutliche Lebensumstände (Bildung, Beruf, Familie, Beziehungen) Täterprofil II • • • • • • • Wohnort (geografisches Profil) Anzeichen für spezifische „Handschrift“ Entdeckungsrisiko spezifische Opferauswahl mögliche Tätertypologie (besonders planvoll vs. spontan) möglicher „Schnittpunkt“ Täter-Opfer Vergleich mit ähnlich gelagerten Fällen 9 Freizeit Internet Tat Beruf Partnerschaft Familie Sexualität Hobby Beruf Hobby Reisen Freunde Freizeit Freunde Opfer Täter Freizeit Beruf Hobby Familie Partnerschaft Sexualität Internet Freunde Opfer Internet Familie Tat Reise Beruf Partnerschaft Sexualität Freunde Hobby Freizeit Täter 10 Geografisches Profil • Täter wählt Ort meist nicht zufällig • Weg: Wohnort- Arbeitsort-Tatort? • "Ankerpunkte"? • "Pufferzone" um Wohnort • Verbindung mit Tatort? 11 Fazit und Ausblick I • Einzelelemente der Operativen Fallanalyse gab es schon immer • Neu: Integrativer interdisziplinärerAnsatz • Erfolge werden von unseriösen „Profilern“ weit übertrieben • Weitere wissenschaftliche Untermauerung nötig Fazit und Ausblick II • Zusammenfassen des Wissens aller wichtigen Disziplinen • Integration in den kriminalistischen Alltag vor Ort • der einsame Profiler als „Superstar“ ist out • Basis des Erfolges ist immer noch solide Ermittlungsarbeit 12